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Open air Kino: Erinnern an das SS-Massaker in Sant-Anna di Stazzema vor 80 Jahren

Das Plakat zum Film zeigt zwei schwere Vorhänge, zwischen denen sich Rauch in den Innenraum bewegt sowie Titel, Unterstützer:Innen des Films und Jürgen Weber: Autorenfilm
Plakat zum Film
In Verbindung mit den Gedenkfeiern in Italien, am 12. August, dem 80.Jahrestag des SS-Massakers an 560 Menschen in dem Bergdorf Sant’Anna di Stazzema wollen wir in Stuttgart an diesem Tag ein Gedenkzeichen setzen. Wir zeigen den Dokumentarfilm „Das zweite Trauma“ von Jürgen Weber auf dem Schillerplatz.

Dort fanden 2015 vor dem Gebäude des Justizministeriums nach der Einstellung des Verfahrens gegen die Täter durch Staatsanwalt Häusler Protestmahnwachen der Initiative Sant’Anna statt.

Der Film stellt die Ereignisse des 12. August 1944 zusammen. Es kommen überlebende Zeitzeug*innen der Associazione Martiri Sant’Anna di Stazzema 12 Agosto 1944 zu Wort. Es wird aber auch die gescheiterte juristische Aufarbeitung des Verbrechens durch die Staatsanwaltschaft in Deutschland vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart thematisiert.

Beginn der Veranstaltung: 19 Uhr

Ort: Schillerplatz, Stuttgart

Zu der Veranstaltung im Freien mit Filmvorführung bitte Sitzgelegenheiten, Kissen, Decken oder Klappstühle selbst mitbringen (Dauer des Films: 1 Stunde und 12 Minuten)

Quelle: Die Anstifter

Infos zum Film

Pressefreiheit bedroht: LG München I weist Beschwerde gegen Abhören des Pressetelefons der Letzten Generation zurück – GFF und RSF prüfen weitere rechtliche Schritte

Grafische Darstellung des Funktionsprinzips: ganz ein Mobilfunkmast, rechst daneben ein Fahrzeug, dessen Abhöreinrichtung Mobilfunkwellen von mehreren Personen auffängt, die rechts davon stehe und in Richtung des Mobilfunkmastest gehen
Mit den StingRay-Mobilfunksimulatoren kann ein Man-in-the-Middle-Angriff auf Mobiltelefone durchgeführt werden.
Quelle: EFF, CC BY 3.0
München, 7. August 2024 - Das Landgericht München I hat jetzt die von zwei Journalisten eingereichten Beschwerden gegen das heimliche Abhören des Pressetelefons der Letzten Generation zurückgewiesen. Die Beschwerdeführer werden von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und von Reporter ohne Grenzen (RSF) unterstützt.

Anders als das Amtsgericht München, sieht das Landgericht München I in der Abhörmaßnahme einen tiefgreifenden Eingriff in die Pressefreiheit. Gleichzeitig stuft es die Überwachungsanordnung als verhältnismäßig ein und verwirft damit die im November 2023 eingereichten Beschwerden. Gegen diese Entscheidungen prüfen GFF und RSF nun weitere rechtliche Schritte.

Die Beschwerden richteten sich gegen Beschlüsse des Amtsgerichts München, in denen das Gericht die Abhörmaßnahme der Generalstaatsanwaltschaft München für ausreichend begründet und damit rechtmäßig erklärte. Das Grundrecht der Journalist*innen auf Pressefreiheit erwähnte das Amtsgericht in den anordnenden Beschlüssen überhaupt nicht.

„Gezielte staatliche Überwachung von Journalist*innen gefährdet die Pressefreiheit und damit unsere Demokratie. Das darf von Gerichten in einem Rechtsstaat nicht einfach so durchgewunken werden“, sagt Benjamin Lück, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF. „Journalist*innen müssen gerade auch bei Recherchen zu kontroversen Protestformen vertrauliche Gespräche führen können, ohne damit rechnen zu müssen, dass die Sicherheitsbehörden mithören.“

„Journalistische Arbeit braucht vertrauliche Kommunikation. Die Pressefreiheit und in diesem Fall das Fernmeldegeheimnis hätten daher bei den strafrechtlichen Ermittlungen schon vom Amtsgericht unbedingt besonders berücksichtigt werden müssen. Eine angemessene Abwägung ergibt: Die Telekommunikationsüberwachung des Pressetelefons war nicht verhältnismäßig“, betont Rechtsanwältin Nicola Bier.

Die Generalstaatsanwaltschaft München hatte das Pressetelefon der Letzten Generation von Oktober 2022 bis April 2023 heimlich überwacht. Anlass waren Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Bildung einer „kriminellen Vereinigung“. Aus Sicht der GFF war diese Maßnahme eindeutig verfassungswidrig: Das Interesse an der Verfolgung der Tatvorwürfe gegen die Mitglieder der Letzten Generation muss beim Pressetelefon hinter einem so schwerwiegenden Eingriff in die zentralen Grundrechte der Pressefreiheit und des Fernmeldegeheimnisses zurückstehen. Beschwerdeführer sind zwei von der Abhörmaßnahme betroffenen Journalisten, Jörg Poppendieck (rbb) und Jan Heidtmann (SZ). Beide hatten über das Pressetelefon Gespräche mit der Letzten Generation geführt.

Weitere Informationen zum Verfahren.

Quelle: Pressemitteilung Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), 7. September 2024

"Israel hat die Besatzung immer als legal verkauft. Der IGH macht ihnen jetzt Angst".

Die palästinensische Anwältin Diana Buttu erläutert das IGH-Gutachten zum israelischen Militärregime und die Lehren, die aus der Umsetzung des Völkerrechts zu ziehen sind.

Am Freitag, den 19. Juli, entschied der Internationale Gerichtshof (IGH), dass die israelische Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlands, einschließlich Ostjerusalems, rechtswidrig ist und "so schnell wie möglich" beendet werden muss. Das Gericht erklärte, dass Israel verpflichtet ist, unverzüglich alle neuen Siedlungsaktivitäten zu unterlassen, alle Siedler aus den besetzten Gebieten zu evakuieren und den Palästinensern Wiedergutmachung für die durch das 57-jährige israelische Militärregime verursachten Schäden zu leisten. Es bestätigte auch, dass einige der israelischen Maßnahmen in den besetzten Gebieten dem Verbrechen der Apartheid gleichkommen.

Die Entscheidung - ein so genanntes Beratungsgutachten - geht auf einen Antrag der UN-Generalversammlung aus dem Jahr 2022 zurück und ist nicht bindend. Es ist jedoch das erste Mal, dass sich das oberste Gericht der Welt zur Rechtmäßigkeit der israelischen Kontrolle über die besetzten Gebiete äußert, und stellt eine scharfe Ablehnung der seit langem von Israel geltend gemachten rechtlichen Argumente dar.

Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, begrüßte das Urteil, bezeichnete es als "Triumph der Gerechtigkeit" und forderte die UN-Generalversammlung und den Sicherheitsrat auf, weitere Maßnahmen zur Beendigung der Besatzung zu prüfen. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu wies das Urteil als "absurd" zurück und sagte: "Das jüdische Volk ist kein Besatzer in seinem eigenen Land, weder in unserer ewigen Hauptstadt Jerusalem noch in Judäa und Samaria [dem Westjordanland], unserer historischen Heimat". Die Vereinigten Staaten bekräftigten lediglich, dass Israels Siedlungen illegal sind, und kritisierten "die Breite der Stellungnahme des Gerichts", die "die Bemühungen um eine Lösung des Konflikts erschweren wird", so die USA.

Um mehr über die Bedeutung und Tragweite des Urteils zu erfahren, sprach +972 Magazine mit Diana Buttu, einer palästinensischen Anwältin mit Sitz in Haifa, die von 2000 bis 2005 als Rechtsberaterin der PLO tätig war. In dieser Zeit gehörte sie zu dem Team, das vor dem IGH einen Fall bezüglich der israelischen Trennmauer vorbrachte, deren Verlauf das Gericht in einem weiteren nicht bindenden Gutachten für rechtswidrig erklärte. Das Interview wurde aus Gründen der Länge und Klarheit gekürzt.

Diana Buttu ist Juristin und spezialisiert auf Verhandlungen, internationales Recht und internationale Menschenrechte. Zu Beginn ihrer Karriere arbeitete Buttu an den israelisch-palästinensischen Verhandlungen und war während ihrer fünfjährigen Amtszeit die einzige weibliche Verhandlungsführerin.

Buttu war Stipendiatin an der Harvard Kennedy School of Government und an der Harvard Law School. Außerdem war sie Stipendiatin am Stanford Center for Conflict Resolution and Negotiation und ist Dozentin an der Harvard Extension School. Buttu erwarb ihren Bachelor-Abschluss an der Universität von Toronto, einen JD-Abschluss an der Queen's University in Kanada, einen LLM-Abschluss an der Universität von Toronto, einen JSM-Abschluss an der Stanford University und einen Executive MBA-Abschluss an der Kellogg Northwestern School of Management.

Quelle
Wie haben Sie sich gefühlt, als der Präsident des IGH, Nawaf Salam, die Stellungnahme des Gerichts verlesen hat?

Einerseits war ich sehr glücklich, denn es bestätigt alles, was ich und so viele andere Rechtsgelehrte und Aktivisten seit Jahrzehnten sagen. Aber auf der anderen Seite habe ich mich immer wieder gefragt: Warum mussten wir eigentlich vor den IGH gehen? Warum hören die Leute auf ein Rechtsgutachten, aber nicht auf unsere gelebte Erfahrung? Warum hat es so lange gedauert, bis man erkannte, dass das, was Israel tut, falsch ist?

Wie wichtig ist dieses Urteil für die Palästinenser?

