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Noch vierzig Tage: Asylgeschrei auf den Straßen

Kindergarten in Frankfurt.

Foto: By KJohansson (Own work) [GFDL or CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons
Genau noch vierzig Tage - und es wird ein Geschrei sich erheben auf Straßen und Plätzen. Nach dem seit langem versprochenen Platz für jedes Kind. Zugleich mit unweigerlicher Sicherheit: Es gibt keineswegs genug davon. In Hessen haben sie schon die Anzahl der Pflegerinnen herabgesetzt. Aber außer dass die Zahl der Genehmigten viel zu gering ist - es wird auf keinen Fall reichen. Und warum? Ein Grund liegt sicher in der Finanzbremse, die nicht nur Gemeinde für Gemeinde - jede für sich - beschlossen hat, sondern - gerade in Hessen - per Volksbescheid angenommen wurde. Versteht sich, dass dieselben Gemeinden sich besonders inbrünstig dafür ins Zeug legten, die seither über Straßenlöcher klagen, Schwimmbadpreise erhöhen und kein Geld für Wohnungen auftreiben können. Die Strafe für den Blödsinn lag schon bereit. Aber sie schlossen die Augen.

Man könnte zwar annehmen, dass sich Scharen zusammenschließen, um das verbriefte Recht einzuklagen. Selten wurde ein größerer Volksbetrug über längere Zeit gewissenhaft vor sich hergeschoben. Also auch bei uns Türkei und Griechenland.

Aber vermutlich wird alles mit Geld abgegolten. Schön einzeln. Und solange Schäuble das hergibt, kann ja alles noch gut laufen. Bis zur Wahl.

Geändert wird dadurch nichts. Aber es hebt - wieder einen Monat länger.

Obama: Die große Nach-Dröhnung

Deckblatt der Präsentation über das Datensammelprogramm PRISM der US-Regierung.
Quelle: NSA, US Federal Government [Public domain], via Wikimedia Commons
Und er dröhnte. Und alle anderen rhytmisch mit. Als er den Rock auszog, da folgten ihm alle. Im Oberhemd ließ es sich leichter plaudern. Und dann erhoben erst der Berliner Bürgermeister, dann die Bundeskanzlerin, und schließlich Obama selbst ihre Stimme, um an die Luftbrücke zu erinnern, und an Kennedys Satz und selbst an den des widerlichen Reagan. Alles Vergangenheit. Und so lief es dann weiter. Es gab in Wirklichkeit keinerlei Zukunft. Obama bejubeltete die Stätten der Freiheit. Aber darüber hinaus gab es gar nichts. Verloren die Pfiffe von "Yes we can". Es gab keine Zukunft zu erringen. Nur noch die Vergangenheit zu verteidigen.

So ließ Obama selbst das Verbrecherlager von Guantanamo zur Seifenblase schrumpfen. Wo doch einzig und allein er selbst dafür verantwortlich war. Jetzt sollten auf einmal alle ihm beistehen, um die Last von seinen Schultern zu heben.

Und die Rede zur Beseitigung der Atomfrachten? Das ist doch seit Jahren der angebliche Wunsch aller. Wenn nur auch alle mitmachen würden.

Schließlich die Anspielungen auf das universelle Überwachungsnetz Amerikas. Angeblich -laut Obama- nur eine Art Gegenspionage gegen sämtliche Attacken der Außenwelt. Sonst gar nichts. Ja, ja. Alle Geheimdienste der Welt sind natürlich neidisch auf die Möglichkeiten der Amerikaner. Aber wer wird über so etwas reden wollen. Schließlich die Drohnen. Ich habe vielleicht nicht aufgepasst. Aber ich bekam überhaupt nichts mit über deren segensreichen Einsatz. Sie müssen in der Friedensrede vollkommen verschwunden sein.

Mit einem Wort: Es war eine Replik besserer Stunden. Der Versuch,das Glück des Anfangs neu zu erleben. Nur: das ist vorbei. Obama ist der Fürst der Welt wie so viele. Und es ist keine Hoffnung an ihn zu verschwenden.

