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IMI Kongress am 6./7. November 2010: EUropas Staatsbildungskriege: Zerschlagen - Umbauen - Dirigieren

Foto:
Ort: Schlatterhaus, Österbergstr. 2, 72072 Tübingen

Im Juli 2010 erklärte der Internationale Gerichtshof die Unabhängigkeitserklärung (nicht aber deren Anerkennung) der unter EU-Verwaltung stehenden serbischen Provinz Kosovo für rechtmäßig. Auch im Sudan wird sich im Januar 2011 der ölreiche Süden des Landes aller Voraussicht nach vom Norden abspalten -“ wiederum mit tatkräftiger Unterstützung der EU. Andere Regierungen werden von der Europäischen Union zugleich massiv gegen Rebellengruppen, Protestbewegungen und Sezessionsbestrebungen aufgerüstet. Richtschnur für diese Politik ist nicht das Völkerrecht, sondern die jeweilige Interessenslage, die eben im einen Fall Zerschlagung und Umbau, im anderen die "territoriale Integrität" eines Landes erfordert.

Generell stellen heutzutage Kriege nur eines von vielen -“ zudem kostspieliges -“ Mittel zur Durchsetzung wirtschaftlicher und strategischer Interessen dar. Der Auf- und Umbau von Staaten und deren dauerhafte Gängelung unter der Androhung von Zerschlagung gewinnt an Bedeutung. Die Europäische Union hat sich hierfür wie kein anderer weltpolitischer Akteur ein breites Instrumentarium zugelegt. Es reicht von der Nachbarschafts- und Beitrittspolitik, über Finanzinstrumente, Polizei- und Rechtsstaatsmissionen sowie Sicherheitssektorreformen bis hin zu "harten" Gewaltmittel wie EU-Battlegroups, schneller Eingreiftruppe und umfassenden Interventionen im Verband mit der NATO. Die meisten dieser Instrumente werden derzeit im „Europäischen Auswärtigen Dienst“ zusammengefasst.

Hiermit will die EU eine weltweit führende Rolle beim Umbau von Staaten, der dauerhaften Verwaltung nicht lebensfähiger Protektorate und notfalls auch der gewaltsamen Zerschlagung von Staaten und Regimen einnehmen. Das europäische Instrumentarium für „ferngesteuerte Bürgerkriege“ und die doppelten Standards im Umgang mit instabilen Regionen sowie die dahinterstehenden Interessen möchten wir beim diesjährigen IMI-Kongress herausarbeiten und Gegenstrategien diskutieren.


PROGRAMM

Samstag 6. November: 12h: Begrüßung

12h15-13h45
Tobias Pflüger:
The European Way of War: Staatsbildungskriege, doppelte Standards und die Abwicklung des Völkerrechts

14h00-15h45
Staatenbau mit "sanfter" Gewalt

-- Malte Lühmann: Ziele und Instrumente neoliberaler Außenpolitik
-- Martin Hantke: Die (Finanz-)Instrumente des Empire Europa
-- Jürgen Wagner: Eurosphere: Nachbarschafts- und Beitrittspolitik im "Großraum Europa"

16h15-18h00
Und bist du nicht willig... Europas militärischer Kontrollapparat

-- Arno Neuber: Eingreiftruppe - Battlegroups - Gendarmerie Force: Europas Militärapparat und seine multilaterale Einbettung
-- Claudia Haydt: "Robuste" Bevölkerungskontrolle: Repressionsinstrumente vom Drohneneinsatz bis zur gezielten Tötung
-- Jonna Schürkes: Sicherheitssektorreformen als Kontroll- und Besatzungstechnik

19h30-21h00
Martin Hantke:
Der Europäische Auswärtige Dienst: Ein State-Building-Instrument für eine imperiale Machtpolitik aus einem Guss


Sonntag 7. November

Staaten zerschlagen -“ Staaten bauen: Ein Projekt der Europäischen Union

9h30-10h30
Jürgen Wagner:
Völkerrechtlicher Amoklauf auf dem Balkan: Mit dem IGH-Gutachten in eine neue Ära der Sezessionskriege?

10h45-11h45
Claudia Haydt:
Sezession und (Nicht-)Anerkennung: Pulverfass Kaukasus

12h00-13h00
Christoph Marischka:
Von Desertec bis zum Golf von Aden -“ europäische Interessen, Sezession, Putsch und Anerkennung in West- und Ostafrika


13h15-14h30
Zusammenfassung und Ausblick: Internationalismus von unten statt Staatsbildung von oben

Aktuelle Informationen

Nach Merkels Vertragsbruch: Verschiebung der Fronten!

Merkel möchte vor allem Ruhe einziehen lassen. Ihre Unterwerfung unter die Ansprüche der Energie-Monopole soll Überleben sichern. Wenigstens noch drei Jahre. Mit ihrer jetzigen Imitation der Machtsprüche eines Schröder hat Merkel einen Schritt getan, den sie bald bereuen wird, aber nicht leicht wieder zurücknehmen kann. Schon der erste Vertrag zugunsten der Energie-Monopole unter der Diktatur Schröder war gegen den Willen einer Mehrheit durchgedrückt worden. Immerhin konnten die Schröder / Trittin damals noch die Illusion verbreiten, mit diesem Vertrag sei Verlässlichkeit eingezogen für künftige Zeiten...

Dass die eiskalte Lügnerin, die bei uns das Kanzleramt wahrnimmt, für ihren neuesten Trick wieder gelogen hat, wird für sich allein niemand schocken. Ihre Behauptungen und die des Hilfsphantasten Brüderle über Arbeitsplätze, Strompreise und Versorgungsqualitäten erstaunten deshalb wenig. Wer schon einmal an der Besichtigung eines KKW teilgenommen hat, wird sich an fast menschenleere Katakomben erinnern. Energieproduktion verlangt weniger Einsatz lebendiger Arbeit als jede andere Produktion. Rührend die Sorge um den Strompreis. Monopolen muss man nicht sagen, wie sie die Gewinne erhöhen. KKW weiß es. Und die Versorgung der Aluminiumwerke mit Energie? Reden wir nicht davon. Die kriegen, was sie brauchen.

