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Was mir heute wichtig erscheint #397

Zerstritten: Es kriselt mal wieder in dem neu gegründeten Bündnis für den „Tag der deutschen Patrioten“. Der Zusammenhang bestehend aus GSD (Gemeinsam Stark Deutschland), HoGeSa (Hooligans gegen Salafisten), B.D.H. (Bündnis deutscher Hools) und den Berserker Deutschland zeichnet sich erneut durch interne Streitigkeiten aus. Mehrdarüber in einem lesenswerten Recherchebeitrag auf linksunten. Nachdem das Verwaltungsgericht Hamburg den Eilantrag (15 E 4931/15) gegen das Verbot der Versammlung "Tag der Patrioten" gestern abgelehnt und damit das Verbot des Demonstrationszuges bestätigt hatte ziehen "die rechtsradikalen Organisatoren jetzt mit einer Beschwerde vor das Oberverwaltungsgericht (OVG). Sie wollen das Verwaltungsgerichtsurteil anfechten und das Verbot aussetzen lassen. Sollte sich auch das Oberverwaltungsgericht der Verbotsargumentation der Polizei anschließen, wird der Anmelder voraussichtlich noch am Freitag vor das Bundesverfassungsgericht ziehen." Mehr zu den Gegenprotesten: Hamburg bekennt Farbe sowie Keine Stimme den Nazis - Hamburger Bündnis gegen Rechts

Rechtswidrig: In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, dass das besetzte Haus Kartäuserwall 14 in der Kölner Südstadt marode und nicht mehr bewohnbar ist. Dieser Eindruck ist falsch. Vielmehr hat der Gutachter des Amtsgerichts bereits festgestellt, dass das Gebäude in einem guten Zustand ist. Dies und ein zweites Gutachten, das die ehemaligen Mieter in Auftrag gegeben haben, begründen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abrissgenehmigung. Zur Presseerklärung

Repressiv: Erneut ist der im US-Staat Pennsylvania einsitzende politische Gefangene Mumia Abu-Jamal der Willkür der Knastbehörden ausgesetzt. Vor wenigen Tagen, als Mumia zur Behandlung im Gefängnis-Krankenhaus war, wurden all seine persönlichen Gegenstände aus seiner Zelle entfernt und in Kisten verpackt. Ein solches Vorgehen ohne Anwesenheit des Gefangenen wiederspricht selbst den knastinternen Regeln. Weitere Informationen via bask-info

Novum: Zum ersten Mal findet in Deutschland ein Geschichtsort der anarchosyndikalistischen Bewegung als Kulturdenkmal offiziell Anerkennung - die Bakuninhütte auf der Hohen Maas. Mehr dazu bei insuedthueringen.de

Unmittelbar: Vor kurzem wurde in Berlin-Mitte in der Englischen Straße 20 ein geräumiges Gebäude besetzt, das früher der TU als Hörsaal diente und seit über 5 Jahren leer stand. Die BesetzerInnen im Haus wollen ein „soziales Zentrum für alle“ errichten, in dem zunächst Räumlichkeiten für Flüchtlinge eingerichtet werden sollen. Prompt haben die Leute von LowerClasMag ein live-Interview mit den AktivistInnen geführt. Nur wenig später wurde das Projekt geräumt: "Die Bullen räumen das Gebäude und führen die BesetzerInnen ab. Bereits den ganzen Vormittag kam es zu Drohungen seitens der Bullen. Den Höhepunkt erreichte diese, als einer der Bullen seine Waffe auf die BesetzerInnen auf dem Dach richtete und ihnen zurief: "ich flamm euch alle weg"."

Untergangsszenario: "Angesichts des Interesses der herrschenden Mächte, die Vergangenheit in Museen auszulagern und ihr geistiges Erbe zu entsorgen, ist jeder Versuch, in eine lebendige Beziehung zur Vergangenheit zu treten, ein revolutionärer Akt." Gespräch der Zeit mit dem Philosophen Giorgio Agamben: "Europa muss kollabieren"

Sprachlos: Eine Jobbik-nahe Journalistin hat die eskalierende Lage in Röszke genutzt, um sich die nötigen Aufnahmen von hautnahem Drama durch körperliches Eingreifen zu besorgen und gleichzeitig die Fliehenden ihre Meinung mit Gewalt spüren zu lassen. Nicht nur, dass die inzwischen Arbeitslose einem Flüchtling, der mit einem Kind auf dem Arm versuchte, der Polizei zu entkommen ein Bein stellte - was zu dessen Sturz führte. Sie trat auch nach einem Kind. (via vice)

Ausgerechnet: "In der DDR hat es in den vier Jahrzehnten ihres Bestehens Hunderte Fälle von fremdenfeindlichen Übergriffen gegeben. Dabei sind nach Forschungen des Historikers Harry Waibel mindestens zwölf Menschen ums Leben gekommen." Mehr dazu beim MDR

Unwesentlich: In Fukushima ist wohl kontaminiertes Wasser ins Meer geflossen. Die AKW-Betreiber waren offensichtlich nicht ausreichend auf den Durchzug eines Taifuns vorbereitet. Beitrag von Wolfgang Pomrehn bei telepolis

Gedenkarbeit: Am kommenden Wochenende findet in Leipzig ein durch die Initiative „Pogrom 91“ und die Kampagne „Rassismus tötet!“ organisierter „Gedenkkongress“ statt. Dabei soll sich in zahlreichen Vorträgen und Diskussionsrunden mit der bisherigen Gedenk- und Erinnerungspolitik nichtstaatlicher Gruppen an rechte Morde und Gewalttaten auseinandergesetzt werden, um daraus mögliche Schlüsse für das Andenken an die Betroffenen des NSU zu ziehen. Mehr Info

Merkel im Triumph - und am Ende

Angela Merkel
Bildquelle:
Armin Linnartz
Dieses Foto ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland) lizenziert.
Merkel erzwingt die Zustimmung eines Bundestags zu einem Gesetz, dem niemand traut. Sie führt weiterhin herbei die einheitliche Zustimmung von europäischen Ländern, die nach eigenen Aussagen gerade noch dafür gestimmt hatten, Griechenland nichts weiter zu geben.

