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Bankblockaden am 18. Oktober: Stuttgarter Regionalflyer veröffentlicht

Zu den von der AG Georg Büchner geplanten Bankblockaden am 18. Oktober in Frankfurt hat die Stuttgarter Regionalgruppe einen Flyer veröffentlicht. Wir dokumentieren den Text:

Vorderseite
"Es reicht! Akteure und Profiteure der Krise blockieren!
Busfahrt ab Stuttgart!

Die Weltwirtschaftskrise wird als abgehakt erklärt. Die Kosten für die Abschreibungen der faulen Wertpapiere des Bankensystems müssen wir tragen.
Risiken und Verluste verstaatlichen, Gewinne privatisieren -“ die Profiteure spekulieren und verdienen weiter, während im Sozial- und Bildungsbereich massiv gestrichen, in großem Umfang öffentliches Eigentum privatisiert und ausverkauft wird. Mit dem geplanten „Sparpaket“ der schwarz-gelben Koalition werden die Kosten der Krise vor allem den sozial Schwachen aufgebürdet.

Auch Stuttgart 21 ist ein gigantisches Spekulations- und Umverteilungsprojekt, für das die öffentlichen Haushalte des Bundes, des Landes und der Städte ausgeplündert werden. Weder ein vernünftiges zukunftsfähiges Verkehrskonzept noch die Stadtbevölkerung, die jahrelang darunter leiden wird, spielen dabei eine Rolle.
Entgegen aller massiven technischen Gefahren und Vernichtung wichtigen Naherholungsgebietes soll das Projekt brachial durchgezogen werden.

Gegen diese Politik formieren sich vielfältige Proteste, wie man am anhaltenden massenhaften Widerstand gegen das Projekt Stuttgart 21 sieht.
Die Aktionskonferenz der -ºAG Georg Büchner-¹ hat am 20. August mit rund 200 Teilnehmern aus Gewerkschaften und linken Parteien, Jugendverbänden, ATTAC, der Interventionistischen Linken, Erwerbslosengruppen, Sozialen Bewegungen, AktivistInnen gegen Stuttgart 21 sowie den Bündnissen „Wir zahlen nicht für Eure Krise!“ beschlossen, durch eine Aktion des zivilen Ungehorsams eine systemrelevante Finanzeinrichtung in Frankfurt blockiert werden soll.

Rückseite
Tragen wir unseren Protest dorthin, wo er hingehört: ins Herz der Finanzmetropole! Für den 18. Oktober haben wir uns auf folgenden Aktionskonsens geeinigt:

"Wir leisten zivilen Ungehorsam gegen zentrale AkteurInnen und ProfiteurInnen der Wirtschafts- und Finanzkrise. Wir werden entschlossen und vielfältig Zugänge blockieren und niemanden durchlassen. Unsere GegnerInnen sind nicht die Bankangestellten! Unsere Gegnerin ist nicht die Polizei! Unsere Massenblockaden sind Menschenblockaden. Von uns geht dabei keine Eskalation aus. Wir sind solidarisch mit allen, die unsere Ziele teilen. Für RassistInnen, FaschistInnen und AntisemitInnen ist bei uns kein Platz!"

Wir rufen auf -“ beteiligt euch an der Blockade!

Stuttgarter Regionalinitiative Georg Büchner

Anmeldung zur Busfahrt via E-Mail an georg.buechner.stuttgart@gmx.de (Preis: Erwerbslose nach Möglichkeit, Vollverdiener 5 Euro, Spenden sind erbeten)

Kommt zum Blockadetraining am 10. Oktober um 15 Uhr im Stuttgarter Gewerkschaftshaus (Willi-Bleicher-Str. 20)!"


Die Flyer sind unter anderem erhältlichim "Linken Zentrum Lilo Herrmann" und im DGB Haus Stuttgart, Willi Bleicher Str. 20, Zimmer 346

Infos aus Chiapas - Vol. 1: Einführung in den lakadonischen Urwald

Der folgende Bericht aus Chiapas / MÉXICO erscheint bei uns mit freundlicher Erlaubnis von Fabian - Kalle Blomquist:

Liebe Unterstützer_Innen und Interessierte!
Im Folgenden möchte ich Euch einen ersten (kurzen) Überblick über das geben, was sich im Süden Mexikos seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt hat. Auf der ganzen Welt haben die Zapatista mit ihren untypischen blumig-philosophischen und gleichzeitig linksradikalen antikapitalistischen Worten und Taten viel Gehör und Solidarität erfahren. Ihr Kampf für eine gerechtere tolerantere Welt, in die „viele Welten passen“ geht weiter -“ „fragend schreiten sie voran“. Dabei sind jedoch viele Hürden zu überwinden, einige der schlimmsten äußern sich in Vertreibungen, Enteignungen, Gewaltexzessen und sogar auch Mord in den zapatistischen und anderen sich den Angriffen von Staat, Wirtschaft, Militär und Paramilitärs widersetzenden indigenen Gemeinden.

Mein Aufenthalt in Chiapas hat das Ziel, zum Einen mehr über diese auf der Welt einzigartigen Strukturen erfahren zu können und dabei zum Anderen selbst etwas „geben“ zu können. Ein jeweils 2-wöchiger Aufenthalt in einer solchen Gemeinde mit mehreren internationalen Menschenrechtsbeobachter_innen zusammen soll verhindern, dass es zu weiteren derartiger Taten gegen die Menschheit und die äußerst vulnerablen Menschen in den verarmten Gemeinden kommt. Ich freue mich also, wenn auch ihr u. U. Euren Teil dazu beitragt, die zapatistischen Ideen zu verbreiten und Informationen über die aktuelle Lage in Mexiko und Chiapas weiter zu geben, vielleicht sogar selbst aktiv zu werden -“ nur so kann langfristig diese äußerst interessante und in ihrer Form einzigartige, aber tagtäglich bedrohte Bewegung bestehen und der Mehrheit der Volks, den Unterdrückten in Mexikos und anderswo eine Stimme geben.

Zapatistas Foto: EZLN
MÉXICO -“LAND DER GEGENSÄTZE
In Mexiko existieren bis heute noch 62 verschiedene Sprachen diverser Ethnien, von denen Teile Nachfahren der vor der Ankunft der spanischen Eroberer herrschenden Azteken (Norden und Zentrum) und Maya (Süden) darstellen. Diese indigenen meist noch sehr traditionelle in kleinen Dorfgemeinschaften lebenden Menschen machen etwa 10 Millionen und damit rund 1/10 der Gesamtbevölkerung aus. Den größten Anteil bilden die sogenannten Mestizen (Nachfahren der Kolonialisten und Indigenen), nur 1/20 der Bevölkerung sind Weiße und damit direkte Europäer bzw. aus den USA.