Neu an der gegenwärtigen Stufe der Vergewaltigung ist nicht die Lüge. Es ist der endgültige Verzicht auf die Theatralik der Gerechtigkeit. Viele hielten- mehr oder weniger aus Verzweiflung- immer noch an der Illusion fest, die gütige Landesmutter kümmert sich um alle. Das ist inzwischen vorbei. Jeder Vertragsbruch gilt ab jetzt als automatisch gerechtfertigt, wenn nur den großen Monopolen geopfert wird. Das Wort der jeweils letzten Bundesverwalter gilt nicht mehr. Änderungs-Schneiderei nach Bedarf.

Nur: Wer soll da auf die weitere Zukunft bauen? Warum nach der letzten Frist nicht wieder ändern? Wie Eon es nötig hat! Wie es RWE gefällt!

Damit greift Merkel bedenkenlos das letzte Fundament des heutigen Staatslebens an, das in bürgerlichen Kreisen noch trägt. Bürgerlich im eigentlichen Sinn ist vor allem eins: Vertrauen auf eine Sicherheit und Berechnung, die durch Gesetz und Vertrag verbürgt werden . Wird das verletzt, ist alles möglich.

Zwar haben die Atom-Werke ihre Angestellten wohl angetrieben, bei den Umfragen in ntv noch einmal Hurra zu brüllen. Aber das wird nicht vorhalten.

Merkel teilt offen mit: letzter Imperativ ist “deutscher Aufschwung- - das heißt die Zusammenfassung der Interessen der wichtigsten Monopole.

Damit bekennt sie zugleich in wünschenswerter Offenheit: Der Staat kennt keine bürgerlichen Einzelinteressen mehr. Er kennt nur noch die der Gesamtwirtschaft. In der gegebenen Situation: des Exports.

Damit werden auch solche niedergetrampelt, die ihren subjektiven Wünschen nach eigenheimhungrig, aufstiegsgeil und ruhebedürftig sein mögen. Nur: sie kriegen das nicht mehr, was sie begehren. Und finden keine Methode mehr heraus, das möglicherweise noch Erreichte zu sichern.

Bisher regten sich vor allem die Leute um Fessenheim oder Neckarwestheim wegen der Atomgefahr auf. Leute, die weiter weg lebten, konnten sich immer auf die Hoffnung zurückziehen: vielleicht bin ich schon tot vor dem nächsten Tschernobyl. Das geht nicht mehr, wenn die Grundlagen der Gesamtordnung aufs billigste verramscht werden. Insofern ist es nicht unmöglich, dass ganz andere Schichten - weit weg von der unmittelbaren Gefahr- in Bewegung kommen. Gerade solche, die bisher sich immer noch zur Nachtrabkompanie Merkels meldeten. Damit könnte es bald vorbei sein.

Es kommt eins hinzu: auch die Kunst des Lügens erschöpft sich. Allein Merkels Bild der “Brückentechnik- ist- genau betrachtet- hals-und beinbrecherisch. Brücke- ja- aber wohin? Nur wer die bescheidenste Ahnung vom anderen Ufer hat, kann sie betreten.

Brave Schülerinnen und Schüler erinnern sich noch an Christian Fürchtegott Gellert's Geschichte von Vater und Sohn. Der Sohn lügt her, er hätte eine Fabrik gesehen, größer als Papas Dorf. Der Vater drauf: Gibt überall erstaunliche Dinge. Die Brücke vor uns zum Beispiel hat die Eigenheit, dass unweigerlich diejenige sich dort das Bein bricht, die am selben Tag gelogen hat. Für eine Angela deswegen: Unbetretbar.

Die Fabel endet:

“Sie gingen noch ein gutes Stücke;
Der Merkel schlägt das Herz. Wie konnt es anders sein?
Denn niemand bricht doch gern ein Bein.
Sie sah nunmehr die richterische Brücke,
Und fühlte schon den Beinbruch halb.
.....
Die Brücke kömmt. Wie, Merkel, wird dirs gehen!
Der Vater geht voran; Angela hält geschwind.
"Ach Vater!", spricht sie, "seid kein Kind,
Und glaubt, daß ich ein technisch Wunderwerk gesehen.
Denn kurz und gut, eh wir hinüber sind.
Das Werk strahlt eben so, wie alle : tödlich und blind.-


(Winzige Veränderungen an Gellert's Grundtext vorgenommen.)

Sind wir schon zu alt, um für unsere Lebenszeit Merkels Letztgeständnis erwarten zu dürfen? Abwahl allein wird dazu wohl noch nicht reichen.

Bestrafen der Armen

Loïc Wacquant, Soziologieprofessor in Berkeley und Wissenschaftler am Centre de sociologie européenne in Paris untersucht im Buch "Bestrafen der Armen: Zur neoliberalen Regierung der sozialen Unsicherheit" die transatlantisch explodierende Ausweitung des Strafrechtsstaats und dessen untrennbarer Zusammenhang zum Abbau des Sozialstaats und Ausweitung sozialer Unsicherheit.