Es ist wichtig, das Urteil in seinen richtigen Kontext zu stellen, nämlich als Gutachten. Es gibt zwei Möglichkeiten, den IGH anzurufen. Zum einen kann man sich an den IGH wenden, wenn es einen Streit zwischen zwei Staaten gibt, wie im Fall Südafrika gegen Israel [in der Frage des Völkermords im Gazastreifen], und diese Entscheidungen sind bindend. Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass die UN-Generalversammlung um eine Klärung oder ein Rechtsgutachten zu einer Angelegenheit bittet; dabei handelt es sich um ein beratendes Gutachten, das nicht bindend ist.

Wenn man sich also das Gesamtbild ansieht, muss man bedenken, dass der Einsatz von Gerichten und Gesetzen nur ein Instrument ist, nicht das einzige oder letzte. Das bedeutet nicht, dass es nicht wichtig ist oder dass eine nicht bindende Stellungnahme kein Recht ist. Die größere Frage ist, wie sie sich auf künftiges Verhalten auswirken wird.

Hier ist es wichtig, sich daran zu erinnern, was mit der ersten IGH-Entscheidung [zur israelischen Trennmauer] geschah, die am 9. Juli 2004 erging. Obwohl es sich um eine beratende Stellungnahme handelte, war sie rechtskräftig, und, was noch wichtiger ist, aufgrund dieser Entscheidung wuchs die Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung (BDS) - tatsächlich wurde die Bewegung genau ein Jahr später international gegründet.

Die Menschen sollten also verstehen, dass es nie einen juristischen Knockout geben wird. Die Besatzung wird nicht durch Gerichte und juristische Mechanismen beendet werden - sie wird enden, wenn Israel den Preis dafür zahlt. Und ob dieser Preis nun von außen gezahlt wird, weil die Welt sagt, dass es reicht, oder von innen, weil das System zu implodieren beginnt, es wird eine israelische Entscheidung sein, die Besatzung zu beenden.

Das Gutachten des IGH aus dem Jahr 2004 war eine bahnbrechende Entscheidung, aber sie hat wenig dazu beigetragen, den Bau der Trennmauer zu verhindern oder ihren Verlauf zu ändern. Glauben Sie, dass das neue Gutachten ein anderes Gewicht hat als das frühere, oder dass es andere politische Aktionen auslösen könnte?

Ja. Die Entscheidung von 2004 war aus mehreren Gründen wichtig. Erstens wurde darin nicht nur festgestellt, dass die Mauer rechtswidrig ist, sondern es wurde auch über die Verpflichtungen von Drittstaaten gesprochen, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten und nicht zu den Schäden beizutragen. Sie haben Recht, die Mauer blieb bestehen, und die nicht bindende Entscheidung hat den Bau nicht gestoppt, weil sie nicht durchgesetzt wurde. Sie hat jedoch die Art und Weise geändert, wie Diplomaten und andere mit der Mauer umgehen.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass dieses neue Gutachten viel größer und umfassender ist. Das Gericht zerreißt die Idee von Friedensverhandlungen, von den Osloer Verträgen, von den Palästinensern, die eine dauerhafte Besetzung akzeptieren, in Stücke. Und während die Regierungen vielleicht weiterhin an ihrer Position festhalten, dass Verhandlungen der einzige Weg nach vorne sind, wird es jetzt in jeder Hauptstadt der Welt ein juristisches Memo geben, das besagt, dass der Internationale Gerichtshof entschieden hat [dass Verhandlungen der besetzten Bevölkerung nicht die Rechte nach der Genfer Konvention nehmen können].

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die israelischen Siedlungen im Westjordanland zur Normalität geworden sind, und hier haben wir eine Entscheidung, die das untergräbt und besagt, dass die Siedlungen und die Siedler gehen müssen. Angesichts dieser Tatsachen rechne ich damit, dass sich die Politik ändern wird. Das geschieht vielleicht nicht sofort, aber es wird die Einstellung der Menschen zur Besatzung verändern.

Welchen Wandel in der Politik oder in der Denkweise erwarten Sie von der internationalen Gemeinschaft?

Ich kann ein Beispiel aus Kanada nennen, wo ich geboren wurde. Kanadas Vorlage [für das Verfahren vor dem IGH in diesem Fall] war sehr typisch: Es bestätigte, dass der IGH für diese wichtige Frage zuständig ist, sagte dann aber, dass der beste Weg zur Lösung dieses Problems Verhandlungen sind. Aber das ist so, als würde man sagen - verzeihen Sie den Vergleich -, dass eine Person, die verprügelt wird, einfach mit ihrem Peiniger verhandeln muss. Nun hat das Gericht darauf verzichtet und eindeutig festgestellt, dass es einen Besetzer und einen Besetzten gibt. Deshalb erwarte ich jetzt - und ich werde sogar anfangen zu fordern - dass die kanadische Regierung ihren Standpunkt ändert.

Ein weiteres Beispiel, bei dem ich eine Änderung erwarte, ist die Frage der Siedler. Wenn man sich die Zahl der Siedler ansieht, die heute in den besetzten Gebieten leben, so sind es nach vorsichtigen Schätzungen 700.000. Im Verhältnis zu den 4 Millionen Menschen im gesamten Gebiet [des Westjordanlandes, einschließlich Ostjerusalem] ist das ein sehr hoher Prozentsatz. Und das ist wichtig, weil es zeigt, dass so viele israelische Siedler die Besatzung verinnerlicht und normalisiert haben.

Israelische Soldaten hindern die Bewohner des palästinensischen Dorfes Az-Zuweidin daran, auf ihren privaten Weiden zu grasen und nehmen drei Palästinenser fest, südliches besetztes Westjordanland, 4. Mai 2024.
Israelische Soldaten hindern die Bewohner des palästinensischen Dorfes Az-Zuweidin daran, auf ihren privaten Weiden zu grasen und nehmen drei Palästinenser fest, südliches besetztes Westjordanland, 4. Mai 2024.
Foto © Omri Eran Vardi/Activestills
Die Frage ist, ob die israelischen Siedler sich selbst als Menschen betrachten werden, die illegal auf palästinensischem Land leben - und ich vermute, das wird ein Nein sein. Was ich mir aber wünsche, ist, dass dieses Handeln und diese Wahrnehmung nicht länger normalisiert werden und dass man erkennt, dass die Besatzung Schaden angerichtet hat, der beendet werden muss. Israel hat bei der Normalisierung der Siedlungen gute Arbeit geleistet, und es gibt keine Grüne Linie mehr - Netanjahus gestrige Erklärung [gegen das Urteil des IGH] ist ein Beweis dafür. Aber das muss sich ändern.

Ich denke, wir befinden uns in einem ähnlichen Moment wie in den 1980er Jahren mit der Apartheid in Südafrika. Damals sagten die Befürworter der Apartheid den Anti-Apartheid-Aktivisten, dass sie die Situation einfach nicht verstehen würden. Die Apartheid war so normal geworden. Zehn Jahre später war sie es nicht mehr. Und heute, 30 Jahre später, fällt es mir schwer, jemanden zu finden, der sagt, die Apartheid sei eine gute Sache gewesen.

Gab es etwas in dem Gutachten, das Sie überrascht hat?

Vieles hat mich nicht überrascht, aber ich habe mich gefreut, dass bestimmte Elemente enthalten sind. Eines dieser Elemente war die Konzentration auf den Gazastreifen, denn seit 2005 hat Israel dieses Narrativ des "Rückzugs" übernommen und behauptet, dass es dort keine Besatzung gibt. Viele Menschenrechtsorganisationen kämpfen dafür, dass der Gazastreifen tatsächlich besetzt ist - dass es eine effektive israelische Kontrolle gibt und dass Israels Verantwortung mit dem Ausmaß dieser Kontrolle zusammenhängt. Ich habe mich gefreut, dass das Gericht dies bestätigt und dieses Argument aus der Welt geschafft hat, vor allem, weil es meines Wissens keine Resolutionen des UN-Sicherheitsrates zu diesem Thema gibt.

Zweitens war ich sehr erfreut zu sehen, dass das Gericht sagte, dass Reparationen gezahlt werden müssen, und zwar nicht nur in Form des Abbruchs aller Siedlungen, sondern auch des Wegzugs der Siedler. Und drittens wurde den Flüchtlingen die Rückkehr [in die Häuser, aus denen sie 1967 geflohen oder vertrieben worden waren] gestattet. Dies ist ein Eingeständnis des Schadens, den 57 Jahre militärische Besatzung angerichtet haben.

Ich war etwas überrascht, dass die australische Richterin [Hilary Charlesworth] klar und deutlich gesagt hat, dass Israel sich nicht auf Selbstverteidigung berufen kann, um eine militärische Besatzung aufrechtzuerhalten, oder in Bezug auf Widerstandshandlungen gegen die Besatzung; ich habe dies schon lange argumentiert, und es ist gut zu sehen, dass ein Richter dieselbe Bemerkung macht. Die neue amerikanische Richterin, Sarah Cleveland, stimmte zwar im Großen und Ganzen mit der Meinung des Gerichts überein, hatte aber eine sehr interessante separate Meinung: Sie argumentierte, dass das Urteil mehr Aufmerksamkeit auf Israels Verantwortlichkeiten im Rahmen des Besatzungsrechts speziell für Gaza hätte lenken sollen, sowohl vor dem 7. Oktober als auch jetzt.

Israelische Politiker, sowohl in der Regierung als auch in der Opposition, lehnten das IGH-Gutachten ab und bezeichneten es als antisemitisch und parteiisch. Glauben Sie, dass sich hinter diesen Reaktionen echte Sorgen oder Ängste verbergen?

Das Foto zeigt die Situation
Israelische Siedler, unterstützt von israelischen Soldaten, greifen palästinensische Bewohner, Autos und Geschäfte in der besetzten Stadt Huwara im Westjordanland in der Nähe von Nablus an, 13. Oktober 2022.
Foto: © Oren Ziv/ActiveStills
Ja, die Befürchtung ist, dass sie als Rassisten entlarvt werden und dass sie vielleicht tatsächlich die Besatzung beenden müssen. Es könnte auch eine weltweite Aktion geben [um Druck auf Israel auszuüben]. Sie sind auch besorgt, weil sie diejenigen sind, die die Siedler überhaupt erst dorthin gebracht haben, und es könnte sein, dass die Siedler eine Entschädigung für ihren Weggang fordern.

