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Volksabstimmung: Einmal durch Lügen erkauft, für immer gültig

Dass die offiziellen Schätzungen über die Kosten von S21 von allen Beteiligten üppig geschönt waren, hätte jede und jeder sich leicht ausrechnen können, wenn er nur bei anderen Veranstaltungen der öffentlichen Hand den Unterschied zwischen Anfangsversprechen und Endkosten sich gemerkt hätte. Man muss da überhaupt nicht gleich mit katastrophalen Ergebnissen wie bei Harmonie Hamburg kommen. Die Normalresultate reichen.

Angeblich hat auch die Landesregierung Baden-Württemberg ein Heftchen herumgeschickt, in welchem auch Gegenargumente aufgezählt wurden. Ich müsste das wohl auch bekommen haben,kann mich aber mit dem besten Willen nicht erinnern. Dagegen -wie jeder andere- an die schwülstigen Erfindungen vor allem der Bahn, dass da vorgesorgt sei. Mit Reserven sogar. Die vielleicht gar nicht gebraucht würden.
Und jetzt: nicht besonders kleinlaut das Geständnis, dass auf jeden Fall zwei Milliarden zirka mehr ran müssen, damit Stuttgart unten richtig unterhöhlt wird,oben fetter Baugrund. Sollte dieser hemmungslose Schwall die von Frau Merkel so verehrten schwäbischen Hausfrauen gar nicht beeindruckt haben beim Kreuzchenmalen in der Abstimmungszelle? Und die Badener, die ohnedies mehrheitlich schlau genug waren, dagegen zu stimmen-hätten die bei zwei Milliarden mehr für die Stuttgarter nicht die Pfoten vom vergifteten Braten gelassen?

Grundsätzlicher gefragt: Wenn man das Volk erst anlügen muss, um seine Zustimmung zu erhalten, was ist dann ein solches Ja noch wert? Demokratisch gedacht: Nichts!

Kretschmann und seine Meute scheinen das ganz anders zu sehen. Wie in der Bundesrepublik soll gelten: einmal Ja gesagt , gilt für alle Zeiten. Wie in der Ehe-vor vierzig Jahren. Auch wenn nach langer Zeit keiner mehr weiß, warum er eigentlich zugestimmt hat. Vergleich: die Zustimmung zum Afghanien-Krieg. Um Schröders Halteseil zu den USA nicht durchzuschneiden. Was wurde damals zusammenphantasiert über zu grabende Brunnen und entschleierte Ehefrauen. Jetzt, wo sich herausgestellt hat, wie wenig dabei herauskam, tun sie im Bundestag immer noch so, als würgte der Vertrag sie als Gehenkte. Für alle Ewigkeit.
Einmal gelinkt soll gelten als: auf ewig gelungen.

Zu sinnvollen Abstimmungen sowohl der einzelnen Bürgerinnen und Bürger wie ihrer Vertreter müsste demokratisch gesehen immer das Recht hinzukommen, seinen ehemaligen Irrtum einzusehen und zu korrigieren. Und die Betrüger und Lügner von damals im gleichen Zug abzuservieren.

kritisch-lesen.de Nr. 24: Kriegerischer Frieden

Am 10. Dezember ist es wieder soweit: der Friedensnobelpreis wird verliehen. In diesem Jahr darf sich niemand Geringeres als die Europäische Union über den Preis freuen. Während sich gefreut und darüber geredet wird, wie die EU den Frieden nach Europa brachte, ist kaum Kritik zu vernehmen. Dabei sind EU-Länder an kriegerischen Einsätzen auf dem gesamten Globus beteiligt und spielen bei der Rüstungsproduktion eine erhebliche Rolle. So ist Deutschland im Rüstungs-produktionsranking auf Platz drei weltweit und unter anderem seit elf Jahren in Afghanistan im Einsatz. Frieden sähe anders aus. Auch innerhalb der Linken gibt es irritierende Haltungen bei der Frage, wie man es eigentlich halten sollte mit dem Krieg. Befürwortungen werden auch bei sich als links bezeichnenden Menschen immer wieder laut. In den Hintergrund gedrängt wird die sich zwar in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten verändernde, aber noch immer existente imperialistische Dominanz einiger Staaten und Verbündeter, die den Frieden als Legitimation für militärische Einsätze immer wieder in Stellung bringen.

