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Tunis: Noch hat die Konterrevolution nicht gesiegt!

Chef von Geheimdienst und Polizei in Tunesien: Innenminister Farhat Rajhi
Liest man die über Internet erhältlichen tunesischen Zeitungen, wird man erst mal überschwemmt vom Eigenlob. Kein Artikel, nicht überläuft vom unvergleichlichen Sieg der Freiheit, die auf jeden Fall von selber kommt, wenn die Leute sich jetzt nur vernünftig verhalten. So lautet der erste Satz des Schleimartikels für den neuen Chef von Geheimdienst und Polizei in Tunesien: Er sei gut zu Fuß, um "das tunesische Volk" mit "seiner" Regierung und "seiner" Polizei zu versöhnen! (Le temps, 7.2.2011)

Man muss dem beliebten Politiker - s.o. nur fest ins Auge blicken, um schnell auf das Gefühl der Geborgenheit zu kommen. Als erstes hat die neue tunesische Regierung unter dem bewährten Premierminister aus Alis Hinterlassenschaft die Kasbah räumen lassen, die Altstadt, in der sich vor allem vorwärtsdrängende Kräfte aus den Bauerngegenden tagelang versammelten, um unmittelbar vor dem Präsidentenpalast zu dokumentieren, dass sie mit der Resteverwertung aus Alis Zeiten nicht einverstanden sind. Inzwischen heißt es wie im Bannmeilenort Berlin: Abstand halten.

So ähnliche Artikel bestimmen die ersten Seiten der Journale, die per internet zu erreichen sind. Es gibt sicher auch andere, aber die kommen noch nicht durchs Netz. Typisch dafür ein Leitartikel vom Januar 2012, genau von dem Freitag, an dem der alte Chef sich zu den Saudis rettete. Überschrift: "Die Tunesier müssen lernen, sich mit ihrer herrschenden Klasse zu versöhnen". Das war noch tolpatschig ehrlich. Inzwischen haben sich die staatstragenden Journalisten auf die französische Rhetorik zurückbesonnen. So etwa in einem Artikel "Ich bin aus der Gewerkschaft ausgetreten". (Je n-™adhère plus à l-™Ugtt / Slaheddine GRICHI / La presse, 25.1.2011)

Grund: die Lehrer wollten anfangs durch Massenstreiks den angemaßten Inhaber der Präsidialfunktionen vertreiben. Argumentation wie bei uns in entsprechenden Fällen: Die Revolution gehört "uns allen". Darf die Gewerkschaft die als Geisel nehmen? Nicht auf dem Rücken unserer Kinder. Dass Generalstreik das einzig wirksame Mittel wäre, eine herrschende Gewaltstruktur zu brechen, darf gar nicht erwogen werden.

Nur ist die Herrschaft der Heuchler noch nicht gefestigt.

Beispiel: In KIF - einer entlegenen Festung an der algerischen Grenze tief im Inland kam es ab Freitag zu einem neuen Aufstand. Es lässt sich "La presse" nur wenig entnehmen. Immerhin soviel:
Es sollte feierlich ein Gouverneur - neu einen Gouverneur - alt - Ali-Schule - ablösen. Ganz offiziell, mit Musik, wie wenn bei uns der alte Landrat die Akten dem neuen übergibt. Keine Vorwürfe. Keine Abrechnung. Siegeszug der Normalität.

In den geplanten Ablauf muss sich eine "Störerin" gedrängt haben, nach westlicher Diktion. Von sich selbst her sah sie sich als Arbeitslose, die Anstellung oder wenigstens Unterstützung verlangte. Der alt - neue Polizeichef wollte die Störung nicht dulden und verpasste der Bittstellerin eine Ohrfeige.

Daraufhin müssen sich in Eile mehrere hundert Demonstranten zusammengefunden haben um - wohl samstags - erbittert den Rücktritt des Polizei-Oberen zu fordern. Danach unterscheiden sich die Schilderungen. Staatstragend wird die Story so wiedergegeben: Die anständige Polizei hätte erst all ihre Wasserstoffgranaten verschossen, dann auf echte Munition zurückgegriffen, schließlich sich mit gezielten Schüssen gegen die Andringenden gewendet. Ergebnis bis jetzt vier Tote. Wahrheitsliebende Augenzeugen wollen gesehen haben, dass der Polizeiobere selbst per Pistole den ersten Schuss abgegeben habe.

