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Blogkino: System Error (2018)

Heute zeigen wir im Blogkino mit Filmen zum Thema Ⓐnarchismus die sehenswerte Dokumentation "System Error": "Warum ist alle Welt besessen vom Wirtschaftswachstum, obwohl man seit über 40 Jahren weiß, dass man auf einem endlichen Planeten nicht unendlich wachsen kann? Auf der Suche nach der Antwort auf diesen großen Widerspruch der Gegenwart ist der zweifache Grimme-Preisträger Florian Opitz tief in die Welt des real existierenden Kapitalismus eingetaucht. (...)" (arte) Die Doku ist nur bis 5. Juni verfügbar.

Mitten in Stuttgart im Jahr 2020: Sklavenarbeit auf S21-Baustellen? Aufruf zu Solidaritäts-Aktion

Verhältnisse wie auf den WM-Baustellen in Katar scheinen auch hier und jetzt auf den Stuttgart 21-Baustellen zu herrschen. Bezahlt wird den türkischen Arbeitern ein Stundenlohn von 7 € (die Differenz zum allgemein gültigen Mindestlohn von 12,50 € wird mit „Kost, Logis“ u.ä. erklärt). Dafür müssen sie bis zu 12 Stunden arbeiten und das bis zu sieben Tage die Woche. In Deutschland krankenversichert sind sie nicht. Das berichteten Betroffene der Firma ERFA, einem Subunternehmer von Hochtief, so Sidar Carman, Vertreterin der türkischen Migrant:innenorganisation DIDF. Einigen der Kollegen war offensichtlich der Kragen geplatzt, nachdem unter ihnen aufgrund der Ignorierung obligatorischer Sicherheitsmaßnahmen durch die Zuständigen das Coronavirus ausgebrochen war und schnell um sich gegriffen hatte. Stand am 22.4. laut SWR: 19 infizierte Bauarbeiter, 43 in sogenannten Schutzunterkünften, 90 in Quarantäne.

Obwohl sie von mehreren Seiten informiert und gewarnt worden war, hatte die Stadt die Dramatik der Risiken lange ignoriert und Informationen nicht weiter gegeben, um den Weiterbau von Stuttgart 21 nicht zu verzögern. Hier könnten sich die grün dominierte Stadt- und Landesregierung ein Beispiel an Österreich nehmen, wo die Gefahr schnell erkannt und alle Großbaustellen stillgelegt wurden - auch die der bei Stuttgart21 weiter arbeitenden Firmen.

Damit ignoriert die Stadt auch mögliche Risiken für die Wohnbevölkerung im Umfeld der Baustellen. Zwar sind die Arbeitsmigranten in teils unhygienischen Massen-Unterkünften untergebracht, pflegen aber einen guten, oft freundschaftlichen Kontakt mit den Anwohner*innen, die ihnen z.B. über Sprachbarrieren beim Einkaufen hinweghelfen.

Auch wird berichtet, dass Arbeitern mit existenzgefährdenden Geldstrafen gedroht wird, wenn sie weiter über die Verhältnisse auf den Baustellen berichten bzw. getroffene Aussagen nicht zurücknähmen. Das alles entlarvt die Behauptungen der Projektbetreiber, dass mit S21 die Schaffung von bis zu 20 000 guter Arbeitsplätze verbunden wäre. Diese Behauptung sollte im Vorfeld der Volksabstimmung die Gewerkschaften für das Projekt gewinnen, was teilweise leider gelang.

Mit anderen Gruppen zusammen ruft das Aktionsbündnis zu einer angemeldeten Solidaritätsaktion am 1. Mai um 10 h zwischen Ferdinand-Leitner-Steg und Planetarium auf

Der 1.Mai, der an den Kampf amerikanischer Arbeiter erinnert, statt wie zuvor 12, nur noch 8 Stunden täglich arbeiten zu müssen, ist ein guter Anlass, dem ausbeuterischen Spuk auf den S21-Baustellen ein Ende zu bereiten und sofort und mindestens bis zur Aufklärung der Missstände alle S21-Baustellen stillzulegen, so Werner Sauerborn, Vertreter der Gewerkschafter*innen gegen S21 im Aktionsbündnis.

Katze aus dem Sack.

