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Veranstaltung: Das vergessene Konzentrationslager am Tempelhofer Feld

Vor fast genau 66 Jahren, am 28. April 1945, trafen die sowjetischen Truppen in Neukölln ein und befreiten die noch lebenden Verfolgten und ZwangsarbeiterInnen von den Nazis. Nur wenige Tage später erzwangen die Alliierten die bedingungslose Kapitulation Nazi-Deutschlands. Anlässlich dessen laden wir zu einer Informationsveranstaltung über das auf dem Tempelhofer Feld gelegene ehemalige Konzentrationslager "Columbia-Haus".

1934 wurde das Gestapo-Gefängnis "Columbia-Haus" zum einzigen Konzentrationslager Berlins erklärt, in welchem insgesamt zwischen 8.000-10.0000 Menschen inhaftiert wurden. Der größte Teil davon waren politischen Häftlinge, ab 1935 wurden zunehmend auch schwule Männer inhaftiert. Mit dem geplanten Großprojekt des Flughafen Tempelhof wurde die Auflösung des KZ Columbia-Haus beschlossen. Die Häftlinge wurden ins KZ Sachsenhausen verlegt, dessen Baupläne im Columbia-Haus ausgearbeitet wurden. Die Häftlinge selbst mussten dieses neue Konzentrationslager errichten, bevor sie dorthin verlegt und das Columbiahaus abgerissen wurde. Am Ort des Konzentrationslagers entstanden ZwangsarbeiterInnenbaracken, in welchen vor allem aus Osteuropa deportierte Menschen den heute zwar stillgelegten, aber noch immer nicht zu übersehenden Nazi-Bau errichten und in den Montagehallen des Flughafen Tempelhof für die Rüstungsproduktion arbeiten mussten. Aufgrund der unmenschlichen Bedingungen, der Misshandlungen und Vergewaltigungen starben vor den Augen der Bevölkerung zahllose Menschen. Nur das Eintreffen der Roten Armee hat den noch lebenden ZwangsarbeiterInnen das Leben bewahrt.

Der "Förderverein zur Erinnerung an die Naziverbrechen THF Tempelhof" stellt sich deshalb den Plänen des Berliner Senats in den Weg und lehnt jede Bebauung des Tempelhofer Feldes am Columbiadamm ab, um die Erinnerung an das Konzentrationslager Columbia-Haus und der Zwangsarbeiter_innenlager zu bewahren. Wir laden den Verein ein, von seiner Arbeit zu berichten, die Geschichte des Tempelhofer Feldes anhand historischer Fundstücke nachzuerzählen und den aktuellen Stand der Auseinandersetzungen mit dem Berliner Senat über ein würdiges Gedenken am Tempelhofer Feld mitzuteilen.

Referent_innen vom Förderverein zur Erinnerung an die Naziverbrechen THF Tempelhof

Mittwoch, 20.04.2011, 20:00 Uhr - Tristeza, Pannierstr. 5, Neukölln

Organisiert von der Veranstaltungs-AG der Tristeza

VVN-BdA Redebeitrag bei Demonstration gegen faschistischen Übergriff in Winterbach

Über 1300 Menschen nahmen gestern an einer Protestdemonstration in Winterbach (Rems-Murr Kreis) gegen die faschistischen Übergriffe am Sonntag teil. Bei der Auftaktkundgebung am Winterbacher Bahnhof hielt Jochen Dürr, Landessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) die folgende Rede:

Mehr als 60 Jahre nach der Gründung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes durch Überlebende des faschistischen Terrors fühlt sich die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes -Bund der AnitfaschistInnen Baden -“ Würtemberg, für die ich hier spreche, dem Schwur von Buchenwald verpflichtet: "Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel."

Deswegen ist es folgerichtig, daß wir heute mit einer Demonstration zeigen, daß wir nicht akzeptieren, daß Stiefelfaschisten hier im Rems -“ Murr Kreis Migranten bedrohen. In der Nacht vom vergangenen Samstag auf Sonntag ereignete sich ein Brandanschlag auf drei italienische und sechs türkische Mitbürger. Die Opfer wurden zunächst u.a. mit Streitäxten angegriffen und gejagt. Fünf Angegriffene flüchteten in eine Gartenhütte und versuchten so, den gewalttätigen Nazis zu entkommen. Diese steckten daraufhin die Hütte -“ vermutlich mit Benzin - in Brand. Nur durch großes Glück entgingen die Opfer dem Flammentod und wurden von der ca. 30köpfigen Nazibande weiter taktiert. Die Folgen hiervon: Handfraktur, schwere Prellungen, Gehirnerschütterung, Rauchvergiftung, zum Teil Verletzungen durch Dornen am ganzen Körper.

Warum ist das heute immer und immer wieder möglich ?!

Es müssen Zusammenhänge hergestellt werden:

Thilo Sarrazins „Überfremdungs“-Pamphlet „Deutschland schafft sich ab“ hat - sekundiert von Medien, die es in Rekordzeit zum Bestseller des Herbstes werden ließen - eine neue Runde in der Popularisierung von Rassismus im öffentlichen Diskurs eingeleitet.

Zwar distanzierten sich wesentliche Teile der herrschenden Kreise schnell von seiner Rede von einem „jüdischen Gen“, kaum war jedoch diese Kritik geäußert, machten u. a. Klaus v. Dohnanyi und Horst Seehofer deutlich, dass durchaus die Opfer der sozialen Spaltung der Gesellschaft für ihre eigene Ausgrenzung in Haftung genommen werden sollen: als „Integrationsverweigerer“ aus „fremden Kulturkreisen“, die „unsere Sozialsysteme überproportional belasten“.

