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Nussdorf: Walser mit achtzig - zwei Sekunden Ferien vom Rechthabertum

Martin Walser, deutscher Schriftsteller, während einer Lesung auf dem Literaturfestival lit.Cologne 2010
Foto: Elke Wetzig/CC-BY-SA
Quelle: WikiPedia
Rechthaberisch war Walser immer. Wie wir alle. Wenn Rechthaber Rechthaber Rechthaber nennen, ist meistens was dran. Was immer Walser vertrat, er tat es unerbittlich. Ohne Gnadenerweise an andersdenkende. Allerdings dabei immer noch ergiebiger als Grass.

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, mitten im dicksten Schnupfen, erlaubt er sich den Luxus, vorzuröcheln, rechthaberisch wie immer, jetzt - auf die alten Tage - sei er es nimmer. Überhaupt kein Rechthaber mehr, und Zweifel daran verbittet er sich, energisch.

Er hatte sich selbst aus der linken Klatschkompanie hinauskatapultiert mit seiner Paulskirchen-Rede von der “Auschwitzkeule”.

Wirklich antisemitisch trat er auf, als er unter Schirrmachers Regie mit Bubis diskutierte. Während Bubis, rednerisch dem Großwortroller nicht gewachsen, einlenken wollte - Walser aber ihm hochfahrend entgegenhielt, während sie, die Juden, alles nur erlebt hätten, habe er schon damals und immer darüber gedacht. Das klassische Spiel: der deutsche Deuter - das Haupt in den Wolken - der niedrig denkende Jud, immer am nächsten klebend. Treffsicher hat Walser gerade diesen peinlichen Auftritt jetzt nullen wollen - nicht das Wort von der Keule, nicht seinen “Tod eines Kritikers”. Bei der Gelegenheit ein Seitenblick auf die Rolle des damaligen Feuilleton-Chefs der FAZ:Schirrmacher. Den wirklich antisemitischen Auftritt gegen Bubis quittierte und veröffentlichte er ohne Wimperzicken. Als dann angeblich der GURU der Literatur und Schirrmachers Vorgänger im Feuilleton, Reich-Ranicki, angegriffen wurde, da plötzlich Schirrmachers publikumswirksame Empörung, die prompte Huldigung des Publikums für den Sittenwächter des politisch Sagbaren. Den Torhüter am Tempel der erlaubten Sprache. Das alles, vor jemand das Buch kennen konnte, der nicht unmittelbar im Geschäft war.

Als man es dann endlich herunterladen konnte, halblegal, war die Enttäuschung groß. Wäre die Enttäuschung aussprechbar geworden, wenn die Schreihälse nicht schon vorher geschrieen hätten. Zurück zu schlucken war da nichts.

Dabei ist schwer vorzustellen, wie man Reich-Ranicki hätte anders darstellen können als den eitlen Selbstdarsteller, der Bücher von außen kritisiert, nach unverrückbaren Maßstäben.

Über der Verfolgungswut gegen Walser wurde ganz vergessen, dass RR gerade die fruchtbarsten Ansätze Walsers in die Tonne getreten hatte, ohne auch nur einen Versuch, ins Innere des Werks einzudringen. So etwa bei “Jenseits der Liebe”, einem Buch von 1976.

Während Walser da wirklich einen aus seinen Bodenseefamilien ausloten ließ, wie weit das neudeutsche und altbürgerliche Vermögen der Einfühlung reichte - nicht weit genug, um das Ganze zu erfassen - ritt RR auf der Ereignislosigkeit herum, ohne jede Ahnung, dass gerade diese - für RR das schlimmste - das LAAANGWEILIGE - zur Durchführung des Themas gehörte.

Nicht, als ob “Tod eines Kritikers” die Sache im Kern getroffen hätte: die absolute Diktatur der Schrift über das andere Medium des Fernsehens durch RR. Wut trübte Walsers Blick. Aber im Vergleich zu den Unverschämtheiten RRs bei seinen Schmetterungen ein zu vernachlässigender Umstand.

Was dann aber vorwerfen dem Jubilar mit allen Verdiensten um die Schilderung der rotten boroughs um den Bodensee, der verschlafenen Orte, der verhockten Kneipen, der verkrallten Familien? Vielleicht nichts, als was er selbst selten gesagt, aber öfter gedacht hat..Haben muss. Er feierte in der Schilderung der Ecken der Provinz die ohnmächtige, verzweifelte Auflehnung des Besonderen, Einzigartigen, Nistbaren,Schmackhaften gegen die tote Allgemeinheit erst des Wirtschaftswunders, dann der Großmannssucht, schließlich der Schmidt-Diktatur und der schleppenden Kohl-Zeit. Der einmalige Ort, an den sich zu binden das eigentlich Dichterische Walsers ausmachte, hat ausgespielt gegen die Gleichförmigkeiten. Die Erzwingung der Selbigkeit.

Lang vor der Paulskirche begann Walsers schwerer Fall. Gerade aus dieser Bindung heraus. Im Vorgefühl der Hinfälligkeit des Einzelnen schlägt er den grandiosesten Purzelbaum. Weil Kants Denken nicht zu verstehen ist ohne Königsberg, ohne die Einheit totaler Abgeschlossenheit von der Landseite her, grenzenloser Offenheit gegenüber dem Meer - weil Königsberg zu Kant dazugehört, sollte es auf einmal auch zu Deutschland gehören. Zum Staatsgebiet. Als hätte das miteinander zu tun.

Vorsichtig argumentierte Walser - lange vor 1989 - dann lieber mit Leipzig und Weimar, aber immer nach dem selben Schema. Die teuren Dichte r- und ihr Land. Beide gehören zusammen und damit uns. Er, der seine Doktorarbeit über Kafka geschrieben hat, machte sich vielleicht nicht klar, dass das auch für Prag gelten müsste. Ohne Prag kein Kafka. Also Prag unser? Gleich geht der Weg zu Keller und Zürich, Nestroy und Karl Kraus und Wien - und der schönste Imperialismus des Geistes schreitet voll Unschuld einher.