Gründe genug, um einen Blick auf aktuelle linke Antimilitarismus- und Antiimperialismusdebatten zu richten, um Diskussionen und Interventionen nachzuzeichnen. Und so appellieren die ersten drei Rezensionen, Antiimperialismus wieder verstärkt in linke Politik einzubinden: Zu Beginn bespricht Jens Zimmermann in Antiimperialismus revisited einen Sammelband der Linksjugend Solid und stellt heraus, dass in der Broschüre die Reaktualisierung theoretischer Positionen und empirischer Befunde des Antiimperialismus gelungen sind. Christin Bernhold empfiehlt in ihrer Rezension Imperialismus: Alter Wein in neuen Schläuchen den Begriff Imperialismus aus dem Theorie-Museum zu holen, denn dieser sei für die heutige Linke substantiell. In ebenjenes Museum begibt sich Christian Stache mit seiner Rezension Von der bestimmten Negation der klassischen zur neuen Imperialismustheorie. In dem bereits 1978 erschienenen Buch „Marx, Engels und die Imperialismustheorie der II. Internationale“ vertritt Hans-Holger Paul die These, dass durch die direkte Lektüre des Marxschen „Kapital“ (unter anderem durch Engels) die Befürwortung von Imperialismus seitens der RevisionistInnen und ReformistInnen zu erklären ist. Einer auch aktuell immer wieder aufscheinenden Debatte beim Thema Antimilitarismus, die mitunter auch große zivilgesellschaftliche Aufmerksamkeit erregt, widmet sich Sebastian Friedrich mit Forschung und (Anti-)Militarismus: der Zivilklausel an deutschen Hochschulen. Ein weiterer Strang, der linke Antimilitarist_innen seit jeher beschäftigt, ist der Pazifismus. Einen allgemeinen Blick auf „Pazifismus und Antimilitarismus“ wirft Sebastian Kalicha in Den „pazifistischen Hammer“ schwingen und bescheinigt dem Einführungswerk durch seine Facettenvielfalt eine Bereicherung für den linken Diskurs zum Thema. Zu Deserteuren im Zweiten Weltkrieg erschien jüngst das Buch „... und wenn sie mich an die Wand stellen”, welches Zülfukar Cetin bespricht und besonders aufgrund seiner Perspektive aus der Geschlechterforschung sehr lobt. Schließlich wirft Thomas Möller in Vier Jahre Kampf gegen den Kriegsgeist einen Blick in die politische Biographie des Pazifisten und engagierten Kriegsgegners Bertrand Russel.

In den weiteren Rezensionen befasst sich Dr. Daniele Daude in Performativität in der Akademie zunächst mit den Theorien zur Performativität von Erika Fischer-Lichte. Den biographischen Roman „Wie ich im jüdischen Manhattan zu meinem Berlin fand“ von Irene Runge hat Heinz-Jürgen Voß gelesen und ist begeistert von der Gelassenheit, die die Autorin trotz nicht immer schöner Erlebnisse behält. In einer weiteren Roman-Rezension widmet sich Paul Gensler dem neuen Philosophen-Roman von Irvin D. Yalom „Das Spinoza-Problem“, welches beim Rezensenten jedoch nicht so gut weg kommt. Zum Schluss geht Ismail Küpeli auf das Buch „Ordnung und Gewalt“ von Stefan Plaggenborg ein, sieht die angestrebten Intentionen jedoch nicht verwirklicht.

Noch ein kleiner Hinweis für die nächste Ausgabe: Im Januar werden wir nicht wie gewohnt am ersten, sondern ausnahmsweise am zweiten Dienstag erscheinen, also dem 8. Januar.

Weiter zur Ausgabe 24.

Bundestag: "Die Sprache ist dem Menschen gegeben, um seine Gedanken(losigkeit) zu verbergen" -Talleyrand mühelos überboten

Talleyrand, der aus Prinzip Treulose, hatte aus eigenster Erfahrung erklärt, dass die Sprache nicht zum Ausdruck, sondern zum Verbergen der Gedanken da sei. Gutherzig setzte der Kritiker voraus, dass immerhin welche vorhanden seien hinter der Stirn. Mehrere Geräuscherzeuger gestern und vorgestern im Bundestag haben ihn mühelos überboten: Sie hatten garantiert nichts an der betreffenden Stelle. Aber sie deckten gerade diesen Umstand mit Wörtern zu, so gut es ging.

Da war am Dienstag unser Innenminister. Man machte ihn von links her an, wegen seiner Asylverhinderungspolitik. Er darauf, großartig: Wenn er Personen aus Rumänien und anderen einschlägigen Ländern abweise, dann einzig und allein, um die kostbaren Plätze im deutschen Paradiese den andrängenden Flüchtlingen frei zu halten, die es wirklich verdient hätten. Die nämlich - ganz anders als die "rumänischen Bürger" - tatsächlich politisch verfolgt würden. Politische Verfolgung setzt für den burotechnisch versierten Mann immer staatliche Maßnahmen voraus. Verhungernlassen, Wohnungsentzug, Verprügeln durch freischaffenden Mob, dürfen nicht als Unterdrückung gelten.

Dass er die betreffenden Rumänen niemals Sinti und Roma nannte, war seine erste Hüllaktion. Die zweite - entscheidende - : Wo stecken denn die von uns so reichhaltig aufgenommenen Asylbewerber? Am Grund des Mittelmeers im Sande? Hat Friedrich vergessen, dass gerade er und seine Gesinnungsgenossen das Asylrecht abgeschafft haben, als die Gelegenheit sich bot?

Endgültiger Salto unseres Innenministers, womit er Talleyrand um Längen schlug: er hätte die Botschafter der betreffenden Länder einbestellt, und diese herb angehalten, gefälligst bei sich daheim für andere Lebensverhältnisse zu sorgen.

Das war genial. Das sollte unbedingt ausgeweitet werden. Warum werden nicht alle Machthaber - oder die als solche abgestempelt werden - einmal im Jahr in Berlin einbestellt? Zur kollektiven Verwarnung. Nein: zur Besserung. Damit wäre das lästige Asylwesen endgültig überflüssig geworden.