Eu-Retter: Weg mit dem Schädlichen!

Die Retter des europäischen Wesens haben diesesmal gründlich zugeschlagen. Sollte nicht vor allem Europa geheiligt und gesichert werden - als gemeinsame Idee. Pflichtverneigungen vor dem alten Hellas besonders gebilligt. Europa - vor allem die Welt des universalen Gesprächs. Transparenz - und was es sonst noch alles so gibt.

Die Troika ist im Vaterland der Gedankenfreiheit gerade einmarschiert. Um zu sehen, was an den schönen Sparideen alles dran war. Dummerweise war gerade eine Ökonomisierung einer athenischen Besitzung gescheitert. In der Not: was fiel der Regierung ein? Einzelentscheidung des Premiers - ohne Zustimmung der zwei anderen Regierungsparteien: Radio und Fernsehen mal abschalten. Ohne Vorankündigung. Ohne Absprache. Außer Drohungen: wer sich nicht sofort beugt, der hat auch bei der Neuanstellung in einiger Zeit keine Chance. So sah man in der Spätschau die Angestellten, wie sie den Knopf aus dem Ohr nahmen und den letzten Händedruck tauschten mit den anderen Abgängern.

Also ist ein Zustand eingetreten, den nicht einmal die ärmsten afrikanischen Staaten je in Erwägung zogen. Da alle Zeitschriften von Hellas mit in Streik traten, stellt sich der Zustand ein, dass im Staate Griechenland alles geschehen kann, ohne dass jemand mitbekommt, was denn los ist.

Man könnte natürlich sagen, dass die völlige Informationslosigkeit des Volkes eine gefährliche Schneise darstellt für allerlei flüchtige Phantasien. Goebbels hätte sich ja selbst abschaffen müssen, wenn er die Aufsicht über sämtliche Medien aufgegeben hätte. Nur - auch das ist vorläufig. Bei den heutigen Möglichkeitenw schleichen sich doch immer wahre Reste ein. Unter den Umständen absoluter Fremdbestimmung ist vielleicht wirklich die totale Verdummung das Einfachste.

Auf jeden Fall: jetzt sitzen die Herren von der FDP, aber auch allen anderen, da - und jammern. Vergessen bloß, dass sie mit allen Tricks die Diktatur der Troika mitgeschaffen haben, die das jetzige Unglück erst hervorbrachte. Die Herrschaft der Dummheit unter dem Signal der Freiheit.

Warum die BRD noch immer ein Klassenstaat ist?

Ein im Jahre 1911 in einer IWW Zeitung veröffentlichtes Bild, das die bürgerliche Klassengesellschaft illustriert. Es basiert auf einem Flyer der "Union der russischen Sozialisten", der ca. 1901 erschien. Heute ist natürlich alles anders...
Im Presseklub am 26.5. kam es an den Tag: unser Staat bleibt immer noch ein Klassenstaat.

Zu Beginn schien alles so einig: Klar, so etwas wie Kohls Absage an den "Beileids" Kurs in Solingen kann es nie mehr geben. Wie hat sich doch Frau Merkel da ganz anders verhalten? Zur Eröffnung der NSU-Prozesse ein Beileid an alle Angehörigen. Sowas gehört sich doch auch.

Doch im Lauf des Gesprächs entfaltete sich eine noch viel größere Gemeinschafts-Gesinnung. Die Lage hat sich wirklich verändert seit der Zeit vor zwanzig Jahren. Aber warum? Weil die deutsche Wirtschaft inzwischen einige -!- Ausländer mehr braucht als vor zwanzig Jahren. Nur damit das neue Problem: Wie auslesen?

Griffig brachte jemand den Unterschied auf zwischen den Ausländern, die wir brauchen - und denen, die uns brauchen. Dass zwischen beiden angemessen und ausgemessen werden muss - das sollte doch klar sein. Die einen ins Kröpfchen, die anderen raus aus dem Töpfchen.Und damit das ganz Entscheidende: Maßstab für das Ganze bleibt nach wie vor der Ertrag. Um es noch deutlicher zu sagen: Die Fähigkeit Mehrwert zu schaffen.Und gerade darin zeigt sich, dass der deutsche Staat nach wie vor auf dieser Eintrittskarte beharrt. Und dass weiterhin - wie vor zwanzig Jahren - der Mehrwert zählt.