Theodor W. Adorno, Heidelberg 1964

Foto: Jeremy J. Shapiro

Lizenz: CC BY-SA 3.0

Auch die ehrwürdigste Verhaltensweise des Sozialismus, Solidarität, ist erkrankt. Sie wollte einmal die Rede von der Brüderlichkeit verwirklichen, sie aus der Allgemeinheit herausnehmen, in der sie eine Ideologie war, und dem Partikularen, der Partei vorbehalten, die in der antagonistischen Welt die Allgemeinheit einzig vertreten sollte. Solidarisch waren Gruppen von Menschen, die gemeinsam ihr Leben einsetzten, und denen das eigene, im Angesicht der greifbaren Möglichkeit, nicht das wichtigste war, so daß sie, ohne die abstrakte Besessenheit von der Idee, aber auch ohne individuelle Hoffnung, doch bereit waren, füreinander sich aufzuopfern. Solches Aufgeben der Selbsterhaltung hatte zur Voraussetzung Erkenntnis und Freiheit des Entschlusses: fehlen diese, so stellt das blinde Partikularinteresse sogleich wieder sich her. Mittlerweile aber ist Solidarität übergegangen ins Vertrauen darauf, daß die Partei tausend Augen hat, in die Anlehnung an die längst zu Uniformträgern avancierten Arbeiterbataillone als die eigentlich stärkeren, ins Mitschwimmen mit dem Strom der Weltgeschichte. Was an Sekurität dabei zeitweise etwa zu gewinnen ist, wird bezahlt mit permanenter Angst, mit Kuschen, Lavieren und Bauchrednerei: die Kräfte, mit denen man die Schwäche des Gegners ausfühlen könnte, werden dazu verbraucht, die Regungen der eigenen Führer zu antizipieren, vor denen man im Innersten mehr zittert als vorm alten Feind, ahnend, daß am Ende die Führer hüben und drüben sich auf dem Rücken der von ihnen Integrierten verständigen werden. Davon ist der Reflex zwischen den Individuen zu spüren. Wer, den Stereotypen gemäß, nach denen die Menschen heute vorweg sich aufteilen, unter die Progressiven gezählt wird, ohne daß er jenen imaginären Revers unterzeichnet hätte, der die Rechtgläubigen zu verbinden scheint, die sich an einem Unwägbaren von Gestik und Sprache, einer Art rauhbautzig gehorsamen Resignation wie an einem Losungswort erkennen, der macht immer wieder die gleiche Erfahrung. Rechtgläubige, oder auch die ihnen allzu ähnlichen Abweichungen, kommen ihm entgegen und erwarten Solidarität von ihm. Sie appellieren ausdrücklich und unausdrücklich ans fortschrittliche Einverständnis. Im Augenblick aber, wo er von ihnen die kleinsten Beweise der gleichen Solidarität, oder auch nur Sympathie für den eigenen Anteil am Sozialprodukt des Leidens erhofft, zeigen sie ihm die kalte Schulter, die von Materialismus und Atheismus im Zeitalter der restaurierten Popen allein übriggeblieben ist. Die Organisierten wollen, daß der anständige Intellektuelle sich für sie exponiere, aber sobald sie nur von weither fürchten, sich selber exponieren zu müssen, ist er ihnen der Kapitalist, und die gleiche Anständigkeit, auf die sie spekulierten, lächerliche Sentimentalität und Dummheit. Solidarität ist polarisiert in die desperate Treue derer, für die es keinen Weg zurück gibt, und in die virtuelle Erpressung an jenen, die mit den Bütteln nichts zu schaffen haben mögen, ohne doch der Bande sich auszuliefern.

Theodor W. Adorno - Minima Moralia

Das Corona-Virus und die Krise des Gesundheitswesens. Eine Stellungnahme

Das Corona-Virus und die Reaktionen in Politik und Wirtschaft legen zunehmend deutlich offen, dass das Gesundheitswesen in einer tiefen Krise steckt.

Das Gesundheitswesen war nicht auf die Corona-Pandemie vorbereitet:

Weder verfügt es über ausreichend Personal, noch über die für die Behandlungen erforderlichen Intensivbetten in den Krankenhäusern, die notwendigen Medikamente und eine entsprechende instrumentelle Ausstattung.

