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Val di Susa: Solidaritätserklärung des S21 Blockiererfrühstücks an die NoTAV Bewegung

Proteste gegen den TAV im Val di Susa am 6. November 2005
Foto: Ocelon1444 / wikipedia.it
Lizenz: GNU Free Documentation License, Version 1.2
Gestern wurden die Blockaden im Val di Susa gegen das TAV Projekt mit Wasserwerfern und Tränengas geräumt. Heute morgen hat das Blockierfrühstück am Grundwassermanagement in Stuttgart einmütig eine Solidaritätserklärung für die AktivistInnen im Susatal verabschiedet:

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
wir sind entsetzt über die erneute Polizeigewalt gegen eure beeindruckende Bewegung: das riesige Polizeiaufgebot, die Wasserwerfer, das Tränengas, die Zerstörung der Mahnwache. Uns erinnern die Berichte, die wir erhalten an unsere schlimmsten Erlebnisse, an den „schwarzen Donnerstag“ am 30. September 2010.
Aber die Informationen, die wir bisher bekommen haben über Aktionen wie Straßenblockaden und Proteststreiks machen uns zuversichtlich, dass ihr euch durch die erneute Polizeigewalt genauso wenig klein kriegen lasst wie wir nach dem 30.9. und wie ihr selbst bei verschiedenen Gelegenheiten. Unser Protest hat nach dem 30. 9. seine größten Demonstrationen mit über 100.000 TeilnehmerInnen erlebt, ihr habt 2005 ein von der Polizei in einem brutalen Einsatz besetztes Gelände mit einer entschlossenen Massenaktion wieder befreien können. Wir sind zuversichtlich, dass ihr auch auf diese Polizeigewalt eine angemessene Antwort finden werdet.

Wir werden euren Kampf in Stuttgart weiter bekannt machen und hoffen, mit vielen AktivistInnen zu eurem Forum von 26. bis 30. August zu kommen. Wir denken, dass wir viel von euren Erfahrungen lernen können. Zum Beispiel sind Gewerkschaften, die zu Streiks gegen Stuttgart 21 aufrufen, für uns noch Zukunftsmusik.

Unsere Proteste haben viele Gemeinsamkeiten. Unter anderem haben wir es beide mit Gegnern zu tun, für die die besseren Argumente und die Bedürfnisse der Bevölkerung und der Umwelt nicht zählen, sondern nur Macht und Profite -“ und die deshalb immer neue Anläufe unternehmen, ihre zerstörerischen Projekte gegen den Widerstand der Bevölkerung durchzusetzen. Wir wünschen euch und uns den erforderlichen langen Atem.

Alle gemeinsam gegen zerstörerische Großprojekte
Oben bleiben!

Wer die Macht hat, hat das Recht: BGH bestätigt Urteil gegen Kriegsgegner im militante-gruppe-Prozess

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Verurteilung von drei Berliner Antimilitaristen bestätigt. Das Urteil des Berliner Kammergerichts vom Oktober 2009 gegen Axel H., Florian L. und Oliver R. wegen versuchter Brandstiftung an Bundeswehr-LKW und Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg) in Höhe von 3 und 3,5 Jahren ist damit rechtskräftig.

„Wer die Macht hat, hat das Recht“, kommentiert Arthur Schüler vom Solidaritätsbündnis für die Einstellung der §129-Verfahren den BGH-Beschluss. Er ist von dem Ergebnis nicht überrascht: „Wir haben mit dieser Entscheidung gerechnet. Noch nie wurde ein politisches Urteil des Berliner Kammergerichts vom BGH aufgehoben.“

Die Verurteilung erfolgte nach §129 StGB, der die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung unter Strafe stellt. Der Paragraf gehört wie die §129a und 129b zum politischen Strafrecht der BRD und ermöglicht eine Verurteilung auch ohne konkrete Tatbeteiligung. Menschenrechtsorganisationen und Politiker aus SPD (Jusos), Grüne (Hans-Christian Ströbele) und Linke (Ulla Jelpke) fordern deshalb die Abschaffung dieser Paragrafen. Die Rechtsanwälte der Angeklagten hatten den Indizien-Prozess wiederholt als unfair charakterisiert und deshalb auf ihre Plädoyers verzichtet.