Einen Monat später legte die Friedrich-Ebert-Stiftung die Studie „Die Mitte in der Krise - Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010“ vor, die in der Tat eine beunruhigende Zunahme der Zustimmung zu nahezu allen abgefragten Dimensionen des sog. Rechtsextremismus in der „Mitte der Gesellschaft“ belegt:

• Gut jeder Vierte wünscht sich ein „starke Partei“, die die „Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“.
• Jeder Dritte wünscht „hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland“.
• 40 % fordern „Mut zu einem starken Nationalgefühl“.

• Durchgängig mehr als 30 % der Deutschen stimmen zu, dass „Ausländer kommen, um den Sozialstaat auszunutzen“, dass man sie bei knappen Arbeitsplätzen „wieder in ihre Heimat schicken“ solle, und dass Deutschland „in einem gefährlichen Maße überfremdet“ sei.

Diese erschreckenden Zustimmungswerte steigen noch einmal sprunghaft an, wenn es um das Feindbild „Muslime“ geht:

• 55,4 % der Befragten stimmen der Aussage „Araber sind mir unangenehm“ zu und
• 58,4 % der Westdeutschen und 75,7 % der Ostdeutschen wollen die Religionsausübung für Muslime verbieten.

Aus diesem Reservoir schöpfen die Faschisten in NPD / REP und PRO - Bewegung, Hoffnung auf Mobilisierungspotenzial und Wahlerfolge. Nun erlieden NPD und REP erhebliche prozentuelle Stimmenverluste bei der LTW -“ Wahl am 27. 03.2011, aber es gab immer noch Wahlkreise, wo beide in Adition an die fünf Prozent -“ Hürde herankamen.

An diese Ressentiment-geladene Mitte knüpfen auch Faschisten an. Das Entscheidende ist allerdings, dass dieses Ressentiment immer wieder staatlich und Mainstream-medial reproduziert wird. Diskussionen über Deutschkurs- und Kita-Pflicht - wohl wissend, dass es für beides lange Wartelisten gibt - machen aus gesellschaftlich Ausgegrenzten Verantwortliche für die Spaltung der Gesellschaft, deren Opfer sie weitgehend sind.

Am 27.03 wurde 58 Jahre Regierung unter der Staatspartei CDU beendet. Wir als AntifaschistischInnen kritisierten diese Politik vehement :

• Die Verbandelung mit dem Studienzentrum Weikersheim
• Den Schutzschirm über die NPD im bundesweiten Verbotsverfahren
• Berufsverbotepraxis der 70er und 80er Jahre -“ Praxis, bis vor wenigen Jahren wurde Michael Csaszkosky wegen antifaschistischem Engagement die Berufsausübung als Lehrer verweigert...
• Entwurf eines restriktiven Versammlungsgesetzes
• Schikanierung und Kriminalisierung vor allem junger AntifaschistischInnen wegen Tragen durchgestrichener Hakenkreuze
• Verschleppung der Mörder von Saint Anna / Italien durch Oberstaatsanwalt Häußler

Dies sind nur einige Beispiele ...

Was ist aus Sicht der VVN -“ BdA zu tun ?

Es gibt, wie wir wissen, enge Verbindungen zwischen den freien Kameradschaften und den Parteistrukturen der NPD.Beim Besitzer der Immobilie „Linde“ handelt es sich um den wegen Urkundenfälschung und unerlaubtem Waffenbesitz vorbestraften aktiven NPD-Funktionär Jürgen Wehner. Dieser kandidierte auch für die NPD zur Landtagswahl am 27.03.2011. Wir brauchen in Ba.-Wü. wieder eine neue Initiative für ein Verbot der NPD. Die alte Blockadepolitik gegen eines neues NPD Verbotsverfahren auf Bundesebene muss aufgegeben werden. Als erster Schritt müssen die V- Leute abgeschaltet werden.

Ein zweite wichtige Entscheidung von GRÜN -“ ROT müsste der sofortige Rückzug des Entwurfes des restriktiven Versammlungsgesetz sein -“ der Entwurf von Heribert Rech gehört in den Reißwolf!

Wir alle, liebe AntifaschistInnen, machen mit unserer heutigen Demo deutlich, daß Faschismus keine Meinung ist, sondern ein Verbrechen ist! Den angegriffenen MigrantInnen wünschen wir von dieser Stelle aus baldige Genesung -“ ihnen gehört unsere volle Solidarität!

Wir sehen uns hoffentlich alle am 01.Mai 2011 in Heilbronn und setzen das um, was in Dresden zwei Mal umgesetzt wurde: Wir blockieren mit vielen Menschen die Straßen um den Heilbronner Bahnhof und lassen es nicht zu, daß sie einen Millimeter laufen können!

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit!

kritisch-lesen.de Nr. 1 - "Antimuslimischer Rassismus"

Bild: Jörg Möller
Das Bild zeigt die Khadija-Moschee in Berlin-Heinersdorf während der Bauphase. Laut der Berliner Opferberatungsstelle ReachOut wurden während der Grundsteinlegung am 2.1.2007 drei Teilnehmer_innen von Anhängern der Interessensgemeinschaft Pankow-Heinersdorfer Bürger (IPAHB) bedrängt und geschlagen. Dies ist nur ein Beispiel, wie sich antimuslimischer Rassismus ausdrücken kann. Weniger um den Ausdruck, sondern mehr um die Inhalte dieser Form des Rassismus wird es schwerpunktmäßig in dieser Ausgabe gehen. 