Die Verteilung des Reichtums wiederum ist, wie zwar in den meisten lateinamerikanischen Ländern, auf eine in Mexiko zahlenmäßig aber besonders geringe (meist weiße) Elite beschränkt. Rund 40% der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze und 55% der Indigenen sind Analphabeten (bei den Frauen sogar rund 70%). Neue wirtschaftliche Transformationen und Abhängigkeiten im globalen Weltmarkt, wie z. B. das Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada NAFTA, generieren immer mehr Armut der ohnehin schon vulnerablen (indigenen) Bevölkerung, während gleichzeitig auch der Reichtum Weniger steigt. Generell kann neben der strukturellen Armut überall im Land von einem Nord-Süd-Gradienten gesprochen werden. Während Teile der an die USA angrenzenden Bundesstaaten Mexikos teilweise von Arbeitsmöglichkeiten und Handel mit dem Nachbarland profitieren, weisen v. a. Guerrero, Oaxaca und Chiapas die höchsten Armutsraten und Indigenen-Anteile auf.

Für einige gab es wieder etwas Hoffnung, als im Jahr 2000 die seit 71 Jahren in einer Quasi-Alleinherrschaft regierende Partei PRI von Vicente Fox und der konservativen PAN abgelöst wurde. Auch die Zapatista traten mit neuen Forderungen an ihn heran. Letztendlich hat sich nicht viel für die verarmten Menschen bewegt, die die Mehrheit im Land darstellen. Seit 2006 regiert Felipe Calderón (PAN), der seit den letzten Monaten durch die „harte Hand“ gegenüber den in Mexiko wütenden Drogenkartellen im Licht der Öffentlichkeit steht. Seitdem wütet der Konflikt um die Vormachtstellung von Banden, Militärs und Polizei rund um das weiße Gold -“ an dessen Erlös alle beteiligt sind. Allein im Jahr 2009 sind in diesem Krieg fast 10.000 Menschen umgekommen -“ Tendenz: steigend. Im Jahr 2010 ist diese Zahl bis Juli bereits fast erreicht. Auch in Chiapas gibt es derartige Vorkommen und nicht allzu selten werden die nicht einmal Alkohol konsumierenden Zapatista mit dem Vorwand der Drogenbekämpfung vertrieben, verhaftet und ermordet.

Mexiko steht spätestens seit den Geschehnissen in Oaxaca im Sommer und Herbst 2006 als in besonderer Weise die Menschenrechte verletzend im Licht der Öffentlichkeit. Ein als Lehrerstreik beginnender und durch breite Öffentlichkeit und den Zusammenschluss sozialer und indigener Gruppen vor Ort im größer gewordener Kampf zur Absetzung des Gouverneurs Ulises Ruiz Ortiz endete zunächst dramatisch durch die Ermordung vieler Protestierender und des Indymedia-Journalisten Brad Will mitten in der Stadt Oaxacas, wo heute in aller Ruhe Touristen ihren Kaffee schlürfen können. Derselbe Ruiz, der für zahlreiche Ermordungen, willkürliche Verhaftungen und Folterungen verantwortlich gemacht werden kann, sitzt bis heute als Quasi-Monarch im Präsidentenpalast und hat erst letzten Mittwoch zur 200-Jahr-Feier der Unabhängigkeit Mexikos die Feierlichkeiten vom Balkon des Palasts für die unter ihm wartende Bevölkerung eingestimmt und zum Besten gegeben.

Das Erbe der Unabhängigkeit von 1810 und der mexikanischen Revolution von 1910 rund um Emiliano Zapata und Pancho Villa um die gerechte Verteilung von Land und Freiheit der oftmals in Lohnsklaverei abhängigen Menschen ist beschmutzt. Bis heute gibt es eigentlich nur wenige Gründe, 200 Jahre Unabhängigkeit inbrünstig zu feiern -“ ob im Norden, wo ein unerbittlicher Bandenkrieg herrscht, oder im Süden, in Chiapas, dem ärmsten Bundesland des an Rohstoffen und Biodiversität so reichen Landes.

01.01.1994 - Der Aufrstand der Würde
In der Nacht zum 01. Januar 1994 melden sich die seit rund 10 Jahren sich vorbereitet habenden Zapatista in San Cristóbal de las Casas, Chiapas zu Wort. Das Datum ist nicht zufällig gewählt -“ an diesem Tag tritt Mexiko dem nordamerikanischem Freihandels-abkommen NAFTA bei, das über den Abbau von Handelsbeschränkungen bald den mexikanischen und damit chiapakenischen Markt mit subventionierten billigeren US-Produkten überschwemmen wird und somit die traditionelle und regionale Wirtschaft Mexikos in die Enge treibt. In fünf weiteren Gemeinden werden die Rathäuser von der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) besetzt und die „1. Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald“ verlesen. Diese beinhaltet die Forderungen nach freien demokratischen Wahlen, einer Landreform (weg vom Großgrundbesitz) und sozialer Gerechtigkeit für alle -“ inklusive der hier größtenteils indigen lebenden Menschen.

Die Einnahme der 6 Gemeinden und die Absichten ihrer selbst sind zugleich eine Kriegserklärung an den mexikanischen Staat. Binnen weniger Tage werden Großteile des mexikanischen Heeres nach Chiapas verlegt und es beginnt ein Krieg, der auf beiden Seiten, v. a. auf zapatistischer, einige Opfer fordert. Auf Druck der Zivilgesellschaft (Teile Mexico Cities wurden z. B. lahmgelegt) wird dieser Krieg nach 12 Tagen im Januar 1994 beendet, es beginnen Friedensverhandlungen. Seitdem kämpfen die Zapatista bis heute mit politischen und äußerst kreativen Mitteln für ihre Ziele.

"Sie befinden sich in zapatistischen Rebellengebiet. Hier geben die Menschen, die Anweisungen und die Regierung gehorcht."
Die EZLN und die zivilen Unterstützungsbasen
Die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) ist der militärische, bewaffnete Arm der Zapatista. Seit dem Kriegsstillstand im Januar 1994 ist dieser nicht mehr in Erscheinung getreten sondern befindet sich irgendwo im Urwald im „Stand-by-Modus“, damit die Bewegung ein Rückgrat besitzt, solange die Bedrohungen für sie derart stark sind. Der Sprecher der EZLN ist der eine schwarze Skimaske und zwei Uhren tragende sowie in der Öffentlichkeit Pfeife rauchende intellektuelle Kopf „Subcomandante Marcos“ -“ wahrscheinlich ein Philosophie-Student der traditionellen Universität UNAM in Mexiko City. Er muss für viele wirre Vergleiche, Plastikmasken, Heroisierungen und weitere Absurditäten herhalten, was keineswegs den Eindruck geben soll, dass die EZLN ein von Marcos straff geführter Kadetten-Verein oder sonstige Popkultur sei. Besonders hervorzuheben sind die -“ in einer weiterhin von machistischen Vorstellungen stark geprägten lateinamerikanischen Kultur ungewöhnlich vorkommenden -“ kämpfenden Frauen, unter ihnen die bereits 2006 verstorbene „Comandante Ramona“ und „Comandante Esther“ -“ die maßgeblich bei der Einnahme der Gemeinden und Friedensverhandlungen beteiligt waren.