Dies alles zum letzten Mal. Warum?

Die Grundlage ihres bisherigen Handelns lag in der Übernahme eines Modells, das sie von Adenauer und Kohl übernommen hatte.Grundlage war die einheitliche und selbstbewusste interessenbezogene Nation.Darüber gestülpt wurde ein wenig sozialdemokratisches Getümmel. Das aber nie die nationalistischen Grundlagen der jeweiligen Nation erschüttern durfte.

Merkels Stärke seit der Wiedervereinigung war eine wirtschaftliche Macht und Wucht, die die anderen europäischen Länder zeitweise zum Mitmachen zwang. Da diese Länder aber ebenfalls auf ihren nationalen Interessen beharrten,musste es bis zum gegenwärtigen Moment kommen, in dem die Entwicklung zu kippen drohte. Was von allen Seiten als "Fass ohne Boden" bezeichnet wurde, war nichts als die geheime Erkenntnis, dass es nicht mehr so weiter gehen konnte.Die Gewissheit, dass es auf dem vorgesehenen Weg niemals zu einem eigenständigen Aufschwung Griechenlands kommen würde, war jedem Teilnehmer am Prozess nur allzu offenkundig.

Von da aus wäre Schäubles Weg der einzig richtige gewesen. Grexit mit großzügigem Abschiedsgeschenk-und Griechenland kann selbst zusehen, wo es bleibt. Nur hätte dieser Weg die so lange mit Erfolg betriebene Strategie Merkels zu offensichtlich zerstört. Was war diese Strategie gewesen? Nie ganz offen mit Deutschland drohen.Immer mit Europa. Mit der Einheit aller angeblich geeinten Nationen gegen den einen. Den Widerspenstigen. Das wird noch einmal gelungen sein. Das letzte Mal. Nachdem die griechischen Banken die Zahlungen auf ein Minimum reduzierten, war Tsipras in eine Notlage geraten, die ihm keine andere Wahl ließ - als das Sinnlose als notwendig anzunehmen.

Hinzukommt das Bestehen auf angeblich seit Ewigkeit bestehenden Regeln, die strikt einzuhalten wären. Insofern die gegenwärtige Regelung, dass - egal wie die Neuwahlen ausfallen - alle bisher getroffenen Diktaturvereinbarungen eingehalten werden müssen. Die Schuldenzahlungen müssen beibehalten werden. Auch wenn niemand daran glaubt,dass mit dieser Methode jemals Griechenland wieder auf eigenen Füßen stehen wird.

Wie lange wird die Merkeldiktatur sich noch halten können? Spätestens wenn zum Beispiel die Ukraine unter das gleiche Regime gestellt wird. Dann wird es unvermeidlich sein, dass verschiedene europäische Länder sich weigern werden, sich einem Sog auszuliefern, der notwendig zur Katastrophe führen wird. Dann Adieu, Frau Merkel.

Was mir heute wichtig erscheint #396

Ignoriert: "Die autonome Region Rojava, wie sie heute existiert, ist einer der wenigen Lichtblicke -“ wenn auch ein sehr lichter -“, die aus der Tragödie der syrischen Revolution hervorgegangen sind. Nachdem Rojava 2011 die Befürworter des Assad-Regimes vertrieben hatte, hat die Region, trotz der Feindseligkeit fast aller seiner Nachbarn, nicht nur ihre Unabhängigkeit behalten, sondern ist auch ein bemerkenswertes demokratisches Experiment geworden. Es wurden Volksversammlungen als höchste Entscheidungsinstanzen geschaffen, wobei die Räte sorgfältig gewählt wurden, um eine ethnische Balance zu schaffen (in jeder Gemeinde mussten die drei obersten Offiziere zum Beispiel einen Kurden, einen Araber und einen Assyrer oder armenischen Christen aufnehmen und mindestens einer von ihnen musste eine Frau sein). Es gibt Frauen- und Jugendräte und -“ in einer bemerkenswerten Nachahmung der bewaffneten Mujeres Libres (Freien Frauen) Spaniens -“ eine feministische Armee, den Kampfverband "YJA Star" (die "Einheiten der Freien Frauen", wobei sich das "Star" hier auf die antike mesopotamische Göttin Ishtar bezieht), die einen großen Teil der Kämpfe gegen die Truppen des Islamischen Staates ausgetragen hat." Der US-amerikanische Ethnologe und Anarchist David Graeber in The Guardian, 08.10.2014. zur Frage, warum die Welt die revolutionären KurdInnen in Syrien ignoriert und zu den Parrallelen zu Francos augenscheinlich gläubigen, in Wirklichkeit jedoch mörderischen Falangisten. David Graeber lehrt an der London School of Economics and Political Science.

Einsatz: "(...) Wer sich am vergangenen Sonntagabend die Zeit bis zur „Tagesschau“ mit der Lindenstraße vertrieb, mag sich verwundert die Augen getrieben haben: 30 Minuten lang konnten wir Opa Adi granteln und werkeln beobachten -“ bekleidet mit einem T-Shirt mit der Aufschrift „Free Mumia“. (...)" Birgit Gärtner über Mumia Abu-Jamal in der „Lindenstraße“ und Shauspieler, die sich für die Freilassung des afroamerikanischen Publizisten einsetzen.

