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„Unsere Städte sind für das Atomwaffenverbot!“

Kampagnenlogo Büchel AtomwaffenfreiAm kommenden Samstag (8. Juli) findet der Flaggentag der „Mayors for Peace“ statt. An diesem Tag machen Kommunen auf das Rechtsgutachten zu Atomwaffen des Internationalen Gerichtshofes (IGH) aufmerksam, indem sie die Flaggen des Städtenetzwerkes vor den örtlichen Rathäusern hissen. Das Gutachten vom 8. Juli 1996 stellte fest, dass die Androhung des Einsatzes und der Einsatz von Atomwaffen grundsätzlich gegen das Völkerrecht verstoßen. In zahlreichen Orten bundesweit findet das Hissen der Flaggen unter Beteiligung von lokalen Friedensgruppen statt, die den Tag nutzen, um Deutschlands Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag und den Stopp der nuklearen Aufrüstung zu fordern.

Stimmen zum Flaggentag 2023
„Der Atomwaffenverbotsvertrag stärkt nicht nur die vom Internationalen Gerichtshof gesetzten Normen, dass weder der Einsatz von Atomwaffen, noch die Drohungen damit akzeptabel sind. Er geht sogar noch weiter und verbietet Atomwaffen komplett. Das ist ein sehr wichtiges Zeichen - gerade jetzt, wo es kaum noch Rüstungskontrollverträge gibt und sich die Nuklearwaffenstaaten und ihre Verbündeten schon längst in ein neues Wettrüsten begeben haben. Beim Flaggentag sagen wir in Darmstadt ‚Stopp‘ zu diesem brandgefährlichen Trend.“, betont Regina Hagen, Rednerin beim Flaggentag in Darmstadt und Co-Sprecherin der Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“.

„Ohne das Engagement auf Graswurzelebene wird es bestimmt niemals zu vollständiger nuklearer Abrüstung kommen. Die kürzlich vorgestellte Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung hat erst gezeigt, wie ideenlos sie beim Thema Abrüstung ist. Deshalb bin ich natürlich beim Flaggentag in Trier mit dabei!“, betont Katharina Dietze von der Arbeitsgemeinschaft Frieden in Trier. Besonders entrüstet ist sie über die Anschaffung neuer Atombomber vom Typ F-35 und die bald bevorstehende Stationierung von B61-12-Bomben in Büchel. „Mit unserer Aktion wollen wir deutlich machen, dass unsere Stadt für das Atomwaffenverbot und nicht für nukleare Aufrüstung steht!“, so Dietze weiter.

„Nukleare Abschreckung ist die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen - und das widerspricht dem Völkerrecht.“, betont Silvia Bopp von der Pressehütte Mutlangen. „Atomwaffen sind eine große Gefahr für alles Leben auf der Erde und gehören abgeschafft. Mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen ist einfach, ändert aber nichts. In diesem Sinne sollte die Bundesregierung endlich für den Abzug der US-Atomwaffen aus Büchel sorgen und dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten. Wir sind froh, dass sich auch die Gemeinde Mutlangen gemeinsam mit uns für eine atomwaffenfreie Welt engagiert.“

Übersicht der Aktivitäten zum Flaggentag 2023
In den vergangenen Jahren beteiligten sich stets mehrere Hundert Städte am Flaggentag. Auch 2023 ist davon auszugehen. In zahlreichen Städten erfolgt das Hissen der Flaggen im Rahmen von Kundgebung mit Friedensinitiativen.

Eine (unvollständige) Liste der Aktionen mit Beteiligung von Friedensgruppen kann hier gefunden werden:

Aachen (8.7.) - Altenburg (8.7.) - Bonn (8.7.) - Braunschweig (9.7.) - Darmstadt (8.7.) - Dortmund (7.7.) - Dülmen (8.7.) - Freiburg (7.7.) - Gau Algesheim (7.7.) - Heidenheim (7.7.) - Hagen (7.7.) - Konstanz (8.7.) - Köln (8.7.) - Lindau (8.7.) - Mainz (7.7.) - Mannheim (8.7.) - Mutlangen (8.7.) - Mönchengladbach (8.7.) - Nottuln (6.7.) - Schorndorf (7.7.)- Stuttgart (8.7.) - Trier (6.7.) - Wetzlar (7.8.)

Über die Mayors for Peace
Die Organisation „Mayors for Peace“ wurde 1982 durch den Bürgermeister von Hiroshima gegründet. Aus der grundsätzlichen Überlegung heraus, dass Bürgermeisterinnen und Bürgermeister für die Sicherheit und das Leben ihrer Bürgerinnen und Bürger verantwortlich sind, versucht die das Städtenetzwerk durch Aktionen und Kampagnen die weltweite Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern und deren Abschaffung zu erreichen. Alleine in Deutschland sind seit 2022 mehr als 120 neue Städte und Gemeinde dem Netzwerk beigetreten. Insgesamt hat das Netzwerk derzeit 858 Mitgliedsstädte in Deutschland.