Die Hauptarbeit besteht aber in den „Bases de apoyo“, den zivilen Unterstützergruppen, sprich bei den Dörfern, die sich den Zapatista angeschlossen haben und seitdem die Ideen leben, verändern und gestalten. Hier herrscht beispielsweise ein absolutes Drogenverbot, also auch der Nichtkonsum von Alkohol. In vielen indigenen Gemeinden hat der starke Alkoholkonsum insbesondere der in den Familien vorstehenden Männern zur weiteren Verarmung beigetragen -“ außerdem die häusliche Gewalt (gegenüber den Frauen) verstärkt. Ein eigenes Kranken- und Bildungssystem sollen langfristig gewährleisten, dass jede_r unabhängig von seinen ökonomischen Möglichkeiten Zugang zu ärztlicher Versorgung und der Grundausbildung in Lesen und Schreiben sowie weiteren Schulfächern
bekommt. Neben den klassischen Fächern und Medikamenten wird auch die traditionelle Kultur langfristig gefördert (Heilpflanzen, Ausbildung in den indigenen Sprachen und ihrer Historie). Inzwischen weisen viele dieser Gemeinden einen höheren Bildungsgrad und eine bessere ärztliche Versorgung als der Durchschnitt Mexikos auf.

Organisiert sind die über 100 Gemeinden seit 2003 in 5 Lokalregierungen, den „Caracoles“ (Schneckenhäuser), die mit den „Juntas del Buen Gobierno“ (Räte der Guten Regierung, die schlechte sitzt in Mexico City...) die Hauptverwaltung und gleichzeitig absolut basisdemokratische Struktur darstellt. In der Junta arbeitet fast jede_r einmal, im zweiwöchigen Turnus wechseln sich die Menschen ab -“ was beizeiten zu viel Verwirrung und Anfangsschwierigkeiten führen kann, aber dennoch die Einbindung und Politisierung der Menschen ungemein fördert.

Das Abkommen von San Andrés
Bereits im Februar 1994, kurz nach dem 12-Tage-Krieg finden durch Vermittlung des damaligen Bischofs Samuel Ruiz García, die ersten Friedensverhandlungen in der Kathedrale von San Cristóbal statt. Nach langen Verhandlungen wird genau zwei Jahre später das Friedensabkommen von San Andrés von Seiten der Regierung und der EZLN unterzeichnet. Dieses umfasst die Anerkennung der Rechte und der Kultur der indigenen Bevölkerung. Darin verpflichtet sich die mexikanische Regierung eine Reform umzusetzen, welche die ethnische und kulturelle Vielfalt dieser gesetzlich anerkennt, indem sie der indigenen Bevölkerung die nötigen Mittel zur Verfügung stellt, ihre eigene Identität zu erhalten und weiter zu entwickeln. Am Ende scheitert der Gesetzesentwurf jedoch im Kongress, als der damalige Präsident Zedillo sein Veto einlegt. Die Forderungen werden nie umgesetzt und die EZLN sieht sich gezwungen, den Dialog mit der Regierung abzubrechen.

Mit der Amtsübernahme von Vicente Fox im Jahr 2000 werden die Verhandlungen von San Andrés erneut thematisiert. Vox verspricht, die bereits tot geglaubten Forderungen umzusetzen, beginnt mit der Auflösung einiger Militärbasen. Die EZLN führt einen Sternmarsch durch Mexiko City im Jahr 2001 durch. Letztendlich werden aber auch unter Fox keine ernst zu nehmenden Veränderungen spürbar, ein halbherzig verabschiedetes Indígena-Gesetz bezeichnet die EZLN als Verrat, bricht den Kontakt erneut ab und schweigt bis heute. Seit 2003 werden mit den neu gegründeten 5 Lokalregierungen „Caracoles“ und den „Juntas del Buen Gobierno“ die seit 1996 bestehenden Forderungen selbst praktisch umgesetzt ohne auf weitere Unterstützung und Kooperation mit der Regierung Mexikos zu hoffen.

Der Krieg niederer Intensität und die Bildung von Paramilitärs
Der Krieg niederer Intensität ist ein klar definierter Begriff, der bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückreicht und von den USA zur Aufstandsbekämpfung in Mittelamerika eingesetzt wird. In Mexiko sind die Militärs vom CIA gezielt auf eine psychologische Kriegsführung durch z. B. unrechtmäßige Enteignungen der sich im Widerstand befindenden Dörfer, das „Verschwindenlassen“ von Personen und gezielte Desinformation der Bevölkerung trainiert worden. In den 90er Jahren sind zusätzlich paramilitärische Gruppen wie z. B. „Paz y Justicia“ (Friede und Gerechtigkeit), „MIRA“ (Revolutionäre Antizapatistabewegung) etc. vom Militär und z. B. einflussreichen (Ex-) Großgrundbesitzern ausgebildet und ausgestattet worden die fortan die „Drecksarbeit“ übernehmen -“ die Einschüchterung, Verschleppung und Ermordung von Personen. Diese quasi-autonomen bewaffneten Gruppen treiben besonders in den letzten Jahren ihr Unheil in Chiapas und können noch viel schlechter kontrolliert und verfolgt werden. Die Armee erledigt offiziell keine solcher „Dienste“, gibt sich damit nach außen als saubere gerechte Überwachungseinheit im Konfliktgebiet -“ hat aber nachweislich einen hohen Anteil an der Förderung und Ausbildung dieser Gruppen.

Einen traurigen Höhepunkt dieser Entwicklungen stellt das Massaker an 45 teilweise schwangeren Menschen in Acteal im Dezember 1997 dar, den das bewaffnete Paramilitär „Paz y Justicia“ an den „Avejas“ (Bienen), einer römisch-katholischen pazifistischen Gemeinde, verübt hat. Die Avejas unterstützen bis heute die zapatistischen Ideen, ohne jedoch den militärischen Arm EZLN gut zu heißen.
Darüberhinaus versucht die Regierung mit einem Propagandafeldzug („Zucker und Peitsche“) den Aufstand zu schwächen und zu spalten -“ so dass heute in vielen Gemeinden einige Familien den Zapatista angehören und andere der PRI (regierungsnah) oder wohlmöglich paramilitärisch organisiert sind, was folglich starke Konflikte innerhalb der Gemeinde mit sich bringt. An den Ausfallstraßen befinden sich viele der Plakate mit den Regierungsprogrammen, welche soziale Leistungen wie Kindergeld oder eine finanzielle Unterstützung für Strom und Medikamente anbieten, was bei dem geringen Einkommen vieler Menschen sehr verlockend ist.