Oliver R., einer der drei Betroffenen, äußert sich anlässlich der BGH-Entscheidung: „Widerstand, der sich gegen die Gewalt des Krieges, die Kriegswirtschaft sowie das Militär richtet, um eine Situation der Besatzung, die Ermordung von Zivilisten und Zivilistinnen und die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen zu unterbinden, bleibt nach wie vor legitim.“

Arthur Schüler kritisiert die deutsche Rechtsprechung als doppelzüngig: „Während durch ein Bombardement auf Tankwagen in Kundus im September 2009 etwa 140 Menschen starben -“ und die Verfahren gegen den verantwortlichen Bundeswehr-Oberst Georg Klein eingestellt wurden -“, müssen Kriegsgegner mehrjährige Haftstrafen absitzen, die durch eine konkrete Abrüstungsinitiative Kriegsgerät unschädlich machen wollten.“

Mit der BGH-Entscheidung vom 3. Mai, die den Betroffenen dieser Tage zugestellt wurde, hat der 3. Strafsenat des Karlsruher Gerichts die Revision der Angeklagten gegen das Urteil abgelehnt (Aktenzeichen: 3 StR 277/10). In dem zehn-seitigen Beschluss rügt der BGH sowohl den Staatsschutzsenat des Kammergerichts wegen Verletzung seiner Aufklärungspflicht, als auch die Bundesanwaltschaft (BAW) wegen eines Organisationsverschuldens: Das oberste Berliner Strafgericht hätte, laut BGH, die Bundesanwältin Vanoni als Zeugin laden müssen, um aufzuklären, warum sie ohne richterlichen Beschluss Hausdurchsuchungen bei den Beschuldigten angeordnet hat. Die Anwälte werden Rechtsbehelfe gegen den BGH-Beschluss einlegen. (Anhörungsrüge, Gegenvorstellung oder Verfassungsbeschwerde haben aber keine aufschiebende Wirkung.)

Quelle: Pressemitteilung Einstellungsbündnis

Das Einstellungsbündnis bittet weiterhin um Geldspenden für anstehende Rechtsmittel und Haft auf eines der beiden folgenden Konten:
- Thomas Herzog, Postbank Essen, Konto-Nr.: 577 701 432, BLZ: 360 100 43, Verwendungszweck: Sonderkonto
- Rote Hilfe e.V., GLS-Bank, Konto-Nr.: 4007 238 317, BLZ: 430 609 67, Verwendungszweck: Repression 31.7.2007

Mehr Information:

Val di Susa: "Wie im Krieg, fehlt bloss noch der Luftangriff"

Wir hatten hier und dort über die Situation im italienischen Susatal berichtet. Seit 20 Jahren protestieren die BewohnerInnen dort gegen ein Hochgeschwindigkeitsnetz, das zwischen Turin und Lyon für 20 Milliarden Euro gebaut werden soll. Vor kurzem erreichte uns eine Mail zur Mahnwache an der Maddalena. Heute früh wurde nach einer Demonstration mit 3000 TeilnehmerInnen geräumt:

"Liebe Freunde,
heute früh um 6 sind sie gekommen, mit Wasserwerfern und Tränengas, mit Wannen und Planierraupen. Unsere Barrikaden haben so einem Aufgebot nicht standhalten können. Sie haben von 3 Seiten angegriffen und sind mittlerweile auf dem Platz wo unsere Mahnwache war. Nach meinen Informationen (meine BI ist fast komplett an der Maddalena) gab es bisher keine Verletzte. Die vielen Hunderte von NO TAV versuchen im Augenblick, sich zu sammeln, nachdem sich alle mehr oder weniger im Wald zerstreut hatten, um sich zu beraten. Die Bürgermeister vor Ort, zusammen mit den Rechtsanwälten, scheine zu verhandeln, aber wir wissen ja, was das bringt. In der Zwischenzeit ist der Verkehr im Tal offensichtlich, zumindest weiter oben, blockiert, die Autobahn ist von der Polizei geschlossen.

Wie im Krieg, fehlt bloss noch der Luftangriff.

A sarà düra!
S.
"

Videos des heutigen Tages:



Sie überwachen - wir lachen!

