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Kurt Tucholsky: 80. Todestag

Kurt Tucholsky in Paris, 1928 (Foto: Sonja Thomassen / WikiMedia)

Heute ist der 80. Todestag des von mir sehr verehrten Journalisten und Schriftstellers, Satirikers, Kabarettautoren, Liedtexters, Romanautoren, Lyrikers und Kritikers Kurt Tucholsky.

Er wurde 1890 in Berlin geboren, veröffentlichte 1907 erste Texte, war nach seinem Jura-Studium 1915-1918 Soldat im I. Weltkrieg. Lebte dann von 1919-1924 in Berlin, war Mitherausgeber der "Weltbühne", von 1924-29 in Paris als deren Korrespondent. 1933 wurde er von den Faschisten aus dem Deutschen Reich ausgebürgert, seine Bücher wurden - für die Nazis nicht ohne Grund - verbrannt. Er verstand sich zeitlebens als "linker Demokrat, Sozialist, Pazifist und Antimilitarist und warnte vor der Erstarkung der politischen Rechten –“ vor allem in Politik, Militär und Justiz –“ und vor der Bedrohung durch den Nationalsozialismus." (Quelle)

Am 21. Dezember 1935 starb er, vermutlich an einer versehentlichen Überdosierung von Medikamenten im schwedischen Göteborg, wo er bereits seit 1930 lebte.

Mein erster bewußter Kontakt zu Tucholsky war sein Gedicht "Drei Minuten Gehör!" aus dem Jahr 1922, das er unter dem Pseudonym Theobald Tiger veröffentlichte (Im Ergebnis besorgte ich mir erst einmal die Gesammelten Werke in 10 Bänden. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Rowohlt, Reinbek 1975, ISBN 3-499-29011-1, heute leider nur noch antiquarisch erhältlich). Zu Tucholsky siehe auch den Beitrag von Fritz Güde: Tucholsky - zur Feigheit begnadigt. Im Protest

Drei Minuten Gehör!

Drei Minuten Gehör will ich

von euch, die ihr arbeitet –“!

Von euch, die ihr den Hammer schwingt,

von euch, die ihr auf Krücken hinkt,

von euch, die ihr die Feder führt,

von euch, die ihr die Kessel schürt,

von euch, die mit den treuen Händen

dem Manne ihre Liebe spenden –“

von euch, den Jungen und den Alten –“:

Ihr sollt drei Minuten inne halten.

Wir sind ja nicht unter Kriegsgewinnern.

Wir wollen uns einmal erinnern.

Die erste Minute gehöre dem Mann.

Wer trat vor Jahren in Feldgrau an?

Zu Hause die Kinder –“ zu Hause weint Mutter ...

Ihr: feldgraues Kanonenfutter –“!

Ihr zogt in den lehmigen Ackergraben.

Da saht ihr keinen Fürstenknaben:

der soff sich einen in der Etappe

und ging mit den Damen in die Klappe.

Ihr wurdet geschliffen. Ihr wurdet gedrillt.

Wart ihr noch Gottes Ebenbild?

In der Kaserne –“ im Schilderhaus

wart ihr niedriger als die schmutzigste Laus.

Der Offizier war eine Perle,

aber ihr wart nur –ºKerle–¹!

Ein elender Schieß- und Grüßautomat.

»Sie Schwein! Hände an die Hosennaht –“!«

Verwundete mochten sich krümmen und biegen:

kam ein Prinz, dann hattet ihr stramm zu liegen.

Und noch im Massengrab wart ihr die Schweine:

Die Offiziere lagen alleine!

Ihr wart des Todes billige Ware ...

So ging das vier lange blutige Jahre.

Erinnert ihr euch –“?

Die zweite Minute gehöre der Frau.

Wem wurden zu Haus die Haare grau?

Wer schreckte, wenn der Tag vorbei,

in den Nächten auf mit einem Schrei?

Wer ist es vier Jahre hindurch gewesen,

der anstand in langen Polonaisen,

indessen Prinzessinnen und ihre Gatten

alles, alles, alles hatten –“ –“?

Wem schrieben sie einen kurzen Brief,

dass wieder einer in Flandern schlief?

Dazu ein Formular mit zwei Zetteln ...

wer mußte hier um die Renten betteln?

Tränen und Krämpfe und wildes Schrein.

Er hatte Ruhe. Ihr wart allein.

Oder sie schickten ihn, hinkend am Knüppel,

euch in die Arme zurück als Krüppel.

