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kritisch-lesen.de Nr. 8 - Sommerpause

Jeden Abend werfe ich
Eine Zukunft hinter mich
die sich niemals mehr erhebt.
Denn sie hat im Geist gelebt.
Neue Bilder werden, wachsen;
Welten drehn um neue Achsen,
werden, sterben, lieben, schaffen.
Die Vergangenheiten klaffen.
Tobend, wirbelnd stürzt die Zeit
in die Gruft. -“ Das Leben schreit!


Der Auszug aus dem Gedicht „Ich bin ein Pilger -“ oder: Die beschauliche Suche“ von Erich Mühsam leitet die letzte Ausgabe vor einer kleinen kritisch-lesen.de-Auszeit ein. Wir wollen den August nutzen, um die ersten vier Monate unseres Projekts auszuwerten und technische Änderungen vorzunehmen. Anfang September erscheint dann die nächste Ausgabe. Schon vor der Auswertung können wir sagen, dass wir bisher vom Zuspruch sehr positiv überrascht sind. Nicht nur die Klickzahlen steigen von Ausgabe zu Ausgabe, vor allem die vielen Rückmeldungen von Leser_innen, Freund_innen und/oder (potenziellen) Autor_innen ermutigen uns. Mitte August trifft sich für drei Tage die Redaktion, um über konzeptionelle und technische Änderungen zu beraten. Wir würden uns sehr über weiteres Feedback freuen. Wenn ihr meint, wir sollten einen Schwerpunkt über dieses oder jenes Thema machen, oder ihr die Seite unübersichtlich oder verbesserungswürdig findet -“ oder andere Vorschläge habt, scheut euch nicht, uns die mitzuteilen. Einfach eine Mail an uns schicken: info[ät]kritisch-lesen.de.

Aber vor unserer kleinen Relaunch-Sommerpause haben wir noch ein paar Sommer-Leseempfehlunger für euch: Zu Anfang fragt sich Fritz Güde in seiner Rezension Wagenknechts Verführung durch das Positive zu dem neuen Buch von Sarah Wagenknecht, ob die plötzlichen Sympathien der Autorin für die Soziale Marktwirtschaft einer strategischen Positionierung für kommende Möglichkeiten geschuldet sind. In dem Band Von Jakarta bis Johannesburg sieht Regina Wamper anschließend eine gelungene Zusammenfassung unterschiedlicher anarchistischer Theorien und Praxen, weil das Buch die verschiedenen Kontexte, aber auch Gemeinsamkeiten herausarbeitet. Sebastian Kalicha beurteilt in Anarchismus in der Sprechblase den Comic Geschichte des Anarchismus als leicht verständlichen Einstieg in den Anarchismus, aber auch als Bereicherung für alle, die sich bereits (lange) mit diesem Thema beschäftigen. In der Rezension zu Das Leben in Rot merkt Rezensent Fritz Güde an, dass der Versuch, den Polizeistaat unter Franco in Spanien aus verschiedenen subjektiven Sichtweisen zu durchdringen wegen der Verschleierung subjektiver Beliebigkeit nicht gelungen ist. Katharina Kaps bespricht sodann in Körperperspektiven die 43. Ausgabe der arranca!, die sich mit dem Thema Körper in verschiedenen politischen Kontexten beschäftigt. Kaps konstatiert ein umfassendes Angebot an Einstiegstexten, welche auch die Notwendigkeit des Handelns im Alltag aufzeigen. Schließlich empfiehlt Rachel in der Rezension Unsichtbare Selbstverständlichkeiten das Buch Schöner kommen, ein Ratgeber für lesbischen Sex -“ für alle, die sich inspirieren lassen wollen.

Aus dem Archiv offenbaren wir dieses Mal zwei Biographien. Zum einen empfiehlt Sebastian Friedrich Georg Kreislers autobiographisches Werk Letzte Lieder, zum anderen sei auf Sabine Kebirs gelungene Arbeit Helene Weigel -“ Abstieg in den Ruhm hingewiesen.

An dieser Stelle noch -“ wie immer -“ der Hinweis auf den kritisch-lesen.de-Newsletter: Wer immer pünktlich über die neuste Ausgabe informiert werden möchte, der_die trage sich einfach in der rechten Spalte ein -“ oder „freunde“ sich bei Facebook mit uns an.

