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nachschLAg: Ein unvollständiger Wochenrückblick

ARGENTINIEN
Der ehemalige argentinische Präsident Carlos Menem ist im Alter von 90 Jahren gestorben. Er war Präsident Argentiniens zwischen 1989 und 1999, nach seiner Amtszeit wurde er wegen illegaler Waffenlieferungen verurteilt.

BOLIVIEN
Die Staatsanwaltschaft in Bolivien hat den ehemaligen hochrangigen Funktionär des Ministeriums für Erdgas und Erdöl, Luis Fernando Valverde Ferrufino, beschuldigt, für den Tod von zehn Protestierenden am 19. November 2019 in Senkata mitverantwortlich zu sein. Unter seiner Anordnung seien militärische Einsatzfahrzeuge angefordert worden, um Mobilisierungen zur Unterstützung von Präsident Evo Morales mit Gewalt niederzuschlagen.

BRASILIEN
Ein Topmilitär, der frühere brasilianische Heereschef General Eduardo Villas Bôas, hat in einem Buch Details öffentlich gemacht, wie das Militär 2018 gegen Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva konspiriert hat, damit dieser nicht als Kandidat für die Präsidentschaftswahl antreten konnte.

Privatisierung des Regenwaldschutzes: Unternehmen, Investmentfonds und Einzelpersonen aus Brasilien und aus anderen Ländern sollen Geld zum Erhalt des Amazonas beitragen. Dies plant das brasilianische Umweltministerium. Dafür stellte Präsident Jair Bolsonaro am 9. Februar das “Adoptiere einen Nationalpark--Programm vor und erließ gemeinsam mit seinem Umweltminister Ricardo Salles ein entsprechendes Dekret.

Ökozid-Vorwurf gegen Bolsonaro: Indigene haben Beschwerde gegen Brasiliens Präsidenten eingereicht. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag könnte eine Untersuchung einleiten.

ECUADOR
Der Nationale Wahlrat (CNE) in Ecuador hat die mit den Kandidaten Yaku Pérez und Guillermo Lasso getroffene Absprache für eine Neuauszählung eines Großteils der Stimmen der Präsidentschaftswahlen gekippt. Vorausgegangen war eine turbulente Abstimmung der CNE-Mitglieder.

HONDURAS
Drogengeschäfte, Polizeigewalt und Korruption. In Honduras ist seit dem Militärputsch 2009 ein verbrecherisches Regime an der Macht. Trotzdem begann die Schweiz 2012 eine Kooperation mit den Polizeikräften vor Ort. Das sollte die Menschenrechtslage verbessern. Die Bilanz ist durchzogen.

KUBA
"Die Völker werden sich erinnern, wer ihnen in der Not geholfen hat". Über den Vorschlag, den kubanischen Henry-Reeve-Ärztebrigaden den Nobelpreis zu verleihen. Ein Gespräch mit Wolfram Elsner und Norman Paech

Mehr als 50 Organisationen fordern Biden auf, die Kuba-Politik zu ändern. In einem Brief fordern sie den Kongress auf, gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen, die den Beschränkungen ein Ende setzen und den Weg für ein vollständiges Ende des US-Embargos ebnen würden

Orchestrierte Lügen: Fakes aus US-Desinformationskampagne gegen kubanische Ärztebrigade von "Qualitätsmedien" übernommen

Ein am Mittwoch vergangener Woche veröffentlichter, bisher geheimgehaltener, interner Bericht des US-Außenministeriums belegt, dass die Regierung Donald Trumps im Jahr 2017 eine weltweite Kampagne mit der Behauptung von "Schallangriffen" auf Washingtons Diplomaten in Havanna inszenierte. Ziel war, die Beziehungen zu Kuba zu verschlechtern.

PERU
Der von den Medien “Vacunagate- getaufte Skandal schlägt in Peru immer höhere Wellen: Hunderte Politiker, Funktionsträger, Unternehmer und deren Familienangehörige ließen sich bereits vor Monaten insgeheim gegen das Coronavirus impfen -“ lange vor Beginn der offiziellen Impfkampagne am 8. Februar.

Ein Gemeinschaftsprojekt von Einfach Übel und redblog, Ausgabe vom 19. Februar 2021

Fotorückblick: Besetzerbewegung in Bochum

Foto: © Bernd Kreienbaum via Umbruch Bildarchiv
1981 war ein wichtiges Jahr für die frühere Besetzer*innenbewegung. Bundesweit gab es rund 595 Hausbesetzungen in 153 Städten. Darunter auch in Bochum. Von Heiko Koch erhielten wir diesen Bericht über die damalige Bewegung in Bochum. Die Fotos sind von Bernd Kreienbaum und stammen zum Teil aus der „Fotodokumentation ... über ein Jahr Kampf für ein autonomes Kulturzentrum in Bochum“ aus dem Jahr 1982. Vielen Dank dafür!