Radiolesung: Hanna Krall überlebte als Kind das Warschauer Ghetto und begann ihre literarische Karriere mit Reporatgen für polnische Zeitungen. 1990 besuchte sie Stefan Wisniewski, ehemaliges Mitglied der RAF, im Gefängnis. Bei den Besuchen erzählt Stefan Wisniewski die Geschichte seiner Eltern, vor allem die seines Vaters Stanislaws, den die Nationalsozialisten aus Polen nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppten. "Stefan Wisniewski, Sohn eines Zwangsarbeiters"

Unerträglich: "Ein junger Flüchtling, der zuvor monatelang in Freiburg und Umgebung gelebt hat, verletzte sich lebensgefährlich beim Versuch mit dem Eurostar, der zwischen Paris und London verkehrt, als blinder Passagier nach London zu kommen. Seine Flucht wirft viele Fragen, u.a. die der Aufnahme, der fragwürdigen Altersschätzung, dem Abdrängen in die Obdachlosigkeit und dem Umgang mit traumatisierten Menschen. (...)" Weiterlesen beim Freiburger Forum

Ungleichmäßig: "Gelten Grundrechte in Deutschland gleichermaßen für alle? Nein, meinte der Thüringer Sozialrichter Jens Petermann am Freitag abend bei einem Vortrag im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte. Bei der Veranstaltung mit dem Titel "Die Richtervorlage zur Verfassungswidrigkeit der Sanktionen bei Hartz IV" beleuchtete Petermann, von 2009 bis 2013 Bundestagsabgeordneter der Partei Die Linke, vertrat die juristische Seite des Problems und diskutierte mit der Altenburger Landrätin Michaele Sojka (Die Linke), die das Jobcenter in ihrem Kreis aufgefordert hat, die Sanktionspraxis sofort zu beenden. (...)" Mehr

Bodenlos: "Man solle das "auffällig große" Smartphone in der Hand des dunkelhäutigen Flüchtlings beachten, schreibt eine Facebook-Nutzerin unter ein Foto, das sie nach einem "kritischen Lokalaugenschein" in Traiskirchen gemacht hatte. Unter dem Bild: dutzende empörte Kommentare über den vermeintlichen Reichtum der Flüchtlinge. (...)" Guter Beitrag im "Standard" zu einer reaktionären Diskussion

Unglaublich: "Kein sauberes Wasser, keine Toiletten, kein Stauraum für Lebensmittel: Immer wieder haben sich die freiwilligen Helfer, die seit Tagen vor dem Lageso Flüchtlinge versorgen, über mangelnde Unterstützung durch die Verwaltung geärgert. Am Donnerstag verbot man ihnen auch noch die Essensausgabe, wegen der hygienischen Zustände vor Ort. (...)" Mehr dazu beim rbb

Deppenzepter: "Ein Selfie am ausgestreckten Arm verformt die Gesichtszüge des Porträtierten äußerst unvorteilhaft. Aus ästhetischen Gründen wäre es naheliegend, auf Selfies komplett zu verzichten. Leider ist das keine Option. Nun hat die Industrie den Selfie-Stick entwickelt und der selbstverliebte Zirkus kommt erst richtig in Fahrt. (...)" Sascha Steinhoff bei heise.foto über den kaum mehr zu stoppenden Siegeszug des Deppenzepters

Franquistisch: "Es ist ein regelrechter Euphemismus: das am 1. Juli in Kraft getretene spanische "Bürgerschutzgesetz". Die von seinen Gegnern zu Recht als "Ley Mordaza", zu Deutsch "Knebelgesetze", heftig kritisierten Reformen schränken nebst vielem anderem auch die Freiheit im WWW massiv ein." Über Strafen für sarkastische Tweets und Facebook-Postings

Menschenunwürdig: "3.200 Menschen im Lager, 1.200 ohne Bett, 1.840 in festen Unterkünften untergebracht. 1.500 davon sind minderjährig, davon 900 bereits zum Verfahren zugelassen. Die Flüchtlingszahlen sind vor rund zwei Monaten sprunghaft angestiegen. 350 neue Asylanträge pro Tag gibt es in ganz Österreich. Erwartete Flüchtlinge nächstes Jahr: 70.000 aus Syrien, Irak, Somalia und Afghanistan. Wegen des Ansturms wurden 40 zusätzliche Beamte in Traiskirchen eingesetzt, 42 neue Mitarbeiter hat die Sicherheitsfirma ORS angestellt - noch immer zu wenig. Entlastung soll es bald geben: Die Slowakei will 500 Menschen aus Österreich aufnehmen. Dazu sollen weitere Betten in den Ländern frei werden, im Juli insgesamt 2.187." Weiter bei telepolis

Diskussionsbereit: "Ich debattiere seit gefühlten Wochen mit Wutbürgern, Neunazis, Altnazis und Menschen, die sich für “das Volk- (aber nicht für Nazis) halten. Leider passt die Bezeichnung “Volk- so gar nicht, da sie seit der Neuzeit für eine Menschengruppe (u.U. eines Staates) steht, die eine Sprache und eine Kultur teilen. Mal abgesehen davon, dass das selbsternannte “Volk- der deutschen Sprache gefühlt nicht mal richtig mächtig ist, müsste ich mich selbst als einen Teil dieses “Volkes- sehen -“ das kann und will ich aber nicht. Angebracht wäre eher die Bezeichnung “völkische Bewegung- und wer das jetzt nochmal auf Wikipedia nachschlägt wird sehen, dass diese Bezeichnung sehr wohl deutschnational und antisemitisch-rassistisch gemeint ist. (...)" Lesenswerter Beitrag beim Gedankensafe

Umleitung: “Der Flüchtling klaut mir meinen Fernseher!” Oder: Verarscht fühlen ist das neue 20.

