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Vom Recht auf freie Meinungsäußerung. Und von dem auf Lesen.

Heute mal wieder eine Perle aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten / the Home of the free and the home of the brave den USA: "Das Recht auf freie Meinungsäußerung schließt die Freiheit ein, selbst zu entscheiden, was wir lesen. Doch Landesregierungen und lokale Schulbezirke haben versucht, die auf untenstehenden Grafik gezeigten Bücher zu verbieten. Seit ihrer Gründung hat die American Civil Liberties Union (kurz ACLU, englisch „Amerikanische Bürgerrechtsunion“) Zensur bekämpft - denn eine Regierung, die kontrolliert, was was wir lesen, kontrolliert unser Denken."

Für mehr Informationen bitte mit der Maus über den jeweiligen Buchrücken fahren.

Wie zu den Zeiten der Mongolen! Aber wie waren die eigentlich?

Cover
Dass wir es mit den neuen Mongolen zu tun haben, wenn es um die Rebellen der IS-Gruppe sich handelt, weiß inzwischen jede und jeder. Nur wie waren eigentlich die alten Mongolen oder auch Tartaren? Die Autorin Gudelius schildert ihre Präsenz und ihre Abwehr außerordentlich präzise. In dem Roman "Wolfsbraut" nimmt sie den historischen Überfall der mongolischen Truppen mit der historischen Niederlage der deutschen und der verbündeten Truppen. Und zwar wird die Zeit der Leibeigenschaft - das heißt der Knechtschaft der meisten - lebhaft gegenübergestellt der zwar eingeschränkten, aber umfassenden Bewegungsfreiheit der verschiedenen Gruppen, die aus europäischer Sicht als die "Barbaren" angesehen werden. Denn tatsächlich wird die Tierärztin und Hebamme, die zunächst von den Tartaren verschleppt wird, zur Erkenntnis gebracht, dass auch die Bewegungsfreiheit der Barbaren ihre Grenzen hat, die aber dennoch viel weiter sind als die in Zentraleuropa, wo zum Beispiel jede Aufsässigkeit als verhext bestraft wird. In Erkenntnis der westlichen Anfälligkeiten verbreiten die mongolischen Horden absichlich den Eindruck ihrer Schrecklichkeit bis hin zum Menschenfresserischen, die sie keineswegs in der Praxis auszuführen gedenken. Durch eine neuartige Vorausplanung ihrer Attacken gelingt es ihnen wirklich, die entschlossenen Führer der westlichen Ritter zu schlagen. Hinzukommt, dass sie die Feindschaft der verschiedenen Heere untereinander geschickt erkennen. Und das große Heer der Gegner überrennen.

Insofern ein ziemlich genaues Bild der erschrockenen Gegnerschaft von uns allen gegen die IS-Leute. Wenn sie vor offenen Kameras Leute köpfen, ist das natürlich für alle entsetzlich. Aber zugleich Arrangement, Atrappe. Es gab Zeiten auch bei uns, das galt die Hinrichtung durch das Schwert viel ehrenvoller als die durch Erhängung.

Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen durch den grauenhaften Anblick. Auch bloßes Erschossenwerden ist nicht angenehmer - und wird tausendfach geübt.

Das Ende dieser Herrschaft wird im Roman selbst angedeutet. Der Führer der "Goldenen Horde" verweigert sich dem Ruf der Stammesversammlung und gründet ein eigenes Reich im späteren Russland. Die Zusammenballung der verschiedenen Stämme mag zwar den augenblicklichen Triumph ermöglichen. Dauerhaft werden sich aber nur Einheiten errichten, die auf mehr als nur militärischen Gemeinsamkeiten sich berufen können.

Wäre also allen Transatlantikern mehr Geduld anzuraten.

Hebel: Hallodris und Halunken auf der Spur. Wo aber bleibt die Internationale?

Cover
Stephan Hebel hat ein neues Buch geschrieben. Nach seinen sehr treffenden Enthüllungen über Frau Merkel schildert er jetzt die entgangenen Manöver der gesamten Linken, vor allem der SPD. Falls man diese noch zur Linken rechnen kann. Darin scheint das ganze Problem der von Hebel angesteuerten neuen Politik zu stecken. Denn im Verlauf des Buches und in seitherigen Artikeln in FR und Freitag schildert er präzise und genau die Winkelzüge vor allem der SPD.Aber auch der Grünen. Der Vergleich von früher angesetzten Parolen der SPD und ihrer nachherigen Anwendung in der Praxis zeigt, dass es zumindest Gabriel die ganze Zeit viel mehr darum ging, sich und seine Partei das nächste Mal in die Position zu bringen, die jetzt Frau Merkel innehat - als die Massen seiner Zustimmer wirklich zu eigener Befreiung zu verführen. Tatsächlich scheint hier immer wieder der Selbstversuch auf, Gabriel als Volksversöhner verherrlicht zu sehen. Anstatt mitten in der Koalition den Gläubigen ein Licht aufzustecken. Wenn aber der anerkannte Führer der Bewegung selbst dauernd in Gefahr steht, ins Flimmerlicht von Hallodri und Halunke zu geraten - wie soll da ein Ausweg aus den labyrinthisch verwinkelten Schleichwegen der Politik möglich sein?

So scharfsinnig Hebel die vermeintlichen oder wirklichen Manöver der "Linken" nachzeichnet - die sind jetzt vorbei. Und ist die Analyse wirklich vollkommen richtig? Die nämlich, dass im Licht des "Weiter so" alles im Traumschlaf versinke. Dem phantasielosen Dahintaumeln? Die anderen Nationen müssten unter dem Einfluss Merkels doch ähnlich sich gebärden. Tun es aber nicht ganz so wie in unserem Vaterland.