Die Zapatisten nehmen keine Unterstützung des Staats an, sie haben schließlich ihre Erfahrungen bereits gesammelt, was eine wirkliche Unterstützung ihrer Anliegen angeht.

Menschenrechtsbeobachtung in bedrohten Gemeinden
All die bisher beschriebenen Vorkommnisse von Einschüchterung, Schädigung und exzessiver Gewaltanwendung gegenüber den indigenen Gemeinden können bisher leider nur durch internationalen Druck und die Präsenz von Beobachtern vor Ort eingedämmt oder möglicherweise unterbunden werden.

Die 1989 ebenfalls vom Bischof Samuel Ruiz García gegründete NGO „Fray Bartolomé de las Casas“ in San Cristóbal übernimmt diese Aufgabe, in dem sie neben der rechtlichen Beratung und Beihilfe sowie Öffentlichkeitsarbeit auch Menschenrechtsbeobachter_innen nach Chiapas schickt. Hier werden internationale in ihrem Land bereits geschulte Menschen gezielt in irgendeiner Weise bedrohte Gemeinden für genau zwei Wochen geschickt, die den Zapatista angehören oder aber in anderer Weise im Fokus der rechten Paramilitärs oder Militärtruppen stehen. Durch den in Chiapas immer wichtiger werden Tourismus und die Ausbeutung der reichlich vorhandenen Rohstoffe, sind einzelne Dörfer oder Familien-Äcker oft bedroht und werden -“ sofern kein erheblicher Widerstand geleistet wird -“ schlichtweg platt gemacht.

Die Idee dieser internationalen Augen vor Ort ist die, dass durch das passive, aber dokumentierende Vor-Ort-Sein der Beobachter_innen größere Übergriffe verhindert werden können, was bisher auch geklappt hat. Außerdem können durch die folgenden Berichterstattungen so langfristig Strategien der verschiedenen Akteure, die die indigenen Gemeinden bekämpfen, erarbeitet werden, um Wege zu finden, die unterdrückten Menschen am Rande der Gesellschaft langfristig für ein würdevolles Dasein unterstützen zu können. In Deutschland bereitet CAREA e. V. zweimal im Jahr für die Menschenrechtsbeobachtung in Chiapas und die Zeugenbegleitung des lange vom Bürgerkrieg geplagten Guatemalas vor.

www.carea-menschenrechte.de
(CAREA e. V. in Deutschland)
www.frayba.org.mx (Menschenrechtszentrum FrayBa in San Cristóbal)
www.chiapas98.de (Inforportal zu aktuellen Dingen rund um die Zapatista)
www.ezln.org.mx (offizielle Seite der EZLN)

Atomproteste: “Tulemond und Mondamin/ liegen heulend auf den Knien” (Morgenstern)

Szene am Hauptbahnhof in Berlin. Foto: redblog
Vielleicht hunderttausend auf den Beinen in Berlin, um die Großbetrügerin und ihre Spießgesellen zu strafen, wie sie es verdient hat. Recht so!

In unseren Rachephantasien hat es Merkel und ihresgleichen jetzt schon erwischt. Sie flehen den Herrn an um Erbarmen. Wie der Visionär Morgenstern es vorausgesehen hat. -Tulemond- - leicht zu entziffern als Tout-le-monde: Sehr deutlich zeichnet sich Frau Windschnittig - Überall - Grinsmaul ab. “Mondamin- - als Verweis auf Billigabspeisung der Massen leicht zu verstehen- vorher, nachher und bis jetzt als Spezialität der SPD und inzwischen anschlussweise der Nachschlurfbrigade der Grünen .

Wie? SPD und Grüne? Aber die waren doch in Berlin dabei. Mehrfarb - Roth schrie sich die Lunge aus dem Leib. Gabriel röstete. Trittin moserte. Sollen wir nicht froh sein, dass wir die gelernten Volksbetrüger zum Mitmachen auf “unserer- Seite gezwungen haben? Immerhin, wenn auch aus Angst vor den kommenden Schlägen.

Nur darf das kein Grund sein für enthemmtestes Vertrauen. SPD und GRÜNE waren unter Schröder die flinksten, den Atomfirmen Brei ums Maul zu schmieren. Wieso sollten sie inzwischen andere geworden sein?

Sind die Demos fürs erste verklungen, werden sie Merkel von den Knien hoch und in die Arme reißen. Es wird - man hat hoffentlich in den letzten zehn Jahren gelernt - zu irgendeinem Abkommen geschritten - mit ein bisschen Rabatt für die empörten Massen. Das wird - nach Wimpernzucken von oben- von Frau Kraft in NRW und den zuverlässigen Genossen der SPD in Baden-Württemberg zum Erfolg ausgerufen.Man kennt doch die Roths und Gabriels seit so langen Jahren.

Soll das heißen, man müsse die Schleimerinnen und Schleimer gleich von der Demo verjagen? Das sicher nicht. Es wird darauf ankommen, in Reden und Flyers den Nachweis zu führen, dass die ganze Garde zum Mitlaufen gezwungen war! Es blieb ihnen nichts übrig. Sie mussten sich wieder einmal an die Spitze baggern - um die letzten - mehr erträumten als gewissen - Chancen nicht zu verpassen.

Was an den Volksfrontversuchen der dreißiger Jahre in Frankreich und Spanien falsch lief? Gerade die Hauptparole: UNSER LAGER. Kein Streit in unseren Reihen!! Genau das brachte die Leisetreter immer neu in die Vorhand. Und Blum vom “front populaire- in Frankreich ließ die Genossen in Spanien vereinzelt zappeln.

Es wird in nächster Zeit - in vermutlich bewegteren Umläufen- darauf ankommen, die Aufsicht zu führen über die lautstarke Bekenner-und Bekehrungsgarde der Immer-Neu-Umdenker von Rot-Grün.

Absage an Merkels Speichellecken beim Atom: Das darf nicht enden bei etwas Trockenmund als Schnell - Kur gegen die Gier. Es muss heißen: Keine Zugeständnisse!

Wirkliche Suche nach solchen Formen der Energieproduktion und -Förderung, die greifbar und bald die reale Phantasie einer anderen Welt ermöglichen. Einer, die vielleicht auch kurzfristig Einschränkungen fordern bei uns allen an Heizung, Schnelltransport und Erdbeeren im Januar.