So geriet Walser über die Bindung ans Kleinste in die Vernebelung durchs Größte - und endete als Wiedervereingungsjubler und Vaterlands-Schwelger. Gerade diesen Fehlweg ist er nicht zurückgegangen,wo er doch eben beim Fehlerbekennen war.

Walsers Dramen sind total undramatisch. Ein sehr gutes ist darunter, das dafür auch kaum aufgeführt wird. DAS SAUSPIEL.In zweiter Auflage mit Mühe noch erhältlich, leider nicht mit allen Dokumenten, die Walser ursprünglich angefügt hatte. Da geht es um das Nürnberg der Reformationszeit.. Die Zeit kurz nach der Hinrichtung Müntzers. Während der Verfolgung der Widertäufer, vor allem durch die Lutheraner, die sich energisch vom Verdacht zu reinigen haben, genau so radikal zu sein, so sehr willens, zum Ende zu gehen. Wo sie doch - inzwischen - so staatstragend sein wollen, wie es irgend geht, mit dem Evangelium unterm Arm und Melanchthons strengem Blick im Rücken. Und wie Walser sie zeigt, in allen Windungen, Drehungen, Beschönigungen, den vollen Hosen, wenn sie an die Sprüche von gestern denken - die Schlautuer und Schreiber der Gegenwart, die ziemlich leicht unter den Masken von Hans Sachs, Dürer und der anderen Großen zu entdecken sind. Frühkapitalismus als Ausbeutung der Tiroler Silbergruben, Bergwerksbetrieb über neue Entwässerungen, alles gelenkt vom belesenen feinsinnigen porträtgeilen Pirckheimer.

Am erschütterndsten der schnelle Fall der Aufrechten, angesichts des STAMMHEIM von damals, des Kellerverlieses inmitten der weltoffenen Stadt Nürnberg.

Ins Bild des Schwankens im Meinungssturm hat Walser sich heimlich selbst eingezeichnet. erst alles so feurig, so herzwärmend nah. Und dann auf einmal: vorbei! Geblieben schlechtes Gewissen und Angst vor Zitaten. Und noch einmal überkommt ihn gegen seinen Willen die Ahnung des Endes. Des eigenen. Als er in der Vorlesung zur Literatur bei den FRANKFURTER LESUNGEN auf den älteren Schlegel zu sprechen kam. Als Student zusammen mit Novalis und seinem Bruder Anhänger des “symphilosophein”, des kollektiven Überwindens der Isolierung des Individuums.Wenigstens im Denken. Als alter Mann im Dienst des österreichischen Kaiserhauses, katholisierend ohne Glauben, als Verteidiger einer jeden Unterdrückung, die sich Metternich einfallen ließ, um den Tod des todgeweihten Reiches hinauszuschieben .Und Walser fügt melancholisch hinzu (sinngemäß): ein solches Ende möchte man niemand wünschen.

Nun ist er achtzig und es hat ihn erreicht.

Zuerst veröffentlicht als News-Beitrag auf stattweb.de am 26. März 2007

Was mir heute wichtig erscheint #307

Fundiert: "Sarrazin hat an den programmatischen Grundlagen der Partei mitgearbeitet"

Solidarisch: "Die Erpressung Griechenlands zeigt uns, dass die Regierungen in der EU unter dem Druck der Finanzmärkte und unter Anleitung Deutschlands ein neues Gesellschaftsmodell durchsetzen. Öffentliche Dienstleistungen werden radikal eingeschränkt oder ganz abgeschafft; Bildung und Gesundheit werden zu einem Privileg der Reichen. Das Recht auf eine menschenwürdige und sichere Existenz werden beseitigt. Damit einher geht die Einschränkung erkämpfter und verbriefter demokratischer Rechte von der Tarifautonomie, über das Streikrecht bis hin zum Recht auf Widerstand. (...)" Resolution der Veranstaltung: 'Demokratie unter Beschuss' im IG Metallhaus am 13. März 2012

Gewaltenteilung: Polizisten sollen länderübergreifend zusammenarbeiten

Aufgetaucht: "(...) Inzwischen ist eine Schallplatte wieder aufgetaucht, auf der Max Reimann, langjähriger KPD-Vorsitzender und antifaschistischer Widerstandskämpfer (er überlebte das KZ Sachsenhausen) spricht und neue Parteimitglieder der 1956 verbotenen KPD begrüßt. Er formuliert darauf auch seine bekannte Position zum Grundgesetz (Wir verweigern die Zustimmung zum Grundgesetz, weil mit ihm Deutschland gespalten wird, aber wir werden die im Grundgesetz verankerten demokratischen Rechte gegen die Verfasser des Grundgesetzes verteidigen.). Sie ist erstmals von ihm persönlich zu vernehmen. Die Schallplatte entstand Ende der 60er Jahre. Sie wird hier in voller Länge wiedergegeben, und zwar als Tondokument, um eine authentische Stimme aus den 40er bis 60er Jahren zu vernehmen. Über sie mag die Zeit in vieler Hinsicht hinweggegangen sein, jedoch für die Positionen zur Demokratie ist sie weiter von Bedeutung." Mehr bei der VVN-BdA NRW, via redblog.

Zielsetzung: Was wollte und was tat die Gründungsgeneration der VVN?