So richtig Hebel im letzten Teil seines Buches die Aufbegehrungen verzeichnet, die sich - trotz allem - in der ganzen Bundesrepublik zeigen - wie lässt sich ein Zusammenhang zwischen ihnen allen herstellen. Die Stillegung des Tempelhofer Feldes könnte schließlich auch den Konservativen gefallen, wenn sie nur ohne weiteren Zusatz als Erfolg gewertet wird.Das heißt - es müsste ein Sog auftreten, der die Bewegungen in verschiedenen Ländern so verbindet, dass in Karlsruhe und Straßburg wirklich eine einheitliche Bewegung entstünde, die im Aufbegehren gegen den Kapitalismus wirklich aufbegehrte. Wo aber ist in den langen Jahren der Beobachtung auch nur einmal ein französischer Bahnstreik in Offenburg von deutschen Bahnern aufgegriffen worden. Und natürlich auch nicht umgekehrt.

So verführerisch und einfallsreich die Ausführungen Hebels sind, es fehlt die Analyse einer neuen Internationale heutzutage. In welcher tatsächlich der Feind angegriffen würde: der zerstörerische Kapitalismus.

Stephan Hebel. Deutschland im Tiefschlaf.Wie wir unsere Zukunft verspielen.
2014 Westendverlag. (Kindle Edition)

Trierweiler: In den Rhetorikfahrstuhl gestiegen - und abgestürzt

Valérie Trierweiler und François Hollande bei der Amtseinführung des Präsidenten am 15. Mai 2012
Foto:Cyclotron
Lizenz: CC BY-SA 3.0
Was das Elaborat von Frau Trierweiler auszeichnet, sind keineswegs die üblichen Information über ihren Mann. Die kennt man aus den entsprechenden Äußerungen anderer enttäuschter Damen. Das Interessante an der Darstellung Frau Trierweilers ist vielmehr das Ungesagte. Der brennende Ehrgeiz der Frau, die immer wieder ihre beruflichen Erfolge preist. Und alles aufgegeben hat um der Liebe willen zu dem damals Einzigen.Und wie getroffen sie war, als leider die Rolle des Präsidenten und die des Liebenden auseinandertraten. Ein zusätzliches Unglück: Trierweiler war auf einen völligen Gesinnungsverwandten gestoßen.

Man kann sich gut vorstellen, wie beide abends vor den entsprechenden Pressemeldungen saßen. Einschließlich vernichtender Meinungsumfragen. Das alles wäre noch gutgegangen, ohne den Ehrgeiz. Ohne den speziellen französischen Zug des Emporkömmlings aus der Tiefe, der es allen gezeigt hat. Was sich eben in der Form des Aufstiegsromans äußert. Denn in Frankreich zeigt sich das Klassenschema etwas anders als in Deutschland. Nicht die Herkunft aus reichem Hause ist entscheidend, sondern die erreichten Grade in den verschiedenen Instituten. Dass diese in Wirklichkeit dann doch wieder in der Regel herkunftsbedingt sind, haben verschiedene Untersuchungen schon lange enthüllt.

Das illusionäre dieser Verbindung zeigt sich zum Beispiel, als Trierweilers Francois in Mali vor irgendeiner Militärhuldigung bekennt: Das sei der glücklichste Tag seines Lebens gewesen. Worauf die erinnerungsstarke Frau ihn sofort darauf hinweist, dass er das alles am Tag seiner Wahl zum Präsidenten auch schon gesagt hat. Vergisst aber völlig, darauf hinzuweisen, wie leer solche Aussprüche sind. Nichts für sich selbst, alles für die Presse. Und damit für den Weltenruhm verloren.

Das Rhetorische durchzieht den französischen Text von Anfang bis Ende. Es ist die äußere Form des Geltungswillens - ebenfalls von Anfang bis Ende. Für uns in Deutschland nur wichtig das Eine: Das Rhetorische ist zwar nur Hauch und Hall. Aber es ist in vielen Fällen nachher schlecht aufzugeben. So wird Hollande an seinem Mali-Abenteuer festhalten, auch wenn es schon lange über die Kräfte Frankreichs hinausreicht. Und wird nach gewisser Zeit - unter Beibehaltung des Ruhms - überall betteln, ihn aus der Klemme zu helfen. Darin liegt dann eine gewisse Gefahr für alle Nachbarn. Vor allem für die Deutschen.

Valérie Trierweiler: Merci pour ce moment. 2014
Französische Ausgabe-über Kindle.

kritisch-lesen.de Nr. 33: Radikale Soziale Arbeit?

Soziale Arbeit = Systemerhaltend?
Foto: André Karwath aka Aka / [CC-BY-SA-2.5], via Wikimedia Commons
Angeregt durch eigene Verstrickungen und Genoss_innen, die ihre Lohnarbeit im Feld der Sozialen Arbeit leisten, widmen wir uns in unserer 33. kritisch-lesen.de-Ausgabe dem Thema Kritische Soziale Arbeit. Für die Soziale Arbeit gilt wie für jede andere Lohnarbeit zunächst einmal, dass sie, wenn auch nicht immer in direkter Form, auf einem Ausbeutungsverhältnis beruht. Dennoch scheint sie für einige Linke als Interventionsort attraktiv, was damit zusammenhängen dürfte, dass sie die direkte Arbeit mit denjenigen ermöglicht, die von der Gesellschaft ausgesondert wurden. In der direkten Arbeit changiert die Soziale Arbeit häufig zwischen Hilfe und Kontrolle − zwischen der Arbeit mit Menschen und der Arbeit an Menschen. Wir wollen die Widersprüche der Sozialen Arbeit diskutieren und aufzeigen, in welcher Weise diese herrschaftsstabilisierend ist und wo möglicherweise Widerstandspunkte liegen.