In Bochum war es schon im Oktober 1980 zu einer ersten Hausbesetzung gekommen. Im Jahr 1981 erfolgten vier weitere Hausbesetzungen. Vor allem aber kam es zwischen Mai und Dezember zu fünf Besetzungen von leerstehenden Fabriken für ein „Autonomes Zentrum“. Drei der besetzten Häuser wurden legalisiert. Alle anderen Projekte wurden geräumt und abgerissen. Waren es am Anfang des Jahres noch 500 Jugendliche/junge Erwachsene, die für ein „Autonomes Zentrum“ demonstrierten, verfünffachte sich die Zahl innerhalb weniger Monate. Polizeiliche Gewalt und eine von Unnachgiebigkeit und Arroganz geprägte Politik der Stadtführung gegenüber ihren Anliegen auf ein selbstverwaltetes Jugendzentrum motivierten immer mehr Jugendliche zum Protest. Das Thema Besetzungen wurde zum Politikum des Jahres 1981 in Bochum und die Ereignisse und ihre Folgen zogen weite bürgerliche Kreise mit in den Diskurs ein.

Zunächst wurde am 20. Mai 1981 die „Alte Mensa“ in der Nähe des Uni-Campus als „Autonomes Zentrum“ besetzt. Die „Alte Mensa“ war aber vielen zu weit außerhalb der Stadt und sie wurde nicht so stark frequentiert. Nach zahlreichen Behinderungen durch die Universitäts-Verwaltung wurde das Gebäude verlassen und anschließend auf Geheiß der Verwaltung zerstört und abgerissen.

Am 16. Juni wurde die erste leerstehende Fabrik auf der Hermannshöhe in der Bochumer Innenstadt besetzt. Die Stadt gab vor die Halle für ihre Verwaltung zu benötigen, ließ das Gebäude drei Tage später aber räumen, die rund 130 Besetzerinnen inhaftieren und den Komplex umgehend abreißen. Das städtische Vorgehen empörte nicht nur die Besetzerinnen und brachte der „Bewegung“ seitens bürgerlicher Kreise Sympathien ein.

Foto: © Bernd Kreienbaum | Seifert Fabrik an der Universitätsstraße
Als am folgenden Wochenende einige hundert Personen versuchten die ehemalige Seifert-Fabrik auf der Universitätsstraße zu besetzen kam es zu Verhaftungen. Um die Freilassung der Inhaftierten aus der Haft zu fordern, zogen einige Hundert Demonstrant*innen vor das Polizeipräsidium und veranstalteten ein Sit-In. Ohne ersichtlichen Anlass wurden sie dabei von der Polizei angegriffen, verprügelt und durch die Bochumer Innenstadt getrieben. Diese, von der Presse dokumentierten Vorgänge führten zu starken Kontroversen in der Öffentlichkeit und Politik. Am folgenden Tag besetzten fast 1.000 Personen das leere Fabrikgelände und am 4. Juli demonstrierten ca. 2.500 Menschen gegen die städtische Repression und für ein „Autonomes Zentrum“. Die „Fabrik Bewegung“ wurde zum lokalen Politikum des Jahres 1981.

In der Folgezeit fanden viele Konzerte und Veranstaltungen auf dem besetzten Gelände an der Universitätsstraße statt. Die Besetzung entwickelte sich zu einem Magneten für unterschiedlichste Szenen. In der beginnenden Urlaubszeit blieben aber nur wenige Besetzer*innen in der Fabrik. Diese sahen sich den sozialen Problemen auf dem Gelände nicht mehr gewachsen und beschlossen auf einer Vollversammlung am 3. August die Aufgabe des Geländes. Sie verließen das Gelände und am 19. August wurden die Reste der Hallen an der Universitätsstraße abgerissen.

In der Folgezeit führten die Besetzerinnen ihre Vollversammlungen an anderen Orten durch und blieben durch öffentliche Picknicks und Feste, Flugblätter und Demonstrationen weiterhin in der Innenstadt sichtbar. Weitere Besetzungsversuche in der Stadt blieben erfolglos. So besetzten z.B. am 15. Oktober Jugendliche den leerstehenden Schultheiss-Verladehof in der Innenstadt. Rund 40 Besetzerinnen wurden fest­genommen und erkennungs­dienstlich behandelt. Die Stadt und die Polizei wollten jede Haus- und Fabrikbesetzung in Bochums Innenstadt verhindern.

