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Tunesien: Das "siegreiche" Volk protestiert immer noch - und wird vom Militär bedroht

In unseren Zeitungen geht es hoch her. Alles lobt die tapferen Bewohnerinnen und Bewohner von Tunesien, die es als erste geschafft haben, ihren Blutsauger los zu werden.

Ein Thomas Schmid in der "WELT" holte schon vor Tagen die revolutionären Wimpel aus den tiefsten Kellerecken seiner Vergangenheit und schwenkte diese. Alle jubelten sich besoffen - nicht ohne deutliche Hinweise, solchen Leuten, die so lange kein Training im Wählen hatten haben dürfen, müssten unverzüglich Hilfskräfte der EU auf den Hals gehetzt werden. Ein paar Umstände der Bewegung wurden dabei absichtlich verschwiegen.

1. Wie "Le MONDE" exakt recherchiert hat, setzte das Militär dem Präsidenten Freitagmittag um 2 oder 3 Uhr die Pistole auf die Brust. Sie gaben ihm möglicherweise eine oder zwei Stunden, um sich zu verdrücken. Es handelte sich also eindeutig um den Militärputsch, den "WELT " und "Focus" so erbittert abstreiten.

2. Das soll die Wucht des Angriffs der Massen auf den Straßen von Tunis und anderswo keineswegs leugnen. Das Militär, vom Alt-Blutsauger vor die Wahl gestellt, gegen die Massen loszugehen, ging nach reiflichem Bedenken lieber gegen den eigenen Chef vor. Ganz offenbar wendete das Militär sich dann offensiv zumindest gegen die Teile der Polizei, die von Ali als zusätzliche Schlägerbande eingesetzt worden war. Sperrte auch einige von ihnen ein.

Die Bezeichnung "Militärputsch" bezeichnet präzise den juristischen Tatbestand, soll aber nichts aussagen über die politischen Absichten an der Spitze. Es hat in der Geschichte durchaus schon Militärs mit zunindest revolutionären Absichten gegeben. Die letzten mir bekannten 1975 im Aufstand gegen die portugiesische Diktatur. Wie die wirklich revolutionären Kräfte der damaligen Bewegung abgewürgt wurden, teilweise schließlich ins Gefängnis geworfen, wird einigen noch in Erinnerung sein.

Man hielt es im tunesischen Militär für angebracht, nicht zu deutlich als Akteur hervorzutreten. Als Täter sollten die Komplizen des alten Diktators sich zeigen und der ganzen Geschichte einen fast legalen Rahmen geben.

3. Die provisorischen Elemente - unter Militäraufsicht- versteht sich, haben nun am heutigen Montag eine Regierung vorgestellt, die die Lobredner bei uns sicher als neu preisen werden. Allerdings bleiben sechs alte Minister der wichtigsten Ämter - Inneres, Militär, usw. - alle im Amt. Vertreter der bisher geduldeten Opposition bekommen rationiert genau drei Sitze zugeteilt. Unter den Dreien auch ein Pseudokommunist, der sich von der tatsächlich vorhandenen Partei losgesagt hatte, um in Gnaden aufgenommen zu werden Zusätzlich werden ein paar Vertreter der "zivilen Gesellschaft" herangezogen.

4. Nicht vertreten sind zwei Gruppen, die allgemein für die gehalten werden, die noch am ehesten Zuspruch bei breiten Teilen der Bevölkerung finden könnten. Kommunisten und Vertreter einer islamischen Partei, die von sich selbst meint, dass sie am ehesten mit der regierenden türkischen islamischen Partei verglichen werden könnte.

4a: Von Hamma Hammami, dem Führer der wirklichen Kommunisten, meint Bernhard Schmid in seinem Bericht folgendes: "Gleichzeitig aber nahm die tunesische Diktatur einen ihrer prominentesten politischen Opponenten fest, den Journalisten und früheren Direktor der Zeitung ,Al-Badil-™ (Die Alternative) Hamma Hammami. Letzterer ist der Sprecher der „Kommunistischen Werktätigenpartei Tunesiens“ PCOT, über die man denken kann, was man möchte - die Partei war früher maoistisch und pro-albanisch ausgerichtet und hat heute ein eher vage demokratisch-marxistisches Profil, die aber zu den wichtigsten Oppositionskräften im tunesischen Polizeistaat gehört."

Keine Kommunisten, keine Islamisten - der Rest von altem Schrot und Korn. Ja - so stellen sich die europäischen Erneuerer und Helfer das ideale Nachfolgesystem vor. Muster: Westdeutschland nach 1945 - obwohl man damals den Kommunisten noch eine Gnadenfrist gewähren musste.