Der Autor, der bereits mit "Armut hinter Gittern" (Universitätsverlag Konstanz, 2000) einen beeindruckenden Einblick in ein Panoptikum einer überbordenten Gefängnispopulation in den USA lieferte, bezieht diesmal Europa mit ein, wozu er als Franzose der auf beiden Seiten des Atlantiks forscht natürlich prädestiniert ist. Die Zahlen der Inhaftierungen stiegen seit den 1970er Jahre kontinuierlich, um schließlich nach der „Reform“ des Sozialstaats durch die Clintonregierung 1996, welche starke Einschnitte für die Ärmsten zur Folge hatte, bei gleichzeitiger Verschärfung des Strafrechts, bis hin zur Ausgangssperre für Jugendliche, Kriminalisierung von Bagatelldelikten wie z.B. das öffentliche Urinieren bei Obdachlosen, regelrecht aus den Fugen geriet. Sicherheitsfirmen, private Gefängnisse und ein florierender Gefangenen-Import-Export zwischen den Bundesstaaten seien die Folge, Manpower sei heute der größte Arbeitgeber des Landes. All diese staatliche Massnahmen - der Autor benennt sie ausdrücklich und analysiert ihre Auswirkungen auf die einzelnen Länder- tragen den Geist der späteren Hartz-Gesetze (Agenda 2010) der Schröderregierung in Deutschland. Sie implizieren ausdrücklich die Unterscheidung in einen „würdigen“ und „unwürdigen Armen“, erinnern durch ein komplexes Sanktionssystem nicht ohne Grund an Skinners Drillphantasien. Eine wachsende Unsicherheit mache sich auch in Frankreich breit, wo diese Wegsperrmentalität besonders grob kopiert wurde: „So stieg der Anteil der Arbeitskräfte in prekären Beschäftigungsverhältnissen -“ Beschäftigte mit Kurzzeitverträgen, Zeitarbeitskräfte, Beschäftigte auf subventionierten Stellen und in staatlich finanzierten Ausbildungsprogrammen -“ von eins zu elf im Jahre 1990 (oder 1,98 Millionen Menschen) auf eins zu sieben im Jahre 1999 (3,3 Millionen)“ (Seite 250). Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen von 19,9% auf 25,6%, die derer aus den verschämt als „sensibel“ bezeichneten Stadtbezirken gar von 28,5% auf fast 40%. Entsprechend hätte 2003 die Zahl der Gefängnisinsassen die 60.000-Marke -“ bei 48.000 vorhandener Plätze -“ überschritten, die höchste seit Ende des zweiten Weltkriegs. Dies könne auch als Grund für die hohe Selbstmordrate dort, Häftlingsrevolten und die aktuellen Streiks des Gefängnispersonals gelesen werden. Hier hätte man gerne auch eine Schallplatte nennen können, was allerdings nicht Aufgabe einer soziologischen Studie wäre: Johnny Cash at San Quentin etwa, mit seinem eindringlichen Folsom Prison Blues. Oder Ghosts ...of the Civil Dead (1989), ein Film der im Hochsicherheitsgefängnis Marion, Illinois spielt, einem Knast in der Wüste. Nick Cave führt einen Gefangenenaufstand an, die Filmmusik stammt ebenfalls zum Teil von ihm. Wacquant legt dagegen an Hand von Statistiken dar, dass wegsperren mit den tatsächlichen Zahlen der Kriminalitätsstatisiken rein gar nichts zu tun habe, sondern politisch gewollt sei. Diese Wegsperr-Verirrungen seien in den USA, in England wie auch à la française flankiert von reisserischen Fernsehprogrammen, die in Serien zu besten Vorabendzeiten dem voyeuristischen Zuschauer wahre Höllenszenarien liefern, die mit der Realität rein gar nichts zu tun hätten. Die auch in Europa so begeistert aufgenommene „Broken-Windows“-Theorie, die besagt, dass jedes zerbrochene Fenster unwillkürlich ein neues nach sich ziehe, sei in Wahrheit eine populistische Polizei-Mythologie, was in den USA von ihren Protagonisten längst eingeräumt wurde. Sie wirke allerdings wie eine „weltweite Abschussrampe für einen intellektuellen Schwindel und eine Übung in politischen Taschenspielertricks, die, indem sie einem extensiven Polizeiaktivismus eine pseudo-akademische Beglaubigung erteilen, massiv zur Legitimierung der Wende zum strafrechtlichen Management der sozialen Unsicherheit beitragen, die der Staat durch seinen sozialen und ökonomischen Rückzug allerorts erzeugt“ (Seite 273).

Loïc Wacquant wäre kein guter ehemaliger Schüler und Ko-Autor von Pierre Bourdieu gewesen, wenn er nicht noch als theoretischen Schlusspunkt einen „Abriss des neoliberalen Staates“ formulieren würde, die ausführlich auf die zum Teil verkürzten, manchmal oberflächlichen, meist aber linken Interpretationen des modernen Staates eingeht. „Der Staat zieht sich zurück“, allerdings nur bei seiner ureigensten Aufgabe einer gerechten Sozialpolitik und bei der Ahndung der zunehmenden Wirtschaftskriminalität. Für aufmüpfige Arme dagegen gibt es einen hochaufgerüsteten Polizeistaat. Mit das Beste, was die letzen Jahre an soziologischen Studien geliefert wurde.

Quelle: Buchbesprechung von Adi Quarti auf StattWeb

Behr KollegInnen fordern kämpferische Gewerkschaften - im Kampf gegen Betriebsschließung wie gegen S21

Die um ihre Arbeitsplätze kämpfenden Behr KollegInnen haben ein Flugblatt veröffentlicht, das wir gerne dokumentieren:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe S21 Gegnerinnen und Gegner!
Die Bewegung gegen Stuttgart 21 hat das Motto geprägt „Das ist unsere Stadt“.

Zu dieser Stadt gehören der Bahnhof, der Park, der öffentliche Verkehr.

Aber auch unsere Arbeitsplätze.

Es wird behauptet, S 21 schaffe 10.000 neue Arbeitsplätze durch angeblich neue Büros und Gewerbebetriebe, die auf den freien Gleisflächen entstehen sollen. Das ist aber nicht die Wahrheit.
Wir erleben nämlich, dass in Stuttgart Büros und Fabrikgebäude leerstehen und überall Arbeitsplätze vernichtet werden.
Warum soll sich auf einem neuen Gewerbegebiet auf dem bisherigen Gleisfeldes des Hauptbahnhofes Industrie und Gewerbe ansiedeln, wenn das Gewerbegebiet in Feuerbach zur industriellen Ruine wird.

Ein Beispiel dafür ist Behr in Feuerbach. Hier gibt es gerade noch 220 Arbeitsplätze in der Produktion und diese sollen jetzt auch noch vernichtet werden.
Das Werk 8 soll bis zum 30.9.2010 geschlossen werden.

