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70 Jahre Befreiung von Paris. Teil 3: Die vergessenen Kämpfer

Im August 2014 jährt sich zum siebzigsten Mal die Befreiung von Paris von der Nazityrannei.
Vom 19. bis 25. August 1944 erhob sich die Bevölkerung von Paris gegen die deutsche Besatzungsmacht.

Die folgende Artikelserie erhebt nicht den Anspruch, eine exakte Chronologie, noch eine umfassende politische Analyse der Ereignisse zu liefern. Vielmehr werden kurze Porträts der Menschen, ihrer Stadt und deren Geschichte gezeichnet, die schlaglichtartig die Geschehnisse erhellen sollen.


24. August 1944, gegen 20.40 Uhr: Die vergessenen Kämpfer

Drei Shermanpanzer und zwölf gepanzerte Kettenfahrzeuge, die zwei Abteilungen Infanterie transportieren, fahren über die Place d'Italie zügig in Richtung der äußeren Boulevards.

Auf den Shermanpanzern sind die Namen siegreicher, aber relativ unbedeutender Schlachten Napoleons mit weißer Farbe aufgemalt: „Montmirail“, „Romilly“, „Champaubert“.
Die Kettenfahrzeuge (half-truck) tragen andere Namen: „Guadalajara“, „Belchite“, „Ebro“, „Madrid“, „Brunete“, „Teruel“, „Santander“, „Guernica“ nach den großen Schlachten des Spanischen Bürgerkriegs. Amado Granell, Bamba, Martin Bernal, Mantoyo, Morena heißen die Männer, die in diesen Fahrzeugen sitzen -“ es sind Spanienkämpfer, jetzt Angehörige der neunten Kompanie der zweiten französischen Panzerdivision, der „Nueve“, der spanischen Kompanie.

Als General Leclerc 1943 die berühmte zweite Panzerdivision aufstellte, waren 20 Prozent der 16.000 Soldaten spanische Republikaner, die in den Internierungslagern Südfrankreichs für die Fremdenlegion angeworben worden waren und dann zu Leclerc desertierten.

Sie kämpften in Nord- und Zentralafrika und landeten Anfang August 1944 im Rahmen der Invasion der Alliierten in der Normandie. In der „Nueve“ waren von 160 Soldaten 146 Spanier oder hatten spanische Wurzeln, die offizielle Sprache war spanisch und die Befehlsgewalt hatten Spanier inne.

"Diese Nacht ist eine ganze Welt wert -“ es ist die Nacht der Wahrheit. Der bewaffneten, kämpfenden Wahrheit, der starken Wahrheit, die so lange mit leeren Händen und entblößter Brust dagestanden hat. Überall ist sie in dieser Nacht gegenwärtig, da das Volk und die Kanonen gleichzeitig grollen. Ist sie doch die Stimme dieses Volkes und dieser Kanonen; sie trägt die triumphierenden und erschöpften Züge der Straßenkämpfer mit ihren Narben und ihrem Schweiß. Ja, es ist in der Tat die Nacht der Wahrheit, der einzigen Wahrheit, die Gültigkeit besitzt: jener, die bereit ist, zu kämpfen und zu siegen."

Albert Camus

Der half-truck „Guadalajara“ ist das Führungsfahrzeug. Vor der Place d'Italie fährt der Konvoi einen Umweg über Nebenstraßen, um deutsche Stellungen zu umfahren. Auf der Höhe des Universitätskrankenhauses biegen sie in den Boulevard de l'Hopital ein.
Am Gare d'Austerlitz Beschuss durch die Deutschen, sie erwidern das Feuer nicht, sondern geben Gas und erreichen über die Pont d'Austerlitz das andere Seine -“ Ufer. Ihr Auftrag: die Widerstandskämpfer, darunter der Nationalrat der Resistance, die das Hotel de Ville besetzt haben, gegen die Angriffe der deutschen Besatzer zu unterstützen und die Ankunft der zweiten französischen Panzerdivision anzukündigen und vorzubereiten.

21.15 Uhr, Hotel de Ville.
Im Speisesaal des Rathauses Abendessen der Anführer des Aufstands: Nudeln mit Linsen.

Ein anschwellendes Geräusch lässt sie aufhorchen: das Rasseln von Panzerketten auf Pflastersteinen -“ ein infernalischer Lärm, die Fensterscheiben vibrieren.

 Das Kettenfahrzeug "Guadalajara" vor dem Hotel de Ville
Das Kettenfahrzeug "Guadalajara" vor dem Hotel de Ville
Es ist 21.22 Uhr am 24. August 1944

Auf dem Platz vor dem Hotel de Ville angekommen, fährt der Half-Truck „Guadalajara“ auf den Gehsteig der Rue de Rivoli, vor den Juwelier „Les Ciseaux d'Argent“ und das Luxus -“ Schuhgeschäft „Chaussures Mansfield“.

Zubieta, Abenza, Luis Ortez, Daniel Hernandez, Argueso, Luis Cortes, Ramon Patricio springen von ihrem Fahrzeug und nehmen Verteidigungsposituionen ein, mit der Waffe in der Hand.
Leutnant Amado Granell, der Führer der Abteilung, wird auf den Treppen des Hotel de Ville von Georges Bidault, dem Präsidenten des Nationalrats der Resistance empfangen.

Amado Granell im spanischen  Bürgerkrieg
Amado Granell im spanischen Bürgerkrieg
Amado Granell ist in Valencia geboren und war während des Spanischen Bürgerkriegs Kommandeur der 49ten Brigade.

25. August 1944

Die Kämpfe um das Hotel Meurice, den Sitz des Oberbefehlhabers für den Raum Groß-Paris, General von Choltitz , halten jetzt schon seit anderthalb Stunden an. Da der Angriff nur von der Vorderseite möglich ist, wird ein Stoßtrupp, angeführt von Leutnant de la Horie gebildet. Von den Spaniern nehmen Antonio Gutierrez, Antonio Navarro und Francisco Sanchez teil. Ihnen gelingt es, den deutschen Verteidigungsring zu durchbrechen und in die erste Etage des Hotels zu gelangen, wo sich die Kommandozentrale des Generals von Choltitz und seines Generalstabs befindet.

Von Choltitz und seine Offiziere werden mit vorgehaltener Maschinenpistole entwaffnet. Die Regeln des Kriegsrechts verlangen, dass sich ein Offizier nur einem Offizier des Gegners ergeben darf. Von Choltitz verlangt deshalb, einen französischen Offizier herbeizurufen.

Die Waffe weiter auf von Choltitz gerichtet, ruft Antonio Gutierrez von der Tür aus in den Gang nach einem Offizier. Nacheinander kommen die Leutnants Franjoux und Karcher, sowie als letzter der Oberleutnant de la Horie. Diesem ergibt sich von Choltitz schließlich.

Nazi-Generalstäbler haben sich der Resistance ergeben
Nazi-Generalstäbler haben sich der Resistance ergeben
Bevor er sein Büro verlässt, nimmt er seine Armbanduhr ab und bietet sie Gutierrez an, um ihm dafür zu danken, dass er sich an die Regeln des Kriegsrechts gehalten hat.

Gutierrez lehnt ab.

Die zugegebenermaßen etwas ausführliche Darstellung dieser beiden Schlüsselereignisse bei der Befreiung von Paris ist der Tatsache geschuldet, dass die spanischen Akteure dieser Ereignisse aus der offiziellen französischen Geschichtsschreibung über 65 Jahre lang komplett „verschwunden“ waren. Amado Granell und seine 140 spanischen Kameraden verschwanden aus der Geschichte, übrig blieb sein Chef Raymond Dronne -“ natürlich Franzose.

Genauso verschwand der spanische Stoßtrupp vom Hotel Meurice, übrig blieben die französischen Offiziere de la Horie, Karcher und Franjoux.

Die Bemühungen, die Spanier verschwinden zu lassen, entbehren indes nicht einer gewissen Komik: So erzählt die offizielle Darstellung der Ereignisse vor dem Hotel de Ville von dem Rundfunkreporter Pierre Ceresse, der einem verdutzten Soldaten der „Nueve“ mit Namen Firmin Pillan das Mikrofon vor die Nase hielt und ihn fragte: „Woher stammen sie?“ - „Aus Istanbul“ war angeblich die Antwort.

Dreißig Jahre später erzählt der Historiker Pascal Ory, Professor an der Sorbonne, spezialisiert auf die Periode 1940-44, dieselbe Geschichte, nur etwas anders: Aus dem Rundfunkreporter Pierre Ceresse wird der Rundfunkreporter Jean Guignebert, aus dem Soldaten Firmin Pillan wird die armenische Ordonanz Krikor, nur der angebliche Geburtsort bleibt fast gleich: „Konstantinopel“.

Seit 2011 wissen wir nun dank der verdienstvollen Recherchen von Evelyn Merquida in ihrem Buch: „La Nueve 24. Aout 1944“, dass an diesen offiziellen Darstellungen so ziemlich alles falsch ist.