Reflektiert: Ein Reporter ist nie bloß Beobachter. "(...) Immer zeigt das Foto nur einen Ausschnitt all dessen, was am Ort des Geschehens zu sehen gewesen wäre. Wir ergänzen die gedachte Wirklichkeit außerhalb der Begrenzung und greifen dabei auf eigene Erfahrungen, Kenntnisse und vom Bild selbst angedeutete Zusammenhänge zurück. Die auf einen Sekundenbruchteil reduzierte Aufnahme kann zudem nicht widerspiegeln, dass die Realität vor allem ein Prozess und eben kein Moment ist. (...)" Der italienische Fotograf Ruben Salvadori räumt mit einer naiven Vorstellung der Realität, die von Bildern vermtitelt wird auf und fordert seine KollegInnen auf, sich und ihr Wirken selbst mehr zu reflektieren.

Durchatmen: Bei den Blogrebellen gibt es eine interessante Diskussion über GEMA, Tantiemen, die Contentmafia und von Verarmung bedrohten Kulturschaffenden zum Beitrag: Ich, der Google-Lobbyist und Sven Regener in Rage. Der Pantoffelpunk ist der Verlustrechnung mal nachgegangen: Die Verluste der Contentindustrie. Tja. Irritiert zeigte sich Evangelos Papathanassious - via publikative.org: "(...) An vielen Stellen hat Regener recht. Wenn man ihm vorwirft, dass er uncool sei, weil er seine Musik nicht verschenken will, dann ist das Quatsch. Wenn man jemandem vorwirft, er sei eine Nutte, weil er Musik für Geld machen würde, dann ist man ein Idiot. Wenn er sich von solchen Leuten (O-Ton) „ins Gesicht gepinkelt“ fühlt, dann ist das a) tragisch und b) rechtens. Das heißt aber noch lange nicht, dass diese Idioten die Ursache für das sind, was Regener beklagt. (...)"

nachschLAg: Ein unvollständiger Wochenrückblick über die Entwicklung in Lateinamerika.

Greenwashing: Zur Räumung des Tacheles in Kreuzberg und den Plänen für ein von BMW gesponsertem Lab - "Es geht mitnichten darum, möglichst viel für kulturelles Engagement auszugeben, sondern um eine langfristige, positive Wahrnehmung des Unternehmens als auch der Reputation der Marke BMW - auch in der Presse."

Nützlich: Kaum ist "das Internet" als Ursache für die Radikalisierung des faschistoiden Mörders - natürlich wieder ein Einzeltäter - von Toulouse ausgemacht, regen sich wieder die ersten, die nach Vorratsdatenspeicherung rufen. Sehr praktisch. Auch zur Spurenverwischung geeignet.

Gefördert: (...) Der VS ist weder taub noch blind, sondern ganz einfach rechts. Nach Bekanntwerden der „NSU“ Morde kam es in  Nürnberg/Fürth und in der Region zu mehreren Anschlägen auf Autos von AntifaschistInnen und einen linken Stadtteilladen durch Nazis. Und das ohne Angst vor juristischen Konsequenzen – die Polizei war kein einziges Mal dazu bereit ernsthafte Ermittlungen aufzunehmen. (...)" Aus dem Aufruf zu einer antifaschistischen Demonstration am 31.03., 14:30 Aufseßplatz, in Nürnberg, wo es allein drei Morde gab, die auf das Konto des "NSU" gehen sollen.

Interventionserfolg: Nach einer Intervention der Aktivist_innengruppe Bühnenwatch am Deutschen Theater Berlin im Februar und einem darauf folgenden Gespräch im März wurde die Praktik des Blackface im Stück “Unschuld” von Dea Loher in der Inszenierung von Michael Thalheimer am 21. März 2012 durch weiße Schminke ersetzt.

Tagesberichte: Die Tagesberichte der Hamburger Newroz Delegation zum kurdischen Neujahrsfest 2012 sind hier zu finden. In nächster Zeit sollen noch verschiedene Interviews veröffentlicht werden. 

Aufgetaucht: Cajo Brendel hielt auf dem Kronstadt-Kongreß 1971 einen Vortrag, der heute noch in den bei Unrast erschienenen "Ausgewählten Schriften" zu lesen ist. Brendel überarbeitete ihn für die Publikation in dem 1974 beim Karin Kramer Verlag erschienenen Buch: "Die revolutionären Aktionen der russischen Arbeiter und der Bauern. Die Kommune von Kronstadt." Bei der damaligen Drucklegung der Schrift verschwand allerdings ein Teil des Textes im Orkus des Umbruchs. Aus einer Rückübersetzung gelang es nun, erstmals, den vollständigen damaligen Text zu rekonstruieren.

NRW: Spinne Kraft beim Ekelfraß

Unisono der Presse: es war eine selbstgestellte Falle vor allem für die FDP. Die FDP wollte die Gesetzestreue spielen - und hat sich dabei selbst hereingelegt. Niemand wollte das Ende der Minderheitsregierung Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen.

Wer Frau Kraft ins gewohnt überhebliche Gesicht schaute am Mittwochabend, merkte: es könnte auch ganz anders gelaufen sein. Frau Kraft hat in ihrer ganzen Amtszeit sich anmaßend verhalten gegenüber der LINKS-Partei, auf deren Stimmverhalten sie doch angewiesen war. Ihr Verhörverhalten gegenüber der Partei hätte jedem Staatsanwalt wunderbar angestanden. Entsprechend ihr großartiges Scharwenzeln die ganze Zeit: Kraft führt eine Minderheitsregierung, aber ist auf niemand angewiesen.

Insofern liegt nichts näher als folgender Verlauf: die FDP hatte sich dummerweise hervorgetan als Schuldenbremserin "wie das Gesetz es befahl". Mit dem unerschütterlichen Zweitvorsatz, heimlich nachzuverhandeln. In der Erkenntnis, dass die FDP innerhalb eines einzigen Tages das Steuer nicht herumwerfen könne, kündigte die Ministerpräsidentin überraschend Neuwahlen an. In der Voraussicht, dass sie damit einer, vielleicht zwei Parteien das lästige Lebenslicht ausbläst.