Commander Shree Stardust und Konstantin Wecker beschäftigen sich in einer neuen Folge von "Konstantin & Commander" mit dem Dresdner Datenskandal. Seit 2009 wurden dort 162.000 Kundendaten von OBI-Baumärkten polizeilich erfasst. Bei der Blockade eines Nazi-Aufmarsches am 19. Februar 2011 mindestens 139.000 Handy-Daten binnen 4,5 Stunden. Konstantin & Commander suchen nach kreativen Antworten auf diese Sammelwut...

Von wegen "schwerverletzt": Enttarnter Zivilpolizist war offenbar Agent Provocateur und Saboteur

Heute morgen musste ich mir manches von KollegInnen wegen der Proteste am Grundwassenanagement anhören. Sie hatten ein paar Rückfragen zu den diversen Medienberichten über die Ereignisse beim Grundwassermanagement im Anschluss an die Montagsdemo gegen S21 gestern in Stuttgart. Die Berichte der bürgerlichen Medien will ich hier nicht wiedergeben, sie scheinen im Großen & Ganzen ihre Informationen aus dem offiziellen Polizeibericht zu beziehen, laut dem ein Beamter wohl einen Arbeitsunfall hatte. Naja, er hatte ja auch nicht die entsprechende Arbeitskleidung an, sondern war in Zivil unterwegs und wollte - laut diversen Augenzeugenberichten - wohl die Menge zu Sabotageakten aufheizen.

Da die "offzielle" Darstellung von keinem unserer LeserInnen an dieser Stelle erwartet wird wollen wir hier auf ein paar Videos und Berichte bei BAA verweisen. Die KollegInnen dort sowie der AK Jura suchen weiterhin Zeugen: Bitte info@bei-abriss-aufstand.de kontaktieren oder auch die Juristen unter jura@unser-park.de.

Dem "Schwerverletzten" geht es offenbar ganz gut...



Siehe auch:

Bombenattentat auf Feiernde in Sirnak (Kurdistan) nach den Parlamentswahlen in der Türkei

Anschlagsopfer in Sirnak
Während der Feierlichkeiten nach den Wahlen in Şırnak kam es zu einem Angriff bei dem mehrere Handgranaten in die Menschenmenge geworfen wurde. Dabei kam nach ersten Augenzeugenberichten ein Mensch ums Leben. Über 20 wurden teils schwer verletzt. Direkt im Anschluss an die Explosion der Granate hat die Polizei die feiernden Menschen mit Gasgranaten und Gummigeschossen angegriffen.

Als Reaktion auf den polizeilichen Angriff haben vor allem Jugendliche die Polizei attackiert und diese teilweise zum Rückzug zwingen können. In Zuge des polizeilichen Angriffs wurden auch die Menschen um die deutsche Beobachterdelegation aus Bayern mit Gas beschossen. Dabei haben die Mitglieder der Delegation, darunter auch Harald Weinberg, MdB, unter starkem Einfluss des Gasangriffes gestanden. Die Delegation musste sich in ein Hotel zurückziehen. Die Mitglieder der Delegation haben mitgeteilt, dass die Handgranate ca. 15 m von ihnen entfernt explodiert ist und sie unmittelbar danach mit Gas beschossen wurde. Zu den Verletzten gehört laut der Delegation auch der stellvertretende BDP-Vorsitzende von Şırnak.

TV Tipp: "Ich habe abgetrieben!"

"Am 6. Juni 1971 erklären im Hamburger Magazin stern 374 Frauen -“ unter ihnen die Schauspielerinnen Senta Berger und Romy Schneider sowie die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer: "Ich habe abgetrieben!" Es wird ein Tag, der in die Geschichte eingeht. Arbeiterinnen, Lehrerinnen, Studentinnen, Hausfrauen und neun prominente Schauspielerinnen haben diesen Appell unterschrieben. Die Bundesrepublik steht Kopf. Das mutige Geständnis der Frauen ist dazu noch strafbar. Die Aktion wird zum Auslöser für eine breite Frauenbewegung. Und bleibt Beispiel für ein Recht, das da sein muß, um es nicht in Anspruch nehmen zu müssen. Über die Drogenfreigabe werden wir bald ähnlich debattieren." ("junge Welt")