In der Bundesrepublik hat das ärztliche, medizinische, Pflege-, Versorgungs- und Reinigungspersonal besonders in den Kliniken und Großkrankenhäusern schon vor der Corona-Pandemie überall am Leistungslimit gearbeitet. Personelle, technische, medikamentöse und räumliche Reserven wurden nicht vorgehalten und sind aktuell nicht ausreichend vorhanden, was sich jetzt dramatisch rächt.

Die gegenwärtige Lage des Gesundheitswesens ist eine Folge seiner Ökonomisierung, Privatisierung und Kommerzialisierung.

Krankenhäuser dienen systematisch der Gewinnerzielung- Pflegepersonal und Betten werden abgebaut, Kliniken werden zu Lasten öffentlicher Daseinsvorsorge privatisiert.

Die Gewerkschaft ver.di ermittelte, dass in den bundesdeutschen Kliniken 162000 Mitarbeiter• innen fehlen.

Auch in der Altenpflege ist die Personalnot katastrophal.

Die Arbeitsbedingungen für alle Berufe - von der Reinigungskraft bis zur Pflegekraft - sind von Zeitdruck, unangemessener Bezahlung und unzuverlässigen Dienstplänen geprägt.

Wir meinen:

• Beschäftigte im Gesundheitswesen brauchen in der jetzigen Situation die Solidarität Aller!

• Beschäftigte im Gesundheitswesen brauchen gute Lohn-, Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen!

• Schluss mit den Alibigesetzen auf Bundes- und Landesebene, die zu keiner Verbesserung der Personalsituation und der Rahmenbedingungen führen!

• Mehr qualifiziertes Personal im Gesundheitswesen durch gesetzliche Personalbemessung!

• Abschaffung des DRG-Fallpauschalensystems!

• Weg mit den Plänen zu Krankenhausschließungen!

• Unsere Versorgung darf sich nicht danach richten, ob unsere Erkrankung lukrativ ist!

Es ist zu befürchten, dass die Politik von Ökonomisierung, Privatisierung und Kommerzialisierung auch nach der Corona-Pandemie fortgesetzt und versucht wird, Gesundheit weiterhin als Ware zu handeln. Dies gilt es zu ändern!

Quelle: Flugblatt

Lesetipp im Zeichen der #Coronakrise: Vogelgrippe. Zur gesellschaftlichen Produktion von Epidemien.

Mike Davis
https://archinect.com / CC BY-SA
Der im Jahr 2005 zuerst veröffentlichte und 2006 überarbeitete Text "Vogelgrippe" des marxistischen Analytikers, Stadtsoziologen und Historikers Mike Davis steht beim Verlag Assoziation A zum Download (PDF) zur Verfügung. Bei LinksLesen ist eine kurze Besprechung des lesenswerten Buches zu finden, ebenso wie eine kurze Charakterisierung des hierzulande leider viel zu wenig bekannten Autors. "(...) Davis ist mit seinen Werken sehr breit aufgestellt und recht gut lesbar. Er stellt in seinen Büchern stets einen Zusammenhang her zwischen gesellschaftlichen Phänomenen (eben Klimawandel, Epidemien, Stadtentwicklung usw.) und den Folgen für die verschiedenen Segmente der Gesellschaft. Die Auswirkungen für den prekärsten Teil einer Gesellschaft werden von Davis häufig in das Zentrum seiner Analyse gestellt. Allein diese Perspektive unterscheidet ihn von vielen anderen Autor*innen. (...)"

Zu "Vogelgrippe" hat Davis eine aktuelle, auf die Corona Pandemie bezogene Einleitung veröffentlicht:

"Mit COVID-19 ist endlich das Monster an der Tür. Die Forscher arbeiten Tag und Nacht daran, den Ausbruch zu charakterisieren, stehen jedoch vor drei großen Herausforderungen.

Erstens hat der anhaltende Mangel oder die Nichtverfügbarkeit von Testkits jede Hoffnung auf Eindämmung zunichte gemacht. Darüber hinaus werden genaue Schätzungen der wichtigsten Parameter wie Reproduktionsrate, Größe der infizierten Population und Anzahl der gutartigen Infektionen verhindert. Das Ergebnis ist ein Chaos von Zahlen.

