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Baskische Impressionen 2013 Teil 7 und Schluss

Momentaufnahmen aus der Welt des permanenten Ausnahmezustands:

RAF-Ausstellung: Notwendige Korrekturen Teil 2

Logo der RAF
Quelle: WikiPedia
Im Katalog der Ausstellung „RAF -“ Terror im Südwesten“ heißt es zur Anteilnahme der Bevölkerung am Schicksal Hanns Martin Schleyers: „Die Anteilnahme verband junge Bundesbürger und ehemalige Nationalsozialisten." Schleyer war schon mit 18 Jahren in die SS eingetreten. Der frühere Befehlshaber des Einsatzkommandos 1a, Martin Sandberger, der wegen der Massenmorde an Juden bis 1958 im Gefängnis gesessen hatte, schrieb von einem Kuraufenthalt: „Ich habe Ihren Mann 1937 in Heidelberg kennen und schätzen gelernt. So ist es natürlich, dass wir, meine Frau und ich, Tag und Nacht noch mehr an ihn und Sie denken, als Millionen anderer es in dieser Zeit tun und taten.“ (S.113)

Womit hatte sich Hanns Martin Schleyer die Wertschätzung von Herrn Sandberger verdient und wer ist Herr Sandberger ?

Hanns Martin Schleyers Karriere in der NS-Zeit begann 1931 mit seinem Eintritt in die Hitler Jugend.

1932 Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg, 1933 Eintritt in die SS und Mitglied im Corps Suevia Heidelberg, einer schlagenden Verbindung. 1935 Austritt aus dem Corps, da das Corps sich weigerte, alle jüdischen „Alten Herren“ auszuschließen.

Schleyer: “Ich werde es nie verstehen können, dass ein Corps aus der Auflage, zwei Juden aus der Gemeinschaft zu entfernen, eine Existenzfrage macht.“

1937 Eintritt in die NSDAP, Leiter des NS-Studentenwerks, einer Tarnorganisation des Sicherheitsdienstes (SD). Als solcher Mitverfasser eines Denunziationsberichts über den Freiburger Rektor Metz, der seine Universität nicht vorschriftsmäßig hakenkreuz-beflaggt, eine Teilnahme der theologischen Fakultät an der Fronleichnamsprozession geduldet, dagegen den Reichsstudentenführer Scheel, einen Förderer Schleyers, an einer Rede gehindert hatte.

Rektor Metz war kein Widerständler, sondern NSDAP-Mitglied. Deshalb wanderte er auch nicht ins KZ, sondern wurde nur von seinem Posten entfernt. Die Gründe des Herrn Sandberger für die Wertschätzung von Hanns Martin Schleyer sind jetzt bekannt, wer aber ist Herr Sandberger? Die Angaben im Ausstellungskatalog (s.o.) sind zutreffend, aber unvollständig.

SS-Standartenführer Sandberger wurde bei den Einsatzgruppen-Prozessen 1948 zum Tode verurteilt.

Die erwähnte Einsatzgruppe A hatte in ihrer Einsatzzeit 249.420 getötete Juden an ihre vorgesetzte Dienststelle gemeldet, Sandbergers Sonderkommando 1a im ersten Jahr seiner Tätigkeit 5643 Exekutionen. Der Historiker Michael Wildt beschreibt den Tätertypus, zu dem Sandberger gehörte, so: „Sie waren nicht die Rädchen einer anonymen Vernichtungsmaschinerie, sondern sie haben die Konzepte entworfen, die Apparate konstruiert und selbst bedient, die den millionenfachen Mord möglich machten.Sie waren die Speerspitze des Genozids.“

1951 wurde das Todesurteil in Lebenslänglich umgewandelt. 1958 wurde Sandberger aus der Haft entlassen. Denn er hatte prominente Fürsprecher: Theodor Heuss, Bundespräsident und Carlo Schmidt ( SPD), stellvertretender Bundestagspräsident waren die bekanntesten. Heuss kannte den Vater von Sandberger. Heuss zum Fall Sandberger: “Gnade ist der schönste Teil, der dem Recht beigeordnet ist.“

