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Revolutionäre 1. Mai-Demonstration in Stuttgart

Bereits das zweite Mal konnte ich in Stuttgart an der Demonstration „Heraus zum Revolutionären 1. Mai“ teilnehmen. Zwar wird den Schwaben gerne eine beschauliche Ruhe unterstellt, ich bin jedoch jedes Mal wieder überrascht und erfreut wie viele aktive, linke Jugendliche es hier gibt. So stand auch die Demo 2011 am 30. April unter dem Motto: „Wir werden deutlich machen, wofür der 1. Mai steht: Für internationale Solidarität und eine Perspektive jenseits des Kapitalismus!“ Zu diesem Anlass wurde eine gemeinsame 1. Mai Zeitung von der Marxistischen Aktion Tübingen, der Revolutionären Aktion Stuttgart, der Revolutionären Linken Heilbronn und AktivistInnen aus mehreren Städten herausgegeben. Sie behandelte insbesondere das Thema „Alles Extremismus?“.

Bereits im Vorfeld der Demo gab es in Stuttgart die üblichen schikanösen Vorkontrollen der Polizei. Dabei wurden jungen Menschen rote Fahnen abgenommen, mit der Begründung, die Stiele wären zu dick. Besenstiele! Außerdem sollten sie sich abfotografieren lassen, ansonsten wurde mit Platzverweis gedroht. Desweiteren wurde von der Polizei angedroht, wer heute verhaftet wird, kommt nicht vor morgen frei, um eine Fahrt nach Heilbronn zu verhindern. Die Fahnen werden auch nicht eher wieder rausgerückt, da sie ja in Heilbronn genutzt werden könnten, Nazis zu schlagen... Es handelte sich dabei natürlich um reine Schikanen und Einschüchterungsversuche, ist diese Demonstration der Staatsmacht doch ein großer Dorn im Auge!

Um 15.30 Uhr startete die Demonstration nach eine Auftaktkundgebung im Zentrum Stuttgarts. Die Route führte mit mehreren hundert Teilnehmern unter vielen roten Fahnen und mit sehr guten Transparenten durch die Stadt. Dabei blieben leider auch die jährlich wiederkehrenden Provokationen von der Polizei nicht aus. Eine Demonstration, die sich in einen Wanderkessel verwandelt, da darf man schon fragen, wo ist sie denn, die demokratische Meinungs- und Demonstrationsfreiheit, die in diesem Staat so hochgelobt wird, wenn gleichzeitig versucht wird diese Meinungsäußerung so niedrig wie möglich zu halten? Es wurden lautstark viele Parolen gegen Kapitalismus, die Bundeswehr und für eine gerechtere Gesellschaft skandiert. Am Rand wurden Flugblätter an Passanten verteilt, “Leid-tragende waren die Autofahrer, die oft warten mussten. Das störte aber in der Demonstration niemanden.

Während der Demonstration gab es mehrere Zwischenkundgebungen mit Redebeiträgen, die sich einmal um eine deutliche Kritik am kapitalistischen System drehten, anderseits auch die rassistischen Angriffe gegen Migranten, zuletzt im nahen Winterbach, und den geplanten Naziaufmarsch am 1. Mai in Heilbronn thematisierten.

Zeitgleich fand in Stuttgart eine kurdische Demonstration zum 1. Mai statt, in der unter Anderem die Freiheit für Abdullah Öcalan gefordert wurde. Leider war eine Vereinigung der beiden Demonstrationen nicht möglich, nachdem dies von der Polizei verhindert wurde.

Abends gab es ein Politik- und Kulturfest im alternativen linken Jugendzentrum Lilo Herrmann in Stuttgart. Liselotte Herrmann, eine antifaschistische Widerstandskämpferin aus Stuttgart, wurde am 20. Juni 1938 in Berlin-Plötzensee von den deutschen Faschisten hingerichtet. Das Jugendzentrum entstand 2010 und trägt seit dem ihren Namen. Das sagt sicher viel über das sehr gute Verständnis der Menschen aus, die dieses Zentrum betreiben. Bei dem Fest gab es in der Volksküche leckere veganes Essen, ein Quiz mit teilweise sehr schwierigen Fragen zur Politik und mehrere Musikakts.


Zuerst erschienen beim "Roten Blog"

Grüne: Jetzt führen lernen!

