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Versammlungsrecht - ein Jahr nach dem NATO Gipfel in Straßburg

In Baden-Württemberg sollte Anfang 2009 ein neues Versammlungsgesetz in Kraft treten. Durch Proteste zahlreicher, vor allem antifaschistischer, gewerkschaftlicher, friedenspolitischer und anderer demokratischer Organisationen mit dem Höhepunkt einer Großdemonstration in Stuttgart mit mehreren tausend Teilnehmern wurde dessen Einführung bislang verhindert. Eine Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes hinsichtlich eines ähnlichen Gesetzes in Bayern verlangt zudem eine Überarbeitung des ursprünglichen Gesetzentwurfs.

NATO Gipfel 2009: Sperrung der Innenstadt
Aber auch ohne neues Versammlungsgesetz wurden in Zusammenhang mit dem NATO Gipfel in Straßburg im April 2009 Tatsachen geschaffen. So kam es zum bislang größten Polizeieinsatz in Baden Württemberg. Angeblich, um die Gipfelteilnehmer vor den Protesten „zu schützen“.

Die Organisatoren der Proteste sollten verpflichtet werden, „geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass aus der Versammlung heraus Gewalttätigkeiten begangen werden. Das können insbesondere der Aufruf zu Gewaltfreiheit und die Distanzierung von gewaltbereiten Anhängern sein. Vermag die Person, die die Versammlung leitet, sich nicht durchzusetzen, ist sie verpflichtet, die Versammlung für beendet zu erklären.“ So sollten Versammlungsleiter in die Rolle von Hilfspolizisten gezwungen und eine Spaltung entlang der Gewaltfrage forciert werden. Damit wäre es zukünftig einfach, eine Versammlung zu beenden, indem „Störer“ in den Reihen der Demonstranten platziert werden. Diese Praxis machte nicht nur in Heiligendamm von sich reden.

Der im Zusammenhang mit dem geplanten neuen Versammlungsgesetz eingeführte Begriff Militanzverbot und das Verbot des Tragens gleichartiger Kleidungsstücke ürde Handhabe geben, gegen Versammlungen vorzugehen, wenn diese den „Eindruck der Gewaltbereitschaft“. Dies ist allerdings ein subjektiver Begriff, der einer willkürlichen Auslegung Tür und Tor öffnet: Auch wenn die Kleidung keinen „paramilitärischen“ Habitus aufweist, können „Streikwesten“ wie bei gewerkschaftlichen Protesten üblich oder auch einheitliche T-Shirts, Mützen usw. bei Friedensdemonstrationen unter diese „Kleiderordnung“ fallen.

Proteste sollen aber gerade ihre Adressaten beeindrucken, sonst sind sie wirkungslos. Aber genau darum geht es offenbar. In Straßburg konnte das praktisch erlebt werden:

Oberster Maßstab war offensichtlich nicht das Versammlungsrecht der Friedensbewegten, sondern angebliche „Sicherheitsaspekte“. Deswegen wurde dann letztlich auch keine Vereinigung der Teilnehmer des Ostermarsches mit den in Straßburg Protestierenden gestattet. Vielmehr wurde ein länderübergreifender Ausnahmezustand erprobt, in enger Zusammenarbeit zwischen der NATO und Militär, Polizei in Deutschland und Frankreich. Die Bewohner in der Region durften in bestimmten Zonen nur noch in Polizeibegleitung auf die Straße. Autobahn, Zufahrtsstraßen und verschiedene Grenzübergänge nach Frankreich wurden geschlossen. Zudem wurde versucht, Friedensaktivisten mit Gefährderansprachen, Meldeauflagen, Verbot von Aus- und Einreise an der Teilnahme an den Protesten zu hindern.

Ein fortschrittliches Versammlungsgesetz müsste jedoch gerade demokratische Betätigung, Diskussion und Meinungsbildung fördern. Statt dessen wird aber jeder, der bereit ist sich öffentlich an den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu beteiligen, unter den Verdacht gestellt, ein Störer der öffentlichen Ordnung zu sein.

Das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit hält daran fest, gegen die Gesetzesverschärfung vorzugehen. Die schwarz-gelbe Landesregierung ist aufgefordert, jegliche Pläne zur Verschärfung des Versammlungsgesetzes ersatzlos zurückzuziehen.
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