Erschütternd, dass diese Mehrwert-Kategorie inzwischen so eingebürgert, so selbstverständlich erscheint, dass sie mit keinem Wort erwähnt wurde. Insofern muss gesagt werden: der deutsche Staatsverband ist ein solcher, in dem die Wertkategorie nicht einfach als drückende Not aufgepflanzt worden ist, sondern sich als selbstverständliche Hürde einem jeden aufzwingt.

Und hier muss man den vier Versammelten - darunter Leyendecker von der SZ - einen Vorwurf machen. Das Schwert der Abwehr Unerwünschter wurde mit keinem Wort erwähnt. Das Schwert der willkürlichen Ausweisungen. Das Schwert der Lagerhaltung mit all seinen Konsequenzen. Das Schwert der Zweitklassierung auch gegen die lang schon Eingewanderten. Einfach weil sie erst seit zwanzig oder dreißig Jahren bei uns wohnen.

Gegengelesen zeigte sich: In der Behandlung der Einwanderer zeigt sich nur ein besonders abschreckender Teil der Gesamtlage. Es wird weiterhin jeder Proletarier nach seiner Chance des Mehrwertgewinns bewertet. Nur - leider - die meisten inländischen Proletarier erkennen diese Gemeinsamkeit nicht. Die ihre. Dass das Problem der Flüchtlinge sich nur lösen läßt, wenn sie selbst den Maßstab der Verwertungsmöglichkeit abwerfen können. Für sich und alle anderen.

Ein Presseklub jedenfalls, der dieser Erkenntnis sich am eindeutigsten widersetzte.

Zug von Stuttgart zur Blockupy-Demo am 1.6.2013 in Frankfurt/Main

Da ich gerade mal wieder in Stuttgart bin, will ich auf den Sonderzug nach Frankfurt hinweisen, andere Verbindungen sind auf der Blockupy Hauptsseite zu finden bzw. bei lokalen Bündnissen:

Zur internationalen Blockupy-Demo am 1. Juni organisieren die AnStifter in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaftern gegen Stuttgart 21 einen Sonderzug von Stuttgart nach Frankfurt.

Fahrkarten gibt es in der DenkMacherei, Werastraße 10, in der Mahnwache am Hbf Stuttgart und auf den Montagsdemos.

Kontakt: kontakt@die-anstifter.de

KOMMT MIT NACH FRANKFURT.

ab Mittwoch, 29. Mai 2013: antikapitalistisches Camp

 

Freitag, 31. Mai 2013: Massenblockaden und Aktionen des Zivilen Ungehorsams: Wir werden den üblichen Geschäftsablauf der EZB und anderer Akteure des Krisenregimes öffentlich sichtbar stören. Zur weiteren Koordinierung meldet euch unter blockupy@drittes-europaeisches-forum.de.

 

Samstag, 1. Juni 2013: Internationale Demonstration, 11 Uhr Auftakt am Basler Platz, Abschluss am Willy-Brandt-Platz an der Europ. Zentralbank (EZB)

 

Blockupy Banner

Plasberg: Maschine zum Wegspülen der Wahrheit...

In weiser Voraussicht. Großdemo in Stuttgart gegen Sozialkahlschlag 21.10.2006

© Thomas Trueten, Umbruch Bildarchiv Berlin
Wie selten einmal, brachte ARD einen bedenkenswerten Beitrag als Reportage. Ein Journalist, Rose, hatte in Wallraff-Manier sich als Taxifahrer ausgegeben, um bei einer Werksvertragsfirma Einlass zu finden. Die vermietete ihn sofort weiter und schließlich landete er bei Daimler. Arbeitete dort am Band wie alle anderen, Angemietete wie festangestellte Arbeiter. Nur ein kleiner Unterschied: die Festangestellten verdienten bei gleicher Arbeitszeit genau dreimal soviel wie der Ungelernte. Der schließlich beim Staat seine Zuflucht fand und über die steuerlich finanzierte Unterstützung wesentlich mehr Aufstocklohn bekam, als die Firma ihm zahlte.