Zu Beginn wollen wir mit der Broschüre von ReachOut den Fokus auf Möglichkeiten der Interventionen richten. Laut der Rezensentin Regina Wamper sei in Rassistische Verhältnisse Rassismuskritik „deutlich, offensiv und klug“ zu finden. Solche Kritik ist dringend nötig, ruft man sich in Erinnerung, wie ein Sozialdemokrat und Bundesbanker letztes Jahr mit der Verkündung von Deutschlands Abschaffung erfolgreich einen „Bauchladen der Ausgrenzungsdiskurse“ feilbot, den Sebastian Friedrich und Hannah Schultes in ihrer Rezension näher analysieren. FAZ-Feuilletonchef Patrick Bahners hingegen zog sich mit seiner Kritik an der „Islamkritik“ in Die Panikmacher den Zorn des eigenen konservativen Lagers zu, was Thomas Wagner in seiner Besprechung als Ausdruck der Gespaltenheit des Bürgertums interpretiert. Auf die Existenz eines Feindbild Moslem machte Kay Sokolowsky bereits 2009 aufmerksam und wird von Rezensent Sebastian Friedrich für diesen Verdienst, gute Recherche und Lesbarkeit gelobt. Einblick in die wissenschaftliche Diskussionen über das Thema antimuslimischer Rassismus bieten die Rezensionen von Michael Lausberg und Hannah Schultes zu den Sammelbänden Islamophobie in Österreich und Islamfeindlichkeit -“ Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen. Als zweifelhafte Abgrenzung betrachtet Sebastian Friedrich in seiner Analyse von Udo Ulfkottes Vorsicht Bürgerkrieg die Unterscheidung zwischen Rechtspopulismus und Rechts“extrem“ismus. Auch die Vorschläge bezüglich Datenschutz und Bildungspolitik in Kirsten Heisigs Bestseller Das Ende der Geduld sind nach Meinung von Fritz Güde sehr kritikwürdig.

In den anderen beiden Besprechungen geht es um Widerstände. Thomas Trüten empfiehlt den neu aufgelegten Roman Die Monkey Wrench Gang als „lesenswerte und inspirierende Anleitung dafür, wie man im wahrsten Sinne des Wortes Sand ins Getriebe streuen kann“. Eine andere Form des Widerstands -“ wenn auch zu ganz anderen Bedingungen -“ wird in Jeder stirbt für sich allein von Hans Fallada dargestellt. Dieses ebenfalls neu aufgelegte Werk aus dem Jahr 1947 wird momentan in den bürgerlichen Feuilletons begeistert gefeiert. Fritz Güde findet es „als Lebenszeugnis unvergesslich“, auch wenn es politisch zu kritisieren ist.

Abschließend sei noch nochmals auf unseren Newsletter hingewiesen. Wer immer rechtzeitig über die neuesten Ausgaben per Mail informiert werden will, sollte sich unbedingt mit Email-Adresse bei unserem Newsletter anmelden.

BESPRECHUNGEN ZUM SCHWERPUNKT

Kritische Reflexionen
ReachOut (Hg.): Rassistische Verhältnisse. Ausblicke - Tendenzen - Positionen


Fast pünktlich zum zehnjährigen Jubiläum veröffentlichte "ReachOut -“ Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und
Antisemitismus" eine abwechslungsreiche und überaus lesenswerte Broschüre.

Von Regina Wamper | 14. April 2011


Bauchladen der Ausgrenzungsdiskurse
Thilo Sarrazin: Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel
setzen


Viel (zu viel) wurde über das Scheißbuch eines vermeintlichen Tabubrechers gesagt und geschrieben -“ wir wagen trotzdem mit ein bisschen Abstand
nochmal einen Blick.

Von Sebastian Friedrich und Hannah Schultes | 14. April 2011

Gespaltenes Bürgertum
Patrick Bahners: Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift


FAZ-Redakteur Patrick Bahners entlarvt die neokonservative Islamkritik als Panikmache und wird dafür im eigenen Lager heftig attackiert.
Von Thomas Wagner | 14. April 2011

Die Ausbreitung und Verfestigung des Feindbildes Islam in Österreich
John Bunzl / Farid Hafez (Hg.): Islamophobie in Österreich


Eine interdisziplinär orientierte Studie zeigt in erschreckender Weise die verschiedenen Facetten eines hauptsächlich negativ konstruierten
Islambildes in der Alpenrepublik.
Von Michael Lausberg | 14. April 2011

Kritik der „Islamkritik“
Thorsten Gerald Schneiders (Hg.): Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen


Wer sich in der gegenwärtigen Islamdebatte nicht integriert fühlt, dem_der zeigt der Sammelband „Islamfeindlichkeit“, dass er_sie damit nicht alleine ist. 30 Wissenschaftler_innen legen darin Grundlegendes zum Thema antimuslimischer Rassismus dar.
Von Hannah Schultes | 14. April 2011


Plädoyer für Überwachung
Kirsten Heisig: Das Ende der Geduld. Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter


Kirsten Heisig wandelt zwar im Denkgefolge Sarrazins, macht allerdings keinerlei Aussagen zu Muslimen /an sich/. Dafür plädiert sie für ein
umfassendes Überwachungssystem in "gefährdeten Bezirken" nach dem Vorbild der USA.
Von Fritz Güde | 14. April 2011

WEITERE AKTUELLE BESPRECHUNGEN

Öfter mal stilllegen
Edward Abbey: Die Monkey Wrench Gang


Der Roman liefert auf unterhaltsame Weise Inspirationen, wie man im wahrsten Sinne des Wortes Sand ins Getriebe streuen kann.
Von Thomas Trueten | 14. April 2011


Drittes Reich: Nur Land der entfesselten Unterwelt?
Hans Fallada. Jeder stirbt für sich allein


Fallada entwirft in seinem letzten Roman das Bild eines einsamen und folgenlosen Widerstandes, wie er ihn selbst gern ausgeübt hätte. Zu diesem Zweck verbirgt er sich selbst das Gesamtbild faschistischer Herrschaft.
Von Fritz Güde | 14. April 2011


REZENSIONEN AUS DEM ARCHIV


Feindbildhauer
Kay Sokolowsky: Feindbild Moselm

Kay Sokolowskys Buch über neuesten deutschen Rassismus.
Von Sebastian Friedrich | 1. Januar 2010<


Zweifelhafte Abgrenzung
Udo Ulfkotte: Vorsicht Bürgerkrieg. Was lange gärt wird endlich Wut


Udo Ulfkotte unterstreicht in seinem neuen Buch seine Ambitionen, Rechtspopulismus in Deutschland zu verankern. Die Abgrenzungen zum
Rechts"extrem"ismus sind dabei nichts weiter als Phrasen.
Von Sebastian Friedrich | 1. September 2009

DIE NÄCHSTE AUSGABE ERSCHEINT AM 28.04.

Kaltblütiger faschistischer Brandanschlag in Winterbach

Die durch den Brandanschlag völlig zerstörte Gartenlaube
Zur Demonstration gegen Nazigewalt in Winterbach (Rems-Murr Kreis) am Sonntag, 17.04.2011 erschien eine Pressemittelung von "Weiler schaut hin!":

In der Nacht vom vergangenen Samstag auf Sonntag ereignete sich ein fremdenfeindlicher Brandanschlag auf drei italienische und sechs türkische Mitbürger. Die Opfer wurden zunächst u.a. mit Streitäxten angegriffen und gejagt. Fünf Angegriffene flüchteten in eine Gartenhütte und versuchten so, den gewalttätigen Nazis zu entkommen. Diese steckten daraufhin die Hütte - vermutlich mit Benzin - in Brand. Nur durch großes Glück entgingen die Opfer dem Flammentod und wurden von der ca. 30köpfigen Nazibande weiter traktiert. Die Folgen hiervon: Handfraktur, schwere Prellungen, Gehirnerschütterung, Rauchvergiftung, zum Teil Verletzungen durch Dornen am ganzen Körper.

Es kam in der Folge zu 16 Festnahmen. Allerdings wurden alle Festgenommenen wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Polizei begründet dies damit, dass es keine Beweise gäbe.

Dieser Vorfall kam nicht aus heiterem Himmel. Seit Jahren weist der Verein „Weiler schaut hin!“ auf die gewalttätige Entwicklung im Bereich der rechtsextremen Szene in Weiler und im Rems-Murr-Kreis hin. So kam es beispielsweise Anfang 2010 zu gewalttätigen Übergriffen durch Nazischläger auf Mahnwachenteilnehmer vor dem Nazitreffpunkt „Linde“ in Weiler (Winterbacher Strasse 8) - ein Nachbarort von Winterbach. Die herbeigerufene Polizei bezeichnete die Angegriffenen als Kindergarten und weigerte sich, eine entsprechende Anzeige gegen die Angreifer aufzunehmen. Beim Besitzer der Immobilie „Linde“ handelt es sich um den wegen Urkundenfälschung und unerlaubtem Waffenbesitz vorbestraften aktiven NPD-Funktionär Jürgen Wehner. Im Keller der „Linde“ wurden bekannterweise auch schon Schießübungen von Rechtsradikalen mit scharfer Munition durchgeführt. Am Rande einer Mahnwache Ende 2010 kam es zu Störungsversuchen aus dem Umfeld der „Linde“. Mahnwachenteilnehmer wurden mehrfach beleidigt und es wurde Gewalt angedroht, unter anderem mit den Worten „Ich komme gleich mit meiner Axt“ und Parolen wie „Ausländer raus“. Die Polizei nahm entsprechende Ermittlungen auf und die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren mit der Begründung ein, dass es kein ausreichendes öffentliches Interesse gäbe. Offensichtlich kam die Axt nun zum Einsatz.

Es reicht! Das Maß ist voll! Wir dulden keine Nazis! Nicht in Winterbach, nicht in Weiler, einfach nirgendwo!

Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie Nazis Menschen angreifen und deren Leib und Leben bedrohen. Zeigen wir unseren ausländischen Mitbürgern, dass wir zu ihnen stehen!

Wir rufen alle Mitbürger dazu auf, sich an der Demonstration gegen Nazigewalt am Sonntag, 17.04.2011, 15 Uhr, am Bahnhof in Winterbach zu beteiligen.

12.04.2011

Initiative „Kein Nazizentrum in Weiler, noch anderswo!“ / via VVN-BdA Kreisverband Esslingen siehe auch: Nach rechtem Angriff in Winterbach: Demo gegen Nazigewalt am 17.04.