Wählen überstanden! Wähler in die Tonne getreten! SPIEGEL weiß, worum es jetzt gehen muss: Führen lernen. In der neuesten Nummer vom 18.4.2011 folgt in Kurzfassung der Katechismus einer richtigen Partei. Die die Zeit zwischen den lästigen Wahlen zu nutzen weiß: "Statt Parteitagsgewissheiten sind pragmatische Beschlüsse gefragt, der Mut zu unpopulären Entscheidungen und die Bereitschaft, die eigene Führung auch in kritischen Zeiten zu unterstützen. Es geht um die Frage, ob die GRÜNEN 31 Jahre nach ihrer Gründung erwachsen geworden sind" (S.18-SPIEGEL print).

"Erwachsen"- das klassische Wort einer neuen Sorte von Naturrechtlern. Mitgedacht in aller Unschuld: es gibt nur eine richtige Politik. Die der Anpassung an das, was es immer schon gab. Und an die ewigen Naturgesetze der kapitalistischen Wirklichkeit, wie sie sich in den letzten vierzig Jahren entwickelt hat. Alle Nicht-Erwachsenen sind Krüppel - und zum frühen Untergang verurteilt.

Dann wird nach bewährtem Auswalzungsmuster die Partei der GRÜNEN  sortiert in "Realos" und "Linke", wobei origineller Weise Trittin den "Linken" geben muss. Ausgerechnet Trittin, der Unterstützer von Hartz IV, Atomfriedenbesiegler und Schröder-Gefolgsmann. Angeblich hatte Kretschmann in der "Welt am Sonntag" was gegen die LINKEN geäußert, die sich in die Partei eindrängen wollten, dort aber nichts zu suchen hätten.

Trittin - immer laut SPIEGEL - drauf: Bei der nächsten Bundeswahl geht es nur um Rot-Grün. Und um sonst gar nichts.

Wer vor diesen umwälzenden Entscheidungen - und nachher wieder - die  Klappe zu halten hat, steht bei den Realos allerdings so fest wie bei den Linken. Der Wähler nämlich. Und die Wählerin.

Allerdings brauchen die Auseinandersortierten in der Partei den SPIEGEL überhaupt nicht, um auf diese Weise "erwachsen zu werden". Sie wissen es seit der Schröder-Fischer-Regierung perfekt.Im Mitmachen bei Allem waren sie spätestens seit damals unüberholbar.

Es war gut, Mappus vom Sesselchen zu zerren. Wenn es wenigstens dabei bleibt. Es war dumm, das ohne die LINKEN als Partei probieren zu wollen.

Jetzt auf jeden Fall darf es keine Nachsicht mit zwei gesetzestreuen Staatsträgern mehr geben. GRÜNE und LINKE , die inzwischen auch noch ihr Versprechen eines verkrüppelten Volksentscheids brechen wollen, haben keinerlei Nachsicht verdient. Wird man mit den PARKSCHÜTZERN sich weiter auf die Hinterbeine stellen müssen, bis den Gewählten etwas Gesetzbrecherisches einfällt, das dann aber dem  demokratischen Willen der Wähler entspricht. Jedenfalls mehr, als das wechselseitige Sülzen im Doppelgesang, das bis jetzt die glorreichen Sieger anstimmen.

Kein Frieden, kein Vergeben, kein Vergessen gegenüber dieser Sorte von "Erwachsenen", vor denen man die Kinder allseitig schützen muss.

Der Höllensturz der GRÜNEN! Systemzwang oder Kult des Übermenschen?

Jutta Ditfurth zeichnet in genauester Aufzifferung die Entwicklung der Grünen vom Bosnienkrieg an nach. Sie eröffnet damit die Möglichkeit, nach den tieferen Gründen des Absturzes dieser Partei zu fragen.