Bei den Kundgebungen haben wir erfahren, dass S 21 ein Projekt für die Profite der Immobilienspekulanten, Banken und Baukonzerne ist.
Auch beim Abbau von Arbeitsplätzen geht es nur um den Profit.


Die Familie Behr gehört zu den 100 reichsten Familien in Deutschland und hat ein Vermögen von einer Milliarde Euro. Wir Beschäftigte in der Produktion bei Behr haben jahrzehntelang die Knochen und Nerven hingehalten und den Betrieb aufgebaut, aus denen Besitzer ihr Vermögen ziehen. Jetzt wird uns eiskalt gesagt: Ihr seid überflüssig!

Wir Arbeiter von Behr haben vor 26 Jahren für die 35-Stunden-Woche an vorderster Front gestreikt und haben entscheidenden Anteil an diesem Erfolg. Auch andere Schlachten der IGM haben wir an vorderster Front mit ausgefochten. Die Schließung von Werk 8 ist deshalb auch ein Angriff auf die Kampftradition der IGM und kampfstarke Belegschaften.

Vor der Betriebsratswahl schrieb sich die IGM den Erhalt ALLER Arbeitsplätze bei Behr auf ihre Fahne und hat uneingeschränkte Unterstützung für dieses Ziel zugesagt. Leider haben die IGM und der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber eine Vereinbarung unterschrieben, wonach der Wechsel in eine Transfergesellschaft oder Auflösungsvertrage mit Abfindungen zwingend vorgeschrieben wird. Ansonsten wird mit einer deutlich weniger Abfindung betriebsbedingt gekündigt. Damit ist für die meisten von uns der Weg zu Hartz IV vorprogrammiert.

Wir haben mehrmals mit Aktionen und Unterschriftensammlungen zum Ausdruck gebracht, dass wir mit dem Verhandlungsergebnis nicht einverstanden sind und wollten weiter kämpfen. Viele von uns wollen weiterhin den Kampf für den Erhalt der Arbeitsplätze führen.

Viele der KollegInnen haben wegen mangelnde Unterstützung seitens der BR /IGM gegen ihre Willen Auflösungsverträge unterschrieben oder mussten in die Transfergesellschaft wechseln.
Es sind jetzt nur noch 30 KollegInnen übrig.

Eigentlich wäre es die Aufgabe der Gewerkschaften eine entschlossenen Kampf sowohl für den Erhalt alle Arbeitsplätze als auch gegen den Unsinn S21 zu führen. Unsere gemeinsame Aufgabe ist für einen radikalen Kurswechsel in den Gewerkschaften, somit auch in der IGM zu sorgen. Wir brauchen dringender denn je die alte Stärke der Gewerkschaften und mehr Demokratie.

Behr will uns die nächsten Tage entlassen, deshalb sind wir auch auf Eure Unterstützung angewiesen und freuen uns jetzt schon über Eure Solidarität.

BEHR Werk 8 Beschäftigte wirbleibenhier@hotmail.de

Video zur Aktion am 18. Oktober

Das auf der Aktionskonfrenz am 21. August 2010 entstandene Video befragt einige Beteiligte welche die geplanten Aktionen am 18. Februar vorstellen und in die weiteren Proteste einordnen. Das Video wurde von dem unabhängigen Fernsehjournalisten und Filmemachers Martin Keßler gedreht und und setzt seine Reihe "Krisen-Splitter" fort.

Flyer zur Aktionskonferenz der AG Georg Büchner am 21. August erschienen

Zur Aktionskonferenz der AG Georg Büchner am 21.08.2010 in Frankfurt am Main ist ein Flyer erschienen:

Vorschau Bild Aktionskonferenz Flyer

Flyer download [PDF: 1.3 MB]

Baskische Impressionen 2010 Teil IV

"60, 65, 70 ...Jahre! Wo soll das hinführen? Rentensystem in Not!" Foto: Wolfgang Hänisch
Der Menschenstrom, der sich am 24. Juni in Bayonne über die Brücke St. Esprit zum Sammelplatz auf dem anderen Ufer der Nive bewegt, reißt nicht ab. Am Place de Reduit treffen sich Gruppen von KollegInnen, um gemeinsam zur Demonstration zu gehen.

Alle Gewerkschaften haben heute landesweit zu Streiks und Demonstrationen gegen die Rentenpläne der Regierung Sarkozy aufgerufen. Vor allem die geplante Verlängerung des Rentenalters auf 62 empört die Menschen.

Vor dem Gewerkschaftshaus und in den umliegenden Straßen ist kein Durchkommen mehr: Hier stellt sich der Demozug auf. Auf dem Bahnhofsvorplatz rote Fahnen mit dem weissen Schriftzug LAB. Ein Transparent: "60, 65, 70 ...ans! Ou va t-on? Erretreta sistema SOS!!!" (60, 65, 70 ...Jahre! Wo soll das hinführen? Rentensystem in Not!!!").

LAB steht für Langile Abertzalen Batzordeak (Kommissionen der baskischen Arbeiter). Diese Kommissionen wurden 1975 in Spanien noch unter Franco gegründet, da Gewerkschaften verboten waren. Nach dem Tod Francos und der Aufhebung des Gewerkschaftsverbots, entwickelte sich LAB im südlichen Baskenland zur drittgrößten Gewerkschaft mit heute 45.000 Mitgliedern und stellt 15 - 20% der Betriebsräte.

Die LAB im nördlichen Baskenland ist dagegen vergleichsweise jung: Vor 10 Jahren, im April 2000 von 80 Gründungsmitgliedern ins Leben gerufen, hat sie heute über 500 Mitglieder und erhielt bei den letzten Wahlen für die Beisitzer der Arbeitsgerichte 3000 Stimmen - damit war sie auch im baskischen Norden zur drittgrößten Gewerkschaft geworden. LAB ist heute die einzige Gewerkschaft, die im ganzen Baskenland, Süden wie Norden, präsent ist.