Eine unbedingte Leseempfehlung, die Kuchenbäckerin reißt die Fresse auf. Und zwar richtig: "(...) Wer „die Tribute von Panem“ kennt, der hat gelernt: Das einzige, was noch stärker ist als Angst, ist Hoffnung. Und diese Menschen haben nur noch eine: Uns. Wir sitzen hier in unserem Reichtum, die Hintern fett gefressen und pöbeln, wie schlecht es uns geht. Wohnung zu klein, Fernseher eh. Auto zu alt, Frau zu dick, Schwanz zu kurz. Diese Menschen wollen nichts von uns! Und selbst WENN, täte es uns wirklich so unglaublich weh? (...)"

Was mir heute wichtig erscheint #395

Verhaftungswelle: "Mehr als 1000(!) Verhaftungen seit gestern in der Türkei. 90% davon kurdische und türkische Linke, jeglicher Couleur. Darunter auch Gewerkschafter.
Das ist eine offizielle Zahl, die soeben vom türkischen Innenminister bekannt gegeben wurde. Die Verhaftungen gehen immer noch weiter. Derzeit werden vor allem auch alevitische Vereine von der Polizei angegriffen, so u.a. in Ankara und Erzincan die Pir Sultan Abdal Vereine." via / Mehr beim nd, siehe auch: Der türkische Staat beendet den Waffenstillstand mit der PKK endgültig sowie Frankfurter Rundschau

Bewegungslos: Lesenswerter Artikel von Crimethink vom 11. März 2015 nicht nur zu Griechenland: "...Sie entwickelten scheinbar ein Partei-Bewegungs-Modell und banden die Protestgruppen sowie ihre Forderungen in ihre organisatorischen Strukturen ein.
Syriza hat seine eigenen, spezifischen Ursprünge im besonderen Kontext Griechenlands. Genauso Podemos in Spanien, Die Linke in Deutschland, die Parti de Gauche in Frankreich, Radnička fronta in Kroatien, Združena levica in Slowenien und Bloco de Esquerda in Portugal. In diesem geschichtlichen Augenblick erfüllen sie jedoch dieselbe grundlegende Funktion. Konfrontiert mit so starkem Unmut, kommen der herrschenden Ordnung neue radikale politische Parteien auf einmal sehr gelegen.Und zwar, wenn diese versprechen, die Rufe nach „wahrer Demokratie“ innerhalb des bestehenden Systems zu verkörpern. Was auch immer die Intention ihrer Mitglieder ist, die strukturelle Rolle der neuen Parteien wird darin bestehen, das Vertrauen in die repräsentative Demokratie wieder herzustellen, die unkontrollierbaren außerparlamentarischen Bewegungen zu neutralisieren und den Kapitalismus und den Staat wieder als einzig denkbare gesellschaftliche Ordnung zu etablieren. Wenn sie die Hallen der Macht betreten, verpflichten sie sich selbst dazu, die autoritären Institutionen und die ungleiche Verteilung des Wohlstandes zu verewigen, die die Bewegungen auslösten, aus denen sie selbst ursprünglich hervorgingen.
In solchen Zeiten werden diejenigen, die aus der herrschenden Ordnung ihren Nutzen ziehen, bereit sein, kleine Änderungen zu riskieren, um große zu verhindern...."


Aktionstage: "Vom 20. -“ 22. August 2015, fangen rund um den Bodensee die Aktionstage „Fluchtursachen bekämpfen, Waffenexporte stoppen!“ an. Die Aktionstage werden von FlüchtlingsaktivistInnen aus Baden-Württemberg, initiiert. Der Grund dafür resultiert aus der Art wie der Staat versucht mit der ehrenamtlichen Hilfe der Bürger, seine Verantwortung zu den Fluchtursachen, an denen er selbst profiert, unsichtbar zu machen. Ehrenamt ist wichtig aber was für ein Nutzen entsteht, wenn die Betroffenen nicht zur Selbstbestimmung ermächtigt sind? (...)" Mehr Information sowie eine Übersicht über die Termine

Abgewiesen: Kein Bier für Burschenschaftler. Interview mit dem Wirt des Münchner Hofbräukellers.

Mangelernährung: "Wisst Ihr, wann genau man mit der Kombination einer veganen Ernährung und dem Großziehen von Kindern einen riesigen Fehler macht? In dem Moment, in dem auf dem Schwangerschaftstest ein Kreuz erscheint und man gleichzeitig noch eine Packung Tofu im Kühlschrank liegen hat." Artikel vom Graslutscher in der Huffingtion Post.

Vertrauenswürdig: "Nach gewalttätigen Ausschreitungen bei einer NPD-Demonstration gegen Asylbewerber in Dresden sind die Flüchtlinge nach Ansicht des sächsischen Innenstaatssekretärs Michael Wilhelm sicher. „Die Sicherheit ist gewährleistet. Die Bereitschaftspolizei ist vorbereitet“, sagte er am Samstag nach einem Besuch in dem Camp." mehr bei der taz

Unbewiesen: "Von WikiLeaks veröffentlichte Dokumente hatten zuletzt gezeigt, in welchem Ausmaß die NSA seit Jahrzehnten das Kanzleramt sowie weitere Regierungsstellen ausspioniert. Doch trotz der neuen Erkenntnisse will Generalbundesanwalt Harald Range vorerst kein neues Ermittlungsverfahren einleiten. (...)" Wieso das denn? (Via computerbase, siehe auch netzpolitik.org)