Lind-Grün und Pudding-Rosa müssen sich jeden Augenblick vor Alternativen sehen: Weiterschreiten in neuen Einsichten - oder Fußtritte von ehemaligen, inzwischen aufgewachten Nachschlurfern. März 2011 kommt ganz bestimmt!

IMI Kongress am 6./7. November 2010: EUropas Staatsbildungskriege: Zerschlagen - Umbauen - Dirigieren

Foto:
Ort: Schlatterhaus, Österbergstr. 2, 72072 Tübingen

Im Juli 2010 erklärte der Internationale Gerichtshof die Unabhängigkeitserklärung (nicht aber deren Anerkennung) der unter EU-Verwaltung stehenden serbischen Provinz Kosovo für rechtmäßig. Auch im Sudan wird sich im Januar 2011 der ölreiche Süden des Landes aller Voraussicht nach vom Norden abspalten -“ wiederum mit tatkräftiger Unterstützung der EU. Andere Regierungen werden von der Europäischen Union zugleich massiv gegen Rebellengruppen, Protestbewegungen und Sezessionsbestrebungen aufgerüstet. Richtschnur für diese Politik ist nicht das Völkerrecht, sondern die jeweilige Interessenslage, die eben im einen Fall Zerschlagung und Umbau, im anderen die "territoriale Integrität" eines Landes erfordert.

Generell stellen heutzutage Kriege nur eines von vielen -“ zudem kostspieliges -“ Mittel zur Durchsetzung wirtschaftlicher und strategischer Interessen dar. Der Auf- und Umbau von Staaten und deren dauerhafte Gängelung unter der Androhung von Zerschlagung gewinnt an Bedeutung. Die Europäische Union hat sich hierfür wie kein anderer weltpolitischer Akteur ein breites Instrumentarium zugelegt. Es reicht von der Nachbarschafts- und Beitrittspolitik, über Finanzinstrumente, Polizei- und Rechtsstaatsmissionen sowie Sicherheitssektorreformen bis hin zu "harten" Gewaltmittel wie EU-Battlegroups, schneller Eingreiftruppe und umfassenden Interventionen im Verband mit der NATO. Die meisten dieser Instrumente werden derzeit im „Europäischen Auswärtigen Dienst“ zusammengefasst.

Hiermit will die EU eine weltweit führende Rolle beim Umbau von Staaten, der dauerhaften Verwaltung nicht lebensfähiger Protektorate und notfalls auch der gewaltsamen Zerschlagung von Staaten und Regimen einnehmen. Das europäische Instrumentarium für „ferngesteuerte Bürgerkriege“ und die doppelten Standards im Umgang mit instabilen Regionen sowie die dahinterstehenden Interessen möchten wir beim diesjährigen IMI-Kongress herausarbeiten und Gegenstrategien diskutieren.


PROGRAMM

Samstag 6. November: 12h: Begrüßung

12h15-13h45
Tobias Pflüger:
The European Way of War: Staatsbildungskriege, doppelte Standards und die Abwicklung des Völkerrechts

14h00-15h45
Staatenbau mit "sanfter" Gewalt

-- Malte Lühmann: Ziele und Instrumente neoliberaler Außenpolitik
-- Martin Hantke: Die (Finanz-)Instrumente des Empire Europa
-- Jürgen Wagner: Eurosphere: Nachbarschafts- und Beitrittspolitik im "Großraum Europa"

16h15-18h00
Und bist du nicht willig... Europas militärischer Kontrollapparat

-- Arno Neuber: Eingreiftruppe - Battlegroups - Gendarmerie Force: Europas Militärapparat und seine multilaterale Einbettung
-- Claudia Haydt: "Robuste" Bevölkerungskontrolle: Repressionsinstrumente vom Drohneneinsatz bis zur gezielten Tötung
-- Jonna Schürkes: Sicherheitssektorreformen als Kontroll- und Besatzungstechnik

19h30-21h00
Martin Hantke:
Der Europäische Auswärtige Dienst: Ein State-Building-Instrument für eine imperiale Machtpolitik aus einem Guss


Sonntag 7. November

Staaten zerschlagen -“ Staaten bauen: Ein Projekt der Europäischen Union

9h30-10h30
Jürgen Wagner:
Völkerrechtlicher Amoklauf auf dem Balkan: Mit dem IGH-Gutachten in eine neue Ära der Sezessionskriege?

10h45-11h45
Claudia Haydt:
Sezession und (Nicht-)Anerkennung: Pulverfass Kaukasus

12h00-13h00
Christoph Marischka:
Von Desertec bis zum Golf von Aden -“ europäische Interessen, Sezession, Putsch und Anerkennung in West- und Ostafrika


13h15-14h30
Zusammenfassung und Ausblick: Internationalismus von unten statt Staatsbildung von oben

Aktuelle Informationen

Nach Merkels Vertragsbruch: Verschiebung der Fronten!

Merkel möchte vor allem Ruhe einziehen lassen. Ihre Unterwerfung unter die Ansprüche der Energie-Monopole soll Überleben sichern. Wenigstens noch drei Jahre. Mit ihrer jetzigen Imitation der Machtsprüche eines Schröder hat Merkel einen Schritt getan, den sie bald bereuen wird, aber nicht leicht wieder zurücknehmen kann. Schon der erste Vertrag zugunsten der Energie-Monopole unter der Diktatur Schröder war gegen den Willen einer Mehrheit durchgedrückt worden. Immerhin konnten die Schröder / Trittin damals noch die Illusion verbreiten, mit diesem Vertrag sei Verlässlichkeit eingezogen für künftige Zeiten...

Dass die eiskalte Lügnerin, die bei uns das Kanzleramt wahrnimmt, für ihren neuesten Trick wieder gelogen hat, wird für sich allein niemand schocken. Ihre Behauptungen und die des Hilfsphantasten Brüderle über Arbeitsplätze, Strompreise und Versorgungsqualitäten erstaunten deshalb wenig. Wer schon einmal an der Besichtigung eines KKW teilgenommen hat, wird sich an fast menschenleere Katakomben erinnern. Energieproduktion verlangt weniger Einsatz lebendiger Arbeit als jede andere Produktion. Rührend die Sorge um den Strompreis. Monopolen muss man nicht sagen, wie sie die Gewinne erhöhen. KKW weiß es. Und die Versorgung der Aluminiumwerke mit Energie? Reden wir nicht davon. Die kriegen, was sie brauchen.