LAB - die etwas andere Gewerkschaft: "Wir sind keine politische Partei, aber eine politische Gewerkschaft" so Amia Fontang, Repräsentantin der LAB in Bayonne. LAB tritt ein für ein anderes wirtschaftliches und politisches System, das auf der gerechten Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, sozialer Gerechtigkeit, Solidarität und Internationalismus basiert. In diesem Rahmen tritt LAB dafür ein, dass die Basken über ihre Zukunft als Nation selbst entscheiden können. LAB ist radikaler Gegner des Neoliberalismus der multinationalen Konzerne, der Unternehmerverbände und ihres Staates. Der konsequente Kampf in den Betrieben und auf der Straße ist die Hauptmethode ihrer Arbeit. Aufgrund der Dominanz des Dienstleistungs- und Tourismussektors im nördlichen Baskenland führt LAB z.B. Aufklärungskampagnen für die Verteidigung der Rechte der Saisonarbeiter, sowie gegen die weit verbreiteten prekären Arbeitsverhältnisse durch.

Demonstration gegen die Rentenpläne der Regierung Sarkozy Foto: Wolfgang Hänisch
Das Verhältnis zu den Führungen der anderen Gewerkschaften wie CGT, CFDT, FO etc. ist etwas gespannt: Eine Stunde schon zieht der Demonstrationszug vorbei, als es den LAB-KollegInnen "erlaubt" wird sich in den Zug einzureihen - ganz am Schluss. "Am Anfang haben sie uns sehr aggressiv bekämpft - inzwischen hat sich das gelegt. Vor allem an der Basis arbeiten wir gut mit den KollegInnen der anderen Gewerkschaften zusammen. Auch haben wir in letzter Zeit einige Übertritte, vor allem von Mitgliedern der CGT zu LAB, zu verzeichnen" sagt Amia Fontang.

Die Abendnachrichten melden zwei Millionen Teilnehmer an der Protesten in ganz Frankreich, allein in Bayonne waren es zehntausend.

Siehe auch:
Baskische Impressionen 2010 Teil I
Baskische Impressionen 2010 Teil II
Baskische Impressionen 2010 Teil III
Baskische Impressionen 2010 Teil IV

Zu diesem Thema:
Baskische Impressionen, Teil 1: "Non da Jon Anza?"
Baskische Impressionen, Teil 2: Die ETA als angebliches Bindeglied im Drogenschmuggel
Baskische Impressionen, Teil 3: Der Tod von Jon Anza und die Suche nach der "Wahrheit"
Baskische Impressionen, Teil 4: Manipulierung der Wahrheit durch das Verschweigen von Tatsachen
Baskische Impressionen, Teil 5: Ein vorläufiger Schluss

Gerda Taro - eine Stuttgarterin im Spanischen Bürgerkrieg. Teil 3

Republikanische Milizionärin bei Schießübungen. Foto: Gerda Taro 1936, Quelle: WikiMedia
Vor hundert Jahren, am 1.August 1910, wurde Gerda Taro in Stuttgart geboren. Der nachfolgende Teil 2 der historisch-fiktiven Reportage zeichnet wichtige Stationen ihres Lebenswegs nach unter Verwendung von Motiven aus den Arbeiten von Irme Schaber, Gustav Regler, Juan Eduardo Zuniga, George Orwell, Friedrich Schlotterbeck, Gabriel Garcia Narezo und anderen. Teil 1 erschien am 5. August, darin wurde ihr Lebensweg von ihrer Geburt am 1. August 1910 in Stuttgart bis zum 5. August 1936, ihrer gemeinsamen Ankunft mit Robert Capa in Barcelona behandelt. Teil 2 erschien am 7. August. Darin wurde ihr Lebensweg beginnend mit ihrer und Robert Capa's Ankunft in Barcelona dargestellt.

4. Station: Madrid, März 1939

Miguel verbrennt alle Schriftstücke, die „gefährlich“ werden könnten, wenn die Franco -“ Faschisten sie bei ihm fänden: politische Ausweise, Passierscheine, Kontrollblätter, lauter Papiere, die zu Asche werden, in der ein Zeitabschnitt endet. Die Verteidigung von Madrid ist zusammengebrochen, der Einmarsch der Franco -“ Truppen nur noch eine Frage vo wenigen Tagen, vielleicht nur Stunden.

In seiner Brieftasche findet er ein Photo, er erinnert sich nicht, wer es ihm gegeben hatte, es ist im Kleinformat 6x9 mit abgestoßenen Rändern doch die Frau ist gut zu erkennen. Er erinnert sich an die Gruppe von Ausländern, die in der Eingangshalle des Hotels Florida versammelt waren, an die Frau, die sich aus der Gruppe an ihn wandte und um einen Bleistift bat und dabei die Hand ausstreckte, als wäre sie sich sicher, dass er ihn ihr geben würde, und als sie ihn nahm, nickte sie zum Dank mit dem Kopf. Sie war blond und trug das Haar kurz.

Er erinnert sich, dass sie eine Kamera dabei hatte. Einmal sah er, wie sie diese aus dem Lederfutteral zog, den Deckel öffnete, eine Filmrolle einlegte und den Auslöser betätigte, während sie mit der Hand das Objektiv abdeckte, und das alles ganz schnell. Er sah die schlanken Finger, die sich mit der Geschicklichkeit bewegten, die er tausendmal an Händen von Frauen beobachtet hatte, die nähten; bei den Frauen war das Nähen Tradition, etwas vom Laden und Benutzen eines Fotoapparats sehr Verschiedenes. Er erinnert sich an die Diskussion mit einem Journalisten von Ahora, der in unsicherem Französisch behauptete, dass die Fotografie als Dokument etwas Ärmliches sei, da sie nur einen Augenblick einer unermesslichen Wirklichkeit wiedergebe, die sich immerzu verändere.