Die LINKE hatte zwei Jahre lang sich unterwürfig gezeigt, so gut es gerade noch mit dem linken Ruf vereinbar war. Im Endeffekt hat sie der SPD-Grünen-Regierung mehrmals das Dasein gerettet. Aber stören kann auch sie immer noch. Also weg auch mit ihr!

Was den Verdacht gegen Kraft erhärtet: die SPD sieht sich - zu Recht oder Unrecht - im Aufwind.Im Saarland verspricht sie sich einiges. Bei dem gezügelten Kampfgeist der SPD würde eine Umverteilung der Sitze im Bundesrat fürs erste schon genügen.

Spricht alles für eine kalte Intrige der SPD-Chefin. Wer noch davon wusste, bleibt unklar.

Was spricht über die persönliche Abneigung gegen die arrogante Motzerin hinaus gegen diese Politik? Merkel und Bismarck haben nie anders gehandelt. Allerdings: die Technik klappt nur, wenn wirklich der Willen demokratischer Massen dahintersteckt. Beziehungsweise benutzt werden kann. Wo aber steckt der bei bloßer Postenakrobatik, wie sie bei Grün und Rot gleichermaßen Politik zu ersetzen hat? Daran fehlt es sämtlichen herrschenden großen und kleinen Parteien im Augenblick.

Viel Glück also der FDP zum letzten Kampf! Für eine Schuldenbremse, an die in Wirklichkeit auf Dauer niemand glaubt. Auch nicht die Erfinderin CDU.

Was mir heute wichtig erscheint #306

Horror: In den 1970er Jahren wird der Horrorfilm neu erfunden. Einer Gruppe junger US-amerikanischer Regisseure gelingt es, das Grauen des Vietnamkriegs und die Niederschlagung der US-Bürgerrechtsbewegung zu filmischen Albträumen zu verdichten. Mehr bei Pickelhering.

Zunahme: Marlies Uken hat sich im Zeit Blog den Bericht "Opening Pandoras Box – The New Wave of Land Grabbing by the Extractive Industries and the Devasting Impact on Earth." genauer angesehen. Land Grabbing ist schon lange nicht mehr ein Phänomen ärmerer Staaten. "Ob Mountain Top Removal in den USA, die riesigen Mondlandschaften des Teersand-Abbaus in Kanada, das Fracking in Europa: Die Suche nach Rohstoffen findet inzwischen direkt vor unserer Haustür statt – mit dramatischen Folgen für die betroffenen Menschen, für Umwelt, Wasser und Klima. (...) Es sind vor allem die steigenden Rohstoffpreise, die diese Entwicklung befeuern."

Unbefangen: "Der Befangenheitsantrag der Nebenklage im Prozess um den Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle ist abgelehnt worden. Der Prozess könne damit wie geplant am Dienstag fortgesetzt werden, teilte das Landgericht Magdeburg am Montag mit. (...)" Mehr dazu bei MDR News. Siehe auch: "Persilschein für die richterliche Kammer im Fall Oury Jalloh" Pressemitteilung von TheVoice.

Entlassen: Die beiden wegen des Winterbacher Brandmordanschlags angeklagten Rechtsradikalen sind Montag aus der U-Haft entlassen worden. Begründung des Gerichts: Die beiden Angeklagten seien nicht des versuchten Mordes verdächtig. Mehr beim ZVW.

Befreiung: This is What Liberation Looks Like: U.S. Massacre in Afghanistan. Beitrag auf "The World can't wait!" zum Massaker eines angeblichen Einzeltäters.

Lahmgelegt: "Die USA sind die globale AKW-Supermacht. 104 Reaktoren laufen landesweit. Viele der Atommeiler haben 30 und mehr Jahre auf dem Buckel. Sie sind alt und störungsanfällig. Der Klimawandel erhöht das Atomrisiko. In der breiten Öffentlichkeit wird das – anders als etwa in Deutschland – kaum diskutiert. Dabei haben allein im letzten Jahr Wirbelstürme, Tornados, Überschwemmungen und Erdbeben fünf AKWs in den USA vorübergehend lahmgelegt".

Unerwünscht: Im Juni will der Springer Verlag anlässlich dessen 60. Geburtstages jeder Haushalt mit einer BILD Zeitung beglückt werden. Studie der Otto Brenner Stiftung und die Aktion "Alle gegen Bild".

Gedenken: In der Nacht zu Sonntag verstarb der deutsch-uruguayische Kommunist Ernesto Kroch im Alter von 95 Jahren. Dazu ein Beitrag von Redblog und der Hinweis auf ¡Ernesto, presente! bei entdinglichung.

Rettungsschirm: "Vor über drei Monaten erfuhren wir, dass die zwei toten Männer im Campingwagen nicht nur routinierte Bankräuber, sondern vor allem Mitglieder einer neonazistischen Terrorgruppe namens ›NSU‹ gewesen sein sollen, von deren Existenz keine staatliche Stelle etwas gewusst haben will. Herrschte über ein Jahrzehnt Ahnungslosigkeit, so wurden wir in der Folgezeit mit einer Flut von Details, Erkenntnissen, Hintergründen und Zusammenhängen konfrontiert, die uns an dem aufgestauten Wissen der Verfolgungsbehörden teilnehmen ließen und lassen. Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. (...)" Mehr bei Wolf Wetzel.

Kleingeld: Noch der Hinweis auf eine gute Idee zur Rente für einen gewissen Ex Bundespräsidenten, drüben bei Moppelkotze.

Jubiläum: „Fortsetzung folgt - 65 Jahre VVN-BdA“. Die VVN-BdA wird 65 Jahre und lädt ein zu einer politisch-künstlerischen Matinee.

Grüne in Frankfurt: Opportunismus pur. Sieg und Ende!