Dem Innenminister nahe kam unser Westerwelle am Tag darauf. Beim Verhandeln zwischen Jerusalem und Kairo hat er sich verdienstvoll abgezappelt, wenn auch nichts erreicht. Im Bundestag aber erzeugte er neue unbekannte Welten. Zunächst stellte er die Hamas-Bewegung in Merkels Sinn als die einzige Ursache der "Todesfälle" in Palästina hin. Als die Abgeordnete Heike Hänsel ihn daran erinnerte, dass alle moralischen Schuldzuweisungen das Gesamtproblem der blockierten und faktisch immer noch besetzten Gebiete einfach ausblendeten, kam er erst richtig in Fahrt. Er kennt nämlich durchaus Palästinenser, denen seine wilde Sympathie gehört. Die freigewählten in der Westbank. Mit welchen Methoden zum Zeitpunkt der damaligen Wahl sich die Hamasbewegung zur Anerkennung im Gaza-Streifen gebracht hat, durfte den Staatsmann nicht bekümmern. Irgend etwas müssen sie den Wählern doch wohl geboten haben.

Zum Höhepunkt kam der Beredte aber erst in der Antwort auf Hänsels Anregung, zu Jahresende in der Vollversammlung der Vereinten Nationen der von ihm so geschätzten palästinensischen Vertretung zu einer Besserstellung zu verhelfen. Durch Abstimmung.

Westerwelle drauf: wenn noch nichts Schriftliches vorliegt, darf ein Diplomat kein Wort über bloße Vorhaben verlieren. Was ihn keineswegs hinderte, sich Minuten später freudig dazu zu bekennen, den Türken deutsche Patriots auszuleihen. Deren Antrag zu diesem Zeitpunkt keineswegs vorlag. Aber da ging es um Deutschland.

Und so verbrachten sie die Zeit, die ihnen auf Erden gegeben war mit ausgedehntem Eigenlob und zwischendurch ein wenig Schädelknacken, wenn die Opposition die Kiefer mal nicht schonte. Nur für Pensionisten als dauerhafte Erinnerung an Talleyrand auszuhalten. Als Hintergrundbrummen...

Was mir heute wichtig erscheint #318

Nachbereitet: Vielfältige Proteste von insgesamt 2.000 Nazigegnerinnen und Nazigegnern behinderten am 6. Oktober 2012 einen Aufmarsch von etwa 150 überregional angereisten Faschisten in Göppingen. Über 2.000 Polizeikräfte wurden eingesetzt, um die rechte Demonstration durchzusetzen und antifaschistischen Widerstand durch gewalttätige Übergriffe und Masseningewahrsamnahmen zu unterbinden. Dennoch: Hunderte AntifaschistInnen blieben den gesamten Tag über mit kämpferischen Protestformen in Bewegung. Im folgenden eine Darstellung und politische Einschätzung der Ereignisse rund um den 6. Oktober, außerdem weiteres Bildmaterial und ein kurzer Videozusammenschnitt. Eine Nachbereitung auf linksunten.

Normalfall: Wie oft kommt es eigentlich zu Jahrhundertstürmen? Da bläst er! Via BildBlog. Und bei den Blogrebellen findet sich: "Durch Hurrikan Sandy und New York mit dem Fahrrad".

Gefährdungslage: Schlafsäcke und Isomatten sind keine Meinungsäußerung sondern eine Bedrohung. Bei entdinglichung ist ein doodle zur Unterstützung der hungerstreikenden Flüchtlinge am Brandenburger Tor in Berlin verlinkt. Und wenn wir schon dabei sind: In Luzern findet am 17.11. eine Bleiberechtsdemo statt.

Systembedingt: "Kritische Dokumentationen über Gentechnik und gentechnisch veränderte Landwirtschaftsprodukte wie Mais und Soja gibt es inzwischen ja doch einige – sehr erfreulich, dass Monsanto & Co. ihr schändliches Treiben nicht ohne Widerstand durchführen können. (...)" Beitrag und Hinweis zur Doku „Die Gen-Verschwörung – eine Spurensuche“ bei Konsumpf.

Beflissen: "Mehrere zehntausend Menschen haben in den vergangenen Jahren an antifaschistischen Massenblockaden in Dresden teilgenommen. Neonazis waren jeweils zum Jahrestag der Bombardierung der Elbmetropole durch alliierte Streitkräfte am 13. Februar 1945 in der sächsischen Landeshauptstadt aufmarschiert, um besagtes Datum für ihre Propaganda von einem angeblich gegen die Zivilbevölkerung gerichteten »Bombenholocaust« zu mißbrauchen. Das Bündnis »Nazifrei – Dresden stellt sich quer!« rief erfolgreich zu antifaschistischen Massenblockaden auf. (...)" Markus Bernhardt in der Tageszeitung junge Welt über "Dresdner Verfolgungseifer".

Abklatsch: "Die Böhsen Onkelz waren gestern, heute erobern „Frei.Wild“ aus Südtirol mit ihrem Nationalismus die Bühnen, so auch im November die Westfalenhalle. Mit ihrer rechtslastig geprägten Musik haben sie schon das Open Air in Wacken gespielt. (...)" (Der Westen). Erhellender ist der Artikel im AIB: »Frei.Wild«: Zwischen Kitsch und Subkultur. Siehe auch: "Frei.Wild – “unpolitischer” Hass auf “Gutmenschen”"

Aussichtslos: Wolfgang Pomrehn weist im Artikel "Rolle rückwärts bei der Energiewende" nach, warum auch in Sachen Umweltschutz besser auf DIY als auf die Politik gesetzt werden muss.