Firmin Pillon hieß in Wirklichkeit Fermin Pujol und wurde nicht in Istanbul geboren, sondern in Barcelona. Im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte er in der Kolonne Durutti. Es gab tatsächlich eine armenische Ordonanz in der Nueve. Er hieß aber nicht Krikor sondern Pirlian.

Auch ob die beiden Rundfunkreporter überhaupt am Ort des Geschehens waren, darf bezweifelt werden. Fermin Pujol erzählt die Begebenheit jedenfalls so:

Er wurde an jenem Augustabend 1944 von vielen Parisern, die inzwischen in Massen auf den Platz vor dem Hotel de Ville geströmt waren, gefragt, woher er komme. Sie glaubten ihm aber nicht, dass er Spanier sei.

Daraufhin schaltete sich ein Polizist ein und es entwickelte sich folgender Dialog: „Monsieur. Sind Sie Spanier?“ - „Ja, und Sie?“ - „Ich bin Polizist.“ - „Aha, Polizist“. Für den Anarchisten Pujol ein höchst befremdlicher Dialog.

Tatsächlich war der Beitrag der spanischen Republikaner an der Befreiung von Paris beträchtlich: Man schätzt, dass am Aufstand mehr als 4000 Spanier teilgenommen haben. An allen ausschlaggebenden militärischen Auseinandersetzungen in Paris waren sie in großer Zahl beteiligt und spielten oft eine entscheidende Rolle.

Nicht zuletzt war Henry Rol-Tanguy, dem alle bewaffneten Einheiten der Resistance in Paris zur Zeit des Aufstands unterstanden, Teilnehmer des Spanischen Bürgerkriegs und Politkommissar der 11.Internationalen Brigade.

Dies, ihre militärische Erfahrung und die „doppelte“ Motivation, die Scharte der Niederlage in Spanien auszuwetzen und die - trügerische - Hoffnung, die Alliierten würden nach der Niederschlagung des Hitlerfaschismus auch Spanien von der Franco-Diktatur befreien, war die Grundlage für die herausragenden Leistungen der spanischen Republikaner und der französischen Spanienkämpfer bei der Befreiung von Paris.

Bleibt die Frage, warum das von der offiziellen französischen Geschichtsschreibung so beharrlich -“ im übrigen bis heute (siehe Nachtrag) - ignoriert wird. Sicherlich hat es mit dem französischen Nationalismus und dessen Mythos von der „Grande Nation“ zu tun, nachdem Paris „natürlich“ nur von reinrassigen Franzosen befreit werden durfte und "natürlich" auch damit, dass diese Spanier in ihrer großen Mehrheit der Linken angehörten.

Weniger wahrscheinlich ist, dass es die Scham darüber ist, dass sehr unterschiedliche französische Regierungen dieses wundervolle Volk der Spanier in einem knappen Jahrzehnt zweimal verraten hatten:

Das erste Mal während des Spanischen Bürgerkriegs, als Frankreich im Rahmen der unseligen Nichteinmischungspolitik Waffenlieferungen nach Spanien verhindert hatte.

Das zweite Mal, als De Gaulle, kaum dass er mit Hilfe eben jener Spanier an die Regierung gekommen war, nichts besseres zu tun hatte, als die Franco-Diktatur anzuerkennen.

Nachtrag:
Nachdem Evelyn Merquida 2011 die spanischen Republikaner aus dem Dunkel der Geschichte wieder ans Licht geholt hatte, konnte die offizielle Geschichtsschreibung sie zumindest nicht mehr totschweigen.
Seither finden sie also „Erwähnung“ - mehr aber auch nicht.

Im Musee Carnavalet, dem Pariser Stadtmuseum, findet derzeit eine Fotoausstellung über die Befreiung von Paris statt. Fotos der Spanier oder überhaupt von Ausländern sucht man vergeblich.
Wissenschaftliche Beraterin der Ausstellung ist Christine Levisse-Touze, die Direktorin des Museums Leclerc/Jean Moulin, eine -“ und das macht die Sache besonders traurig -“ ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet der Resistance.

In den Archiven ihres Museums finden sich nämlich sehr viele Fotos, z.B. von der neunten spanischen Kompagnie, der Nueve, bei der Befreiung von Paris.

Teil 1 der Serie "70 Jahre Befreiung von Paris" erschien in diesem Blog am 20. August 2014, Teil 2 am 23. August.

Nach Motiven aus den Arbeiten von Jacques Duclos, Albert Camus, Paul Eluard, Larry Collins, Dominique Lapierre, Alain Rustenholz, Evelyn Mesquida, Yves Barde, Dominique Manotti und Mireille Mathieu.

Fotos: Musee Carnavalet Paris, Musee Resistance/Deportation Lyon, privat

70 Jahre Befreiung von Paris. Teil 2: Die Barrikade an der Rue de la Huchette.

Im August 2014 jährt sich zum siebzigsten Mal die Befreiung von Paris von der Nazityrannei.
Vom 19. bis 25. August 1944 erhob sich die Bevölkerung von Paris gegen die deutsche Besatzungsmacht.

Die folgende Artikelserie erhebt nicht den Anspruch, eine exakte Chronologie, noch eine umfassende politische Analyse der Ereignisse zu liefern. Vielmehr werden kurze Porträts der Menschen, ihrer Stadt und deren Geschichte gezeichnet, die schlaglichtartig die Geschehnisse erhellen sollen.


Die Barrikade an der Rue de la Huchette.
Die Barrikade an der Rue de la Huchette.
21./22. August 1944. Die Barrikade an der Rue de la Huchette.
Beatrice Briand steht heute nicht hinter ihrer Theke, wo sie sonst das rationierte, harte Brot der Besatzung verkauft. Die Bäckerin aus der Rue de la Huchette steht heute hinter einer Barrikade : im gepunkteten Sommerkleid, mit der Armbinde der Resistance, einen erbeuteten Stahlhelm auf dem Kopf. An einem Ledergürtel, der so wenig zu ihrem Sommerkleid passt wie der Stahlhelm, hängt eine Stielhandgranate und eine Pistolentasche mit Inhalt.

Ihre Barrikade ist eine von 600, die schon vor dem Aufruf des Befreiungskomitees von Paris am 22.8.1944 wie Pilze aus dem Boden schiessen. Dieser Aufruf endet mit dem historischen Appell der Pariser Commune von 1871: „Tous aux barricades!“ - Alle auf die Barrikaden!.

Mitten im August an einem Montagabend von zarter Farbe
ein Montagabend, verhängt von Wolken
in einem Paris, so rein wie Eischnee
Mitten im August, unser Land auf den Barrikaden
Paris wagt, den Blick zu heben
Paris wagt, Sieg zu rufen
Mitten im August, an einem Montagabend

Wenn man das Licht erblickt hat
wie kann es da Nacht werden an diesem Abend
wenn die Hoffnung von den Pflastersteinen, den Fronten, den erhobenen Fäusten emporsteigt
dann geben wir die Hoffnung
dann geben wir das Leben
den Versklavten, die verzweifelt sind
Paul Eluard

Beim Barrikadenbau
Beim Barrikadenbau
Am selben Tag veröffentlichen die Zeitungen der Resistance, die inzwischen frei erscheinen können, Instruktionen, wie die Barrikaden gebaut werden sollen. Die Gewerkschaft der Maurer stellt die entsprechenden Instrukteure.

Beim Barrikadenbau
Beim Barrikadenbau
Männer, Frauen, Junge und Alte, reißen das Straßenpflaster auf, schleppen Pflastersteine, führen Sandsäcke, die ursprünglich zum Schutz vor Luftangriffen gedacht waren, einer neuen Bestimmung zu.

Wo schon asphaltiert ist, wird die Asphaltdecke mit Spitzhacken vom Untergrund getrennt und in die Barrikade eingebaut. Alleebäume werden gefällt, alles was nicht niet- und nagelfest ist, findet Verwendung beim Barrikadenbau.

Madame Briands Barrikade ist Teil eines Systems von Befestigungen aller Art, die das Viertel um die Kirche Saint Severin für die Besatzer unbetretbar gemacht haben. Genauso wie die Barrikaden am Place St. Michel und an der Kreuzung Boulevard St. Michel/ Boulevard St. Germain trägt sie zudem dazu bei, den Besatzern, die im Jardin de Luxembourg stationiert sind, den direkten Weg zur Polizeipräfektur zu versperren. Wie erfolgreich die Barrikaden kämpfer dabei sind, zeigen die Spitznamen „Todeskreuzung“ und „Deutschenfriedhof“.

So werden Holzklötze auf die Straße geworfen, mit Benzin übergossen und angezündet, die entstehende Hitze verformt den Asphalt, er wellt sich. Die Lastwagen der Besatzungsmacht, die versuchen, diese Buckel zu überfahren, stürzen entweder um oder können ihren Weg nur beschädigt und sehr langsam fortsetzen. Sie werden an der Ecke Rue Petit Pont/Quai St. Michel von Widerstandskämpfern erwartet, die ihnen mit Cocktails Marke Joloit-Curie den Rest geben.