Überflüssiger des Tages: Daniel Cohn-Bendit
Foto: Marie-Lan Nguyen (Eigenes Werk) Lizenz: CC-BY-3.0 www.creativecommons.org/licenses/by/3.0, via Wikimedia Commons
In Frankfurt kam es bei der OB-Wahl, wie allgemein erwartet: Rhein als Nachfolger der geschätzten Roth kam mühsam auf 39 Prozent, der neue SPD-Kandidat auf 23, die Grünen-Bewerberin auf 14. Die GRÜNEN waren mit der CDU geschlappt, durch Dick und Dünn, durch Fluglärm, die Hand-vor-dem-Mund, bis die Wahrheit zu Tage trat. Man kann nicht bald zehn Jahre lang Fraport brüllen, um im elften "Startbahn weg" zu fordern, wenn man oben mit dabei sein und vor allem bleiben will.

Jetzt nach der Wahl: wie sich aus der Schlinge ziehen? Die GRÜNEN am gestrigen Wahlabend versprachen mit brunnentiefen Grubenaugen, die Partei werde ganz und gar ohne Wahlempfehlung auskommen. Keine Empfehlung - nicht für CDU, nicht für SPD. "Die GRÜNEN sind erwachsen genug, ohne Zusatztipps zu entscheiden". Hörte sich würdig an. Und erwachsen genug.

Nur dass zuviel Pöstchen am Wahlausgang hingen. Und so brach bis zum Morgengrauen heiseres Gekreisch aus. Soviel GRÜNE Stimmen, soviel Wahlvorschläge. Der überflüssigste am lautesten: Cohn-Bendit, den außer dem Wohnort nichts mit Frankfurt mehr verbindet, stimmte für SPD. "Wäre schließlich mal spannender".mAndere anders.

Ergebnis: Eine Partei, die ausschließlich auf Einfluss und Machterhalt starrt, weiß dann in der Not nicht mehr weiter,wenn Beute auf beiden Straßenseiten bereit liegt. In einem solchen Fall reicht nicht einmal mehr die Lehre des großen Umbiegers Fischer aus: Immer dem Erfolg nach! Wenigstens der Schein gemeinsamer Willensbildung sollte dabei doch noch abfallen. Selbst dafür ist die Decke im Fall Frankfurt zu knapp.

Bernard-Henry Lévy: Nicht heiser genug vom keuchenden letzten Kriegsgebell


Bernard-Henry Lévy
Foto: Itzik Edri (Eigenes Werk)
Lizenz: CC-BY-SA-3.0, via Wikimedia Commons
Beim Überfall auf Libyen war der Philosoph Bernard-Henry Lévy als einer der ersten dabei. Bekanntlich gilt er als der, der Sarkozy überredete, den Aufständischen in Libyen Militärhilfe zuzusagen. Noch im gegenwärtigen Interview in der ZEIT gibt sein Philosoph zu, dass dabei Russland und China übertölpelt werden mussten, um den Coup einzufädeln. Warum so etwas nicht wiederholen, kurz vor den Wahlen in Frankreich?

Etwas spräche dagegen, was einen Philosophen der Art Lévis nicht beeindrucken darf. Schlichte Erfahrung. Der Philosoph meint, Sarkozy habe der Erfolg in Libyen ermuntert, weiterzumachen auf der gleichen Linie. Wie, wenn es da nichts Ermunterndes gäbe? Das "befreite" Gebiet - im offensichtlichen Zerfall! Was soll daran ermuntern? Der Anblick mehrerer Teilprovinzen im bevorstehenden Bürgerkrieg - macht das Appetit? Offenbar nur dem Philosophen. Er gibt sich zwar dieses Mal militärtechnisch überlegt, kann aber bei reiflichster Überlegung auch nichts in Aussicht stellen als einen Streit sunnitischer Staaten gegen schiitische. Oder einen Angriff der Türkei - dem ein solcher als Schritt gegen den "imperialistischen" Iran gern zugestanden würde.

Alles Vorgebrachte ein Zeugnis der Perspektivlosigkeit. Lévy ist ein Opfer seiner Geltungssucht. Und der Bilder aus den Medien, die er in sich immer neu entzündet. Hauptsache - es knallt. Nachher dann betretenes Schweigen. Bis zur nächsten Erregung.

Plato hatte einst gewarnt vor einem Hauptfehler nicht nur der Philosophen, sondern allgemein der Politiker. Vor der "Polypragmosyne" nämlich, dem geschäftigen Herumwuseln auf allen denkbaren Lebensgebieten. Was hätte er von seinem späten Fachkollegen aus Frankreich gehalten?

Was mir heute wichtig erscheint #305

Ableben: Mit dem Thema Europa in der Krise beschäftigt sich die neue Ausgabe der "arranca!". "Warum liegt auf der Hand: „Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster." (Antonio Gramsci). Angesichts der aktuellen Krise wird deutlich, wie viele Fragezeichen und Ungereimtheiten wir bezüglich der politischen und ökonomischen Prozesse in Europa haben, und das obwohl europäische Staatlichkeit – nicht nur in der Krise, sondern auch in ihrem Normalbetrieb – unseren Alltag und unsere politischen Kämpfe stark beeinflusst. Die derzeitige Sprachlosigkeit ist ein Resultat jahrzehntelangen Schweigens der radikalen Linken zum Thema Europa. Vieles ist ungeklärt. Lässt sich europäische Staatlichkeit als eine materielle Verdichtung sozialer Kräfteverhältnisse fassen, ähnlich dem Nationalstaat, aber dennoch nicht identisch mit diesem? Wie funktioniert staatliche Herrschaft in einem Staatenverbund wie der EU und inwieweit ist diese umkämpft? Was folgt auf die derzeitige Etappe der Krise? Fragen, die wir dringend klären sollten. Die Eurokrise zeigt: Emanzipatorische Kämpfe müssen sich auch auf dem Terrain der EU auskennen, wenn sie erfolgreich sein wollen." Weiterlesen.