Mit energischem Tonfall widersprach sie, dass das Fotografieren nicht ein rein mechanischer Akt sei; es brauche ein ausgebildetes Bewusstsein, um das auszuwählen, was man einfangen müsse, und dass das Geschehene nach Jahren des Vergessens nur noch eine unscharfe Erinnerung sei, aber eines Tages diese Fotografien dazu dienen müssten, die Rohheit und die Grausamkeit dieser blutigen Jahre zu verurteilen.

Diese unerwarteten Erinnerungen waren so klar, dass Miguel einige Minuten inne hielt und in der Konzentration auf jene Szenen zu Boden blickte. Ja, sie hieß Gerda, ihr Name war Gerda Taro.
Wie aus einem Traum erwachend, wendet sich Miguel an einen seiner Kameraden: „Hör mal, erinnerst du dich an eine ausländische  Fotografin, die in den Kampfzonen war?“
„Eine Frau, eine Fotografin?“
„Sie war an verschiedenen Frontabschnitten, glaube ich.
„An den Fronten? Ja, eine Gerda, die Deutsche war, ich glaube, sie war in Brunete, und dort wurde sie getötet.“
„Sie wurde getötet?“
„Ja, während eines Luftangriffs der Legion Condor, wenn es die ist, die du meinst.“
„Sie ist während der Offensive bei Brunete gestorben?“

Er wandte den Blick ab und ließ ihn umherschweifen, als suche er etwas, um seine Müdigkeit und seine Überraschung über die vernommene Nachricht zu lindern, aber um ihn war nur feuchte Kälte.

Und Miguel begann seinen Weg durch die Ruinen von Madrid.

Epilog

Aber Miguels Weg und der seiner Kameraden führt immer weiter:

Paris, 24. August 1944
Guadalajara, Brunete, Madrid, Teruel, Ebro, Guernica, Santander, Belchite - so lauten die Aufschriften auf den Seitenwänden der gepanzerten Kettenfahrzeuge, die als erste nach Paris eindringen, um die Stadt zu befreien. Es sind die Namen der großen Schlachten des spanischen Bürgerkriegs. Amado Granell, Bamba, Martin Bernal, Fabregas, Montoyo, Moreno heißen die Männer, die in diesen Fahrzeugen sitzen - es sind Spanienkämpfer, jetzt Angehörige der neunten Kompanie der zweiten französischen Panzerdivision, der "Nueve", der spanischen Kompanie.

Nimes, 24. August 1944

An der Spitze der Parade aus Anlass der Befreiung Nimes marschieren deutsche und österreichische Antifaschisten, ehemals Kämpfer der Internationalen Brigaden in Spanien, heute Mitglieder der Brigaden "Montaigne" und "Bir-Hakeim" der französischen Partisanenbewegung, dem Maquis.
Otto Kühne ist ihr Kommandant. Von Mai 1937 bis August 1938 kämpfte er in Spanien in den Reihen der XI. Internationalen Brigade als Brigadekommisar. Seit 1943 helfen die ehemaligen Spanienkämpfer bei der Ausbildung von Sabotagetrupps der französischen Widerstandsbewegung. 1944 sind bis zu 200 000 Widerstandskämpfer im Rücken der deutschen Wehrmacht aktiv, Otto Kühne kommandiert eine Gruppe von 2700 Kämpfern. Um ihren Mut zu würdigen, marschieren sie an der Spitze der Parade. Otto Kühne wird erster Stadtkommandant von Nimes.

Mailand, 24.April 1945
Seit dem frühen Morgen führt Giovanni Pesce seine Gruppo d`azione patriottica (Patriotische Aktionsgruppe) zum Kampf gegen die faschistischen Besatzer. Giovannis Familie emigrierte vor Jahren nach Frankreich, er arbeitete schon als Junge im Bergwerk. Als er gerade 17 Jahre alt war,brach der spanische Bürgerkrieg aus. Er wechselte über die Grenze und schloss sich den Internationalen Brigaden an. In der Garibaldi-Brigade kämpfte er drei Jahre auf der Seite der Republik. 1940 kehrte er nach Italien zurück.

Nach den Aktionen der GAP-Einheiten beginnt am 25.April der Generalstreik in Mailand, in den folgenden Tagen kommen in Lastwagen die Partisanen aus den Bergen. Als die amerikanischen Truppen am 29.4. die Stadt erreichen, ist Mailand schon in den Händen der Partisanen.

Athen, 30. / 31. Mai 1941
In der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1941 klettern Manolis Glezos und Apostopolos Santas, zwei Studenten, auf die Akropolis und reißen die Hakenkreuzfahne herunter. Diese Aktion wird zum Symbol der griechischen Verweigerung  der Unterwerfung. Im September 1941 wird die Nationale Befreiungsfront EAM gegründet und deren bewaffneter Arm ELAS. 1942 meldet die Wehrmacht, die ELAS habe an der einzigen Eisenbahnverbindung von Thessaloniki nach Athen 170 Sprengungen vorgenommen. Über diese Verbindung läuft 80 Prozent des Nachschubs für das Afrikakorps Erwin Rommels.

Ende 1942 kündigt die Besatzungsmacht die Zwangsverpflichtung zum Arbeitsdienst in Deutschland an. Von 24. Februar bis 5. März 1943 beteiligen sich zehntausende an Streiks und Demonstrationen und die Besatzer werden gezwungen die Zwangsverpflichtung rückgängig zu machen - ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der deutschen Besatzung während des 2. Weltkriegs. Am 12. Juni 1943 streiken in Athen die Straßenbahnfahrer. Der Streik wird von den Faschisten niedergeschlagen und 50 Straßenbahner zum Tode verurteilt. Darauf tritt am 25. Juni ganz Athen in den Generalstreik, die Straßenbahner werden nicht hingerichtet. Ende 1944 ist die ELAS  eine der kampfstärksten Partisanenarmeen des 2. Weltkriegs. Unter ihnen griechische Spanienkämpfer aus der 15. Internationalen Brigade, dem Dimitrov-Bataillon.

Am 2. November 1944 befreit die ELAS Griechenland.