Dokumentation auf Arte, 21.05

Michael Bubacks Weg vom Staatsvertrauen zur Erkenntnis böser Hintergründe

Schon vor seinem Buch hat Buback Junior viel Aufsehen erregt mit seinen Beiträgen im Fernsehen und in Zeitschriften zu den ungeklärten Problemen beim Attentat auf seinen Vater Ostern 1977. Sein Auftreten wurde aufgegriffen und ausgenützt für eine Kampagne zur restlosen Aufklärungspflicht der ehemaligen RAF-Angehörigen über ihre eigenen Taten und die aller anderen Angehörigen der RAF. Sonst am besten gar keine Haftentlassung zu Lebzeiten. Davon findet sich im Buch selbst kaum noch etwas. Vielmehr stößt Buback junior im Buch zu der richtigen Forderung vor, dass die Strafbehörden, wenn sie schon Täter verfolgen, das so tun sollten, dass die Vergangenheit erhellt wird, ohne dass die Täter eine moralische Super-Übung zu absolvieren haben.

Buback, von Haus aus Naturwissenschaftler, stößt am Anfang nur auf Ungereimtheiten bei der Darstellung der Vorgänge, die zum Tod seines Vater führten. Er beteuert zu Beginn immer wieder sein kindliches Vertrauen in die Behörde seines Vaters, die Bundesanwaltschaft. Juristische Details sind ihm zu Beginn fremd. So erfährt er erst im Gespräch mit Boock, dass Mord seit mindestens dreißig Jahren nicht mehr verjährt.

Die ganze breite Literatur über RAF und Terrorismus scheint ihm am Anfang unbekannt. So kommt er erst im Lauf des Buches darauf, dass sein Gewährsmann Boock sich im größten Konflikt befindet mit den meisten der übrigen Ex-RAF-Mitglieder und als Phantast bis Lügner verschrien ist. Nicht zu Unrecht, was natürlich nicht ausschließt, dass er fallweise auch einmal wirkliche Kenntnisse weitergibt.

Eben dieser Boock verrät Michael Buback, dass gerade Klar wegen geringer Schießausbildung gar nicht auf dem Motorrad sitzen durfte, sondern allenfalls im Fluchtwagen. Außerdem sei auch der gerichtlich verurteilte Knut Folkerts nicht beteiligt gewesen. Dafür nennt Boock als wirklichen Täter Wisniewski. Dieser scheidet aber als Schütze aus, der vom Soziussitz des Motorrads hätte schießen können. Etwa auch, weil er seiner Statur nach den Zeugenaussagen nicht entspricht.

Michael Buback durchschaut zunächst nicht das Schema der Verurteilungen in Stammheim und anderswo. Nach der Reform des Paragraphen 129 zu 129a genügte dem Gericht normalerweise der Nachweis, dass jemand in “einer terroristischen Vereinigung- -“ in dem Fall also der RAF -“ tätig geworden war, um dieser einen Person vollkommene Mitwisserschaft und ein gemeinsames Wollen jeder Straftat zuzuschreiben, die von der Gruppe aus begangen wurde. So dass eine Verurteilung immer auch ohne größere Beweismühen möglich war und auch erfolgte.

An dieser Pauschalisierungstechnik stößt sich Michael Buback, ohne sie genau zu erkennen und zu benennen. Er möchte den bestimmten Täter -“ oder die Täterin -“ kennen, der/die auf seinen Vater, Chauffeur und Beifahrer geschossen hatte. Kam es Polizei, Bundesanwaltschaft und den Gerichten wesentlich darauf an, mehr oder weniger Verdächtige nachhaltig wegzusperren, so verlangt Buback altertümlicherweise einen vollkommenen Wahrheits- und damit Schuldbeweis.