Entgrenzt: "Flexiblere Arbeitszeiten und die Orientierung am Ergebnis, nicht an der Präsenz im Büro können auch den Beschäftigten zugutekommen", sagte die SPD-Politikerin unlängst auf einem Fachkongress in Berlin. Dazu hat Nahles einen Dialog mit Arbeitgebern und Gewerkschaften gestartet, der in ein neues Arbeitszeitgesetz münden könnte. Die Arbeitgeber fordern, die täglich zulässige Höchstarbeitszeit von acht Stunden abzuschaffen und stattdessen nur noch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit gesetzlich vorzuschreiben..." Artikel von Birgit Marschall in der Rheinischen Post online. Via labournet

Aufklärungswille: Ecuadors Oberstaatsanwalt Galo Chiriboga Zambrano hat die Gründung von Sondereinheiten zur Aufklärung von Gewalt gegen Frauen angekündigt. In den Staatsanwaltschaften der zwölf Provinzen mit der höchsten Rate an Sexualdelikten werden eigene Stellen eröffnet, die sich speziell mit der Untersuchung von Morden, Vergewaltigungen und Gewalt gegen Frauen befassen, berichtet heute das Lateinamerika-Portal amerika21.

Was mir heute wichtig erscheint #394

Armageddon: "(...) Das Maßnahmenpaket, das Athen in der Nacht zum Freitag nach Brüssel geschickt hat, unterscheidet sich in den meisten Punkten kaum von den Forderungen der EU, die erst am vergangenen Sonntag in einem Referendum von 61 Prozent der Griechen abgelehnt wurden. So soll das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre angehoben werden. Pensionäre müssen sich auf höhere Zuzahlungen im Gesundheitsbereich einstellen. Der Hafen von Piräus, Regionalflughäfen, das Mobilfunkunternehmen OTE und der Stromkonzern Admie sollen verkauft werden. Zudem sollen bislang besonders geschützte Wirtschaftsbereiche "geöffnet", also ausländischen Konzernen ausgeliefert werden. Dazu gehört der Liste zufolge die Produktion traditioneller Lebensmittel. (...)" Mehr zur griechischen Tragödie. Siehe auch die Kritik von Hans Christoph Stoodt sowie die Beiträge "Austerität oder Demokratie" vom 8. Juli und vom 10. Juli von german-foreign-policy

Konsequent: "Ich glaube, eine gewerkschaftliche Kapitalismuskritik ist konsequenter als eine rein politische, weil sie da ansetzt, wo Kapitalismus stattfindet, nämlich im Arbeitsalltag." Zeit Online Interview mit VertreterInnen der FAU. Indessen will Bayern das ohnehin rudimentäre "Streikrecht" weiter verschärfen.

Nachträglich: Einmal gesetzt ist das Passwort für das Dateisystem bei Android Handys nur recht komplizert zu ändern. Abhilfe schaft das Tool Cryptfs Password von Nikolay Elenkov. Ansonsten eben: 'vdc cryptfs changepw <passwort>'.

Unerschwinglich: Drei Kugeln Eis aus der Eisdiele sind teurer als der Hartz IV Tagessatz für Essen und Trinken für kleine Kinder.

Aufgelistet: Am 4. Juli 2015 fand vor der US Botschaft in Berlin eine Kundgebung für die Rechte von Gefangenen statt. Anlass war der sog. Independence Day in den USA. Bei Uwe Hiksch findet sich eine Liste aller bis jetzt bekannten Berichte von dieser Kundgebung. Unterdessen ist die Lage eines der bekanntesten politischen Gefangenen der USA - Mumia Abu-Jamal - nach wie vor prekär.

Fertig: "Die Alarmzeichen mehren sich: Die Weltmeere haben die Grenze ihrer Belastungsfähigkeit erreicht. Davor warnten nun zahlreiche Meeresforscher in "Science". "Spektrum.de" sprach deshalb mit dem beteiligten Meeresbiologen Hans-Otto Pörtner vom Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven." Mehr dazu

Verbunden: "Am 8. Juli fand ein öffentlicher Vortrag des ehemaligen baden-württembergischen Justizministers Ulrich Goll (FDP) bei der Burschenschaft Normannia statt. Goll redete unter dem Motto: "Freiheit in Sicherheit". Die Normannia ist laut VVN-BdA Heidelberg seit Jahrzehnten für ihre völkischen, rassistischen und antisemitischen Veranstaltungen und Skandale berüchtigt und pflegt Kontakte bis weit ins neonazistische Milieu. Christian Schaar, Alter Herr der Normannia, war viele Jahre lang Vorsitzender der "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland", die für die europaweit größten Naziaufmärsache in Dresden mitverantwortlich ist. Seine Ehefrau spielte und sang bei "Eichenlaub", die dem NSU Lieder widmete und zu ihrer Unterstützung aufrief." Mehr dazu bei Radio Dreyeckland sowie linksunten