Viel Spaß beim (kritischen) lesen!

Aktuelle Rezensionen

Wagenknechts Verführung durch das Positive

Sahra Wagenknecht - Freiheit statt Kapitalismus

Sahra Wagenknecht verhilft in ihrem neuen Buch Erhard und seinen Kumpanen zu einem sozialen Glanz, den man ihnen nicht zugetraut hätte. Mit Recht?

Von Fritz Güde

Globale libertäre Netzwerke

Sebastian Kalicha / Gabriel Kuhn (Hg.) - Von Jakarta bis Johannesburg: Anarchismus weltweit

Ein Sammelband über den Anarchismus in seinen weltweiten Verschiedenheiten.

Von Regina Wamper

Anarchismus in der Sprechblase

Findus - Kleine Geschichte des Anarchismus: Ein schwarz-roter Leitfaden

Ein abwechslungsreicher Comic über Anarchismus.

Von Sebastian Kalicha

Blendende Staatsgewalt- geblendeter Autor

Isaac Rosa - Das Leben in Rot

Indem der Autor sich zur präzisen Wahrheitsüberlieferung als unfähig bekennt, beweist er die Unabschaffbarkeit des verleugneten Polizeistaats.

Von Fritz Güde

Körperperspektiven

arranca! - #43 - Bodycheck und linker Haken

Die arranca! #43 stellt „den“ Körper ins thematische Zentrum und lässt wie immer viele unterschiedliche Positionen zu Wort kommen.

Von Katharina Kaps

Unsichtbare Selbstverständlichkeiten

Manuela Kay & Anja Müller (Hg.) - Schöner kommen: Das Sexbuch für Lesben

Das Sexbuch für Lesben

Das „Drei-In-Eins-Produkt“ liefert nicht nur Antworten auf wichtige Fragen, sondern trägt letztendlich auch zur Sichtbarkeit von lesbischem Sex bei.

Von Rachel

Rezensionen aus dem Archiv

Letzte Lieder

Georg Kreisler - Letzte Lieder. Autobiografie

Georg Kreisler veröffentlichte jüngst seine Autobiographie. Der Versuch einer Rezension.

Von Sebastian Friedrich

Helene Weigel

Sabine Kebir - Helene Weigel - Abstieg in den Ruhm

Sabine Kebir schildert die Geschichte der künstlerisch-intellektuellen Symbiose von Helene Weigel und Bert Brecht als trotz allem geglücktes Arbeitsverhältnis.

Von Fritz Güde

Erstveröffentlichung bei kritisch-lesen.de

Buchtipp: Rassismus in der Leistungsgesellschaft

Der während der „Sarrazindebatte“ implizit oder explizit zur Sprache gekommene Rassismus fordert kritische Analysen. Der Band versammelt diese im Sinne angewandter Migrations- und Rassismusforschung sowie anderer Disziplinen der kritischen Wissenschaften. Neben Diskussionen um Eliterassismus, kulturalistischen Ein- und Ausschließungen sowie Hegemoniekonstruktionen finden sich u.a. auch feministische und diskurstheoretische Zugänge zum Thema. Einen Schwerpunkt bilden die Verbindungen des gegenwärtigen Rassismus mit ökonomischen Argumentationsweisen.

Mit Beiträgen von Moritz Altenried, Christoph Butterwegge, Sebastian Friedrich, Sabine Hess, Juliane Karakayali, Serhat Karakayali, Elke Kohlmann, Jörg Kronauer, Gabriel Kuhn, Jürgen Link, Charlotte Misselwitz, Marianne Pieper, Nora Räthzel, Hannah Schultes, Yasemin Shooman, Vassilis Tsianos und Regina Wamper.

Sebastian Friedrich lebt größtenteils in Berlin-Neukölln und ist Redakteur von kritisch-lesen.de, freier Mitarbeiter der Opferberatungsstelle ReachOut Berlin, Mitglied des AK Rechts und der Diskurswerkstatt des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) und aktiv im Netzwerk der edition assemblage in Münster.


Sebastian Friedrich (Hg.)