Soviel zur erschütternden Realität. Im Film kam unmissverständlich heraus, dass gerade größte Firmen sich immer neue Schlupflöcher suchen, wenn ein altes eben verstopft wurde. So hier! Die Einrichtung der Leiharbeiter wurde im Lauf der Zeit reformiert und demnach zu teuer. Also kam die Überlassung per Werksvertrag in Mode. Und das nicht in Bangladesh oder Pakistan, sondern mitten in Deutschland. In Stuttgart. Bei Daimler. Im Volksmund immer eine der angesehensten Beschäftigungsstellen.

Soviel die sehr gut dokumentierte Sendung von ARD. Dann Plasberg. Es wiederholte sich verschärft, was vor Jahren sich entfaltete. Kam eine brisante Sendung wie "HOLOCAUST", wurde sofort eine Diskussionsrunde gestartet, die alles wieder ins bestimmte Rund der allgemeinen Meinung einordnete. Diese Funktion erfüllte nahtlos Plasbergs Sendung.

Vor allem tat sich FDP-Lindner hervor. Nicht zu verwechseln mit dem blonden Lindner, der sonst als Shooting - Star der Liberalen galt. Bei unserem Lindner trat alles auf,was man so gerne hört: Einzelfall! - Jeder Arbeiter hatte doch das Recht, sich gegen die Regelung aufzulehnen. Ganz allmählich trat der wahre Grund hervor: Wettbewerb! Die anderen machen es doch auch. Und schließlich: unsere Regelungen sind solche, um die andere Länder uns beneiden. Natürlich - ein kleiner Umstand wieder weggelassen. Wer sehnte sich nach den deutschen Regelungen? Wahrscheinlich keine gewöhnlichen Arbeiter.

Die anderen Beiträge waren nicht wesentlich klarer. Nachdem sich alle eingestanden hatten, dass "so etwas" natürlich nicht in Ordnung sei, mussten alle zugeben, dass sie samt und sonders unter dem Wettbewerbsdruck stehen - und sich anzupassen haben.Dass über Daimler keine bösen Worte mehr fielen, versteht sich. Wenn jemand schuld ist, dann die Verleihfirma. Genau so musste man die Sache sehen.

Ergebnis: Wenn einmal etwas Wahres durchs ARD-Netz dringt, dann steht ein Plasberg bereit,um das Klare wieder einzutrüben.

Heraus zum Revolutionären 1. Mai 2013 in Stuttgart

Zum zehnten mal in Folge findet in diesem Jahr die Mobilisierung zum revolutionären 1. Mai in Stuttgart statt. Es wird im Vorfeld noch mehrere Aktivitäten geben, am 1. Mai dann einen antikapitalistischen Block bei der DGB-Demo am morgen, die revolutionäre 1. Mai Demonstration im Anschluss und schließlich ein großes Fest mit Kulturprogramm im und vor dem Linken Zentrum Lilo Herrmann. Im folgenden sind weitere Infos und eine Übersicht über die Termine der Mobilisierung zu finden.

Infotische
Am Freitag, den 19. April (Marienplatz) und am Donnerstag, den 25. April (Fußgängerzone Bad Cannstatt) gibt es jeweils von 16-19 Uhr Infotische. Dort sind die verschiedenen Materialien der diesjährigen Mobilisierung erhältlich.

Open Air Kino

Am Freitag, den 26. April werden ab 19:30 Uhr Kurzfilme & Ausschnitte zu Streiks, Fabrikbesetzungen und weiteren Protestaktionen aus allen Teilen der Welt auf dem Marienplatz gezeigt. Dazu gibt es Infotische und Stellwände.

Bei Regen findet die Vorführung im Linken Zentrum Lilo Hermann (Böblingerstr. 105, Stuttgart-Heslach) statt.

1. Mai

Der 1. Mai beginnt um 10 Uhr auf dem Marienplatz mit der DGB-Demo. Gewerkschaftliche und linke Gruppen rufen zu einem antikapitalistischen Block auf.