Carlo Schmidt hatte eine Professur an der Alma Mater in Tübingen inne -“ Sandberger war sein Student gewesen. Schmidt zum Fall Sandberger: “Er (Sandberger) war ein fleißiger, intelligenter und begabter Jurist, der auf der einen Seite dem geistigen Nihilismus der Zeit verfallen war, auf der anderen Seite aber sich krampfhaft an der Formenwelt der Bürgerlichkeit festklammerte.“ Er kommt zu dem Schluss, dass „ohne den Einbruch der Herrschaft des Nationalsozialismus Sandberger ein ordentlicher Beamter geworden wäre.“

So konnte Sandberger nach 13 Jahren Haft das Gefängnis als freier Mann verlassen. Zum Vergleich: Christian Klar (RAF) saß 26 Jahre in Haft. Ermittlungsverfahren gegen Sandberger in den 1960/1970iger Jahren wurden eingestellt: Einmal, weil er wegen „hohen Blutdrucks“ nicht vor Gericht erscheinen konnte, ein andermal mit der lapidaren Begründung, er sei ja schon 1948 verurteilt worden. Zu dieser Zeit hieß der Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (Ex-NSDAP Mitglied) und der baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger (Ex-Marinerichter).

Die letzten 25 Jahre seines Lebens verbrachte Sandberger im noblen Wohnstift Augustinum in Stuttgart Sillenbuch/Riedenberg, wo er gut versorgt und wohl behütet im biblischen Alter von 98 Jahren 2010 das Zeitliche segnete.

Baskische Impressionen 2013 Teil 6

Der Kontrast könnte nicht größer sein : Über 43.000 Wohnungen stehen ganz oder teilweise leer im nördlichen Baskenland. Auf der anderen Seite explodieren die Mieten, herrscht Wohnungsnot. Besonders junge Erwachsene in oder nach der Ausbildung finden kaum eine Wohnung.

Der soziale Sprengstoff explodiert: Hausbesetzungen, Räumungen, wieder Hausbesetzungen usw.

Besetztung einer Immobilienagentur


Am Rande einer Demonstration gegen die Wohnungsnot in St.-Jean de Luz besetzen Aktivisten ein Luxusimmobilien- Maklerbüro. Die Preise der Immobilien, die dieses Büro anbietet, bewegen sich zwischen einer und drei Millionen €. Das „billigste“ Objekt bringt es noch auf schlappe 450.000 €.

Besetzte Immobilienagentur


Die Schaufensterscheiben des Maklerbüros werden mit Transparenten bepflastert: „Agentur geschlossen -“ ein Dach über dem Kopf ist Menschenrecht !“, „Das Baskenland steht nicht zum Verkauf!“.

Die Ordnungskräfte treten in Aktion. Zwei Aktivisten werden verhaftet, daraufhin wird die Kreuzung vor dem Polizeirevier blockiert, bis die zwei wieder freigelassen werden.
In der Zwischenzeit hat sich die Demonstration aufgelöst, viele Aktivisten gehen zu ihren Autos auf einem Parkplatz. Zivile Greiftrupps wollen einen von ihnen festnehmen, die anderen bilden um ihn eine „menschliche Mauer“.

Verletzt nach Polizeiübergriff


Die Verstärkung, eine Spezialeinheit mit Schlagstöcken und Schutzschilden (!) prügelt sich den Weg frei, drei Jugendliche werden dabei so schwer verletzt,dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen: Schädeltrauma, Platzwunden, die genäht werden müssen etc.

Außer dem besetzten Maklerbüro machen zwölf weitere Büros für diesen Nachmittag ihren Laden dicht.

Alle Fotos: Journal du Pays Basques

RAF-Ausstellung: Notwendige Korrekturen Teil 1

Logo der RAF
Quelle: WikiPedia
Im Katalog zur Ausstellung „RAF -“ Terror im Südwesten“ steht im Vorwort von Dr. Thomas Schnabel, Leiter des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg, folgender, erstaunlicher Satz: „Es war nicht selbstverständlich, dass es der Bundesrepublik gelang -“ bei allen Schwierigkeiten und Pannen im Einzelnen -“ sich rechtsstaatlich und erfolgreich mit dem Terror der RAF auseinanderzusetzen.“

Von einer dieser „Pannen“ war auch ein Landeskind betroffen: Fritz Teufel, aufgewachsen in Ludwigsburg.