Das wirft ihm Peter Chotjewitz in seiner Besprechung in KONKRET vor allem vor:

-Nur ein Gedanke scheint ihm [Buback] nicht zu kommen. Dass es allen schnurzpiepe war, wer die Tat begangen hatte. Hauptsache war, dass jeder, der mit der RAF irgendwie maßgeblich verbandelt war, verknackt wurde. Nur zu diesem Zweck wurden Indizien gefälscht, Beweise gezinkt, Kronzeugen erpresst.- (Konkret 2/2009, S. 29)

Chotjewitz setzt hier als bekannt voraus, was sich einem Buback erst mühsam entschlüsselt. Insofern enthält Bubacks umständliche Herangehensweise trotzdem einen eigenen Erkenntniswert. Bubacks Buch ließe sich als “negativer Entwicklungsroman- verstehen -“ der Verlaufslinie nach etwa wie Flauberts “Education sentimentale-, natürlich nicht nach dem literarischen Niveau.

Michael Bubacks Ausgang vom vollsten Vertrauen in Papas Behörde über beginnendes Misstrauen zu schließlich trauriger Gewissheit, dass nicht alles so rechtlich zugeht, wie er es gern hätte, zeichnet denen einen Weg vor, die ähnlich treuherzig sich in “ihrem- Staat geborgen fühlen möchten, so lange es eben geht.

Und eines kommt hinzu: Die Pauschalbehandlung aller RAF-Angehörigen trifft auf eine Person gerade nicht zu -“ Verena Becker. Sie wird gestellt in Singen, schießt auf -“ angeblich -“ sechs Polizeibeamte, bekommt zweimal lebenslänglich -“ und wird doch schon nach sechs Jahren vom Bundespräsidenten begnadigt. Während ein Klar seine 26 Jahre abbrummt bis zum letzten Tag.

Bekannt war, dass Verena Becker nach der Verhaftung sich ausgerechnet dem Verfassungsschutz an den Hals geworfen haben soll. Sie hätte -“ erst dann -“ ausgepackt in einer Lebensbeichte und bei der Gelegenheit auch Wisniewski als Täter benannt. Nur -“ was Buback in einer präzisen Feinarbeit herausbekam, schon unmittelbar nach der Festnahme in Singen wurde aus den Ermittlungsakten und den Ergebnissen der polizeilichen Spurensicherung alles herausgenommen, was Verena Becker hätte belasten können. Die Zeugenaussagen, die eher auf eine Frau auf dem Sozius hindeuteten, kamen vor Gericht nicht mehr vor. Haar-Untersuchungen unterblieben.

Es würde zu weit führen, das alles im Einzelnen nachzuerzählen. Genug, dass Michael Buback nach präzisestem Quellenstudium zu der Überzeugung, nein Erkenntnis kam, dass Verena Becker von den ermittelnden Behörden systematisch aus der Schusslinie genommen wurde, also “gedeckt- wie der Fachausdruck lautet. Und das alles, bevor sie sich dem Verfassungsschutz in der später zugegebenen Form offenbarte. Also -“ folgert Michael Buback -“ muss Verena Becker als V-Frau schon vorher angeworben worden sein. Er findet auch -“ allerdings schwache -“ Beweise dafür in einem Stasi-Vermerk in der DDR und einer angeblichen Aussage von Inge Viett (S. 220f.).

Wenn Bubacks Annahme stimmt, hätten die Behörden auch noch ihre Teilnahme am Attentat auf Buback senior billigend in Kauf genommen. Die Bundesanwaltschaft hätte -“ auf Druck oder auf Bitten der Dienste hin -“ die Beweislage nachträglich bereinigt. Kritiker Michael Bubacks waren an dieser Stelle schnell mit der Keule zur Hand: Verschwörungstheorie. Wenn es aber geheime Verabredung zwischen Behörden gibt, also Verschwörung, wieso soll dann eine Theorie unerlaubt sein, die davon ausgeht, dass es diese gibt?

