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kritisch-lesen.de Nr. 39: Linke EU- und Europakritik

Foto: Manuel Heinemann (Eigene Aufnahme)
Lizenz: CC BY-SA 3.0
Manche meinen, es brauche ein anderes Europa, ein erneuertes Europa, das diesem Europa entgegensteht, ein Europa von unten. Doch kann es ein solches überhaupt geben? Und ist das überhaupt erstrebenswert? War nicht Europa von Beginn an ein exklusives und imperialistisches Projekt, und sind somit nicht alle Versuche, dieses Europa zu transformieren, im Kern schon falsch ausgerichtet?

Für eine grundsätzliche EU-Kritik von links bieten die aktuellen Entwicklungen prinzipiell genügend Anknüpfungspunkte. Die Europäische Union und ihre demokratische Ideologie befinden sich in einer grundlegenden Krise. Dies wird unter anderem am Umgang mit Griechenland deutlich: Die deutsche Bundesregierung hat in einem offen autoritären Akt die sozialdemokratische Syriza-Regierung in Griechenland zu einem unsäglichen Sparkurs zu Lasten der prekarisierten Bevölkerung erpresst − und kam damit durch. Auch in der Türkei zeigt sich die vermeintlich demokratische Interessenspolitik der EU aktuell in Höchstform: Recep Tayyip ErdoÄŸan soll für Milliardenbeträge die Grenzen zu Syrien sichern und fliehende Menschen davon abhalten, Europa zu erreichen. Dabei wird über den Bürgerkrieg gegen die kurdische Bevölkerung, die Repression und Verfolgung linker Strukturen und Oppositioneller und den militärischen Ausbau des totalitären türkischen Staatsapparats eilig der Mantel des Schweigens geworfen -“ oder anders ausgedrückt: des Bedauerns ob der Unabänderlichkeit aufgrund beidseitiger Interessenslagen.

Für uns ist deutlich: Dieses Europa gibt vor, das Leben der Menschen zu verbessern. Doch es ist im Kern ein Klassenprojekt von oben, welches die Ungleichheit zwischen Zentrum und Peripherie innerhalb seiner Grenzen aufrecht erhält. Dieses Europa gibt vor, demokratisch zu sein. Doch die Union des Kapitals, insbesondere die von nationalen Interessen dominierte, duldet keinen Widerspruch. Dieses Europa gibt vor, ein Friedensprojekt zu sein. Doch es externalisiert den Krieg nach außen und mischt weltpolitisch kräftig mit. Dieses Europa gibt vor, ein Vorreiter der offenen Grenzen zu sein. Doch es versucht permanent, die Bewegungsfreiheit der Menschen zu kontrollieren und schottet seine Grenzen nach außen ab. Dieses Europa gibt vor, ein fortschrittliches Projekt zu sein. Doch es baut auf kolonialen Herrschaftsverhältnissen auf, die immer noch bis weit in die Gegenwart hineinreichen.

Trotzdem zeigte das Jahr 2015, dass Migrationsbewegungen immer wieder vermeintlich unüberwindbare Grenzen ins Wanken bringen können und für Situationen sorgen, welche die Herrschenden dazu zwingen, diese immer wieder neu unter Kontrolle zu bringen. Die vergangenen Monate machten uns aber auch klar, dass es an linken Konzepten in einer Umbruchsituation fehlt. Es mangelt uns nicht nur an anschlussfähigen Alternativen, sondern auch an Ansätzen, eine grundlegende linke Kritik an der EU und Europa zu formulieren. Die Kritik an der mangelnden Demokratie der EU darf allerdings nicht den rechten Kräften überlassen bleiben. Dass eine linke Alternative zu den bestehenden Verhältnissen unsichtbar war und ist, liegt an uns. Wir haben uns daher in dieser Ausgabe diesem Thema gewidmet und greifen mit den Beiträgen vielfältige Dimensionen linker EU-Kritik auf.

Gleichzeitig ist diese Ausgabe auch eine Jubiläumsausgabe für kritisch-lesen.de: Wir feiern unseren fünften Geburtstag! Das sind fünf Jahre Gegenöffentlichkeit mit dem Versuch, linke Positionen sichtbar und zugänglich zu machen. Die (Produktions-)Bedingungen auf dem linken Buchmarkt haben sich in den letzten Jahren weiter verschlechtert, und viele interessante und kritische Veröffentlichungen bleiben unbemerkt. Umso unerlässlicher ist es gerade heute, die aktuellen Debatten nicht kampflos anderen Kräften zu überlassen. Wir bleiben dran, lassen nicht nach und hoffen, dass sich auch in Zukunft unsere Leser_innen, Autor_innen und Genoss_innen gemeinsam mit uns der Aufgabe stellen, hier und da einzugreifen, Breschen zu schlagen und Aussichten zu schaffen.