Antastbar: "Nach weitverbreiteter Vorstellung ist Deutschland ein Sozialstaat, in dem der Staat dafür Sorge trägt, dass kein Mensch unter einem menschenwürdigen Existenzminimum leben muss. Die deutsche Sozialgesetzgebung und deren Auslegung durch die Bundesanstalt für Arbeit sehen dies jedoch anders. Hält sich ein Hilfsbedürftiger nicht an die Regeln der Bundesanstalt, können im Einzelfall sogar sämtliche staatlichen Leistungen gestrichen werden. (...)" Beitrag von Jens Berger.

Waffenstillstand in Syrien gebrochen!

Trotzdem Glückwunsch an alle zum islamischen Opferfest!

In nominell christlichen Ländern gab es bis zum ersten Weltkrieg immer wieder die Gewohnheit, über Weihnacht alle Schießerei einzustellen. In welchem Umfang das damals eingehalten wurde, ist heute schwer feststellbar. Immerhin: es wirkte versöhnlich. Alle Versprechungen vom Frieden auf Erden - so oft hinweggeschüttelt - erhielten doch einen Abglanz von Wahrheit. Drei Tage lang. Es war doch eine Gelegenheit, sich zu erinnern, dass das Menschenleben auch ganz anders eingerichtet hätte werden können. Mit ein wenig zusätzlicher Erinnerung daran, dass es den Erbhass zwischen den beteiligten Menschengruppen - Völkern - ohne mediale und staatliche Anpustung gar nicht gegeben hätte. Und dass es selbst in jenen Tagen voll Schlamm und Schrapnell noch andere Gelegenheiten zur Herzenserhebung gab, als Ernst Jüngers Steigerungen in den "Stahlgewittern".

Die Berufung auf das Opferfest, also den Gehorsam des Stammvaters aller Juden und Araber - Ibrahim oder Abraham - sollte in unserem Andenken nicht hinter Weihnacht zurückstehen. Verehrung gilt dabei nicht so sehr dem Willen des Vaters, seinen einzigen Sohn zu opfern, an dem doch der Fortbestand der Menschheit hing, sondern der Bereitschaft des Höchsten, das Opfer zu beenden und das Menschengeschlecht in seine Gnade zu übernehmen.

Was sollte an diesem Bezug auf das Drama zwischen Gott und Mensch verächtlicher sein als an dem auf Weihnachten? Nach den bis jetzt empfangenen Nachrichten: alles. Kaum ein Wort wird verwendet zum Lob derer, die sich immerhin bemühten, dem Versprechen des eigenen Glaubens treu zu bleiben! Vielmehr bemühen sich fast alle Sender die üblichen Klischees gegenüber dem Islam tiefer einzubrennen! Die lügen sich doch alle nur gegenseitig an. Ist nichts dahinter.

Solange das die allgemeine vorgeschriebene selbstverständliche Haltung bleibt, ist auf den Friedenswillen der angeblich christlichen Länder noch weniger zu bauen als auf die immerhin nachlesbaren Verheißungen der christlichen wie der muslimischen wie der jüdischen frohen Botschaften

Schavan: Vom Humboldt-Leiterchen herunter! Doktorentitel fallen lassen!

Alles erregt sich über die Wissenschaftsministerin! Hat sie - Hat sie nicht? Was SPIEGEL und andere uns bisher steckten, läuft nicht auf Diebstahl geistigen Eigentums hinaus, sondern auf eine Dissertation wie tausend andere.

Zur Erinnerung: Humboldt und seinesgleichen hatten zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts davon geträumt, dass ein jeder den akademischen Titel erhalten sollte, der einen eigenständigen Beitrag zur Erkenntniserweiterung auf dem Gebiet seiner Wissenschaft beigetragen hätte. Gerade dadurch sollten sich Universitäten abheben von allen anderen Anstalten, die nur ein "Brotstudium" anbieten könnten.
Konkret stellte sich das in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts so dar, dass zum Beispiel von jeder Doktorarbeit verlangt wurde, dass die entsprechende Sekundärliteratur über den betreffenden Gegenstand zur Kenntnis genommen und gewürdigt wurde. War einer der spärlichen Anreize zum Konsum dieser besonderen Literatur. Man hatte im Literaturverzeichnis einen gewissen Überblick- und konnte sich dann auf das neuerdings Erschienene einschießen. Das war damals als Fiktion noch möglich, aber auch nur für deutschsprachige Aufsätze und Werke. Dass allein diese Forderung heute weitgehend unerfüllbar sich darstellt, weiß jeder Google-Benutzer.

Das noch weitergehendere Verlangen, es müsse jede Doktorarbeit einen Beitrag zur Bereicherung des Wissens auf dem betreffenden Gebiet darstellen, war nur durch allgemeinen stillschweigenden Verzicht aufrechtzuerhalten. Was konnte "eigenständig" unter den damals und heute herrschenden Bedingungen an den Unis heißen? Bevor man überhaupt anfing zu schreiben, war durch die Wahl des Dokorvaters eine Vorauswahl gegeben. Um bei der Germanistik zu bleiben: Im Jahr 1959,als ich so etwas hätte unternehmen können, beherrschte die Methode des schweizer Philologen Staiger wesentlich auch die deutschen Lehrstühle. Seine Methode - schamlos verkürzt dargestellt - bestand darin, sich rein auf die Sprachgestalt - den Text losgelöst von aller außersprachlichen Realität - zu konzentrieren. Es sollte und durfte keine Rolle spielen, ob dieser Text zum Beispiel im faschistischen Deutschland verfasst wurde - oder im Exil.