kritisch-lesen.de Nr. 36: Neue Bürgerlichkeit

Quelle: WikiMedia
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„Bionade-Biedermeier“, „LOHAS“ (Lifestyle of health and sustainability), „Latte-Macchiato-Mamas“ -“ Bezeichnungen, die im allgemeinen deutschen Mundwerk nun schon ein paar Jahre durchgekaut werden und irgendwie einen Lebensstil benennen. Doch die Phänomene, die sich dahinter verbergen, sind mehr als das. Sie sind Ausdruck einer Neuen Bürgerlichkeit − mit Hang zum Ökobewusstsein, zur Nachhaltigkeit und zur Konsumverantwortung. JedeR, so die Idee, die dahinter steckt, ist für das Wohlergehen des Planeten verantwortlich, jeder ökologische Fußabdruck zählt. Entsprechend wird Fahrrad gefahren, auf dem Markt Gemüse aus der Region gekauft und Grün gewählt. Worum es jedoch bei genauerem Hinsehen geht, ist eine individualisierte, „bewusstere“ Form des Konsums, in dem Glauben, dass damit die Welt zu retten wäre und dass jedeR dafür verantwortlich sein müsse. Letztlich retten jene, die sich diesen luxuriösen Lebensstil leisten können, jedoch nichts anderes als den Kapitalismus. Was auffällt, sind die konservativen Einstellungen dieser gesellschaftlichen Schicht. In der Debatte um die Neue Bürgerlichkeit in den 1990er Jahren, die unter anderem von konservativen Feuilletonisten wie Frank Schirrmacher oder Paul Nolte geführt wurde, beschworen diese die Notwendigkeit einer Neuen Bürgerlichkeit. Diese solle sich wieder auf „bewährte Werte“ besinnen, auf Eigentum, Familie, Tradition et cetera. Den 68ern und den Linken, deren Öko-Lifestyle vorherrschend geworden sei, gelte es, althergebrachte Werte entgegen zu setzen. Doch hier lohnt sich ein genaues Hinsehen. Denn die Neuen Bürgerlichen erfüllen trotz des nachhaltigen Lebensstils, den sie vertreten, erschreckend viele dieser konservativen Forderungen.

Viele derjenigen, die sich in den 1970er Jahren als Teil einer antibürgerlichen Alternativbewegung mit mehr oder weniger linkem Einschlag sahen, bilden heute das neue Bürgertum. Die Prämissen der 68er, Autonomie der Einzelnen und Selbstverwirklichung gegen die Gleichmacherei der Fabrik, haben in einen Individualismus geführt, den der neoliberale Kapitalismus nicht dankbarer annehmen könnte. Statt Kollektivität und Solidarität herrschen Individualismus und Konkurrenz.

Wozu diese Neue Bürgerlichkeit dient, und gerade da ist sie ihren Vorgängern sehr ähnlich, ist die klassenbezogene Abgrenzung. Mit einem Lebensstil, der Luxusprodukte als must-have propagiert, die für einen Großteil der Gesellschaft unerreichbar sind, wird vor allem Abgrenzung nach unten betrieben. Man kauft sich hier schließlich nicht nur den gesunden Lebensstil, sondern auch noch die Möglichkeit, das eigene Verhalten als moralisch richtig und das der anderen, die beispielsweise nicht so nachhaltig konsumieren (können), als moralisch verwerflich zu bezeichnen.

Den Trugschluss, mit nachhaltigem Konsum und ökologischem Lebensstil die Welt verändern zu können, während genau dieses Verhalten eher Marktsegmente öffnet und neue Ausbeutungsstrukturen schafft, gilt es aktiv zu kritisieren. Einen Beitrag wollen wir mit dieser Ausgabe leisten.

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Beamte - Doppelopfer der Post-Politik

Vor einigen Tagen war es, da beendete ein deutsches Gericht einen Vorstoß der Gewerkschaft ver.di: Die Beamten unter den Mitgliedern hätten voll zu Recht herangezogen werden dürfen zu außerdienstlichen Tätigkeiten im Streitfall, weil ja keiner widersprochen hätte. Kann man sich gut vorstellen! Ist doch keiner unter Euch, der sich vor ein wenig Mehrarbeit drücken will.

Und so wurde der Streikbruch abgesegnet. Das Gericht gab sogar dieser Ausrede recht.

Das nur ein kleines Beispiel, wie das Beamtentum zur Ausrede gebraucht wird. Beamte dürfen nicht streiken - alles klar.

Das sind die Gründe, warum so etwas immer noch hingenommen wird. In alten Zeiten war das Beamtentum noch an ein Treueverhältnis gebunden zwischen Fürst und Untertan. So idiotisch die Idee auch damals schon war, sie hatte doch mindestens einen sichtbaren Untergrund. Mein Großvater machte sich sicher ein Gewissen, dass er vom Großherzog abgefallen und der Republik seine Stimme gegeben hatte.

Inzwischen hat sich Beamtentum so verändert, dass die Obrigkeit selbst als erste den Bestand vermissen lässt. War es nicht gerade der Bund, der die Post abstoßen wollte? Die Beamten unterlagen dem Schachergeschäft - wie alle anderen Angestellten auch.

Folge: Das Beamtentum hat keinerlei Unterlage mehr unter den heutigen Arbeitsverhältnissen. Beamte werden zum Streikbrechertum benutzt.

Beamtentum gehört abgeschafft.

Rezension: Unterwerfung als Freiheit. Leben im Neoliberalismus

Seit den 1970er Jahren hat sich die Form des Kapitalismus in den Industriestaaten deutlich gewandelt. Die Finanzmärkte wurden entfesselt, von einem nachfrageorientierten Modell auf ein angebotsorientiertes umgestellt, die gewerkschaftlichen Rechte der Arbeiter und Angestellten eingeschränkt und unter der Maßgabe der Deregulierung Privatisierungen vorangetrieben. Die Folgen sind heute unübersehbar: Die Ungleichheit steigt seit den 1970er Jahren rapide − sowohl innerhalb der Staaten als auch global.

Die eben genannten Entwicklungen werden häufig unter dem Begriff des Neoliberalismus subsumiert. Ursprünglich ging es neoliberalen Wirtschaftswissenschaftlern in den 1930er Jahren um eine Wiederbelebung des neoklassischen Wirtschaftsliberalismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg organisierten sich Neoliberale im zunehmenden Maße gegen den nachfrageorientierten Keynesianismus, der in Folge der Krise von 1929 zum Stichwortgeber der Wirtschafts- und Sozialpolitik wurde − mit Erfolg: Die Regierungen Reagan in den USA, Thatcher in Großbritannien und zum Teil auch Kohl in Deutschland richteten ihre Politik weitgehend nach neoliberalen Prämissen aus.