Die Widersprüche zeigen sich exemplarisch im ambivalenten Verhältnis zwischen Sozialer Arbeit und sozialen Bewegungen. Eben jenes Verhältnis nimmt Johanna Bröse in ihrer Rezension „Soziale Arbeit in Bewegung?“ in den Blick. Sie kommt zu dem Schluss, dass ein Umdenken in der Ausrichtung der Sozialen Arbeit dringend notwendig ist. Einem konkreten Feld sozialer Bewegungen und dessen Verknüpfung mit Sozialer Arbeit widmet sich Wiebke Dierkes in ihrer Rezension zu „Erwerbslosigkeit und politischer Protest“. Obwohl das Buch der Sozialen Arbeit im Kontext von Erwerbslosenprotesten ein vernichtendes Zeugnis ausstellt, sieht die Autorin darin Anknüpfungspunkte für Menschen, die um eine Bestimmung von Kritischer Sozialer Arbeit in kapitalistischen Gesellschaften ringen.

Das politische Konzept Kritischer Sozialer Arbeit hat seinen Ursprung vor allem in den 1970er Jahren. Deshalb haben wir vier Klassiker der Kritischen Sozialarbeit ausgegraben und neu besprochen: Zunächst rezensieren Sven Schaub und Arne Sprengel „Gefesselte Jugend -“ Führsorgeerziehung im Kapitalismus“. Das Buch galt seinerzeit vor allem unter denjenigen Studierenden der Sozialen Arbeit als Pflichtlektüre, die nach einer alternativen und sozialistischen Erziehungspraxis suchten. Aber auch heute lohnt sich die Lektüre nicht nur wegen ihrer konsequenten Verbindung der Gesellschaftsanalyse von Marx und Engels mit einer Kritik der Sozialen Arbeit und ihrer Institutionen. Anschließend bespricht Sebastian Friedrich den Sammelband „Sozialarbeit unter kapitalistischen Produktionsbedingungen“ und stellt seine Neulektüre des Klassikers ins Verhältnis zu seiner ersten Begegnung mit dem Buch vor einigen Jahren. Er empfiehlt das Buch, da es in konstruktiver Weise Illusionen zuerstört. Anhand des Klassikers „Gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung“ sucht Vera Aulenbach nach systematischen Transformationsstrategien für Sozialarbeitende für eine sozial gerechte Gesellschaft. Judith Münzberger bespricht einen Klassiker aus der englischsprachigen Kritischen Sozialen Arbeit, die unter dem Namen „Radical Social Work“ firmiert.

Den Schwerpunkt schließen wir mit aktuelleren Ansätzen Kritischer Sozialer Arbeit. In die poststrukturalistischen Theorietraditionen, die in der aktuellen Kritischen Sozialen Arbeit hoch im Kurs stehen, reiht sich der Sammelband „Feministische Mädchenarbeit weiterdenken“ ein, der von Jamila Martin als bereichernde Lektüre für Praktiker_innen bewertet wird. Theoretischer geht es in der Rezension von Jannik Dohmen-Heinrichs zu „Foucaults Machtanalytik und Soziale Arbeit“ zu. Doch auch hier findet der Autor Anknüpfungspunkte für kritische Sozialarbeiter_innen. Einen lohnenden Beitrag zur machtkritischen Reflexion Sozialer Arbeit attestiert Anna Köster-Eiserfunke in ihrer Besprechung „What counts is what works?" dem Sammelband „Kritisches Forschen in der Sozialen Arbeit“. Henning van den Brink widmet sich mit seiner Rezension ebenfalls der Forschung in der Sozialen Arbeit und stellt mit dem Sammelband „Soziale Dienstleistungen aus Nutzersicht“ die sozialpädagogische Nutzerforschung vor.

Die sonstigen aktuellen Rezensionen beginnen mit dem Streik bei Ford in Köln im Jahr 1973, der Anlass für Jörg Huwers Buch „Gastarbeiter im Streik“ war. In dem Buch sieht Ceren Türkmen eine Basis für eine Geschichtsschreibung von unten. Mit dem europäischen Grenzregime und der Europäischen Union beschäftigen sich in dieser Ausgabe zwei Rezensionen. Katharina Schoenes hat Sonja Buckels Arbeit „Welcome to Europe“ gelesen, die eine Analyse des europäischen Migrationsmanagements anhand juristischer Auseinandersetzungen vornimmt. Aus einer ebenfalls hegemonietheoretischen und staatskritischen Perspektive bietet die Publikation „Kämpfe um Migrationspolitik" der Forschungsgruppe „Staatsprojekt Europa“ Anregungen, die Christoph Müller in „Materialistische Analyse europäischer Migrationspolitik“ bespricht. „Familiengefühle. Generationengeschichte und NS-Erinnerung in den Medien“ lautet der Titel einer kritischen Bestandsaufnahme zeitgenössischer Familienromane, die den Zweiten Weltkrieg und deutschen Nationalsozialismus verarbeiten. Michaela Hartl hebt in ihrer Rezension „Emotionalisierte Verstrickungen“ positiv die politische Haltung der Autor_innen zu ihrem literarischen Gegenstand hervor. Christin Bernhold wirft in „Killing Antifaschismus softly“ einen Blick auf den Band „Antifa heißt Luftangriff!“ von Susann Witt-Stahl und Michael Sommer. Ihnen zufolge entwickelt sich Antifaschismus zum Teil des Problems in Abgrenzung zu einer notwendigen revolutionären antifaschistischen Bewegung, die nicht in Sicht scheint. Durchorganisierte Strukturen, strategische Manipulation der öffentlichen Meinung und systematische Unterwanderung der Gesellschaft -“ im Reportageband „OhneMacht“ wird deutlich gemacht, dass dies die Kennzeichen der deutschen extremen Rechten sind. Stephanie Bremerich bespricht das Buch von Björn Menzel und Jörg Kiffmeier unter deren Einsicht „In Deutschland läuft etwas schief“. Christian Stache rezensiert einen Band, der wichtige Grundlagentexte zum Thema Tierethik versammelt, jedoch auch „Die Grenzen bürgerlicher Tierethik“ noch einmal verdeutlicht. Um das Bürgertum geht es auch in der Besprechung von Walter Wüllenwebers Pamphlet „Die Asozialen“. Dieses sei laut Christian Baron wütend, weil es Angst vor dem sozialen Abstieg hat und daher die Armen mittels der Botschaft: „Leistung, Leistung über alles“ zur „faulen Unterschicht“ erklärt .