Über das Begrenzte dieser Methode ist die Entwicklung schon lange hinweggegangen. Klar bleibt dabei nur: Hätte ich damals etwas in dieser Richtung produziert, hätte es heute nur noch als kleines Element einer damals herrschenden Richtung einen gewissen Erinnerungswert. Bleibend könnte daran nichts sein.

Heute könnte jemand kritisieren, dass ich unfähig gewesen wäre, die Axiome der Staiger-Richtung selbständig zu "hinterfragen". (Hinterfragen als anerkennenswerte Tätigkeit kam selbst erst bald zehn Jahre später auf). Einen bleibenden Wert hätten meine damaligen Elaborationen auf keinen Fall haben können.

Wir schrieben auf mechanischen Schreibmaschinen. Insofern waren uns die verfeinerten Sprachzeichen - Anführungsstriche - und - einfache Striche - zum Anzeigen des Zitats im Zitat - lästig. Und wurden sicher oft falsch gesetzt. Tatsächlich wurde bei den Bewertungen auf derlei auch nicht übermäßig geachtet.

Fazit jedenfalls: Von vielen Arbeiten, die ich in den letzten vierzig Jahren zu Gesicht bekommen habe, haben nur sehr wenige der Forderung eines Humboldt entsprochen. Sie konnten nicht dauerhafte Erkenntnis für immer sein.

Die logische Folgerung: Wir könnten uns begnügen, nach den diversen Bachelor- und Magisterprüfungen eine weitere Bewährungsmöglichkeit anzusetzen für Leute, die den wissenschaftlichen Weg weitergehen wollten. Zu prüfen wäre dabei vor allem, ob die Verfasserinnen und Verfasser fähig sind, die gängigen Methodenvorschläge in ihrer Wissenschaft aufzugreifen, anzuwenden und ihre Brauchbarkeit abzuschätzen. Das müsste genügen. Entsprechend ließe sich auch in Deutschland auf die Hinzufügung des Doktortitels zum Eigennamen verzichten. Damit wären viele Plusterungen einfach weg.

Alles, was sich bisher über Schavans Frühwerk erfahren ließ, belegt genau das: die Anführungszeichen wurden damals nicht immer sorgfältig genug gesetzt. Sonst wird offenbar dem Werk von manchen - vermutlich mit Recht - vorgeworfen, dass es nichts wesentlich Neues enthält. Wie so viele andere Doktorarbeiten auch. Lassen wir kollektiv die Luft aus dem Schlauch! Schluss mit den Humboldt-Phantasien! Seien wir froh, wenn einige halbwegs das Handwerk beherrschen....

junge Welt: Weiteres Erscheinen akut gefährdet

Das weitere Erscheinen der überregionalen Tageszeitung junge Welt ist nicht mehr gesichert. Mit einem Offenen Brief an ihre Leserinnen und Leser schildern die Mitarbeitenden der Zeitung in der Samstagausgabe der Zeitung (jW vom 6.10.12) die Lage. Danach hat sich allein in diesem Jahr bis August ein Fehlbetrag von über 100.000 Euro angesammelt. Der Verlust wäre deutlich höher, wenn die Mitarbeitenden nicht schon seit Jahren auf eine angemessene Bezahlung verzichten würden. Schwierigkeiten bereiten Verlag und Redaktion auch juristische "Angriffe von staatlichen Stellen, Einzelpersonen und politischen Organisationen", wie es in dem Schreiben heißt. Mittel für notwendige Investitionen stünden nicht mehr zur Verfügung. "Sparmaßnahmen sind nicht möglich, ohne die journalistische Qualität zu beeinträchtigen und kommen deshalb nicht in Frage", erklärte Chefredakteur Arnold Schölzel. "Die Zeitung ist nur noch zu retten, wenn ausreichend zusätzliche Abonnenten gefunden werden können. Dazu müßte allerdings in den nächsten 10 Wochen einiges bewegt werden", teilte jW-Geschäftsführer Dietmar Koschmieder am Freitag in Berlin mit.

Die Tageszeitung junge Welt wurde 1947 gegründet, war Zentralorgan der FDJ (Freie Deutsche Jugend) und auflagenstärkste Tageszeitung der DDR. Nachdem die Zeitung 1995 eingestellt wurde, organisierte kurz darauf ein Teil der Redaktion die weitere Herausgabe der Zeitung, bis diese Funktion 1998 der neue Mehrheitseigentümer des Verlages, die Genossenschaft LPG junge Welt eG, übernahm. Keiner Partei oder Organisation gehörend, versteht sich die Zeitung als einzige unabhängige linke, marxistische Tageszeitung in Deutschland und wird deshalb alljährlich vom Bundesamt für Verfassungsschutz in dessen Bericht mit einer täglichen Auflage von 17.000 Exemplaren als "das bedeutendste
Printmedium" der radikalen Linken in Deutschland bezeichnet. Aufsehen erregt die Zeitung auch mit ihrer jährlich im Januar stattfindenden Interntionalen Rosa-Luxemburg-Konferenz und mit Veranstaltungen in der eigenen Ladengalerie. Im September 2012 erklärte sie der Deutsche Journalistenverband (DJV) als Sieger einer bundesweiten Erhebung zur journalistischen Sorgfalt in der Bildarbeit unter 122 regionalen und überregionalen Tageszeitungen. Ausgezeichnet für ihre Berichterstattung wurde junge Welt unter anderem von der Erich-Mühsam-Gesellschaft in Lübeck und vom Bundesverband Christlicher Demokraten gegen Atomkraft.