22. Juni 1941
Im Wald von Brezovica in der Nähe der kroatischen Stadt Sisak wird die erste Partisaneneinheit Jugoslawiens gegründet. Innerhalb weniger Jahre entsteht daraus die jugoslawische Volksbefreiungsarmee mit 400 000 aktiven Partisanen. Befehligt werden  die vier Abteilungen dieser Armee von Spanienkämpfern. Ihr Oberkommandierender ist Josip Broz - bekannt als Tito - Organisator der "Geheimen Eisenbahn", durch die osteuropäische Freiwillige für die Internationalen Brigaden von Paris aus illegal nach Spanien geschleust wurden und zeitweilig Kommandeur des Dimitrov-Bataillons der 15. Internationalen Brigade.
Am 20. Oktober 1944 befreien die Partisanen, zusammen mit der Roten Armee, Belgrad. 

Miguel und seine Kameraden hatten nie aufgehört zu kämpfen, sie brachten ihre politischen und militärischen Erfahrungen aus Spanien in die Widerstandsbewegungen der jeweiligen Länder ein und trugen so dazu bei, dass letztlich der Faschismus in Europa zerschlagen werden konnte.

Gerda Taro - eine Stuttgarterin im Spanischen Bürgerkrieg. Teil 1

Gerda Taro im Juli 1937. Foto: Wikimedia
Vor hundert Jahren, am 1.August 1910, wurde Gerda Taro in Stuttgart geboren. Die nachfolgende historisch-fiktive Reportage zeichnet wichtige Stationen ihres Lebenswegs nach unter Verwendung von Motiven aus den Arbeiten von Irme Schaber, Gustav Regler, Juan Eduardo Zuniga, George Orwell, Friedrich Schlotterbeck, Gabriel Garcia Narezo und anderen.

Gerda Taro: Die Stuttgarter Jahre

Eintrag auf dem Stuttgarter Standesamt vom 5. August 1910, vorgenommen durch die Hebamme Maria Bucher:

"Am 1.August 1910 wurde nachmittags um zwölfeinhalb Uhr ein Mädchen geboren. Das Kind hat seinen Namen noch nicht erhalten."


Vier Wochen später:

"Gerta soll sie heißen."


Gerta Pohorylle, Kind des jüdischen Kaufmanns Heinrich Pohorylle und seiner Frau Gisela, beide aus Galizien, wird in unruhigen Zeiten geboren. An ihrem vierten Geburtstag, am 1. August 1914 beginnt der erste Weltkrieg. Die Familie lebt im Hinterhaus Alexanderstr. 170 a, der Vater betreibt eine Eierhandlung am Marienplatz. 1917 wird Gerta in die Königin-Charlotte Realschule, die erste städtische höhere Mädchenschule, eingeschult. Sie macht erste Erfahrungen mit Antisemitismus, spaltet ihr familiäres Leben ab vom öffentlichen. Gerda ist eine gute Schülerin. Aber wenn sie zu spät zum Unterricht erscheint, präsentiert sie den Lehrern selbstgefertigte Entschuldigungsschreiben - mit gefälschter Unterschrift und der doppeldeutigen Formulierung "Meine Tochter Gerda leidet unter Schwindel".

Nach einem einjährigen Aufenthalt in einem Schweizer Mädchenpensionat besucht sie ab 1928 die höhere Handelsschule in der Rotebühlstr. Gerda geniesst die sogenannten "Goldenen Zwanziger Jahre". Sie spielt Tennis auf der Waldau, geht zu den Spielen der Stuttgarter Kickers, tanzt im Excelsior, einer Tanzbar im Friedrichsbau, und im Kunstgebäude. Kleider,Schmuck, Kosmetik, Tanzen und Schallplatten sind ihre Leidenschaft.

Mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise nehmen die "Goldenen Zwanziger" ein jähes Ende: Millionen werden arbeitslos, Massenelend breitet sich aus.

Fikive Begegnung in Leipzig. Gerda Taro trifft Friedrich Schlotterbeck.

Anfang August 1929 zieht die Familie nach Leipzig. Gerda bekommt Kontakt zu sozialistischen und kommunistischen Kreisen. Einer ihrer vielen Verehrer - Georg Kuritzkes - beeinflusst sie nachhaltig. Gerda, die sich nie für Politik interessiert hatte, wird ein politischer Mensch. Die immer härter werdenden Auseinandersetzungen - Streiks, Erwerbslosendemonstrationen, die von der Polizei auseinander geknüppelt werden und das Erstarken der Nazis - bilden dafür den Nährboden.

Georg Kuritzkes ist Mitglied des Kommunistischen Jugendverbands Deutschlands - kurz KJVD. Dieser veranstaltet an Ostern 1930 seinen Reichsjugendtag in Leipzig.

Für den Abend nach der großen Abschlusskundgebung auf dem Augustusplatz vor dem neuen Theater haben sich Georg und Gerda in einer Arbeiterkneipe im Leipziger Norden mit Friedrich Schlotterbeck verabredet. Schlotterbeck, mit Jahrgang 1909 nur wenig älter als Gerda, kommt aus ihrer Heimatstadt Stuttgart. Dort ist er Sekretär des KJVD Württemberg.

Gerda, die an der Kundgebung nicht teilgenommen hat, bestürmt ihn mit Fragen:
" Frieder, was war los auf dem Augustusplatz? Stimmt es, dass die Polizei geschossen hat ?"
Schlotterbeck:
"Ja, no paß amol uff, die Sach war so: Thälmann sprach. An den Masten vor dem Theater glitten rote Fahnen hoch. Grund für die Polizei, aus dem Grimmaischen Steinweg auf den großen Platz zu stürmen. Dort stand die illegale Jungfront. Zwei Polizeioffiziere entsicherten die Pistolen. Schüsse peitschten  über den Platz. Thälmann horchte auf, sprach weiter, beschwörend, die unruhig gewordenen Jugendlichen festhaltend. Am Grimmaischen Steinweg lagen Tote und Verwundete. Anschließend demonstrierten wir durch unbekannte Straßen. Die Polizei umlauerte uns,stürzte sich prügelnd und tretend in unsere Schlussreihen. Auf dem Bürgersteig lag ein umgestürzter Kübelwagen."