Nach rechtem Angriff in Winterbach: Demo gegen Nazigewalt am 17.04.

Eine Gruppe von Nazis hat in Winterbach (Rems-Murr Kreis) in Baden-Württemberg in der Nacht zum Sonntag Jagd auf neun Migranten gemacht. Diese flüchteten in ein Gartenhaus, das die Rechtsradikalen daraufhin anzündeten.

Eine Gruppe aus der rechten Szene hat nach einer Party mit dem Auto zuvor bewusst versucht, einen Mann aus einer Gruppe umzufahren. Als die Nazis kurz darauf handgreiflich wurden, flüchteten fünf der Migranten in eine Gartenhütte, in der sie vorher ebenfalls gefeiert hatten. Die Rechtsradikalen zündeten sie daraufhin an. Alle neun Migranten wurden verletzt. Einer liegt immer noch im Krankenhaus.

Die Polizei nahm zunächst 12 Verdächtige aus dem rechtsradikalen Milieu vorläufig fest -“ über zwanzig weitere Partygäste mit rechtem Hintergrund werden verdächtigt, an der Tat beteiligt zu sein. Ermittelt wird unter anderem wegen versuchten Totschlags und schwerer Brandstiftung. Allerdings sind die Festgenommenen schon wieder auf freiem Fuß.


Die Initiative "Weiler schaut hin!" ruft zur Demo gegen Nazi-Gewalt auf!

Treffpunkt ist am Sonntag, 17.04.2011, 15 Uhr, am Bahnhof in Winterbach. Abschlusskundgebung wird voraussichtlich in Weiler vor der Gaststätte Linde sein.

Presse:

• Stuttgarter Zeitung: Der braune Spuk zerstört die Idylle
• Waiblinger Kreiszeitung: In brennender Hütte eingesperrt
• Waiblinger Kreiszeitung: Hauptverdächtiger noch nicht ermittelt
• Welt: Ausländer in Laube gehetzt und Fluchtort angezündet

1. Mai Heilbronn: Nazis blockieren ist legitim!

Folgende Pressemitteilung des Bündnisses „Heilbronn stellt sich quer“ veröffentlichen wir gerne. Das Bündnis wehrt sich gegen die Kriminalisierung durch Stadt und Polizei. Friedliche Blockaden sind weder kriminell noch gewalttätig!

Die Polizeidirektion Heilbronn hat zehntausende Flugblätter und hunderte Plakate drucken lassen, auf denen friedliche Blockaden gegen den Naziaufmarsch am 1.Mai als „Mittel der Gewalt“ und die Beteiligung daran als strafbar dargestellt werden.

Das Bündnis „Heilbronn stellt sich quer“, das unter anderem von Bundestagsabgeordneten von DIE LINKE und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN unterstützt wird, weist diesen Kriminalisierungsversuch entschieden zurück.

Dazu erklärt der Pressesprecher des Bündnisses, Tim Müller: „Der Versuch, uns als gewalttätig und kriminell darzustellen, ist nicht nur politisch völlig daneben. Die Behauptungen, mit denen wir diffamiert werden sollen, sind auch schlichtweg falsch. Erst am 30. März dieses Jahres wurde eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes veröffentlicht, in der klar formuliert wird, dass friedliche Sitzblockaden unter das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes fallen und dass eine Blockade nicht als unfriedlich zu bezeichnen ist, solange von ihr keine Ausschreitungen oder ähnliches ausgehen. Wir lassen uns jedenfalls nicht einschüchtern und halten daran fest: Wir werden die Nazis blockieren!“

Auch die Vizepräsidentin des Thüringer Landtags, Astrid Rothe-Beinlich ruft als Unterstützerin des Bündnisses zu zivilem Ungehorsam gegen die Nazis auf: „Wir brauchen ein mutiges und entschlossenes Engagement gegen Nazis, Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit- auch und gerade aus der Mitte der Gesellschaft. Dazu gehören auch Formen zivilen Ungehorsams, wie friedliche Blockaden, um den Nazis den öffentlichen Raum nicht zu überlassen. Derartige Blockaden sind weder „extremistisch“, noch kriminell, sondern sie sind legitim, erfolgreich und notwendig. Und es braucht auch und gerade das „Gesicht zeigen“ und die Beteiligung derjenigen, die Verantwortung tragen, in Stadt, Land und Bund gleichermaßen.“

Rechte Kleptomanie?

In diesem Sammelband finden sich neben profunden Analysen zu den vermeintlichen Übernahmeversuchen von Inhalten, Ausdrucksformen und Strategien seitens der extremen Rechten sehr ergiebige Ansätze für offensive linke Politik.
Die Übernahme von vermeintlich linken Themen, Codes und Strategien durch extreme Rechte ist kein neues Phänomen, dennoch scheint die Problematik in letzter Zeit innerhalb der Linken nicht nur durch sogenannte Autonome Nationalisten an Bedeutung gewonnen zu haben. Eine der umfassendsten und tiefgreifendsten Publikationen der letzten Jahre zu diesem Thema ist der im Herbst 2010 beim Unrast Verlag erschienene Sammelband Rechte Diskurspiraterien. Es handelt sich um den Reader eines im November 2009 stattgefundenen Colloquiums des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS). Doch nicht nur die Aktualisierung der dort gehaltenen Referate und die Ergänzung durch weitere Beiträge machen den Sammelband zu mehr als einer schlichten Tagungsdokumentation. Im Zentrum stehen Adaptionen, Umdeutungen und Deutungskämpfe von rechts. Dort werden Symbole linker Bewegungen genutzt und mit eigenen Aussagen verknüpft. Diese Operationen finden laut den Herausgeber_innen Regina Wamper, Helmut Kellershohn und Martin Dietzsch insbesondere auf drei Ebenen statt: Auf der inhaltlichen geht es um Deutungskämpfe in Themenfeldern, die traditionell links besetzt sind, auf der kulturell-ästhetischen um die Adaptionen von Codes und Symbolen und drittens um die Übernahme strategischer Optionen. Dieses weite Feld wird im Sammelband in 15 Beiträgen umfang- und kenntnisreich behandelt.