Doch der Neoliberalismus ist weit mehr als ein wirtschafts- und sozialpolitischer Ansatz. Er ist eine Ideologie, die sich in Denken und Handeln der Menschen festsetzt. "Der Neoliberalismus will die ganze Persönlichkeit, die ganze Person mit Haut, Hirn und Haaren", schreibt der Politikwissenschaftler Patrick Schreiner in seinem gerade erschienen Buch "Unterwerfung als Freiheit", in dem er sich der Alltäglichkeit unter neoliberalen Vorzeichen widmet.

Es geht Schreiner in seiner Analyse nicht darum, die neoliberale Ideologie einem Faktencheck zu unterziehen. Vielmehr möchte er die Mechanismen in den Blick nehmen, die diese für Menschen plausibel erscheinen lassen. Entsprechend sucht er die neoliberale Ideologie nicht da, wo sie allzu augenscheinlich ist, sondern dort, wo sie sich erst auf den zweiten oder dritten Blick offenbart. Er trieb sich auf Esoterik-Messen herum, klickte sich durch Soziale Netzwerke, las Lebensführungs-Ratgeber, Autobiographien und schaute Castingshows, Werbespots sowie Sport-Filme im TV. Überall fand er versteckt oder ganz offen die immergleichen Anforderungen: Sei flexibel! Diszipliniere dich! Handele wie ein Unternehmen! Schau auf dich selbst! Diese Imperative führen zu einer permanenten Selbstthematisierung, Selbstoptimierung und Selbstdarstellung.

Die Analyse zeigt: Stets werden aus sozialen Problemen wie Arbeitslosigkeit, sozialem Abstieg und Armut individuelle Problemen. Wer schuld trägt, weiß ein Neoliberaler: Die betroffene Person selbst. Hätte sie sich mehr angestrengt, würde sie sich jetzt nicht in entsprechender Problemlage wiederfinden. Deutlich wird dies etwa in Ratgebern für positives Denken: Gesundheit, Glück und Erfolg werden dort als Ergebnis einer optimalen Lebensführung und richtigen Einstellung umgedeutet. Die Ausblendung der gesellschaftlichen Faktoren, die Menschen von Gesundheit, Glück und Erfolg alltäglich abhalten, ist entscheidende ideologische Funktion des Neoliberalismus.

Noch einen Schritt weiter geht die Esoterik-Szene. Hier ist die Individualisierung sozialer Probleme nicht ideologischer Effekt, sondern Ausgangspunkt: Das "wahre" Ich steht im Mittelpunkt; wer zu sich selbst findet und im Einklang mit sich lebt, ist leistungsfähiger. Das Gesellschaftliche wird explizit zum Feind erklärt und ins "falsche" Außen geschoben. Dem gegenüber steht das "richtige" Ich, das ausschließlich von Innen kommt.

Die Freiheit zum unternehmerischen Handeln, zu Flexibilität, Selbstdisziplinierung, Selbstoptimierung und Selbstverantwortung ist eine trügerische. Schreiner macht in seinem Schlusskapitel deutlich, dass viele Menschen keineswegs glücklich und zufrieden sind. "Noch nie war die wirtschaftliche Produktivität so hoch wie heute. Und doch war die gesellschaftliche Armut seit vielen Jahrzehnten nicht mehr so hoch. Noch nie war die Produkt- und Markenvielfalt so groß wie heute. Und doch bleiben immer mehr Bedürfnisse der Menschen ungestillt. Noch nie waren Menschen so gut ausgebildet wie heute. Und doch gehen die Löhne der ArbeitnehmerInnen seit Jahren oder Jahrzehnten zurück. Noch nie gab es so viele Ratgeberbücher, TherapeutInnen und -ºspirituelle-¹ Angebote wie heute. Und doch litten noch nie so viele Menschen an Burnout und Depression, war der Gebrauch von Alkoholika, Drogen und Psychopharmaka noch nie so verbreitet wie heute."

Patrick Schreiner ist ein gelungener Überblick über die Kerben neoliberaler Ideologie im Alltagsbewusstsein gelungen. Es gehört zu den Vorzügen des Buches, dass er Analysen aus Soziologie und Kulturwissenschaft in eine verständliche Form gegossen hat, die auch denjenigen einen Einblick in die Problematik vermittelt, die nicht den ganzen Tag an Hochschulen und in Bibliotheken verbringen. Dass sich die Ergebnisse der einzelnen Analysen teilweise überschneiden, stört zwar ein wenig den Lesefluss, ist aber weniger dem Aufbau des Buches anzulasten als der Omnipräsenz der Ideologie.

Bibliographische Angaben

Patrick Schreiner: Unterwerfung als Freiheit. Leben im Neoliberalismus. Neue Kleine Bibliothek 206, PapyRossa-Verlag. 127 Seiten, ISBN 978-3-89438-573-6, EUR 11,90 [D].

Der Text erschien in einer überarbeiteten Fassung zuerst in der Tageszeitung junge Welt. Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.

Was mir heute wichtig erscheint #392

Allgemeinverbot: Natürlich ist nicht nur "das Recht auf freien Naturgenuss und Erholung in der freien Natur [...] für die Dauer des Betretensverbotes nach Ziffern 1 und 2 für den Sicherheitsbereich beschränkt", sondern so ziemlich alles am Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Zumindest, wenn es um den Protest gegen den G7 Gipfel auf Schloß Elmau geht. Vom 30.05.2015, 06:00 Uhr bis einschließlich 09.06.2015, 18:00 wurde die Regieon zum Sicherheitsbereich erklärt.