Quelle: Pressemitteilung vom 5. Juli 2023

Das Jahr der Rüstungsindustrie

Der Rüstungskonzern Rheinmetall rechnet mit bald eingehenden Neuaufträgen in zweistelligem Milliardenwert und schließt für die nächsten Jahre ein Umsatzwachstum von jeweils 20 bis 30 Prozent nicht aus. Dies hat Konzernchef Armin Papperger nach einem Treffen der NATO-Verteidigungsminister mit Führungspersonal von mehr als 20 transatlantischen Rüstungsfirmen bestätigt. Bei den Aufträgen werde nicht 2022, das Jahr der Scholz‘schen „Zeitenwende“, sondern 2023 „das beste Jahr ever“ werden, sagt Papperger voraus. Der Manager räumt offen ein, Rheinmetall verdanke sein immenses aktuelles Wachstum dem Ukraine-Krieg. Dabei kann die Düsseldorfer Waffenschmiede sogar ihre Produktpalette erweitern: Sie wird künftig Teile für den US-Kampfjet F-35 fertigen - ein Gegengeschäft für den Kauf von 35 Exemplaren des Flugzeugs durch die Bundesregierung, das die transatlantische Rüstungsbasis weiter festigt. Um die Rüstungsindustrie zur rascheren Ausweitung ihrer Munitions- und Waffenproduktion zu veranlassen, sind die NATO-Staaten um langfristige Abnahmegarantien bemüht. Das Bündnis erarbeitet dazu eigens einen ausführlichen Defence Production Action Plan.

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US-Friedensaktivist legt Beschwerde vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gegen die Verurteilung wegen einer gewaltfreier Aktion gegen Atomwaffen ein

Kampagnenlogo Büchel AtomwaffenfreiDie Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“ weist auf die Beschwerde eines US-amerikanischen Friedensaktivisten an den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof hin.

John LaForge, 67, gebürtig aus Duluth und langjähriger Co-Direktor der Watchdog-Gruppe Nukewatch in Wisconsin, wurde nach einem Go-In im Atomwaffenlager Büchel wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung verurteilt. Auf dem deutschen Luftwaffenstützpunkt Büchel in der Eifel lagern im Kontext der sogenannten nuklearen Teilhabe etwa 15-20 US-Atombomben vom Typ B-61. Büchel ist deshalb seit vielen Jahren Aktionsort der Friedensbewegung, die den Abzug der Bomben und den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag fordert.

In seiner Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, Frankreich, die am Freitag, 9. Juni 2023, eingereicht wird, argumentiert LaForge, dass die verbindlichen Regeln des EGMR von den deutschen Gerichten verletzt wurden, weil diese ihm seiner Meinung nach das Recht auf eine angemessene Verteidigung und auf rechtliches Gehör verweigerten. Der EGMR prüft Beschwerden, wenn Angeklagte, die ihre rechtlichen Möglichkeiten in den Mitgliedstaaten des Europarates ausgeschöpft haben, nachweisen können, dass ihre Verurteilung zu Unrecht erfolgt ist. Der EGMR wird zunächst die Zulässigkeit der Beschwerde von LaForge prüfen und dann entscheiden, ob eine inhaltliche Befassung stattfindet.

Die Verfassungsbeschwerden von LaForge gegen seine Verurteilungen wurden vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe, dem höchsten deutschen Gericht, nicht angenommen, so dass die Urteile rechtskräftig wurden. Insgesamt hat das BVerfG bereits in 19 Fällen ähnlich gelagerte Verfassungsbeschwerden nicht zur Verhandlung angenommen.

LaForge hatte sich geweigert, eine vom Gericht verhängte Geldstrafe zu zahlen und wurde im Januar und Februar 2023 für 50 Tage inhaftiert. Er war der erste US-Bürger, der im Rahmen der langjährigen Aktionen des zivilen Widerstands gegen die Stationierung und den drohenden Einsatz von US-Atombomben in Deutschland eine Ersatzfreiheitsstrafe im Gefängnis verbüßen musste. Ein zweiter US-Bürger, der wegen Hausfriedensbruchs in Büchel verurteilt wurde, Dennis DuVall aus Prescott, Arizona, verbüßte nachfolgend im März und April eine 60-tägige Ersatzfreiheitsstrafe.

In der Beschwerde an den EGMR, die am 9. Juni von der Bonner Anwältin Anna Busl eingereicht wird, argumentiert LaForge, dass alle drei deutschen Gerichte Fehler begangen hätten, indem sie sich weigerten, Zeugenaussagen von Experten zu berücksichtigen, die seiner Meinung nach die Verteidigung seiner Taten als "Verbrechensverhütung" bestätigt hätten. Es lagen also rechtliche Rechtfertigungsgründe für die Tat vor, die die Gerichte nicht geprüft hätten. Insbesondere lehnten die Gerichte das Angebot ab, den renommierten Völkerrechtsprofessor Francis A. Boyle von der University of Illinois anzuhören. „Prof. Boyle legt in seinen Büchern, Aufsätzen und regelmäßigen Zeugenaussagen dar, dass das verbindliche Völkerrecht jegliche Planung oder Vorbereitung von Atomwaffenangriffen verbietet und jede Weitergabe von Atomwaffen von Atomwaffenstaaten an nicht nuklear bewaffnete Länder untersagt“, so LaForge.

Die Anrufung des EGMR ist nicht ganz neu. Die ersten EGMR-Beschwerden dieser Art wurden im November 2021 von Stefanie Augustin und Marion Küpker aus Deutschland gestellt, eine Antwort steht noch aus. Drei weitere Aktivistinnen, Johanna Adickes und Ariane Dettloff aus Deutschland sowie Susan Crane aus Redwood City, Kalifornien, haben sich ebenfalls an das Straßburger Gericht gewandt oder werden dies in Kürze tun.
Quelle: Pressemitteilung 09.06.2023

Keine "Air Defender 23" Kriegsübung über Deutschland!