Am 11. Dezember 1981 kam es mit der Besetzung der „BO-Fabrik“ zur endgültig letzten Besetzung für ein Autonomes Zentrum. Die Stadt kündigte im Dezember 1981 den Abriss der Halle und ihrer Nebengebäude an der Stühmeyerstraße an, die bis dato vom Bochumer Schauspielhaus genutzt wurden. Am 11. Dezember 1981 blieben im Anschluss an die Theateraufführung „Die Hausbesetzer“ einige hundert Zuschauer*innen in der Aufführungshalle und besetzten so die „BO-Fabrik“.

Die Besetzung dauerte zwei Monate. Trotz zeitweise abgedrehten Strom und Heizung gelang den Besetzer*innen ein reichhaltiges Kulturprogramm. So trat unter anderem die Band „Ton Steine Scherben“ auf.

Demonstrationen und öffentliche Diskussionen begleiteten die Besetzung. Die Stadt Bochum aber lenkte nicht ein und agierte konfrontativ. Am 28. Januar fällte der Stadtrat den Beschluss zum Abriss der BO-Fabrik. Die BO-Fabrik wurde am 10. Februar 1982 unter massiven Polizeieinsatz geräumt, die verbliebenen Besetzerinnen abgeführt und der Gebäude­komplex umgehend abgerissen. Die Demonstration gegen den Abriss mobilisierte ca. 1.000 Besetzerinnen und Sympathisantinnen. Sie wurde von einer gleich großen Anzahl von Polizisten begleitet. Ein Flugblatt der Besetzerinnen beklagte im Anschluss zur Räumung massive Polizeigewalt. Zu weiteren Besetzungen für ein Autonomes Kulturzentrum kam es in Bochum nicht mehr.

Foto: © Bernd Kreienbaum via Umbruch Bildarchiv
„Geschichte wird gemacht, es geht voran“

Für die Stadt Bochum hatte sich aber mit der Räumung der BO-Fabrik das Problem mit Hausbesetzungen noch lange nicht gelegt. Im Gegenteil. Im Stadtteil Bochum-Weitmar kam es mit dem so genannten Heusnerviertel zu einem Anschluss an die 81er Bewegung.

Dieser Bereich des Stadtteils Weitmar sollte dem Bau einer Schnellstraße zum Opfer fallen. Nach und nach wurden seit 1981 in diesem zum Abbruch vorgesehenen Areal bis zu 20 Häuser zum Teil oder ganz besetzt. Die Hochphase der Besetzungen war von 1984 bis 1986. Durch Neu-Besetzungen und Zuzüge wandelte sich die Zusammensetzung der Bewohner*innen von eher alternativ-studentisch zu einer mehr subkulturell-autonom geprägten Szene. Im Jahr 1986 lebten dort rund 150 BesetzerInnen und über die Jahre hinweg dürften es einige Hundert Personen gewesen sein.

Ihr Viertel tauften die BesetzerInnen nach der dort größten Straße -“ der Heusnerstraße -“ als „Heusnerviertel“ und erklärten es zur „Staatsfreien Zone“. Nur mit massiven Polizeieinsätzen gelang es der Polizei Anfang und Ende 1986 das zum Teil verbarrikadierte Viertel einzunehmen und die städtisch angeordneten Hausabrisse einzuleiten. Abrisse, die unter massiven Rechtsbrüchen der Stadt Bochum angeordnet waren.

Das Heusnerviertel zählte mit der Kiefernstraße in Düsseldorf und der Hafenstraße in Hamburg zu den großen besetzten Projekten in der alten Bundesrepublik, um die Mitte/Ende der 80er Jahre zwischen autonomer und alternativer Szene einerseits und Verwaltung und Polizei andererseits massiv gestritten wurde.

Nach den endgültigen Abrissen im November 1986 kam es noch zu zwei kurzzeitigen Besetzungen durch ehemalige Besetzer*innen des Viertels. Diese wurden aber von der Polizei geräumt.

Damit endeten „die wilden 80er Jahre“ in Bochum.

Erst 1991/92 kam es wieder zu Besetzungen in der Ruhrstadt. Von den fünf Besetzungen bekam aber lediglich eine Mietverträge. Die anderen wurden geräumt. Es dauerte weitere acht Jahre bis es wieder zu Besetzungen in Bochum kam. Im Dezember 2000/Januar 2001 wurden zwei Objekte für ein anti-rassistisches Zentrum besetzt -“ und von der Polizei geräumt. Die fünf Jahre später -“ im Mai 2006 -“ erfolgte Besetzung des „Querforum West“ auf dem Campusgelände der Ruhruniversität für die „Freie Uni Bochum“ dauerte bis Januar 2007 und war eine Besetzung von und für Studentinnen. Eine Besetzung in der Hernerstraße im Mai 2017 wurde einige Wochen später kommentarlos von den Besetzerinnen verlassen.