Netanjahu hat das Existenzrecht Palästinas nie anerkannt. Erst neulich hat die Knesset gegen die Gründung eines palästinensischen Staates gestimmt. Und es waren nicht nur die Likudniks, oder [Itamar] Ben Gvirs, oder [Bezalel] Smotrichs, die dafür gestimmt haben, sondern auch andere Abgeordnete, darunter [Benny] Gantz. Sie haben nie erkannt, was sie 1948 getan haben oder welchen Schaden sie heute anrichten. Stattdessen lassen sie sich von dem Konzept der jüdischen Vorherrschaft leiten - dass nur sie ein Recht auf dieses Land haben.

Israel hat die Besatzung immer als irgendwie legal verkauft, und seine Handlungen als irgendwie gerecht und richtig, mit diesen dummen Behauptungen einer "moralischen Armee". Es gibt keine moralische Armee auf der Welt - wie kann man moralisch Menschen töten? Sie behaupten, man könne sich an den israelischen Obersten Gerichtshof wenden, und jeder Palästinenser weiß, dass ein Gericht, das als Arm der Besatzung eingerichtet wurde, keine Gerechtigkeit bringen kann. Wenn sie nun ein Gericht haben, das von außen auf sie schaut und sagt, dass das, was sie tun, illegal ist, dann ist das natürlich erschreckend für sie.

Das Apartheid-Südafrika verhielt sich genauso, als es sich mit den Stellungnahmen des IGH auseinandersetzen musste. Am Ende jedes IGH-Gutachtens sagte die Apartheid-Regierung immer das Gleiche: dass nur Südafrika über Südafrika urteilen kann, was bedeutet, dass nur ein rassistisches System beurteilen kann, ob das System rassistisch ist. Das ist es, was Israel sagt: nur wir, das rassistische System, können entscheiden, ob es rassistisch ist. Aber dann geht man hinaus und sieht, dass die internationalen Regeln bestätigen, dass das System rassistisch ist und abgebaut werden muss. Das ist beängstigend für Israel.

Einige israelische Völkerrechtsexperten spielen die Bedeutung des Urteils des IGH herunter, indem sie betonen, dass es nicht bindend ist, und argumentieren, dass das Gericht nicht gesagt hat, dass die Besatzung illegal ist, sondern nur, dass es für Israel illegal ist, die Besatzungsregeln zu missachten. Was halten Sie von diesen Behauptungen?

Sie haben Recht, aber es herunterzuspielen ist auch ein Irrweg. Nach internationalem Recht kann man eine legale Besatzung haben, aber nur als vorübergehender Staat für eine kurze Zeit, um Recht und Ordnung wiederherzustellen und Bedrohungen zu beseitigen. Das Problem mit der israelischen Besetzung ist nicht nur die Dauer, sondern auch die Tatsache, dass sie nie als vorübergehend gedacht war. Seit 1967 hat Israel erklärt, dass es das Westjordanland niemals aufgeben wird. Es leugnete, dass die Palästinenser ein Recht auf dieses Land haben, und begann fast sofort mit dem Bau und der Erweiterung von Siedlungen. Die Dauer und die Praktiken sind es, die Israels Besetzung illegal machen.

Dieselben israelischen Rechtsgelehrten erkennen nicht, was Schaden bedeutet. Die Aufrechterhaltung einer Besatzung erfordert Gewalt. Die Aneignung von Land, das Aufstellen von Kontrollpunkten, der Bau von Siedlungen, ein Militärgerichtssystem und ein Genehmigungssystem, die Entführung von Kindern mitten in der Nacht, die Zerstörung von Häusern und der Diebstahl von Wasser: Alles, was diese Besatzung mit sich bringt, ist Gewalt. Die israelischen Experten können also versuchen, das Urteil herunterzuspielen, so viel sie wollen, aber sie täten gut daran, die Besatzung endlich zu beenden, anstatt sich etwas einfallen zu lassen, um sie zu verschönern.

Sie sagen, dass die Handlungen Israels vom ersten Tag der Besetzung 1967 an illegal waren. Sehen Sie die derzeitige Regierung oder die letzten 15 Jahre der Netanjahu-Regierung als gefährlicher an als die vorhergehende? Oder setzt sie im Grunde die gleiche Politik gegenüber den Palästinensern und den besetzten Gebieten fort, die wir seit mehr als einem halben Jahrhundert kennen?

Das Foto zeigt die Situation
Palästinenser passieren den Qalandiya-Kontrollpunkt auf dem Weg vom Westjordanland zum vierten Freitagsgebet des Ramadan in der Al-Aqsa-Moschee, 29. April 2022.
Foto © Oren Ziv / ActiveStills
Es ist dasselbe und es ist anders. Es ist dasselbe, weil es seit 1967 keine einzige israelische Regierung gegeben hat, die den Ausbau der Siedlungen gestoppt hat. Man kann sich jedes andere Thema in Israel ansehen, und die Regierungen haben unterschiedliche Politiken, aber dies eint sie. Es spielt also keine Rolle, ob es Labor, Likud oder Kadima war; Netanyahu ist in dieser Hinsicht nicht anders.

Neu ist nur, dass diese Regierung ihre Position so unverfroren vertritt. Während es in der Vergangenheit vielleicht Leute gab, die von einer Zweistaatenlösung sprachen, hat Netanjahu während seiner gesamten Amtszeit sehr deutlich gemacht, dass es niemals einen palästinensischen Staat geben wird und dass die Palästinenser keine Rechte haben.

Sie kritisieren die Palästinensische Autonomiebehörde seit langem für ihre Versäumnisse. Wie wird sie Ihrer Meinung nach mit diesem Urteil und den anderen jüngsten Verfahren vor dem IGH und dem IStGH umgehen, sowohl auf der diplomatischen Ebene als auch vor Ort?

Eines der großen Probleme im Jahr 2004 war, dass wir keine palästinensische Führung hatten, die auf die Umsetzung des IGH-Urteils [zur Trennmauer] drängte. Sie befand sich immer noch in dem, was sie für die Blütezeit der Verhandlungen hielt, und lebte immer noch in einer Fantasiewelt. Deshalb ist die BDS-Bewegung schließlich auf den Plan getreten und hat Druck gemacht.

Diesmal bin ich wirklich besorgt, denn wenn es etwas gibt, das man aus dieser Entscheidung mitnehmen kann, dann ist es [eine Kritik an] all diesen so genannten "großzügigen [israelischen] Angeboten", unter denen die Palästinenser zu leiden hatten. Der IGH stellt klar, dass [die besetzten palästinensischen Gebiete] kein israelisches Gebiet sind, mit dem Israel großzügig umgehen kann. Nicht nur das, die Stellungnahme des IGH ist eine Anklage gegen Oslo: Sie besagt, dass es keine Rolle spielt, was unterschrieben wurde, Palästina hat immer noch ein Recht auf Selbstbestimmung, und kein Abkommen kann dieses Recht außer Kraft setzen.

Das Foto zeigt die beschriebene Situation
Ein Demonstrant hisst die palästinensische Flagge vor israelischen Soldaten während einer Demonstration in Beita im besetzten Westjordanland, 8. September 2023.
Foto © Wahaj Bani Moufleh/Activestills
Meine Befürchtung ist, dass Abu Mazen [Präsident Mahmoud Abbas] nur ein Konzept kennt, und das sind Verhandlungen. Ich fürchte, dass der Druck der USA und Westeuropas groß genug sein wird, damit er sagt: Das ist alles schön und gut, aber wir glauben, dass Verhandlungen der einzige Weg nach vorne sind.

Und wenn Sie der Palästinensischen Autonomiebehörde einen Rat geben würden, was würden Sie ihr vorschlagen?

Die Palästinensische Autonomiebehörde sollte von Hauptstadt zu Hauptstadt gehen, um Unterstützung für die Idee zu bekommen, dass die Siedlungen illegal sind und die Siedler gehen müssen. Ich würde mich nicht mit der Idee eines Landtausches beschäftigen, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Ich würde mich nicht mit der Idee von Verhandlungen beschäftigen; sie sind kein schlechtes Mittel, aber bei den Verhandlungen muss es um etwas gehen. Wenn sie zum Beispiel über Pestizide, die Wirtschaft oder die Freizügigkeit verhandeln, ist das alles in Ordnung. Aber über die eigenen Rechte zu verhandeln, ist etwas sehr Abscheuliches, und ich kann nicht glauben, dass es im Jahr 2024 noch Menschen gibt, die in solchen Kategorien denken.

Ich würde ihnen also raten, alles zu tun, was möglich ist, um sicherzustellen, dass die Siedlungen und Siedler geräumt werden - was nicht zur Debatte stehen sollte - und Israel beginnt, einen Preis zu zahlen. Ich verstehe, dass der palästinensische Präsident unter militärischer Besatzung steht und dass die Wirtschaft unter israelischer Kontrolle ist. Aber diese Abhängigkeit muss durchbrochen werden.

Wie kann die palästinensische Führung diese Entscheidung des IGH nutzen, um die Beendigung des Krieges gegen den Gazastreifen voranzutreiben?

Ich glaube nicht, dass die derzeitige Führung in der Lage ist, etwas für Gaza zu tun. Es ist sehr traurig für mich, das zu sagen, aber ich habe das Gefühl, dass vielen von ihnen der Gazastreifen egal ist.

Und wenn wir von der palästinensischen Führung als Ganzes sprechen, nicht nur von der PA?