Und um es zu diesem Anlass ordentlich krachen zu lassen, haben wir frisch dekoriert und unsere Seite neu gestaltet. Damit sagen wir danke an alle Leser_innen und Autor_innen und alle Unterstützer_innen. Und machen klar: wir bleiben am Ball!

Zur Ausgabe 39

Zur Lehre vom Ressentiment

Horkheimer (links) mit Theodor W. Adorno (vorne rechts) und Jürgen Habermas (hinten rechts) in Heidelberg, 1964
Foto: Jeremy J. Shapiro / CC-BY-SA-3.0
"Zur Lehre vom Ressentiment. - Ein feiner Trick: das System zu kritisieren soll denen vorbehalten bleiben, die an ihm interessiert sind. Die anderen, die Gelegenheit haben, es von unten kennenzulernen, werden entwaffnet durch die verächtliche Bemerkung, daß sie verärgert, rachsüchtig, neidisch sind. Sie haben "Ressentiment".

Demgegenüber sollte niemals vergessen werden, daß man ein Zuchthaus in keinem Fall und unter gar keinen Umständen kennenlernen kann, wenn man nicht wirklich und ohne Verkleidung als Verbrecher fünf Jahre dort eingesperrt war mit der Gewißheit, daß die goldene Freiheit, nach der man sich in diesen fünf Jahren sehnt, in einem nachträglichen Hungerleben besteht. Es wirkt wie ein stillschweigendes Abkommen der Glücklichen, daß man über diese Gesellschaft, die weitgehend ein Zuchthaus ist, nur diejenigen als Zeugen gelten lassen will, die es nicht verspüren."

Max Horkheimer - Dämmerung. Notizen in Deutschland. (unter d. Pseud.: Heinrich Regius). Oprecht und Helbling, Zürich 1934

nachschLAg: Ein unvollständiger Wochenrückblick

LATEINAMERIKA
uch in Lateinamerika haben Medien und Spitzenpolitiker auf die Enthüllungen des Internationalen Konsortiums Investigativer Journalisten (ICIJ) unter dem Titel „Panama Papers“ reagiert. Nicht nur die Regierung des betroffenen Landes meldete sich zu Wort. Progressive Akteure befürworteten die Veröffentlichung der Daten von Steuerhinterziehern, während in der medialen Debatte Argentiniens neuer Präsident Mauricio Macri in den Fokus rückte.

ARGENTINIEN
Die argentinische Regierung zahlt Milliarden an Hedgefonds und erhöht zugleich Preise für Nahverkehr, Wasser und Gas. Gewerkschaften kündigen Proteste und gemeinsamen Vorgehen an.

BRASILIEN
Glenn Greenwald, Andrew Fishman und David Miranda über den antidemokratischen Machtkampf in Brasilien.

HONDURAS
Nach einer erfolgreichen Eilaktion der Menschenrechtsorganisation Amnesty International ist Gustavo Castro Soto, einziger Zeuge der Ermordung der Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin Berta Cáceres in Honduras, nach Mexiko zurückgekehrt.

KOLUMBIEN
In Kolumbien setzt sich auch in dieser Woche eine Einschüchterungskampagne rechtsgerichteter Paramilitärs fort.

Die frühere Senatorin und international bekannte kolumbianische Friedensaktivistin Piedad Córdoba ist nach eigenen Angaben am Freitag im nordöstlichen Departamento Chocó knapp einem Mordanschlag entkommen.

KUBA
Obwohl US-Bürger nach Washingtons Gesetzen keine touristischen Reisen nach Kuba unternehmen dürfen, forderte die Staatspolizei von New Jersey (NJSP) jetzt alle "US-Touristen" dazu auf, dort vier Menschen zu jagen, denen auf der sozialistischen Karibikinsel politisches Asyl gewährt wird.

Der US-amerikanische Online- und Internetdienstleister Google hat gemeinsam mit einem kubanischen Künstler in dessen Studio in Havanna ein Internetcafé eröffnet.

PERU
Wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl am kommenden Sonntag sind am Dienstag abend in ganz Peru Zehntausende Menschen gegen die rechte Kandidatin Keiko Fujimori auf die Straße gegangen.