Abschließend möchten wir noch auf zwei weitere Dinge hinweisen. Zuallererst bedauern wird, dass uns nach dieser Ausgabe zwei geschätzte Redaktionsmitglieder verlassen: Laura Janßen und Martin Brandt. Wir wünschen den beiden alles Gute und danken für die engagierte Zusammenarbeit! Außerdem werden wir von der Redaktion eine Pause einlegen und werden im Oktober nicht erscheinen. Nach etwas mehr als drei Jahren intensiver Arbeit möchten wir etwas durchatmen und die Zeit nutzen, um über konzeptionelle Veränderungen von kritisch-lesen.de nachzudenken.

Wir wünschen Euch viel Spaß beim kritischen Lesen und freuen uns aufs Wiederlesen!

Zu den Rezensionen.

NSA: Wenn alle Krimis wahr werden sollen...

Hauptquartier der National Security Agency in Fort Meade, Maryland
Foto: Wikimedia
Lizenz: Public Domain
Ich lese gerade "Last Exit" von Olen Steinhauer. Der amerikanische Autor scheint sich auszukennen. Und schildert Killermorde. Neben Verbrechen aller Art. Recht gut gemacht. Und vor allem in sich ganz glaubhaft geschildert. Auch die vertrauten Verkehrsformen zwischen Berliner und New Yorker Beseitigungsmethoden wird lebensnah geschildert. Verschwörungstheorien eben - wird mancher durch die Nase pusten. Und sich genüsslich weiter den Roman in sich einsickern lassen.

"Roman". Wenn es denn nur einer wäre. Seit den letzten Meldungen über die Aktivitäten des US-Geheimdienstes bleibt große Unsicherheit zurück. Da ist einmal der Bericht von "PANORAMA" vom letzten Donnerstag. Ausführlich wird dort aufgezeigt, wie ein Student nur deshalb ausgeforscht und eingeschüchtert wird, weil er eine Plattform zur Verschlüsselung eigener Nachrichten eingerichtet hat. Also soll offenbar schon der Versuch verfolgt werden, sich der Überwachung durch Dienste aller Art zu entziehen. In der gleichen Sendung wird dann eine Schulklasse vorgeführt, deren Lehrer die Stellen angibt, die zur automatischen Verschlüsselung beitragen können. Wer dann auf die Taste tippt, ist schon dran, bevor er auch nur den ersten Text tippt.

Die Nachricht über die Ausspähung des NSA-Ausschusses weisen in die gleiche Richtung. Es soll schon Furcht und Schrecken erregt werden für alle, die sich nur kümmern um den Schutz ihrer privaten Geheimnisse. Und zwar so, dass in den meisten Fällen zunächst gar nichts passiert. Um so gefährlicher die Gerüchtewelle! Wieso soll dann noch unmöglich sein, was in den Romanen geschildert wird. Wieso keine Meuchelabteilung im Dienst? Wenn doch in anderen Fällen die Mord-Helikopter so nahe liegen. Das heißt: es soll nicht jedem Einzelnen der Tod angedroht werden. Aber jeder Einzelne soll die Angst verspüren. Die totale. Vor allem, was gerade Dir zustoßen könnte. Es soll die Atmosphäre der Geheimhaltung sich ausbreiten. Denn jedes vorwitzige Gespräch untereinander kann schließlich genaus so gut abgehört werden. Und entsprechende Folgen nach sich ziehen.

Was ist dagegen zu tun. Die Appelle an Runge, den Generalbundesanwalt, werden wohl vergeblich sein. Er hängt an den Strippen der Bundeskanzlerin. Und die weiß, was zu tun ist. Schließlich will man auch immer mal wieder ein Schnäppchen bekommen, wenn gerade das Phantom der Rückkehrterroristen aus Nahost aufgebaut wird.

Bleibt nur das eine: Weitermachen. Der Versuchung grundloser Angst widerstehen. Wenn es erst einmal so weit gekommen ist, angezeigt zu werden wegen Verschlüsselungs-Versuchen, sich dem Gericht stellen. In der Hoffnung, dass andere mitaufstehen. Und alle insgesamt bekennen, dass das Recht zur Selbstverteidigung zum Unrecht vor dem Staat erklärt wird.

Verdunkler des Dunkeln. Entdeckungen in neuester NSU-Literatur.