Vor dem Kammergericht Berlin wird gegen die Mitglieder der Bewegung 2.Juni -“ unter ihnen Fritz Teufel -“ wegen der Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz im Februar 1975 und der Ermordung des Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenckmann im November 1974 verhandelt. Die Angeklagten sitzen in geschlossenen Panzerglas-Kästen. Im Oktober 1980 fordern die Bundesanwälte in ihren Plädoyers Freiheitsstrafen von lebenslänglich bis 15 Jahren Gefängnis, da die Fülle von Beweismitteln zweifelsfrei die Teilnahme der Angeklagten an den ihnen zur Last gelegten Verbrechen belege. Am 178. Verhandlungstag meldet sich Fritz Teufel zu Wort: „Ich habe mir überlegt, was der Vorsitzende sagen wird, wenn ich sage: „Ich habe ein Alibi“. Womöglich wird er sagen, Ihre Witze waren auch schon mal besser.“ Tatsächlich nennt Teufel Zeugen, die bestätigen können, dass er im fraglichen Zeitraum gar nicht in Berlin, sondern von April 1974 bis Mai 1975 unter dem Namen Jörg Rasche in einem Essener Presswerk als Maschinenarbeiter im Dreischichtbetrieb beschäftigt war und im Essener Stadtteil Frintrop eine Wohnung gemietet hatte.

Fritz Teufel wird wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu fünf Jahren Haft verurteilt, die durch die Untersuchungshaft verbüßt sind.

Baskische Impressionen 2013 Teil 5

Im Sommer 2013 werden im ganzen Baskenland, auf der Straße, in den Dörfern und Städten, bei Straßenfesten, überall, unter dem Motto: „Das Urteil des Volkes“ Unterschriften für folgenden Text gesammelt:

„ Die Doktrin 197/2006 und die Ausnahmebestimmungen, die nur auf die baskischen politischen Gefangenen angewandt werden, müssen abgeschafft werden, um bei der Lösung des (baskischen) Konflikts voranzukommen.“

Die Doktrin 197/2006 oder auch „Parot-Doktrin“ bedeutet die Abschaffung des Rechts auf vorzeitige Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Haftstrafe, die Abschaffung des Rechts auf Haftverkürzung bei guter Führung und die Möglichkeit der willkürlichen Verlängerung der Haftzeit in dem Fall, dass die Freilassung zu „sozialem Unmut“ führt. Diese Regelungen werden in erster Linie auf die baskischen politischen Gefangenen angewandt. Gorka Elejabarrieta Diaz, Koordinator für die internationalen Beziehungen von SORTU, der Partei der baskischen Linken, die sich im Februar 2013 neu konstituiert hat, erklärt dazu in einem Gespräch im September 2013 in Bidart, dass das erste Ziel des Friedensprozesses, der durch den Verzicht der ETA auf den bewaffneten Kampf einseitig von der baskischen Unabhängigkeitsbewegung eingeleitet wurde, die Freilassung aller baskischen politischen Gefangenen ist.

Drei Teilforderungen wurden dazu aufgestellt:
• Die Zusammenführung der baskischen Gefangenen im Baskenland (im Moment sind die Gefangenen über ganz Spanien und Frankreich verstreut, inhaftiert. Verwandte und Freunde müssen oft 600-700 km zurücklegen, um ihr Besuchsrecht wahrnehmen zu können.)
• Die Freilassung der kranken baskischen Gefangenen
• Das Ende der Doktrin 197/2006

Demo gegen Parot Doktrin

Foto: Mit freundlicher Genehmigung von den Freunden des Baskenlandes
Die frühere Forderung nach Amnestie wird in dieser Form nicht mehr erhoben, sie wurde modifiziert: „ Wir wollen wissen, was all die Jahre in unserem Land vor sich gegangen ist, wir wollen wissen, wo unsere verschwundenen Genossen sind, wir wollen wissen, wie unsre getöteten Genossen gestorben sind und wir wollen wissen, wer dafür verantwortlich ist und zur Rechenschaft gezogen werden muss,“ erklärt Gorka.

Bei einer Amnestie werden zwar die Gefangenen freigelassen, aber sonst bleibt alles beim Alten, die Gefängnisse füllen sich schnell wieder, wie nach der Amnestie 1977.

