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Die Zeit läuft ab: Der Mangel an Dringlichkeit für ein Geiselabkommen erreicht einen Wendepunkt

Am Freitagabend veröffentlichte die Hamas ein Video, in dem sie um das Leben des 86-jährigen Aryeh Zalmanowitz bangt, der am 7. Oktober aus seinem Haus im Kibbuz Nir Oz in den Gazastreifen entführt worden war.

Am selben Tag gab die tansanische Regierung bekannt, dass Clemens Felix Matanga, ein 22-jähriger Student, der sich im Kibbuz Nahal Oz aufhielt und einer von zwei tansanischen Staatsangehörigen ist, die als entführt gelten, tot ist.

Zwei Tage zuvor war die Leiche der Geisel Judith Weiss, 65, aus dem Kibbuz Be'eri in der Nähe des Al-Shifa-Krankenhauses gefunden worden. "Wir konnten sie nicht mehr rechtzeitig erreichen", sagte IDF-Sprecher Konteradmiral Daniel Hagari.

Einige Tage zuvor fand die Armee, ebenfalls in der Nähe des Al-Shifa-Krankenhauses, die Leiche der 19-jährigen Soldatin Noa Marciano aus Modi'in, die in der Gefangenschaft der Hamas getötet wurde, nachdem die Hamas ein Video veröffentlicht hatte, das sie lebendig in ihrem Gewahrsam zeigt.

Die Realität bestätigt, was die Familien der Geiseln aus ihren verzweifelten Herzen schreien: "Jeder Augenblick, der vergeht, ist entscheidend." Und doch scheint es, dass Israel sich Zeit lässt und es nicht eilig hat, einen Geiseldeal zu genehmigen, und zwar aus irrelevanten Erwägungen, wie etwa politischem Druck gegen Zugeständnisse an die Hamas von Seiten der extremen Rechten, angeführt vom Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir.

Dies ist unbegreiflich. Etwa 240 im Gazastreifen entführte Menschen - darunter Säuglinge, Kinder, Frauen und ältere Menschen - befinden sich in den Händen sadistischer Mörder, und Premierminister Benjamin Netanjahu scheint sich mehr um das Überleben seiner Regierung zu sorgen als um ihr Leben.

Aus demselben Grund verbringt er seine Zeit lieber mit Fototerminen, bei denen IDF-Soldaten als Statisten auftreten, als sich mit den Familien der Geiseln (und den Hinterbliebenen und den Familien der von der Nordgrenze evakuierten Menschen) zu treffen.

(...)

Übersetzung des Haaretz Leitartikels auf Mastodon

Olivenernte im Westjordanland im Schatten des Krieges "gefährlicher denn je

Die zunehmende Gewalt der israelischen Siedler und die Beschlagnahmung von Land hindern palästinensische Familien daran, ihre Olivenbäume zu ernten. Diejenigen, die es versuchen, riskieren, getötet zu werden.
Am Ende jeder Olivenernte im besetzten Dorf Qusra im Westjordanland leitet Ibrahim Wadi seine Familie bei der Herstellung von Nabulsi-Seife an, einem Grundnahrungsmittel vieler palästinensischer Haushalte, das nach einer jahrhundertealten Technik hergestellt wird. Er ruft alte und junge Verwandte zusammen und bittet sie, Olivenöl aus ihren Häusern mitzubringen, damit sie es gemeinsam herstellen können. Während die einen helfen, singen die anderen, trinken und essen Snacks, was zu einer beliebten jährlichen Tradition geworden ist.

Doch dieses Jahr wird es keine Seife geben.

Ibrahim Wadi, 63, und sein Sohn Ahmed, 26, wurden am 12. Oktober von israelischen Siedlern getötet, die nach Ansicht der Palästinenser die Konzentration der internationalen Gemeinschaft auf den Krieg im Gazastreifen ausnutzen, um ungestraft Angriffe im Westjordanland zu verüben.