Kontext

Zunächst wird eine aktuell-politische Kontextualisierung vorgenommen. Neben der Strategiediskussion innerhalb der „faschistischen Weltanschauungspartei“ NPD (S. 39), bei dem der Kampf um die Parteispitze Anfang 2009 laut Martin Dietzsch vor allem eine Auseinandersetzung um taktische Optionen war, geht Helmut Kellershohn auf das Netzwerk des Jungkonservatismus im Umfeld der extrem rechten Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) und dem Institut für Staatspolitik (IfS) ein. Hier zeigen sich ebenso unterschiedliche Positionen: Während das IfS-Umfeld auf den Aufbau einer Gegenelite setzt, ist die JF an dem Aufbau einer rechten Sammlungsbewegung interessiert. Sowohl bei NPD als auch JF und IfS sind die Differenzen im Wesentlichen strategischer Natur. Die gemeinsame ideologische Klammer ist der völkische Nationalismus. Christina Kaindl untersucht desweiteren die Zustimmung von extrem rechten Positionen und Parteien im Lichte von Krisenzeiten. Ihr Befund: Die extreme Rechte konnte aus der Krise keinen Profit schlagen, was daran liegt, dass die Lücke der Repräsentation für herrschende Parteien geschlossen wurde. Die Bevölkerung misstraue zwar den Banken mehr, baue aber zugleich mehrheitlich auf die Regierung. Eine mögliche Stärkung der Rechten stehe auch im Zusammenhang mit der Arbeit der politischen Linken. Diese müsse sich bemühen, „Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung jenseits der autoritären und nationalen Momente des Fordismus in einem neuen Projekt globaler Solidarität aufzuheben.“ (S. 52)

Mit den historischen Vorbildern befassen sich die folgenden drei Beiträge. Sabine Kebir zeigt die Kontinuität des Gramscismus von rechts am Beispiel von Napoleon III., Mussolini und Goebbels auf. Sie appelliert, für die Linke nützliche Begriffe, die von rechts vereinnahmt und übernommen wurden, nicht einfach aufzugeben, denn der „Kampf um Hegemonie ist auch Kampf um Begriffe“ (S. 76). Volker Weiss zeigt in seinem Beitrag, wie der Sozialismusbegriff nach dem Ersten Weltkrieg von Moeller van den Bruck und Spengler adaptiert wurde. „Sie okkupierten Begriffe des Gegners und brachten sie, versehen mit einer wesentlich anderen Bedeutung, wieder in den politischen Diskurs ein.“ (S. 95) Anhand der französischen Nouvelle Droite zeigt Volkmar Woelk, dass „verstärkt auf die nationalbolschewistischen Ideen aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zurückgegriffen wird“ (S. 113). In Deutschland würden sich extreme Rechte jedoch eher in der Tradition der NSDAP verorten, eine ideologische Trendwende hin zu nationalrevolutionären Ideen sei momentan auch aufgrund einer dünnen intellektuellen Personaldecke nicht zu erwarten.

Deutungen, Symbole und Aktionsformen

Rechte Interventionen in Gegendiskurse werden anhand dreier exemplarischer Themenfelder dargestellt. Renate Bitzan analysiert „nationalen Feminismus“ und wie von einer Minderheit innerhalb der extremen Rechten das Feindbild Feminismus aufgegeben und völkisch umgedeutet wird. Sie schlägt vor, den Feminismus-Begriff allgemein auf Herrschaftskritik zu beziehen, da sich somit Anschlussfähigkeit nach rechts minimieren ließe. Richard Gebhardt grenzt völkischen von linkem Antikapitalismus ab. Während letzterer idealtypisch eine „gebrauchswert- und bedürfnisorientierte Produktionsweise“ unter „universeller gesellschaftlicher Kontrolle“ fordere (S. 146), formulierten extreme Rechte einen anderen Antikapitalismus, den Gebhardt in acht Schlussfolgerungen zu fassen versucht -“ und zur Diskussion stellt. Auch in Sachen „Friedenspolitik“ versucht die extreme Rechte linke Themenfelder zu besetzen. „Frieden“ werde laut Fabian Virchow völkisch-nationalistisch, anti-amerikanisch und antisemitisch gefasst. Es werde auf die nationalen Interessen, Großraum- und Reichsideen und Militarisierung der Gesellschaft abgezielt. Die Wirkmächtigkeit rechter „Friedens“-Diskurse ließe sich zum einen durch ihre Dekonstruktion und durch „eine kritische Prüfung und Präzisierung manch linker Beiträge“ beschränken (S. 163). Die drei Beiträge zeigen, dass bei den Adaptionen vor allem Begrifflichkeiten entwendet werden, die Inhalte sich aber aus den vorhanden Traditionen und Wissensvorräten der extremen Rechten speisen.