Jutta Ditfurth hat einen großen Vorzug: Sie hat alles selbst miterlebt. Sie war schon bei den Bewegungen dabei, aus denen die Grünen erst erwuchsen. Umso tiefer sitzt verständlicherweise in ihr der Ingrimm, nachdem sie nach dreißig Jahren entdecken muss, was sich aus den Anfängen heraus entwickelt hat. Das Buch bedarf vielleicht eines Vorspanns für diejenigen, die all das als Geschichte erleben. Mitte und Ende der 1970er Jahre hatte meiner teilnehmenden Erinnerung nach große Mattigkeit die in Parteiansätzen zusammengetretenen Linken erfasst: KBW, KPD-Rote Fahne, Kommunistischer Bund und so weiter. Die Arbeiter der großen Fabriken trabten ungerührt ihren SPD-Bossen nach. Da war von den Ausnahmesituationen der Spontanen Streiks 1969 und 73 nicht viel zu machen. Dagegen häuften sich Auseinandersetzungen außerhalb der Fabrik in ganz Deutschland: Hausbesetzungen, Kampf gegen Ausbau der Atomindustrie, Startbahn West, um nur einiges zu nennen. Hinzu kam das Heraustreten der Arbeit aus den Hallen der Fabrik: Auslagerung, Lohnarbeit in der Form von Dienstleistung, Montageverleih begannen sich auszubreiten. In Zusammenfassung solcher Erfahrungen kam die mehr gefühlte als durchgearbeitete Erkenntnis auf, dass Klassenkampf sich zum großen Teil auch außerhalb der Fabrik abspielt. In der Auseinandersetzung um bezahlbares Wohnen, um Erholungsgebiete nach den Acht-Stunden, um Lebenschancen in einer mehr und mehr zugrunde gerichteten Welt.

Dass all das, was als neues Feld der Ausbeutung sich darbot und unter dem traditionellen Begriff der Natur zusammengefasst wurde, trug schon im Anfang zur Mythologisierung bei. Es gibt kein bewusstes, in sich gesammeltes Wesen namens Natur, das uns anschauen, ja ansprechen könnte. Was es freilich gibt, ist der zunächst unüberschaubare Zusammenhang der Einzeldinge, der Umstände, wie sie aufeinander einwirken. Das ließe sich karger, aber nicht gefühllos als Umgang mit den Ressourcen unserer Produktion und Reproduktion bezeichnen. Die gewählte Begrifflichkeit blieb auf jeden Fall hinter der marxistisch überlieferten an Präzision zurück. „Ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei“ sollte nach der Formulierung des Gründungskongresses in Karlsruhe 1980 die neue Bewegung sein. Wie Jutta Ditfurth berichtet, wurde das, was in diesen vier Zielworten liegen sollte, nachher leidenschaftlich diskutiert. „Sozial ja, aber nicht sozialistisch“, hieß es bei einigen. „Gewaltfrei“ sollte bedeuten, man verzichte zur Durchsetzung seines Willens auf den Zugriff auf den leidensfähigen Körper des Mitmenschen, auch in Polizeigestalt -“ aber bei manchen auch, man lehne die Lösung eines jeden Problems zwischen Menschen durch die Staatsgewalt ab. Man sieht: Von Anfang an konnten sich Anarchisten mit halbmystischen Naturverehrern zusammentun. Aber nur verbal! Nur durch Herstellung immer größeren sprachlichen Scheins! Dies war der Ansatz aller Spaltungen und Abspaltungen.

Abfall vom Ursprung

Mit schärfster Genauigkeit listet Jutta Ditfurth die kleinen Einzelschritte auf, die in der grünen Bewegung von der Ablehnung der Atomtechnologie hin zum sogenannten Atomkompromiss in der Schröder-Regierung führten. Ein Kompromiss, der in Wirklichkeit vor der völligen Selbstauslieferung Merkel/Westerwelle das äußerste Zugeständnis an die vier größten Monopole der Energiewirtschaft Deutschlands darstellte. Das gleiche gilt für die beschleunigte Bewegung weg vom Pazifismus, welche schließlich hin zum Überfall auf Jugoslawien geführt hatte. Wenn auch in diesem Fall Fischers Ehrgeiz die Hauptrolle gespielt haben dürfte, lässt Jutta Ditfurth den kleineren Mithelfern und Mitschreiern nichts nach. Etwa dem markigen Kriegsgegner Volmer, der nach der Erhebung zum Staatssekretär seine Mit-Linken mit einem frisch entdeckten Pan-Serben besonders nervte, dessen Schrift von 1936 (?) angeblich durch alle politischen Umwälzungen hindurch -“ Bürgerkrieg, Tito-Zeit -“ die Unterdrückung aller Fremdvölker gefordert hätte und heute anerkannte Doktrin sei. Volmer und das Buch sind heute mit Recht vergessener als eine Scherbe der Gräber um Troja. Sie haben ihre Wirkung getan -“ die Völker Jugoslawiens gegeneinander gehetzt und auseinander getrieben. Die Wirkung blieb. Die Gründe bleiben vergessen.