Rassismus in der Leistungsgesellschaft

Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der „Sarrazindebatte“

farb. Broschur, ca. 260 Seiten, 19.80 EUR [D]

ISBN 978-3-942885-01-0


Bestellung per Email: info@edition-assemblage.de

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kritisch-lesen.de Nr. 7 - Entwicklungen feministischer Politiken

Foto: © Jörg Möller
Nachdem wir uns vor einem Monat in unserer fünften Ausgabe zu Fem(me)-ininitäten einem speziellen Aussichtspunkt queerer Politiken gewidmet haben, fassen wir dieses Thema in der aktuellen Ausgabe etwas allgemeiner. Wir versuchen exemplarisch anhand dreier Rezensionen die Ab- und Entwicklungen (queer-)feministischer Politiken zu entwerfen, die sich im derzeitigen gesellschaftlichen Umgang mit der Thematik spiegeln. Der Fokus liegt dabei auf verschiedenen Bündnissen, die zur Ab- oder Entwicklung feministischer Politiken beitragen.

Zu Beginn geht Andrea Strübe dem Bündnis zwischen Kapitalismus und Postfeminismus in ihrer Rezension Ist der Feminismus erledigt? anhand des Buches Top Girls von Angela McRobbie nach. Es wird festgestellt, dass der Feminismus keinen bloßen backlash erlebt, sondern emanzipative Werte in das individualisierte und leistungsorientierte Spiel des Neoliberalismus eingeflochten werden, die jedoch keine wirkliche Emanzipation bedeuten, sondern Frauen in spezielle verwertungslogische Kategorien drängt. Das mögliche feministische Bündnis wird im Zuge dessen gründlich verneint und Solidarität verunmöglicht. Einer positiveren Entwicklung feministischer Bündnispolitik geht Heinz-Jürgen Voss in seiner Rezension Pardon, wir hätten da mal was zu sagen! nach. Die Besprechung des Buchs Muslim Girls von Sineb El Masrar fokussiert sowohl die Zuschreibungen der muslimischen Frau als unterdrückt und den Ausweg daraus, mit individuellen Lebensgeschichten stigmatisierter Muslimas der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. In der letzten Schwerpunktbesprechung wird anhand des Vortrags von Judith Butler vor dem CSD 2010 den Grenzen und Chancen queerer Bündnispolitik nachgegangen. Eugen Januschke fasst zusammen, dass queere Antikriegspolitik nach Butler ein großes Potenzial hat, den Tendenzen rassistischer Forderung nach Räumen entgegenzuwirken.

Unter den weiteren aktuellen Rezensionen findet sich dieses Mal zum einen die Rezension Auf der Suche nach den Tatsachen! Gibt es die aber wie den Kiesel am Weg? von Fritz Güde zu dem Buch Die Ausgelieferten von Per Olov Enquist. Die in diesem Faktenroman erzählte Suche nach den Vorgängen der Auslieferung baltischer Gefangener an die UDSSR schildert Güde als weniger den Fakten denn mehr der ausschweifend beschriebenen Suche gewidmet. Gabriel Kuhns Rezension Anarchismus und Marxismus revisited geht der Begegnung feindlicher Brüder nach und bescheinigt dieser einige konstruktive Möglichkeiten der Zusammenarbeit.

Aus dem Archiv fischten wir diesmal die Rezensionen Maoismus und Barcelona. Ein Tag und seine Folgen anlässlich zweier besonderer Daten. In der ersten Rezension reflektiert Fritz Güde eindringlich und biographisch anhand des Buchs von Henning Böke frühere und heutige Zugänge zum Maoismus, in der anderen wird Kaminskis Reportagenband als ein Buch gewürdigt, das es durchaus mit Enzensbergers Der kurzer Sommer der Anarchie aufnehmen könne.

Schließlich möchten wir noch darauf hinweisen, dass unsere nächste Ausgabe die letzte vor unserer Sommerpause sein wird. Wir werden die Zeit der Sommerpause nutzen, um unseren Start auszuwerten und uns konzeptionell aufzufrischen. Anfang September wird dann wieder eine neue Ausgabe von kritisch-lesen.de erscheinen!

Rezensionen zum Schwerpunkt

Ist der Feminismus erledigt?

Angela McRobbie - Top Girls
Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes

McRobbie analysiert in diesem Band die Abwicklung des Feminismus zugunsten einer neoliberalen Geschlechterpolitik, die Frauen erneut in strenge Kategorien verweist.

Von Andrea Strübe

Pardon, wir hätten da mal was zu sagen!