Zunächst brauchen wir eine palästinensische Führung, die durch Wahlen zustande kommt. Meine Befürchtung für den Gazastreifen ist, dass all dieses [internationale] Gerede über das "Wer" [wer die Macht übernehmen wird], aber kein wirkliches Gerede über das "Was" stattfindet. Die Leute sagen, dass diese oder jene Person gut wäre, und am Ende konsolidiert sich alles um Abu Mazen, als ob es in Palästina keine anderen Leute gäbe, die eine Führungsrolle übernehmen könnten.

Es gibt niemanden, der die Palästinensische Autonomiebehörde [in ihrer jetzigen Form] leiten möchte. Es gibt einen Grund dafür, dass es in Ramallah keinen Putsch gab, seit Abu Mazen das Amt übernommen hat: Es ist ein undankbarer, dummer Job, bei dem man praktisch der Sicherheitslieferant für Israel ist.

Was wir brauchen, ist eine glaubwürdige gewählte Führung mit einer Gesamtstrategie und einer Vision für alle Palästinenser, vor allem aber jetzt für den Gazastreifen. Und für mich geht es darum, Israel für alles, was es getan hat, zur Rechenschaft zu ziehen, insbesondere seit dem 7. Oktober. Es ist entmutigend, immer wieder [von internationalen Kommentatoren und Politikern] zu hören, dass nichts [den Hamas-Angriff vom] 7. Oktober rechtfertigt, und doch wird alles, was Israel in Gaza tut, mit dem 7. Oktober gerechtfertigt. Wir müssen anfangen, diese Ideologie zu durchlöchern und Israel zur Verantwortung zu ziehen - dann kann man mit dem Wiederaufbau des Gazastreifens beginnen.

Ich hoffe, dass eine neue, geeinte und gewählte palästinensische Führung einen Schritt zurücktreten, Oslo und die begangenen Fehler bewerten und diesen Moment nutzen würde, um voranzukommen. Ich glaube nicht, dass die derzeitige Führung zu einer solchen internen Reflexion in der Lage ist.

Die PLO war immer davon besessen, dass die palästinensischen Entscheidungen in den Händen der Palästinenser liegen sollten, und die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) hält auch heute noch an dieser Besessenheit fest. Aber wenn die Palästinensische Autonomiebehörde mit diesem Moment nicht richtig umgeht, und ich vermute, dass sie das nicht tun wird, werden wir sehen, wie viele Aktivisten, die BDS-Bewegung und andere internationale Organisationen die Fackel in die Hand nehmen.

Das Urteil bezieht sich auf die seit 1967 von Israel besetzten palästinensischen Gebiete. Manche würden sagen, dass dieser Geltungsbereich sehr eng gefasst ist und Verbrechen und Verstöße, die bis 1948 zurückreichen, ignoriert, oder dass er die Palästinenser dazu zwingen könnte, eine Zukunft nur auf den Linien von 1967 zu akzeptieren. Wie gehen Sie mit den Einschränkungen dieses Urteils für die palästinensische Sache um?

Das war der erste Kritikpunkt an der Frage des IGH, und ich teile diese Kritik: Wenn man sich nur auf 1967 konzentriert, gibt man Israel einen Freibrief. Man kann die Besatzung nur verstehen, wenn man versteht, was Israel während der Nakba und während der Zeit der Militärherrschaft [innerhalb Israels] getan hat, unter der die palästinensischen Bürger 19 Jahre lang bis '66 lebten. Die Vorstellung, dass man beides [1948 und 1967] voneinander trennen kann, ist eine Fiktion.

Das Foto zeigt die Situation
Israelische Streitkräfte zerstören das gesamte nicht anerkannte Dorf Wadi al-Khalil in der Naqab, 8. Mai 2024.
Foto © Oren Ziv / ActiveStills
Für die Palästinensische Autonomiebehörde gibt es zwei Hauptgründe, sich auf 1967 zu konzentrieren: Erstens, weil sie die Besatzung als den unmittelbaren Schaden ansieht, der rückgängig gemacht werden muss, und zweitens, weil sie meiner Meinung nach 1948 schon vor Jahrzehnten aufgegeben hat - nicht erst mit der Unterzeichnung von Oslo, sondern schon vorher, mit der Unabhängigkeitserklärung der PLO im Jahr 1988.

Für die Palästinensische Autonomiebehörde gibt es auch einen begrenzenden politischen Hintergrund. In vielerlei Hinsicht hat sie die Wiedergutmachung für die Nakba aufgegeben, was praktisch bedeutet, dass sie das Recht auf Rückkehr aufgibt. Sie sagen vielleicht, dass sie es unterstützen, aber ich sehe es einfach nicht.

Es gibt eine Möglichkeit, über die 48er Jahre zu sprechen und trotzdem einen politischen Kompromiss anzustreben. Das ist die palästinensische Position seit vielen Jahren, aber in den letzten 20 Jahren war das nicht die Position der Palästinensischen Autonomiebehörde. Wenn ich zurücktrete und mir anschaue, wo die Palästinenser stehen, dann glaube ich, dass es die politische Überzeugung gibt, dass wir die 48er Jahre aufgeben werden - nicht nur das Gebiet, sondern auch die Geschichte - um zu versuchen, das zu erhalten, was von den 67er Jahren übrig geblieben ist.

Die Palästinenser haben im Laufe der Jahre das Vertrauen in das Völkerrecht verloren, weil es sie nicht geschützt hat. Glauben Sie, dass die jüngsten Vorstöße vor dem IGH und dem IStGH den Palästinensern einen neuen Grund geben, dieses Vertrauen wiederzubeleben?

Ich verstehe die Wut auf das Rechtssystem, denn das Recht ist oft ein Spiegelbild der Macht. Aber es kann auch als Instrument eingesetzt werden. Israel hat seine Besatzung sehr geschickt durchgeführt - nicht nur vor Ort, sondern auch in der Art und Weise, wie es die Besatzung verkauft und den Widerstand dagegen blockiert hat, insbesondere in den Vereinigten Staaten, Kanada, Australien und anderen westlichen Ländern.

Dieses Urteil des IGH eröffnet neue Möglichkeiten [für die Rechenschaftspflicht]: Es soll sichergestellt werden, dass Israel keine Freihandelsabkommen nutzen kann, dass französische Bürger keine Sozialhilfe erhalten, wenn sie in einer illegalen israelischen Siedlung leben, und dass Siedler finanziell sanktioniert werden und nicht in bestimmte Länder reisen dürfen. Aber das alles erfordert eine Menge Arbeit.

Ghousoon Bisharat ist Chefredakteurin der Zeitschrift +972.

Quelle: +972mag

Übersetzt von: Thomas Trueten

Angriff auf den „roten Winkel“

Das Bild zeigt einen roten dreieckigen Winkel mit der Spitze nach unten
Der Rote Winkel
Vor einiger Zeit vernahm man lautstarkes Getöse aus dem Berliner Innensenat und vom hessischen Innenminister. Sie forderten die Innenministerkonferenz und die Bundesinnenministerin auf, den „roten Winkel“, den sie glaubten als „Hamas-Symbol“ denunzieren zu können, zu verbieten. Sie stützten sich dabei auf einzelne Fotos aus Kreuzberg und einigen Stadtteilen Londons, wo an öffentlichen Stellen ein längliches rotes Dreieck - angeblich zur „Feindmarkierung“ - zu sehen war.

Wie wenig historische Bildung muss in den Köpfen dieser Politiker angekommen zu sein, wenn sie glauben, dies sei der „rote Winkel“?

Wir erinnern daran: Der „rote Winkel“ war die „Feindmarkierung“ des NS-Regimes gegen seine politischen Gegner und später aller Häftlinge aus den überfallenen Ländern, die in den Konzentrationslagern den roten Winkel mit einem Nationalitätenbuchstaben tragen mussten. Sie trugen ihn - nach der Befreiung von Faschismus - mit Stolz, in dem Bewusstsein, den faschistischen Terror überstanden zu haben und sich dem politischen Vermächtnis der Überlebenden - bis heute - verpflichtet zu fühlen. Wer also glaubt, den „roten Winkel“ verbieten zu können, der versucht damit das europäische antifaschistische Vermächtnis zu verbieten.
Vor einigen Jahren tönte schon einmal die Trump-Regierung, man müsse „die Antifa“ als Terrororganisation brandmarken. Damals nahmen Politiker der CDU/CSU diese „Vorlage“ gerne auf. Heute denunziert die ungarische Staatsanwaltschaft „die Antifa“ als internationales Terrornetzwerk und die bundesdeutsche Justiz liefert Beschuldigte auf fragwürdiger Grundlage nach Ungarn aus.
Solche Angriffe auf die Idee des Antifaschismus und ihre Organisationen sind in der BRD nicht neu. Immer wieder versuchten Bundes- und Länderregierungen Antifaschismus zu denunzieren und dessen Symbole zu kriminalisieren. Schon zweimal untersagte die Berliner Regierung am 8./9. Mai ein würdiges Gedenken an die Befreier und die Befreiung durch die militärischen Kräfte der Anti-Hitler-Koalition. Mit Polizeieinsatz wurde die öffentliche Präsentation deren Symbole an Gedenkorten in Berlin unterbunden.

Selbst mit dem Mittel des Steuerrechts, dem versuchten Entzug der Gemeinnützigkeit für die VVN-BdA, wurde antifaschistische Arbeit torpediert. Einer breiten gesellschaftlichen Solidarität war es zu verdanken, dass dieser Angriff auf die älteste überparteiliche antifaschistische Vereinigung in unserem Land abgewehrt werden konnte.

Gegen solche politische Bestrebungen treten wir - gemeinsam mit anderen europäischen Antifaschisten - auf. Die Bewahrung des politischen Vermächtnisses der Überlebenden der Lager und Haftstätten, die Würdigung der Befreier und der Befreiung sind unser Leitmotiv.

Der „rote Winkel“ bleibt unser Symbol. Der lässt sich nicht verbieten!

Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e.V.
Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/ Freundeskreis e.V.