Abschied: "Sigmar Gabriel stärkt lieber einer Aktiengesellschaft den Rücken, anstatt den Streikenden. Damit verabschiedet sich die Sozialdemokratie von der arbeitenden Klasse." Meint in einem Kommentar in der Zeit. Das ist heutezutage eine Seltenheit im bürgerlichen Blätterwald, weswegen wir den zum Lesen empfehlen. Dass die SPD sich schon viel länger von der Arbeiterklasse veranschiedet hat, sollte trotz alledem nicht unerwähnt bleiben.

Ausgewuchtet: "Heute habe ich mal den größten Teil des Arbeitstages im Versand verbracht. Mal eben etwa mehrere Hundert Fahrräder auf LKWs verladen. Verpackt in Versandkartons, die erstmal zusammengetackert werden müssen und mir fertig und verschlossen bis zur Brust gehen. Nun, das ist keine Kunst, ich bin ja nicht besonders groß. (...)" Ulf und sein Job.

Vorbildfunktion: "Konspiratives Verhalten sieht anders aus: Knapp über 3.000 Facebook-Fans und eine "Presseabteilung" hatte die neonazistische "Oldschool Society" (OSS). Sie mobilisierte ihre Anhänger zu Demonstrationen, zum Beispiel "Gegen den Terror der Antifa und gegen radikalen Islamismus" am 19. April in Karlsruhe -“ oder zum Aufmarsch der Partei "Die Rechte" am 28. März in Dortmund. Auch bei den "Hooligans gegen Salafisten" im Oktober 2014 war ein Mitglied der "Presseabteilung" nach eigenen Worten schon mitmarschiert. (...)" Beitrag von Claudia Wangerin "Oldschool Society" (OSS) wollte "Krieg gegen Asylanten und ihre Unterstützer". Siehe auch: "Join the Oldschool Society..." bei publikative.org

Gekesselt: "IG-Metall-Senioren eingekesselt - Polizei in Frankfurt am Main ging mit Faustschlägen und Fußtritten gegen Gewerkschafter vor, um rund 30 Pegida-Anhänger durch die Stadt zu geleiten."

Unumwunden: „Terror der Lokführer“, „Monster-Mega-Streik“, „ein Land in Geiselhaft“: Deutschlands Politiker und Leitmedien arbeiten intensiv an der Diskreditierung des GDL-Streiks. Und wir sind einmal mehr froh darüber, dass sich zum Beispiel die KollegInnen vom LowerClassMagazine auf die Seite der Streikenden stellen. Das ist nur konsequent, denn - so berichtete zum Beispiel der Streiksolidarität vollkommen unverdächtige Handelsblatt darüber, dass sich Grube und Konsorten mitten in der Tarifrunde mal eben ihre Erfolgsprämie verdoppelten. Und ebenfalls nicht fehlen darf der Hinweis auf den Beitrag von Jens Berger bei den Nachdenkseiten, in dem er die Schuldigen an dem Malheur ausmacht: Die Bundesregierung, denn die legt die Republik mit ihrem Gesetz zur Tarifeinheit lahm.

Personalführung: "Zwei Jahre NSU-Prozeß, über 200 Verhandlungstage, Ende offen, zumindest kein Ende vor 2016. Mit dem Prozeß sollte das NSU-Problem beendet werden. Deshalb mußte der Bundestags-Untersuchungsausschuß seine Arbeit einstellen. Er sollte nicht zur Hypothek für das Gerichtsverfahren werden. Dort sollte die Verstrickung des Verfassungsschutzes ausgeblendet werden. Dieser Plan ist gescheitert. Ein paar Dutzend Nebenklageanwälte machen den Prozeß tendenziell zum Untersuchungsausschuß -“ sie müssen es. „Uns geht es nicht um eine möglichst hohe Strafe der Angeklagten, sondern um die Aufklärung des NSU“, sagen sie. Doch ein Strafprozeß setzt der Aufklärung enge Grenzen, vor allem durch die Anklage. Der münchner Prozeß liefert Argumente für weitere Untersuchungsausschüsse -“ unabhängig von der Diskussion über deren Möglichkeiten und Schwächen. (...)" V-Mann und V-Mann-Führer Beitrag von Thomas Moser

Entfremdung: Während das Unsichtbare Komitee kommende Aufstände erst einmal absagt, gibt es in verschiedenen Bereichen der linken Bewegung neue Perspektivdiskussionen. Beitrag von Peter Nowak bei telepolis

Zweckentfremdet: "Die Türkei steht vor einer strategisch wichtigen Parlamentswahl. Am 7. Juni 2015 sind 58 Mio. Bürgerinnen und Bürger der Türkei dazu aufgefordert, das neue Parlament und die Regierung zu wählen. Eine Neuerung besteht darin, dass die Demokratische Partei der Völker (HDP) trotz der 10%-Wahlhürde nicht wie bislang mit unabhängigen Kandidaten antritt, um so die Hürde zu umgehen, sondern sich als Partei bei den Wahlen der Wahlhürde stellt. Seit dem Tag der Bekanntgabe dieser Entscheidung bestimmt sie mehr oder weniger die politische Tagesordnung. (...)" "Wie ErdoÄŸan den Friedensprozess als Mittel zum Zweck ausnutzen will" Beitrag von Songül Karabulut bei der Informationsstelle Kurdistan e.V

Widerlich: Die Pegidioten wollen es mal wieder probieren und rufen für den 17. Mai zu einer Pegida Demo in Stuttgart auf. Ausgerechnet am17. Mai, dem internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie. Die Gegenproteste werden mit Sicherheit nicht lange auf sich warten lassen.

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