Neu an der gegenwärtigen Stufe der Vergewaltigung ist nicht die Lüge. Es ist der endgültige Verzicht auf die Theatralik der Gerechtigkeit. Viele hielten- mehr oder weniger aus Verzweiflung- immer noch an der Illusion fest, die gütige Landesmutter kümmert sich um alle. Das ist inzwischen vorbei. Jeder Vertragsbruch gilt ab jetzt als automatisch gerechtfertigt, wenn nur den großen Monopolen geopfert wird. Das Wort der jeweils letzten Bundesverwalter gilt nicht mehr. Änderungs-Schneiderei nach Bedarf.

Nur: Wer soll da auf die weitere Zukunft bauen? Warum nach der letzten Frist nicht wieder ändern? Wie Eon es nötig hat! Wie es RWE gefällt!

Damit greift Merkel bedenkenlos das letzte Fundament des heutigen Staatslebens an, das in bürgerlichen Kreisen noch trägt. Bürgerlich im eigentlichen Sinn ist vor allem eins: Vertrauen auf eine Sicherheit und Berechnung, die durch Gesetz und Vertrag verbürgt werden . Wird das verletzt, ist alles möglich.

Zwar haben die Atom-Werke ihre Angestellten wohl angetrieben, bei den Umfragen in ntv noch einmal Hurra zu brüllen. Aber das wird nicht vorhalten.

Merkel teilt offen mit: letzter Imperativ ist “deutscher Aufschwung- - das heißt die Zusammenfassung der Interessen der wichtigsten Monopole.

Damit bekennt sie zugleich in wünschenswerter Offenheit: Der Staat kennt keine bürgerlichen Einzelinteressen mehr. Er kennt nur noch die der Gesamtwirtschaft. In der gegebenen Situation: des Exports.

Damit werden auch solche niedergetrampelt, die ihren subjektiven Wünschen nach eigenheimhungrig, aufstiegsgeil und ruhebedürftig sein mögen. Nur: sie kriegen das nicht mehr, was sie begehren. Und finden keine Methode mehr heraus, das möglicherweise noch Erreichte zu sichern.

Bisher regten sich vor allem die Leute um Fessenheim oder Neckarwestheim wegen der Atomgefahr auf. Leute, die weiter weg lebten, konnten sich immer auf die Hoffnung zurückziehen: vielleicht bin ich schon tot vor dem nächsten Tschernobyl. Das geht nicht mehr, wenn die Grundlagen der Gesamtordnung aufs billigste verramscht werden. Insofern ist es nicht unmöglich, dass ganz andere Schichten - weit weg von der unmittelbaren Gefahr- in Bewegung kommen. Gerade solche, die bisher sich immer noch zur Nachtrabkompanie Merkels meldeten. Damit könnte es bald vorbei sein.

Es kommt eins hinzu: auch die Kunst des Lügens erschöpft sich. Allein Merkels Bild der “Brückentechnik- ist- genau betrachtet- hals-und beinbrecherisch. Brücke- ja- aber wohin? Nur wer die bescheidenste Ahnung vom anderen Ufer hat, kann sie betreten.

Brave Schülerinnen und Schüler erinnern sich noch an Christian Fürchtegott Gellert's Geschichte von Vater und Sohn. Der Sohn lügt her, er hätte eine Fabrik gesehen, größer als Papas Dorf. Der Vater drauf: Gibt überall erstaunliche Dinge. Die Brücke vor uns zum Beispiel hat die Eigenheit, dass unweigerlich diejenige sich dort das Bein bricht, die am selben Tag gelogen hat. Für eine Angela deswegen: Unbetretbar.

Die Fabel endet:

“Sie gingen noch ein gutes Stücke;
Der Merkel schlägt das Herz. Wie konnt es anders sein?
Denn niemand bricht doch gern ein Bein.
Sie sah nunmehr die richterische Brücke,
Und fühlte schon den Beinbruch halb.
.....
Die Brücke kömmt. Wie, Merkel, wird dirs gehen!
Der Vater geht voran; Angela hält geschwind.
"Ach Vater!", spricht sie, "seid kein Kind,
Und glaubt, daß ich ein technisch Wunderwerk gesehen.
Denn kurz und gut, eh wir hinüber sind.
Das Werk strahlt eben so, wie alle : tödlich und blind.-


(Winzige Veränderungen an Gellert's Grundtext vorgenommen.)

Sind wir schon zu alt, um für unsere Lebenszeit Merkels Letztgeständnis erwarten zu dürfen? Abwahl allein wird dazu wohl noch nicht reichen.

Bestrafen der Armen

Loïc Wacquant, Soziologieprofessor in Berkeley und Wissenschaftler am Centre de sociologie européenne in Paris untersucht im Buch "Bestrafen der Armen: Zur neoliberalen Regierung der sozialen Unsicherheit" die transatlantisch explodierende Ausweitung des Strafrechtsstaats und dessen untrennbarer Zusammenhang zum Abbau des Sozialstaats und Ausweitung sozialer Unsicherheit.