Quelle: VVN-BdA Aachen


„Gezwungen, das Richtige so zu tun, dass es falsch aussieht“

Das Foto zeigt das Buchcover mit Titel und HerausgeberInnen vor dem Hintergrund eines zerstörten Gebäudes
© Sebastian Schröder
Anfang dieses Jahres erschien in der Edition Tiamat der Sammelband „Nach dem 7. Oktober - Essays über das genozidale Massaker und seine Folgen“, herausgeben von Tania Martini und Klaus Bittermann. Es war das erste im deutschsprachigen Raum erschienene Buch, das den 7. Oktober zum Thema hat. Aber wer nach Informationen und Analysen sucht - in diesem Buch findet mensch sie nicht.

Adressiert ist das Buch an die linke Öffentlichkeit in Deutschland. Die vielen linken Organisationen und Menschen in Deutschland, die verschämt oder passiv-aggressiv schweigen oder die sogar die israelische Politik rechtfertigen, sollen durch das Buch genau darin bestätigt und bestärkt werden.

Nach rechtsstaatlichen Maßstäben hätten die Verbrechen vom 7. Oktober durch ein unvoreingenommenes Justizsystem untersucht und dann über die Täter*innen und die Verantwortlichen geurteilt werden müssen. In einem zweiten Schritt hätten die Ursachen - die systematische Ungleichheit und die historische Ungerechtigkeit - verhandelt und im Kompromiss überwunden werden müssen. Nur dieser Prozess der Versöhnung kann den Konflikt lösen.

Stattdessen sieht die ganze Welt in Gaza in allen Einzelheiten ein außergewöhnliches Kriegsverbrechen, das in Heftigkeit, Ausmaß und Dauer so zuletzt im Zweiten Weltkrieg - bei der Belagerung von Leningrad 1941-44 - verübt wurde. Blockade, Bombardierung, Vertreibung, Verschleppung und Ermordung, Zerstörung ganzer Stadtteile und jeglicher Infrastruktur charakterisieren das Vorgehen der israelischen Armee. Es sind unzählige rassistische und gewalttätige Erklärungen höchster Politiker*innen und Militärs belegt, ebenso ist die vollkommen entgrenzte Kriegsführung der israelischen Armee dokumentiert.

„Nach dem 7. Oktober“ bietet keine Analysen zum Verständnis der Ereignisse, sondern ausschließlich eine radikal pro-israelische Position, die der Rechtfertigung von Unverhältnismäßigkeit und Entmenschlichung dient, wie im Folgenden dargelegt werden soll.

Nur vier der Texte wurden für das Buch geschrieben, alle anderen Beiträge sind ursprünglich Veröffentlichungen in der deutschen Presse aus dem Zeitraum von Oktober bis Dezember 2023. „Sie bezeugen einen bestimmten historischen Moment“, so Martini und Bittermann Und vor allen Dingen zeigen sie einen einseitigen Standpunkt.

Die zentralen Argumente werden von Martini und Bittermann im Vorwort knapp formuliert. Indem der 7. Oktober als „genozidales Massaker“ gelabelt wird, soll es als heutige Verlängerung des historischen Judenmordes des deutschen Faschismus gesehen werden. Das „Charakteristische der Shoah“ sei der „Antisemitismus und das Totale der Tat“. Die Herausgeber*innen sehen deshalb den „Zionismus als legitimes Projekt einer verfolgten und versprengten Minderheit“. Diese Position ist zentral für die Rechtfertigung der israelischen Politik gegenüber den Palästinenser*innen.

Der Gegner ist die postkoloniale Theorie, die nach Meinung der Herausgeber*innen die Delegitimierung des Staates Israel zum Ziel hat. Denn durch Kritik an Unrecht und Ungerechtigkeit wird die herausragende Bedeutung des Staates Israel als Folge von einzigartiger Verfolgung und Ermordung relativiert. „Israel […] als siedlerkolonialistischen Staat zu beschreiben, der Rassismus, gar Apartheid praktiziere und schlimmer noch, sich eines Genozids an den Palästinensern schuldig mache, soll diesen Staat delegitimieren.“ Im Kontext der anderen Thesen von Martini/Bittermann ist klar, dass jede kritische Äußerung als substantielle Gefährdung des Staates Israel, und damit des Staates der Überlebenden der Shoa, gelesen werden soll. Israelkritik und Antisemitismus werden gleichgesetzt. Auf die analytische Kategorie „siedlerkolonialistischer Staat“ wird nichts weiter entgegnet, auch nicht auf die Vorwürfe von systemischem Rassismus.

Während also der israelische Staat „als sichere Heimstätte und Resultat aus der von Diskriminierung, Verfolgung und Mord geprägten Geschichte der Juden und Jüdinnen“ gesehen wird, seien die Taten des 7. Oktober „unbeschreibbar“: „Das Morden der Hamas war derart hassvoll, sadistisch und entmenschlichend, dass die richtigen Worte fehlen, um zu beschreiben, was geschehen war.“

Israel ist das Opfer der Hamas, die „das Töten aller Juden“ zum Ziel hat. Obwohl die Hamas „seit 2007 die Palästinenser regelrecht enteignet und unterdrückt hat“ - was immer das auch genau heißen mag - werden jetzt Hamas und Gaza von Martini/Bittermann gleichgesetzt. „Dieses Massaker war lange und im Detail geplant - mit immens viel Geld und einer ungeahnt perfekten Infrastruktur in Gaza im Rücken.“ Nach dieser Argumentationskette sind alle Taten der israelischen Armee - obwohl Martini/Bittermann zugeben, dass die „Folgen der Bombardierung […] fürchterlich“ sind - gerechtfertigt: „Dennoch ist die Zerstörung der terroristischen Infrastruktur und der Hamas alternativlos.“ Stützen wollen die Autorinnen ihre kollektive Dämonisierung der Palästinenser*innen mit den Ergebnissen einer Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung, nach der die Mehrheit der befragten Palästinenser*innen die Taten des 7. Oktobers gutheiße.

Nicht nur werden Hamas und Gaza gleichgesetzt, sondern die Kritik an der israelischen Regierung wird pauschal mit dem Antisemitismus-Verdacht belegt: „Andere […] betrieben eine perfide Täter-Opfer-Umkehr. Weltweit kam es zu antisemitischen Äußerungen und Übergriffen.“ Damit die klassische Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus diffamierend wirken kann, müssen die Autor*innen unkonkret bleiben. „Oft wurden Plakate, die ihre Gesichter [der israelischen Geiseln] zeigten und in vielen Metropolen plakatiert waren, um an sie zu erinnern, heruntergerissen.“

Dass die israelische Regierung rechtsradikal ist, kann von den Autor*innen nicht ignoriert werden. Im Gegensatz zur „rechtsextremen Hamas“ gibt es in Israel anscheinend aber nur zwei Faschisten, und deren Agieren ist dysfunktional: „Ein Finanzminister Bezalel Smotrich oder ein Itamar Ben-Gvir […] sind längst auch ein Risiko für Israels innere Sicherheit.“ Die völkerrechtswidrige Besatzung oder die Einteilung der Menschen anhand ethnischer Kriterien werden nicht angesprochen. Stattdessen werden der israelische Staat und die israelische Gesellschaft als vorbildlich demokratisch beschrieben. Mit dem Verzicht auf die reaktionäre Justizreform und dem Erhalt der Rolle des Obersten Gerichts, mit dem Einsetzen einer Kommission zur Untersuchung der Fehler der Armee und mit einer Meinungsumfrage, in der dem Rücktritt von Netanjahu - nach Kriegsende - mehrheitlich zugestimmt wird, beweist sich nach Martini/Bittermann Israel als zivilisiertes Ganzes, das unter den Fehlern von Netanjahus Regierung leidet.

Sie rekurrieren auf das Bild von Israel als der einzigen Demokratie im Nahen Osten; so wollen sie davon ablenken, dass die Mehrheit der Bürger*innen rechts bis rechtsaußen gewählt hat, dass die Mehrheit der jüdisch-israelischen Bevölkerung rechts ist. Israel ist nicht nur das Opfer der Hamas, sondern auch der feindlichen arabischen Nachbarländer: „Dem Beschuss aus Gaza folgten Raketen aus Jemen und Libanon. Israel blieb keine Zeit für Trauer.“

Diese Thesen - israelische Harmlosigkeit gegen palästinensisch-arabische Totalaggression - sind der Grundkonsens aller Beiträge des Buches. Viele Artikel sind nicht der Rede wert; aus einigen Beiträgen sollen aber exemplarische Passagen zitiert werden.

Der Artikel „Wir, die Linken? Nicht mehr!“ der französischen Soziologin Eva Illouz gehört zu den bekanntesten Texten in der Diskussion in Deutschland, auch weil die Süddeutsche Zeitung auf eine Bezahlschranke verzichtet. Die linksliberale Intellektuelle beruft sich als Einzige auf rechtliche Kategorien: „Moralisches Empfinden, bürgerliches Recht und internationales Recht machen eine klare Unterscheidung zwischen verschiedenen Tötungsarten. Kollateralschäden […] unterscheiden sich moralisch und rechtlich von der Enthauptung von Kindern, weil ein anderes Maß an Absicht und direkter Verantwortung dahinter steht. Diese Unterscheidung zu leugnen, käme einer Leugnung der Voraussetzungen unseres Rechtssystems gleich.“ Da schon mit den ersten Erklärungen israelischer Politiker*innen und Generäle nach dem 7. Oktober offen der Bruch des Völkerrechts angekündigt wurde, richtet sich jede Forderung nach der Einhaltung internationalen Rechtes immer gegen Israel, das hat Eva Illouz wohl als eine von wenigen nicht erkannt. Und auch der Mythos der durch die Hamas enthaupteten Kinder wurde bekanntlich kurz nach dem 7. Oktober zweifelsfrei widerlegt. Trotzdem macht Illouz diese Lüge zu einem wichtigen Bild in ihrer Argumentation. Natürlich schweigt sie gleichzeitig zu den Fotos und Videos der durch israelische Bomben geköpften Kinder in Gaza.