Immer neue Veröffentlichungen machen sich breit über Geschichte und Vorgeschichte des NSU. Es lässt sich in der Eile kaum festhalten, was da von wem stammt. Deshalb nur ein flüchtiger Überblick über den Lesegewinn der letzten Erscheinungen.

Im Großwerk von Aust (Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU) wie in den Veröffentlichungen zu einer "Geheimsache NSU", stammend von Autoren um Stuttgart, tritt eines erschreckend zu Tage: die geradezu väterliche Zuneigung aller Verfassungsschutzämter zu ihren V-Männern, weit über deren praktische Verwendung hinaus. Und zwar der Verfassungsschutzämter sämtlicher Richtungen. Und darüber hinaus der Generalbundesanwaltschaft persönlich. In sämtlichen Bereichen deshalb Verweigerung von Aussagegenehmigungen.Vorher schon Schreddern von Akten, die ins Zentrum der Sache führen könnten. Wie ist das zu erklären?

In letzter Instanz wohl in der Vorliebe des Staatsapparats gegen die einzelnen Betriebsamkeiten der Parlamentarier und Journalisten sich in Besitz der Kenntnisse zu setzen, die sie überhaupt erst fähig machen könnten,die Taten der Exekutive zu kontrollieren.

Wie mehr oder weniger deutlich gesagt wird: Die Gefahr für die Zukunft unseres Gemeinwesens liegt weniger in den Angriffen der sogenannten Extremisten als in den Abwehrbewegungen der Staatsgewalt gegen sämtliche Bewegungen, die sich der staatlichen Aufsicht zu entziehen versuchen.

Hinzu kommt gerade bei Aust die Einzelerkenntnis, dass die Einflüsse von KUKUXKLAN aus den USA viel stärker sind als bisher angenommen. Gerade dass nach langjähriger staatsanwaltschaftlicher Untersuchung das Verfahren plötzlich eingestellt wurde, gibt doch sehr zu denken. Sollte der großer Bruder von drüben nicht auch hier - wie in anderen Fällen - die Verbotshand haben fallen lassen.

Der andere wichtige Punkt im Fall der Tötung der Polizistin Kiesewetter in HEILBRONN. Nicht nur, dass die Theorie der Doppelmörder, wie sie die Generalbundesanwaltschaft als ungefähr einzige immer noch vertritt,wird durch zahllose Zeugenaussagen entwertet. Es kommen Möglichkeiten hinzu, dass etwa das FBI - irtümlich oder bewußt - selbst tätig geworden sein könnte.

Schließlich wird nachgewiesen, dass die aus der Gegend der vermuteten Täter aus Thüringen stammende Polizistin Kiesewetter selbst in rechtsextremen Kreisen verkehrte. Ob als Opfer oder irgendwie vermittelt als Täterin - gleichviel.

In jedem Fall: Die bisher offizielle Darstellung des Tat-Motivs kann nicht stimmen.

Was bedeutet das aber für das Video vom bösen PAUL , in dem das angebliche Trio seine Taten darstellte?

Und in dem als letzte Tat eben die Tötung der Polizistin ihren Platz fand? Nachdem bisher kein einziges Zeugenbild aller Anwesenden auch nur im Geringsten eine Ähnlichkeit mit Mundlos und Co ergeben hat, schließt sich unmittelbar die Vermutung an. Dann muss die Replik auf die Taten der beiden Neo-Faschisten zumindest nachträglich bearbeitet worden sein. Vielleicht aber auch ganz neu gestaltet. Wäre das aber der Fall, dann müsste sich der ganze Prozess neu aufrollen lassen.

kritisch-lesen.de Nr. 32: Deutschland im Krieg

Dass militärisches Handeln von deutschem Boden aus wieder denkbar ist, zeigte sich nicht erst in der Antrittsrede von Bundespräsident Gauck im Jahr 2012, in der er die Bundeswehr als „Armee des Volkes“ bezeichnete. Bereits in den vorangegangenen Jahren -“ nicht zuletzt durch Joschka Fischers Plädoyer für einen militärischen Einsatz Deutschlands im Kosovo -“ fand eine Militarisierung der Außen- und Innenpolitik zunehmende Zustimmung in der Politik. Diese Normalisierung wurde begleitet von Forderungen nach der Wahrung universalistischer Menschenrechte und -“ im Falle des Kosovo -“ begründet mit einer historischen Verantwortung Deutschlands, ein neues Auschwitz zu verhindern. Weitgehend ausgeblendet bleiben in der öffentlichen Debatte das aufpolierte geschichtspolitische Selbstverständnis des „Demokratieweltmeisters“, die humanitären Auswirkungen der Kriege und die ökonomischen und geopolitischen Interessen, die mit militärischen Mitteln durchgesetzt werden.

Innerhalb der Linken bildet das Thema Antimilitarismus ein Feld für grundsätzliche theoretische Kontroversen. Praktisch agiert wird dort, wo die Bundeswehr zunehmend präsent ist und Akzeptanz erfährt. An vielen Orten finden zahlreiche kreative Proteste gegen Auslandseinsätze, die Rekrutierung von potenziellen SoldatInnen an Schulen und Universitäten und die Militarisierung des Inneren statt.

