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Baskische Impressionen 2010 Teil V

Protest Aufkleber gegen den LGV
Im Kampf gegen den Bau eines Schienennetzes für Hochgeschwindigkeitszüge (LGV) im Baskenland zeigen sich verblüffende Parallelen mit der Auseinandersetzung um Stuttgart 21:

Die EU hat den Ausbau eines transeuropäischen Schienennetzes für Hochgeschwindigkeitszüge mit mehr als 300 km/h Höchstgeschwindigkeit bis ins Jahr 2020 bereits 1990 beschlossen und 600 Milliarden Euro Subventionen dafür in Aussicht gestellt. Pulsgeber des Projekts ist der European Round Table of Industrialists (ERT), eine Tafelrunde der 47 wichtigsten europäischen multinationalen Konzerne, der seit seiner Gründung 1983 als einflussreichste Interessenvertretung die europäische Politik in Brüssel massgeblich mitbestimmt.

Die beiden Großkonzerne Siemens und Alstom, Marktführer in der Technologie der Hochgeschwindigkeitszüge, sichern sich damit Verdienste in Milliardenhöhe.

Der geplante Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes stösst in Spanien und anderen Ländern Europas nicht nur auf Begeisterung. Vielerorts regt sich auch Kritik und Widerstand. Besonders hartnäckig und vielfältig gestaltet sich der Kampf im Baskenland, wo 426 km des spanischen Netzes geplant sind. Daneben sind 42 km auf der französischen Seite des Baskenlands geplant.

Da Hochgeschwindigkeitszüge zur Erreichung ihrer Höchstgeschwindigkeit gerade Strecken und eine bis zu 70 m breite Einzugsschneise brauchen, können die bereits bestehenden Eisenbahnlinien nicht ausgebaut werden. Stattdessen braucht es in der gebirgigen Küstenregion ein gänzlich neues Schienennetz mit 121 Tunnels und 113 Viadukten. 112 Gemeinden sind von den Bauarbeiten betroffen. Die Gesamtkosten des Projektes belaufen sich auf 10 Milliarden Euro. Geplant sind im Baskenland hingegen nur gerade vier Haltestellen.

Und wie sich doch die Bilder gleichen:

- Null Demokratie und totale Intransparenz
Im Baskenland wurden Planung und Bau des Hochgeschwindigkeitsprojekts ohne informative Transparenz oder demokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten von der spanischen Regierung durchgesetzt und von den bürgerlichen Regierungsmehrheiten in den baskischen autonomen Provinzen und in Nafarroa abgenickt.

Es interessiert die spanische Regierung nicht, dass sich sämtliche baskische Gewerkschaften, welche zusammen die Mehrheit der ArbeiterInnen im Baskenland vertreten, gegen den Bau ausgesprochen haben. Auch dass in allen Gemeinden, in denen eine Volksbefragung durchgeführt werden konnte, über 80% der Bevölkerung den Hochgeschwindigkeitszug ablehnen, hat keine Auswirkungen, ebenso wenig wie die über 2000 rechtlichen Einsprüche.

Die regierenden Sozialdemokraten haben sich für eine Machtpolitik des faits acomplis entschieden und lassen die einzelnen Baustellen wie Hochsicherheitsgefängnisse bewachen.

- Propaganda und Scheinargumente

Die spanische Regierung behauptet, mit dem Hochgeschwindigkeitsnetz liesse sich der motorisierte Personenverkehr reduzieren. Während die Agglomerationen der baskischen Städte in den letzten 30 Jahren ständig gewachsen sind, steckt der Ausbau des öffentlichen Verkehrs noch in den Kinderschuhen. 60% des motorisierten Verkehrs fallen auf den Pendlerverkehr und gemäss einer Studie des Transportdepartements der baskischen Autonomieregierung vom Dezember 2007 liessen sich davon gerade 0,15% auf das neue Hochgeschwindigkeitsnetz verlagern. Der Ausbau des Netzes wird die baskischen autonomen Provinzen mindestens 9 Milliarden Euro öffentlicher Gelder kosten, die in anderen Bereichen, beispielsweise beim Ausbau des Regionalnetzes, wieder eingespart werden müssen.

Ein weiteres Scheinargument ist die Behauptung, der Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes fördere die Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene. Gerade Hochgeschwindigkeitsstrecken eignen sich nicht für den Gütertransport, würden die Personenzüge ja von den Güterzügen ausgebremst. Laut der obigen Studie liegt der Schienengüterverkehr im Baskenland jährlich bei 5 Millionen Tonnen, der Lastwagengüterverkehr bei 100 Millionen Tonnen. Ohne gesetzliche Regelungen oder Druckmittel für den Umstieg auf die Schiene wird das Hochgeschwindigkeitsnetz daran nichts ändern. Zudem ist der Güterverkehr rückläufig: 2008 um 17%, 2009 um 49%.

Das Projekt schaffe Arbeitsplätze, behauptet die spanische Regierung.
Auf den Baustellen des Projekts sind vor allem ArbeiterInnen aus Osteuropa und Portugal anzutreffen, die zu prekärsten Bedingungen arbeiten. Allein 2009 kam es zu über hundert Arbeitsunfällen mit zwei Toten auf den Baustellen der baskischen Streckenabschnitte.

Auch ihren "Runden Tisch" (Schlichtung) haben die Basken im französischen Teil schon hinter sich. Das Bündnis gegen die LGV bewertet den Ausgang wie folgt:

"Die Schlichtung, die im Februar 2010 von Premierminister Fillon eingesetzt wurde, hatte als einzige Aufgabe, um jeden Preis das Projekt LGV durchzudrücken. Es hat sich einmal mehr gezeigt, dass der Staat nicht auf die Tausende von Bürgern hören will, die sich in überwältigender Art und Weise gegen dieses zerstörerische, unnütze und ruinöse Projekt ausgesprochen haben."


Drei Gemeindeverbünde des französischen Baskenlands gaben 2009 beim Schweizer Ingenieurbüro CITEC eine alternative Studie über den Nutzen der neuen Linie in Auftrag. Diese kommt zu dem Schluss, dass der Bau der neuen Linie im französischen Baskenland bis 2050 vollkommen unnötig sei, da die bereits bestehenden Linien nur zu 25% ausgelastet seien.

Nach Veröffentlichung dieser Ergebnisse demonstrierten in Baiona (Bayonne) am 17. Oktober 2009 12.000 Personen gegen den Hochgeschwindigkeitszug.

Siehe auch die Webseite der (französischen) LGV Gegner.


Quellen:

"Hochgeschwindigkeitszug ausbremsen" von Franziska Stärk in : vorwärts vom 8.1.2010.
"Plus que jamais, soyons massivement mobilises ! Pour gagner contre la LGV" Flugblatt der Bewegung gegen die LGV, Juni 2010
"LGV: Langue de bois, mensonges ...et etranges attributions" von Pierre Recarte in: Le journal du pays basque vom 22.6.2010

Siehe auch:
Baskische Impressionen 2010 Teil I
Baskische Impressionen 2010 Teil II
Baskische Impressionen 2010 Teil III
Baskische Impressionen 2010 Teil IV

Zu diesem Thema:

Baskische Impressionen 2010 Teil IV

"60, 65, 70 ...Jahre! Wo soll das hinführen? Rentensystem in Not!" Foto: Wolfgang Hänisch
Der Menschenstrom, der sich am 24. Juni in Bayonne über die Brücke St. Esprit zum Sammelplatz auf dem anderen Ufer der Nive bewegt, reißt nicht ab. Am Place de Reduit treffen sich Gruppen von KollegInnen, um gemeinsam zur Demonstration zu gehen.