Sharepic zur Kundgebung mit den Daten aus dem TextWann: 10.06.2023 11:50 Uhr
Wo: Marktplatz, Stuttgart-Vaihingen
Wer: EUCOM-Arbeitsgruppe für den Frieden

Um den Frieden zu gewinnen:

Eine Perspektive für den Frieden und damit für die Zukunft, für das Überleben der Menschheit kann nur gewonnen werden, wenn es gelingt, eine weitere Eskalation auch dieses Stellvertreterkrieges zwischen USA/NATO und Russland in der Ukraine zu verhindern.

Die NATO-Kriegsübung „Air Defender 23“ im Juni unter Führung der Bundeswehr Luftwaffe eskaliert unverantwortlich.

Wir als ‚EUCOM-AG für den Frieden‘ fordern von der Bundesregierung:

• Verhandlungsdiplomatie für einen sofortigen Waffenstillstand im Ukrainekonflikt
• Beendigung des Wirtschaftskriegs gegen Russland
• Keine Waffenlieferungen
• Keine NATO-Kriegsübungen wie „Air Defender 23“
• Beitritt Deutschlands zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag
• Abzug aller US-Atomwaffen aus Deutschland
• Von den US-Kommandozentralen EUCOM und AFRICOM darf aus Stuttgart kein Krieg mehr geplant, unterstützt und geführt werden (siehe Grundgesetz Artikel 26). Daher:
• Schließung der US-Kommandozentrale EUCOM, von der aus die US-Regierung ihre in Europa stationierten Truppen einschließlich der US-Atomwaffen befehligt
• Schließung der US-Kommandozentrale AFRICOM, die u.a. für illegale tödliche Drohneneinsätze in Afrika verantwortlich gemacht wird
• Umwandlung der Areale der US-Kommandozentralen in Wohngebiete
• Sozialökologischer Umbau der Gesellschaft!

Die Nazis, der Rabbi und die Kamera

Die Kamera Leica wurde bei der Firma Leitz in Wetzlar, mit der bis heute Fotograf:innen von Weltrang arbeiten, entwickelt. Ernst Leitz II war Mitglied in Hitlers NSDAP. Doch er rettete jüdische Angestellte und Freunde vor dem sicheren Tod. Unter anderem die Familie Ehrenfeld aus Frankfurt. Ihre und andere Geschichten hat der Fotograf und Rabbi Frank Dabba Smith erforscht.

Der Fotograf und Rabbiner Frank Dabba Smith hält nichts von einfachen Theorien. „Schwarz-Weiß-Betrachtungen bringen niemanden weiter“, sagt er. Schon als junger Mann reiste er aus diesem Grund nach Deutschland - das Land, das einerseits für den Tod seiner Verwandten in Polen verantwortlich ist, andererseits aber auch seine größte Leidenschaft hervorgebracht hat: die Leica-Kleinbildkamera.

Als junger Student hatte Frank gelesen, wie Leica-Firmenchef Ernst Leitz II den Juden während des Nazi-Regimes geholfen hatte. Später nahm er Kontakt mit der Familie Leitz auf. Der Enkel von Ernst Leitz II, Knut Kühn-Leitz, hatte zwar ein sehr inniges Verhältnis zu seinem Großvater, doch er wusste von nichts. Bis zu seinem Tod im Jahr 1956 hatte sein Großvater nie etwas aus der Zeit des Nationalsozialismus erzählt. Die Familie war sich zunächst nicht sicher, ob sie überhaupt Nachforschungen über die Vergangenheit anstellen sollte, doch Frank überzeugte sie. So kam ans Licht, dass Ernst Leitz II vielen Verfolgten geholfen hatte.
Dazu gehörte unter anderem die Familie von Heinrich Ehrenfeld, Inhaber eines Frankfurter Kaufhauses. In den USA angekommen, änderte die Familie ihren Namen von Ehrenfeld zu Enfield und verkaufte Leica-Kameras. Die Enkelin Jill Enfield ist Fotografin und seit Jahren mit Frank in Kontakt - so hat sie viel Unbekanntes von ihren Großeltern erfahren.

Der Dokumentarfilm führt an Originalschauplätze in Wetzlar, New York und Frankfurt am Main. Neben Frank Dabba Smith und Jill Enfield nimmt auch Oliver Nass, Urenkel von Ernst Leitz II, Stellung zu den damaligen Ereignissen.

Dokumentation von Claus Bredenbrock und André Schäfer (D 2022, 44 Min)



Danke für den Hinweis an Matze Schmidt!
Video verfügbar bis zum: 16/08/2023

"Shoah" von Claude Lanzmann gehört nun zum Weltdokumentenerbe der UNESCO

"Shoa" aus dem Jahre 1985 von Claude Lanzmann (1925-2018) gehört nun zum Weltdokumentenerbe der UNESCO.



Vielen Dank an Ruth für den Hinweis.