Eine Woche vor den Präsidentschaftswahlen in Peru hat die Kandidatin des Linksbündnisses Frente Amplio, Verónika "Vero" Mendoza, ihre Aufholjagd fortgesetzt. Nach den jüngsten Umfragen liegt sie inzwischen praktisch gleichauf mit dem Favoriten des Unternehmerlagers, Pedro Pablo Kuczynski.

VENEZUELA
Venezuelas Präsident Nicolás Maduro hat alle Freitage bis Anfang Juni zu arbeitsfreien Tagen erklärt. Die Maßnahme soll dem Land dabei helfen, Strom zu sparen.

Mehrere tausend Menschen haben heute in Caracas gegen das von den Rechtsparteien mit ihrer Mehrheit im Parlament verabschiedete Amnestiegesetz demonstriert.

Das neue Sicherheitskonzept und die Polizeieinsätze der venezolanischen Regierung gegen Kriminalität sollen zu einem Anstieg von missbräuchlicher Polizeigewalt geführt haben.

Ein Gemeinschaftsprojekt von Einfach Übel und redblog, Ausgabe vom 08. April 2016

Dokumentation: Berta Cáceres ist nicht gestorben - sie hat sich vervielfacht!

"In der Nacht zum 3. März 2016 wurden die compañera Berta Cáceres, Gründerin und Hauptkoordinatorin des Zivilen Rats der indigenen und Basisbewegungen Honduras COPINH sowie der compañero Gustavo Castro, Mitglied der Organisation Otros Mundos Chiapas, Mexiko Opfer von Waffengewalt, die den Tod von Berta und schwere Verletzungen von Gustavo zu Folge hatte.

Verantwortlich für den Mord sind die Firma DESA sowie die nationalen und lokalen Regierungen und die Repressionsorgane des Staates, die hinter den ausbeuterischen Projekten stehen, die sie in der Region vorantreiben.

Dieser Dokumentarfilm will die Wahrheit und Hintergründe zum Mord zeigen, ganz im Gegensatz zu dem, was uns die Regierung und die Medien von Honduras glauben lassen wollen.

Wir rufen die nationale und die internationale Solidarität auf, Eilaktionen zu realisieren, um Druck auf die honduranische und die mexikanische Regierung auszuüben und die Sicherheit von Gustavo Castro und aller Mitglieder von COPINH zu fordern.

Protestbriefaktion der Hondurasdelegation

Eilaktion von Amnesty International

Petition von Oxfam

Außerdem bitten wir euch, die Spendenaktion für COPINH zu unterstützen, den die Honduras-Delegation und das Ökumenische Büro München veröffentlicht haben."

Ausnahmezustand Demokratie: Aktuelle Situation in der Türkei und die Rolle Deutschlands

Die Türkei droht in einem Chaos zu versinken. Staatliche Sicherheitskräfte gehen gegen jegliche Opposition vor - sei es gegen KurdInnen, Frauen, Akademikerlnnen, Intellektuelle oder Gewerkschaften.

Doch gegen die staatliche Repression bildet sich ein breiter Widerstand. So gingen über 2000 Akademikerlnnen mit einer Kampagne für Frieden und Demokratie an die Öffentlichkeit, die über die Landesgrenzen hinaus Gehör fand. So hat sich in Deutschland eine Reihe von Hochschulangehörigen zusammengeschlossen, um sich mit den Akademikerlnnen in der Türkei zu solidarisieren.

Die Entwicklungen in der Türkei sind eng verflochten mit der allgemeinen Lage im Nahen Osten. Dazu reiht sich auch die Rolle der deutschen Bundesregierung in puncto Waffenexporte wie auch in der Zusammenarbeit mit der AKP - Regierung im Zuge der Flüchtlingsströme nach Europa.

Zu Recht wird die Frage immer lauter: Quo vadis Türkei? Wohin steuert die Türkei? Wie können wir Solidarität mit der Friedens- und Demokratiebewegung konkret gestalten? Diese und andere Fragen möchten wir mit eingeladenen Expertlnnen diskutieren.