Das einzige zur Zeit besetzte Haus in Bochum dürfte der Holln 3 sein. Die alte baufällige Villa in Bochum-Werne wurde am 27.03.1981 besetzt und beherbergte in ihren 40 Jahren unzählige Menschen aus verschiedensten Szenen und Subkulturen.

-“ Heiko Koch -“

Zu den Fotos beim Umbruch Bildarchiv.

Einen ausführlichen Bericht mit Zeitleisten, Originaltexten, Fotos und Interviews findet ihr hier: Bewegung für ein Autonomes Jugendzentrum

Links

Aktualisiert: Videos im Umbruch Bildarchiv

Foto © Umbruch Bildarchiv
Wir haben das Umbruch Videoarchiv vom nicht mehr unterstützten Flashformat auf mp4 aktualisiert. Zum Beispiel das antirassistische Videofenster "No deportation". Geflüchtete ergreifen das Wort. Ihre Geschichte, Erfahrungen, Fluchtgründe und ihr Widerstand. Die Videos aus den Jahren 2000 - 2007 könnt ihr hier ansehen.

Aus dem Intro zum Videofenster: "Jedes Jahr werden etwa 40.000 Flüchtlinge aus Deutschland abgeschoben. Ohne größeres Aufsehen, ohne politische Diskussion der Fluchtgründe, ohne Respekt gegenüber den Betroffenen: sie werden wieder in eine lebensbedrohliche Situation zurückgeschickt, vor der sie zuvor geflüchtet waren. Von einigen Flüchtlingen wird dieser gewalttätige Abschiebealltag in Deutschland nicht mehr hingenommen. Sie organisieren sich in Flüchtlingsgruppen und Zusammenschlüssen wie der „Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen-. Durch öffentliches Auftreten, Kampagnen, Fax- und Briefaktionen konnten sie schon mehrere Abschiebungen verhindern.
Mit diesem „Videofenster- bei Umbruch möchten wir für die Flüchtlinge ein weiteres kleines Stück Öffentlichkeit herstellen. Flüchtlinge, die von Abschiebung bedroht sind, kommen selbst zu Wort. Sie erzählen ihre Geschichte, Erfahrungen und ihre Gründe, warum sie nach Deutschland gekommen sind und wie sie sich zur Wehr zu setzen. Ebenso werden Kampagnen wie aktuelle Ereignisse in Kurzvideos dargestellt. Wir stellen den technischen Rahmen, möchten nicht groß kommentieren, allenfalls mit Hintergrundinformationen eingreifen."


Hier einige Filme die wir euch empfehlen möchten:

"Das Boot ist voll und ganz gegen Rassismus - Der Karawanefilm", 1999, 55 Min.
"6 qm neue Heimat" - Zu Besuch im Flüchtlingslager Biesenthal, 2000, 25 Min.
"No Lager - nowhere!" Ein Film über den europaweiten Widerstand gegen Flüchtlingslager und Abschiebegefängnisse im Jahr 2005, 39 Min, deutsch-englisch
"3. Antirassistisches Grenzcamp in Forst". 2000, 12 Min.
"Freemovement is our right" - zwei Filme über die Aktionstage gegen die Residenzpflicht 2001 in Berlin

Viel Spaß beim anschauen.

weitere Videos: https://umbruch-bildarchiv.de/video/index.html

Blogkino: Testament - Conrad Singer (2009)

Im Rahmen unserer Reihe Blogkino mit Filmen zum Thema Ⓐnarchismus zeigen wir die Kurzreihe "Testament" das 2009 von Duncan Pickstock geführte Gespräch mit dem Spanienkämpfer Conrad Singer. Siehe auch die autobiografische Webseite des 2006 verstorbenen Conrad Singer.

Bayern: Ärzt*innen und Standesorganisationen stehen hinter Banu

In ungewohnt deutlicher Manier mischten sich ärztliche Organisationen und prominente Mediziner in die derzeitige politische Diskussion um die drohende Ausweisung von Dr. Dilay Banu Büyükavci ein. Die Gewerkschaft ver.di hatte am heutigen Mittwoch zur 9. Mahnwache für die Psychiaterin eingeladen. Gekommen waren erneut trotz arktischer Kälte über 120 Personen.

Zunächst durften schriftliche an OB König verfasste klare Positionierungen verlesen werden. Der Vizepräsident der Bayerische Landesärztekammer, Dr. med. Andreas Botzlar weist ausdrücklich darauf hin, „dass Mitglieder der TKP-ML in der Türkei häufig von Folter betroffen sind. Das Recht auf Gesundheit ist ein Menschenrecht. Es gilt unabhängig vom legalen, persönlichen oder politischen Status des Einzelnen.“. Er verlangt daher eine Aussetzung des Verfahrens.