Erfolg für Radio Dreyeckland und die Pressefreiheit: Verlinkung ist keine strafbare Unterstützung

Logo des freien Radios DreyecklandDas Landgericht Karlsruhe entschied gestern, die Anklage gegen einen Redakteur des unabhängigen Senders Radio Dreyeckland (RDL) nicht zuzulassen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) unterstützt den Journalisten in dem Strafverfahren. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, in einem RDL-Artikel auf die Archivseite der verbotenen Plattform linksunten.indymedia verlinkt und damit eine verbotene Organisation unterstützt zu haben. Das Gericht entschied mit dem wegweisenden Beschluss, dass die Verlinkung Teil der journalistischen Aufgaben und daher keine strafbare Unterstützung einer verbotenen Vereinigung sei. Damit steht auch fest, dass die im Januar angeordneten Durchsuchungen von Wohnungen und Redaktionsräumen rechtswidrig waren. Das Landgericht ordnete außerdem wegen der hohen Bedeutung für das Redaktionsgeheimnis und den Informant*innenschutz an, dass die Polizei die angefertigten Kopien der ursprünglich beschlagnahmten Datenträger löschen muss.

„Die Entscheidung ist ein wichtiges Signal für freie und kritische Presseberichterstattung in ganz Deutschland. Das Gericht begründet ausführlich, dass vage Strafnormen mit Blick auf die Presse- und Rundfunkfreiheit einschränkend ausgelegt werden müssen“, betont David Werdermann, Jurist und Verfahrenskoordinator. „Der Beschluss ist wegweisend: Er stellt klar, dass Verlinkungen zum geschützten Bereich der freien Berichterstattung gehören und Medien für die verlinkten Inhalte nicht ohne Weiteres strafrechtlich belangt werden können.“

Logo der Gesellschaft für FreiheitsrechteIm Juli 2022 berichtete RDL über das Verbot von linksunten.indymedia 2017 durch das Bundesinnenministerium. Als Hintergrundinformation für die Leser*innen verlinkte RDL auf die Archivseite des verbotenen Portals. Daraufhin ordnete das Amtsgericht Karlsruhe die Durchsuchung der Redaktionsräume sowie der Wohnungen zweier Redakteure an. Dabei beschlagnahmte die Polizei mehrere Laptops mit umfangreicher redaktioneller Kommunikation. Mit der heutigen Entscheidung ist klar, dass dieses Vorgehen einen rechtswidrigen Eingriff in die Presse- und Rundfunkfreiheit darstellt. Journalist*innen machen sich in der Regel nicht strafbar, wenn sie im Rahmen der Berichterstattung auf rechtlich umstrittene Webseiten verlinken. Das Landgericht zieht zudem in Zweifel, ob der verbotene Verein linksunten.indymedia überhaupt noch existiert. Ein nicht mehr existenter Verein könne auch nicht unterstützt werden.

„Ich bin sehr erleichtert, dass das Landgericht Karlsruhe die Pressefreiheit verteidigt hat. Der Schaden ist damit aber nicht aus der Welt: Die Hausdurchsuchung hat meine Privatsphäre verletzt. Und sicher sind Journalist*innen verunsichert worden, wie sie über verbotene Organisationen berichten dürfen“, kritisiert Fabian Kienert, der RDL-Redakteur, gegen den Anklage erhoben worden war. „Die Ermittlungen gegen Radio Dreyeckland hätten gar nicht erst eingeleitet werden dürfen. Das muss Konsequenzen haben.“

Ob das Verbot von linksunten.indymedia die Pressefreiheit verletzt, wurde gerichtlich nie überprüft. Darauf bezogene Klagen vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie eine Verfassungsbeschwerde wurden aus formalen Gründen abgewiesen.

Radio Dreyeckland und die betroffenen Journalisten werden vor Gericht durch die Strafverteidiger*innen Angela Furmaniak, Lukas Theune und Sven Adam vertreten. Die Staatsanwaltschaft kann gegen die Nichtzulassung der Anklage Beschwerde einlegen. Über die von RDL und den betroffenen Journalisten eingelegten Beschwerden gegen die Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse hat das Landgericht noch nicht entschieden.

Weitere Informationen zum Verfahren mit Radio Dreyeckland finden Sie hier:
https://freiheitsrechte.org/themen/demokratie/radio_dreyeckland

Weitere Informationen zum Verfahren nach dem Verbot von linkunten.indymedia sowie den Amicus Curiae-Brief finden Sie hier:
https://freiheitsrechte.org/themen/demokratie/linksunten-indymedia

Weitere Informationen über das Verfahren aus Sicht von RDL finden Sie hier:
https://rdl.de/Hausdurchsuchungen

Quelle: Pressemitteilung GFF, 17. Mai 2023


Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) ist eine spendenfinanzierte Organisation, die Grund- und Menschenrechte mit juristischen Mitteln verteidigt. Der Verein fördert Demokratie und Zivilgesellschaft, schützt vor unverhältnismäßiger Überwachung sowie digitaler Durchleuchtung und setzt sich für gleiche Rechte und die soziale Teilhabe aller Menschen ein. Dazu führt die GFF strategische Gerichtsverfahren, geht mit Verfassungsbeschwerden gegen grundrechtswidrige Gesetze vor und bringt sich mit ihrer juristischen Expertise in gesellschaftliche Debatten ein. Der gemeinnützige Verein mit Sitz in Berlin wurde 2015 gegründet und finanziert sich vor allem durch Einzelspenden und die Beiträge seiner Fördermitglieder.