Methodisch hätte Michael Buback einen Vergleich anstellen können, um zu überprüfen, ob es solche Verabredungen zwischen den Diensten und der Justiz schon gegeben hat. Das “Celler Loch- erwähnt er nicht, eine Straftat, nur begangen, um einem V-Mann das Vertrauen von einsitzenden Staats-Feinden zu gewinnen. Das Zusammenspiel von Rebmann, noch vor seiner Zeit als Generalbundesanwalt, in Stuttgart mit Diensten, um das Abhören der Zellen der Stammheimer zu ermöglichen, wird an einer Stelle erwähnt, ohne Folgerungen daraus zu ziehen. An den späteren Fall des V-Manns ist zu erinnern, der offenbar den Treffpunkt in Bad Kleinen verraten und die Festnahmen dort ermöglicht hat. Dass die diesen V-Mann führenden Behörden ziemlich weit gingen, und möglicherweise die Sprengung des neuen Knasts in Weiterstadt unter seiner Beteiligung oder zumindest seinem Mitwissen in Kauf nahmen, ist bekannt. Warum sollte es da nicht einen “Deal- zwischen Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft zum Schutz der V-Frau Verena Becker gegeben haben können?

Nächster Einwand gegen Michael Bubacks Vermutungen: Was hätte der Verfassungsschutz von der Führung einer V-Frau gehabt, die nicht einmal vor den größten Anschlägen rechtzeitig warnte. Wir wissen nicht, was Verena Becker verriet, was nicht. Auf jeden Fall fühlen sich die Dienste sicherer, wenn sie auch nur glauben können, sie hätten einen Einflussagenten, der gewisse Entwicklungen nach Staatswunsch hinbiegen könnte. Le Carré, selbst alter Geheimdienstler, schildert in seinem letzten Buch genau solche Versuche, die mit riesigem Aufwand unternommen werden.

Chotjewitz hakt sich an einem weiteren Urteil Michael Bubacks fest. Wenn nämlich Klar gar nicht beteiligt war, wieso hätte er dann schweigend seine 26 Jahre abgebrummt? Laut Buback aus Fanatismus. Das ist natürlich Unsinn. Nur ist schließlich auch Knut Folkerts erst jetzt mit seinem Alibi aus Amsterdam herausgerückt, und hat doch auch die lange Zeit im Knast geschwiegen. Warum? Aus Fanatismus freilich nicht. Er sagt: -Die Justiz ist denkbar ungeeignet, etwas Positives zur Aufarbeitung der Geschichte der RAF beizutragen- (SPIEGEL-Interview, bei Buback zitiert, S.171). Außerdem ging er nach allen Erfahrungen -“ mit Recht -“ davon aus, dass er auf jeden Fall verurteilt würde. In diesem Bewusstsein ist es durchaus möglich, dass auch Klar und andere schwiegen: Sie wussten, es würde keiner den Mut haben, ihnen zu glauben. Man vergleiche nur, wie es Irmgard Möller ging: Ihre -“ in sich schlüssige -“ Darstellung der Todesnacht in Stammheim erschütterte nichts und niemand. Sie wurde mit Schweigen übergangen.

Insofern hat Michael Buback das Verdienst, nicht nur zu zeigen, dass ohnedies alle in einen Sack gesteckt wurden -“ zu dieser Erkenntnis trägt er am wenigsten bei. Er weist gerade umgekehrt nach, dass neben die Bekämpfungsmethode des pauschalen Einsackens immer auch die der Spaltung und des subtilen Eindringens in die Strukturen der Kämpfenden tritt. Sicher: Jeder hätte lieber ein viel kürzeres Pamphlet gelesen, im Stil von Zolas -Ich klage an-. Aber es ist nicht alles immer zugleich zu haben.

In linken und halblinken Kreisen hat sich inzwischen eine Art Müdigkeit und Nicht-Wissen-Wollen eingenistet. Nicht, weil viele glaubten, es hätte sich in Stammheim oder sonstwo alles genau so zugetragen, wie öffentlich dargestellt. Sondern, weil niemand gern in einem Staat leben möchte, in welchem die eigene Polizei und die eigene Staatsanwaltschaft genau das tut, wovon man schaudernd aus anderen Ländern liest. Gerade solche stößt ein Michael Buback in seiner pfotigen, zum Teil ausgesprochen leisetreterischen Gangart auf eine Notwendigkeit: Sich vertraut zu machen mit der Erkenntnis, dass die Seilsicherungen durch den sogenannten Rechtsstaat nicht besonders fest halten. Und dass dahinter von überall her und unversehens die Staatsgewalt zuschlagen und zugreifen kann.