Die Vorsitzende des Ärztlichen Bezirksverbandes Dr. med Heidemarie Lux teilt diese Sorge um drohende „Folter oder noch schlimmere Maßnahmen bei Auslieferung (...): Als Vertreterin einer ärztlichen Standesorganisation ist es mir wichtig darauf hinzuweisen, dass die Gesundheit und körperliche Unversehrtheit bei allen Entscheidungen Berücksichtigung finden müssen.“

Als jedenfalls für Nürnberg prominentester Redner wies der langjährige Vorstand des Klinikums Dr. Alfred Estelmann auf die seines Erachtens absurde Situation für Büyükavci hin: „Was mich immer wieder an den Process von Kafka, an den Josef K. erinnert ist: Das OLG lässt sich alle Zeit, sein Urteil schriftlich zu begründen. Damit nimmt es Banu Büyükavci die Möglichkeit gegen dieses Urteil die Stimme zu erheben. Gleichzeitig ist die Einwohnerbehörde der Stadt Nürnberg, der Stadt des Friedens und der Menschenrechte, auf die wir eigentlich stolz sind, aktiv, um sie abzuschieben. Der Nürnberger Stadtrat formuliert einen tollen Beschluss, damit sie hierbleiben darf. Aber was ich nicht verstehe, warum man die nicht an die eigene Haustüre, an die eigene Ausländerbehörde richtet!“

Dr. med. Susanne Simen, bereichsleitende Oberärztin an der Klinik für Psychiatrie, Klinikum Nürnberg hatte von Kolleg*innen an der Klinik Meinungen über Dr. Banu Büyükavci eingeholt. In einer nicht enden wollenden Liste von etwa 30 Äußerungen lobten jene deren Engagement im Job, ihre Kollegialität und Fachlichkeit und Unentbehrlichkeit, was nicht nur bei der anwesenden Banu Büyükavci große Rührung auslöste.

Der Personalrat am Klinikum Dr. med. Martin Krasa wies auf den eigenen Flüchtlingsstatus im Jahr 1968 nach dem gescheiterten Dubček-Aufstand in der Tschechoslowakei hin: „Ich bin sicherlich schon deshalb absolut unverdächtig, mit Mitglieder kommunistischer Parteien zu sympathisieren. Aber darum geht es hier nicht. Es geht darum., dass wir in Deutschland das Glück haben, in einem demokratischen Rechtsstaat leben zu dürfen. Aber wir tragen auch Verantwortung dafür und müssen dort für Demokratie und Menschenwürde einstehen, wo wir sie als bedroht wahrnehmen. Wir mögen die politsichen Ansichten von Banu Büyükavci nicht teilen, aber jeder von uns kennt das Zitat, das Voltaire zugeschrieben wird: -šIch teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen-˜. Deswegen stehe ich hier. Ich frage die Verantwortlichen des Ausländeramtes und den weisungsbefugten Dienstherren, Herrn Innenminister Herrmann: Wollen Sie die Verantwortung tragen, dass eine Frau und Ärztin in ein Land ausgeliefert wird, in dem sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Folter, Erniedrigung und unmenschliche Behandlung erleiden wird?“

Organisator des Abends Prof. Dr. med. Hannes Wandt legte abschließend den Finger in die zentrale Wunde des §129b des Strafgesetzbuches: „Man stelle sich vor, dass es in Schweden oder der Schweiz während des Hitler-Regimes diesen Paragraf gegeben hätte: Keiner der Oppositionellen gegen die Naziherrschaft hätte sich in diesen Ländern sicher fühlen können vor Ausweisung und Verschleppung. Daher die Forderung auch hier: Dieser menschenrechtswidrige Paragraf muss weg!“

Ergänzende Infos:

Die gesamte Kampagne ist hier dokumentiert

Vollständige Rede von Dr. Estelmann auf Youtube

Schreiben der bayerischen Landesärztekammer an OB König

Schreiben des ärztlichen Bezirksverbandes an OB König



Quelle: ver.di

Denk an den Anderen

Wenn du dein Frühstück bereitest, denk an den Anderen
und vergiss nicht das Futter der Tauben.

Wenn du in deine Kriege ziehst, denk an den Anderen
und vergiss nicht jene, die Frieden fordern.

Wenn du deine Wasserrechnung begleichst, denk an die Anderen,
die ihr Wasser aus den Wolken saugen müssen.

Wenn du zu deinem Hause zurückkehrst, deinem Hause, denk an den
Anderen und vergiss nicht das Volk in den Zelten.