Mehr Informationen finden sich unter https://freiheitsrechte.org.

Schutz und Asyl für alle aus Russland, Belarus und der Ukraine, die den Kriegsdienst verweigern - Kundgebung zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung

Sharepic zur Kampagne: Ein Mensch zerbricht ein Gewehr, daneben der Aufruf: "Kriegsdienstverweigerer und Deserteure brauchen unsere Solidarität!" sowie die Kampagnenhashtags in Enlisch und Russisch / UkrainischDie DFG-VK Stuttgart lädt ein:

Kundgebung am 15. Mai 2023, 19.15 Uhr am Desserteurdenkmal Theaterhaus Siemensstraße 11, Pragsattel.

Schutz und Asyl für alle aus Russland, Belarus und der Ukraine, die den Kriegsdienst verweigern - Kundgebung zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung

Die Veranstaltung findet statt im Rahmen der #ObjectWarCampaign #StandWithObjectors

Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Wir verurteilen alle Kriege auf der Welt.

Der Krieg in der Ukraine, der zu hunderttausenden Toten und Verletzten sowie Millionen Geflüchteten geführt hat, muss sofort durch Verhandlungen beendet werden.

Besonders betroffen sind die, die von ihren Regierungen an die Front geschickt werden. Viele Menschen aus Russland und der Ukraine, aber auch Belarus, denen der Kriegsdienst droht, versuchen sich ihm zu entziehen.
Sie wollen keine Menschen töten und auch nicht in diesem Krieg sterben. Soldatinnen und Soldaten an der Front wollen angesichts des Grauens die Waffe niederlegen. Ihnen allen drohen dafür von ihren Regierungen Repressionen und Gefängnisstrafen, in Belarus sogar bis hin zur Todesstrafe. Aber: Kriegsdienstverweigerung ist ein international anerkanntes
Menschenrecht!

- Wir fordern von den Regierungen Russlands, Belarus' und der Ukraine:

Stellen Sie die Verfolgung von Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen umgehend ein!

- Wir fordern von der Europäischen Union und der deutschen Bundesregierung: Öffnen Sie die Grenzen! Schützen Sie Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine und geben Sie ihnen Asyl.

Dafür organisieren wir am „Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung", 15. Mai, eine Kundgebung vor dem Stuttgarter
Deserteursdenkmal.

Wir betonen: Kriegsdienstverweigerung ist Menschenrecht!

k9 - combatiente zeigt geschichtsbewußt: GEGEN DEN STROM - Abgetaucht in Venezuela

Flyer zum Filmabenddoku-film von sobo swobodnik - 2020 aus dem venezolanischen Exil - militante aus der gruppe Das K.O.M.I.T.E.E. im exil nach jahrzehnten illegalität.
nach versuchtem anschlag auf im bau befindlichen abschiebeknast in grünau - berlin 1995 abgetaucht, nun in venezuela wieder aufgetaucht. der film zeigt ihre stärken und ihren willen in der bewältigung ihres seins, ihre standhaftigkeit u. alltägliches leben.
dabei geht es auch um das transatlantische musikprojekt von thomas mit Mal Eleve.

Thomas Walter, Bernhard Heidbreder und Peter Krauth waren aktive der militanten berliner gruppe Das K.O.M.I.T.E.E. dies hatte
1994/95 mit einem angriff ein Gebäude des Verteidigungskreiskommandos 852 der Bundeswehr in Bad Freienwalde in Brand gesetzt weil deutschland „Kriegspartei im Völkermord in Kurdistan (ist) - militärisch, ökonomisch, politisch“ u. hatten versucht den zukünftigen Abschiebe-Knast Grünau zu sprengen. nach entdeckung ihrer identität tauchten sie unter. bernd ließen 2014 dt. zielfahnder in venezuela festnehmen, über zwei jahre knast, asyl antrag, den stellten auch thomas+peter die 2017 dort aufgetaucht waren, die beiden bekamen im dezember 2021 asyl in venezuela.
der film zeigt einiges aus dem unruhigen land venezuela, behaltene linke utopien, politisches engagement, bleibender widerstand, standhaftigkeit und viel von thomas seinem transatlantischen musikprojekt mit Mal Eleve.

Filmdokumentation von Sobo Swobodnik von 2020 - 84 min.

Zur Erinnerung an Bernhard Heidbrede, gestorben am 27. Mai 2021.

Sonntag, 21. Mai 2023 - 19 Uhr

combatiente zeigt geschichtsbewußt: revolucion muß sein! filme aus aktivem widerstand & revolutionären kämpfen

kinzigstraße 9 + 10247 berlin + U5 samariterstraße + S frankfurter allee

Das ist unser Manifest



Wolfgang Borchert, letztes Foto als Zivilist im Sommer 1941

Wolfgang Borchert, letztes Foto als Zivilist im Sommer 1941
Helm ab Helm ab: - Wir haben verloren ! Die Kompanien sind auseinandergelaufen. Die Kompanien, Bataillone, Armeen. Die großen Armeen. Nur die Heere der Toten, die stehn noch. Stehn wie unübersehbare Wälder: dunkel, lila, voll Stimmen. Die Kanonen aber liegen wie erfrorene Urtiere mit steifem Gebein. Lila vor Stahl und überrumpelter Wut. Und die Helme, die rosten. Nehmt die verrosteten Helme ab: Wir haben verloren.