Die Barrikade ist eine französische Erfindung, 1588 wurden die ersten gebaut -“ vor allem aus Fässern: Französisch „barrique“, daher der Name Barrikade.

Auch bestimmte Orte, an denen Barrikaden errichtet wurden, haben sich tief in das historische Gedächtnis der Pariser Bevölkerung eingegraben.

Barrikade Rue Saint-Florentin/Rue Rivoli 1871
Die Barrikade Rue Saint-Florentin/Rue Rivoli 1871
Einer dieser Orte ist die Kreuzung Rue de Rivoli / Rue Saint Florentin am Place de la Concorde. Sie erstreckte sich vom Marineministerium auf der einen Seite bis zur Begrenzungsmauer der Tuillerien auf der anderen Seite.

Und dort wurde sie bei jeder Erhebung des Volkes wieder errichtet: 1830, 1831, 1848, 1871 und natürlich 1944.
1871, während der Pariser Commune, verband sich allerdings zum ersten Mal in der Geschichte der Pariser Aufstände die Intuition des Volkes mit den Fähigkeiten eines professionellen Baumeisters, Napleon Gaillard, genannt der Oberst des Barrikadenbaus.

Die Rue Saint-Florentin/Rue Rivoli heute
Die Rue Saint-Florentin/Rue Rivoli heute
Ergebnis war eine Befestigungsanlage mit einem acht Meter starken Erdwall, drei Schießscharten für Kanonen und einem riesigen Graben davor, der so tief war, dass alle Gas- und Wasserleitungen freigelegt worden waren.

Tragischerweise war alle Mühe und Arbeit vergebens. Die Versailler Truppen umgingen die Barrikade: Nachdem ihr erster Angriff über die Place de la Concorde im Geschosshagel der Communarden scheiterte, rückten sie über die Rue de la Paix vor und kamen so in den Rücken der Verteidiger.

Die Barrikaden von 1944 hatten die Funktion, weitere Truppenbewegungen zu erschweren, wenn nicht zu unterbinden und die Beweglichkeit der Besatzer immer mehr einzuschränken, sie in ihren Kasernen zu isolieren. So war in der Rue de Rivoli u.a. der Sitz des Oberbefehlhabers für den Großraum Paris, General von Cholditz, im Hotel Meurice untergebracht.

Dieser Plan wurde mit aller Konsequenz durchgeführt. „Chacun son boche -“ jedem seinen Deutschen“: Wo immer sich Besatzer sehen ließen, wurden sie unter Feuer genommen.
Neben der direkten Wirkung (man schätzt, dass schon vom 11.-15. August über 500 Besatzer außerhalb direkter Kampfhandlungen getötet wurden) haben diese Attacken eine enorme psychologische Wirkung: Sie demoralisieren die Besatzer, der Feind beginnt diese Stadt, die ihn einschließt, deren großteils unbewaffnete Volksmassen ihn zu erdrücken drohen, zu fürchten.

Teil 1 der Serie "70 Jahre Befreiung von Paris" erschien in diesem Blog am 20. August 2014. Der dritte Teil erscheint am 24. August.

Nach Motiven aus den Arbeiten von Jacques Duclos, Albert Camus, Paul Eluard, Larry Collins, Dominique Lapierre, Alain Rustenholz, Evelyn Mesquida, Yves Barde, Dominique Manotti und Mireille Mathieu.

Fotos: Musee Carnavalet Paris, Musee Resistance/Deportation Lyon, privat

70 Jahre Befreiung von Paris. Teil 1: Die Polizeipräfektur von Paris zwischen Resistance und Kollaboration.

Im August 2014 jährt sich zum siebzigsten Mal die Befreiung von Paris von der Nazityrannei.

Vom 19. bis 25. August 1944 erhob sich die Bevölkerung von Paris gegen die deutsche Besatzungsmacht.

Die folgende Artikelserie erhebt nicht den Anspruch, eine exakte Chronologie, noch eine umfassende politische Analyse der Ereignisse zu liefern. Vielmehr werden kurze Porträts der Menschen, ihrer Stadt und deren Geschichte gezeichnet, die schlaglichtartig die Geschehnisse erhellen sollen.


Statt einer Chronologie

„Nun ist der Aufstand eine Kunst ebenso wie der Krieg oder andere Künste und gewissen Regeln unterworfen (...) Der Aufstand ist eine Rechnung mit höchst unbekannten Größen, deren Wert sich jeden Tag ändern kann.“ (Karl Marx: Revolution und Konterrevolution).

Der Aufstand beginnt, lange bevor der erste Schuss fällt:

Protestkundgebungen der Frauen gegen die Schließung der Bäckereien, die Unterbrechungen in der Gasversorgung etc. Streiks in einzelnen Betrieben, die Protestkundgebungen bekommen immer größeren Zulauf, bewaffnete Gruppen der Resistance schützen sie. Die Eisenbahner treten in den Streik, der schon bald Züge des Aufstands annimmt: Gleise werden zerstört, deutsche Eisenbahner angegriffen, ausgedehnte Sabotageakte.

Der Streik greift auf andere Berufsgruppen im öffentlichen Dienst über: Postbeamte, Metro-Beschäftigte. Die illegale CGT ruft zum Generalstreik auf. Einheiten der Resistance überfallen Waffenlager- und Transporte der Besatzungsmacht, um sich zu bewaffnen.

Die großen Ausfallstraßen werden mit 10 Tonnen Krähenfüßen, „Reifentod“ genannt, zeitweilig unpassierbar gemacht.

„Ist der Aufstand einmal begonnen, dann handle man mit der größten Entschiedenheit und ergreife die Offensive (...) kurz, nach den Worten Dantons, des größten bisher bekannten Meisters revolutionärer Taktik: de l'audace, de l'audace, encore de l'audace (Kühnheit, Kühnheit und nochmals Kühnheit)“. (Karl Marx: Revolution und Konterrevolution).

Kampfgruppen der Recistance greifen deutsche Abteilungen an, die Bezirksrathäuser werden besetzt, dann die Bahnhöfe, Fabriken, Radiostationen, Zeitungsdruckereien.

Ab jetzt wird geschossen.

14.- 19.August 1944: Die Polizeipräfektur von Paris zwischen Resistance und Kollaboration.

Am 14. Juli, dem Tag, an dem 1789 der Sturm auf die Bastille den Beginn der Französischen Revolution einleitete, strömen im Jahr 1944 gegen 18 Uhr Menschen auf die Rue de Belleville, der Tricolore und dem Klang der Marseillaise folgend. Die Teilnehmer eines Festes zum Nationalfeiertag auf dem Boulevard Belleville lassen die Zahl der Demonstranten rasch auf 20.000 anschwellen.

Die Polizei bildet mit Fahrzeugen eine Barriere, die Fahrer stellen ihre Mannschaftswagen aber so auf, dass sie der Menge den Durchgang ermöglichen. Tausende rufen: „Die Flics zu uns!“

Als Inspektoren der brigade speciale (einer Sondereinheit zur „Bekämpfung des Kommunismus“) versuchen, sich der Tricolore zu bemächtigen, haben die Flics genug: sie verlassen ihre Fahrzeuge, verweigern ihren Vorgesetzten den Gehorsam und nehmen selber an der Kundgebung teil.

Etwas Ungeheuerliches hatte sich ereignet.

Panik ergreift die vorgesetzten Polizeioffiziere. Der Kommissar des 20. Arrondisements fleht die Demonstranten an „ihn nicht zu erschiessen, aber auch die Marseillaise nicht mehr zu singen.“

Was war geschehen?

Innerhalb der Pariser Polizei hatten sich Widerstandsgruppen der Resistance gebildet, die schon seit längerem eine verdeckte Arbeit innerhalb des Polizeikorps leisteten -“ wie man am 14.Juli sehen konnte -“ mit Erfolg.

So war es möglich, einen Monat nach den Juli-Ereignissen, am 14. August die drei wesentlichen Widerstandsbewegungen innerhalb der Polizei -“ die front national de liberation, Police et Patrie (Polizei und Vaterland) und Honneur de la Police (Ehre der Polizei) zu vereinen im Comite de liberation de la police (Befreiungskomitee der Polizei).

Der Anlass für diesen Zusammenschluss war unmittelbar praktischer Natur:
Der Besatzungsmacht war die Zersetzungsarbeit der Resistance im Polizeikorps nicht verborgen geblieben. Sie plante deshalb, die Polizei zu entwaffnen und die Polizisten zu internieren.

MG-Stellung am Eingang der Präfektur
Dem kommt das Befreiungskomitee zuvor:
Für den 15. August ruft es alle Polizisten zum Generalstreik auf. Unter Mitnahme ihrer Dienstwaffen gehen die Polizisten nach Hause. Präfektur und die Kommissariate in den Bezirken bleiben verwaist. Von nun an sieht man in den Straßen keine Polizisten mehr.