Der Autor, der bereits mit "Armut hinter Gittern" (Universitätsverlag Konstanz, 2000) einen beeindruckenden Einblick in ein Panoptikum einer überbordenten Gefängnispopulation in den USA lieferte, bezieht diesmal Europa mit ein, wozu er als Franzose der auf beiden Seiten des Atlantiks forscht natürlich prädestiniert ist. Die Zahlen der Inhaftierungen stiegen seit den 1970er Jahre kontinuierlich, um schließlich nach der „Reform“ des Sozialstaats durch die Clintonregierung 1996, welche starke Einschnitte für die Ärmsten zur Folge hatte, bei gleichzeitiger Verschärfung des Strafrechts, bis hin zur Ausgangssperre für Jugendliche, Kriminalisierung von Bagatelldelikten wie z.B. das öffentliche Urinieren bei Obdachlosen, regelrecht aus den Fugen geriet. Sicherheitsfirmen, private Gefängnisse und ein florierender Gefangenen-Import-Export zwischen den Bundesstaaten seien die Folge, Manpower sei heute der größte Arbeitgeber des Landes. All diese staatliche Massnahmen - der Autor benennt sie ausdrücklich und analysiert ihre Auswirkungen auf die einzelnen Länder- tragen den Geist der späteren Hartz-Gesetze (Agenda 2010) der Schröderregierung in Deutschland. Sie implizieren ausdrücklich die Unterscheidung in einen „würdigen“ und „unwürdigen Armen“, erinnern durch ein komplexes Sanktionssystem nicht ohne Grund an Skinners Drillphantasien. Eine wachsende Unsicherheit mache sich auch in Frankreich breit, wo diese Wegsperrmentalität besonders grob kopiert wurde: „So stieg der Anteil der Arbeitskräfte in prekären Beschäftigungsverhältnissen -“ Beschäftigte mit Kurzzeitverträgen, Zeitarbeitskräfte, Beschäftigte auf subventionierten Stellen und in staatlich finanzierten Ausbildungsprogrammen -“ von eins zu elf im Jahre 1990 (oder 1,98 Millionen Menschen) auf eins zu sieben im Jahre 1999 (3,3 Millionen)“ (Seite 250). Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen von 19,9% auf 25,6%, die derer aus den verschämt als „sensibel“ bezeichneten Stadtbezirken gar von 28,5% auf fast 40%. Entsprechend hätte 2003 die Zahl der Gefängnisinsassen die 60.000-Marke -“ bei 48.000 vorhandener Plätze -“ überschritten, die höchste seit Ende des zweiten Weltkriegs. Dies könne auch als Grund für die hohe Selbstmordrate dort, Häftlingsrevolten und die aktuellen Streiks des Gefängnispersonals gelesen werden. Hier hätte man gerne auch eine Schallplatte nennen können, was allerdings nicht Aufgabe einer soziologischen Studie wäre: Johnny Cash at San Quentin etwa, mit seinem eindringlichen Folsom Prison Blues. Oder Ghosts ...of the Civil Dead (1989), ein Film der im Hochsicherheitsgefängnis Marion, Illinois spielt, einem Knast in der Wüste. Nick Cave führt einen Gefangenenaufstand an, die Filmmusik stammt ebenfalls zum Teil von ihm. Wacquant legt dagegen an Hand von Statistiken dar, dass wegsperren mit den tatsächlichen Zahlen der Kriminalitätsstatisiken rein gar nichts zu tun habe, sondern politisch gewollt sei. Diese Wegsperr-Verirrungen seien in den USA, in England wie auch à la française flankiert von reisserischen Fernsehprogrammen, die in Serien zu besten Vorabendzeiten dem voyeuristischen Zuschauer wahre Höllenszenarien liefern, die mit der Realität rein gar nichts zu tun hätten. Die auch in Europa so begeistert aufgenommene „Broken-Windows“-Theorie, die besagt, dass jedes zerbrochene Fenster unwillkürlich ein neues nach sich ziehe, sei in Wahrheit eine populistische Polizei-Mythologie, was in den USA von ihren Protagonisten längst eingeräumt wurde. Sie wirke allerdings wie eine „weltweite Abschussrampe für einen intellektuellen Schwindel und eine Übung in politischen Taschenspielertricks, die, indem sie einem extensiven Polizeiaktivismus eine pseudo-akademische Beglaubigung erteilen, massiv zur Legitimierung der Wende zum strafrechtlichen Management der sozialen Unsicherheit beitragen, die der Staat durch seinen sozialen und ökonomischen Rückzug allerorts erzeugt“ (Seite 273).

Loïc Wacquant wäre kein guter ehemaliger Schüler und Ko-Autor von Pierre Bourdieu gewesen, wenn er nicht noch als theoretischen Schlusspunkt einen „Abriss des neoliberalen Staates“ formulieren würde, die ausführlich auf die zum Teil verkürzten, manchmal oberflächlichen, meist aber linken Interpretationen des modernen Staates eingeht. „Der Staat zieht sich zurück“, allerdings nur bei seiner ureigensten Aufgabe einer gerechten Sozialpolitik und bei der Ahndung der zunehmenden Wirtschaftskriminalität. Für aufmüpfige Arme dagegen gibt es einen hochaufgerüsteten Polizeistaat. Mit das Beste, was die letzen Jahre an soziologischen Studien geliefert wurde.

Quelle: Buchbesprechung von Adi Quarti auf StattWeb

Behr KollegInnen fordern kämpferische Gewerkschaften - im Kampf gegen Betriebsschließung wie gegen S21

Die um ihre Arbeitsplätze kämpfenden Behr KollegInnen haben ein Flugblatt veröffentlicht, das wir gerne dokumentieren:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe S21 Gegnerinnen und Gegner!
Die Bewegung gegen Stuttgart 21 hat das Motto geprägt „Das ist unsere Stadt“.

Zu dieser Stadt gehören der Bahnhof, der Park, der öffentliche Verkehr.

Aber auch unsere Arbeitsplätze.

Es wird behauptet, S 21 schaffe 10.000 neue Arbeitsplätze durch angeblich neue Büros und Gewerbebetriebe, die auf den freien Gleisflächen entstehen sollen. Das ist aber nicht die Wahrheit.
Wir erleben nämlich, dass in Stuttgart Büros und Fabrikgebäude leerstehen und überall Arbeitsplätze vernichtet werden.
Warum soll sich auf einem neuen Gewerbegebiet auf dem bisherigen Gleisfeldes des Hauptbahnhofes Industrie und Gewerbe ansiedeln, wenn das Gewerbegebiet in Feuerbach zur industriellen Ruine wird.

Ein Beispiel dafür ist Behr in Feuerbach. Hier gibt es gerade noch 220 Arbeitsplätze in der Produktion und diese sollen jetzt auch noch vernichtet werden.
Das Werk 8 soll bis zum 30.9.2010 geschlossen werden.

Bei den Kundgebungen haben wir erfahren, dass S 21 ein Projekt für die Profite der Immobilienspekulanten, Banken und Baukonzerne ist.
Auch beim Abbau von Arbeitsplätzen geht es nur um den Profit.


Die Familie Behr gehört zu den 100 reichsten Familien in Deutschland und hat ein Vermögen von einer Milliarde Euro. Wir Beschäftigte in der Produktion bei Behr haben jahrzehntelang die Knochen und Nerven hingehalten und den Betrieb aufgebaut, aus denen Besitzer ihr Vermögen ziehen. Jetzt wird uns eiskalt gesagt: Ihr seid überflüssig!

Wir Arbeiter von Behr haben vor 26 Jahren für die 35-Stunden-Woche an vorderster Front gestreikt und haben entscheidenden Anteil an diesem Erfolg. Auch andere Schlachten der IGM haben wir an vorderster Front mit ausgefochten. Die Schließung von Werk 8 ist deshalb auch ein Angriff auf die Kampftradition der IGM und kampfstarke Belegschaften.

Vor der Betriebsratswahl schrieb sich die IGM den Erhalt ALLER Arbeitsplätze bei Behr auf ihre Fahne und hat uneingeschränkte Unterstützung für dieses Ziel zugesagt. Leider haben die IGM und der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber eine Vereinbarung unterschrieben, wonach der Wechsel in eine Transfergesellschaft oder Auflösungsvertrage mit Abfindungen zwingend vorgeschrieben wird. Ansonsten wird mit einer deutlich weniger Abfindung betriebsbedingt gekündigt. Damit ist für die meisten von uns der Weg zu Hartz IV vorprogrammiert.

Wir haben mehrmals mit Aktionen und Unterschriftensammlungen zum Ausdruck gebracht, dass wir mit dem Verhandlungsergebnis nicht einverstanden sind und wollten weiter kämpfen. Viele von uns wollen weiterhin den Kampf für den Erhalt der Arbeitsplätze führen.