In einem ganzen Kapitel („Krieg den Hütten“), wird dann der freudige Beitrag geschildert der Grünen zur gemeinsamen Lohnsenkungspolitik über Hartz IV der Schröder-Fischer-Regierung. Von den Nachfolgern in der Opposition keineswegs widerrufen. Aus den illusionären Anfängen entwickelte sich also etwas, das naturausbeuterisch, antisozial, atomselig auftrat und sich in der Verehrung der Staatsgewalt nicht genug tun konnte, wenn diese nicht gerade die eigenen Leute niederknüppelte.

Woher der Fall?

Es kann kein Zweifel sein, dass Jutta Ditfurth selbst einen Grund für die Gefügigkeit der angeblichen „Basisdemokraten“ gegenüber Fischer in der Tatsache sieht, dass viele jüngere Leute ohne langjährige sonstige Berufsausbildung ins Parlament gelangt waren -“ und sich preisgegeben sahen, wenn sie ihren Posten jetzt verlieren würden.

„Schröder verstand [beim Atomkompromiss, Anm. fg] seinen künftigen grünen Minister und sagte sinngemäß: Wenn er den Kernenergiegegnern deutlich mache, dass der Ausstieg komme, dann rücke die Frage nach dem definitiven Ende in den Hintergrund. Wer etwas werden wollte, verstand die Botschaft. Reihenweise kippten Positionen und Fristen. Die Realos gaben gern damit an: irgendein Restlinker revoltiert? -˜Wir schütten einfach Gold in seinen Rachen, das minimiert den Durchknallfaktor erheblich-™ prahlten sie (...).“ (S. 88)

Hier wird also die Vorstellung von Massenbestechlichkeit als sekundär wirksam angesetzt. Sicher nicht zu Unrecht. Nach dem gleichen Schema hatte Lenin die Arbeiter-Aristokraten entdeckt. Leute, die vom Gesamtkapital in bessere Situationen versetzt worden wären, daraufhin das Bestehende für erhaltenswerter gehalten hätten als alle Veränderungen und damit zum Bleiklotz am Bein der Organisation geworden wären. So einleuchtend und unbestreitbar das ist, kann es zur völligen Erklärung der Umkehr ursprünglich anders gesonnener Bewegungen nicht ausreichen. Einfach, weil es immer gerade unter den Bessergestellten welche gab, die -“ auch mittels verbesserter Kenntnisse -“ die herrschenden Zustände durchschauten und sich gegen sie wandten. Man denke nur an die führende Stellung der Drucker oder der Uhrmacher im neunzehnten Jahrhundert. Hinzugenommen werden muss als weiteres Motiv nach 1977 die zunehmende Ehrfurcht vor den gesetzlichen Regelungen. Keineswegs, weil sie als gerecht angesehen wurden. Einfach deshalb, weil sie bestanden, und weil die Hoffnung nach den nie geklärten Todesfällen in Stammheim geschwunden war, gegen die bewaffneten Durchsetzer des Bestehenden durchzukommen. Cohn-Bendit hat im vielleicht einzigen ehrlichen Bekenntnis seines Lebens zugegeben, dass er im Erlebnis der mörderischen Schlagkraft der französischen CRS vor Malville merkte, dass er auf diesem Weg zu viel riskiere. Der Weg von der Achtung der gesetzlichen Regelung zum Wunsch nach Setzung von eigenen Regeln aus der Regierungsposition darf nicht unterschätzt werden. Die neue gesetzliche Regelung über Partei und vor allem das Gesetzgebungsmonopol des Staates sollte dann als friedenschaffend gelten, wie jetzt gerade die Steinmeiers und ihre grünen Kollegen von damals betonen. Ihr Gesetz war friedenswahrend, das neue Merkels aber wirkt aufrührerisch. Und ist nach Ansicht dieser Theoretiker schon deshalb verwerflich.

Unvermeidlicher Personenkult?

Letzter und tiefster Grund des so tiefen Falls der Grünen ist wahrscheinlich der in uns allen anzutreffende Personenkult. Fischer, der Metzgersohn, ist nicht nur, wie Ditfurth an einer Stelle ausführt, die westliche Variante des Millionärs, der einmal Tellerputzer war. Sondern -“ viel eindringlicher -“ die des jugendlichen „Idealisten“, zu dem die Studienräte uns getrimmt hatten, zum reifen Mann, dem Realo, der jedes Verbrechen sorgfältig prüft, um es gewissenhaft erst dann zu begehen, wenn es sich nicht nur ihm allein, sondern auch der gleichgesinnten Gruppe als nützlich erweist. Nicht aber allen!