Am 19. August, morgens um 7 Uhr bietet sich dem unbefangenen Betrachter ein erstaunliches Bild:
Über den zu dieser Tageszeit gewöhnlich menschenleeren Platz vor Notre Dame eilen hunderte vom Männern mit Baskenmützen oder Schirmkappen, in Jacken, Pullovern oder in Hemdsärmeln auf die hohen Türen der Polizeipräfektur am anderen Ende des Platzes zu.

Die Flics kehren zurück, aber nicht um ihren Dienst wieder anzutreten, sondern um die Präfektur zu besetzen.

Paris erhebt sich
und es öffnet seine Gefängnisse
Paris im Fieber
das es auf seine Weise heilt:
Paris wird zornig
Man muss sie sehen, die rostigen Gewehre
die aus den Fenstern zucken.
Auf die Barrikaden
die aus dem Boden schießen
Jedem seine Granate
sein Messer oder die bloßen Hände

(Mireille Mathieu)

Als zum ersten Mal seit vier Jahren, zwei Monaten und vier Tagen die Tricolore wieder über der Polizeipräfektur weht, kann sich auch Abbe Robert Lepoutre, der eigentlich die Frühmesse in Notre Dame zu lesen hätte, dem nicht entziehen und lässt sich von der Flut mitreißen, die sich zur Präfektur hin ergießt.

2000 -“ 3000 Polizisten verfügen nun immerhin über geistlichen Beistand.

Der Hof der Präfektur ist jetzt voller bewaffneter Männer, es herrscht eine fieberhafte Stimmung.
Eine Gruppe von Männern löst sich aus der Menge und stürmt in den zweiten Stock des Südflügels. Dort ist der Sitz des zentralen Nachrichtendienstes, reseignements generaux.
Ein langer Gang, verdreckter grünlich-grauer Anstrich, Glastüren links und rechts und am Ende des Flurs Raum 36.

Dort sind Eisenringe in die Wände eingelassen, um die Gefangenen fest zu ketten. Zwei schwere Holztische, auf denen sie mit Ochsenziemern verprügelt wurden:

Hier trieben die brigades speciales No.1 und No.2 ihr Unwesen. 3500 Widerstandskämpfer/innen wurden hier während der vier Jahre der Besatzung verhört, gefoltert und dann der Gestapo oder dem SD ausgeliefert zur Deportation in deutsche Konzentrationslager.

Jetzt erinnert nur noch verkrustetes Blut an die Qualen der Opfer.

Die Büros sind leer, die Schreibtische ausgeräumt, die Folterknechte haben sich bei ihren deutschen „Freunden“ verkrochen.

Einige Stunden später beginnt der deutsche Panzerbeschuss der Polizeipräfektur.

Champagner und Kaliumchlorat

Plakat mit Anleitung für den Cocktail Joliot-Curie
Im Hof der Präfektur werden die Brandflaschen abgefüllt
Am 19.August betritt ein schüchterner Mann mit zwei schweren Koffern als einer der letzten die besetzte Polizeipräfektur.

Er begibt sich sofort in das Laboratorium der Polizei und entnimmt seinen Koffern acht Flaschen Schwefelsäure und mehrere Kilo Kaliumchlorat.

Im Labor für Kernchemie, wo seine Schwiegermutter das Radium entdeckt hatte, hat er eine Explosivmischung für Wurfflaschen entwickelt, die in den Händen der Aufständischen zu einer gefürchteten Waffe werden sollten.

Er hieß Frederic Joliot-Curie und hatte 1935 den Nobelpreis für Chemie erhalten.

Das Rezept für seinen „Cocktail Joliot-Curie“ konnte man bald auf einem Plakat an allen Straßenecken von Paris lesen.

Der Cocktail Joliot-Curie im Einsatz
Die Mischung stimmte, allein in der Präfektur mangelt es an leeren Flaschen, um sie ab zu füllen.

Unter Führung von Monsieur Joliot-Curie steigen deshalb einige Männer in den Keller der Präfektur zu den Champagnervorräten des verhafteten ehemaligen Polizeipräsidenten Amedee Bussiere.

Ohne zu zögern, aber mit einem kleinen Bedauern, entkorken sie eine Flasche nach der anderen, gießen den kostbaren Inhalt auf den Boden und füllen die Flaschen der Kellerei Pierre Taittinger mit der explosiven Mischung.

Die Ironie der Geschichte wollte es, dass Pierre Taittinger, Besitzer der gleichnamigen Kellerei, nicht nur der Gründer der größten rechtsradikalen Bewegung im damaligen Frankreich, der „Jeunesse patriotes“, war, sondern auch einer der schlimmsten Kollaborateure der Vichy-Regierung.

Jetzt flogen seine Champagnerflaschen den Nazis um die Ohren und leisteten so einen,wenn auch unfreiwilligen, Beitrag dazu, dass die Präfektur nicht von den Besatzern gestürmt werden konnte.


Nach Motiven aus den Arbeiten von Jacques Duclos, Albert Camus, Paul Eluard, Larry Collins, Dominique Lapierre, Alain Rustenholz, Evelyn Mesquida, Yves Barde, Dominique Manotti und Mireille Mathieu.

Fotos: Musee Carnavalet Paris, Musee Resistance/Deportation Lyon, privat

Stuttgarter Polizei missachtet systematisch Bürgerrechte - und OB Kuhn guckt zu

Nach unverhältnismäßigen Polizeieinsätzen 2012 und 2013 gegen antifaschistische Demonstrationen in Stuttgart, führten verschiedene Bürger und Vereinigungen Beschwerde bei den grünen Regenten: Einige wandten sich gleich an Ministerpräsident Kretschmann, andere an Oberbürgermeister Kuhn.

Gelandet sind sie allesamt bei Harald Weber, leitender Polizeidirektor. Die grünen Regenten lassen antworten.

Dessen Antworten bedürfen näherer Betrachtung:

Der Verein Artikel 5 e.V. führte Beschwerde gegen die Einkesselung nicht nur von Demonstranten, sondern auch von unbeteiligten Bürgern am 30.7.2012 anlässlich einer NPD-Kundgebung, deren Fesslung mit Kabelbindern und stundenlangem Festhalten auf der Wasenwache mit Verhör und erkennungsdienstlicher Behandlung.

Die Antwort ließ auf sich warten. Anderthalb Jahre später antwortete Herr Weber, beginnend mit der frohen Botschaft, dass das Verfahren gegen den Einsatzleiter der Polizei wegen Freiheitsberaubung und anderer Straftaten eingestellt worden sei.

Er könne nun zu den Ausführungen bezüglich der Demonstranten, „die sich der „Braunen Agitation“ entgegenstellten“ Mitteilung machen.

Erstaunlich, was doch zwei kleine Anführungszeichen über das Denken des Schreibers verraten können.

Schließlich wird gegen die NPD ein Verbotsverfahren angestrengt wegen ihrer braunen Agitation -“ ganz ohne Anführungszeichen.

Mit Kabelbinder wurden die Leute während des Transports gefesselt, „um Übergriffe auf die Polizei zu verhindern.“ Wer schon einmal das zweifelhafte Vergnügen hatte, in einem der polizeilichen Gefangenentransporter chauffiert zu werden, weiß, dass Herrn Webers Ausführungen hanebüchener Unsinn sind oder genauer gesagt, seine Verachtung für die Beschwerde führenden zum Ausdruck bringt.

Die stundenlange Ingewahrsamnahme wird mit dem „massiven Aufgebot an Gegendemonstranten“, infolge davon „personellen Engpässen“, „organisatorischen Gründen“ und „räumlichen Gegebenheiten“ erklärt.

Am 30.7.2012 waren 600 Beamte im Einsatz, ca. 50 Antifaschisten wurden eingekesselt und in Gewahrsam genommen. Auf jeden Festgenommenen kamen also rein rechnerisch zwölf Beamte.Soviel zum Thema personelle Engpässe.

Ein anderer Beschwerdeführer wandte sich an OB Kuhn wegen des Polizeieinsatzes gegen antifaschistische Demonstranten anlässlich einer Kundgebung von „Pro Deutschland“ am 6.9.2013 auf dem Erwin-Schöttle-Platz.

Der Beschwerdeführer hatte u.a. die Frage an die städtischen Behörden gestellt, wieso sie „Pro Deutschland“ einen Platz in unmittelbarer Nähe des zur gleichen Zeit stattfindenden Afrikafestivals des Vereins Baye-Fall e.V. im Alten Feuerwehrhaus zugewiesen hatten. Beide Versammlungsorte sind nur durch eine Straße getrennt.

Und er bekam Antwort. Nicht nur von Herrn Weber, sondern auch von Herrn Petri vom Amt für öffentliche Ordnung : „Nicht möglich ist es in der Regel dagegen, eine Versammlung mit der Begründung zu verlegen, dass in der Nachbarschaft bereits eine Veranstaltung stattfindet.“

Dass es sich bei „Pro Deutschland“ um ausgewiesene Rassisten handelt und ein Afrikafestival naturgemäß auch von vielen schwarzen Menschen besucht wird, ist Herrn Petri natürlich nicht entgangen. Dumm stellen ist auch eine Methode, die eigentliche Motivlage zu verschleiern.