Alle Gewerkschaften haben heute landesweit zu Streiks und Demonstrationen gegen die Rentenpläne der Regierung Sarkozy aufgerufen. Vor allem die geplante Verlängerung des Rentenalters auf 62 empört die Menschen.

Vor dem Gewerkschaftshaus und in den umliegenden Straßen ist kein Durchkommen mehr: Hier stellt sich der Demozug auf. Auf dem Bahnhofsvorplatz rote Fahnen mit dem weissen Schriftzug LAB. Ein Transparent: "60, 65, 70 ...ans! Ou va t-on? Erretreta sistema SOS!!!" (60, 65, 70 ...Jahre! Wo soll das hinführen? Rentensystem in Not!!!").

LAB steht für Langile Abertzalen Batzordeak (Kommissionen der baskischen Arbeiter). Diese Kommissionen wurden 1975 in Spanien noch unter Franco gegründet, da Gewerkschaften verboten waren. Nach dem Tod Francos und der Aufhebung des Gewerkschaftsverbots, entwickelte sich LAB im südlichen Baskenland zur drittgrößten Gewerkschaft mit heute 45.000 Mitgliedern und stellt 15 - 20% der Betriebsräte.

Die LAB im nördlichen Baskenland ist dagegen vergleichsweise jung: Vor 10 Jahren, im April 2000 von 80 Gründungsmitgliedern ins Leben gerufen, hat sie heute über 500 Mitglieder und erhielt bei den letzten Wahlen für die Beisitzer der Arbeitsgerichte 3000 Stimmen - damit war sie auch im baskischen Norden zur drittgrößten Gewerkschaft geworden. LAB ist heute die einzige Gewerkschaft, die im ganzen Baskenland, Süden wie Norden, präsent ist.

LAB - die etwas andere Gewerkschaft: "Wir sind keine politische Partei, aber eine politische Gewerkschaft" so Amia Fontang, Repräsentantin der LAB in Bayonne. LAB tritt ein für ein anderes wirtschaftliches und politisches System, das auf der gerechten Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, sozialer Gerechtigkeit, Solidarität und Internationalismus basiert. In diesem Rahmen tritt LAB dafür ein, dass die Basken über ihre Zukunft als Nation selbst entscheiden können. LAB ist radikaler Gegner des Neoliberalismus der multinationalen Konzerne, der Unternehmerverbände und ihres Staates. Der konsequente Kampf in den Betrieben und auf der Straße ist die Hauptmethode ihrer Arbeit. Aufgrund der Dominanz des Dienstleistungs- und Tourismussektors im nördlichen Baskenland führt LAB z.B. Aufklärungskampagnen für die Verteidigung der Rechte der Saisonarbeiter, sowie gegen die weit verbreiteten prekären Arbeitsverhältnisse durch.

Demonstration gegen die Rentenpläne der Regierung Sarkozy Foto: Wolfgang Hänisch
Das Verhältnis zu den Führungen der anderen Gewerkschaften wie CGT, CFDT, FO etc. ist etwas gespannt: Eine Stunde schon zieht der Demonstrationszug vorbei, als es den LAB-KollegInnen "erlaubt" wird sich in den Zug einzureihen - ganz am Schluss. "Am Anfang haben sie uns sehr aggressiv bekämpft - inzwischen hat sich das gelegt. Vor allem an der Basis arbeiten wir gut mit den KollegInnen der anderen Gewerkschaften zusammen. Auch haben wir in letzter Zeit einige Übertritte, vor allem von Mitgliedern der CGT zu LAB, zu verzeichnen" sagt Amia Fontang.

Die Abendnachrichten melden zwei Millionen Teilnehmer an der Protesten in ganz Frankreich, allein in Bayonne waren es zehntausend.

Siehe auch:
Baskische Impressionen 2010 Teil I
Baskische Impressionen 2010 Teil II
Baskische Impressionen 2010 Teil III
Baskische Impressionen 2010 Teil IV

Zu diesem Thema:
Baskische Impressionen, Teil 1: "Non da Jon Anza?"
Baskische Impressionen, Teil 2: Die ETA als angebliches Bindeglied im Drogenschmuggel
Baskische Impressionen, Teil 3: Der Tod von Jon Anza und die Suche nach der "Wahrheit"
Baskische Impressionen, Teil 4: Manipulierung der Wahrheit durch das Verschweigen von Tatsachen
Baskische Impressionen, Teil 5: Ein vorläufiger Schluss

Gerda Taro - eine Stuttgarterin im Spanischen Bürgerkrieg. Teil 3

Republikanische Milizionärin bei Schießübungen. Foto: Gerda Taro 1936, Quelle: WikiMedia
Vor hundert Jahren, am 1.August 1910, wurde Gerda Taro in Stuttgart geboren. Der nachfolgende Teil 2 der historisch-fiktiven Reportage zeichnet wichtige Stationen ihres Lebenswegs nach unter Verwendung von Motiven aus den Arbeiten von Irme Schaber, Gustav Regler, Juan Eduardo Zuniga, George Orwell, Friedrich Schlotterbeck, Gabriel Garcia Narezo und anderen. Teil 1 erschien am 5. August, darin wurde ihr Lebensweg von ihrer Geburt am 1. August 1910 in Stuttgart bis zum 5. August 1936, ihrer gemeinsamen Ankunft mit Robert Capa in Barcelona behandelt. Teil 2 erschien am 7. August. Darin wurde ihr Lebensweg beginnend mit ihrer und Robert Capa's Ankunft in Barcelona dargestellt.

4. Station: Madrid, März 1939

Miguel verbrennt alle Schriftstücke, die „gefährlich“ werden könnten, wenn die Franco -“ Faschisten sie bei ihm fänden: politische Ausweise, Passierscheine, Kontrollblätter, lauter Papiere, die zu Asche werden, in der ein Zeitabschnitt endet. Die Verteidigung von Madrid ist zusammengebrochen, der Einmarsch der Franco -“ Truppen nur noch eine Frage vo wenigen Tagen, vielleicht nur Stunden.

In seiner Brieftasche findet er ein Photo, er erinnert sich nicht, wer es ihm gegeben hatte, es ist im Kleinformat 6x9 mit abgestoßenen Rändern doch die Frau ist gut zu erkennen. Er erinnert sich an die Gruppe von Ausländern, die in der Eingangshalle des Hotels Florida versammelt waren, an die Frau, die sich aus der Gruppe an ihn wandte und um einen Bleistift bat und dabei die Hand ausstreckte, als wäre sie sich sicher, dass er ihn ihr geben würde, und als sie ihn nahm, nickte sie zum Dank mit dem Kopf. Sie war blond und trug das Haar kurz.

Er erinnert sich, dass sie eine Kamera dabei hatte. Einmal sah er, wie sie diese aus dem Lederfutteral zog, den Deckel öffnete, eine Filmrolle einlegte und den Auslöser betätigte, während sie mit der Hand das Objektiv abdeckte, und das alles ganz schnell. Er sah die schlanken Finger, die sich mit der Geschicklichkeit bewegten, die er tausendmal an Händen von Frauen beobachtet hatte, die nähten; bei den Frauen war das Nähen Tradition, etwas vom Laden und Benutzen eines Fotoapparats sehr Verschiedenes. Er erinnert sich an die Diskussion mit einem Journalisten von Ahora, der in unsicherem Französisch behauptete, dass die Fotografie als Dokument etwas Ärmliches sei, da sie nur einen Augenblick einer unermesslichen Wirklichkeit wiedergebe, die sich immerzu verändere.

Mit energischem Tonfall widersprach sie, dass das Fotografieren nicht ein rein mechanischer Akt sei; es brauche ein ausgebildetes Bewusstsein, um das auszuwählen, was man einfangen müsse, und dass das Geschehene nach Jahren des Vergessens nur noch eine unscharfe Erinnerung sei, aber eines Tages diese Fotografien dazu dienen müssten, die Rohheit und die Grausamkeit dieser blutigen Jahre zu verurteilen.