Das Militär zog den Todesschützen zunächst mal ein, in Knast - Entschuldigung: Untersuchungshaft - oder - wegen Schock - ins Heeresspital. Die Demonstranten gaben sich keineswegs zufrieden und traten am Sonntag noch einmal an. Die Polizeipräfektur wurde niedergebrannt.

Erster Erfolg dieser sofortigen Strafaktion: die Zentralregierung nötigte die Rest-Staats-Partei, sich ohne Aufschub aufzulösen. Büros beschlagnahmt! Müssen die entsprechenden Kreise publikumswirksam schnell sich um eine Neugründung kümmern. Man kennt und billigt das in den Kreisen der westlichen Aufsichtsbehörden Merkel, Sarkozy und Co.

Merkwürdig, dass der gewichtige Vorfall, der in allen westlichen Sendern wenigstens kurz erwähnt wurde, in den zugänglichen Zeitungen bis Montag schon wieder fast verschwunden war.

Man sieht: die Decke soll über das zerwühlte Bett der Gewaltherrschaft gezogen werden! Aber noch ist Normalität nicht hergestellt, nicht einmal als Theaterstück und Spektakel! "Brav, alter Maulwurf, trefflicher Minierer" - wie Karl Marx, auf Shakespeare gestützt, solche Auf-und Durchbrüche der Massen kommentierte.

Noch haben die alten Machthaber nicht ausgesorgt. Die Warzenbesprecher der Münchener Sicherheitskonferenz auch noch nicht.

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Kommentare

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Nelson am :

Sie kritisieren hier Zustände die in Europa Gang und Gäbe sind. Die europäischen MSM stellen auch nicht das Sprachrohr der Wahrheit dar.
Anststatt LeTemps zu lesen hätten sie lieber die freien tunesischen Blogs lesen sollen oder mal im Facebook nachgeschaut.

Das einzig wahre an eurem Artikel ist jedoch der Titel. Die Revolution hat noch nicht ihr Ziel erreicht. Aber sie nähert sich mehr hin als sie sich davon entfernt. Es ist noch viel Arbeit. Schliesslich lassen sich 54 Jahre Diktatur nicht von heut auf Morgen überwinden.

Chouba am :

Ich freue mich Berichte im Internet über Tunesien zu lesen. Jedoch , Ich bin der Meinung , das hat sich vieles geändert. Vor zwei Monaten hätte sich keinen getraut der Chef vom Polizei presidium anzugreifen, heute auch Ministern müssen mit Chritick leben und Demonstrationen rechnen.
Dass, die Zeitungen nichts alles ans Tageslicht bringen, ist nichts so schlimm, wichtig ist , dass die Tageszeitungen viel freier als früher sind und was Freiheit angeht lehrnwillig sind.
Wir haben die Revolution in Facebook angefangen und dort findet mann nach wie vor eine unzentierte neuste Nachricht.
Der Innenminister, ist ein Held, die Patei vom Ben Ali aufzulösen und zu verbieten ist vergleichbar mit der Auflösung vom Nazis inden Jahren nach dem zweiten Weltkrieg! Ich hoffe nur , dass auf ihm keinen Mordanschlag verübt wird. Er räumt sehr gut ab !
Gruss
Lotfi Chouba

Fritz Güde am :

Tut mir leid, aber in eine Meldung kann man nicht alles packen, was man sonst noch wüsste. Dass die Vorgänge in Kif in ihrem wirklichen Verlauf durch die offiziellen Mitteilungen hindurch nur zu erraten sind, habe ich ja zugegeben. Eine deutlichere Ansicht des wirklichen Verlaufs nach Quellen, die mir nicht zugänglich waren, wäre hochwillkommen.
Dass alles, was in München über Ägypten und Tunesien gesagt wurde, peinlich verlogen war, muss nicht immer eigens betont werden. Es wurde in der Meldung über den Kongress von Thomas Trueten ausführlich ausgebreitet. Irgendein ein Schlaukopf führte in "Phoenix" als besondere arabische Eigentümlichkeit aus, dass man in der Not lügen dürfe! Wie wenn das gesamtdiplomatisch irgendwo anders wäre?
Also bitte: selbst umfassender berichten!

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