Auf Grund der weiträumigen polizeilichen Absperrung war auch der Zugang zum Afrikafestival im Alten Feuerwehrhaus nicht mehr möglich. Auch das kritisierte der Beschwerdeführer. Herrn Webers dummdreiste Antwort: „Darüber hinaus hatten andere Personen, explizit sei eine Trommlergruppe genannt, gar kein Interesse mehr zu der Veranstaltung zu gehen, sondern lehnten das Angebot, sie dorthin zu bringen, ab.“

Warum wohl hatte die Trommlergruppe kein Interesse mehr an der Veranstaltung, für die sie ja wohl eigens angereist war? Kann es unter Umständen sein, dass sie, auch bedingt durch die Erfahrungen schwarzer Menschen mit latentem und offenem Rassismus in den Reihen der Polizei, es angesichts des massiven Polizeiaufgebots schlicht mit der Angst zu tun bekam?

Wer jetzt meint zynischer geht es nicht mehr bei Polizeidirektor Weber, der irrt. Der Beschwerdeführer beschreibt folgende Erfahrung: „Auf die Frage, warum der Platz abgesperrt sei und warum man nicht von A nach B gehen dürfe, bekam ich an vier Stellen der Absperrung von vier verschiedenen Beamten die annähernd gleichlautende Antwort, man könne äußerlich nicht erkennen, ob das ein Bürger oder ein Linker sei und deshalb würden sie keinen durchlassen.“

Weiter heißt es: „Spätestens hier müssen die Alarmglocken schrillen!“ Er weist darauf hin, dass offensichtlich „in Teilen der Polizei ein absurder Gegensatz zwischen Bürgern und „Linken“ kolportiert“ und bei der kasernierten Bereitschaftspolizei „mit Feindbildern aus längst vergangen geglaubten Zeiten“ operiert werde.

Der Polizeidirektor antwortet militärisch knapp: „Zu Äußerungen, die durch einzelne Beamte gemacht wurden, kann ich keine Aussage treffen. Da mir die Namen nicht bekannt sind, ist die Anforderung einer Stellungnahme nicht möglich.“ Abgesehen davon, dass hier aus berufenem Munde die Notwendigkeit der Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten deutlich gemacht wird, geht der Polizeidirektor einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Äußerungen seiner Beamten aus dem Weg -“ schlimmer -“ dieses Ignorieren lässt eher vermuten, dass er sie teilt.

Dass ein leitender Polizeidirektor derart mit den Beschwerden besorgter Bürger umgeht, ist ein unsäglicher Zustand.

Dass aber den grünen Regenten das Treiben der Einsatzhundertschaft, die immer wieder zu beobachtenden Polizeiübergriffe bei Personenkontrollen, Einschränkungen der Versammlungsfreiheit bis zum Demonstrationsverbot für die Montagsdemo am Bahnhof schlicht egal sind -“ das ist der eigentliche Skandal. Und dazu passt dann auch, dass sie, die sich einer „Kultur des Gehörtwerdens“ verschrieben haben, jemanden wie Polizeidirektor Weber an ihrer Stelle antworten lassen und diesen reaktionären, die Bürger zutiefst verachtenden Zynismus durch ihr eigenes Schweigen auch noch absegnen .

Vor diesem Hintergrund muss leider auch die Frage erlaubt sein, warum die grüne Partei nichts dabei findet, dass in der Ukraine mit einer Regierung zusammen gearbeitet wird, in der drei Minister, der Generalstaatsanwalt und ein Vizepremier ausgewiesene Faschisten der Swoboda-Partei sind, der ukrainischen Schwesterpartei der NPD.

Buchbesprechung: Der NSU-VS-KOMPLEX von Wolf Wetzel

„Was macht man also mit der Flut der Informationen, die es im Fall der neonazistischen Mordserie des NSU gibt? Sie sind widersprüchlich, sie passen nicht zusammen, sie verwirren, sie machen ratlos. Will man der Nachricht Glauben schenken, die eine Zeitung veröffentlicht hat, oder dem Dementi, das von staatlichen Stellen oder von (anderen) Medien verbreitet wird.
Im Folgenden geht es darum, nicht den Kopf zu verlieren, sondern die Dementis und die zugrundeliegenden Nachrichten abzugleichen, aneinanderzulegen. Manchmal verraten auch Dementis mehr, als sie wollen, grenzen den erhobenen Verdacht eher ein, als dass sie ihn ausräumen.“ (S. 87)

Wolf Wetzels Buch leistet genau das: es hilft dem Leser angesichts der (Des)informations- Flut, mit der er systematisch in die Irre geführt wird, nicht den Kopf zu verlieren.

So listet er eine Auswahl der bekannt gewordenen Schredderaktionen der diversen Behörden auf. Allein dadurch wird die Dimension und systematische Beweisvernichtung deutlich. Der laufende NSU-Prozess ist u.a. eine Absurdität, denn: „Das Gericht wird also mithilfe der vernichteten Beweise nur das verfolgen, was mit den übrig gebliebenen Beweisen aufgeklärt werden kann/soll. Das heißt im Klartext: Grundlage dieses Prozesses ist eine manipulierte Beweislage.“ (S 9)

Wolf Wetzel räumt auf: mit der „Mär vom Behördenwirrwarr“, der „Legende von den spurlos Verschwundenen“, er deckt auf „die Verschwörung der Zufälle“.

Allein dieses Vorgehen unterscheidet sein Buch schon wohltuend von anderen Veröffentlichungen zu diesem Thema.

Wirklich konstruktiv ist seine Kritik an der Haltung der radikalen Linken zum NSU-VS-Komplex. Er kritisiert die „Haben-wir-ja-schon-immer-gewusst“ Haltung, die in der politischen Praxis zu Passivität führt und dazu, allen möglichen „Aufklärern“ das Feld zu überlassen, was in einem merkwürdigen Kontrast zu der Kompetenz vieler antifaschistischer Netzwerke bei der Aufdeckung neonazistischer Umtriebe und Verbindungen steht.

Auch die landauf landab aufgestellte Forderung nach „Auflösung des Verfassungsschutzes bzw. der Geheimdienste“ nimmt er kritisch unter die Lupe und entwickelt positiv, wie eine politische Praxis zur Durchsetzung dieser Forderung aussehen könnte: „Wer die Abschaffung der Geheimdienste richtig findet, der kann und darf klein anfangen, die Waffe stumpf machen, die zu jedem Geheimdienst gehört: V-Leute, auch gemeinhin Spitzel genannt.“ (S. 127) „Die Einrichtung einer bundesweiten Datei über aufgeflogene V-Leute wäre ein nächster, notwendiger Schritt: man könnte sie BDFS (bundesweite Datei für Spitzel) nennen.“ (S. 128) und „Die Offenlegung aller Akten der Geheimdienste aus den Jahren 1950 bis 1980. Dann könnte z.B. öffentlich überprüft werden, ob der Bombenanschlag auf das Oktoberfest in München 1980 ein irrer Anschlag eines Einzeltäters war oder die Geheimdienste einen erheblichen Tatbeitrag lieferten, damit dieses Massaker passieren konnte, und Spuren, die der Einzeltätertheorie widersprachen, beseitigt worden sind.“ (S. 129) zusätzlich „Die Forderung nach einer Gauck-Behörde-II, zu der alle BürgerInnen Zugang hätten, würde das Feld, auf dem sich Mutmaßungen und Verschwörungstheorien gleichermaßen bewegen müssen, auf demokratische und überprüfbare Weise so klein machen, dass wir am Ende wüssten, ob das, was zum Staatsgeheimnis erhoben wird, den >Interessen der Bundesrepublik< dient oder dem Schutz von Staatsverbrechen.“ (S. 129)

Allerdings gerät Wolf Wetzel bei der Beantwortung der Frage „Wie viel Staat steckt im Nationalsozialistischen Untergrund?“ etwas ins Stolpern. „Auch die historisch belegte Rolle von (bewaffneten) Faschisten als >Systemreserve< halte ich für die heutigen Verhältnisse für falsch.“ (S. 162)

Zeigt aber nicht gerade die Entwicklung in der Ukraine wie eine solche faschistische „Systemreserve“ erst hochgepäppelt und zum gegeben Augenblick dann tatsächlich als „Kettenhund des Kapitals“ losgelassen wird und mit welcher rasanten Geschwindigkeit das geschieht? Warum der Autor zur Untermauerung seiner These sich dann auch noch zur Verharmlosung des Faschismus versteigt, wenn er schreibt „Und welche Verfolgungsmaßnahmen könnte ein faschistisches Regime bereitstellen, die nicht bereits heute >legal< darauf warten, massenhafte Protest -“ in der Zukunft -“ niederzuschlagen?“ (S. 163) ist nur erklärbar dadurch, dass trotz eigener gegenteiliger Analyse (siehe S. 146/147) nicht klar zu sein scheint, dass der „Machtantritt des Faschismus keine einfache Ersetzung der einen bürgerlichen Regierung durch eine andere, sondern eine Ablösung der einen Staatsform der Klassenherrschaft der Bourgeoisie -“ der bürgerlichen Demokratie - durch eine andere Form -“ durch die offene terroristische Diktatur (ist).“ (Georgi Dimitroff, Die Offensive des Faschismus... Ausgewählte Schriften 1933-1945,S. 98)

Fazit: Wolf Wetzels Buch ist absolut lesenswert -“ und auch Dimitroffs Aufsatz verdient nochmal gelesen zu werden.