Wenn du schlafen willst und die Sterne zählst, denk an den Anderen,
der hat keinen Raum zum Schlafen.

Wenn du dich mit Wortspielen befreist, denk an den Anderen
und denk an jene, die die Freiheit der Rede verloren.

Wenn du an die Anderen in der Ferne denkst, denke an dich,
und sage: wäre ich doch eine Kerze im Dunkeln.

Mahmoud Darwish

Keine Toten mehr - öffnet die Hotels!

Das Sterben auf Hamburgs Straßen geht weiter. Diese Woche starb der 13. Obdachlose. Der Senat lässt Menschen erfrieren anstatt sie in pandemiebedingt leerstehenden Hotels unterzubringen. Ein Armutszeugnis für eine Stadt mit 42.000 Millionär*innen.
Via

Pluto, aufgehübscht

Einer der beiden Plutos
1997, also damals, als ich noch etwas frischer aus dem Bilderrahmen schaute wie in diesen Tagen, hatte ich gerade etwas Geld übrig und konnte kleinbürgerlich-hedonistischen Angewohnheiten frönen. Sprich, meiner Umgebung mit etwas Grobmusik auf die Nerven gehen. Da es eigentlich keinen Grund gibt, gute Musik aus schlechten Lautsprechern zu hören und ich schon immer eine Schwäche für das Holzhandwerk hatte, sich meine diesbezüglichen Fähigkeiten jedoch in engen Grenzen hielten auf den Komplettbau eines Gitarrenverstärkers incl. Combo-Gehäuse bezogen, bildete ich mir ein, unbedingt ein paar Lautsprecher zu brauchen. Ein audiophiler Kollege und ein paar andere hatten mich auf den Gedanken gebracht, mein Glück nicht herauszufordern, sondern in einen gehobenen Bausatz der Firma Orbid Sound zu investieren. Da mich leider - aus heutiger Sicht: glücklicherweise - zu dem Zeitpunkt das Zipperlein plagte, konnte ich meine Idee, es doch einmal mit aus Beton gegossenen Boxen zu versuchen, nicht verwirklichen. Schnüff.

Wie auch immer, mit dem Schwiegervater ins nahe gelegene Leonberg gefahren und gleich die volle Packung geholt. Da ich zum damaligen Zeitpunkt mit meinen Nachbarn noch gut auskam, besorgte ich mir kleinere Standboxen, die es aber schon mal ordentlich krachen lassen können. Damit es sich schön in die Einrichtung einfügt und die Investition auch gerechtfertigt werden kann, wählte ich ein Buchefurnier, das sich mittels entsprechender Behandlung recht leicht auf den Erle Farbton des Wohnzimmerinterieurs abstimmen ließ. Der Rest war, wenn ich mich recht entsinne, auch nicht weiter problematisch, ein paar Kabel passend zuschneiden und verlöten und schon war die Laube fertig.

Leider hinkte die Raumakustik in unserem etwas esoterisch angehauchten Wohnungsgrundriss den Vorstellungen ein wenig hinterher, zudem wurden kurze Zeit später 5.1 Surroundsysteme erschwinglich, die sich mit ihren kleinen Satellitenboxen wesentlich besser in den Raum einfügten und - zumindest zum Fernsehen - einen realistischeren Sound entfalteten als die 2.0 Boxen. Beim Musik hören wiederum waren die Plutos wesentlich besser, auch wenn die Hörposition einfach nicht optimal war. Irgendwann hatten wir einfach andere Sorgen und so verschwanden die Plutos aus dem Wohnzimmer und wurden eingemottet. Damit kehrte für lange Jahre akustisch graue Tristesse ein. Nachdem ich früher schon immer extra genervt war von Kratzen und Knistern auf den Vinylscheiben, bin ich recht früh auf CDs umgestiegen, freilich ohne zu merken, daß mit dem astreinen Digitalsound irgendwie aber auch jedes Leben aus der Musikkonserve entschwunden war.

Ein paar Jahre und 2 Schränke mit CDs später war wiederum die Mucke aus der Cloud, sprich MP3, Spotify, Amazon Music etc. qualitativ soweit, daß eine CD, die ich sowieso rippe um sie mobil hören zu können, irgendwann nur noch Plunder ist, den keiner mehr haben will und der vermutlich den Weg durch die Schuttrutsche geht, wenn wir mal vor uns hinmodern. Mit dem selben Ergebnis wie bei der CD. Leblos. Seelenlos. Schwierig, nicht nur, weil Death Metal selbstverständlich zu unserem familären Kultgut gehört.