So sah sie aus, die wunderbare

große Zeit –“ vier lange Jahre ...

Erinnert ihr euch –“?

Die dritte Minute gehört den Jungen!

Euch haben sie nicht in die Jacken gezwungen!

Ihr wart noch frei! Ihr seid heute frei!

Sorgt dafür, dass es immer so sei!

An euch hängt die Hoffnung. An euch das Vertraun

von Millionen deutschen Männern und Fraun.

Ihr sollt nicht strammstehn. Ihr sollt nicht dienen!

Ihr sollt frei sein! Zeigt es ihnen!

Und wenn sie euch kommen und drohn mit Pistolen –“:

Geht nicht! Sie sollen euch erst mal holen!

Keine Wehrpflicht! Keine Soldaten!

Keine Monokel-Potentaten!

Keine Orden! Keine Spaliere!

Keine Reserveoffiziere!

Ihr seid die Zukunft!

Euer das Land!

Schüttelt es ab, das Knechtschaftsband!

Wenn ihr nur wollt, seid ihr alle frei!

Euer Wille geschehe! Seid nicht mehr dabei!

Wenn ihr nur wollt: bei euch steht der Sieg!

–“ Nie wieder Krieg –“!

Theobald Tiger, Republikanische Presse, 29.07.1922, Nr. 6,

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Kommentare

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kuhle wampe am :

Dieses Machwerk hat meinen Opa immer zum Heulen gebracht.
"Die Franzosen da im Graben gegenüber" hat er immer gesagt,"das waren Bauernbengel genau wie wir. Die froren wie wir, die fraßen Ratten wie wir und die schrien Mama wie wir wenn sie im Dreck verdeckten. Und die hinter uns, die uns aufeinander hetzten und die auf passten dass wir nicht abhauten - dass waren die auch die Gleichen. Die gleichen Herren hier wie dort."
Und bevor er starb musste ich ihm schwören dafür zu sorgen, dass nie wieder ein Kind aus unserer Familie in den Krieg ziehen würde. Ganz schön pathetisch aber ich tu mein Bestes.

Jue.So Jürgen Sojka am :

Wie wichtig sie doch ist, diese Zahl, die 3 - wie bedeutungsvoll!

Wir Kinder, geboren in die 50er Jahre, wurden mit dem Spruch 'konfrontiert':
- žAller guten Dinge sind drei!- œ
Wir, die wir uns nicht begnügt haben bestehendes nur zu konsumieren, zu wiederholen, uns damit zufrieden zu geben, haben diese wenigen Worte erweitert:
- žAller guten Dinge sind drei, bei 3 ist gut!- œ
Aussagend damit, bei 3maligem Wiederholen, Hören, Sehen (mit all unseren Sinnen), dem durch uns Erfassbaren, hat dieses abrufbar und anwendbar zur Verfügung zu stehen - “ nicht nochmals wiederholt werden müssen!

Wir haben uns daran gehalten, es für uns festgehalten; so dass beim 1ten Mal, zumindest jedoch beim 2ten Mal, überaus selten (fast nie) beim 3ten Mal, es jede/jeder von uns erfasst und begriffen hatte.

Also hier, zu Kurt Tucholsky, 2 weitere die schreibend sich mitgeteilt haben Erich Kästner auf trueten.de und WERNER BERGENGRUEN auf SWR2.de - žDem Menschen zur Seite stehen- œ mit Audio (23:46 Min.) des gesendeten Beitrags von So. 27.12.2015 und dem Sendungs-Manuskript 135,8 KB - “ Bergengruen Schriftsteller und religiöser Mahner!

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Werner Bergengruen einer der beliebtesten deutschen Schriftsteller. Der Protestant, der zum Katholizismus konvertierte, fragte nach Recht und Unrecht, Gut und Böse, Echt und Falsch. Bergengruen war für den Menschen engagiert, gegen jede Tyrannei. Er erzählte Geschichten aus früheren Jahrhunderten, von Christentum, abendländischem Humanismus, suchte nach "überzeitlicher" Wahrheit. Aber in den Jahren nach 1968 war gesellschaftskritische Literatur gefragt, die sich mit den Themen der Zeit auseinandersetzte: Bergengruen geriet in Vergessenheit. Doch jetzt plant die Werner-Bergengruen-Gesellschaft eine Gesamtausgabe seiner Werke - so wird ein großer Autor wiederzuentdecken sein.

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