Ähnlich verhält es sich auf der ästhetischen Seite, wobei hier erschwerend hinzu kommt, dass Zeichen mehr noch als Begriffe ver- und entwendungsfähig sind. Das lässt sich unter anderem am Phänomen der Autonomen Nationalisten (AN) festmachen, mit denen sich Lenard Suermann in seinem Beitrag befasst. Die Suche nach zeitgemäßen Ausdrucksformen der NS-Bewegung begann nicht erst mit den AN. „Vielmehr scheint die Fähigkeit, sich den Umständen gemäß anzupassen, seit dem Entstehen der NS-Bewegung ein -šMotor-˜ gewesen zu sein.“ (S. 189) Christoph Schulze und Regina Wamper zeigen am Beispiel der Hardcore- und Straight Edge-Bewegung, dass es sich häufig nicht um schlichte Vereinnahmungen seitens der extremen Rechten handelt. Vielmehr sei Hardcore nie eine genuin linke Kultur gewesen, auch wenn sich etwa Konzertgäste mehrheitlich politisch links verorten. Dennoch sei der sich isoliert entwickelte „Nazi-Hardcore völlig separiert von der Hardcore-Szene, Misch-Szenen sind nicht existent“ (S. 222). Anhand der marginalen „Konservativ-subversiven Aktion“ um Götz Kubitschek stellt Helmut Kellershohn exemplarisch dar, wie versucht wird, linke Protestformen anzuwenden. Hier wird nicht nur durch direkte Bezüge die Überschneidung von faschistischen und konservativ-revolutionären Begründungszusammenhängen im Sinne Marinettis, Benns, Jüngers und Co. deutlich.

Gegenstrategien

Ein besonderer Vorzug des Sammelbands liegt darin, dass nicht auf der Ebene von Analyse und Kritik verharrt wird, sondern im besten Sinne kritischer Wissenschaft dem Aktivismus Handwerkszeug angeboten wird. Regina Wamper und Siegfried Jäger schlagen als wissenschaftliches Projekt ein Forschungsprogramm zur Untersuchung von Völkischem Nationalismus (VN) in Mainstream-Diskursen vor. Ihre ausführliche Skizze habe eine Untersuchung zum Ziel, die häufige Beschränkung auf extrem rechte Diskurse zu überwinden, denn „Kernideologeme des VN finden sich (...) auch verbreitet in der Gesamtgesellschaft“ (S. 257). Abschließend kritisiert Jens Zimmermann das „Extremismuskonstrukt“ aus forschungspraktischer und -“logischer Perspektive. Er zeigt anhand einer Schrift von Uwe Backes, dass die Begriffsgeschichte des politischen Extremismus „durch eine willkürliche Setzung dessen [geschieht], was als extrem zu gelten habe“ (S. 265). In einem zweiten Schritt schlägt Zimmermann anhand einer Studie zum Globalisierungsdiskurs in der extrem rechten Zeitung Deutsche Stimme methodische Instrumente und theoretische Überlegungen für eine kritische Rechtsextremismusforschung vor. Diese müsse reflexiv sein, indem sich die Forscher_innen als Teil der gesellschaftlichen Praxis verstehen.

Den beiden Beiträgen vorangestellt wird ein Beitrag von Britta Michelkes und Regina Wamper. In Bezug auf die ästhetische Ebene verweisen sie auf die ständigen Auseinandersetzungen um Zeichen und ihre Deutungen. Es mag zwar sinnvoll sein, leicht vereinnahmbare Elemente aufzugeben, jedoch gebe es „keinen absoluten -šSchutz-™ vor Adaptionen und Umdeutungen“ (S. 252). Bezüglich der Inhalte machen die Autorinnen konkrete Vorschläge, ohne dabei Masterpläne oder gar Handlungsanweisungen liefern zu wollen. Es müsse zum einem darum gehen, Anschlussstellen zu verhindern, indem etwa nicht einem personalisierten Verständnis gefolgt werde, sondern die strukturellen Gegebenheiten zum Beispiel im Kapitalismus im Vordergrund stünden. Außerdem sollte Ein-Punkt-Politik vermieden und die Verschränkung von Herrschaftsdiskursen anerkannt werden. Durch die Betonung der Differenz von Rhetorik der extrem Rechten und deren faschistischer Praxis sei es überdies möglich, rechte Deutungsangebote zu dekonstruieren. Schließlich müssten offensiv linke Inhalte geschärft und nicht Themenfelder wie die „soziale Frage“ aufgegeben werden, weil sie etwa die extreme Rechte aufgreift.

Rechte Piraten und Chancen

In diesem profunden und sehr durchdacht konzipierten Sammelband wimmelt es geradezu von Anregungen für Theorie und Praxis. Allenfalls verwirrend erscheint der Titel. Diskurspiraterie ist eine Begriffsprägung des 2006 verstorbenen DISS-Mitarbeiters Alfred Schobert, der den Begriff 2005 in einem Beitrag über den französischen „neurechten“ Alain de Benoist verwendete. Schobert sprach damals von Beutestücken, die in einem Diskursmix untergebracht würden. Der Begriff kann durchaus kritisiert werden, bezeichnet Piraterie doch die feindliche Übernahme eines Kommandos über ein Schiff, also von Eigentum. Bezogen auf das Thema ist das problematisch. Zum einen hat die Wegnahme von Eigentum und das gleichzeitige Nichtanerkennen dessen gewisse subversive oder emanzipatorische Potentiale. Zum anderen gibt es keine Diskurse, auf die die Linke die Urheberschaft hat, vielmehr handelt es sich um ständige Deutungskämpfe von vorhandenen -“ für alle mehr oder minder zugänglichen -“ Diskursen.