Die Blockade des Friedensprozesses durch die spanische Regierung kann nur durchbrochen werden, wenn die Basken/innen, die ihre Stimme für BILDU (ein Wahlbündnis, in dem SORTU mitarbeitet und das bei den letzten Kommunalwahlen im spanischen Baskenland zur zweitgrößten politischen Kraft wurde) abgegeben haben, über die Stimmabgabe hinaus, aktiv werden, so Gorka. In diesem Zusammenhang steht auch die Kampagne „Das Urteil des Volkes“.

Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte steht demnächst die zweite Verhandlung gegen die Doktrin 197/2006 an. In der ersten Verhandlung wurde die spanische Regierung dazu verurteilt, ihre Rechtsauffassung zu ändern. Die spanische Regierung hat sich nicht darum geschert und Berufung eingelegt. Die Kampagne „Das Urteil des Volkes“ dient dazu, die breite Unterstützung der Forderung nach Abschaffung der Doktrin 197/2006 im Baskenland zu dokumentieren und so auch politisch Druck zu erzeugen.

Update 21.10 2013 :
Ines del Rio kurz nach ihrer Freilassung

Foto: Mit freundlicher Genehmigung von den Freunden des Baskenlandes
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Berufung der spanischen Regierung zurückgewiesen. Die erste baskische Gefangene, Ines del Rio, musste schon freigelassen werden.

Die Straßburger Richter urteilten : „Die Klägerin konnte nicht vorhersehen, dass im Februar 2006 die Rechtsprechung geändert und auf sie angewandt würde, was eine Verlängerung der Haftzeit um knapp neun Jahre bedeutet. Die Klägerin hat eine höhere Haftstrafe verbüßt, als dies nach dem Rechtssystem der Fall gewesen wäre.“

Nach der Doktrin Parot wäre Ines del Rio erst 2017 entlassen worden.

Baskische Impressionen 2013 Teil 4

Dieses Murial ziert eine Hauswand an der Place Patxa in petite Bayonne. Es ist dem bekannten Bild in den Comics „Asterix und Obelix“ nachempfunden und zeigt die französischen und spanischen Autoritäten, die durch eine Lupe das Baskenland misstrauisch beäugen und nur die Symbole der Widersetzlichkeit zu sehen bekommen.

Foto: Gisela Vomhof

Die Place Patxa hat ihren Namen nach der Anarchistengruppe, die das Murial 1993 gemalt hat. Deren Namen ist wiederum die Verkleinerungsform des baskischen Wortes Patxaran. Das ist ein Schlehen-Anis Likör, der im Baskenland sehr beliebt ist.

Die Anarchistengruppe gibt es schon lange nicht mehr, geblieben sind die Wandmalereien.

Das Murial daneben erinnert seit 1997 an junge Mitglieder der Iparretarrak (IK), eine bewaffnete Organisation, die im Norden des Baskenlands (Iparalda) unabhängig von der ETA aktiv war.

Spektakulärste Aktion der IK war ein Angriff auf den Flughafen von Biarritz, kurz bevor Francois Mitterand ( damals französischer Präsident) dort einschwebte.

Foto: Gisela Vomhof

Joxi Lasa und Joxean Zabala wurden von der Polizei erschossen, Jean-Louis Larre, genannt „Popo“ ist seit 1983 verschwunden.

Am 7.August 1983 wird ein Kommando der IK am Ausgang des Campingplatzes Lou Pantaou in Leon ( Landes) in eine Schießerei mit der Polizei verwickelt. Bei dem Schusswechsel wird ein Polizist getötet und ein weiterer leicht verletzt. Die Aktivisten der IK flüchten im R4 der Gendarmen und kapern etwas später ein Auto von Touristen. So gelingt es ihnen dem sofort alarmierten Polizeiaufgebot zu entkommen. Allerdings gelingt es nur drei der vier Aktivisten, der Polizei zu entkommen. Der vierte, „Popo“, flieht zu Beginn der Schießerei in Richtung des Pinienwaldes, der den Zeltplatz von Leon umgibt. Er wird dabei von zahlreichen Zeugen beobachtet. Ab diesem Moment hat niemand mehr Jean-Louis Larre „Popo“ wieder gesehen.