Wolf Wetzel
Der NSU-VS-KOMPLEXWo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund - wo hört der Staat auf?

2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Oktober 2013
UNRAST-Verlag, Münster

Blockupy 2013. Der Frankfurter Polizeikessel am 1.Juni 2013

Bericht der Demonstrationsbeobachtung vom 30.Mai bis 1.Juni 2013

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts des Komitees für Grundrechte und Demokratie hätte nicht besser gewählt werden können:
Fast zeitgleich erklärte das Frankfurter Verwaltungsgericht, die Einkesselung der Blockupy-Demonstranten sei „wohl gerechtfertigt“ gewesen. Das ist noch kein echtes Urteil, sondern nur das Ergebnis einer vorläufigen Prüfung zur Erfolgsaussicht der Klage. Aber man sieht, wohin die Reise geht.

Zur Erinnerung: Am 1.Juni 2013 unterdrückte die Polizei eine Demonstration der Blockupy-Bewegung in Frankfurt, indem sie nach einem vorgefassten Plan ca. 1000 Teilnehmer der Demo einkesselte und so die Demonstration sprengte: „Anweisung von oben: Eskalieren!“ (Originalton Polizei).
Die Demoroute entlang der Europäischen Zentralbank war vorher gegen die Versammlungsbehörde vor Gericht erstritten worden. Durch das Eingreifen der Polizei „muss der Eindruck einer Recht brechenden und Selbstjustiz schaffenden Exekutive entstehen.“ (S.11)

Auf der Grundlage der Berichte des Demobeobachter-Teams des Komitees für Grundrechte und Demokratie befasst sich die Broschüre detailliert mit Vorgeschichte, Demo-Ablauf, den zentralen Merkmalen des Vorgehens der Ordnungskräfte und der Resonanz in den Medien.

Neben diesen aufschlussreichen Schilderungen des konkreten Ereignisses sind die Ausführungen der Autoren zu grundsätzlichen Aspekten der Versammlungsfreiheit für alle interessant, denen die Versammlungsfreiheit am Herzen liegt.

So wird der Gesetzesvorbehalt beim § 8 Versammlungsfreiheit kritisiert:
„Nach dem ersten Absatz von § 1 Versammlungsgesetz wuseln nur noch Verbote und noch einmal Verbote. Als eine Art Versammlungsverbotsgesetz ist das Versammlungsrecht durchgehend nicht grundrechtskonform.“ (S.79).

„Darum müsste das Versammlungsgesetz in seiner 1953er Grundform längst dem Brokdorf-Beschluss konform demokratisch angehoben werden.“ (S.86)
Die Autoren verhehlen aber auch nicht die Schwierigkeiten bei dem Versuch, ein fortschrittliches Versammlungsgesetz zu entwerfen: „Dabei wird allerdings meist deutlich, wie breit die Fallstricke ausgelegt sind und wie schwierig es ist, eine grundlegend andere Herangehensweise zu finden.“ (S.69)

„Würde ein Artikel 8 - „Jede Person hat das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen mit anderen zu versammeln und Versammlungen zu veranstalten“ - diese Recht nicht vielleicht besser schützen können als jedes Versammlungsgesetz, das nur wieder neue Grenzen zu ziehen versucht?“ (S.69/70)

Trotzdem werden einige Kernelemente eines fortschrittlichen Versammlungsgesetzes formuliert:„- Demonstrierende entscheiden selbst über den Ort ihrer Versammlung und die Ausdrucksformen. Vom Grundrecht generell oder aktuell ausgenommene Plätze kann es nicht geben. - In Versammlungen hat „der Staat“, repräsentiert durch die Polizei, nichts zu suchen -“ weder uniformiert, noch undercover und auch nicht mit Videogeräten.(...) - Die Demonstrierenden entscheiden selbst über Länge und Größe von Transparenten und auch über das Tempo ihrer Bewegung. - Die Bewegungsfreiheit wie auch die Meinungsfreiheit sind zu achten, wozu auch die Möglichkeit gehört, gesehen und gehört zu werden. Dies verbietet jede einschließende Begleitung, wie die wandernden Kessel genannt werden.“ (S.70).

Dem Fazit der Autoren ist nichts hinzu zu fügen: „Versammlungen können ein Stachel sein im herrschaftlich definierten und kontrollierten Alltag, sie können aufstacheln und politische Veränderungen einleiten. Dafür gilt es weiterhin zu streiten -“ auf der Straße und vor Gericht. Auf dass endlich den rechtswidrigen Eingriffen der Polizei Einhalt geboten werde!“ (S. 123)

Die Broschüre kann für sieben Euro bezogen werden unter der Adresse:
Komitee für Grundrechte und Demokratie
Aquinostr. 7-11 50670 Köln
Telefon 0221 972 69 30 Fax 0221 972 69 31
info@grundrechtekomitee.de
www.grundrechtekomitee.de

Buchbesprechung: „Ihr seid Träumer - sagte der Traum“ von Manfred Jansen

Die Welt der Warenproduktion ist das große Mysterium der bürgerlichen Gesellschaft. Gebirge von Waren begraben die Konsumenten unter sich -“ die Produzenten dieser Waren und die Umstände, unter denen sie leben und arbeiten, bleiben aber praktisch unsichtbar.

Medial und gesellschaftlich sind sie nicht präsent.

Manfred Jansen reißt mit seinem Buch „Ihr seid Träumer -“ sagte der Traum“ diesen Schleier des Schweigens weg und macht den Blick frei auf die Lebenswirklichkeit der Menschen, die mit der Profitproduktion den Lebensnerv der kapitalistischen Gesellschaft ausmachen.

Er beschreibt über zehn Jahre hinweg den Kampf der dreihundertköpfigen Belegschaft eines Metallbetriebs in Stuttgart: Gegen Massenentlassungen, die Zerschlagung bzw. Schließung des Betriebs, gegen den Angriff auf tarifliche Rechte.
Die Arbeiterklasse nicht als leidende, sondern als aktiv kämpfende Klasse.

Die große Stärke seines Berichts ist die detailgenaue Schilderung der Bewusstseinsentwicklung in Belegschaft, Betriebsrat und Vertrauenskörper, der über die Jahre zu einer großen Entschlossenheit, Kampfbereitschaft und Selbstvertrauen der Belegschaft führt.

Die Kampfaktionen der Belegschaft, die in ihrer Intensität und Massenhaftigkeit für hiesige Verhältnisse überaus ungewöhnlich sind, fallen eben nicht vom Himmel, sondern sind das Ergebnis dieser jahrelangen systematischen Kleinarbeit und Auseinandersetzung -“ das wird bei der Lektüre überdeutlich.

Diese Auseinandersetzungen verlaufen auch nicht geradlinig, sondern schwankend, zwischen Konfrontation und (Beinahe) Kapitulation.

Manfred Jansen gelingt damit ein wichtiger Beitrag zur Beschreibung des Bewusstseinsstands der Arbeiterklasse.

Das „Geheimnis“ des Erfolgs ist, so der Autor, die Frage „des Standpunkts, der Weltanschauung“, die die „Führung“ hat, „es ist eine politische Frage.“ (S. 566) : Standortkonkurrenz oder solidarische Auseinandersetzung und Zusammenarbeit mit den Belegschaften konkurrierender Betriebe, Ehrfurcht vor der „unternehmerischen Entscheidung“ und den wohlfeilen Konzepten ( Interessensausgleich, Sozialplan, Beschäftigungsgesellschaft) der Co-Manager oder Mobilisierung der Belegschaft zur eigenständigen Vertretung ihrer Interessen -“ je nachdem, welche Antworten auf diese Fragen gegeben werden und wie die Auseinandersetzung darum in der Belegschaft organisiert wird, ist ein Erfolg möglich oder führt der Weg in die Niederlage.

Das Buch kann unter der e-mail Adresse buchmj@t-online.de bestellt werden und kostet 16 € + 2,40 € Versandkosten.

RAF-Ausstellung: Notwendige Korrekturen Teil 4

Logo der RAF
Quelle: WikiPedia

Im Rahmen ihrer publizistischen Begleitung der Ausstellung „RAF-Terror im Südwesten“ veröffentlichte die Stuttgarter Zeitung am 21.1.2014 ein Interview mit Klaus Kinkel (Ex-Präsident des BND, Ex-Außenminister). Im Rahmen dieses Interviews wird auch der letzte einer langen Reihe von RAF-“Selbstmördern“ entsorgt: Wolfgang Grams.