Seit Beginn des Krieges zwischen Israel und Gaza am 7. Oktober wurden nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums mindestens 190 Palästinenser im Westjordanland getötet - die meisten von Soldaten, aber mindestens acht von Siedlern. In der Zwischenzeit wurde die gesamte Bevölkerung von mindestens 16 Gemeinden von Siedler-Soldaten-Milizen, die ihre Dörfer Nacht für Nacht terrorisieren, gewaltsam von ihrem Land vertrieben. Als Ibrahim Wadi und sein Sohn erschossen wurden, waren sie auf dem Weg zu einer Beerdigung von vier Männern, die am Vortag von Siedlern getötet worden waren.

Schon vor dem Krieg hatte die Gewalt von Siedlern und Armee gegen Palästinenser im Westjordanland stark zugenommen. Zwischen Januar und September dieses Jahres wurden im Westjordanland mindestens 199 Palästinenser getötet, was nach Angaben der UNO die Zahlen von 2022 übertraf und zum tödlichsten Jahr für Palästinenser in dem Gebiet seit 2005 wurde. In den Monaten vor dem Krieg wurden außerdem drei ganze Gemeinden aus einem Gebiet zwischen Ramallah und Jericho gewaltsam vertrieben.

Die derzeitige Gewalt der Siedler fällt in gefährlicher Weise mit der Olivenernte zusammen, die jedes Jahr zwischen Oktober und November stattfindet.

Die Siedler haben es in dieser Zeit seit langem auf Palästinenser abgesehen, um deren landwirtschaftliche Existenzgrundlage zu zerstören. Seit 1967 haben Siedler mehr als 800.000 Olivenbäume im Besitz von Palästinensern entwurzelt. Die Verbrennung von Olivenbäumen und großen Teilen landwirtschaftlicher Flächen im Dorf Burin in der Nähe von Nablus im Juli ist eine tragische Erinnerung an den anhaltenden Diebstahl. Doch die letzten fünf Wochen haben ein völlig neues Ausmaß an staatlich unterstützter Siedlergewalt gebracht.

"Wir hören, dass die Olivenernte jetzt gefährlicher ist als je zuvor", sagte Yasmeen Al Hassan von der Union of Agricultural Work Committees (UAWC) - eine von sieben palästinensischen Nichtregierungsorganisationen, die von Israel in den letzten Jahren grundlos kriminalisiert wurden. Die UAWC ist eine von vielen Organisationen, die Freiwillige koordinieren, die den Landwirten bei der arbeitsintensiven Olivenernte helfen. Sie bringen auch internationale Freiwillige als Zeugen für die Gewalt der Siedler mit; ihre Anwesenheit kann die Siedler manchmal von Angriffen abhalten.

Aber da das Westjordanland derzeit unter einer ausgedehnten militärischen Abriegelung steht - die selbst für Israels harte Standards extrem ist - laufen die Siedler Amok. (...)

Übersetzter Beitrag von Hana Elias, +972 Magazine auf Mastodon. Teil 1 / Teil 2

Analyse: Netanjahus Kriegskabinett gespalten über Geisel-Deal mit Hamas, während die IDF weiter in den Gazastreifen vordringt

Drei Faktoren werden über den Erfolg des Krieges entscheiden: die Freilassung der Geiseln, die Zerstörung der Tunnel und die Ausschaltung hochrangiger Hamas-Kommandeure. Ein Lager argumentiert, Israel solle sofort handeln, um zu retten, wen es kann; das andere besteht darauf, dass das Militär weiterhin mit voller Kraft Druck auf die Hamas ausüben muss

Mit dem Beginn der siebten Woche des Krieges gegen die Hamas weitet die IDF ihre Operationen im nördlichen Gazastreifen aus. Zwei Panzerdivisionen mit den Nummern 36 und 162 sind in zwei kritische Gebiete im nördlichen und östlichen Teil von Gaza-Stadt eingedrungen, die das Flüchtlingslager #Jabalya sowie die Stadtteile Zeitoun, Rimal und Sheikh Ajlin umfassen. Es ist das erste Mal, dass die IDF in diesem Krieg in diese Gebiete eindringt.

Bisher hat es den Anschein, dass es der Hamas, wie auch in anderen Sektoren, schwer fällt, eine organisierte Verteidigung gegen die massiven militärischen Kräfte, mit denen sie konfrontiert ist, aufzustellen, aber es ist klar, dass die IDF in den kommenden Tagen auf größeren militärischen Widerstand stoßen werden. Neben der Eroberung von Gebieten und dem Beschuss militärischer Ziele der Hamas werden drei weitere Faktoren - die Freilassung von Geiseln, die Zerstörung von Tunneln und die Ausschaltung hochrangiger Hamas-Kommandeure - darüber entscheiden, wie viele Erfolge dieser Krieg bringt. (...)