Diese unerwarteten Erinnerungen waren so klar, dass Miguel einige Minuten inne hielt und in der Konzentration auf jene Szenen zu Boden blickte. Ja, sie hieß Gerda, ihr Name war Gerda Taro.
Wie aus einem Traum erwachend, wendet sich Miguel an einen seiner Kameraden: „Hör mal, erinnerst du dich an eine ausländische  Fotografin, die in den Kampfzonen war?“
„Eine Frau, eine Fotografin?“
„Sie war an verschiedenen Frontabschnitten, glaube ich.
„An den Fronten? Ja, eine Gerda, die Deutsche war, ich glaube, sie war in Brunete, und dort wurde sie getötet.“
„Sie wurde getötet?“
„Ja, während eines Luftangriffs der Legion Condor, wenn es die ist, die du meinst.“
„Sie ist während der Offensive bei Brunete gestorben?“

Er wandte den Blick ab und ließ ihn umherschweifen, als suche er etwas, um seine Müdigkeit und seine Überraschung über die vernommene Nachricht zu lindern, aber um ihn war nur feuchte Kälte.

Und Miguel begann seinen Weg durch die Ruinen von Madrid.

Epilog

Aber Miguels Weg und der seiner Kameraden führt immer weiter:

Paris, 24. August 1944
Guadalajara, Brunete, Madrid, Teruel, Ebro, Guernica, Santander, Belchite - so lauten die Aufschriften auf den Seitenwänden der gepanzerten Kettenfahrzeuge, die als erste nach Paris eindringen, um die Stadt zu befreien. Es sind die Namen der großen Schlachten des spanischen Bürgerkriegs. Amado Granell, Bamba, Martin Bernal, Fabregas, Montoyo, Moreno heißen die Männer, die in diesen Fahrzeugen sitzen - es sind Spanienkämpfer, jetzt Angehörige der neunten Kompanie der zweiten französischen Panzerdivision, der "Nueve", der spanischen Kompanie.

Nimes, 24. August 1944

An der Spitze der Parade aus Anlass der Befreiung Nimes marschieren deutsche und österreichische Antifaschisten, ehemals Kämpfer der Internationalen Brigaden in Spanien, heute Mitglieder der Brigaden "Montaigne" und "Bir-Hakeim" der französischen Partisanenbewegung, dem Maquis.
Otto Kühne ist ihr Kommandant. Von Mai 1937 bis August 1938 kämpfte er in Spanien in den Reihen der XI. Internationalen Brigade als Brigadekommisar. Seit 1943 helfen die ehemaligen Spanienkämpfer bei der Ausbildung von Sabotagetrupps der französischen Widerstandsbewegung. 1944 sind bis zu 200 000 Widerstandskämpfer im Rücken der deutschen Wehrmacht aktiv, Otto Kühne kommandiert eine Gruppe von 2700 Kämpfern. Um ihren Mut zu würdigen, marschieren sie an der Spitze der Parade. Otto Kühne wird erster Stadtkommandant von Nimes.

Mailand, 24.April 1945
Seit dem frühen Morgen führt Giovanni Pesce seine Gruppo d`azione patriottica (Patriotische Aktionsgruppe) zum Kampf gegen die faschistischen Besatzer. Giovannis Familie emigrierte vor Jahren nach Frankreich, er arbeitete schon als Junge im Bergwerk. Als er gerade 17 Jahre alt war,brach der spanische Bürgerkrieg aus. Er wechselte über die Grenze und schloss sich den Internationalen Brigaden an. In der Garibaldi-Brigade kämpfte er drei Jahre auf der Seite der Republik. 1940 kehrte er nach Italien zurück.

Nach den Aktionen der GAP-Einheiten beginnt am 25.April der Generalstreik in Mailand, in den folgenden Tagen kommen in Lastwagen die Partisanen aus den Bergen. Als die amerikanischen Truppen am 29.4. die Stadt erreichen, ist Mailand schon in den Händen der Partisanen.

Athen, 30. / 31. Mai 1941
In der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1941 klettern Manolis Glezos und Apostopolos Santas, zwei Studenten, auf die Akropolis und reißen die Hakenkreuzfahne herunter. Diese Aktion wird zum Symbol der griechischen Verweigerung  der Unterwerfung. Im September 1941 wird die Nationale Befreiungsfront EAM gegründet und deren bewaffneter Arm ELAS. 1942 meldet die Wehrmacht, die ELAS habe an der einzigen Eisenbahnverbindung von Thessaloniki nach Athen 170 Sprengungen vorgenommen. Über diese Verbindung läuft 80 Prozent des Nachschubs für das Afrikakorps Erwin Rommels.

Ende 1942 kündigt die Besatzungsmacht die Zwangsverpflichtung zum Arbeitsdienst in Deutschland an. Von 24. Februar bis 5. März 1943 beteiligen sich zehntausende an Streiks und Demonstrationen und die Besatzer werden gezwungen die Zwangsverpflichtung rückgängig zu machen - ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der deutschen Besatzung während des 2. Weltkriegs. Am 12. Juni 1943 streiken in Athen die Straßenbahnfahrer. Der Streik wird von den Faschisten niedergeschlagen und 50 Straßenbahner zum Tode verurteilt. Darauf tritt am 25. Juni ganz Athen in den Generalstreik, die Straßenbahner werden nicht hingerichtet. Ende 1944 ist die ELAS  eine der kampfstärksten Partisanenarmeen des 2. Weltkriegs. Unter ihnen griechische Spanienkämpfer aus der 15. Internationalen Brigade, dem Dimitrov-Bataillon.

Am 2. November 1944 befreit die ELAS Griechenland.

22. Juni 1941
Im Wald von Brezovica in der Nähe der kroatischen Stadt Sisak wird die erste Partisaneneinheit Jugoslawiens gegründet. Innerhalb weniger Jahre entsteht daraus die jugoslawische Volksbefreiungsarmee mit 400 000 aktiven Partisanen. Befehligt werden  die vier Abteilungen dieser Armee von Spanienkämpfern. Ihr Oberkommandierender ist Josip Broz - bekannt als Tito - Organisator der "Geheimen Eisenbahn", durch die osteuropäische Freiwillige für die Internationalen Brigaden von Paris aus illegal nach Spanien geschleust wurden und zeitweilig Kommandeur des Dimitrov-Bataillons der 15. Internationalen Brigade.
Am 20. Oktober 1944 befreien die Partisanen, zusammen mit der Roten Armee, Belgrad. 

Miguel und seine Kameraden hatten nie aufgehört zu kämpfen, sie brachten ihre politischen und militärischen Erfahrungen aus Spanien in die Widerstandsbewegungen der jeweiligen Länder ein und trugen so dazu bei, dass letztlich der Faschismus in Europa zerschlagen werden konnte.

Gerda Taro - eine Stuttgarterin im Spanischen Bürgerkrieg. Teil 2

Robert Capa, Mai 1936. Foto: Gerda Taro Quelle: WikiMedia
Vor hundert Jahren, am 1.August 1910, wurde Gerda Taro in Stuttgart geboren. Der nachfolgende Teil 2 der historisch-fiktiven Reportage zeichnet wichtige Stationen ihres Lebenswegs nach unter Verwendung von Motiven aus den Arbeiten von Irme Schaber, Gustav Regler, Juan Eduardo Zuniga, George Orwell, Friedrich Schlotterbeck, Gabriel Garcia Narezo und anderen. Teil 1 erschien am 5. August, darin wurde ihr Lebensweg von ihrer Geburt am 1. August 1910 in Stuttgart bis zum 5. August 1936, ihrer gemeinsamen Ankunft mit Robert Capa in Barcelona behandelt.