Problem dabei: Wir könnten ohne Personenfixierung wahrscheinlich gar nicht bis zum politischen Handeln kommen. Tatsächlich brauchen alle Gruppen, jedenfalls die mir bekannten, die Vormacher, die hochreißen und zugleich beweisen, dass sie, die die Vorschläge machen, zugleich Mut und Kraft haben, sie durchzusetzen. Man erinnere sich nur an die durchschlagende Wucht des Fotos von Dutschke auf dem Titelbild einer SPIEGEL-Ausgabe, wie er die Barrikaden überspringt. Insofern liegt in der Figur desjenigen, der einmal aufgerufen und hochgerissen hat, eine bleibende Gefahr. Man bleibt an ihr hängen und verzichtet im gegebenen Augenblick auf das Widerwort. Ist das einmal geschehen, der gute Augenblick verpasst, scheint es unmöglich doch noch abzuspringen.

Drei denkbare Gründe also, den Willen zum Anderen und zum Ändern unserer Welt erliegen lassen. Erstens Angst ums Fortkommen beim Ausstieg aus dem entgleisenden Zug. Zweitens Gesetzlichkeit, die die frontale Auseinandersetzung scheut und auf dem Weg der Gesetzesbeobachtung selbst zum Ziel kommen will. Und schließlich drittens der Personenkult, der es nicht schafft, auch der verehrten Person auf ihre Unehre, ihre unvermeidlichen Grenzen zu kommen.

Gibt es eine Chance, unterwegs nicht zu fallen und zu verfallen?

Wenn das so ist, verlieren Ditfurths mitgedachte Vorwürfe gegen den Weg der Grünen nicht ihr Gewicht. Cohn-Bendits gegenwärtiges Rotzen gegen seine lasch gewordenen Genossen, die den Krieg gegen den libyschen Staatschef scheuen, zeigen, wie verworfen und klebrig heute einer wirkt, der doch einmal unbestreitbar gewisse Verdienste hatte. Heißt aber das Ergebnis dann nicht mit Notwendigkeit: Jede geschichtliche auf Revolution ausgerichtete Bewegung verfällt nach gewisser Zeit zum schleimenden Reformismus? Meist, aber nicht zwingend dem fortschreitenden Alter der Akteure folgend. Auch die im Verborgenen arbeitenden und die aus den KZs befreiten SPDler hatten 1945 sicher anderes im Sinn als eine polierte Küchengarnitur namens Godesberger Programm!

Dem vorher Gesagten entsprechend müsste eine Organisation, die den revolutionären Willen in sich selbst aufrecht erhalten wollte, drei schwer zu Ende zu denkende Aufgaben anpacken:
1. Wie Jutta Ditfurth es für den Anfang der Bewegung richtig beschreibt, müsste das Besoldungsprinzip des Rätesystems brutal durchgesetzt werden. Bekommt jeder ohnedies nur einen Facharbeiterlohn, muss am Sessel nicht so kleben geblieben werden. Die drohende Arbeitslosigkeit für missliebige Ex-Politiker muss freilich weggedacht werden.
2. Es müssen Möglichkeiten gefunden werden, ehemals erkämpfte gesetzliche Möglichkeiten nicht aufzugeben, aber zugleich Formen zu entwickeln, in denen die Satzungen der bürgerlichen Gerichte nur die zweite oder dritte Rolle spielen. Der Vorschlag Inge Vietts der Herausbildung einer dem Staat unbekannten und unerkennbaren Organisation im Rahmen der Luxemburg-Veranstaltung der Jungen Welt wurde zu wenig beachtet, meiner Kenntnis nach gar nicht diskutiert. In der vorgetragenen Form halte ich ihn für unvollziehbar. Es müssen aber Formen verdeckter Arbeit überlegt werden können.
3. Das Schwerste: Die ehemals notwendigen Anführer müssen aus dem Herzen gerissen werden, ohne ihr Andenken zu vernichten. Und wären es Lenin oder Mao Zedong -“ sie werden aus einer Antriebskraft zu Hemmung und Ballast, wenn wir nicht über sie hinaus und ohne sie weiterlaufen können als sie es schafften. Jutta Ditfurth selbst hat wie wenige widerstanden. Sich dem Sog widersetzt. Also muss es möglich sein. Aber wie?

Jutta Ditfurth 2011: "Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen"
2. Auflage. Rotbuch Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-86789-125-7. 288 Seiten. 14.95 Euro.

Zuerst veröffentlicht bei kritisch-lesen.de

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