Ausnahmezustand Demokratie
"Aktuelle Situation in der Türkei und die Rolle Deutschlands"

21.04.2016 um 18.00 Uhr

Ort: ver.di Landesbezirk Baden-Württemberg
Theodor-Heuss-Straße 2, T0174 Stuttgart

mit
- Prof. Dr. Christine Huth- Hildebrand (Professorin, FH sr.-mkıufrı
- Tobias Pflügerıııvıı, Paneivorsıand Dıs Lımm
- Düzgün Altun (DIDF Bundesvorstand)

Moderation: Sidar Carman

Veranstalter: DIDF Stuttgart; Arbeitskreis Stuttgart 21 ist überalI; Friedensnetz BW; Friedensnetz Nord; ver.di Migratonsausschuss Stuttgart; GewerkschafterInnen gegen Stuttgart 21; Die Linke Stuttgart

Trauerarbeit in der Parallelgesellschaft

Begleiten Sie uns heute, lieber Leser, auf einen Ausflug in eine Parallelgesellschaft, abseits von den üblichen Verdächtigen („bildungsferne Unterschicht mit und ohne Migrationshintergrund“ etc.):

Das deutsche Unternehmertum.

Ausgewiesenes Sprachrohr dieser kleinen, aber feinen Parallelgesellschaft ist die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), weshalb sie auch der bevorzugte Ort für persönliche Mitteilungen ihrer Klientel ist.

In ihrer Ausgabe vom 6.6.2015 finden sich die Traueranzeigen zum Ableben von Dr. Kurt Müller, Seniorchef der Firma Coroplast.

Werden Sie nun Zeuge, wie in diesen Kreisen die Tatsache, dass der Verblichene zu Lebzeiten ein komplettes Arschloch gewesen sein muss, elegant und stilvoll umschrieben wird:

Der Beirat der Coroplast:
„Sein facettenreiches, vielschichtiges und komplexes Wesen wusste zu faszinieren, aber auch herauszufordern. (...) Dr. Kurt Müller hatte seine „Ecken und Kanten“, war immer authentisch, ehrlich, zuweilen auch schwierig.“

Geschäftsführung, Betriebsrat und (natürlich !) alle Mitarbeiter:
„Er hat es seinen Mitmenschen bisweilen nicht leicht gemacht, denn er mochte die Zuspitzung und die Provokation (...) Bei allem Streben nach Neuerungen stand er fragwürdigen zeitgeistigen Trends skeptisch gegenüber und widerstand der politischen Korrektheit.“

Die Gesellschafter:
„Wir haben mit ihm viele schöne, aber auch anstrengende Stunden verbringen dürfen.“

Die einzig Ehrlichen in diesem Club der Heuchler sind seine Kinder und Enkelkinder:
Unter dem Motto „Omnia tempus habent“ (Alles hat seine Zeit) heißt es :
„Uns bleibt mehr als die Erinnerung an Dich.“

Ja klar, ein Unternehmen mit 400 Millionen Umsatz und 6000 Mitarbeitern!

Blogkino: Die Utopie leben - Vivir la utopía (1997)

DIE UTOPIE LEBEN behandelt die Spanische Revolution und wirft einen Blick auf die anarchistische Bewegung in Spanien. Der Film zeigt bislang wenig bekannte Seiten der radikalen gesellschaftlichen Veränderungen, die sich während des Bürgerkriegs von 1936 bis 1939 in jenen Gebieten zutrugen, die in der Hand der Republikaner waren.

Zeitzeugen aus den Reihen der Anarchisten berichten über ihre Erfahrungen. Einige von ihnen, darunter Conxa Pérez, standen Gestalten in Ken Loachs Film LAND AND FREEDOM Pate. Gesprächspartner sind 30 Überlebende der Spanischen Revolution, die in verschiedenen Teilen des Landes wohnen. Sie waren alle Anarchisten und hatten verschiedene Aufgaben und Verantwortungsbereiche. Viele von ihnen leben noch im Exil in Frankreich, Kanada, Mexiko und Venezuela. Sie sind eigens nach Spanien gekommen, um Zeugnis abzulegen.

Der Dokumentarfilm gibt einen Überblick über die Geschichte der anarchistischen Bewegung seit dem 19. Jahrhundert, die Gründung der CNT (Confedéración Nacional del Trabajo) und der FAI, die Rolle von Kultur und Erziehung (Modernes Schulwesen), die Vielfalt der Ideen und Aktivitäten im Vorfeld der Zweiten Republik, den Staatsstreich der Militärs, der sowohl einen Krieg als auch eine Revolution (die einzige anarchistische Revolution) auslöste, und insbesondere über die Einrichtung und das Funktionieren der Kollektivbetriebe in den ländlichen und städtischen Gebieten. Er schließt mit der Niederlage des republikanischen Lagers im Jahre 1939, die der Revolution ein Ende bereitete. (Via anarchismus.de)

Internationaler Frauentag: "Das Ziel ist Frauenrecht als Menschenrecht."