Siehe auch:

Abo der jungen Welt
Genossenschaftsmitglied werden

Quelle: Pressemitteilung

Was mir heute wichtig erscheint #317

Eingestellt: Das Ermittlungsverfahren zu dem durch die SS im Zweiten Weltkrieg in Sant‘ Anna di Stazzema in Italien verübten Massaker mit bis zu 560 Toten wird eingestellt. Mehr dazu beim SWR. Zu den Hintergründen.

Verlust: Wie seine Familie mitteilte, starb der marxistische Historiker Eric Hobsbawm am frühen Montag Morgen nach langer Krankheit im Alter von 95 Jahren.

Auftakt: 1967 drehen Chris Marker und Mario Marret einen Film zur Unterstützung des Arbeitskampfes in der Fabrik Rhodiacéta in Besançon. In „A bientôt j'espère“ kommen die Arbeiter_innen zu Wort. Ihr Protest stellt den Auftakt zur 68er-Revolte und zur ersten großen Streikbewegung in Frankreich seit 1936 dar. Die Streikenden erklären ihren Alltag, ihren Kampf und ihre Forderungen. Sie kritisieren nicht nur ihre Arbeitsbedingungen, sondern auch die ganze Lebensweise, die ihnen aufgezwungen ist. Der Film kann mit deutschen Untertiteln auf labournet.tv angesehen werden.

Festlich: Ein paar Impressionen vom Eröffnungsfest des Linken Zentrum Lilo Herrmann.

Handelsware: "(...) Käme ein Marsmensch nach Deutschland, um sich über die Presse zu informieren, er sähe: Eine große Anzahl von Nachrichtenvermittlern berichtet über dieselben Ereignisse und Entwicklungen – als gäbe es nicht genug Informationen, um unterschiedlichste Interessen zu bedienen und auf einem Gebiet einzigartig zu sein. Die verschiedenen Anbieter unterscheiden sich nur in der politischen Färbung und im Layout, die öde Nachrichtenschreibe ist überall die Gleiche. Einen eigenen Stil pflegen nur noch Spartenprodukte, die anderen übernehmen immer mehr, oft wortgleich, von Agenturen. Die Alten haben sich daran gewöhnt, die Jungen, mangels Angebot, haben längst ihre eigenen Nachrichtenkanäle. Oder machen sie gleich selbst. (..)" Weiter bei Opalkatze.

Überflüssig: Ein weiterer Grund, Geheimdienste abzuschalten: "Der Bundestag ist dabei, das Jahressteuergesetz 2013 zu verabschieden. So weit, so langweilig. Bis auf die Kleinigkeit, dass danach der Verfassungsschutz – genau, DER Verfassungsschutz – darüber entscheidet, welche Vereine gemeinützig bleiben und also in den Genuß der für viele Vereine nötigen Fördergelder kommen. Der Verfassungsschutz? Was hat der damit zu tun? Der legt, unkontrolliert wie eh und je, fest, wer hierzulande als ‘extremistisch’ gilt. Und “extremistisch = nicht gemeinnützig = kein Geld. (...)" Anne Roth fasst zusammen.

Makulatur: "Die deutschen Gesetze zur Abgeordnetenbestechung sind “praktisch bedeutungslose symbolische Gesetzgebung” und müssen dringend verschärft werden. Diesem Urteil des Bundesgerichtshof schließt sich auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem vor vier Jahren erstellten Gutachten an. Das Dokument wird bisher geheim gehalten, netzpolitik.org veröffentlicht jetzt das komplette Gutachten." Mehr dort.

Streichliste: "(...) Der deutsche Beitrag zu den Protesten in mehreren EU-Ländern gegen die Abwälzung von Krisenkosten auf die Bevölkerungen bestand in einem bundesweiten Aktionstag am Sonnabend. Als »vollen Erfolg« werteten die Initiatoren die Beteiligung von insgesamt mehr als 40000 Menschen an den Kundgebungen in etlichen deutschen Städten. Von der Polizei wurden die Teilnehmerzahlen wie üblich deutlich niedriger ausgewiesen. (...)" Mehr zu den internationalen Protesten bei der Tageszeitung junge Welt.

Nebeneinkünfte: "(...) Die SPD schickt mit Peer Steinbrück einen wahren Finanzexperten ins Rennen um die Kanzlerschaft - auch in eigener Sache. Neben seinen Abgeordneten-Diäten streicht er nicht nur etliche Riesen als Aufsichtsrat bei der ThyssenKrupp AG ein und ist mit eigenen Büchern gut im Geschäft. Steinbrück verdient sich vor allem mit Vorträgen eine goldene Nase. (...)" Das Neue Deutschalnd listet auf: "Unter 7000 macht er's nicht".