Es gibt jedoch zuverlässigere Daten über die Auswirkungen des Virus auf bestimmte Gruppen in einigen Ländern. Es ist sehr beängstigend. Italien und Großbritannien beispielsweise melden eine viel höhere Sterblichkeitsrate unter den über 65-Jährigen. Die von Trump abgewinkelte „Grippe“ ist eine beispiellose Gefahr für die geriatrische Bevölkerung mit einer potenziellen Zahl von Todesopfern in Millionenhöhe.

Zweitens mutiert dieses Virus wie jährliche Influenza, während es durch Populationen mit unterschiedlichen Alterszusammensetzungen und erworbenen Immunitäten verläuft. Die Vielfalt, die Amerikaner am wahrscheinlichsten bekommen, unterscheidet sich bereits geringfügig von der des ursprünglichen Ausbruchs in Wuhan. Eine weitere Mutation könnte trivial sein oder die derzeitige Verteilung der Virulenz verändern, die mit dem Alter zunimmt, wobei Babys und Kleinkinder ein geringes Risiko für eine ernsthafte Infektion aufweisen, während Oktogenarier einer tödlichen Gefahr durch virale Pneumonie ausgesetzt sind.

Drittens können die Auswirkungen des Virus auf Kohorten unter 65 Jahren in armen Ländern und in Gruppen mit hoher Armut radikal unterschiedlich sein, selbst wenn das Virus stabil und wenig mutiert bleibt. Betrachten Sie die globale Erfahrung der spanischen Grippe in den Jahren 1918-19, die schätzungsweise 1 bis 2 Prozent der Menschheit getötet hat. Im Gegensatz zum Corona-Virus war es für junge Erwachsene am tödlichsten, und dies wurde oft als Folge ihres relativ stärkeren Immunsystems erklärt, das auf Infektionen überreagierte, indem es tödliche „Zytokinstürme“ gegen Lungenzellen auslöste. Das ursprüngliche H1N1 fand notorisch eine bevorzugte Nische in Armeelagern und Schlachtfeldgräben, in denen es junge Soldaten zu Zehntausenden niederschlug. Der Zusammenbruch der großen deutschen Frühlingsoffensive von 1918 und damit der Ausgang des Krieges wurde der Tatsache zugeschrieben, dass die Alliierten, in Gegensatz zu ihrem Feind, die Lücken mit neu eingetroffenen amerikanischen Truppen auffüllen konnten.

Es wird jedoch selten gewürdigt, dass 60 Prozent der weltweiten Sterblichkeit in Westindien auftraten, wo Getreideexporte nach Großbritannien und brutale Anforderungspraktiken mit einer großen Dürre zusammenfielen. Die daraus resultierende Nahrungsmittelknappheit brachte Millionen armer Menschen an den Rand des Hungers. Sie wurden Opfer einer unheimlichen Synergie zwischen Unterernährung, die ihre Immunantwort auf Infektionen unterdrückte, und weit verbreiteter bakterieller und viraler Pneumonie. In einem anderen Fall setzte der von Großbritannien besetzte Iran, mehrere Jahre Dürre, Cholera und Nahrungsmittelknappheit, gefolgt von einem weit verbreiteten Malaria-Ausbruch, den Tod eines geschätzten Fünftels der Bevölkerung voraus.

Diese Geschichte - insbesondere die unbekannten Folgen von Wechselwirkungen mit Unterernährung und bestehenden Infektionen - sollte uns warnen, dass COVID-19 in den Slums von Afrika und Südasien einen anderen und tödlicheren Weg einschlagen könnte. Die Gefahr für die globalen Armen wurde von Journalisten und westlichen Regierungen fast vollständig ignoriert. Das einzige veröffentlichte Stück, das ich gesehen habe, behauptet, dass die Pandemie nur geringe Auswirkungen haben sollte, da die Stadtbevölkerung Westafrikas die jüngste der Welt ist. In Anbetracht der Erfahrung von 1918 ist dies eine dumme Hochrechnung. Niemand weiß, was in den kommenden Wochen in Lagos, Nairobi, Karachi oder Kolkata passieren wird. Die einzige Gewissheit ist, dass sich reiche Länder und reiche Klassen darauf konzentrieren werden, sich unter Ausschluss internationaler Solidarität und medizinischer Hilfe zu retten.(...)"