Er kam auf dem Bahnhof von Bad Kleinen bei einem Festnahmeversuch der GSG 9 am 27.6.1993 ums Leben. Offizielle Todesursache: Selbstmord.

Allerdings schloss die Staatsanwaltschaft Schwerin noch Anfang Juli 1993 aus, dass „Grams Selbstmord begangen habe“.

Auch der damalige Präsident des BKA Zachert teilte am 6.Juli auf einer Pressekonferenz mit, dass ein GSG 9-Beamter ihm berichtet habe, dass er die Waffe von Grams auf den Bahnsteig gelegt hatte, um die „immer noch bestehende Gefahr der Selbsttötung“ zu verhindern.Zachert war seinen Posten schnell los, denn jetzt war Gefahr im Verzug:

Wolfgang Grams war, von mehreren Kugeln getroffen, schwerverletzt ins Gleisbett gefallen. Über das, was dann passierte, gibt es zwei Versionen:

Alle eingesetzten Beamten (die Zahl schwankt zwischen 38 und 58) hatten in den 8-15 Sekunden, die der Schusswechsel dauerte, kollektiv weg geschaut, sie hatten einfach nichts gesehen.

Eine nicht beamtete Zeugin, die Kioskbesitzerin Baron, und ein BKA-Beamter, der sich anonym dem „Spiegel“ anvertraute, machten allerdings Aussagen, die den Schluss zuließen, dass Wolfgang Grams hilflos auf dem Rücken liegend, durch den aufgesetzten Schuss eines GSG 9-Beamten regelrecht exekutiert worden war.

Was jetzt geschah, wird sehr plastisch durch folgende Episode in der Innenausschusssitzung des Deutschen Bundestags am 15.August 1993 illustriert:
FDP-Abgeordneter Lüder: „Wir haben jetzt -“ das finde ich ganz besonders schlimm für die Informationsarbeit der Regierung -“ eine neue Positionierung der Leiche (des Wolfgang Grams). In jedem Bericht hat die Leiche eine andere Position. Wie erklärt sich das eigentlich?“
CDU-Abgeordneter Johannes Gerster: „Die Gleise haben sich verschoben.“
„Die Gleise haben sich verschoben“ und so wird auch die Wahrheit verbogen, Beweise werden systematisch vernichtet:

  • Vor der Obduktion waschen BKA-Beamte Kopf und Hände von Wolfgang Grams, „irrtümlich“ und wegen „unzureichender Erfahrung“.
  • “Vergessen“ wird auch die Asservierung der Haare von Wolfgang Grams.
  • Durch frühzeitigen Beschuss der Waffen der GSG 9-Beamten durch das BKA werden eventuelle Blut- und Gewebeanhaftungen im Mündungsbereich dieser Waffen vernichtet.
  • Die Lage des schwerverletzten Wolfgang Grams und seiner Waffe werden durch das BKA nicht dokumentiert etc. etc.

Dreißig gravierende „Pannen“ bei der Spurensicherung durch das BKA werden festgestellt. Dann wird die Spurenvernichtung internationalisiert:

Zwecks „neutraler“ und „unabhängiger“ Begutachtung wird der wissenschaftliche Dienst der Stadtpolizei Zürich beauftragt, der natürlich zu den erwartenden Ergebnissen kommt. Wie Jahre zuvor schon bei den Stammheimer „Selbstmördern“. Ein wichtiges Asservat, die Jacke des GSG 9-Beamten Nr. 6, ist allerdings seither spurlos verschwunden.

Selbst der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart musste anerkennen, dass der Wissenschaftliche Dienst Zürich falsche und unhaltbare Gutachten lieferte. So zuletzt geschehen im Urteil gegen Peter-Jürgen Book und Christian Klar 1992. Der Senat wörtlich:

Das Gutachten operiere mit „nicht belegbaren Mutmaßungen“.

Nach dieser umfassenden Vernichtung von Beweisen musste die Selbstmordtheorie jetzt noch amtlich bestätigt werden. Ein von Bündnis 90/Die Grünen geforderter parlamentarischer Untersuchungsausschuss wurde abgelehnt. Stattdessen wurde die Regierung beauftragt, die Vorgänge in Bad Kleinen zu untersuchen und einen Bericht vorzulegen.Das ist in etwa so, wie wenn der Wurm entscheidet, ob geangelt wird.

Die Regierung „ermittelte“ also gegen sich selbst und die Mär vom Selbstmord des Wolfgang Grams wurde so in den Rang einer Staatsdoktrin befördert.


Siehe auch:

Die Grünen und der Widerstand gegen Stuttgart 21 - ein Lehrstück oder: Sotschi in Stuttgart ?

Damals, beim Wahlabend der Grünen....
Montage: redblog

Der Widerstand gegen S21 hatte bekanntlich wesentlichen Anteil daran, dass zuerst Kretschmann in das Amt des Ministerpräsidenten und dann Kuhn in das des Oberbürgermeisters der Stadt Stuttgart gespült wurden. Grund war ihre -“ scheinbare -“ Unterstützung des Widerstands gegen S21.

Beide stehen also auf den Schultern der Verletzten vom 30.9. 2010 (Schwarzer Donnerstag).

Ende Mai sind Kommunalwahlen, der Stern der Grünen hat nach der Bundestagswahl viel von seiner Strahlkraft verloren.

Und wieder soll die Bewegung gegen S21 für grüne Wahlinteressen instrumentalisiert werden. Nur diesmal anders herum: Es gilt die Stimmen, die man links durch die Kapitulation vor den S21-Betreibern verlieren wird, durch Stimmen von rechts zu kompensieren.

Zu diesem Zweck werden die S21-Gegner durch eine regelrechte Zangenbewegung in die Mangel genommen: Ordnungsbürgermeister Schairer (CDU) verbietet die Durchführung der Montagsdemos am Hauptbahnhof. Damit alle Law-and-Order Fans auch wissen, wem sie dafür zu danken haben, erklärt OB Kuhn, dass CDU-Schairer in seinem Sinne handelt.

Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim, der diesen Rechtsbruch legalisiert, nimmt die Auseinandersetzung Fahrt auf:

Die Demonstranten kümmern sich weder um das Verbot noch um das VGH-Urteil und verursachen die Art von Verkehrschaos, die ihnen von Ordnungsamt und VGH ständig unterstellt wird.

Die Argumentation von Ordnungsamt und Polizei gegen die Montagsdemos wird zunehmend grotesker und offenbart deren obrigkeitsstaatliches Demokratieverständnis: Da wird auf den -“ unbekannten - Geschäftsmann verwiesen, der selbst bei geschlossenen Fenstern kein Kundengespräch führen könne -“ wegen des Lärms der Montagsdemos.

Eilfertig wir ihnen von Clarissa Seitz (Vertreterin der Grünen im Aktionsbündnis) beigesprungen, die von „wilden Demonstrationen“ spricht.

Dass die Störung des normalen Betriebs zur Erregung von Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Anliegen die ureigenste Funktion von Demonstrationen ist, interessiert nicht -“ der Leichtigkeit des Verkehrs und dem ungehinderten Gang der Geschäfte wird das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit freudig geopfert.

Werner Wölfle, grüner Bürgermeister, teilt die Ansicht seines Bürgermeisterkollegen Schairer von der CDU, dass der Marktplatz der richtige Ort für die Kundgebungen sei, wo man eine Art „speaker`s corner“ etablieren könne.

Und so wird den S21-Gegnern vom Ordnungsamt der Marktplatz als Versammlungsort „zugewiesen“. Da stören sie niemand.

Diese Verfahren hat jüngst auch der „lupenreine Demokrat“ Putin in Sotschi gewählt: Ja, es darf demonstriert werden, aber nur in Gebieten, die von der Ordnungsbehörde „zugewiesen werden“.

Auch der Begriff der „speaker´s corner“ ist in Putins Reich nicht unbekannt: Er ließ viele davon in dunklen Parkanlagen einrichten, weit weg von jeder Öffentlichkeit kann hier jeder seine Meinung sagen. Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist damit garantiert und deshalb sind alle Versammlungen außerhalb dieser Areale illegal und können zusammen geknüppelt werden.

Die Parallelen in Argumentation und Wortwahl sind augenfällig: Sotschi in Stuttgart ?

Auf der einen Seite ist also das grün-schwarze Bürgermeisterterzett in Stellung gegangen, auf der anderen Seite wird jetzt der zweite Teil der Zangenbewegung ins Werk gesetzt:

Die Grünen im Aktionsbündnis legen einen Sprengsatz, genannt „Entwurf einer Geschäftsordnung“, dessen wesentlicher Inhalt der vollständige Rückzug des Aktionsbündnisses von den Montagsdemos und die Verpflichtung der anderen Organisationen auf den Volksabstimmungsbetrug ist. Dieser Sprengsatz soll das Bündnis spalten bzw. den Abgang der Grünen aus der „Schmuddelecke“ der S21-Gegner zwecks Öffnung nach rechts politisch decken.