Mit dieser Ausgabe wollen wir uns mit der Militarisierung der Gesellschaft befassen und Impulse für linke Auseinandersetzungen mit dem Thema liefern. Dafür bespricht Christin Bernhold zunächst das Buch „Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen“ von Norman Paech und Gerhard Stuby und diskutiert die Bedeutung des Völkerrechts für die Legitimierung von Bundeswehreinsätzen im Ausland. Völkerrecht, so stellt sie heraus, wird hier zum Feigenblatt für Machtpolitik in internationalen Beziehungen. Mit solcherlei Legitimationsstrategien beschäftigen sich die folgenden Besprechungen. In der Rezension „-šWir-˜ über -šuns-˜ und -šdie Anderen-˜“ zum Buch „Heimatdiskurs“ zeigt Rita Werth auf, wie im Namen der Modernisierung und der Emanzipation Militäreinsätze von Deutschland aus für notwendig erklärt werden. Dem Humanismus als Begründung für Kriegseinsätze widmet sich auch Christian Baron in „Sehnsucht nach dem Stahlbad“, einer bissigen Rezension von Bernd Ulrichs „Warum Deutschland Krieg führen darf. Und muss“. Heinz-Jürgen Voß geht es in der Besprechung des Buchs „Gendering 9/11. Medien, Macht und Geschlecht im Kontext des -šWar on Terror'“ von Andrea Nachtigall speziell um die Legitimation des Afghanistaneinsatzes.

Mit der Bedeutung von Militarisierung für die kapitalistische Staatenkonkurrenz befasst sich Ruldoph Bauer in der Rezension des Buches „Geopolitik“ von Tobias ten Brink. Der Frage nach Waffenproduktion in Deutschland und deren Export in andere Länder geht Sophia Hoffmann nach, die das Buch „Bombengeschäfte -“ Tod made in Germany“ von Hauke Friedrichs bespricht. Adi Quarti widmet sich in seiner Rezension „Die neue Dimension“, die mit dem Buch „Drohnenkrieg. Tod aus heiterem Himmel - Morden per Fernbedienung“ die neuesten technischen Entwicklungen in der unbemannten Kriegsführung aus den USA vorstellt. Neben der fachwissenschaftlichen Diskussion um den Afghanistaneinsatz haben aktuell auch Romane, die Einfluss auf Militärdiskurse in Deutschland haben, Konjunktur. Stephanie Bremerich diskutiert mit „Fiktion als Alibi“ den Antikriegsroman „Jenseits von Deutschland“, der mit seinem Anliegen jedoch das Genre verfehlt hat. Einen tatsächlichen Erlebnisbericht hinterfragt in „Wir fühlten uns bereits wie Kriegshelden“ Fabian Virchow. Das Buch „Vier Tage im November. Mein Kriegseinsatz in Afghanistan“ von Johannes Clair offenbart das Selbstbild eines ehemaligen Fallschirmjägers.

Mit dem Konzept der Nachwuchsrekrutierung der Bundewehr an Schulen und Universitäten befassen sich drei Rezensionen. Elke Michauk bespricht in „Im neuen Gewandt: Offensive Bundeswehr an Schulen" den Einfluss des Militärs auf Bildungseinrichtungen und betont dabei die vielfältigen Aktivitäten gegen die Rekrutierung an Schulen. Ebenfalls mit dem Wirken der Bundeswehr an Schulen und der Gegenwehr beschäftigt sich Ismail Küpeli in seiner Rezension des Buches „Soldaten im Klassenzimmer“. Christoph Golasch widmet sich dem Buch „Zivilklauseln für Forschung, Lehre und Studium“, das die zunehmende Bereitschaft der Universitäten, Drittmittel aus der Rüstungsforschung einzuwerben, zum Thema hat.

Abschließend werfen wir einen Blick auf die außenpolitische Debatte der Partei DIE LINKE. Christian Stache war selbst langjähriges Mitglied der Partei und des ihr nahestehenden Jugendverbandes ['solid]. Er kritisiert in seiner Rezension „Zu den Waffen, Genossen!“ das Buch „Linke Außenpolitik“ und damit den aktuellen Versuch einer Neukonzeption der außenpolitischen Ausrichtung der Partei.

Den Anfang bei den Rezensionen außerhalb des Schwerpunkts macht Jens Zimmermann, der die aktuelle Publikation zu „Obamas Krisen-Empire“ von Ingar Solty empfiehlt. Andrea Strübe widmet sich in ihrer Rezension „Was sich nicht bewährt“ der umfangreichen Studie „Bewährungsproben für die Unterschicht? Soziale Folgen aktivierender Arbeitsmarktpolitik“ um das Team des Jenaer Soziologen Klaus Dörre, in der die Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre alles andere als gut wegkommen. Der Tod eines Anti-AKW-Aktivisten ist Aufhänger von „XXX“, einem überraschenden „Atomkraft-Krimi“ von Martin Sudermann, den Alice Freitag gelesen hat. An den Dimensionen des Themas scheitert Robert Claus zufolge eine Arbeit zu „Rechtsextremen Strategien im Sport“. Der Sammelband „Migration und Arbeit in Europa“ fokussiert laut der Rezensentin Hannah Schultes zwar ein wichtiges Thema, dennoch kommt sie in ihrer Rezension „Gäste, die arbeiten“ zu einem gemischten Fazit. Schließlich beschäftigt sich Moritz Altenried anhand des Buches „Die Prekarisierungsgesellschaft“ von Oliver Marchart mit der Frage, wie Proteste gegen Prekarisierung gesellschaftstheoretisch gefasst werden können.

Und nun noch zum Schluss: Kritisch-lesen.de ist nun seit drei Jahren online! Nach 32 Ausgaben mit 340 Rezensionen, interessanten Diskussionen und vielen Höhen und Tiefen blicken wir zurück auf drei wunderbare, arbeitsintensive, nervenaufreibende und ereignisreiche Jahre. Wir danken allen Leser_innen, Autor_innen und Freund_innen, die uns in dieser Zeit so tatkräftig unterstützt haben! Nach der nächsten Ausgabe, die mit dem Schwerpunkt Kritische Soziale Arbeit am 1. Juli erscheint, werden wir eine Pause einlegen, um ein bisschen durchzuatmen und über kritisch-lesen.de nachzudenken. Wir würden uns freuen, wenn ihr uns eure Eindrücke an info@kritisch-lesen.de schicken würdet: Was gefällt euch an kritisch-lesen.de, was nicht, welche Ausgaben fandet ihr besonders gut, welche Themen interessieren euch, was können wir besser machen?