Diese Stärken in Davis Texten nährt die Hoffnung, daß sich die radikale Linke aus ihrer durch die Coronakrise verstärkten Schockstarre befreit. Sie muss den Menschen helfen, die in der Coronakrise vor allem offen in Erscheinung getretene Krise des Kapitalismus zu erkennen, die wie nie zuvor ein Schlaglicht auf dessen Unfähigkeit wirft, eine angemessene medizinische Versorgung zu organisieren.

"(...) Der Ausbruch hat sofort die starke Klassenunterschiede im Gesundheitswesen aufgedeckt: Personen mit guten Gesundheitsplänen, die auch von zu Hause aus arbeiten oder unterrichten können, sind bequem isoliert, sofern sie umsichtige Sicherheitsvorkehrungen treffen. Öffentliche Angestellte und andere Gruppen gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer mit angemessener Deckung müssen schwierige Entscheidungen zwischen Einkommen und Schutz treffen. In der Zwischenzeit werden Millionen von Niedriglohnarbeitern, Landarbeitern, ungedeckten Kontingentarbeitern, Arbeitslosen und Obdachlosen zu den Wölfen geworfen. Selbst wenn Washington das Test-Fiasko endgültig löst und eine angemessene Anzahl von Kits bereitstellt, muss der Nichtversicherte dennoch Ärzte oder Krankenhäuser für die Verwaltung der Tests bezahlen. Insgesamt werden die Rechnungen für Familienärzte steigen, während Millionen von Arbeitnehmern ihren Arbeitsplatz und ihre vom Arbeitgeber bereitgestellte Versicherung verlieren. (...)"

Seit Erscheinen von Davis Studie im Jahr 2005 haben sich vor allem in den USA dazu die Rahmenbedinungen für die Gesundheitssysteme nicht wesentlich verbessert, im Gegenteil wurde weiter kaputtgespart d.h. auf Profit getrimmt. Am deutlichsten tritt dazu in den von dessen neoliberalen Spielart in Italien und Spanien und vor allem in den praktisch zerstörten Gesundheitssystem Britanniens und der USA zu Tage:

"(...) Es ist gelinde gesagt enttäuschend, dass weder Sanders noch Warren in den Hauptdebatten den Verzicht von Big Pharma auf die Erforschung und Entwicklung neuer Antibiotika und Virostatika hervorgehoben haben. Von den 18 größten Pharmaunternehmen haben 15 das Feld vollständig aufgegeben. Herzmedikamente, süchtig machende Beruhigungsmittel und Behandlungen gegen Impotenz bei Männern sind Gewinnführer, nicht die Abwehr gegen Krankenhausinfektionen, neu auftretende Krankheiten und traditionelle tropische Killer. Ein universeller Impfstoff gegen Influenza - das heißt ein Impfstoff, der auf die unveränderlichen Teile der Oberflächenproteine ?? des Virus abzielt - ist seit Jahrzehnten eine Möglichkeit, hat aber nie eine profitable Priorität. (...)"

Aber auch hierzulande konzentrieren sich die Bemühungen mehr darauf, die Pandemie zu verlangsamen, um das Gesundheitssystem nicht "zu überlasten". Das hört sich nicht danach an, als seien Zustände wie in der Lombardei oder im Elsaß undenkbar. Im Gegenteil bekommen so die geweckten Begehrlichkeiten "Maßnahmen" ultrakonservativer Politiker vom Schlage Söder zur Beschneidung demokratischer Grundrechte einen Sinn. Warum geben in Baden-Württemberg einzelne Gesundheitsämter Listen mit den Daten von Corona-Infizierten an die Polizei? Warum ein zentralisiertes ggf. auch anlaßloses Handytracking mutmaßlicher Infizierter statt machbarer, dezentralisierter Datenverarbeitung (PDF)? Warum verschmelzen die Grenzen der "Sicherheitsarchitektur", wenn nicht nur die Landesregierung in Baden-Württemberg überlegt, Bundeswehrsoldaten zur Übernahme polizeilicher Aufgaben anzufordern bzw. einzusetzen? Denn ansonsten würde es Maßnahmen geben, die eben nicht vor allem auf die Absicherung der Profite von Konzernen wie Daimler abzielen, sondern die Frage stellen, was ist mit den Menschen, die dort oder in anderen Betrieben wie Stihl nicht gerade unter Quarantänebedingungen arbeiten, mit den 13 Millionen Behinderten, den Marginaliserten und den sowieso ausgegrenzten über die allenfalls am Rande der Nachrichtensendungen berichtet wird...