Zwei Wochen später, am 23.August 1983, entdeckt die Polizei eine Leiche am Strand, nahe des Campingplatzes. Tatsächlich vermisst eine Familie ihren 15-jährigen Sohn, Pascal Dumont. Bei der Identifizierung bestreiten die Eltern, dass der ihnen gezeigte Leichnam ihr Sohn ist und behaupten, dass es der Leichnam eines Fremden ist. Obwohl die Familie zur Klärung der Identität einen DNA-Test fordert, wird der von den Behörden verweigert.

Seither ist „Popo“ ein Gespenst, das mal in Frankreich, in Spanien, in den USA und Kanada auftaucht. Allen diesen Hinweisen wird von den Angehörigen und Freunden nachgegangen, alle stellen sich als falsch bzw. als gezielte Desinformation heraus.

Zwanzig Jahre später, 2003, öffnen Aktivisten der IK das Grab von Pascal Dumont und entnehmen dem Sarg einen Knochen für eine DNA-Analyse. Unglücklicherweise stellt sich heraus, dass der entnommene Knochen für eine eindeutige DNA-Analyse ungeeignet ist.

Diese ohnehin bizarren Umstände erfahren eine weitere kuriose Wendung: Die Staatsanwaltschaft leugnet, dass d as Grab von Pascal Dumont geöffnet wurde und nimmt keine Ermittlungen gegen die möglichen Täter auf.

Jean-Pierre Larre „Popo“ bleibt verschwunden. 30 Jahre später, im August 2013, veröffentlicht die Organisation Autonomia Eraiki eine Presseerklärung mit der Überschrift: „Wo ist Popo? 30 Jahre danach immer noch dieselbe unbeantwortete Frage.“

Baskische Impressionen 2013 Teil 3

Die Schließung von egin.

Foto mit freundlicher Genehmigung von baskenland.info
Im Journal du Pays Basques erschien am 5.9.2013 eine kurze Notiz folgenden Inhalts: Pablo Gorostiaga, früherer Bürgermeister von Laudio (Araba) wurde es verwehrt, seine Frau, die schwer krank war, noch einmal vor ihrem Ableben zu sehen. Der Häftling hatte am 28.8.2013 eine Ausgangserlaubnis beantragt, was trotz vorliegender ärztlicher Gutachten abgelehnt wurde. Nach Intervention der Anwälte wurde die Erlaubnis am Freitag, dem 30. August, erteilt. Die Gefängnisleitung „zögerte“ aber, dem Gefangenen den Ausgang zu gewähren, weil sie auf die Anweisung ihrer vorgesetzten Behörde wartete. Diese kam zu spät: In der Nacht vom zweiten auf den dritten September starb Judith Uriate, ohne dass ihr Mann sie noch einmal gesehen hatte.

Wer ist Pablo Gorostiaga und warum sitzt er im Gefängnis?

Pablo Gorostiaga saß im Verwaltungsrat des Verlags Orain. Der Verlag war Herausgeber der Zeitung Egin, einer baskischen Tageszeitung, die im Lauf der Jahre 150.000 Leser im Baskenland erreichte. Egin thematisierte Ereignisse, wie Polizeiübergriffe und Folter, über die in anderen Medien nicht berichtet wurde und entwickelte einen investigativen Journalismus, der zahlreiche Skandale aufdeckte, u.a. die Verwicklung hochrangiger Mitglieder der Guardia Civil und Antiterror-Spezialisten in die GAL-Morde (die GAL waren Todesschwadronen nach dem Vorbild lateinamerikanischer Diktaturen) und den Drogenhandel.