Viele der KollegInnen haben wegen mangelnde Unterstützung seitens der BR /IGM gegen ihre Willen Auflösungsverträge unterschrieben oder mussten in die Transfergesellschaft wechseln.
Es sind jetzt nur noch 30 KollegInnen übrig.

Eigentlich wäre es die Aufgabe der Gewerkschaften eine entschlossenen Kampf sowohl für den Erhalt alle Arbeitsplätze als auch gegen den Unsinn S21 zu führen. Unsere gemeinsame Aufgabe ist für einen radikalen Kurswechsel in den Gewerkschaften, somit auch in der IGM zu sorgen. Wir brauchen dringender denn je die alte Stärke der Gewerkschaften und mehr Demokratie.

Behr will uns die nächsten Tage entlassen, deshalb sind wir auch auf Eure Unterstützung angewiesen und freuen uns jetzt schon über Eure Solidarität.

BEHR Werk 8 Beschäftigte wirbleibenhier@hotmail.de

Video zur Aktion am 18. Oktober

Das auf der Aktionskonfrenz am 21. August 2010 entstandene Video befragt einige Beteiligte welche die geplanten Aktionen am 18. Februar vorstellen und in die weiteren Proteste einordnen. Das Video wurde von dem unabhängigen Fernsehjournalisten und Filmemachers Martin Keßler gedreht und und setzt seine Reihe "Krisen-Splitter" fort.

Flyer zur Aktionskonferenz der AG Georg Büchner am 21. August erschienen

Zur Aktionskonferenz der AG Georg Büchner am 21.08.2010 in Frankfurt am Main ist ein Flyer erschienen:

Vorschau Bild Aktionskonferenz Flyer

Flyer download [PDF: 1.3 MB]

Baskische Impressionen 2010 Teil IV

"60, 65, 70 ...Jahre! Wo soll das hinführen? Rentensystem in Not!" Foto: Wolfgang Hänisch
Der Menschenstrom, der sich am 24. Juni in Bayonne über die Brücke St. Esprit zum Sammelplatz auf dem anderen Ufer der Nive bewegt, reißt nicht ab. Am Place de Reduit treffen sich Gruppen von KollegInnen, um gemeinsam zur Demonstration zu gehen.

Alle Gewerkschaften haben heute landesweit zu Streiks und Demonstrationen gegen die Rentenpläne der Regierung Sarkozy aufgerufen. Vor allem die geplante Verlängerung des Rentenalters auf 62 empört die Menschen.

Vor dem Gewerkschaftshaus und in den umliegenden Straßen ist kein Durchkommen mehr: Hier stellt sich der Demozug auf. Auf dem Bahnhofsvorplatz rote Fahnen mit dem weissen Schriftzug LAB. Ein Transparent: "60, 65, 70 ...ans! Ou va t-on? Erretreta sistema SOS!!!" (60, 65, 70 ...Jahre! Wo soll das hinführen? Rentensystem in Not!!!").

LAB steht für Langile Abertzalen Batzordeak (Kommissionen der baskischen Arbeiter). Diese Kommissionen wurden 1975 in Spanien noch unter Franco gegründet, da Gewerkschaften verboten waren. Nach dem Tod Francos und der Aufhebung des Gewerkschaftsverbots, entwickelte sich LAB im südlichen Baskenland zur drittgrößten Gewerkschaft mit heute 45.000 Mitgliedern und stellt 15 - 20% der Betriebsräte.

Die LAB im nördlichen Baskenland ist dagegen vergleichsweise jung: Vor 10 Jahren, im April 2000 von 80 Gründungsmitgliedern ins Leben gerufen, hat sie heute über 500 Mitglieder und erhielt bei den letzten Wahlen für die Beisitzer der Arbeitsgerichte 3000 Stimmen - damit war sie auch im baskischen Norden zur drittgrößten Gewerkschaft geworden. LAB ist heute die einzige Gewerkschaft, die im ganzen Baskenland, Süden wie Norden, präsent ist.

LAB - die etwas andere Gewerkschaft: "Wir sind keine politische Partei, aber eine politische Gewerkschaft" so Amia Fontang, Repräsentantin der LAB in Bayonne. LAB tritt ein für ein anderes wirtschaftliches und politisches System, das auf der gerechten Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, sozialer Gerechtigkeit, Solidarität und Internationalismus basiert. In diesem Rahmen tritt LAB dafür ein, dass die Basken über ihre Zukunft als Nation selbst entscheiden können. LAB ist radikaler Gegner des Neoliberalismus der multinationalen Konzerne, der Unternehmerverbände und ihres Staates. Der konsequente Kampf in den Betrieben und auf der Straße ist die Hauptmethode ihrer Arbeit. Aufgrund der Dominanz des Dienstleistungs- und Tourismussektors im nördlichen Baskenland führt LAB z.B. Aufklärungskampagnen für die Verteidigung der Rechte der Saisonarbeiter, sowie gegen die weit verbreiteten prekären Arbeitsverhältnisse durch.

Demonstration gegen die Rentenpläne der Regierung Sarkozy Foto: Wolfgang Hänisch
Das Verhältnis zu den Führungen der anderen Gewerkschaften wie CGT, CFDT, FO etc. ist etwas gespannt: Eine Stunde schon zieht der Demonstrationszug vorbei, als es den LAB-KollegInnen "erlaubt" wird sich in den Zug einzureihen - ganz am Schluss. "Am Anfang haben sie uns sehr aggressiv bekämpft - inzwischen hat sich das gelegt. Vor allem an der Basis arbeiten wir gut mit den KollegInnen der anderen Gewerkschaften zusammen. Auch haben wir in letzter Zeit einige Übertritte, vor allem von Mitgliedern der CGT zu LAB, zu verzeichnen" sagt Amia Fontang.

Die Abendnachrichten melden zwei Millionen Teilnehmer an der Protesten in ganz Frankreich, allein in Bayonne waren es zehntausend.

Siehe auch:
Baskische Impressionen 2010 Teil I
Baskische Impressionen 2010 Teil II
Baskische Impressionen 2010 Teil III
Baskische Impressionen 2010 Teil IV

Zu diesem Thema:
Baskische Impressionen, Teil 1: "Non da Jon Anza?"
Baskische Impressionen, Teil 2: Die ETA als angebliches Bindeglied im Drogenschmuggel
Baskische Impressionen, Teil 3: Der Tod von Jon Anza und die Suche nach der "Wahrheit"
Baskische Impressionen, Teil 4: Manipulierung der Wahrheit durch das Verschweigen von Tatsachen
Baskische Impressionen, Teil 5: Ein vorläufiger Schluss
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