Finanzamt räumt „unbillige Härte“ gegen VVN-BdA ein

Mit Bescheid vom 6.12.2019, bei unserem Anwalt am 11.12. eingegangen, hat das Finanzamt für Körperschaften in Berlin die Vollziehung der gegen unseren Verein ergangenen Steuerbescheide ausgesetzt. Das bedeutet, dass wir im Moment die angeforderten Steuernachzahlungen nicht aufbringen müssen. Allerdings hat das Finanzamt sich bisher nicht zu der Frage geäußert, ob der Entzug der Gemeinnützigkeit rechtmäßig oder rechtswidrig war. Die Aussetzung erfolgte wegen einer unbilligen Härte für unseren Verein.

Dies ist zwar ein kleiner Etappensieg, trotzdem heißt es wachsam zu sein, bis auch inhaltlich der Angriff auf die Gemeinnützigkeit unseres Vereines zurückgeschlagen werden kann. Wir hoffen, dass das Finanzamt bereits im Einspruchsverfahren unsere Argumentation akzeptiert, und es nicht erst zu einem finanzgerichtlichen Verfahren kommen muss.

Unsere Argumentation wurde auch durch viele unterstützende Stellungnahmen unterstrichen. An dieser Stelle bedanken wir uns für die überwältigende Solidarität.

Quelle: VVN-BdA

Le nouvel avare

Theodor W. Adorno, Heidelberg 1964

Foto: Jeremy J. Shapiro

Lizenz: CC BY-SA 3.0

Es gibt zweierlei Arten von Geiz. Eine ist die archaische, die Leidenschaft, die sich und anderen nichts gönnt, deren physiognomischen Zug Molière verewigt, Freud als analen Charakter erklärt hat. Sie vollendet sich im miser, dem Bettler, der insgeheim über Millionen verfügt, gleichsam der puritanischen Maske des unerkannten Kalifen aus dem Märchen. Er ist dem Sammler, dem Manischen, schließlich dem großen Liebenden verwandt wie Gobseck der Esther. Man trifft ihn gerade noch als Kuriosität in den Lokalspalten der Tagesblätter. Zeitgemäß ist der Geizige, dem nichts für sich und alles für die andern zu teuer ist. Er denkt in Äquivalenten, und sein ganzes Privatleben steht unter dem Gesetz, weniger zu geben, als man zurückbekommt, aber doch stets genug, daß man etwas zurückbekomme. Jeder Freundlichkeit, die sie gewähren, ist die Überlegung: "ist das auch nötig?", "muß man das tun?" anzumerken. Ihr sicherstes Kennzeichen ist die Eile, für empfangene Aufmerksamkeiten sich zu "revanchieren", um nur ja in der Verkettung der Tauschakte, bei denen man auf seine Kosten kommt, keine Lücke entstehen zu lassen. Weil bei ihnen alles rational, mit rechten Dingen zugeht, sind sie, anders als Harpagon und Scrooge, nicht zu überführen und nicht zu bekehren. Ihre Liebenswürdigkeit ist ein Maß ihrer Unerbittlichkeit. Wenn es gilt, setzen sie unwiderleglich sich ins Recht und das Recht ins Unrecht, während der Wahnsinn der schäbigen Geizhälse das Versöhnliche hatte, daß der Tendenz nach das Gold in der Kassette den Dieb schon herbeizog, ja, daß erst in Opfer und Verlust ihre Leidenschaft sich stillte wie das erotische Besitzenwollen in der Selbstpreisgabe. Die neuen Geizigen aber betreiben die Askese nicht mehr als Ausschweifung sondern mit Vorsicht. Sie sind versichert.

Theodor W. Adorno - Minima Moralia

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