In unsern Kochgeschirren holen magere Kinder jetzt Milch. Magere Milch. Die Kinder sind lila vor Frost. Und die Milch ist lila vor Armut. Wir werden nie mehr antreten auf einen Pfiff hin und Jawohl sagen auf ein Gebrüll. Die Kanonen und die Feldwebel brüllen nicht mehr. Wir werden weinen, scheißen und singen, wann wir wollen. Aber das Lied von den brausenden Panzern und das Lied von dem Edelweiß werden wir niemals mehr singen. Denn die Panzer und die Feldwebel brausen nicht mehr und das Edelweiß, das ist verrottet unter dem blutigen Singsang. Und kein General sagt mehr Du zu uns vor der Schlacht. Vor der furchtbaren Schlacht.

Wir werden nie mehr Sand in den Zähnen haben vor Angst. (Keinen Steppensand, keinen ukrainischen und keinen aus der Cyrenaika oder den der Normandie -und nicht den bitteren bösen Sand unserer Heimat!) Und nie mehr das heiße tolle Gefühl in Gehirn und Gedärm vor der Schlacht.

Nie werden wir wieder so glücklich sein, daß ein anderer neben uns ist. Warm ist und da ist und atmet und rülpst und summt - nachts auf dem Vormarsch. Nie werden wir wieder so zigeunerig glücklich sein über ein Brot und fünf Gramm Tabak und über zwei Arme voll Heu. Denn wir werden nie wieder zusammen marschieren, denn jeder marschiert von nun an allein. Das ist schön. Das ist schwer. Nicht mehr den sturen knurrenden Andern bei sich zu haben - nachts, nachts beim Vormarsch. Der alles mit anhört. Der niemals was sagt. Der alles verdaut. Und wenn nachts einer weinen muß, kann er es wieder. Dann braucht er nicht mehr zu singen - vor Angst.

Jetzt ist unser Gesang der Jazz. Der erregte hektische Jazz ist unsere Musik. Und das heiße verrückttolle Lied, durch das das Schlagzeug hinhetzt, katzig, kratzend. Und manchmal nochmal das alte sentimentale Soldatengegröl, mit dem man die Not überschrie und den Müttern absagte. Furchtbarer Männerchor aus bärtigen Lippen, in die einsamen Däm- merungen der Bunker und der Güterzüge gesungen, mundharmonikablechüberzittert :

Männlicher Männergesang -hat keiner die Kinder gehört, die sich die Angst vor den lilanen Löchern der Kanonen weggrölten? Heldischer Männergesang -hat keiner das Schluchzen der Herzen gehört, wenn sie Juppheidi sangen, die Verdreckten, Krustigen, Bärtigen, überlausten ?

Männergesang, Soldatengegröl, sentimental und übermütig, männ- lich und baßkehlig, auch von den Jünglingen männlich gegrölt: Hört keiner den Schrei nach der Mutter? Den letzten Schrei des Abenteurers Mann? Den furchtbaren Schrei: Juppheidi?

Unser Juppheidi und unsere Musik sind ein Tanz über den Schlund, der uns angähnt. Und diese Musik ist der Jazz. Denn unser Herz und unser Hirn haben denselben heißkalten Rhythmus: den erregten, verrückten und hektischen, den hemmungslosen.

Und unsere Mädchen, die haben denselben hitzigen Puls in den Hän- den und Hüften. Und ihr Lachen ist heiser und brüchig und klarinettenhart. Und ihr Haar, das knistert wie Phosphor. Das brennt. Und ihr Herz, das geht in Synkopen, wehmütig wild. Sentimental. So sind unsere Mädchen: wie Jazz. Und so sind die Nächte, die mädchenklirrenden Nächte: wie Jazz: heiß und hektisch. Erregt.

Wer schreibt für uns eine neue Harmonielehre? Wir brauchen keine wohltemperierten Klaviere mehr. Wir selbst sind zuviel Dissonanz. Wer macht für uns ein lilanes Geschrei? Eine lilane Erlösung ? Wir brauchen keine Stilleben mehr. Unser Leben ist laut.

Wir brauchen keine Dichter mit guter Grammatik. Zu guter Grammatik fehlt uns Geduld. Wir brauchen die mit dem heißen heiser geschluchzten Gefühl. Die zu Baum Baum und zu Weib Weib sagen und ja sagen und nein sagen: laut und deutlich und dreifach und ohne Konjunktiv.

Für Semikolons haben wir keine Zeit und Harmonien machen uns weich und die Stilleben überwältigen uns: Denn lila sind nachts unsere Himmel. Und das Lila gibt keine Zeit für Grammatik, das Lila ist schrill und ununterbrochen und toll. Über den Schornsteinen, über den Dächern : die Welt: lila. Über unseren hingeworfenen Leibern die schattigen Mulden: die blaubeschneiten Augenhöhlen der Toten im Eissturm, die violettwütigen Schlünde der kalten Kanonen -und die lilane Haut unserer Mädchen am Hals und etwas unter der Brust. Lila ist nachts das Gestöhn der Verhungernden und das Gestammel der Küssenden. Und die Stadt steht so lila am nächtlich lilanen Strom.