Sie besteht auch darauf, dass es zwischen dem allgemeinen Konflikt zwischen Palästinenser*innen und Israelis einerseits und der Intention der Hamas andererseits keinen Zusammenhang gäbe: „Aber wir haben es hier mit mehreren […] Narrativen ohne feste oder ursächliche Verbindung zu tun.“ Sie sagt daraus folgernd: „[…] ich weigere [mich], das Leiden der Palästinenser am Verlust ihres Landes zu kontextualisieren. Wenn ich ihre Tragödie erfassen will, muss ich den Kontext ausblenden.“ Nicht verstehen wollen als Erkenntnismethode: So versucht sie, die israelische Regierung und Armee zu decken, und gleichzeitig das rechtswidrige und grausame Verbrechen an den palästinensischen Menschen zu relativieren.

Der Soziologe Armin Nassehi ist in der deutschen Öffentlichkeit als konservative Stimme sehr präsent. Bei ihm heißt es: Israel „kann nach dem Überfall der Hamas nur alles falsch machen. Die Hamas nicht zu zerstören, wäre eine Garantie für bereits angekündigte Wiederholungen des Überfalls. Es zu tun, erzeugt Bilder, die Israel ästhetisch in die Nähe eines Aggressors bringen. Die asymmetrische Kriegsführung der Hamas macht die eigene Bevölkerung nicht nur zur Geisel, sondern führt den Gegner als moralisches Monster vor. Die Kategorien verschwimmen, und das nicht, weil Israel prinzipiell etwas falsch machen würde, sondern weil es gezwungen wird, das Richtige so zu tun, dass es falsch aussieht.“ Offener kann die bedingungslose Unterstützung der israelischen Kriegsverbrechen nicht formuliert werden.

Seyla Benhabib, weltbekannte Politologin, Philosophin und Mitherausgeberin der „Blätter für deutsche und internationale Politik“, fordert: „Es darf nicht zu einer zweiten Nakba kommen.“ Allerdings sind die von ihr geforderten Maßnahmen ja gerade zentrale Elemente der systematischen Vertreibung: „Der Waffenstillstand muss mit der sofortigen Evakuierung der Verwundeten, Alten und Jungen aus dem Gazastreifen einhergehen. […] Die Nachbarländer und die Gemeinden im Westjordanland sowie Jordanien und Ägypten und andere Länder müssen sich bereit erklären, palästinensische Flüchtlinge aufzunehmen, die den Kampfhandlungen entkommen wollen.“

Der Historiker Volker Weiß hat ein Standardwerk zur Neuen Rechten geschrieben. Er behauptet in „Nach dem 7. Oktober“: „Hinter einer pro-israelischen Fassade der Partei gibt es […] ganz andere Präferenzen.“ Die AfD, die im Bundestag 2019 den Anstoß für den berüchtigten Pro-Israel-Beschluss zu BDS (Boykott, Desinvestition, Sanktion) gegeben hat, ist „als Bollwerk gegen Antisemitismus […] unglaubwürdig.“ Das bürgerliche Pro-Israel-Lager möchte anscheinend nicht mit der AfD zusammen gesehen werden. Gewöhnlicher Rassismus darf bei Weiß auch nicht fehlen: Antisemitische Thesen „rufen im Netz begeisterte Reaktionen bei Nutzern mit türkischen und arabischen Namen hervor“.

Vier Beiträge wurden in „Nach dem 7. Oktober“ zum ersten Mal veröffentlicht. Zu Doron Rabinovici „Im Morgengrauen“ und Natan Snaider „Die Wunde Israel“ wird in Kürze ein eigener Artikel erscheinen, da dies die beiden programmatischen Texte des Buches sind.

Phillipp Lenhards nichtssagender Aufsatz „Worte finden“ folgt ganz der oben beschriebenen Argumentationskette. Neuartig ist allerdings seine These, die der Abwertung der Menschen mit palästinensischem Hintergrund in Deutschland dient: „Palästinenser stellen […] mit geschätzten 200.000 Personen […] eine vergleichsweise kleine Gruppe dar. […] Die Forderung, endlich den ‚migrantischen Stimmen‘ zuzuhören, diente also nicht selten dem Zweck, unter Verweis auf palästinensische Kronzeugen die deutsche Unterstützung Israels zu delegitimieren.“

Es folgen jetzt Zitate aus „Vom UN-Podium in den Gaza-Tunnel“ von Thomas von der Osten-Sacken und Oliver M. Piecha, eigens für das Buch „Nach dem 7. Oktober“ geschrieben:

„Da hocken sie nun im Dunklen der Tunnel von Gaza […] sie tragen ihr grünes Band um die Stirn und eine Balaclava macht sie gesichtslos. Bis sich irgendwo eine Falltür öffnet, der Himmel sichtbar wird und etwas Furchtbares auf die Welt losgelassen wird. Quälen, Töten, Vergewaltigen und Beutemachen: So verweist ihr Stammbaum doch eher auf die Orks, dieses Fußvolk des Bösen aus Tolkiens ‚Herr der Ringe‘. […] Es fällt schwer, solche Gestalten ob ihrer stumpfen, ungeheuren Brutalität nicht zu entmenschlichen.“

„Die hohe Kunst der Palästinenser bestand über Jahrzehnte im Sich-oben-Halten; möglichst ganz oben auf der Agenda, immer getrieben von der Angst, unter die Aufmerksamkeitsschwelle zu rutschen. ‚Palästina‘ wurde so zu einer extrem erfolgreichen Marke.“

„Wenn der Palästinenser nicht um Aufmerksamkeit heischt, ist er praktisch schon vergessen.“

„Der Palästinenser harrt als Ork im Tunnel oder liegt als Kind unter Haustrümmern begraben, ob Täter oder Opfer, er ist gesichtslos.“

„Wie ein Heer von Golems stehen sie [gemeint sind Pro-Palästina-Demonstrierende] plötzlich massenhaft herum, weil der Hass auf Israel einen Funken Lebendigkeit in ihnen erregt hat. Wirklich relevant ist dabei wohl einzig die Frage nach dem Identifikationsangebot ‚Palästina‘ als Ausdruck diverser Frustrationserfahrungen muslimisch geprägter Einwanderer.“

Wir fragen die anderen Autor*innen in „Nach dem 7. Oktober“: Macht es Ihnen nichts aus, im gleichen Buch wie Osten-Sacken/Pliecha zu veröffentlichen?

Wir fragen die Rezensent:innen des Buches „Nach dem 7. Oktober“: Warum haben Sie nicht auf die Aussagen von Osten-Sacken/Pliecha hingewiesen?!?

Dieses Buch unterstützt voll und ganz die brutale Vertreibung, Unterdrückung und Vernichtung des palästinensischen Volkes durch die israelische Politik. Nirgendwo Zweifel, nirgendwo Debatte - alle Autor*innen stehen felsenfest an der Seite des israelischen Staates. Ihre Beiträge erklären nichts und rechtfertigen alles.

Eine Rezension von Sebastian Schröder, Diplom-Soziologe

Erstveröffentlichung auf Die Freiheitsliebe.


k9 - combatiente zeigt geschichtsbewußt: „The Birth of a Nation - Aufstand zur Freiheit“

Der Flyer zum Film zeigt zeitgenössische Grafiiken wie den Titel des Films, Nat Turner mit einem Messer in der Hand, sowie Massenszenen aus dem Film und die Eckdaten zum Film selbst.Der Film zeigt die Geschichte des Sklavenanführers Nat Turner

Der Film durchläuft die Stationen eines Leidensweges: die Machtstrategien und die Herablassung der weißen Besitzerklasse, selbst in Momenten der Freundlichkeit; sowie die physischen, psychischen und nicht zuletzt sexuellen Demütigungen. Bis zum Punkt, an dem Nat Turner den Schritt zum handelnden Subjekt vollzog, anstatt Objekt weißer Kalküle und Aktionen zu bleiben.

Erzählt wird die wahre Geschichte von Nat Turner, einem gebildeten Sklaven und Prediger, angesiedelt im Süden der Vereinigten Staaten von Amerika 30 Jahre vor Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs. Sein vom Bankrott bedrohter Besitzer Samuel Turner nimmt das Angebot an, Nats Fähigkeiten als Prediger einzusetzen, beruhigend auf rebellische Sklaven einzuwirken. Als Nat im Zuge seiner Tätigkeit Zeuge unzähliger Grausamkeiten wird - gegen ihn selbst, seine Frau Cherry und befreundete Sklaven, organisiert er einen Aufstand in der Hoffnung, sein Volk in die Freiheit zu führen.

Am 21. August 1831 begann der Aufstand - die „Turner-Rebellion“ — mit lediglich acht Männern, die ihre Sklavenhalter töteten. Doch die Aufständischen erhielten einerseits Zulauf durch freie Afroamerikaner, andererseits zogen die Rebellen von Farm zu Farm, töteten die Besitzer, befreiten die Sklaven, von denen sich wiederum weitere anschlossen — am Höhepunkt der Revolte leitete Nat Turner rund 70 Kämpfer. Die Bewaffnung war mäßig, die Männer gingen mit Messern und Äxten gegen die Unterdrücker vor, zumal die (wenigen) erbeuteten Gewehre zu viel Aufsehen erregt hätten. Auf diese Weise gelang es ihnen, mindestens 55 Weiße auszuschalten, hunderte Sklaven in Southampton County vorübergehend zu befreien. Der Aufstand von 1831 wurde so zu „einer Art Wendepunkt für die Sklaverei im Alten Süden“ Nat Turner, wurde ein Held für viele Afro-Amerikaner!

Produzent, Regisseur und Drehbuchautor des Films Nate Parker übernahm selbst die Rolle des Protagonisten Nat Turner und entwickelte das Drehbuch gemeinsam mit dem haitianischen Autor Jean McGianni Celestin.