Staatsdoktrin: "Dreizehn Jahre lang konnte eine neofaschistische Terrrorgruppe mordend und bombend durchs Land ziehen, bevor sie im November 2011 aufflog. Nach und nach wurden Dimensionen eines Skandals erkennbar, der in der Geschichte der BRD ohne Parallele ist: Nicht nur, daß die Terroristen von Strafverfolgungsbehörden unbehelligt blieben, sie erfreuten sich offenbar sogar aktiver Unterstützung durch deutsche Inlandsgeheimdienste. jW-Autor Markus Bernhardt leuchtet in einem demnächst im Kölner PapyRossa Verlag erscheinenden Buch die Hintergründe des Zusammenwirkens von militanten Nazis und Nachrichtendiensten aus und nennt Verharmloser, Vertuscher und Förderer beim Namen. (...)" Zum Vorabdruck in der Tageszeitung "junge Welt".

nachschLAg: Ein unvollständiger Wochenrückblick über die Entwicklung in Lateinamerika.

Folgenreich: "Aus Jux ließen sich drei junge Hamburger vor dem Reichstag mit beschrifteten Pappschildern ablichten. Für die Polizei war das ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Sie beschäftigte sich eingehend damit." Mehr beim  Tagesspiegel.

Verhaltensmuster: "Wenn man den Herren Schily und Schäuble auch manches vorwerfen kann: ihnen war zumindest bewusst, dass sie Bundespolitik machen. Sie waren sich über die Konsequenzen ihrer öffentlichen Auftritte, ihrer Handlungen und Äußerungen im Klaren. Da ist Hans-Peter Friedrich anders gestrickt. Aus der Welt der Bezirksvorstände, Ausschüsse und Arbeitsgruppen ist er nie wirklich herausgekommen. Der Minister ist unglaublich treffsicher bei seinen regelmäßigen Lapsus, zumal, wenn er sich in die Außenpolitik einmischt. Die abfälligen Bemerkungen über die Türkei gehören dazu, wie auch die Austrittsempfehlung aus der Eurozone für Griechenland. Die Kanzlerin dürfte einige Nanosekunden in Schreckstarre gefallen sein. Gegen Friedrich ist ein Elefant im Porzellanladen ein anmutiger Schmetterling. (...)" Hans-Peter Friedrich – Gepflogenheiten eines Wadenbeißers

Lautstark: Proteste gegen Neonaziauftritt. Zwei Hundertschaften der Polizei schützen Faschistenkundgebung in Göppingen. (PDF)

Folgenlos: "Der deutsche Inlandsgeheimdienst - das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die 16 Landesämter (LfV) - sorgt derzeit gleich aus zwei Gründen für Schlagzeilen. Seit November letzten Jahres rätselt die Öffentlichkeit über das Versagen der Ämter angesichts des Neonazitrios, das sich »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) nannte und 1998 vor den Augen des Verfassungsschutzes abtauchte, um in der Folge neun Kleingewerbler türkischer bzw. griechischer Herkunft und eine Polizistin zu ermorden, zwei Bombenanschläge zu begehen und eine ganze Serie von Banken zu überfallen. Seit Ende Januar müssen sich die Schlapphüte und ihre Dienstherren in den Innenministerien auch noch dafür rechtfertigen, dass sie 27 Bundestagsabgeordnete der Linkspartei überwachen (lassen), einschließlich eines Repräsentanten im Parlamentarischen Kontrollgremium, das doch eigentlich die Geheimdienste kontrollieren sollte - und nicht umgekehrt." Beitrag von Heiner Busch aus "Analyse & Kritik", veröffentlicht beim Grundrechtekomitee.

Opferzahlen: "Im Jahr 2011 erlangten die Opferberatungsstellen in den östlichen Bundesländern und in Berlin Kenntnis von insgesamt 706 rechtsmotivierten Gewalttaten. 2010 waren 704 Angriffe dokumentiert worden. (...) Berlin registrierte die höchste Angriffszahl seit 2006. Am häufigsten wurden dort Menschen aus rassistischen Motiven verletzt. (...) Bundesweit wurden zwei Menschen 2011 durch Neonazis getötet. Am 27. März 2011 wurde der vietnamesische Wohnungslose Duy-Doan Pham in Neuss (NRW) von zwei Männern zu Tode geprügelt. Einer der Täter hatte Kontakte zur Neonaziszene und trägt ein Hakenkreuz auf seiner Brust tätowiert. Das dritte Jahr in Folge forderte rechte Gewalt in Sachsen allem Anschein nach ein Todesopfer. Am 27. Mai wurde der Wohnungslose André K. in Oschatz (Sachsen) brutal zu Tode geprügelt. Die bisherigen Informationen zu Tathergang und Tätern geben Hinweise auf ein rechtes Tatmotiv. Es ist daher nicht auszuschließen, dass Andre K. aufgrund sozialdarwinistischer Einstellungen sterben musste. (...)" Die vollständige Statistik in der Pressemitteilung der Opferperspektive vom 7.3.2012

LinksTipp: Das Blog (links)extremismus -  "informationen zu wahnsinn und wirkmächtigkeit der extremismusformel".

Einsatzreport: Der GEW-Bundesvorstand hat eine ausführliche Broschüre zum besorgniserregenden Anstieg der Bundeswehrauftritte in den Schulen herausgegeben. Informationen und Bestellmöglichkeiten. Download als PDF Datei.

Desinteressiert: Befangen oder nicht. Für BREAK THE SILENCE - die INITIATIVE IN GEDENKEN AN OURY JALLOH e.V. ist die Richterin Claudia Methling schon lange nicht mehr tragbar. "Desinteressiert und weit entfernt von den Vorgaben des BGH", möchte sie nach deren Ansicht den Prozess so schnell wie möglich beenden. Ob sie weiter machen darf, wird vermutlich am 13. März vor Gericht bekannt gegeben. Mehr Information.