Trotz gezielten Einsatzes der Stuttgarter Mainstream-Medien durch die Grünen, misslingt das Spaltungsmanöver: Nur drei von dreizehn Organisationen verlassen mit den Grünen das Bündnis. Deren Mitglieder erfahren allerdings erst aus der Presse, was ihre Führungen da beschlossen haben. Das führt zu heftigen Auseinandersetzungen und Austritten.

Verblüfft meldet die Stuttgarter Zeitung nach der 207. Montagsdemo: „Widerstand geht weiter. Auch nach dem Zerfall des Aktionsbündnisses bleibt der Zulauf zur Montagsdemo gleich.“

Das ganze schöne Ränkespiel ging also mit Karacho in die Hosen. Um von ihren Wahlchancen noch zu retten, was zu retten ist, basteln die Grünen an der Drohkulisse vom schwarzen Mann: „Wir dürfen diese Stadt nicht den Schwarzen und ihren Satelliten überlassen.“ (Grünen - Stadtrat Lazaridis).

Diese Argumentation von einer Partei zu hören, die sich nicht zu schade ist, sich in Hessen mit dem CDU-Ultrareaktionär Bouffier ins Koalitionsbett zu legen, ist schon mehr als befremdlich.

Zu allem Überfluss wird jetzt auch noch ruchbar, dass die Staus infolge der Montagsdemos wahrscheinlich staumäßig die geringste Sorge der grün-schwarzen Bürgermeisterriege sein dürfte.

CDU-Schairers Ordnungsamt höchstselbst fällt ein vernichtendes Urteil über die Neuplanungen der Bahn beim Bau des Nesenbachdükers und ihre Auswirkungen auf die Leichtigkeit des Verkehrs: Die neuen Planungen könnten „von der Straßenverkehrsbehörde nicht mitgetragen werden.“

So bricht auch das Konstrukt von Ordnungsamt und VGH über die, die Sicherheit und Ordnung bedrohenden Staus aufgrund der Montagsdemos, mit einem lauten Knall in sich zusammen.

RAF-Ausstellung: Notwendige Korrekturen Teil 3

Logo der RAF
Quelle: WikiPedia
Von Karl Marx stammt die These, dass sich Geschichte zweimal ereigne: Einmal als Tragödie und einmal als Farce. Auch in der Geschichte des Hanns-Martin Schleyer gibt es solche Doppelungen:

Auch Schleyer war Mitglied einer kriminellen Vereinigung. Die SS wurde am 1.Oktober 1946 zur kriminellen Vereinigung erklärt. Mitgliedschaft wurde mit „automatischem Arrest“ geahndet. Dort fand sich Schleyer nach Kriegsende auch wieder. Die kriminelle Vereinigung RAF nimmt sich gegen Schleyers Verein allerdings eher wie eine Kinderkrabbelgruppe aus.

Bernt Engelmann (damals Vorsitzender des Verbands deutscher Schriftsteller, antifaschistischer Widerstandskämpfer und Überlebender der Vernichtungslager) erklärte 1977 dazu: „Als aktive Terroristen standen uns damals die Angehörigen einer kriminellen Vereinigung gegenüber. Verblüffenderweise sitzen heute von den ehemaligen Führern dieser Terroristengruppe -“ ich muss wohl sagen: - bande -“ nur wenige hinter Gittern, etliche im Bundestag, und zwar just bei jener Fraktion, die jetzt die schlimmsten Verleumder und Scharfmacher stellt, ja, wo einige Herren den Terrorismus am liebsten mit staatlichem Terror beantworten möchten.“

Ebenfalls findet in der Geschichte des Hanns-Martin Schleyer das Verbrechen der Geiselnahme eine Doppelung. 1945 ist er Täter.

Prag, 5. Mai 1945, Aufstand gegen die Nazi-Besatzungsmacht. Im Schulgebäude des 4. Bezirks hat sich eine SS-Einheit verschanzt, die zwanzig Geiseln, Beschäftigte der Firma Janeceln, in ihrer Gewalt hat. Die tschechischen Aufständischen verhandeln mit dem SS-Kommandanten über die Freilassung der Geiseln. Dieser verlangt dafür im Gegenzug, dass seine Frau und sein Kind herbeigebracht werden sollen. Um Mitternacht wird die Frau, die ein kleines Kind auf dem Arm trägt, mit einem Auto zu dem Schulgebäude gebracht und gegen die Geiseln ausgetauscht. Die Aufständischen ziehen sich zurück. Einen Tag später richtet die SS in unmittelbarer Nähe des Schulgebäudes ein Massaker unter der Zivilbevölkerung an: Im Keller des Hauses 253 und im Garten des Hauses 254 werden 41 Menschen erschossen aufgefunden: unbewaffnete ältere Männer, Frauen und Kinder.

Am 8. Mai 1945, dem Tag der deutschen Kapitulation, bringt eine SS-Einheit Geiseln aus der Prager Zivilbevölkerung in ihre Gewalt, setzt sich aus Prag ab und erreicht abends die amerikanischen Linien, wo sie sich gefangen nehmen läßt.

Der Führer dieser SS-Einheit wird als gedrungener, breitgesichtiger Mann mit dicken Lippen und Mensurnarben auf der Wange beschrieben, dessen Namen auf „Meier oder so ähnlich“ endet. Der einzige SS - Führer in Prag, auf den diese Beschreibung passen könnte, ist Hanns-Martin Schleyer. Er ist zu diesem Zeitpunkt 30 Jahre alt, seine Frau hatte ihm am 1. November 1944 einen Sohn geboren.

33 Jahre später ist er Opfer.

Köln, 5. September 1977. Ein 450er Mercedes fährt gegen 17.25 Uhr die Friedrich-Schmidt- Straße entlang. In dem Wagen sitzen der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Hanns-Martin Schleyer, und sein Fahrer Heinz Marcisz. In einem zivilen Polizeifahrzeug folgen die Personenschützer Reinhold Brändle, Roland Pieter und Helmut Ulmer. Ein blauer Kinderwagen, der auf der Straße steht, zwingt Marcisz zu einer Vollbremsung. In diesem Moment eröffnen fünf Maskierte das Feuer. Alle außer Schleyer sterben im Kugelhagel. Schleyer wird aus dem Auto gezogen und in einen VW-Bus geschleppt. Er wird Geisel des RAF-Kommandos Siegfried Hausner.

Der Staat antwortet mit einer Gegengeiselnahme. Über alle Gefangenen, die nach § 129a angeklagt oder verurteilt sind, wird eine „Kontaktsperre“ verhängt, d.h. sie werden untereinander und von jedem Kontakt mit der Außenwelt vollständig isoliert.

Darunter fällt auch der Kontakt mit den Verteidigern. So finden z.B. mündliche Haftprüfungstermine ohne Verteidiger statt, bei der Verkündung des Haftbefehls hat der Rechtsanwalt kein Recht auf Anwesenheit, Vernehmungen und Ermittlungsverhandlungen werden nur durchgeführt, wenn der Rechtsanwalt auf seine Anwesenheit verzichtet. Für dieses Vorgehen gibt es keinerlei gesetzliche Grundla ge, auch wenn die Justizminister sich auf Paragraph 34 StGB , der einen übergesetzlichen rechtfertigenden Notstand vorsieht, berufen. Paragraph 34 StGB ist jedoch eine Ergänzung der reformierten Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch. Er war zum Zeitpunkt der Kontaktsperre nicht zur Legitimation staatlichen Handelns gedacht.

Und so wird innerhalb von drei Tagen das bis dahin am schnellsten verabschiedete Gesetz in der Geschichte der BRD installiert: das Kontaktsperregesetz (Ähnlich schnell wurde in jüngster Vergangenheit nur die Bankenrettung durch das Parlament gepeitscht).

Sowohl die Kontaktsperre wie auch in der Folge eine Nachrichtensperre über die Ereignisse um die Schleyer Entführung werden von einem Großen Krisenstab in Bonn angeordnet. Eine solche Einrichtung ist in der Verfassung, auch in der Notstandsgesetzgebung, nicht vorgesehen. Die Gewaltenteilung wird aufgehoben, das Parlament hat keinerlei Kontrolle über die Aktivitäten des Krisenstabs.

Am 17.10.1977 sagt der Publizist Golo Mann in der ARD-Sendung „Panorama“: “Der Moment kann kommen, in dem man jene wegen Mordes verurteilten Terroristen, die man in sicherem Gewahrsam hat, in Geiseln wird verwandeln müssen, indem man sie den Gesetzen des Friedens entzieht und unter Kriegsrecht stellt.“

Nachtrag:
Nach der Ermordung Hanns-Martin Schleyers wurde er von vielen Politikern als „Vorbild für die deutsche Jugend“ angepriesen. Die größte Veranstaltungshalle Stuttgarts trägt immer noch seinen Namen.

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