Insgesamt hatte Parker sieben Jahre am Film und der Entwicklung des Drehbuchs gearbeitet, und nach mehreren gescheiterten Kreditverhandlungen selbst den größten Teil der Anfangsfinanzierung des Films übernommen, insgesamt 100.000 US-Dollar seines eigenen Geldes investiert.

Historischer Film von Nate Parker 2016 - 120 Minuten
Trailer

Sonntag 25. August 2024 - 19 Uhr

combatiente zeigt geschichtsbewußt: revolucion muß sein! filme aus aktivem widerstand & revolutionären kämpfen

kinzigstraße 9 + 10247 berlin + U5 samariterstraße + S frankfurter allee

Für palästinensische Eltern löst jeder Tag dieses Krieges existenzielle Ängste aus

In der Vernichtung des Gazastreifens sehen wir eine Vision unserer Zukunft als Palästinenser innerhalb Israels. Sollen wir uns an unser Land klammern oder für die Sicherheit unserer Kinder sorgen und das Land verlassen?

Meine 3-jährige Tochter spielt gerne das, was wir das "Kartoffelspiel" nennen. Sie sitzt in einer Decke, während ich sie hochhebe und schwinge und dabei rufe: "Fünf Kilo Kartoffeln! Fünf Kilo Kartoffel!" Heutzutage finde ich dieses Spiel erschreckend. Es erinnert mich an die Videos von Kindern im Gazastreifen, die die Leichenteile ihrer Geschwister in eine Decke einwickeln und sie so lange tragen, bis sie eine Beerdigung durchführen können. Vielleicht will ich meiner Tochter beweisen, wie stark ich bin, oder sie zum Lachen bringen, weil ich immer noch zustimme, dieses Spiel mit ihr zu spielen, wenn sie darum bittet. Aber ich verstehe, warum meine Frau versucht hat, uns das Spiel zu verbieten, wenn sie sieht, wie ich mich meinen Traumata ergebe.

Das Foto zeigt ein Flüchtlingslager im südlichen Gazastreifen. Kinder sitzen in einem aus Plastikplanen gebildeten Zelt vor einer Feuerstelle. Andere Menschen laufen umher.
Das Foto von © MohammedZaanoun / Activestills zeigt ein Flüchtlingslager Anfang Januar 2024 im südlichen Gazastreifen. Kinder sitzen in einem aus Plastikplanen gebildeten Zelt vor einer Feuerstelle. Andere Menschen laufen umher.
Für die Palästinenser in Gaza waren es mehr als neun Monate unerbittlicher Bombardierung. Für mich, einen Palästinenser in Israel, waren es mehr als neun Monate ständiger Angst um meine Tochter und ihre Zukunft. Ich bin gegenüber den schrecklichen Videos noch nicht unempfindlich geworden: Jedes Bild eines palästinensischen Vaters, der den leblosen Körper seines Kindes hält, erinnert mich an die Gefahr, der meine Tochter hier ausgesetzt ist. Wenn mich der Krieg etwas gelehrt hat, dann die traurige Wahrheit, dass das Leben unserer Kinder wertlos ist, nicht nur für die israelische Gesellschaft, sondern für die ganze Welt - eine Welt, in der sie unerwünscht sind, die sie nach ihrer Hautfarbe, Religion und Nationalität beurteilt und ihre Existenz als "demografisches Problem" betrachtet.

Wie egoistisch und unbeteiligt muss ich klingen, wenn ich unsere Situation mit dem Ausmaß der Katastrophe in Gaza vergleiche, wo die Eltern mit den schlimmsten Albträumen konfrontiert sind, die man sich vorstellen kann. Und wir Palästinenser in Israel und im besetzten Westjordanland sind nicht in Massen auf die Straße gegangen, um gegen die anhaltenden Massaker zu protestieren - sei es aus Angst vor Verfolgung oder einfach aus Lähmung. Dies ist ein Zeichen der Schande, mit dem wir leben müssen.

Ich kann mich nicht dazu durchringen, andere Palästinenser dafür zu kritisieren, dass sie in ihren Häusern bleiben, obwohl ich die Rücksichtslosigkeit des israelischen Militärs sehe und wie diese Kriegsverbrechen in den israelischen Medien gerechtfertigt werden. Als Eltern haben wir alle mit den gleichen existenziellen Ängsten zu kämpfen. Was wird mit meiner Tochter geschehen, wenn ich verhaftet werde? Was wird ihr durch den Kopf gehen, wenn sie sieht, wie die Polizei mich gewaltsam in Gewahrsam nimmt? Oder wenn wir von einem israelischen Mob körperlich angegriffen werden? Könnte ich die Vorstellung ertragen, dass sie zusieht, wie ich brutal gedemütigt werde, wie die unzähligen Väter in Gaza, die in israelischer Haft verhungern?

Für mich und meine Familie als Bewohner von Jaffa - der einzigen palästinensischen Gemeinde inmitten von etwa 4 Millionen Juden im Großraum Tel Aviv - stellt sich die Frage: Was werden sie mit uns machen? Vielleicht werden sie uns in ein Ghetto stecken, wie sie es nach 1948 getan haben? Vielleicht werden sich bewaffnete jüdische Gruppen organisieren, um uns zu schaden, wie sie es während der Einheitsintifada im Mai 2021 getan haben - und wie sie es jeden Tag im Westjordanland tun?

Nur drei Jahre nach dem Mai 2021 und seinen Folgen, als Palästinenser in Jaffa und anderen so genannten "gemischten Städten" Zeugen staatlicher Gewalt wurden, die sich mit der Gewalt des zionistischen Mobs synchronisierte, werden wir daran erinnert, wie hohl unsere Staatsbürgerschaft ist - besonders in Krisenzeiten.

Unser ständiges Dilemma
Meine Tochter liebt es, Videos auf YouTube anzusehen, aber als verantwortungsbewusste Eltern beschränken wir ihre Bildschirmzeit auf 15 Minuten pro Tag. Gelegentlich, wenn ich mit ihr zusammen sitze und sie anschaue, taucht erschreckende Werbung auf: staatliche Propaganda, die für den Krieg wirbt, oder Lieder, die zu mehr palästinensischem Blut aufrufen. Zum Glück versteht sie kein Hebräisch und kann nicht begreifen, wie gefährlich unsere Situation ist.

Jedes Mal, wenn wir mit ihr in die örtlichen Parks gehen, sehen wir jüdisch-israelische Eltern mit ihren Sturmgewehren - eine Mischung aus Soldaten, die nicht im Dienst sind, und normalen Bürgern, die von der Entscheidung des Ministers für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, profitiert haben, nach dem 7. Oktober mehr als 100.000 Waffenscheine zu verteilen. Ich kann nicht anders als zu denken: Welches Kriegsverbrechen haben diese Eltern während ihres Militärdienstes begangen, und ist es für uns sicher, in ihrer Nähe zu sein?

Auf TikTok sehen wir, wie unsere jüdisch-israelischen Nachbarn den Gazastreifen zerstören und die Palästinenser misshandeln und demütigen - ein Ausdruck des hemmungslosen Bösen, der in der israelischen Gesellschaft nicht einmal mit einem leisen Protest quittiert wird. So dystopisch es auch klingen mag, diese Bilder sind unsere Zukunft auf Film gebannt. Das wirft weitere Fragen auf: Wohin würden wir fliehen? Werden uns die arabischen Länder aufnehmen? Wird man uns humanitäre Hilfe schicken?

Ein Mann sitzt mit 12 Kindern vor einem Geburtstagskchen. Die Kinder sind mit Luftballons und spitzen Geburtstagshüten ausstaffiert
Im Krieg von 2021 feiert ein palästinensischer Mann den Geburtstag seines Sohnes über den Trümmern seines von israelischen Flugzeugen zerstörten Hauses.

Foto: © Mouhammed Zanoun
Jeden Tag stehen palästinensische Eltern vor diesem ständigen Dilemma: Halten wir an unserem Land fest oder sorgen wir für die Sicherheit unserer Kinder und verlassen es? Trotz unserer relativen Sicherheit sind auch wir Palästinenser innerhalb Israels verwundbar, da es keine Institution gibt, die uns schützt oder in unserem Namen auf internationaler Ebene spricht. Andererseits wird unser Leben sinnlos, wenn wir unser Land und unsere Gemeinschaft aufgeben.

Die Welt sympathisiert nur so lange mit den Palästinensern, wie sie in Palästina sind. Sobald wir das Land verlassen, werden wir zu einem Ärgernis - sei es als Flüchtlinge in arabischen Ländern, die uns als politische Bedrohung und Quelle der Instabilität betrachten, oder im Westen, dessen Regierungen sich weigern, unsere Menschlichkeit anzuerkennen. Würde meine Tochter es mir verübeln, wenn ich sie als Flüchtling in ein fremdes Land mitnehme?

Die Kriegsverbrechen und Massaker in Gaza haben die harte Realität enthüllt, wie gefährlich das Leben hier für alle Palästinenser ist, die der Willkür Israels ausgeliefert sind. Ich habe großen Respekt vor all denen, die sich trotz allem dafür entschieden haben, im Gazastreifen, im Westjordanland und in den Grenzen von 1948 zu bleiben, und mein Herz bricht für all die Eltern, die für diese Entscheidung einen hohen Preis bezahlt haben. Aber ich verstehe auch diejenigen, die alles getan haben, um ihre Kinder zu schützen, selbst um den Preis, dass sie zu Flüchtlingen wurden. Wir sind schließlich Menschen, die ihr Land und ihre Kinder zutiefst lieben.