Spanien, 1936.

Am 16. Februar 1936 ging die Volksfront, ein Zusammenschluss linker und liberaler Parteien, als Sieger aus den Wahlen zur Cortes, dem spanischen Parlament, hervor.

Die Begeisterung über den Sieg der Volksfront kannte vielerorts keine Grenzen,Gefängnisse wurden geöffnet und die politischen Gefangenen befreit, Bauern besetzten Ländereien der Großgrundbesitzer und begannen das Land zu bebauen -“ so wurden Forderungen der Volksfront unmittelbar in der Praxis verwirklicht.

Die unheilige Allianz aus Großgrundbesitz und Kapital, Generälen und Falange -“ Faschisten, katholischem Klerus und Königstreuen war nicht gewillt, dieser Entwicklung tatenlos zu zu sehen.

„Wenn die Rechte die Wahlen gewinnt, wird sie die Diktatur „legal“ einführen, verliert sie, so wird sie zu den Waffen greifen“
prophezeite zutreffend Buenaventura Durruti , der Führer der spanischen Anarchisten.

Der spanische Bürgerkrieg sollte zum Prolog des 2.Weltkriegs werden, zum vorweggenommenen Kampf zwischen dem europäischen Faschismus und den Kräften der Demokratie, des Fortschritts und des Sozialismus:

„Das große Ringen zweier nicht miteinander zu vereinbarenden Kulturen, Liebe kämpft gegen Hass, Frieden gegen Krieg, die Bruderschaft Christi gegen die Tyrannei der Kirche“ ( Radio Madrid am 8. November 1936 )

1.Station: Barcelona

Am 18.Juli 1936 um 4.30 Uhr morgens verläßt das Militär in Barcelona die Kasernen, um die strategischen Punkte der Stadt zu besetzen. Der Putsch gegen die Republik hat begonnen. Kurz danach beginnen die Fabriksirenen zu heulen. Die Textilarbeiter der Firma La Espana Industrial, die Metallarbeiter von Escorsa und Siemens, Maurer und Gerber, Schlachthofarbeiter und Müllfahrer, Tagelöhner und dazwischen ein paar Sänger vom Clave -“ Chor  und auch ein paar Revolverhelden aus Pueblo Seco: Sie kommen alle.

Die Mechaniker des Hispano -“ Suiza Werks, die Facharbeiter der Maschinenfabrik El Maquinista vereinigen sich mit Handlangern und Arbeitslosen und dringen gegen die Kaserne und das Arsenal von San Andres vor. Nicht zu vergessen die von der Gießerei Girona, die von den Elektrizitätswerken und von den Papierfabriken, die sich mit den Leuten von Barceloneta verbinden, den Fischern, den Schauerleuten, den Metallern von den Vulkanwerken, den Eisenbahnern von der Nordbahn und den Zigeunern von Somorostro.

Alle haben die Sirene gehört.

Das zornige Blei aus ihren Gewehren - verkündet das Recht der geknechteten Bewohner Barcelonas auf Leben. Sie haben ihr Leben in der Hand, sie führen es, spüren es, wissen, warum sie leben...an diesem sonnendurchfluteten Morgen. Ein Schauer des Triumphs läuft durch die Stadt, immer mehr Automobile und Lastwagen fahren umher, besetzt mit Arbeitern und Arbeiterinnen, Soldaten mit einer oder beiden Fäusten in der Luft, alle kreischen. Keine Straßenbahnen -“ kein Strom -“ kein Benzin, die Cafes geschlossen, auf der Plaza de Cataluna liegen tote Pferde. Aber die Luft ist erfüllt von Jubel. Überall fahren Krankenwagen, das einzige Glockenläuten der Stadt an diesem Tag.

Die Kämpfe waren vorüber, durch die Straßen hallten keine Schüsse mehr, auf den Barrikaden spielten Kinder.

In den beiden größten Städten Spaniens, in Madrid und Barcelona, hatte das Volk triumphiert: so beschreibt Robert Capa die Situation, als Gerda Taro und er am 5. August 1936 Barcelona erreichten. Auf der Rambla, der Prachtstraße Barcelonas angekommen, breitet sich schlagartig die Revolution vor ihren Augen aus. Die bewaffneten Arbeiter sitzen auf Bänken oder spazieren die Ramblas entlang, das Gewehr über der rechten Schulter und oft ihr Mädchen im linken Arm. Man hat das Gefühl, plötzlich in einer Ära der Gleichheit und Freiheit aufgetaucht zu sein. Menschliche Wesen versuchen, sich wie menschliche Wesen zu benehmen und nicht wie ein Rädchen in der kapitalistischen Maschine.

2.Station: Guadalajara, März 1937.

Gerda Taro erlebt den Einsatz der XII. Internationalen Brigade bei Guadalajara. Die Internationalen Brigaden wurden gebildet aus Freiwilligen, die aus aller Herren Länder dem spanischen Volk zu Hilfe geeilt waren, viele davon direkt aus den faschistischen Gefängnissen und KZs, der Illegalität, dem Exil.

Die Putschisten setzen erstmals 30.000 reguläre italienische Soldaten ein, um im inzwischen vierten Anlauf Madrid einzunehmen. Bei einem verlassenen Schloß, dem Ibarra-Palast, liegen sich Mussolinis Italiener und die antifaschistischen Italiener des Bataillons Garibaldi gegenüber: Italiener schießen auf Italiener -“ in Spanien.

Über dem Gefechtslärm erhebt sich plötzlich eine Stimme:

„Italiani, frateli nostri!
Kehrt in eure Häuser zurück, eure Frauen und Kinder warten auf euch.
Italiani, frateli nostri!
Sie sagten euch, dass ihr nach Abessinien gingt, und sie schleppten euch nach Spanien. Sie sagten euch, dass ihr zur Arbeit kämt, und ihr kommt zum Verbluten. Sie versprechen euch Land, und sie geben euch den Tod.“

Allmählich erstirbt das Gewehrfeuer, die faschistischen Offiziere brüllen:
„Schießt, ihr Hunde!“

Aber auch wenn die Soldaten wieder schossen, war die Stimme doch da, sie war in allen Büschen und durch keine Salve zum Schweigen zu bringen, als öffneten die Bäume den Mund; sie war da wie das Konzert der Grillen im provencalischen Sommer, ungebunden an den Raum und überall wie die schwarze Flut der Nacht:

„Italiani, frateli nostri!
Hört auf, die Schlächter unsrer spanischen Brüder zu sein, die für die gerechte Sache der Freiheit ihres Landes und ihres Volkes kämpfen.
Verlasst die Reihen ihrer Feinde!
Kommt herüber auf unsere Seite, ihr werdet wie Brüder empfangen werden !“


Das war nicht die kreischende, leere Stimme des Duce im Radio, und doch war es eine italienische Stimme, sie sprach mit Festigkeit und mit Güte zugleich; das war ernst gemeint, denn es kam gleichzeitig mit den Schüssen; und die Schüsse würden nur aufhören, wenn man auf diese Stimme hörte.

In derselben Nacht floh der feindliche Kommandant mit allen Offizieren, die Parteifaschisten waren, aus der Stellung im Schloßgebäude. Zurück blieben nur einige Berufsoffiziere des italienischen Heeres und die Sergeanten als Aufpasser und Antreiber der einfachen Soldaten. Von denen machten sich in dieser Nacht etliche in die andere Richtung auf den Weg und desertierten zu ihren italienischen Brüdern vom Bataillon Garibaldi.  Militärisch geschlagen und demoralisiert wurde der Rückzug der Mussolini -“ Truppen bald zu einer wilden Flucht -“ der Duce tobte.