Die Rezension erschien zuerst im Februar 2009 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, ps, 01/2011)

Michael Buback 2008: Der zweite Tod meines Vaters

Verlagsgruppe Droemer Knaur, München.
ISBN: 978-3-426-27489-7. 361 Seiten. 19.95 Euro.

Zwei nachträgliche Anmerkungen: Von der Würdigung der -teilweise - verdienstvollen Nachforschungen Bubacks ist nichts zurückzunehmen. Der Verfasser der Rezension - selbst Sohn eines Generalbundesanwalts - wäre der letzte, einem Sohn die persönliche Beteiligung am Problem zu verdenken.

Nur hat im Laufe des Prozesses Buback sich all zu sehr darauf festgelegt, unbedingt Verena Becker als Haupttäterin als Haupttäterin verurteilt sehen zu wollen. Da freilich hört das Interesse der kritischen Wissbegier der Allgemeinheit auf. Was haben wir alle nachträglich davon,herauszubekommen, wer damals wofür in die Mühle der Justiz geschüttet wurde? Wichtig bleibt nur, was Bubacks Buch schon vor dem Prozess überdeutlich enthüllt hat: dass die Justiz in Stammheim als Erledigungsmaschine gearbeitet hat. In keinem Fall als Instrument der Erkenntnis.

2. Um nachträglich den Eifer zu beweisen, den sie in den Urverfahren nicht zeigten, greifen Staatsanwaltschaft und Gericht nun zu den abstoßendsten und ungeignetsten Mitteln. So werden erneut Personen mit Beugehaft bedroht, von denen zu vermuten ist, dass sie die Aussage verweigern wollen. Aus berechtigten Gründen. Wie von Mohnhaupt, Klar und allen andern kann von niemand anders verlangt werden, selbstlos zur Aufklärung der wissbegierigen Öffentlichkeit beizutragen, wenn er damit sich oder andere ihm verbundene Personen nachträglich neuen Anklagen ausliefert. Beugehaft ist überall anstößig genug, vor allem aber in diesem Fall, wo sie nachträglich den Behörden ein Fleißkärtchen einbringen soll. Denn es spricht viel dafür, dass die Beugehaftverhänger von der zu erzwingenden Aussage absolut nichts erwarten. Auf keinen Fall Erkenntnisgewinn. Allenfalls ein Schulterklopfen von bestimmter Seite. Von der Mehrheit endgültige Verachtung für das Rechtsgewerbe.

Stuttgart: Rechte Kundgebung verkürzt - schon wieder Polizeigewalt

Vom 2. bis zum 5. Juni plant die rechtspopulistische Vereinigung „Bürgerbewegung Pax Europa e.V“ zusammen mit „pi-news Stuttgart“ ein bundesweites „islamkritisches Wochenende“ und mehrere öffentliche Aktionen in Stuttgart durchzuführen.

Gestern protestierten verschiedene antifaschistische Gruppen letztlich erfolgreich gegen die Auftaktkundgebung der Rechten - deren Teilnehmer beschränkten sich auf einige wenige Anwesende, die gehaltenen Hetzreden waren wegen der lautstarken Proteste kaum zu verstehen. Einmal mehr konnte eine rechtsgerichtete Veranstaltung nur unter massivem Polizeieinsatz und gegen antifaschistischen Protest durchgesetzt werden. Wenn auch nur für wenige Minuten.

Eine - unvollständige Übersicht über die Berichtertstattung zu den Protesten gestern in Stuttgart:

• Der Freitag: Polizei in Stuttgart schon wieder übergriffig -“ mehrere Verletzte

• linksunten: BPE Kundgebung in Stuttgart trotz massiver Polizeigewalt verhindert

• 7h3linguist: Stuttgarter Polizei schlägt wieder zu

• bodenfrost: Zweiter Schwarzer Donnerstag: Polizeigewalt in Stuttgart

• Stuttgarter Zeitung: Kundgebung auf dem Schlossplatz eskaliert

Die Seite "No Racism in Stuttgart" bietet weitere Informationen unter anderem zu den Hintergründen zu den rechten Gruppierungen sowie zur für morgen, 10 Uhr vor dem Bürgerzentrum Feuerbach angekündigten Kundgebung gegen die „Bürgerbewegung Pax Europa e.V.“ und „PI-News“.
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