So kam es, wie es kommen musste: Nachdem bei uns einige Zimmer frei wurden war auf einmal Platz für Musikzimmer da, indem die guten alten Boxen ohrenoptimal aufgestellt werden konnten. Der Receiver, der den Ton für das Glotzpanel aufbereitet, war belegt, so lag es nahe einen 2x3 Watt Röhrenverstärker chinesischer Provenienz mit feinen Röhren aus ex-sowjetischer Fertigung zu besorgen. Damit Blut geleckt, und gleich einen Cambridge Audio DacMagic 100 -“ Digital-Analog-Wandler hinterhergeschoben, der die ursprünglich analogen Musiksignale wieder von ihrem digitalen Übertragungsformat ins analoge konvertiert. Tja, wozu eigentlich erst der Umweg, also stand eine kleinere Investition in einen Audio Technica AT-LP120USBHC an, um die ganzen alten abgenudelten, verdreckten und verkratzten Vinylscheiben abzutasten. Naja, hätte ich das mal lieber zuerst gemacht, denn es gab ja stabile Gründe dafür, von der Vinylscheibe zur CD zu wechseln. Aber gut, der Musikgeschmack hat sich weiterentwickelt, die alten Scheiben haben eigentlich nur noch Erinnerungswert und jede Combo, die etwas auf sich hält, veröffentlicht ihr Material auch auf Vinyl. Ok. Tool leider nicht.

Nachdem ich mir einbildete, beim Audio Technica das Laufgeräusch des Direktantriebs zu hören, wurde der veräußert und das Original in echt aber restauriert angeschafft. Sprich, ein 30 Jahre alter, gebrauchter Technics 1210 sorgt für gut nachbarschaftlichen kulturellen Austausch. Ohne Motorengeräusche. Kurze Zeit nach der Anschaffung war Technics bekanntlich auf die glorreiche Idee gekommen, den Klassiker neu aufzulegen und dabei nochmal ordentlichst abzukassieren. Den schrumpfenden Markt an brauchbaren gebrauchten 12x0ern beobachte ich schon länger nicht mehr, jedoch war der Gebrauchtlaufwerkskauf schon vor 5 Jahren echte Vertrauenssache. Ob ich das Risiko heute nochmal eingehen würde? Auf der anderen Seite ist das Gerät natürlich gut dokumentiert und es gibt (noch) Ersatzteile. Für mein Gerät habe ich nur den Deckel und eine Handvoll Tonabnehmer und weiteren Schnickschnack wie Slipmats usw. geordert.

Zurück zu den Boxen. Tja, nicht nur ich sah 1997 frischer aus. Irgendwie fiel mir auf, daß an einer Gummisicke eines Basslautsprechers ein Lock - oh Schreck! - den Gesamteindruck verunstaltete. Und ein Mitteltöner litt an einer eingedellten Staubkappe. Da wusste ich, es geht wieder los. Wie beim Motorengeräusch des Plattenspielers, das niemanden auffiel. Aber ich wusste, daß es da war und das mich das nervt. Wie die Sau.

Also mal die Fühler ausgestreckt, was es für Möglichkeiten gibt, ohne Verschlechterung des Ist Zustandes an neue Klangwandler zu kommen. Wie immer habe ich mich längere Zeit damit herum getragen. Eine gleichwertige Neuanschaffung bedeutet einen Kleinkredit aufnehmen oder Geldboten auflauern kam daher nicht in Frage. Austauschbasslautsprecher? Naja. Die Orbids haben einen eigenen Klang, einen Lautsprecher von der Stange nehmen und hoffen, daß es passt? Wer billig kauft, zahlt doppelt und so. Also doch Neuanschaffung. Bei Orbid recht schnell weg zu Nubert oder Klipsch. Drei grundverschiedene Gehörklassen, in jedem Fall verbunden mit Schnappatmung hinsichtlich der finanziellen Umsetzung. Und dann - rein zufällig - bei Orbid Sound über die Möglichkeit eines Austauschs bzw. Lautsprecher- oder Sickenreparatur der Staubkappen gestoßen. Anfrage gestartet, innerhalb weniger Stunden kam die Antwort mit der Bitte um aussagekräftige Fotos. Also die Lautsprecher zerlegt, und aussagekräftige Fotos gemacht und nach Balingen geschickt. Dort sitzt Orbid Sound inzwischen. Nachdem der Firmengründer Martin Beyersdorffer vergangenes Jahr mit knapp 87 Jahren gestorben ist, besteht die Firma trotzdem weiter und - was mich auch in Sachen Nachhaltigkeit freut - kümmert sich auch um ihre Kunden. Nach kurzem vom Geschäftsführer die Antwort: Austausch der Sicken sollte möglich sein, die Staubkappe kann man mit einer Stecknadel ausbeulen. (Ich hatte Erfolg mit etwas Tesafilm und so kein Loch drin, notfalls Gaffatape nehmen). Ich sollte mich jedoch auf vier bis fünf Wochen Bearbeitungszeit einstellen.