1998 wurden Zeitung, Verlag und Druckerei von der Polizei besetzt, durchsucht und versiegelt. Fast acht Jahre später begann der Prozess gegen die Redakteure und die Mitglieder des Verwaltungsrats des Verlages. Über dessen „rechtsstaatlichen Qualitäten“ fällten die internationalen Prozessbeobachter Martin Poell und Volker Gerloff ein vernichtendes Urteil:
„Insbesondere die beinahe achtjährige Verfahrensdauer, die geheimen Ermittlungen, die Behinderung der Verteidigung, die hohen Strafforderungen trotz Mangels an Beweisen, und die Kollektiv-Anklage vor einem Sondergericht machen hier ein faires Verfahren unmöglich.
Das Verfahren(...) stellt sich nach unserem Dafürhalten als politischer Massenprozess dar, der nicht darauf angelegt ist, die individuelle strafrechtliche Schuld zu klären, sondern fern rechtsstaatlicher Grundsätze ein Konstrukt der Kollektivschuld benutzt, um politisch unliebsame Zusammenhänge zu kriminalisieren und im Ergebnis zu zerstören. Das Strafrecht wird hier als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mittel missbraucht.“ (nach Ingo Niebel: Schreiben für das Baskenland S.88)

Am 19. Dezember 2007 wurde Pablo Gorostiaga zusammen mit den anderen Mitgliedern des Verwaltungsrats zu acht Jahren Gefängnis verurteilt.

Ihm konnten keinerlei Verbrechen oder Gesetzesverstöße nachgewiesen werden -“ außer der Mitgliedschaft im Verwaltungsrat von Orain.

Baskische Impressionen 2013 Teil 2



Dieses Transparent hängt am Ortseingang von Ascain: „Nein zum Hochgeschwindigkeitszug“ - in baskisch und französisch.

Aber auch wenn man noch kilometerweit von Ascain entfernt ist, kann man schon sehen, dass hier ein Zentrum des Widerstands gegen das LGV-Projekt ist:
Auf einem Berghang vor der größten Erhebung des nördlichen Baskenlands La Rhune (900 m) steht in riesigen grünen Lettern dieselbe Parole: „EZ AHT-LGV NON“



Sie ist, besonders wenn die Sonne auf den Berghang scheint, weithin im Baskenland zu sehen.
Steigt man den Berghang hinauf, ist zu erkennen, wie dieses „Naturbanner“ entstanden ist. Die Macchia (ein Dornengestrüpp, das auch auf den angrenzenden Berghängen wuchert) wurde so gerodet, dass die Macchia, die stehengelassen wurde, die Buchstaben bildet. Sie sind 80-100 Meter lang. In den Zwischenräumen wächst hellgrüner Farn, gegen die sich die dunkelgrünen Macchia-Buchstaben gut abheben. Eine neue Dimension von guerilla-gardening.



Und die Mühe hat sich gelohnt:

Am 11. Juli 2013 veröffentlichen die Initiativen gegen das LGV-Projekt eine Presseerklärung, die mit dem Satz beginnt:
„Die Initiativen gegen das LGV-Projekt drücken ihre Zufriedenheit aus über die sich häufenden offiziellen Erklärungen, die das Ende der Ära LGV ankündigen“.
Die Unterzeichner vertreten 126 Initiativen in fünf Departements von Acquitaine und Midi- Pyrenes.



Fotos: Gisela Vomhof

Baskische Impressionen 2013 Teil 1

Foto: Gisela Vomhof
Die Ikurrina ist die baskische Flagge, Symbol des Widerstands gegen die französische und spanische Regierung.

Sie zeigt auf einem roten Untergrund ein weißes Kreuz, das auf einem grünen Andreaskreuz liegt.

Unter Franco war sie schlicht verboten.

Dass auch das Tragen dieser Farben selber schon gefährlich sein konnte, zeigt folgende Begebenheit: „Wie weit der nationalspanische Verfolgungswahn reichte, erzählte das 2011 verstorbene Mitglied der Akademie Euskaltzaindia (Akademie für baskische Sprache und Literatur), Jose Antonio Arana Martixa, der Nachwelt. Seine Mutter hatte ihm einen grünen Anzug und eine grünrotweiße Krawatte geschneidert, um ihm den Rauswurf aus dem katholischen Seminar in Gasteiz zu versüßen. Jose Antonio musste die Lehranstalt verlassen, weil er heimlich Dantes „Göttliche Komödie“ und Werke von Miguel de Unanmuno gelesen hatte. Der Franquismus hatte diese Autoren auf den Index gesetzt. Neu eingekleidet machte sich der Ex-Seminarist auf den Weg von dem Ort Muxika in seine Geburtsstadt Gernika, als er einer Streife der Guardia Civil in die Hände fiel. Die Zivilgardisten nahmen ihn fest und brachten ihn in die Kaserne, wo sie ihn verprügelten. Dann ließen sie ihn frei mit der Auflage, zukünftig nie mehr diese Farben in der Öffentlichkeit zu tragen.“ (Ingo Niebel: Schreiben für das Baskenland, S.31)