Im Anschluss startet um 11:30 Uhr die Revolutionäre 1. Mai Demo auf dem Schlossplatz. Die Demo wird nach Stuttgart-Heslach führen.
Ab 14 Uhr findet im und vor dem Linken Zentrum Lilo Herrmann das 1. Mai-Fest statt. Unter anderem sorgen hier Mighty Mammut Movement aus Düsseldorf mit Rap, Raggae und Ska für Stimmung. Außerdem gibt es Essen und Getränke, Stellwände, ein Quiz und mehr.

Mobilisierungsmaterial

Aufrufe, Flyer und Plakate sind unter anderem im Infoladen Stuttgart (Böblingerstr. 105, Eingang Taubenstr.) Montags bis Freitags von 17-19 Uhr und Samstags ab 20 Uhr, sowie bei Veranstaltungen im Linken Zentrum erhältlich. Sie können auch per Mail bestellt werden: mail(aet)revolutionaere-aktion.org

Bei einem Basteltreffen können gemeinsam Schilder, Transparente, Fahnen etc. hergestellt werden. Es findet am Sonntag, den 27.04. ab 12 Uhr im Linken Zentrum Lilo Herrmann statt.

Termine: 

Vor dem 1. Mai:

  • Donnerstag, 19. April: Infotisch, 16-19 Uhr, Fußgängerzone, S-Bad Cannstatt

  • Donnerstag, 25. April: Infotisch, 16-19 Uhr, Marienplatz, S-Süd

  • Freitag, 26. April: Kurzfilmabend, Ab 19:30, Marienplatz, S-Süd

  • Samstag, 27. April: Basteltreffen, ab 12 Uhr, Linkes Zentrum


Mittwoch, 1. Mai: 

  •  DGB-Demo, 10 Uhr, Marienplatz, S-Süd

  • Revolutionäre 1. Mai-Demo, 11:30 Uhr, Schlossplatz, S-Mitte

  • Internationalistisches Fest, 14:30 Uhr, Linkes Zentrum, S-Heslach

Statt einer Rezension - Fragen an Bernhard Schlink

Ermordete Zivilisten in My Lai
Foto: Ronald L. Haeberle via WikiPedia
Bernhard Schlinks Buch "Das Wochenende" ist verfilmt worden und kommt dieser Tage in die Kinos. Aus diesem Anlass drucken wir eine "etwas andere" Rezension seines Buches ab.

Bernhard Schlink hat einen Roman - „Das Wochenende“ - über die 68iger geschrieben. Warum beschreibt ein Roman über die 68iger nicht die Erlebnisse von Ha Thi Quy am Morgen des 16. März 1968:

„Als die Amerikaner kamen, war mein Mann auf dem Reisfeld bei den Kühen, ich war mit meinem Kind zu Hause. Plötzlich schossen sie wild um sich. Ich wurde angeschossen, mein Kind war dabei. Die Kugel steckte in meinem Oberschenkel, und ich verlor für kurze Zeit das Bewußtsein. Sie zerrten mich weiter. Es tat weh. Ich sagte zu meinem Kind, fleh um dein Leben, sonst schießen sie dich tot. Er bettelte um sein Leben, doch ohne Erfolg. Sie erschossen ihn. Es war so grausam.“

Warum erwähnt ein Roman über die 68iger nicht, dass Leutnant William Calley, der Verantwortliche dafür, was Ha Thi Quy und fünfhundert ihrer Landsleute an jenem Morgen angetan wurde, nur drei Tage seiner lebenslangen Freiheitsstrafe im Gefängnis verbrachte und 1974 von Präsident Nixon begnadigt wurde ?