Rezensionen zum Schwerpunkt

Buchbesprechung: Der NSU-VS-KOMPLEX von Wolf Wetzel

„Was macht man also mit der Flut der Informationen, die es im Fall der neonazistischen Mordserie des NSU gibt? Sie sind widersprüchlich, sie passen nicht zusammen, sie verwirren, sie machen ratlos. Will man der Nachricht Glauben schenken, die eine Zeitung veröffentlicht hat, oder dem Dementi, das von staatlichen Stellen oder von (anderen) Medien verbreitet wird.
Im Folgenden geht es darum, nicht den Kopf zu verlieren, sondern die Dementis und die zugrundeliegenden Nachrichten abzugleichen, aneinanderzulegen. Manchmal verraten auch Dementis mehr, als sie wollen, grenzen den erhobenen Verdacht eher ein, als dass sie ihn ausräumen.“ (S. 87)

Wolf Wetzels Buch leistet genau das: es hilft dem Leser angesichts der (Des)informations- Flut, mit der er systematisch in die Irre geführt wird, nicht den Kopf zu verlieren.

So listet er eine Auswahl der bekannt gewordenen Schredderaktionen der diversen Behörden auf. Allein dadurch wird die Dimension und systematische Beweisvernichtung deutlich. Der laufende NSU-Prozess ist u.a. eine Absurdität, denn: „Das Gericht wird also mithilfe der vernichteten Beweise nur das verfolgen, was mit den übrig gebliebenen Beweisen aufgeklärt werden kann/soll. Das heißt im Klartext: Grundlage dieses Prozesses ist eine manipulierte Beweislage.“ (S 9)

Wolf Wetzel räumt auf: mit der „Mär vom Behördenwirrwarr“, der „Legende von den spurlos Verschwundenen“, er deckt auf „die Verschwörung der Zufälle“.

Allein dieses Vorgehen unterscheidet sein Buch schon wohltuend von anderen Veröffentlichungen zu diesem Thema.

Wirklich konstruktiv ist seine Kritik an der Haltung der radikalen Linken zum NSU-VS-Komplex. Er kritisiert die „Haben-wir-ja-schon-immer-gewusst“ Haltung, die in der politischen Praxis zu Passivität führt und dazu, allen möglichen „Aufklärern“ das Feld zu überlassen, was in einem merkwürdigen Kontrast zu der Kompetenz vieler antifaschistischer Netzwerke bei der Aufdeckung neonazistischer Umtriebe und Verbindungen steht.

Auch die landauf landab aufgestellte Forderung nach „Auflösung des Verfassungsschutzes bzw. der Geheimdienste“ nimmt er kritisch unter die Lupe und entwickelt positiv, wie eine politische Praxis zur Durchsetzung dieser Forderung aussehen könnte: „Wer die Abschaffung der Geheimdienste richtig findet, der kann und darf klein anfangen, die Waffe stumpf machen, die zu jedem Geheimdienst gehört: V-Leute, auch gemeinhin Spitzel genannt.“ (S. 127) „Die Einrichtung einer bundesweiten Datei über aufgeflogene V-Leute wäre ein nächster, notwendiger Schritt: man könnte sie BDFS (bundesweite Datei für Spitzel) nennen.“ (S. 128) und „Die Offenlegung aller Akten der Geheimdienste aus den Jahren 1950 bis 1980. Dann könnte z.B. öffentlich überprüft werden, ob der Bombenanschlag auf das Oktoberfest in München 1980 ein irrer Anschlag eines Einzeltäters war oder die Geheimdienste einen erheblichen Tatbeitrag lieferten, damit dieses Massaker passieren konnte, und Spuren, die der Einzeltätertheorie widersprachen, beseitigt worden sind.“ (S. 129) zusätzlich „Die Forderung nach einer Gauck-Behörde-II, zu der alle BürgerInnen Zugang hätten, würde das Feld, auf dem sich Mutmaßungen und Verschwörungstheorien gleichermaßen bewegen müssen, auf demokratische und überprüfbare Weise so klein machen, dass wir am Ende wüssten, ob das, was zum Staatsgeheimnis erhoben wird, den >Interessen der Bundesrepublik< dient oder dem Schutz von Staatsverbrechen.“ (S. 129)

Allerdings gerät Wolf Wetzel bei der Beantwortung der Frage „Wie viel Staat steckt im Nationalsozialistischen Untergrund?“ etwas ins Stolpern. „Auch die historisch belegte Rolle von (bewaffneten) Faschisten als >Systemreserve< halte ich für die heutigen Verhältnisse für falsch.“ (S. 162)