Die französische Zeitschrift „Regards“ gestaltete unter dem Titel „Bilder eines Sieges“ eine ganze Seite mit Gerda Taros Aufnahmen von Guadalajara.

3. Station: Valencia und Madrid, Juli 1937.


Gerta Taro fotografiert die Teilnehmer des II. Internationalen Schriftstellerkongresses zur Verteidigung der Kultur, der in Valencia und Madrid stattfindet. Darunter befinden sich u.a.:
Rafael Alberti, Jose Bergamin, Antonio Machado und Miguel Hernandez aus Spanien - Ernest Hemingway, Malcolm Cowley, Louise Thompson, Pablo Neruda, Octavio Paz vom amerikanischen Kontinent -aus der Sowjetunion Alexis Tolstoi, Ilja Ehrenburg, Alexander Fadejew, Michail Koltzow - Sylvia Townsend Warner, Valentine Ackland, Stephen Spender  aus England - die Franzosen Andre Malraux, Julien Benda, Claude Aveline, Jean Richard Bloch hatten keine Ausreisegenehmigung von Frankreich bekommen und waren von Malraux über Schmugglerpfade nach Spanien geschleust worden. Aus Deutschland sind anwesend Willi Bredel, Egon Erwin Kisch, Hans Marchwitza, Berthold Brecht hat eine Grußadresse gesandt,Erich Weinert  und Ludwig Renn.

Ludwig Renn ist in Spanien nicht in erster Linie als Schriftsteller, sondern als Offizier der republikanischen Volksarmee, er appelliert an den Kongress:

„Wir Schriftsteller an der Front haben die Feder aus der Hand gelegt. Denn     wir wollen nicht mehr Geschichte schreiben, sondern Geschichte machen. Wer von Ihnen hier im Saal wünscht meine Feder zu nehmen, der Bruder meiner Gedanken zu sein, hier biete ich die Feder als ein Geschenk an, das kein Vergnügen ist, sondern eine große Pflicht. Und der Name dieser Pflicht: Alles gegen den Faschismus ! (...) Alles für die Ideen, die dem Krieg feindlich sind ! Kriegsfeindlich, das sagen wir, Männer des Krieges, wir Soldaten ! Denn der Krieg, in dem wir mithelfen, ist uns keine Freude, kein Selbstzweck, sondern etwas das überwunden werden muss! Kämpft, darum bitte ich euch, für diese Ideen! Kämpft mit der Feder und dem Wort, wie es jedem liegt! Aber kämpft!“

Seine Rede wird dadurch unterbrochen, dass eine wichtige Nachricht bekannt gegeben werden soll. Alle horchen auf:

„Der Generalstab der Armee des Zentrums gibt bekannt, dass heute eine Offensive nordwestlich Madrid begonnen hat. Die Anfangserfolge sind bedeutend. Der Division Lister ist es gelungen, bis Brunete vorzudringen und es einzunehmen.“

Brunete liegt viele Kilometer hinter der faschistischen Front.

Gerda Taro - eine Stuttgarterin im Spanischen Bürgerkrieg. Teil 1

Gerda Taro im Juli 1937. Foto: Wikimedia
Vor hundert Jahren, am 1.August 1910, wurde Gerda Taro in Stuttgart geboren. Die nachfolgende historisch-fiktive Reportage zeichnet wichtige Stationen ihres Lebenswegs nach unter Verwendung von Motiven aus den Arbeiten von Irme Schaber, Gustav Regler, Juan Eduardo Zuniga, George Orwell, Friedrich Schlotterbeck, Gabriel Garcia Narezo und anderen.

Gerda Taro: Die Stuttgarter Jahre

Eintrag auf dem Stuttgarter Standesamt vom 5. August 1910, vorgenommen durch die Hebamme Maria Bucher:

"Am 1.August 1910 wurde nachmittags um zwölfeinhalb Uhr ein Mädchen geboren. Das Kind hat seinen Namen noch nicht erhalten."


Vier Wochen später:

"Gerta soll sie heißen."


Gerta Pohorylle, Kind des jüdischen Kaufmanns Heinrich Pohorylle und seiner Frau Gisela, beide aus Galizien, wird in unruhigen Zeiten geboren. An ihrem vierten Geburtstag, am 1. August 1914 beginnt der erste Weltkrieg. Die Familie lebt im Hinterhaus Alexanderstr. 170 a, der Vater betreibt eine Eierhandlung am Marienplatz. 1917 wird Gerta in die Königin-Charlotte Realschule, die erste städtische höhere Mädchenschule, eingeschult. Sie macht erste Erfahrungen mit Antisemitismus, spaltet ihr familiäres Leben ab vom öffentlichen. Gerda ist eine gute Schülerin. Aber wenn sie zu spät zum Unterricht erscheint, präsentiert sie den Lehrern selbstgefertigte Entschuldigungsschreiben - mit gefälschter Unterschrift und der doppeldeutigen Formulierung "Meine Tochter Gerda leidet unter Schwindel".

Nach einem einjährigen Aufenthalt in einem Schweizer Mädchenpensionat besucht sie ab 1928 die höhere Handelsschule in der Rotebühlstr. Gerda geniesst die sogenannten "Goldenen Zwanziger Jahre". Sie spielt Tennis auf der Waldau, geht zu den Spielen der Stuttgarter Kickers, tanzt im Excelsior, einer Tanzbar im Friedrichsbau, und im Kunstgebäude. Kleider,Schmuck, Kosmetik, Tanzen und Schallplatten sind ihre Leidenschaft.

Mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise nehmen die "Goldenen Zwanziger" ein jähes Ende: Millionen werden arbeitslos, Massenelend breitet sich aus.

Fikive Begegnung in Leipzig. Gerda Taro trifft Friedrich Schlotterbeck.

Anfang August 1929 zieht die Familie nach Leipzig. Gerda bekommt Kontakt zu sozialistischen und kommunistischen Kreisen. Einer ihrer vielen Verehrer - Georg Kuritzkes - beeinflusst sie nachhaltig. Gerda, die sich nie für Politik interessiert hatte, wird ein politischer Mensch. Die immer härter werdenden Auseinandersetzungen - Streiks, Erwerbslosendemonstrationen, die von der Polizei auseinander geknüppelt werden und das Erstarken der Nazis - bilden dafür den Nährboden.

Georg Kuritzkes ist Mitglied des Kommunistischen Jugendverbands Deutschlands - kurz KJVD. Dieser veranstaltet an Ostern 1930 seinen Reichsjugendtag in Leipzig.

Für den Abend nach der großen Abschlusskundgebung auf dem Augustusplatz vor dem neuen Theater haben sich Georg und Gerda in einer Arbeiterkneipe im Leipziger Norden mit Friedrich Schlotterbeck verabredet. Schlotterbeck, mit Jahrgang 1909 nur wenig älter als Gerda, kommt aus ihrer Heimatstadt Stuttgart. Dort ist er Sekretär des KJVD Württemberg.

Gerda, die an der Kundgebung nicht teilgenommen hat, bestürmt ihn mit Fragen:
" Frieder, was war los auf dem Augustusplatz? Stimmt es, dass die Polizei geschossen hat ?"
Schlotterbeck:
"Ja, no paß amol uff, die Sach war so: Thälmann sprach. An den Masten vor dem Theater glitten rote Fahnen hoch. Grund für die Polizei, aus dem Grimmaischen Steinweg auf den großen Platz zu stürmen. Dort stand die illegale Jungfront. Zwei Polizeioffiziere entsicherten die Pistolen. Schüsse peitschten  über den Platz. Thälmann horchte auf, sprach weiter, beschwörend, die unruhig gewordenen Jugendlichen festhaltend. Am Grimmaischen Steinweg lagen Tote und Verwundete. Anschließend demonstrierten wir durch unbekannte Straßen. Die Polizei umlauerte uns,stürzte sich prügelnd und tretend in unsere Schlussreihen. Auf dem Bürgersteig lag ein umgestürzter Kübelwagen."