Wir wünschen allen Freundinnen, Kolleginnen, Müttern, Töchtern, Schwestern, Großmüttern, Liebhaberinnen, Nachbarinnen, Gegnerinnen, Revolutionärinnen, Mädchen, ... einen kämpferischen internationalen Frauentag!

Der erste Frauentag wurde am 19. März 1911 in Deutschland, Österreich, Dänemark und der Schweiz sowie den USA begangen. Allein in Berlin kamen etwa 45.000 Frauen zusammen, um sich für ihre Rechte stark zu machen. In den folgenden Jahren versammelten sich Millionen von Frauen zu den jeweils im Frühjahr organisierten Demonstrationen, Veranstaltungen und Aktionen. Schon 1912 kamen Schweden, Frankreich und Holland, 1913 Russland und die Tschechoslowakei dazu. Neben dem Wahlrecht forderten die Frauen bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, Mutter- und Kinderschutz und protestierten gegen den imperialistischen Krieg. Das aktive und passive Wahlrecht wurde den Frauen in Deutschland im November 1918 durch den Rat der Volksbeauftragten zuerkannt.

In Europa beschloß die II. Internationale Sozialistische Frauenkonferenz (100 Delegierte aus 17 Ländern) auf Initiative von Clara Zetkin am 27. August 1910 in Kopenhagen (übrigens im Ungdomshuset) die Einführung eines jährlichen Internationalen Frauentages für die Interessen der Frauen gegen mehrfache Ausbeutung und Unterdrückung. Themen waren also die Gleichberechtigung der Frauen, ihr Wahl- und Stimmrecht, sowie der Kampf gegen den imperialistischen Krieg. Der erste internationale Frauentag fand am 19. März 1911 in Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA statt. 1921 wurde auf der zweiten kommunistischen Frauenkonferenz, wiederum auf Initiative von Clara Zetkin, der internationale Frauentag auf den 8. März festgelegt. Dieses Datum war eng mit den proletarischen Frauenkämpfen verbunden:

• Am 8. März 1857 streikten in New York Textilarbeiterinnen, gefolgt von einer Streikwelle in der Textil- und Tabakindustrie.
• Am 8. März 1908 kamen 129 streikende Arbeiterinnen der Textilfabrik "Cotton" in New York bei einem Brand ums Leben. Vom Fabrikbesitzer und den Aufsehern wurden die Frauen in der Fabrik eingesperrt, um zu verhindern, daß sie Kontakt zu ihrer Gewerkschaft aufnehmen. Sie hatten für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen gekämpft.
• Am 8. März 1917 (russ. Kalender: 23. Februar) fand St. Petersburg ein massiver Streik der Textilarbeiterinnen gegen Krieg, Hunger und Zar statt. Nachdem weitere Sektoren ergriffen waren, kam es zum Generalstreik, der als Auslöser der Februarrevolution gilt.



Bildquelle: Bildercache.de

"Das Ziel ist Frauenrecht als Menschenrecht." Clara Zetkin (1857 - 1933), Initiatorin des ersten Internationalen Frauentages stellte klar, dass eine wirkliche Befreiung der Frau untrennbar verbunden ist mit der Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung. Sie wendete sich aber auch gegen diejenigen, die meinten, diesen Kampf auf den St. Nimmerleins Tag verschieben zu können.

In diesem Sinne fordern wir dazu auf, an den Aktionen an diesem Tag teilzunehmen. Zum Beispiel in Stuttgart.

Bertolt Brecht - An die Nachgeborenen (Aufnahme 1939)

Morgen beginnt an dieser Stelle um 20:15 eine kleine Retrospektive mit Verfilmungen von Werken Bertold Brechts. Zum Einstieg das Gedicht "An die Nachgeborenen", ist einer der wichtigsten Texte der deutschen Exilliteratur während des Faschismus



I

Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.

Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist.
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?

Es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich sattzuessen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt, bin ich verloren.)

Man sagt mir: iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.

Ich wäre gerne auch weise.
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
II

In die Städte kam ich zur Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zu der Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten
Schlafen legte ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit.
Die Sprache verriet mich dem Schlächter.
Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
III

Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.

Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.

Dabei wissen wir doch:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.

Ihr aber, wenn es so weit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unserer
Mit Nachsicht.

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