Heute ist die Ikurrina legal -“ so scheint es jedenfalls. Dass man auch heute noch große Probleme mit dieser Fahne bekommen kann, zeigt das Beispiel zweier Bürgermeister aus der baskischen Provinz Navarra: Sie bekamen Morddrohungen, weil sie bei Stadtfesten die Ikurrina hissten und nicht die spanische Flagge. In der letzten Morddrohung wurde ein Ultimatum gestellt:

Falls sie nicht ausschließlich die spanische Flagge bis zum 26.8.2013 hissten, werden sie „exekutiert“!

Absender dieser Morddrohungen war eine faschistische Organisation. Sie kann sich aber prominenter politischer Rückendeckung gewiss sein: die rechtskonservative Regionalregierung von Navarra erhebt dieselbe Forderung -“ ohne Morddrohung, versteht sich.

Die Bürgermeister riefen daraufhin die Bewohner auf, auch an ihren Privathäusern die Ikurrina zu zeigen.

Aber mit der Ikurrina werden auch Geschäfte gemacht: Relativ harmlose, wie der Verkauf von Tassen, Badetüchern, Sonnenschirmen, Regenjacken etc. mit der aufgedruckten Ikurrina. Bei grenzwertiger Vermarktung, wie der eines Fußabstreifers mit Ikurrina-Symbol, reichte schon die Ankündigung einer Demonstration vor dem entsprechenden Baumarkt, um den Artikel aus dem Sortiment zu kicken.

Etwas hartnäckiger war das Immobilienmaklerbüro Defoly. Das Büro startete, in völliger Verkennung des ohnehin schlechten Images der Immobilienbranche im Baskenland, eine sexistische Werbekampagne mit einem Bikinimädchen, das zu allem Überfluss auch noch eine herzförmige Ikurrina vor ihr Dekollete hält.

Am 21.8.2013 blockierten an die 60 Demonstranten das Maklerbüro, das daraufhin den Betrieb einstellte und die Rollläden herunterließ.

Zwei Tage später wurde die Werbekampagne eingestellt.

RAF-Richter a.D. Kurt Breucker und das Pippi-Langstrumpf-Prinzip

Logo der RAF
Quelle: WikiPedia
Die Ausstellung „RAF -“ Terror im Südwesten“ im Stuttgarter Haus der Geschichte wird von der Stuttgarter Zeitung publizistisch begleitet. In diesem Zusammenhang interviewte die StZ in ihrer Ausgabe vom 17.7.2013 den pensionierten Richter Kurt Breucker, der 1977 als Beisitzer den Prozess gegen die Angeklagten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan Carl Raspe mit leitete.

Zu diesem Interview gäbe es viel zu sagen, z.B. über die absolute Befangenheit des Richters gegenüber den Angeklagten und ihren Verteidigern, die noch heute aus jeder Zeile des Interviews spricht. Kostprobe: „Der linke Rechtsanwalt Hans Christian Ströbele, der ja immer gern das Maul aufreißt,...“ (Man beachte die Gegenwartsform!).

Heute wie damals offenbart Richter Breucker ein „taktisches Verhältnis zur Wahrheit“. Zu der Abhöraffäre (Verfassungsschutz und BND hatten Gespräche der Angeklagten mit ihren Verteidigern abgehört) sagt er im Interview: „Wir verlangten sofort von den beteiligten Regierungsstellen volle Aufklärung und eine Garantie, dass so etwas nicht mehr passiert.“

Tatsächlich stellte der Vorsitzende Richter Foth erst mal zum Entsetzen nicht weniger Juristen fest, dass die Abhöraffäre den Prozess selber nicht berühre. Es bedurfte des Auszugs der Wahlverteidiger und mehrerer Anträge der gerichtlich bestellten Pflichtverteidiger bis der Vorsitzende Richter sich dazu durchringen konnte, solche Abhörmaßnahmen zu verbieten. Das ganze Hin und Her dauerte über zwei Wochen - „sofort“ sieht anders aus.