Die Toten waren die Berliner Jungarbeiter Otto Dyba und Gustav Zahnke. Zahnke wurde trotz seiner schweren Schussverletzung zunächst ins Leipziger Polizeipräsidium verfrachtet und erst später in ein Krankenhaus, dort erlag er am 25. April 1930 seinen Verletzungen.

Während sich Georg und Gerda, aufgewühlt durch das Gehörte, auf dem Heimweg machen , besteigt Schlotterbeck mit seinen Jungkommunisten die LKWs, die sich auf den langen Rückweg nach Stuttgart machen. Unter geschickter Umgehung zahlreicher Polizeikontrollen erreichen sie schließlich den Stuttgarter Marktplatz, wo Schlotterbeck vor einer schon seit Stunden wartenden Menschenmenge über die Leipziger Ereignisse berichtet. Am anderen Morgen wird er auf der Straße verhaftet.

Drei Jahre später, am 19. März 1933, wird auch Gerda verhaftet.

Gerda im Widerstand


30. Januar 1933: Hitler wird Reichskanzler.
Als am 27. Februar der Reichstag brennt, wird das von den Nazis als Vorwand genutzt, um die antifaschistische Opposition mit einer riesigen Verhaftungs- und Repressionswelle zu überziehen.
Allein in Preußen werden innerhalb von zwei Wochen mehr als zehntausend Personen verhaftet.

Georg Kuritzkes erinnert sich:
"Unter dieser Angst begann eine neue Situation. In der Situation musste man politisch aktiv werden, zeigen, daß man da war. Und da ist der Sas, dieser Musiklehrer, mit ihr - sind überall in den Dörfern um Leipzig herum, auf dem Motorrad gefahren und haben geheim gedruckte Manifeste gegen die Nazis verteilt und an die Wände geklebt."

Der Widerstand in Sachsen entwickelt sich - nach Berlin - zum zweitgrößten in Deutschland. Die Leipziger Jugendlichen melden sich  mit couragierten und ideenreichen Aktionen zu Wort.
Unter ihnen sind auch Gerdas Brüder, Oskar und Karl: "Vom Dach des Kaufhauses, in dem sie arbeiteten, ließen sie Flugblätter auf die Straße wedeln. Das war im März 1933, die ganze Stadt sprach davon. Sofort verdächtigte  die Polizei die Pohorylle-Brüder, die konnten jedoch untertauchen", berichtet Georg Kuritzkes.

Bei der Hausdurchsuchung am Abend des 18. März verhaftet die SA deshalb an ihrer statt kurzer Hand Gerda. Sie spielt bei den Verhören die an Politik völlig uninteressierte, ahnungslose, charmante junge Dame. Daß Gerda aber nicht nur das "kleine, hübsche Ding" ist, beobachtet ihre Mitgefangene Herta H., als sie eines Nachts schreckliche Schreie aus der Männerabteilung hören:

"Wir sitzen im Dunkeln aufgerichtet auf unseren Matrazen, lautlos, ganz wach und mit klopfendem Herzen: Da unten prügelt die Gestapo unsere Kameraden.`Klingeln wir` sagte Gerta. An der Tür ist eine Klingel , die wir nicht benutzen dürfen. Sie klingt schrill durch das ganze Haus. Wir klingeln Sturm, bis sich Gepolter und Schimpfen unsrer Tür nähert."  Ihr Protest war im ganzen Haus zu hören.

Nach siebzehn Tagen Untersuchungshaft wird Gerda entlassen, sie hat niemanden belastet oder gefährdet.

Gerda im Exil.

Als Gerda im Spätherbst 1933 in der französischen Hauptstadt ankommt, ist Paris, neben der Cote d`Azur, bereits eines der kulturellen und politischen Zentren der deutschen Emigration. Für Gerda, die sich erst als Sekretärin,später mit wechselnden Gelegenheitsarbeiten mehr schlecht als recht durchschlägt, spielt sich ein wichtiger Teil ihres Lebens in den Pariser Cafes ab: Hier treffen sich die Emigranten, hier wird kommuniziert und diskutiert.

Im September 1934 lernt Gerda den ungarischen Fotografen Andre Friedmann kennen und wird bald darauf seine Schülerin in der Fotografie. Aus der Arbeitsbeziehung wird eine intensive Liebesbeziehung, die zwar im Lauf der Zeit durch andere Beziehungen von Gerda unterbrochen wird. Aber die Bindung zueinander bleibt immer bestehen. Für Friedmann ist Gerda die Liebe seines Lebens.

Ihre Arbeitstage sind lang und hart. Die Zeitungsredaktionen zahlen oft erst nach Wochen. Filme und Fotomaterial sind vorzufinanzieren. Irgendwann zu dieser Zeit nehmen die beiden andere Namen an: Aus Andre Friedmann wird so Robert Capa - und aus Gerta Pohorylle Gerda Taro.

Am 5. August 1936 kommen Gerda Taro und Robert Capa in Barcelona an.

Die FDP hat ein Alkoholproblem

Am 25.7.2010 ist Tag der Offenen Tür im baden-württembergischen Landtag. Der Souverän - das Volk - trifft auf seine Vertreter: Ein schwieriger Tag für die Damen und Herren Abgeordneten.

Weil das Volk, der Lümmel, gebärdet sich derzeit wieder einmal renitent:  Stuttgart 21- Gegner haben zum Besuch dieser Veranstaltung aufgerufen, um ihren Volksvertretern die Meinung zu sagen, dass "ihnen Hören und Sehen vergehen soll." Dieser Satz lasse auf zunehmende Gewaltbereitschaft der Gegner schließen - verlautbarte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke.

Was diesen Herrn aber wirklich in Rage versetzte, war die finstere Drohung der S-21-Gegner, dass den Abgeordneten "der Trollinger und die Brezeln ausgehen" müssten.

Warum gerade die Drohung mit dem Trollingerentzug den FDP-Mann so sehr entsetzt, wird deutlich, wenn man die Ereignisse im Stuttgarter Rathaus nach der Wahl von Isabel Fezer zur Sozialbürgermeisterin vor einer Woche betrachtet.

Danach wurden erst im FDP-Fraktionszimmer Sektflaschen geköpft, danach zog der Tross weiter zu den Freien Wählern. Die sind auch trinkfest, ihr Star ist der Herr Fahrion, der zaghafte Versuche, die Alkoholwerbung für Schnaps im öffentlichen Raum zu verbieten, mit dem Einwand konterte, zu einem Bier gehöre ja schließlich ein Klarer. Augenzeugen berichteten von Liberalen, die torkelnd das Rathaus verließen. Darunter mit besonderer Schlagseite FDP-Stadträtin Carmen Hanle, die schon vorgeglüht hatte und deshalb schon kurz nach der Stimmabgabe wegen ihres unsicheren Gangs aufgefallen war. Frau Hanle setzte sich dann natürlich mit 1,5 Promille noch an das Steuer ihres Wagens.

Und jetzt wollen militante S21-Gegner auch noch der FDP- Landtagsfraktion den Trollinger entziehen: Damit wäre die FDP-Wahlkampfstrategie, durch den Genuss von Hochprozentigem doch noch die 5% Hürde zu schaffen, endgültig  zum Scheitern verurteilt. 