Übersetzer Beitrag von Amos Harel, Haaretz, Teil 1 sowie Teil 2

Analyse: IDF-Beweise reichen bisher nicht aus, um das Al-Shifa-Krankenhaus als Hauptquartier der Hamas zu identifizieren

Bisheriges Filmmaterial beweist nicht, dass der Komplex in Gaza das Nervenzentrum für Angriffe auf Israel war, wie das #Militär behauptet hat

Vor der Einnahme des Dar al-Shifa-Krankenhauses haben sich die israelischen Streitkräfte große Mühe gegeben, den medizinischen Komplex als Hauptquartier der Hamas darzustellen, von dem aus die Angriffe auf Israel geplant wurden.

Die bisher erbrachten Beweise reichen dafür bei weitem nicht aus. Die Videos der IDF zeigen nur bescheidene Sammlungen von Kleinwaffen, hauptsächlich Sturmgewehre, die in dem weitläufigen medizinischen Komplex sichergestellt wurden.

Das deutet auf eine bewaffnete Präsenz hin, aber nicht auf ein ausgeklügeltes Nervenzentrum, wie es in animierten Grafiken dargestellt wurde, die den Medien vor der Beschlagnahmung von al-Shifa präsentiert wurden und die ein Netzwerk von gut ausgestatteten unterirdischen Kammern zeigen.

Sogar die bisher produzierten Videos haben bei genauerer Betrachtung Fragen aufgeworfen. Eine BBC-Analyse ergab, dass die Aufnahmen eines IDF-Sprechers, die den offensichtlichen Fund einer Tasche mit einer Waffe hinter einem MRT-Scanner zeigen, bereits Stunden vor der Ankunft der Journalisten, denen er sie angeblich zeigen wollte, aufgezeichnet worden waren.

(...)

Übersetzer Beitrag von Julian Borger, The Guardian, Washington auf Mastodon

Verwaltungsgerichtshof Mannheim verhandelt mangelhaften Brandschutz in den S21-Tunneln: Stuttgart 21 vor entscheidender Hürde

Kläger Karlheinz Scherwinski / Photo Ulli Fetzer
Kläger Karlheinz Scherwinski / Photo Ulli Fetzer
Wird Stuttgart21 ähnlich wie Berlins Großflughafen BER über gravierende Sicherheitsmängel im Brandschutz stolpern? Konkret geht es bei der Klage am Dienstag, 21. November, um 14:00 Uhr beim VGH um die Frage: Hat die DB das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) zur Erlangung der Baugenehmigung für die rund 60 km Tunnelröhren getäuscht? Mit diesem Vorwurf sehen sich die Kläger in guter Gesellschaft mit Ministerpräsident Kretschmann. Der hatte öffentlich geäußert, bei dem Projekt werde „getrickst und getäuscht“. Seine Vernehmung zu diesem Vorwurf wurde beantragt. Die Kläger, die als Umweltvereinigung anerkannte Schutzgemeinschaft Filder e.V. sowie drei Privatpersonen, werfen dem EBA vor, bei den Planfeststellungsverfahren habe es seine Prüfungspflichten sträflich vernachlässigt und Behauptungen der Bahn unbesehen übernommen. Ziel der Klage ist die wesentliche Änderung der Planfeststellung in puncto Brandschutz und, wenn dies bautechnisch nicht möglich ist, wie die Bahn bereits erklärt hat, die Aufhebung der Planfeststellung. Dies käme einem Baustopp bei Stuttgart21 gleich.

In der maßgeblichen EBA-Tunnelrichtlinie wird verlangt, dass das Rettungskonzept Selbst- und Fremdrettung gewährleisten muss. Dabei müssen Einzelheiten schon vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses festgelegt werden. Konkret geht es um den Fall, dass ein Zug in Brand gerät und in einer der 60 Tunnel-Kilometer (geplant sind weitere 45km) liegenbleibt. Die Röhren müssten zwingend so gebaut werden, dass sich die Zuginsassen vor Ausbreitung der tödlichen Rauchgase selbst retten könnten. Denn Feuerwehr und Rettungskräfte können nicht rechtzeitig zur Unglücksstelle gelangen.