Die „beteiligten Regierungsstellen“ kümmerten sich im Übrigen einen Dreck um die richterliche Anordnung und verwanzten auch noch die Zellen der Angeklagten.

Vollkommen grotesk ist die Begründung des Richters, die Polizei wollte durch die Abhörmaßnahmen nach dem Anschlag in Stockholm weitere Attentate verhindern. Die Wanzen wurden aber im März 1975 installiert, einen Monat vor dem Stockholmer Anschlag am 24.April 1975 und zwei Monate vor Prozessbeginn am 21.Mai 1975.

Auch was die Ablösung des Vorsitzenden Richters Dr. Prinzing wegen Befangenheit angeht, verfährt Richter Breucker nach dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip: „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt!“.

Im Interview heißt es: „Er hatte den Pflichtverteidiger eines Angeklagten angerufen, der einst Referendar bei ihm gewesen war. Dieser Vorfall ist darauf zurückzuführen, dass man Dr. Prinzing systematisch zermürbt hatte.“

Tatsächlich hat dieser Vorfall eine interessante Vorgeschichte:

Beschwerde- und Revisionsinstanz für den 2. Strafsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichts, vor dem gegen die RAF-Mitglieder verhandelt wird, ist der dritte Strafsenat beim Bundesgerichtshof. Sein Vorsitzender ist der Bundesrichter Albert Mayer.

Dr. Herbert Kremp ist Chefredakteur der Tageszeitung Die Welt und war in derselben Studentenverbindung wie Alfred Mayer. Am 20.7.1976 schreibt Alfred Mayer einen Brief an seinen „Lieben Cartellbruder Kremp“. Darin bittet Herr Mayer Herrn Kremp unter hilfenahme von Kopien der kriminalpolizeilichen Vernehmung von Gerhard Müller (Kronzeuge der Anklage, obwohl eine gesetzliche Kronzeugenregelung erst 1987 eingeführt wird) , die ihm Herr Prinzing privat hat zukommen lassen, einen Artikel in der Welt zu plazieren, der geeignet ist, die Glaubwürdigkeit von Otto Schily, Verteidiger im RAF-Prozess, zu erschüttern. „Es wäre mir lieb, wenn die übersandten Unterlagen (...) nach Gebrauch vernichtet würden“, heißt es am Schluss der Briefes.

Am 10. Januar 1977 stellt Otto Schily deswegen einen Befangenheitsantrag gegen den Richter Prinzing. Der wird prompt zurückgewiesen -“ wie alle Befangenheitsanträge vorher auch.

Daraufhin stellt erstmals einer der gerichtlich bestellten Pflichtverteidiger, Manfred Künzel, einen Befangenheitsantrag. Auch der wird verworfen. Der Senatsvorsitzende Prinzing ärgert sich über den Befangenheitsantrag seines Ex-Referendars so sehr, dass er in deswegen anruft, um ihm seine Enttäuschung mitzuteilen. Es sei für ihn etwas anderes, ob einer der Vertrauensverteidiger oder Künzel einen solchen Antrag gegen ihn gegen ihn einbringe. Dieses Telefonat bringt Prinzing endgültig zu Fall. Zwar werden noch in Windeseile weitere Befangenheitsanträge abgelehnt. Als aber Künzel seinem ehemaligen Ausbilder rasch eine Brief schickt, in dem er ihm sogar noch die Möglichkeit einräumt, selbst zurückzutreten, was dieser strikt ablehnt, scheidet Dr. Prinzing wegen Befangenheit aus dem Verfahren aus.

Angesichts solcher massiven Rechtsverstöße gewährt die Überzeugung von Richter Breucker, „dass der Bundesgerichtshof das Urteil nicht aufgehoben hätte“ einen tiefen und erschreckenden Einblick in dessen Verständnis von Rechtsstaatlichkeit.

Der Ausgang des Verfahrens ist bekannt: Alle Angeklagten wurden zu lebenslanger Haft verurteilt, ohne dass die individuelle Tatbeteiligung jeweils nachgewiesen werden konnte -“ das ist nebenbei auch für den Zschäpe-Prozess von Interesse. Eine Revision scheiterte an dem größten Verfahrenshindernis, das es gibt: den Tod der Angeklagten.

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