Baskische Impressionen 2010 Teil III

Zentrum der AEK Foto: Wolfgang Hänisch
Petite Bayonne liegt auf einer Halbinsel am Zusammenfluß von Adour und Nive. Petite Bayonne ist vieles: Partymeile, Heimstatt des Prekariats und hier schlägt auch das Herz der abertzalen Linken im nördlichen Baskenland. Widerstand hat hier eine lange Tradition: In der Rue Pannecau z.B. trafen sich die Mitglieder der Resistance während der Nazi-Besatzung.

Heute ist in der Parallelgasse, der Rue de Coursic, das Büro von LAB, der baskischen Gewerkschaft, ein paar Gassen weiter weht die Ikurrina, die baskische Fahne, vor dem Büro von Batasuna.

Am Place de l`Arsenal befindet sich die Filiale der baskischen Buchhandelskette Elkar und in der Rue Marengo das Zentrum der AEK, einer Einrichtung, die die Wiederbelebung der baskischen Sprache betreibt.

Nur 15 % der Schüler im baskischen Norden lernen baskisch in der Schule. Deshalb werden u.a. auch Baskisch-Kurse für Erwachsene angeboten. Im gesamten Baskenland unterrichten 800 Lehrkräfte immerhin 15 000 Schüler.

Die Unterrichtsräume der AEK sind in den Obergeschossen eines ehemaligen Nonnenklosters untergebracht, das wunderbar umgebaut und restauriert wurde.

Im Erdgeschoß ist das Restaurant/Bar/Cafe Kalostrape, dort ist z.B. ein Teil des Kreuzgangs erhalten und in den Cafe-Bereich integriert.
Das Kalostrape Foto: Wolfgang Hänisch

Im Restaurant werden mittags zwei Drei-Gänge- Menues angeboten für 12 € (1/4 Liter Wein und ein Cafe inclusive). Der Andrang ist groß. Hier zeigt sich auch, wie bunt die baskische Gesellschaft ist: Baskische Arbeiter, die den preiswerten Mittagstisch schätzen, sitzen neben einer afrikanischen Einwandererfamilie - der älteste Sohn ist vielleicht zehn Jahre alt - und spricht baskisch.

Siehe auch:
Baskische Impressionen 2010 Teil I
Baskische Impressionen 2010 Teil II

Zu diesem Thema:

Baskische Impressionen 2010 Teil II

Das Palais de Justice in Pau trägt seinen Namen zurecht: Über einer überdimensionierten Freitreppe erheben sich vier Säulen, die das Kapitel des Eingangs tragen - der Palast der Justiz sieht aus wie die Gerichtsgebäude in Hollywoodfilmen oder umgekehrt. Vor dem Eingang lümmeln ein paar Galgenvögel in Polizeiuniformen herum.



Im Eingangsbereich muss man sich ausweisen, egal zu welchem Prozess man will und bevor man die heiligen Hallen Justizias betreten kann, noch durch die sattsam bekannte Sicherheitsschleuse schreiten.
Hier soll heute die erste Anhörung über die Auslieferung von Jon Telleria an Spanien aufgrund eines europäischen Haftbefehls stattfinden.

Jon Telleria ist Mitglied der Jugendorganisation Segi und arbeitet als Journalist. Segi ist in Frankreich legal, weshalb sich auch seine Arbeitskollegen solidarisch erklärten und gegen diesen Angriff auf die Meinungsfreiheit protestierten.

Die Situation ist völlig paradox: Nach den Massenverhaftungen gegen Segi durch die Guardia Civil vor einigen Monaten in Spanien, bei denen der Großteil der Verhafteten angegeben hat, gefoltert worden zu sein, sind viele Jugendliche in den französischen Teil des Baskenlands geflohen, seither leben und arbeiten sie hier, sie sind nicht illegal. Wer von ihnen aber z.B. in Irun (Spanien) geboren ist, ist nach der verqueren Logik der französischen Justiz Terrorist, wer dagegen in Hendaye (Frankreich) geboren ist, nur "normaler" politischer Aktivist. Der eine wird ausgeliefert, der andere nicht. (Die Städte Irun und Hendaye liegen nur ca. 20 km voneinander entfernt). So leistet die französische Justiz letztendlich Amtshilfe für die spanischen Behörden bei ihrem Bemühen, politische Bewegungen zu illegalisieren.

Die Anhörung im Fall von Jon Telleria findet heute jedenfalls nicht statt. Offizielle Begründung: Die spanischen Behörden haben nicht die von der französischen Justiz geforderten Auskünfte geliefert.

Klar, was sollen sie auch liefern, außer: Alles ist ETA? Aber sie lassen nicht locker. Am 22.6. geht die Auseinandersetzung in die nächste juristische Runde.

Bayonne, 22.6.2010: Die spanische Flagge hängt schlaff an ihrem Masten vor dem spanischen Konsulat. Es ist in einem eher unscheinbaren Appartementhaus untergebracht. In der kleinen Grünanlage davor versammeln sich zunehmend mehr Galgenvögel in Polizeiuniformen - siehe Pau. Auf dem Bürgersteig versammeln sich ihrerseits immer mehr Jugendliche von Segi. "Etre jeune ne pas un crime! No aux mandats d`arret europeen!" (Jung zu sein ist kein Verbrechen! Nein zu den europäischen Haftbefehlen!).



Viele Autofahrer hupen Zustimmung zu diesen Forderungen, die zur Unterstützung für Jon Telleria auf ihrem Transparent stehen. Und ehe die Galgenvögel in Polizeiuniform - eifrig bemüht, das spanische Konsulat zu beschützen - merken, wie ihnen geschieht,hat sich eine Strassenblockade gebildet und bis sie aus ihrer Erstarrung erwachen und zu "polizeilichen Mitteln" greifen wollen, auch schon wieder aufgelöst.

Siehe auch: Baskische Impressionen 2010 Teil I

Zu diesem Thema:

Baskische Impressionen 2010 Teil I

Die Abendsonne über Bayonne dringt nur selten durch die Regenwolken, die vom Atlantik hereinziehen. Auf dem Place des Basques flattert ein Wald baskischer Fahnen rot-grün-weiss im Wind.



Als sich die Demonstration in Bewegung setzt, gehen ihr zwei lange Reihen von Menschen voran, die Bilder von baskischen politischen Gefangenen tragen - 720, mehr als unter Franco, allein in Frankreich sitzen 170 in den Gefängnissen.



"Respect des droits des prisonnier politiques basques!" ( Achtung der Rechte der baskischen politischen Gefangenen ) steht auf dem Fronttransparent. Um die Rechte dieser Gefangenen ist es in der Tat nicht zum Besten bestellt. Nur 25 von ihnen sind im Baskenland inhaftiert, die übrigen befinden sich im Durchschnitt 623 km von zu Hause entfernt. Das ist rechtswidrig und verstößt gegen die Menschenrechte.



"Euskal presoak - euskal herria" ( Die baskischen Gefangenen ins Baskenland ) skandiert deshalb die Menge. "Es ist die dritte Demonstration in dieser Woche" erzählt ein Aktivist der Partei Batasuna. Seine Partei ist in Spanien verboten, wie alle politischen Organisationen und Vereinigungen, die sich für die Rechte der Basken einsetzen. Betroffen sind u.a. die Jugendorganisationen Jarrai, Haika und Segi. In Frankreich sind sie (noch) legal.



Ca. die Hälfte der Demonstranten hier in Bayonne sind Jugendliche. Das erklärt wohl auch das Vorgehen der spanischen Behörden: Im Mai führten sie zum wiederholten Mal eine Verhaftungswelle gegen Mitglieder der Jugendorganisation Segi durch. Damit nicht genug: Jetzt versuchen die spanischen Behörden per europäischen Haftbefehl über Interpol die Auslieferung von Mitgliedern der Segi und Batasuna zu erzwingen, die vor der Repression in den französischen Teil des Baskenlands geflohen sind.