Zwar hat die Bahn behauptet, in etwa 11 Minuten könnten sich die als Maximalzahl angenommenen 1757 Menschen aus einem Zug selbst retten. Allerdings hat sie im Verfahren inzwischen eingeräumt, dass in der Mobilität eingeschränkte Personen (Behinderte, Alte, Familien mit Kindern) hierbei nicht berücksichtigt wurden. Ferner hat sie zugegeben, dass sich diese Prüfung gar nicht auf einen Brandfall bezogen habe. Insbesondere aber hat sie nicht geprüft, wie viel Zeit zur Rettung bei einem Zugbrand überhaupt zur Verfügung steht. Die Kläger werden mithilfe von Sachverständigen, darunter die renommierte Brandschutzsachverständige Prof. Dr. Kathrin Grewolls, nachweisen, dass sich im Brandfall die tödlichen Rauchgase schneller ausbreiten als sich die Zuginsassen retten können, so dass die S21-Tunnel für sie zu einer unentrinnbaren Todesfalle würden.

Anders als bei vergleichbaren Eisenbahntunneln im In- und Ausland wurden bei den S 21- Tunnel aus Kostengründen die Tunnelquerschnitte und damit die Rettungswege zu klein bemessen. Dies bedeutet schnellere Rauchausbreitung und längere Evakuierungszeiten. Mit 500m sind die Abstände zwischen den Querschlägen zur Flucht in die Parallelröhre viel zu groß für eine rechtzeitige Eigenrettung. Bei der Zahl der zu Rettenden wird noch von 1757 Personen ausgegangen, obwohl die neu angeschafften Doppelstockzüge 3681 Menschen transportieren können. Der Sachverständige Dr. Christoph Engelhardt errechnet im Vergleich z.B. zum Katzenbergtunnel ein 16fach erhöhtes Risiko für das Scheitern einer rechtzeitigen Evakuierung.

Immer wieder gibt es Berichte über stundenlange Evakuierungen aus liegengebliebenen Zügen. Dass im Brandfall ein Bruchteil dieser Zeit ausreichen soll, ist nicht nachvollziehbar, insbesondere nicht für die Selbstrettung Mobilitätseingeschränkter. Hierzu haben die Kläger die Vernehmung des niedersächsischen Landtagsabgeordneten Grosch beantragt, der mit seinem Rollstuhl 2 Stunden lang nicht aus einem ICE evakuiert werden konnte. Dazu der Kläger Karlheinz Scherwinski: „Als Rollstuhlfahrer brauche ich die Bahn. Wegen des hohen Risikos im Brandfall sähe ich mich von der Bahnnutzung ausgeschlossen“.

Die Kläger sind sich der juristischen Schwierigkeiten bewusst, weil Gerichte in vergleichbaren Fällen bislang Privatpersonen trotz existentieller Betroffenheit die Klagebefugnis abgesprochen haben. In ihrem Kampf für den Schutz grundgesetzlich garantierter Rechte sehen sie sich aber bestärkt durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das einzelnen betroffenen Menschen Klagerechte gegen unzureichende Klimaschutzmaßnahmen zugesprochen hat. Dieter Reicherter, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 und einer der Kläger: „Dies muss insbesondere gelten, wenn die Behörden ihre Pflicht zum Schutz der Grundrechte vernachlässigen.“

Am selben Tag um 10:00 Uhr verhandelt der Verwaltungsgerichtshof zudem über eine weitere Klage der Schutzgemeinschaft Filder e.V. Diese wendet sich gegen eine Abänderung des Konzepts zur Verhinderung der Rauchausbreitung im Fildertunnel. Das Eisenbahn-Bundesamt hatte eine nachträgliche Änderung durch Einblasen von Luft und den Wegfall der vorgesehenen Rauchabschlusstüren genehmigt, obwohl damit die Evakuierung und auch die Sicherheit der Rettungskräfte beeinträchtigt wird.

Quelle: Pressemitteilung Aktionsbündnis
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