Die Toten waren die Berliner Jungarbeiter Otto Dyba und Gustav Zahnke. Zahnke wurde trotz seiner schweren Schussverletzung zunächst ins Leipziger Polizeipräsidium verfrachtet und erst später in ein Krankenhaus, dort erlag er am 25. April 1930 seinen Verletzungen.

Während sich Georg und Gerda, aufgewühlt durch das Gehörte, auf dem Heimweg machen , besteigt Schlotterbeck mit seinen Jungkommunisten die LKWs, die sich auf den langen Rückweg nach Stuttgart machen. Unter geschickter Umgehung zahlreicher Polizeikontrollen erreichen sie schließlich den Stuttgarter Marktplatz, wo Schlotterbeck vor einer schon seit Stunden wartenden Menschenmenge über die Leipziger Ereignisse berichtet. Am anderen Morgen wird er auf der Straße verhaftet.

Drei Jahre später, am 19. März 1933, wird auch Gerda verhaftet.

Gerda im Widerstand


30. Januar 1933: Hitler wird Reichskanzler.
Als am 27. Februar der Reichstag brennt, wird das von den Nazis als Vorwand genutzt, um die antifaschistische Opposition mit einer riesigen Verhaftungs- und Repressionswelle zu überziehen.
Allein in Preußen werden innerhalb von zwei Wochen mehr als zehntausend Personen verhaftet.

Georg Kuritzkes erinnert sich:
"Unter dieser Angst begann eine neue Situation. In der Situation musste man politisch aktiv werden, zeigen, daß man da war. Und da ist der Sas, dieser Musiklehrer, mit ihr - sind überall in den Dörfern um Leipzig herum, auf dem Motorrad gefahren und haben geheim gedruckte Manifeste gegen die Nazis verteilt und an die Wände geklebt."

Der Widerstand in Sachsen entwickelt sich - nach Berlin - zum zweitgrößten in Deutschland. Die Leipziger Jugendlichen melden sich  mit couragierten und ideenreichen Aktionen zu Wort.
Unter ihnen sind auch Gerdas Brüder, Oskar und Karl: "Vom Dach des Kaufhauses, in dem sie arbeiteten, ließen sie Flugblätter auf die Straße wedeln. Das war im März 1933, die ganze Stadt sprach davon. Sofort verdächtigte  die Polizei die Pohorylle-Brüder, die konnten jedoch untertauchen", berichtet Georg Kuritzkes.

Bei der Hausdurchsuchung am Abend des 18. März verhaftet die SA deshalb an ihrer statt kurzer Hand Gerda. Sie spielt bei den Verhören die an Politik völlig uninteressierte, ahnungslose, charmante junge Dame. Daß Gerda aber nicht nur das "kleine, hübsche Ding" ist, beobachtet ihre Mitgefangene Herta H., als sie eines Nachts schreckliche Schreie aus der Männerabteilung hören:

"Wir sitzen im Dunkeln aufgerichtet auf unseren Matrazen, lautlos, ganz wach und mit klopfendem Herzen: Da unten prügelt die Gestapo unsere Kameraden.`Klingeln wir` sagte Gerta. An der Tür ist eine Klingel , die wir nicht benutzen dürfen. Sie klingt schrill durch das ganze Haus. Wir klingeln Sturm, bis sich Gepolter und Schimpfen unsrer Tür nähert."  Ihr Protest war im ganzen Haus zu hören.

Nach siebzehn Tagen Untersuchungshaft wird Gerda entlassen, sie hat niemanden belastet oder gefährdet.

Gerda im Exil.

Als Gerda im Spätherbst 1933 in der französischen Hauptstadt ankommt, ist Paris, neben der Cote d`Azur, bereits eines der kulturellen und politischen Zentren der deutschen Emigration. Für Gerda, die sich erst als Sekretärin,später mit wechselnden Gelegenheitsarbeiten mehr schlecht als recht durchschlägt, spielt sich ein wichtiger Teil ihres Lebens in den Pariser Cafes ab: Hier treffen sich die Emigranten, hier wird kommuniziert und diskutiert.

Im September 1934 lernt Gerda den ungarischen Fotografen Andre Friedmann kennen und wird bald darauf seine Schülerin in der Fotografie. Aus der Arbeitsbeziehung wird eine intensive Liebesbeziehung, die zwar im Lauf der Zeit durch andere Beziehungen von Gerda unterbrochen wird. Aber die Bindung zueinander bleibt immer bestehen. Für Friedmann ist Gerda die Liebe seines Lebens.

Ihre Arbeitstage sind lang und hart. Die Zeitungsredaktionen zahlen oft erst nach Wochen. Filme und Fotomaterial sind vorzufinanzieren. Irgendwann zu dieser Zeit nehmen die beiden andere Namen an: Aus Andre Friedmann wird so Robert Capa - und aus Gerta Pohorylle Gerda Taro.

Am 5. August 1936 kommen Gerda Taro und Robert Capa in Barcelona an.

Revolution mit dem Tanzbein: Hungerlied - Georg Weerth, 1844 (Siebenpfeiffer)

Via dem neuen Blog - Georg Büchner 2010 gefunden:



Das Hungerlied ist ein Gedicht von Georg Weerth (1822-1856), das im Jahr 1844 während der Weberaufstände entstand



Verehrter Herr und König,
Kennst du die schlimme Geschicht?
Am Montag aßen wir wenig,
Und am Dienstag aßen wir nicht.

Und am Mittwoch mussten wir darben
Und am Donnerstag litten wir Not
Und ach, am Freitag starben
Wir fast den Hungertod!

Drum lass am Samstag backen
Das Brot fein säuberlich -
Sonst werden wir Sonntags packen
Und fressen, o König, dich!
cronjob