Also die inzwischen doch recht zerzausten Tieftöner sicher verpackt und vor drei Wochen mit dem Götterboten nach Balingen geschickt. Was soll ich sagen. Vergangenen Freitag klingelt mich der freundliche DHL Bote mitten in der Nacht um 07:45 aus den Federn und überreicht mir das Paket mit den reparierten Lautsprechern. Ob der Kürze der Zeit hatte ich das Schlimmste befürchtet, sprich Reparatur nicht möglich und ähnliches Kopfkino. Derlei Gedanken waren jedoch völlig überflüssig, wie ich nach dem Auspacken feststellen durfte: Die Lautsprecher sehen aus wie neu. Mit ausführlichem Prüfprotokoll.

Und klingen beinahe wie am 1 Tag.


P.S.: Es gibt natürlich eine ganze Reihe Angebote zum Thema "Sickenreparatur" über die Suchmaschine der Wahl zu finden, auch Herstellerunabhängige. Ich bitte jedoch zu beachten, daß es darunter leider auch einige Pfuscher gibt. Nicht, daß ich nacher für vermurkste Lautsprecher belangt werde ;-)

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Planungsstopp für die S21-Fildertrasse West: Längst überfällige Konsequenz aus langjähriger Fehlplanung

„Besser spät als gar nicht bemerken nun die Verantwortlichen das Scheitern der S21-Filderplanungen“, so Steffen Siegel von der Schutzgemeinschaft Filder zu den gestern vom Grünen Regierungspräsidenten Wolfgang Reimer veranlassten Stopp der Anhörungen - und damit des Planungsverfahrens - für den Fildertrassenabschnitt, der die Gäubahn zum Flughafen führen sollte. Seit Jahren ist die Strecke wegen des dort vorgesehenen Mischverkehrs umstritten, der die gemeinsame Nutzung der ohnehin stark belasteten S-Bahnverbindung mit dem zusätzlichen Fernverkehr von/zum Süden von/zum Flughafen bzw. Hauptbahnhof überfordert hätte.

Die jetzt vorgeschlagene Lösung eines 10 km langen doppelröhrigen Tunnels toppt allerdings noch die bisherigen Fehlplanungen. Er würde weitere Milliarden kosten, eine Fertigstellung auf den Sankt Nimmerleinstag verschieben, Notlösungen der Gäubahnanbindung verewigen und vor allem mit weiteren hunderttausenden Tonnen an CO2-Emmissionen Öl ins Feuer der Erderwärmung gießen1.

Als historisches Kuriosum bewertet es Siegel, dass nun ausgerechnet eine Initiative aus den Reihen der CDU den entscheidenden Sargnagel für die seit über 20 Jahren geplante und von den S21-Kritikern immer als bahntechnisches NoGo bemängelte Trasse einschlägt: Steffen Bilger, CDU-Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, hatte mit seiner „Alternativlösung“ indirekt die bisherige 20-jährige Fehlplanung bestätigt, worauf Reimer die längst überfällige Konsequenz zog, dass nicht weitergeplant oder gar gebaut werden könne, wenn die bisherige Lösung zumindest massiv in Frage steht.

Statt zwischen zwei gleichermaßen untauglichen Lösungen zu wählen, fordert Steffen Siegel auch im Namen des Aktionsbündnisses den unbefristeten Erhalt der Panoramabahn und ihre oberirdische Zuführung in den Hauptbahnhof.

Wie hier gebietet die Vernunft auch an anderen Stellen des Projekts zumindest ein Innehalten bis die Vorbehalte gegen die bisherige Planung entweder entkräftet oder durch praktikable, d.h. finanzierbare und klimaverträgliche Alternativen ersetzt werden können. Das gilt für den Weiterbau am östlichen Teil der Fildertrasse (vom Flughafen bist zum geplanten Fildertunnel), die nur künstlich vom Planungsabschnitt West getrennt wurde. Das gilt für den City-Tiefbahnhof selbst, der wegen seiner Kapazitätsmängel durch den Vorschlag eines unterirdischen Ergänzungs-Kopfbahnhofs von Verkehrsminister Hermann ebenso infrage gestellt wird wie die bisherige Fildertrasse von Staatssekretär Bilger. Und das gilt besonders für die S21- Tunnelanlagen, deren mangelnder Brandschutz massiv in der Kritik steht.


1 Das Aktionsbündnis wird hierzu in den nächsten Tagen eine Studie über Klimaauswirkungen und Kostenfolgen der sog. Ergänzungsprojekte veröffentlichen.

Quelle: Pressemitteilung Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, 10. Februar 2021

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