Quelle: Von Abed Abou Shhadeh 15. Juli 2024 via +972mag

Abed Abou Shhadeh ist ein politischer Aktivist aus Jaffa. Er war von 2018 bis 2024 Vertreter der palästinensischen Gemeinde in Jaffa-Tel Aviv im Stadtrat und moderiert derzeit den Al-Midan (الميدان)-Podcast bei Arab48.
Übersetzung: Thomas Trueten

186.000 Getötete in Gaza

An die Wuppertaler Unterstützenden des offenen Briefes „ Aus aktuellem Anlass: Kein Platz für Antisemitismus an Hochschulen“

Sehr geehrter Herr Lutter, sehr geehrter Herr Bedenbender, sehr geehrter Herr Freudenberg, sehr geehrte Frau Gräsel, sehr geehrter Herr Hartung, sehr geehrter Herr Heinen, sehr geehrter Herr Johrendt, sehr geehrter Herr Jürges, sehr geehrte Frau König, sehr geehrte Frau Schneider, sehr geehrter Herr Grimm, sehr geehrter Herr Hunze, sehr geehrte Frau Lütke-Harmann,

Das Foto zeigt Zerstörungen in Rafah
Foto © Mohamed Zanoun via activestills.org
Sie haben am 2. Juli 2024 den offenen Brief „ Aus aktuellem Anlass: Kein Platz für Antisemitismus an Hochschulen“ unterzeichnet.

Ich möchte Sie auf die folgende Veröffentlichung aufmerksam machen:

„Counting the dead in Gaza: difficult but essential“ - Artikel von Rasha Khatib, Martin McKee und Salim Yusuf, erschienen am 5. Juli 2024 in The Lancet.

Der Artikel bezieht sich auf die grosse Studie „Global burden of armed violence“, Geneva Declaratian Secretariat, Geneva 2008

Es wird angenommen, dass die Zahl indirekter Todesfälle in modernen bewaffneten Auseinandersetzungen die Zahl direkter Todesfälle um den Faktor drei bis fünfzehn übersteigt. Die Autor:innen setzen für Gaza das Ergebnis konservativ mit dem Faktor vier an. Sie kommen unter dieser Annahme, bei Berücksichtigung von Unsicherheiten, zu dem Ergebnis, dass von Oktober 2023 bis zum 19. Juni 2024 circa 186.000 Menschen getötet wurden.

Als angemessener historischer Vergleich der Belagerung einer Millionenstadt ist die Blockade von Leningrad 1941 bis 1944 heranzuziehen. Hier wurde innerhalb von 28 Monaten schätzungsweise ein Drittel der Bevölkerung durch Hunger, Krankheit und Beschuss getötet. Dabei starben von den circa 1,1 Millionen Opfern etwa 16.000 direkt durch Waffengewalt. Die systematische Zerstörung der Infrastruktur durch die deutsche Armee war integraler Teil der deutschen Kriegsführung.

Es gibt allerdings auch signifikante Unterschiede zwischen Leningrad und Gaza: Während Leningrad eine weitläufige Metropole mit Umland war, umfasst Gaza lediglich eine Fläche von 45 Quadratkilometern.

Gaza ist mit über 12.000 Einwohner:innen pro Quadratkilometer der am dichtesten besiedelte Ort der Welt. Etwa die Hälfte der Bevölkerung sind Kinder und Jugendliche. Durch diese Faktoren liegt eine hohe Vulnerabilität vor.

Durch die Blockade und die Bombardierung seit dem 10. Oktober wurden alle Bereiche der Infrastruktur zerstört. Elektrizität, Wasser und Abwasser, Strassen, Krankenhäuser, Schulen, Universitäten sind Ziele systematischer Angriffe durch die israelische Armee.

Daraus resultiert ein eklatanter Mangel an Wasser, an Nahrungsmitteln, an Medizin, an Dingen des täglichen Bedarfs. Durch gravierenden und langhaltenden Mangel hervorgerufene Schwäche führt zu Verbreitung vermeidbarer Krankheiten, zum zunehmenden Sterben von Kranken, Alten und Kindern.

Nahezu alle Bewohner:innen sind Binnenvertriebene. Mehr als fünfzig Prozent der Wohngebäude sind zerstört. Unter den Trümmern werden mindestens 10.000 nicht geborgene Leichen vermutet.

Alle Bürger:innen in Gaza sind seit neun Monaten in einer körperlicher und psychischen Extremsitation, die durch Verlust und Todesangst gekennzeichnet ist.

Israel hat eine der modernsten Streitkräfte weltweit. Armee, Luftwaffe und Marine setzen Waffen aller Gattungen und Munition aller Kaliber in Gaza ein. 1000 Pfund Bomben und 2000 Pfund Bomben werden in die Stadt mit der welthöchsten Bevölkerungsdichte abgeworfen.

Es muss davon ausgegangen werden, dass die Kombination aller dieser Faktoren zu einer Beschleunigung der Sterblichkeit, führen wird.

Es wäre deshalb die These zu prüfen, ob die Zahl an Getöteten in Gaza höher als Faktor vier, wie bei Khatib, McKee, Yusuf, anzusetzen ist. Dann wäre die Zahl von 186.000 getöteten Einwohner:innen in Gaza überschritten.

Der Stichtag des Artikels war der 19. Juni, seitdem ein weiterer Monat mit Blockade und unverminderter Bombardierung vergangen.

Als Lehrende und Forschende sind Sie aufgefordert, die Hypothese von Khatib, McKee, Yusuf nach den Grundsätzen der Wissenschaftlichkeit zu diskutieren.

Geben Sie Ihre einseitige Position auf und ziehen Sie die einzige mögliche Schlussfolgerung aus der Analyse - verurteilen Sie dieses enorme Kriegsverbrechen!

Wuppertal, 20. Juli 2024

23. Jahrestag des Mordes an Carlo Giuliani: Was geschah wirklich am Piazza Alimonda - Quale verita' per piazza Alimonda?

Carlo Giuliani

Am 20. Juli 2001 starteten die Carabinieri und weitere Ordnungskräfte während der Demonstrationen gegen den G8 Gipfel in Genua 2001 eine Reihe von Attacken, die mit dem Angriff auf den genehmigten Demonstrationszug in der Via Tolemaide endeten Die letztere Attacke schnitt den 15.000 DemonstrantInnen jeden Fluchtweg ab. Dies war der Beginn der Ereignisse auf der Piazza Alimonda, die zum Mord an Carlo Giuliani führten und zum Beispiel auch in der Dokumentation "Gipfelstürmer - die blutigen Tage von Genua" behandelt werden. Offen sind immer noch folgende Fragen:

• Ist es möglich, dass ausgebildete Soldaten, auch wenn sie in Panik geraten sind, in das Gesicht eines Jungen zielen, der sich in 4 Metern Entfernung befindet, ihn danach zweimal überfahren und dann innerhalb von nur 7 Sekunden verschwinden?

• Kann ein Müllcontainer einen Defender blockieren?

• Warum greifen die Kollegen, die sich in einer Entfernung von etwa 20 Metern befinden, erst ein, nachdem sich die Tragödie bereits ereignet hat?

• Der Feuerlöscher: Waffe oder Schutzschild?

• Warum bleibt die Waffe auch als die Gefahr bereits vorbei war, auf die DemonstrantInnen gerichtet?

• Weshalb wurde der erste Schuss nicht in die Luft abgegeben?

• Warum tauchen erst nach 6 Monaten vorher verschwundene Patronenhülsen und Pistolen auf?

Giuliano Giuliani ist der Vater von Carlo. Er rekonstruiert in der Dokumentation die letzten Minuten des Geschehens und widerlegt die offizielle Darstellung der Staatsanwaltschaft anhand von Fotos und Videosequenzen, die in dem Ermittlungsverfahren gegen den vermeintlichen Schützen verwendet wurden. Das Verfahren wurde inzwischen eingestellt, der angebliche Todesschütze wegen Notwehr freigesprochen.

Der Film ist aber nicht nur der Versuch einer detaillierten Rekonstruktion der Todesumstände seines Sohnes. Er ist gleichzeitig eine Anklage gegen Polizei und Justiz, die mit allen Mitteln versucht haben, die Sicherheitskräfte von jeder Verantwortung für Carlos Tod freizusprechen.



Deutschsprachige Version:








Sellner & Co. widersetzen!

Das Foto zeigt eine Momentaufnahme der Proteste: Einige Menschen stehen an einer Polizeiabsperrung und zeigen den Stinkefinger, eine Person hält eine Tafel mit dem Text "Sellner remigrieren!" in die Höhe
Foto: © Kinkalitzken via Umbruch Bildarchiv
Rund 1.000 Menschen protestierten in Berlin-Lichterfelde gegen einen Deportations-Vortrag von Martin Sellner beim AfD-nahen „Staatsreparatur e.V.“. Einige davon blockierten unter dem Motto „Widersetzen“ eine Straße zum Veranstaltungsort, andere den Zugang über den Bahnhof.

Zu den Fotos beim Umbruch Bildarchiv.

Martin Sellner ist Mitgründer der „Identitären Bewegung Österreich“, welche versucht, der neuen Rechten ein junges und hippes Gesicht zu geben. Altbekannt ist Sellner für seine völkischen, rassistischen und antisemitischen Positionen. Größere Aufmerksamkeit erhielt er zuletzt durch ein von Correctiv aufgedecktes Geheimtreffen mit AfD-Funktionären, Unternehmern und Neonazis in Potsdam, auf welches im Frühjahr 2024 eine der größter Protestwellen der Bundesrepublik folgte.

Gastgeber des Deportations-Vortrages war der AfD-nahe „Staatreparatur e.V.“ von Andreas Wild. Letzterer schien selbst der AfD zu offen rechtsextrem, was er etwa durch offene Nazi-Symbolik im Berliner Abgeordnetenhaus zu Schau stellte. An der Veranstaltung nahmen rund 50 Personen teil darunter Kader der „Identitäten“, AfD, ihrer Jugendorganisation JA, sowie eher klassische Neonazis.

Zum Gegenprotest rief ein breites lokales Bündnis auf. Die Blockade-Aktionen gingen auf das Konto der Initiative „Widersetzen“, welche erstmals als neuer Akteur zivilen Ungehorsams beim Bundesparteitag der AfD in Essen in Aktion trat.

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