Versteht man jetzt, warum in unseren Nachrichten die freudige Hilfsbereitschaft überwiegt? Nur jetzt den armen Leuten helfen, die von Demokratie doch keine Ahnung haben. Die europäischen Schweine haben die Füße im Trog. Hilfsbereitschaft pur!

Als wenn wählen so schwer wäre. 1917 in Russland klappte es doch auch - ohne Völkerbund! Aber Aufsicht muss sein! Vor allem, wenn Westerwelle, Sarkozy und Merkel an die Auswirkungen auf die Nachbarstaaten denken. Da muss schnell - sehr schnell - ein Regime her, das an Gefälligkeit dem alten nicht nachsteht.

5. Versteht man jetzt die Demonstrationen? Sie werden von denen vorangetrieben, die sich nicht für dumm verkaufen lassen wollen. Von denen, die wissen, dass ein diktatorisches System nicht bloß auf einen Diktator und seine Vampyrfamilie reduziert werden kann. Sondern dass es immer schon sich Hundertschaften von Profiteuren und Helfern herangezogen hat. Die Demonstrierenden wollen vor allem eines: Die ganze Bagage der herrschenden Partei lieber heute als morgen verschwinden sehen.

Darum geht der Kampf! Es wird entscheidend darauf ankommen, dass auch bei uns - in den Ländern der EU - Klarheit geschaffen wird. Ein paar Rationen abgeworfene Barmherzigkeit reichen dieses Mal nicht aus! Dürfen nicht ausreichen. Von Befreiung kann erst dann die Rede sein, wenn die Schmarotzer aus dem Fell der verjagten Bestie herausgeschüttelt und auf schärfste Magerkost gesetzt worden sind.

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Kommentare

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Dani Walter am :

Entschuldige bitte.
"Darum geht der Kampf! Es wird entscheidend darauf ankommen, dass auch bei uns - in den Ländern der EU - Klarheit geschaffen wird. Ein paar Rationen abgeworfene Barmherzigkeit reichen dieses Mal nicht aus! Dürfen nicht ausreichen. Von Befreiung kann erst dann die Rede sein, wenn die Schmarotzer aus dem Fell der verjagten Bestie herausgeschüttelt und auf schärfste Magerkost gesetzt worden sind."
Wo genau können wir eingreifen, helfen, Klarheit schaffen. Nochmal konkret gefragt: Was tun?

Fritz Güde am :

Was tun?
Natürlich sitzen wir wieder einmal im Parkett und schauen zu. Vor einem Revolutionstourismus wie seinerzeit in Portugal wäre dringend zu warnen. Das würde ziemlich schnell auf Bevormundung von links statt durch Merkel hinauslaufen.
Wenig, aber doch viel: wir können auf die heuchlerische Sprechweise der staatstragenden Journalisten hinweisen, die einerseits das tunesische Volk nicht genug preisen können für seine demokratische Erhebung, im selben Artikel aber deutsche und französische Politologen-Überfälle verlangen, um "zu helfen"- um eine Verfassung hinzudrechseln, in der missliebige Gruppen und Leute aus dem Exil so wenig zu melden haben sollen wie in Westdeutschland nach 1945.Warum blieb Merkel nicht bei Spitzwegerichsaft hochverschnupft im Bett, sondern drohte röchelschwer Hilfen an?Hilfen aller Art! Man kennt das von den verschiedenen zu Ende betreuten "samtenen" und sonstigen Revolutionen .
Wir können nicht viel tun. Das mindeste sollte sein: Aufmerksamkeit.Aufmerksamkeit gegen die Machenschaften der vereinigten Grapschgemeinde aus USA und EU. Denn im Augenblick herrscht viel verständlicher Jubel, aber sehr wenig Durchblick.

Signorita am :

Ihr müsst die Köpfe fordern von diesen korrupten Hundertschaften. Nicht auf das Militär losgehen, aber das Militär veranlassen, dass man den korrupten schnelle Prozesse macht, sonst sind die bei der Wahl wieder drin. So würde ich das sehen. Weg mit diesen Parasiten.

Lebe in Sudamerika am :

Zusätzlich solltet ihr UNBEDINGT ein grausames Anti-Korruptionsgesetz machen, damit der Abschaum nicht wieder hoch kommt. Das ist wichtig, man siehe zum Bsp. Südamerika. Da ist eigentlich nur Urugay, dass es im Griff hat, vielleicht Chile noch. Würde vorschalgen drakonische Strafen! Sonst habt ihr nachher wieder eine Cleptokratie.

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