Zeigt aber nicht gerade die Entwicklung in der Ukraine wie eine solche faschistische „Systemreserve“ erst hochgepäppelt und zum gegeben Augenblick dann tatsächlich als „Kettenhund des Kapitals“ losgelassen wird und mit welcher rasanten Geschwindigkeit das geschieht? Warum der Autor zur Untermauerung seiner These sich dann auch noch zur Verharmlosung des Faschismus versteigt, wenn er schreibt „Und welche Verfolgungsmaßnahmen könnte ein faschistisches Regime bereitstellen, die nicht bereits heute >legal< darauf warten, massenhafte Protest -“ in der Zukunft -“ niederzuschlagen?“ (S. 163) ist nur erklärbar dadurch, dass trotz eigener gegenteiliger Analyse (siehe S. 146/147) nicht klar zu sein scheint, dass der „Machtantritt des Faschismus keine einfache Ersetzung der einen bürgerlichen Regierung durch eine andere, sondern eine Ablösung der einen Staatsform der Klassenherrschaft der Bourgeoisie -“ der bürgerlichen Demokratie - durch eine andere Form -“ durch die offene terroristische Diktatur (ist).“ (Georgi Dimitroff, Die Offensive des Faschismus... Ausgewählte Schriften 1933-1945,S. 98)

Fazit: Wolf Wetzels Buch ist absolut lesenswert -“ und auch Dimitroffs Aufsatz verdient nochmal gelesen zu werden.

Wolf Wetzel
Der NSU-VS-KOMPLEXWo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund - wo hört der Staat auf?

2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Oktober 2013
UNRAST-Verlag, Münster

Blockupy 2013. Der Frankfurter Polizeikessel am 1.Juni 2013

Bericht der Demonstrationsbeobachtung vom 30.Mai bis 1.Juni 2013

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts des Komitees für Grundrechte und Demokratie hätte nicht besser gewählt werden können:
Fast zeitgleich erklärte das Frankfurter Verwaltungsgericht, die Einkesselung der Blockupy-Demonstranten sei „wohl gerechtfertigt“ gewesen. Das ist noch kein echtes Urteil, sondern nur das Ergebnis einer vorläufigen Prüfung zur Erfolgsaussicht der Klage. Aber man sieht, wohin die Reise geht.

Zur Erinnerung: Am 1.Juni 2013 unterdrückte die Polizei eine Demonstration der Blockupy-Bewegung in Frankfurt, indem sie nach einem vorgefassten Plan ca. 1000 Teilnehmer der Demo einkesselte und so die Demonstration sprengte: „Anweisung von oben: Eskalieren!“ (Originalton Polizei).
Die Demoroute entlang der Europäischen Zentralbank war vorher gegen die Versammlungsbehörde vor Gericht erstritten worden. Durch das Eingreifen der Polizei „muss der Eindruck einer Recht brechenden und Selbstjustiz schaffenden Exekutive entstehen.“ (S.11)

Auf der Grundlage der Berichte des Demobeobachter-Teams des Komitees für Grundrechte und Demokratie befasst sich die Broschüre detailliert mit Vorgeschichte, Demo-Ablauf, den zentralen Merkmalen des Vorgehens der Ordnungskräfte und der Resonanz in den Medien.

Neben diesen aufschlussreichen Schilderungen des konkreten Ereignisses sind die Ausführungen der Autoren zu grundsätzlichen Aspekten der Versammlungsfreiheit für alle interessant, denen die Versammlungsfreiheit am Herzen liegt.

So wird der Gesetzesvorbehalt beim § 8 Versammlungsfreiheit kritisiert:
„Nach dem ersten Absatz von § 1 Versammlungsgesetz wuseln nur noch Verbote und noch einmal Verbote. Als eine Art Versammlungsverbotsgesetz ist das Versammlungsrecht durchgehend nicht grundrechtskonform.“ (S.79).

„Darum müsste das Versammlungsgesetz in seiner 1953er Grundform längst dem Brokdorf-Beschluss konform demokratisch angehoben werden.“ (S.86)
Die Autoren verhehlen aber auch nicht die Schwierigkeiten bei dem Versuch, ein fortschrittliches Versammlungsgesetz zu entwerfen: „Dabei wird allerdings meist deutlich, wie breit die Fallstricke ausgelegt sind und wie schwierig es ist, eine grundlegend andere Herangehensweise zu finden.“ (S.69)

„Würde ein Artikel 8 - „Jede Person hat das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen mit anderen zu versammeln und Versammlungen zu veranstalten“ - diese Recht nicht vielleicht besser schützen können als jedes Versammlungsgesetz, das nur wieder neue Grenzen zu ziehen versucht?“ (S.69/70)

Trotzdem werden einige Kernelemente eines fortschrittlichen Versammlungsgesetzes formuliert:„- Demonstrierende entscheiden selbst über den Ort ihrer Versammlung und die Ausdrucksformen. Vom Grundrecht generell oder aktuell ausgenommene Plätze kann es nicht geben. - In Versammlungen hat „der Staat“, repräsentiert durch die Polizei, nichts zu suchen -“ weder uniformiert, noch undercover und auch nicht mit Videogeräten.(...) - Die Demonstrierenden entscheiden selbst über Länge und Größe von Transparenten und auch über das Tempo ihrer Bewegung. - Die Bewegungsfreiheit wie auch die Meinungsfreiheit sind zu achten, wozu auch die Möglichkeit gehört, gesehen und gehört zu werden. Dies verbietet jede einschließende Begleitung, wie die wandernden Kessel genannt werden.“ (S.70).

Dem Fazit der Autoren ist nichts hinzu zu fügen: „Versammlungen können ein Stachel sein im herrschaftlich definierten und kontrollierten Alltag, sie können aufstacheln und politische Veränderungen einleiten. Dafür gilt es weiterhin zu streiten -“ auf der Straße und vor Gericht. Auf dass endlich den rechtswidrigen Eingriffen der Polizei Einhalt geboten werde!“ (S. 123)

Die Broschüre kann für sieben Euro bezogen werden unter der Adresse:
Komitee für Grundrechte und Demokratie
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