Gefahrenstelle: Samstag entgleiste im Gleisvorfeld des Stuttgarter Hauptbahnhofes zum zweiten Mal an derselben Stelle der IC nach Hamburg Altona. Über die Ursachen, über die laut Bahn erst in einem Jahr Klarheit herrschen werden, ist heftiger Streit entbrannt. "„Die Bahn kann während des Baus von S 21 ihren Fahrbetrieb nicht aufrechterhalten und gefährdet die Sicherheit der Fahrgäste“, urteilen die Projektgegner. Im Bahnkonzern hält man diese Kritik für abwegig." Mehr bei den Stuttgarter Nachrichten.

Flugerlaubnis: Die Mehrzahl der US-Bürger begüßt den Einsatz von Drohnen im zivilen Luftraum. Warum das nur die halbe Wahrheit ist erläutert Florian Rötzer in seinem telepolis Beitrag.

Kramer: Unterwegs zur Synagoge, die Spinoza ausschloss?

Baruch Spinoza, einer der Begründer der modernen Bibelkritik.
Dem Judentum wurde immer wieder nachgerühmt, dass sich in diesem keine Bischöfe und Päpste herausbilden konnten. Vermutlich, weil die Juden - zu ihrem Glück oder Unglück - kaum je Gelegenheit fanden, sich einem Staat anzugliedern und seine Verfügungsmacht zu beneiden. Ausnahme, durch die Jahrhunderte berüchtigt, die Exkommunizierung des Philosophen Spinoza, damals noch Baruch mit Vornamen.

Heine gedenkt des Vorfalls in seiner Darstellung deutscher Philosophie: "Mit diesem Horne - dem Schofar - wurde die Exkommunikation des Spinoza akkompagniert, er wurde feierlich ausgestoßen aus der Gemeinschaft Israels und unwürdig erklärt hinfüro den Namen Jude zu tragen. Seine christlichen Feinde waren großmütig genug ihm diesen Namen zu lassen. Die Juden aber, die Schweizergarde des Deismus, waren unerbittlich, und man zeigt den Platz vor der spanischen Synagoge zu Amsterdam, wo sie einst mit ihren langen Dolchen nach dem Spinoza gestochen haben."

Damals hatte die Gemeinschaft der mehrheitlich aus Spanien geflohenen Juden solche Macht in Amsterdam, dass Spinoza zur Aufgabe seines Handelsgeschäftes genötigt wurde. Er verdiente dann als Schleifer von Linsen sein Brot.

Dem Andenken und der Wirkung des Philosophen hat die Ausstoßung nicht geschadet. Um das mindeste zu sagen.

Es kann hier nicht darum gehen, Recht oder Unrecht der Vorwürfe gegen Judith Butler inhaltlich zu bewerten. Sicher falsch und ans Idiotische grenzend die Behauptung, Butler sei deshalb Parteigängerin von Hamas und Hisbollah, weil sie einmal in Berkeley diese Bewegungen als tendenziell "links" analysiert hatte. Genau so hätte man "analytisch" dem Stalinismus nicht aberkennen können, dass er der Absicht nach immer noch "links" sei. Nur hätte das niemand dazu bewegen dürfen, sich deshalb Stalins Politik anzuschließen. So muss es Butler nach eigener Aussage auch gesehen haben.

Die katholische Kirche ist allen anderen religliösen Organisationen weit vorausgeeilt in ihrer Ausschluss-Praxis. Wieviel hat es ihr gebracht? Und was verspricht sich Kramer von entsprechenden Schritten - wenn auch noch im Miniformat?

Vorzuwerfen ist einem Kramer und seinen Nachbetern nicht, dass sie die Position Butlers nicht schätzen. Sondern dass sie das gar nicht erwähnen, wofür Butler der Preis zuerkannt werden soll. Dass er stattdessen Vorbedingungen aufstellt - Eintrittskarten verlangt für den Zutritt zur Würdigung - mit Maßgaben, die bis zur Anzweiflung der moralischen Würdigkeit reichen. Aber mit den Schriften Butlers absolut nichts zu tun haben. Die Selbstfesselung an den STAAT Israel zeitigt Folgen für die Diskussionsfähigkeit.

Genau so staatsförmig ist die katholische Kirche in Frankreich vorgegangen. Ich habe Romanistik studiert in den fünfziger Jahren und bemerkte dabei, dass fast alle Pflichtlektüren französischer Autoren auf dem Index standen. Index - Liste der Bücher, deren Lektüre kirchenamtlich abgeraten wurde. Wir haben alles trotzdem gelesen. Das Verfahren hat die Kirche in Frankreich jahrelang in die kulturelle Isolation getrieben.

Der französische Denker Montaigne, Zeitgenosse von Heinrich IV., schrieb einmal sinngemäß: "Ein Dieb wird zum Galgen geführt und gehängt. Darf ich nicht trotzdem denken: Ein schönes Bein hat er doch".

Das wäre die wünschbare Haltung für alle Beteiligten. Jede Kritik sollte sich auf den fraglichen Gegenstand beschränken, nicht moralische Eintrittskarten vergeben. Was hatte Martin Buber für Glück, keinen Preis zu bekommen. Bekanntlich war der weithin Verehrte so ziemlich das Gegenteil eines Zionisten!