Verknackt: Am 23.07.2010 wurden eine 72Jährige Rentnerin und eine 50jährige Erzieherin vor einer Stuttgarter Polizeiwache Opfer eines brutalen Polizeiübergriffs: Weil sie dort gegen 23:30 Uhr Zeugen einer Festnahme von Jugendlichen und dabei einer brutalen, entwürdigenden Behandlung eines schwarzen Jugendlichen wurden, stellte die Rentnerin die beteiligten Polizisten zur Rede. Nun wurden die beiden deswegen verurteilt: Die 72Jährige wurde zu 2200 Euro (40 Tagessätzen à 55 Euro), die zurzeit erwerbslose 50jährige Erzieherin, Mutter dreier Kinder zu 1050 Euro Strafe (70 Tagessätzen à 15 Euro) verurteilt. Mehr Information bei syndikalismus.tk

kritisch-lesen.de Nr. 14 Kapitalismus, Märkte, Krisen

Foto: © Jörg Möller
Krisenzeiten sind Zeiten der Veränderung. Veränderung, nicht notwendig hin zum Guten und zur Linken. Wenn Bundeskanzlerin Merkel für ihre Politik weithin Zustimmung erntet, und wenn die SPD von Austeritätspolitik nicht lassen will, dann ist die Frage durchaus berechtigt, ob die Menschen in diesem Land die Tragweite der aktuellen Ereignisse wirklich erkannt haben. Und doch zeichnet sich ein Wandel ab, zwar nur sehr sanft und sicher nicht weitreichend genug, aber doch deutlich: Das neoliberale und marktradikale Konzept des Kapitalismus ist gescheitert. Liberale, die Steuersenkungen fordern, werden nicht mehr ernst genommen, Teile der SPD gefallen sich in exzessiver Selbstbezichtigung und selbst Merkel und Sarkozy sprechen sich für eine Finanztransaktionssteuer aus. Der Beispiele gäbe es noch sehr viel mehr. Zeit also, über Krise, Kapitalismus und Neoliberalismus nachzudenken. Diese Ausgabe von kritisch-lesen.de hat einen wirtschaftspolitischen, einen polit-ökonomischen Schwerpunkt. Er setzt an der aktuellen Krise an, geht aber auch darüber hinaus und stellt grundsätzlicher die Frage nach vermeintlichen polit-ökonomischen Wahrheiten und deren Entzauberung.

Das Scheitern des Neoliberalismus stellt Patrick Schreiner in seiner Rezension von John Cassidys How Markets Fail in den Mittelpunkt. Dabei macht er deutlich, dass selbst ohne eine klare linke Positionierung des Autors diese Analyse des modernen Kapitalismus mit Gewinn gelesen werden kann – und dies gerade auch vor dem Hintergrund der bis weit ins bürgerliche Feuilleton reichenden Debatte um das Scheitern bestimmter Schulen der Wirtschaftswissenschaften. In ähnlicher Weise zeigt Martin Koch in seiner Besprechung von Elmar Altvaters Krisenanalyse Der große Krach auf, dass und wie der Neoliberalismus gescheitert ist. Altvaters Buch zeigt detailliert die Ursachen und den Verlauf der aktuellen Finanzkrise auf. Ein Vergleich beider Rezensionen macht dabei das fruchtbare Spannungsverhältnis deutlich, das zwischen der Analyse des linksliberalen US-Journalisten Cassidy und des linken deutschen Politikwissenschaftlers Altvater besteht. Kai Eicker-Wolf stellt anschließend in seiner Rezension von Georg Fülberths kleinem Bändchen Das Kapital kompakt einen Versuch vor, das Marxsche Denken in einführender Form als Alternative zu gängigen Kapitalismusanalysen wie auch zum wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream (wieder) in Stellung zu bringen. Auch Fritz Güde zeigt in seiner Besprechung von David Harveys Der neue Imperialismus auf, dass ältere Begriffe und Theorien linker Kapitalismusanalyse keineswegs eingemottet gehören. Gerade der Imperialismusbegriff, von Harvey neu und in erfrischender Weise reaktiviert, zeige sich als erklärungsstarkes Instrument. Der Schwerpunkt schließt mit zwei Rezensionen, die spezifische Erscheinungsformen eines vermeintlich alternativen Wirtschaftens unter die Lupe nehmen – und bei denen von einer Krisenanalyse im engeren Sinne nicht mehr gesprochen werden kann. Ismail Küpeli zeigt anhand von Gerhard Klas kritischer Analyse der Mikrofinanz-Industrie, dass Kleinkredite keineswegs ein gelungenes Instrument zur Armutsbekämpfung darstellen. Patrick Schreiner setzt sich in seiner Rezension von Irmi Seidls und Angelika Zahrnts Postwachstumsgesellschaft kritisch mit den aktuellen wachstumskritischen Debatten auseinander. Er versteht diese als „gefährlichen Wolf im (manchmal antikapitalistischen) Schafspelz“, was auch Seidls/Zahrnts Sammelband einmal mehr deutlich mache.

Außerhalb des Schwerpunkts rezensiert Gabriel Kuhn Und wir bewegen uns noch von Robert Foltin zu jüngeren sozialen Bewegungen in Österreich. Das Buch sei eine „Fundgrube an Information zu linken Diskussionen und linkem Widerstand“. Sebastian Friedrich stellt anschließend das Buch Rassismus von Wulf D. Hund vor, das zwar hervorragend die historischen Zusammenhänge und Kontinuitäten bei der Konstruktion von Stereotypen darstelle, aber in der vorgeschlagenen Rassismustheorie zu kritisieren sei. Sebastian Kalicha nimmt abschließend die Darstellung von Rebellionen von Heugabel bis Kalaschnikow in dem Buch „Der große Traum von Freiheit“ genauer unter die Lupe.