Und die Nacht ist voll Tod: Unsere Nacht. Denn unser Schlaf ist voll Schlacht. Unsere Nacht ist im Traumtod voller Gefechtslärm. Und die nachts bei uns bleiben, die lilanen Mädchen, die wissen das und morgens sind sie noch blaß von der Not unserer Nacht. Und unser Morgen ist voller Alleinsein. Und unser Alleinsein ist dann morgens wie Glas. Zerbrechlich und kühl. Und ganz klar. Es ist das Alleinsein des Mannes. Denn wir haben unsere Mütter bei den wütennden Kanonen verloren. Nur unsere Katzen und Kühe und die Läuse und die Regenwürmer, die ertragen das große eisige Alleinsein. Vielleicht sind sie nicht so nebeneinander wie wir. Vielleicht sind sie mehr mit der Welt. Mit dieser maßlosen Welt. In der unser Herz fast erfriert.

Wovon unser Herz rast? Von der Flucht. Denn wir sind der Schlacht und den Schlünden erst gestern entkommen in heilloser Flucht. Von der furchtbaren Flucht von einem Granatloch zum andern - die mütterlichen Mulden - davon rast unser Herz noch -und noch von der Angst. Horch hinein in den Tumult deiner Abgründe. Erschrickst du? Hörst du den Chaoschoral aus Mozartmelodien und Herms Niel-Kantaten? Hörst du Hölderlin noch? Kennst du ihn wieder, blutberauscht, kostümiert und Arm in Arm mit Baldur von Schirach ? Hörst du das Landserlied? Hörst du den Jazz und den Luthergesang?

Dann versuche zu sein über deinen lilanen Abgründen. Denn der Morgen, der hinter den Grasdeichen und Teerdächern aufsteht, kommt nur aus dir selbst. Und hinter allem? Hinter allem, was du Gott, Strom und Stern, Nacht, Spiegel oder Kosmos und Hilde oder Evelyn nennst - hinter allem stehst immer du selbst. Eisig einsam. Erbärmlich. Groß. Dein Gelächter. Deine Not. Deine Frage. Deine Antwort. Hinter allem, uniformiert, nackt oder sonstwie kostümiert, schattenhaft verschwankt, in fremder fast scheuer ungeahnt grandioser Dimension: Du selbst. Deine Liebe. Deine Angst. Deine Hoffnung.

Und wenn unser Herz, dieser erbärmliche herrliche Muskel, sich selbst nicht mehr erträgt - und wenn unser Herz uns zu weich werden will in den Sentimentalitäten, denen wir ausgeliefert sind, dann werden wir laut ordinär. Alte Sau, sagen wir dann zu der, die wir am meisten lieben. Und wenn Jesus oder der Sanftmütige, der einem immer nachläuft im Traum, nachts sagt: Du, sei gut! - dann machen wir eine freche Respektlosigkeit zu unserer Konfession und fragen: Gut, Herr Jesus, warum ? Wir haben mit den toten Iwans vorm Erdloch genauso gut in Gott gepennt. Und im Traum durchlöchern wir alles mit unsern M. Gs. : Die Iwans. Die Erde. Den Jesus.

Nein, unser Wörterbuch, das ist nicht schön. Aber dick. Und es stinkt. Bitter wie Pulver. Sauer wie Steppensand. Scharf wie Scheiße. Und laut wie Gefechtslärm.

Und wir prahlen uns schnodderig über unser empfindliches deutsches Rilke-Herz rüber. Über Rilke, den fremden verlorenen Bruder, der unser Herz ausspricht und der uns unerwartet zu Tränen verführt: Aber wir wollen keine Tränenozeane beschwören - wir müssen denn alle ersaufen. Wir wollen grob und proletarisch sein, Tabak und Tomaten bauen und lärmende Angst haben bis ins lilane Bett - bis in die lilanen Mädchen hinein. Denn wir lieben die lärmend laute Angabe, die unrilkesche, die uns über die Schlachtträume hinüberrettet und über die lilanen Schlünde der Nächte, der blutübergossenen Äcker, der sehnsüchtigen blutigen Mädchen.

Denn der Krieg hat uns nicht hart gemacht, glaubt doch das nicht, und nicht roh und nicht .leicht. Denn wir tragen viele weltschwere wächserne Tote auf unseren mageren Schultern. Und unsere Tränen, die saßen noch niemals so lose wie nach diesen Schlachten. Und darum lieben wir das lärmende laute lila Karussell, das jazzmusikene, das über unsere Schlünde rüberorgelt, dröhnend, clownig, lila, bunt und blöde -viel- leicht. Und unser Rilke-Herz - ehe der Clown kräht -haben wir es dreimal verleugnet. Und unsere Mütter weinen bitterlich. Aber sie, sie wenden sich nicht ab. Die Mütter nicht !

Und wir wollen den Müttern versprechen :

Mütter, dafür sind die Toten nicht tot: Für das marmorne Kriegerdenkmal, das der beste ortsansässige Steinmetz auf dem Marktplatz baut - von lebendigem Gras umgrünt, mit Bänken drin für Witwen und Prothesenträger. Nein, dafür nicht. Nein, dafür sind die Toten nicht tot: Daß die Überlebenden weiter in ihren guten Stuben leben und immer wieder neue und dieselben guten Stuben mit Rekrutenfotos und Hinden- burgportraits. Nein, dafür nicht.