Bisher erfolglos: Das zuständige Gericht in Pau lehnte die Auslieferung von Aurore Martin (Batasuna) ab. Das sei aber nicht in erster Linie auf die Liberalität der französischen Justiz zurückzuführen, sonder darauf,dass durch den Fall Jon Anza die französischen Behörden unter Druck stehen und etwas vorsichtiger agieren müssen, so der Aktivist von Batasuna.



Inzwischen ziehen über tausend Menschen durch die engen Gassen der Altstadt von Bayonne. Auf der Abschlußkundgebung auf dem Place de Liberte fordern die Sprecher von Askatasuna ( baskische Antirepressionsorganisation) die französische Regierung auf , anzuerkennen,dass dies ein politischer Konflikt ist, anzuerkennen, dass dies politische Gefangene sind und demgemäß alle ihre Rechte zu respektieren.

Zum Abschluß singen die Demonstranten die Hymne der baskischen Milizen im Spanischen Bürgerkrieg - mit erhobenen Fäusten.

"Mehrdimensional recherchierbar" - wie das BKA Gefährdungslagen produziert

Letzte Woche lehnte Bundespräsident Köhler das Gnadengesuch  von Birgit Hogefeld, Gefangene aus der RAF, ab. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir einen Text von Birgit Hogefeld, der die Konstruktion von "Gefährdungslagen" durch das BKA  entlarvt. Bei dieser Mischung von BKA- Paranoia und -Hysterie muß man einfach an Brechts Worte denken: "...haben sie den so mächtige Feinde?"
"(...) Am 5.11.93 faxt die Bundesanwaltschaft einen sogenannten Sachstandsbericht zur 'illegalen Kommunikaton' zwischen der Raf-Gefangenen X und dem Besucher Y ans BKA. Einen Tag später kommt es zu einer Besprechung, bei der den nun ermittelnden BKA - Beamten besagter Sachstandsbericht erläutert wird.

Im BKA - Protokoll heißt es dazu:
"Die Korrespondenz der X umfasst etwa täglich einen Brief mit bis zu 10 Seiten Umfang. Die ausgewertete Gesamtmenge beläuft sich auf etwa 1000 Schriftstücke mit ca. 8 Millionen Buchstaben. Die Korrespondenzinhalte werden in einem Datensystem gespeichert und sind mehrdimensional recherchierbar."

Zum Hintergrund:
Verschiedene Raf-Gefangene hatten gemeinsam eine Geschichte mit dem Titel: 'Der lange Weg zum großen Fest' geschrieben, sie sollte ein Geburtstagsgeschenk für die Mutter von X sein. Angesichts dieses Titels blitzten natürlich bei jedem Staatsschützer die roten Lampen auf und so wurde sicherheitshalber auch ein Linguist für die Analyse zu Rate gezogen. Sein Gutachten hatte solche Brisanz, dass es als VS-vertraulich eingestuft wurde.

Der Mann kam zu dem Ergebnis:
"Die Verknüpfung von Metaphern aus dieser Geschichte mit zunächst unabhängig davon zu sehenden Ereignissen setzt voraus, dass der genannte Personenkreis ein einheitliches Belegungsbild metaphorischer Begriffe wie 'Wildschweine, Schweine, Räuber, gebratene Gänse' verwendet. Dies setzt jedoch wiederum mit hoher Wahrscheinlichkeit entsprechende Absprachen voraus."
Desweiteren erscheint den Ermittlern suspekt,dass diese Begriffe nur in großen zeitlichen Abständen in den Briefen auftauchen. Hinzu kommt, dass auch noch Postkarten mit Motiven von Marc Chagall und van Gogh verschickt werden, bei denen "zweifelsfrei der Gedanke des - gemeinsamen - Lebens in Freiheit" zugrunde liegt.
Zwar konstatieren sie, dass ihnen die Texte der Kunstpostkarten "nicht als konspirative Informationen über konkrete Befreiungsaktionen" erscheinen. Aber: nix genaues weiß man nicht und vielleicht ist das der Trick vom Trick.
Und so wendet sich der Bericht dann dem auffälligen Verhalten des Besuchers Y zu. Dazu heißt es:
"Verschiedene auffällige Einzelereignisse und unerklärliche Verhaltensweisen (Massieren der Füße der X bei Besuch, obgleich sie betonte, keine kalten Füße zu haben) seien bei einer Bewertung der Schriften/Kommunikation zu berücksichtigen."

Dann kommt der Bericht zum brisantesten Teil, nämlich zu der ominösen Zahl 11.
Y hat an X einen Strauß mit 11 Rosen geschickt, zwei Raf-Gefangene wurden an einem 11.11. verhaftet, in den Briefen geht es an der Stelle um eine Erzählung von Peter Weiss, in der das Datum 11. November vorkommt, außerdem um die 'Elfertheorie' des Schriftstellers Ronald Schernikau.
So oft die 11 - das kann nur der Code sein!
Einer aus der Ermittlerrunde vom 6.11. meint zwar, es sei nicht auszuschließen, dass gewisse Zufälligkeiten zu Fehlinterpretationen führen können. Aber in der Gesamtschau kommen sie dann doch zu dem Ergebnis, es müsse davon ausgegangen werden, dass eine konspirative Kommunikation bestehe.
Und so heißt es am Ende des Protokolls:
"Die Zusammenfassung indiziert, dass eine 'Lösung der Gefangenenfrage' unmittelbar bevorstehen könnte, wobei dem Datum 11.11. eine tragende Bedeutung beigemessen werden kann."

Nun ist natürlich Gefahr im Verzug.

Am 8.11. kommt es zu einer Besprechung, an der Vertreter des LKA, des Innenministeriums und des Landesamtes für Verfassungsschutz eines Bundeslandes teilnehmen, sowie 4 BKA-Beamte aus verschiedenen TE-Abteilungen.

Sie kommen zu folgendem Resultat:
"Es kann nicht bestätigt oder ausgeräumt werden. dass ein subversives konspiratives Kommunikationssystem besteht, und somit kann eine wie auch immer geartete Befreiungsaktion ab sofort, möglicherweise am 11.11.93, nicht ausgeschlossen werden."

Dann werden die Abwehrmaßnahmen eingeleitet:
- gemeinsame Absprache mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem BKA, der Generalbundesanwaltschaft und dem Landeskriminalamt
- Erörterung des Sachverhalts in der KGT-Sitzung am selben Tag
- außerdem sollen die Bundesländer die JVA-Sicherheitschefs und die Personenschutzgruppen der K 106-Einheiten unterrichten und sie sollen Kräfte und Strukturen für den Fall einer Befreiungsaktion bereitstellen

Alle Maßnahmen sind so abzuwickeln, dass Ursprung und Hintergrund nicht öffentlich bekannt werden.

Soweit zur Entstehungsgeschichte einer Gefährdungslage.

Wie hieß es doch: "Die Maßnahmen müssen so gestaltet werden, dass ein Bekanntwerden des Ursprungs bzw. des Hintergrunds den Inhaftierten und dem Umfeld nicht möglich ist."

Entsprechend verlief für mich die Nacht vom 11. auf den 12. November 93. Das Licht war die ganze Nacht eingeschaltet und alle 15 Minuten stürmte eine Schließerin die Zelle, kam zum Bett und fragte: "Frau Hogefeld, leben Sie noch?"

Und die Schlagzeile in der TAZ vom 12. November war: "Selbstmord als letztes Fanal" oder die in der Frankfurter Rundschau, die etwas zurückhaltender formulierte: "Raf-Gefangene unter verstärkter Kontrolle - Staatsschutz befürchtet 'kollektive Selbstmordaktion' (...)".
Quelle: Aus der Prozeßerklärung vom 19. Juli 1996
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