(Pro)feministischen Leserinnen wird nicht entgangen sein, dass in dieser Ausgabe weiblich sozialisierte oder identifizierte Autorinnen nicht vertreten sind. Selbstkritisch müssen wir dazu anmerken, dass dies nur die Zuspitzung einer Tendenz zu unausgewogenen Geschlechterverhältnissen unter den Rezensent_innen von kritisch-lesen darstellt – eine Tendenz, die wir in Zukunft ändern wollen und verstärkt berücksichtigen werden.

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Was mir heute wichtig erscheint #304

Berufsverbot: Stuttgarter Behörde belegt einen kurdischen Journalisten mit »politischem Betätigungsverbot«. Ihm wird unter anderem vorgeworfen auf Veranstaltungen über die Geschichte der PKK referiert zu haben. Beitrag von Nick Brauns, via linksunten.

Freilassen: Online-Unterschriftensammlung für den ehemaligen Black Panther Russel Maroon Shoatz, der inzwischen über 30 Jahre in Isolationshaft verbracht hat. Shoatz ist inzwischen 68 Jahre alt. Genau wie Mumia Abu-Jamal ist er die längste Zeit seiner Haft im SCI Greene in Pennsylvania inhaftiert gewesen.

Verantwortungsvoll: Matteo Parlati ist ArbeitInnenvertreter bei Ferrari Auto in Italien. Er ist bei der FIOM-CGIL aktiv, der italienischen MetallarbeiterInnen Gewerkschaft. Letzten Oktober beteiligte sich Matteo an einer Gegendemonstration gegen einen Aufmarsch der Neo-Faschisten, die den Jahrestag von Mussolinis Marsch auf Rom feiern wollten. Die Gegendemo wurde von der Polizei angegriffen. Matteo wurde wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und einer 'moralischen Verantwortlichkeit' für die Veranstaltung angezeigt. Videoaufnahmen zeigen dagegen, dass Matteo hier Opfer und nicht Täter war.Matteos KollegInnen haben zu einer internationalen Solidaritätskampagne aufgerufen, damit die Anzeige fallen gelassen wird. Siamo tutti Antifascisti!

nachschLAg: Ein unvollständiger Wochenrückblick über die Entwicklung in Latenamerika.

Unwissend: Udo Vetter vom Lawblog beschäftigt sich mit dem Bericht des Datenschutzbeauftragten zum sog. "Bundstrojaner". "Vor einigen Monaten machte der Bundestrojaner Schlagzeilen. Schon damals wurde vermutet, dass es in den etwa 40 Fällen, in denen die Software nach offziellem Eingeständnis bisher zum Einsatz kam, nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Diese Einschätzung bestätigt ein 66-seitiger Bericht des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar. Das Dokument, welches eigentlich unter Verschluss bleiben sollte, bescheinigt den Ermittlungsbehörden dilettantische Vorgehen und gravierende Gesetzesverstöße (HTML-Version, PDF). (...)" Siehe auch: Stellungnahme des CCC, Netzpolitik.org, heise Security.

Störfall: Ein Reaktorblock des AKW Cattenom in der Nähe der deutschen Grenze wurde abgeschaltet. Der technische Defekt ist bereits das 750te sicherheitsrelevante Ereignis seit der Inbetriebnahme.

Konsensfähig: "Eine Zeitung der äußersten Rechten feiert die Einigung auf Joachim Gauck als nächsten Bundespräsidenten. Während der bisherige Amtsinhaber Christian Wulff mit "Worthülsen von der 'bunten Republik'" Schlagzeilen gemacht habe, seien von Gauck "nüchterne Äußerungen" unter anderem zum Thema "Migration" bekannt, heißt es lobend in der ultrarechten Wochenzeitung Junge Freiheit. In der Tat hat Gauck durchaus positiv zu dem SPD-Politiker Thilo Sarrazin Stellung bezogen, der für rassistische Äußerungen über "Türken und Araber" bekannt ist. Der zukünftige Bundespräsident hat außerdem mit Aussagen über die deutsch-polnische Grenze, über die Umsiedlung der Deutschen und über die Shoah von sich reden gemacht. So vertritt er die Auffassung, die "Überhöhung" des "deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit" nehme zuweilen eine quasireligiöse "Dimension der Absolutheit" an, die abzulehnen sei. Joachim Gauck soll in gut vier Wochen von den Abgeordneten beinahe sämtlicher Bundestagsparteien zum elften Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt werden - in parteiübergreifendem Konsens. (...)" Mehr bei german foreign policy. Siehe auch: "Präsident -©Gauck,-©­-© der-© Prediger-© der -©verrohenden -©Mittelschicht-©" von -©Jutta -©Ditfurth-© (PDF) und “Die Wahl der Qual” zu Gauck und einem inzwischen nicht mehr aktuellen Gegenkandidaten sowie "Die Gauck-Debatte in den sozialen Netzwerken" bei den Ruhrbaronen. Dann noch: "Gauck und seine Nähe zur rechten Szene: Im Veldensteiner Kreis mit dem NPD-Anhänger Bernd Rabehl"

Antirepressionsarbeit: Video einer Demonstration von Feuerwehrleuten vor wenigen Tagen in Brüssel.

Bruch: "Die Polizei wird die Behauptung „Oury Jalloh, das war Mord“ nicht mehr als Straftat verfolgen. Das bekräftige Dessau-Roßlaus Polizeipräsident Kurt Schnieber per Mail im Vorfeld einer für den Sonnabend angekündigten Demo, zu der mutmaßlich eine Dessauer Initiative aufgerufen hat. Ihr Motto: „Rassistischen Konsens brechen – Dessauer Verhältnisse angreifen“. Dem Demo-Aufruf angeschlossen hat sich die Berliner Initiative in Gedenken an Oury Jalloh. Die Demo startet 12.30 Uhr am Dessauer Hauptbahnhof. (...)" Mehr bei der "Mitteldeutschen Zeitung". Mehr zur Demo bei der Initiative "Break the Silcene".

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