Offensichtlich bergen gegenwärtige inhaltliche und ästhetische Modifikationen der extremen Rechten Gefahren.
Ein möglicher diskursiver Effekt der Auseinandersetzungen um Autonome Nationalisten und vermeintliche inhaltliche Überschneidungen liegt zum Beispiel in der Stärkung von extremismustheoretischen Positionen, was sich aktuell in der Debatte um die Demokratieerklärung bei der Verteilung von Geldern für Anti-Rechts-Projekte äußert. Außerdem ist nicht die Anziehungskraft für Jugendliche zu verachten, wenn die extreme Rechte ihr faschistisches Produkt als revolutionäres, modernes verkaufen versucht und sich an jugendlichem Mainstream orientiert. Wie auch in vielen Beiträgen explizit oder implizit angesprochen wird, ist jedoch insbesondere darauf zu achten, nicht auf rechte Deutungsangebote reinzufallen und Ästhetiken, Themenfelder oder Konzepte der extremen Rechten zu überlassen. Gelingt dies, werden Inhalte geschärft, Themenfelder intensiviert, Ausdrucksformen reflektiert und umfassend Herrschaftsstrukturen kritisiert. So kann sich aus einem vermeintlich problematischen Phänomen eine Stärkung für linke Perspektiven und Positionen entwickeln.

Regina Wam­per / Hel­mut Kel­ler­s­hohn / Mar­tin Diet­zsch (Hg.) 2010: "Rechte Diskurspiraterien: Strategien der Aneignung linker Codes, Symbole und Aktionsformen".
Edi­tion DISS Bd. 28. Unrast Verlag, Münster.
ISBN: 978-“3-89771-“ 757-“2. 287 Seiten. 20.00 Euro.

Erstveröfffentlichung von Sebastian Friedrich bei kritisch-lesen.de.

Informationsveranstaltung: Nazistrukturen in Baden-Württemberg

Am Donnerstag, 14.04.2011 wird Robert Andreasch über Neonazi-und Altnazi Strukturen in Süddeutschland referieren. Er berichtet aus seiner Arbeit als Enthüllungs-Journalist und gibt weiter, was er bei Veranstaltungen und Aufmärschen der rechten Szene erfahren hat und erfährt. Dabei stellt er die Vielzahl von Organisationen und Gruppen der extremen Rechten in Baden-Württemberg dar. Ein besonderer Augenmerk soll bei der Infoveranstaltung auf die süddeutschen Kameradschaften und die Arbeit des NPD Landesverbands Baden-Württemberg gelegt werden und mit welchen “Inhalten“ versucht wird, noch mehr SympathisantInnen in der Bevölkerung zu gewinnen. Welche Themen werden von der NPD und anderen Neonazis aufgegriffen und versucht wie zu besetzen.

Robert Andreasch zeigt Bilder der neonazistischen Szene jenseits der bekannten Klischees von dumpfen Skinheads. Er erklärt vielmehr die multiplen Stile und Erscheinungsformen, in denen die süddeutsche extreme Rechte mittlerweile auftritt. Rassismus, antisemitische Hetze, Homophobie und andere Ressentiments der Neonazis enden dabei letztendlich immer in Gewalt. Wie sozialwissenschaftliche Studien zeigen, sind diese Ideologien jedoch zunehmend auch in größeren Teilen der Bevölkerung vorhanden. Ursachen dieser Entwicklung und notwendige Gegenmaßnahmen können an diesem Abend anschließend mit dem Referenten diskutiert werden.

Robert Andreasch ist Soziologe, Buchautor und Journalist. Sein Arbeitsgebiet ist seit vielen Jahren die Neonaziszene Süddeutschlands. Zahlreiche Medien im In- und Ausland veröffentlichen seine Recherchen und Beiträge, auch die Bundeszentrale für politische Bildung, der baden - württembergische Landtag und das bayerische „Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus“.

Wann: 14.04.2011, 18:00 Uhr Ort: IG Metall Stuttgart, Theodor-Heuss-Str. 2, 70174 Stuttgart, Saal A

Die Veranstalter behalten sich das Recht vor, Personen des rechtsextremen Spektrums den Zugang zur Veranstaltung zu verweigern!

Quelle: VVN-BdA Kreisvereinigung Esslingen / Flyer DGB Jugend

Lotta #43 erschienen

Die antifaschstische Fachzeitschrift LOTTA ist mit ihrer dreiundvierzigsten Ausgabe erschienen. Schwerpunktthema ist dieses Mal:

Erziehung von rechts - NS Kontinuitäten und konservativ-autoritäre Pädagogik.

Außderdem in dieser Ausgabe:

• Nachbetrachtungen zu Dresden 2011
• Internationale Bündnisse der europäischen extremen Rechten
• Interview mit Volker Maria Hügel



Die "Lotta" ist zum Einzelpreis von 3 Euro oder im Abo zu beziehen:

"LOTTA"
Am Förderturm 27
46049 Oberhausen

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