Warum nicht berichten über diese Zeugenbefragung:

Ankläger: Herr Zeuge , wie weit stand ihr Wagen von der Vergasungskammer entfernt?
Zeuge: Der stand auf dem Weg etwa 20 Meter ab.
Ankläger: Und da konnten Sie hören was unten in den Kammern geschah?
Zeuge: Manchmal bin ich ausgestiegen um zu warten.
Ankläger: Was taten Sie da?
Zeuge: Nichts. Ich rauchte eine Zigarette.
Ankläger: Näherten Sie sich den Luken über der Gaskammer?
Zeuge: Ich ging manchmal etwas auf und ab, um mir die Beine zu vertreten.
Ankläger: Was hörten Sie da?
Zeuge: Wenn die Deckel von den Luken abgehoben wurden, hörte ich ein Dröhnen von unten, als ob sich dort viele Menschen unter der Erde befänden.“

Ein Dröhnen: es ist
die Wahrheit selbst
unter die Menschen
getreten
mitten ins
Metapherngestöber.

Warum schweigen darüber,

  • dass die beim Auschwitzprozeß anwesenden Polizisten salutierten, als die Angeklagten SS – Schergen den Gerichtssaal verliessen;
  • dass von 1940 – 1945 8000 SS-Angehörige in Auschwitz Dienst taten, nur etwa ein Zehntel von ihnen abgeurteilt wurde, davon fast 750 von polnischen Gerichten, nur 45 Angeklagte vor deutschen Gerichten standen, 22 davon in Frankfurt;
  • dass fünf Jahre nach Prozessende von diesen 22 Angeklagten nur noch sieben in Haft waren ?

„Es ist als ob ein Meer von Blut im Sand versickert“ schrieb damals Le Monde.

Warum fehlt die Beschreibung jener Szene am Gründonnerstag 1968 vor dem Haus Kurfürstendamm 140, das rostrote Damenfahrrad im Rinnstein, die Aktenmappe noch am Lenker festgeschnallt, die beiden Schuhe auf der Straße, aus denen Rudi Dutschke gerissen wurde, als er von den Schüssen des Attentäters getroffen wurde?

Warum kommt Reverend Kyles nicht zu Wort, der eine Woche vorher mit Martin Luther King auf dem Balkon des Lorraine Motels in Memphis stand, als der von der Kugel eines Attentäters getötet wurde?

Warum nicht den Arbeitsalltag der fünfköpfigen Crew beschreiben, die mit ihrem B 52-Bomber von der Andersen Air Force Base auf Guam Richtung Nordvietnam startet, um aus einer Höhe von 10000 m 27 Tonnen Bomben auf Hanoi und Haiphong zu werfen, 27 Tonnen von insgesamt 15000 Tonnen Bomben, die bei der Operation Linebacker II innerhalb von 11 Tagen abgeworfen wurden und 1300 Vietnamesen töteten?

Warum nicht dem Schicksal von Dean Kahler nachgehen, der seit dem 4. Mai 1970 querschnittsgelähmt ist, als während einer Protestkundgebung an der Kent State University gegen den Vietnamkrieg, die Nationalgarde das Feuer eröffnete auf ihn und seine Kommilitonen und vier Studenten erschoss – bis heute ist dieses Massaker ungesühnt?

Fragen über Fragen.
Bernhard Schlink entledigt sich dieser Fragen mit einem Taschenspielertrick: Er stellt sie, aber er stellt sie als abgedroschene Phrasen, als tote Schlagwörter mit der Absicht, durch diese Form ihren Inhalt zu denunzieren und sie dann samt und sonders als „unzeitgemäß“ erklären zu können.

Unzeitgemäß, Herr Schlink?

Die B 52 fliegen wieder – im Irak, in Afghanistan.

My Lai heißt heute Faludscha.

Die Tigerkäfige stehen heute in Guantanamo.

Antiimperialisten werden heute nicht mehr von aufgehetzten Psychopathen erledigt – im Gazastreifen z.B wird von F16-Jägern der ganze Häuserblock weggebombt, in dem sie leben, samt Familie und Nachbarn.

Schlink als literarisches Pendant zu den publizistischen Wasserträgern der neoliberalen Geschichtsklitterung, vereint durch die tiefsitzende Angst vor einem neuen 68:
Wie traurig.

Anmerkungen:
„Zeugenbefragung“ aus „Die Ermittlung“ von Peter Weiss
Gedicht „Ein Dröhnen“ von Paul Celan

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