Und dafür, nein, dafür haben die Toten ihr Blut nicht in den Schnee laufen lassen, in den naßkalten Schnee ihr lebendiges mütterliches Blut: Daß dieselben Studienräte ihre Kinder nun benäseln, die schon die Väter so brav für den Krieg präparierten. (Zwischen Langemarck und Stalingrad lag nur eine Mathematikstunde.) Nein, Mütter, dafür starbt ihr nicht in jedem Krieg zehntausendmal !

Das geben wir zu: Unsere Moral hat nichts mehr mit Betten, Brüsten, Pastoren oder Unterröcken zu tun - wir können nicht mehr tun als gut sein. Aber wer will das messen, das "Gut"? Unsere Moral ist die Wahrheit. Und die Wahrheit ist neu und hart wie der Tod. Doch auch so milde, so überraschend und so gerecht. Beide sind nackt.

Sag deinem Kumpel die Wahrheit, beklau ihn im Hunger, aber sag es ihm dann. Und erzähl deinen Kindern nie von dem heiligen Krieg : Sag die Wahrheit, sag sie so rot wie sie ist: voll Blut und Mündungsfeuer und Geschrei. Beschwindel das Mädchen noch nachts, aber morgens, morgens sag dann die Wahrheit: Sag, daß du gehst und für immer. Sei gut wie der Tod. Nitschewo. Kaputt. For ever. Parti, perdu und never more.



Denn wir sind Neinsager. Aber wir sagen nicht nein aus Verzweiflung. Unser Nein ist Protest. Und wir haben keine Ruhe beim Küssen, wir Nihilisten. Denn wir müssen in das Nichts hinein wieder ein Ja bauen. Häuser müssen wir bauen in die freie Luft unseres Neins, über den Schlünden, den Trichtern und Erdlöchern und den offenen Mündern der Toten: Häuser bauen in die reingefegte Luft der Nihilisten, Häuser aus Holz und Gehirn und aus Stein und Gedanken..

Denn wir lieben diese gigantische Wüste, die Deutschland heißt. Dies Deutschland lieben wir nun. Und jetzt am meisten. Und um Deutsch- land wollen wir nicht sterben. Um Deutschland wollen wir leben. Über den lilanen Abgründen. Dieses bissige, bittere, brutale Leben. Wir nehmen es auf uns für diese Wüste. Für Deutschland. Wir wollen dieses Deutschland lieben wie die Christen ihren Christus: Um sein Leid.

Wir wollen diese Mütter lieben, die Bomben füllen mußten - für ihre Söhne. Wir müssen sie lieben um dieses Leid.

Und die Bräute, die nun ihren Helden im Rollstuhl spazierenfahren, ohne blinkernde Uniform - um ihr Leid.

Und die Helden, die Hölderlinhelden, für die kein Tag zu hell und keine Schlacht schlimm genug war - wir wollen sie lieben um ihren ge- brochenen Stolz, um ihr umgefärbtes heimliches Nachtwächterdasein.

Und das Mädchen, das eine Kompanie im nächtlichen Park verbrauchte und die nun immer noch Scheiße sagt und von Krankenhaus zu Kran- kenhaus wallfahrten muß - um ihr Leid.

Und den Landser, der nun nie mehr lachen lernt -

und den, der seinen Enkeln noch erzählt von einunddreißig Toten nachts vor seinem, vor Opas M. G. -

sie alle, die Angst haben und Not und Demut: Die wollen wir lieben in all ihrer Erbärmlichkeit. Die wollen wir lieben wie die Christen ihren Christus: Um ihr Leid. Denn sie sind Deutschland. Und dieses Deutschland sind wir doch selbst. Und dieses Deutschland müssen wir doch wieder bauen im Nichts, über Abgründen: Aus unserer Not, mit unserer Liebe. Denn wir lieben dieses Deutschland doch. Wie wir die Städte lieben um ihren Schutt - so wollen wir die Herzen um die Asche ihres Leides lieben. Um ihren verbrannten Stolz, um ihr verkohltes Heldenkostüm, um ihren versengten Glauben, um ihr zertrümmertes Vertrauen, um ihre ruinierte Liebe. Vor allem müssen wir die Mütter lieben, ob sie nun achtzehn oder achtundsechzig sind - denn die Mütter sollen uns die Kraft geben für dies Deutschland im Schutt.

Unser Manifest ist die Liebe. Wir wollen die Steine in den Städten lieben, unsere Steine, die die Sonne noch wärmt, wieder wärmt nach der Schlacht -

Und wir wollen den großen Uuh-Wind wieder lieben, unseren Wind, der immer noch singt in den Wäldern. Und der auch die gestürzten Bal- ken besingt -

Und die gelbwarmen Fenster mit den Rilkegedichten dahinter -

Und die rattigen Keller mit den lilagehungerten Kindern darin -

Und die Hütten aus Pappe und Holz, in denen die Menschen noch essen, unsere Menschen, und noch schlafen. Und manchmal noch singen.

Und manchmal und manchmal noch lachen -

Denn das ist Deutschland. Und das wollen wir lieben, wir, mit verrostetem Helm und verlorenem Herzen hier auf der Welt.

Doch, doch: Wir wollen in dieser wahn-witzigen Welt noch wieder, immer wieder lieben!

Wolfgang Borchert, * 20. Mai 1921 in Hamburg; -  20. November 1947 in Basel

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