Heute abend wird Judith Butler ihren Preis erhalten. Ohne Anwesenheit der jüdischen Autoritäten. Sie kommen sich im Augenblich sehr sittenstreng und aufrecht vor. Wer weiß, wie lange ?

Chauvi - SPIEGELS Spanienblick: Lauter Billigmacher und Irre!

Der SPIEGEL startet eine neue Serie. Umfassender Blick über die Südländer. Als erstes ist Spanien dran. Erst mal leiten drei Artikel ein, mit mehr oder weniger unverbindlichen theoretischen Floskeln. Dann aber der Clou! Es wird ein echter Spanier ins lange verlassene Heimatland geschickt, um ganz authentisch zu berichten, wie alles dort läuft. Gottseidank weiß er schon im dritten Absatz, was bei seiner Forschung herauszukommen hat: "Dass man nun mal keine ernstzunehmende Wirtschaft hat, wenn sie auf Sonne und Orangen und das Zubetonieren der Mittelmeerküste gründet.Dass spanische Fußballvereine keine 750 Millionen dem Finanzamt schulden sollten? Dass sich Spaniens Schüler laut jüngster Pisa-Studie nicht verbesserten, trotz der Rekord-Steuereinnahmen vor der Krise." (SPIEGEL-Print Nr. 31/S.56: Artikel :"Mein fremdes Land").

Der erste Arme, auf den der Heimkehrer in Spanien trifft, ist Panglador. Einer, den die Bank Bankia aus seiner Wohnung geworfen hat, weil er die Finanzierungsraten nach Arbeitslosigkeit nicht mehr aufbrachte. Er will jetzt mit ein paar anderen die Bankfiliale in Barcelona stürmen. Peinlich - er läutet. Nichts regt sich an der Eingangstür. Er zieht sich zurück. Kommentar des heimgekehrten Spaniers, ganz deutsch gedacht: "Es gibt keine Privatinsolvenz in Spanien. Panlador wird die 242000 Euro Schulden behalten, solange er lebt" (ebd). Eine Seite weiter bei einem Hausbesetzer die gleiche Nebenbemerkung. "Es gibt kein Hartz IV in Spanien"> (ebd). Also auch keinen Kündigungsschutz und keinen Wohnkostenzuschuss für Arbeitslose.

Auf diese Mängel führt der Autor des SPIEGEL aber nichts zurück. Für ihn ist Spanien das Land, in welchem vor ein paar Jahren der Irrsinn ausgebrochen ist. Es wird nicht gespart mit als Feststellung gemeinten Unterstellungen. "Wahnsinn" "Irre". Es muss eine Art kollektiver Geisteskrankheit gegeben haben, die eine Bank dazu brachte, einem eine Viertelmillion zu leihen, der nur 950€ im Monat verdiente. Also ist niemand schuld. Oder alle.
Der Mangel an Gesetzen zum Schutz der kleinen Mieter, der Lohnabhängigen und der einfach Armen spielt für diesen Autor keine Rolle. Dabei ist nach den Erfahrungen anderer Länder, denen die Troika zusetzt, ja klar, dass eben solche Sozialgarantien als erste dran glauben, wenn ein Land vorzeigen muss, dass es wirklich opfert. Die ärmsten am gründlichsten gerupft.

Die Klage über die schlechten Leistungen in der Schule ist Gemeingut. Keinesfalls auf Spanien beschränkt. Jedenfalls können die Schulen nicht daran schuld sein, wenn Abiturienten und Universitätsabgänger ihre Qualifikation verbergen müssen, um nicht als überqualifiziert abgelehnt zu werden. Dann heißt das doch nur, dass neben dem Geld und dem etwa erarbeiteten Vermögen auch die Bildungsgarantien in Form von Zeugnissen genau so ihren Wert verlieren. Wieviel oder wie wenig Wissen auch dahintersteckt.

Schlaumeiers Schlussbilanz: "Vielleicht erkennt das Land /Spanien/, dass es keine Abkürzungen gibt nach Europa, keine smarten Tricks. Einfach eine harte Währung einführen, Dutzende Flughäfen, Zugtrassen und Golfplätze, und alle kaufen sich einen A6, das funktioniert nicht. Der Weg ist mühsam und bekannt. Am Anfang stehen Bildung, Forschung, die Förderung von Gründern. Die Spanier können das alles, sie sind ein großartiges Volk, mein Volk, aber die Krise hat ihnen gezeigt, wo sie stehen. Am Rand Europas, nicht im Zentrum. Der Immobilienboom, das billige Geld, die Euphorie haben sie verführt. Nicht, weil sie schlecht oder faul wären, sondern weil sie Menschen sind." (ebd. Seite 60)

Variante Schleckermaul von "Die haben über ihre Verhältnisse gelebt". Tischtrommeln an jedem denkbaren Stammtisch.

Genau, so war es. Als die Banken der arrivierteren Länder Europas den Euro erfunden hatten, da verbreiteten sie zugleich ein trübes Licht über alle, die keine Kredite wollten. Damals galten solche als verstockte Hockenbleiber, die einfach nicht aus der Höhle wollten. Kraftvolle Mitmacher hießen damals die, die heute sich laut SPIEGEL einzugestehen haben, dass sie sich nur einschleichen wollten bei den reicheren Nachbarn.

Eine wirkliche Diskussionshilfe !
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