Sineb El Masrar - Muslim Girls
Wer wir sind, wie wir leben

Die jetzigen Muslim Girls, wie meist schon Ihre Eltern in der BRD geboren, haben je ganz eigene, bewegte und interessante Lebensgeschichten -“ eine Selbstverständlichkeit, die leicht entgleitet, wenn mal wieder die „Vorurteilshamster in den Köpfen auf Hochtouren“ laufen.

Von Heinz-Jürgen Voß

Homohochzeit in Kriegszeiten
Judith Butler - Queere Bündnisse und Antikriegspolitik
Queer Lectures Heft 9

Einen Tag vor der Ablehnung des Zivilcouragepreises des Christopher-Street-Day (CSD) hielt Judith Butler einen vielbeachteten Vortrag an der Volksbühne in Berlin, der nun vorliegt.

Von Eugen Januschke

Aktuelle Rezensionen

Auf der Suche nach den Tatsachen! Gibt es die aber wie den Kiesel am Weg?
Per Olov Enquist - Die Ausgelieferten
Enquist liefert hier eines der ersten Beispiele eines Faktenromans, in welchem die Suche des Berichterstatters nach diesen Fakten schwerer wiegt als das Ergebnis selbst. Wann endlich ist er mit seinem Suchen einig?

Von Fritz Güde

Anarchismus und Marxismus revisited

Philippe Kellermann (Hg.) - Begegnungen feindlicher Brüder
Zum Verhältnis von Anarchismus und Marxismus in der Geschichte der sozialistischen Bewegung

Eine neue Anthologie des Unrast-Verlags geht einem komplizierten historischen Verhältnis auf die Spur.

Von Gabriel Kuhn

Rezensionen aus dem Archiv

Maoismus
Henning Böke - Maoismus
China und die Linke -“ Bilanz und Perspektive

Henning Böke umreißt ohne Verklärung und ohne Nachsicht die Jahre des Maoismus in China und in der übrigen Welt. Aus allen Wendungen und Drehungen arbeitet er das Unverlierbare heraus.

Von Fritz Güde

Barcelona. Ein Tag und seine Folgen

Hanns-Erich Kaminski - Barcelona
Ein Tag und seine Folgen

Kaminski schöpft aus den Erfahrungen mit der Revolution 1936 in Barcelona, die sein weiteres schriftstellerisches und politisches Schaffen bestimmen sollten.

Von Fritz Güde

Erinnerung an die ersten fünfzig Jahre der KP China: "Maoismus. China und die Linke - Bilanz und Perspektive"

Ausrufung der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949
Henning Böke umreißt in seinem Buch "Maoismus: China und die Linke Bilanz und Perspektive" ohne Verklärung und ohne Nachsicht die Jahre des Maoismus in China und in der übrigen Welt. Aus allen Wendungen und Drehungen arbeitet er das Unverlierbare heraus.

Mao Zedong - eine Sonne, die vielen in Europa und speziell in der Bundesrepublik in den sechziger Jahren aufgegangen war - und spätestens nach den Schüssen der Roten Armee auf die Demonstranten auf dem Tienamen-Platz im Sommer 89 wieder unterging.

Seither durchwandert der Große Vorsitzende alle möglichen Biographien westlicher Politikerinnen und Politiker - als Gespenst früher Jugend. Überwundenes Gespenst. Gegenstand nachsichtiger Erinnerung. Weiterer Gedanken nicht mehr wert.

Flankiert wird dieses zum Habitus gehörende Vergessen von einigen wütenden Büchern, die den angeblich immer noch herrschenden Mythos Mao zerstören sollen. Da erfährt man allerlei über Maos ungeputzte Zähne, gar nichts hingegen von den Gedanken, Absichten und Handlungen dieses Mannes. Das solche Kanonen gegen ihn immer noch aufgefahren werden, zeigt, dass der chinesische Kommunist mit anderen Gespenstern eines gemeinsam hat: man weiß nicht, wo und wann sie wiederkommen und bereitet den Exorzismus vor, den angsterzeugten Abwehrzauber.

Henning Böke hat mit solchen Praktiken nichts zu tun. Er unternimmt in seinem im Sommer 2007 erschienen Buch den Versuch einer Rekonstruktion des Gesamtzusammenhangs, in dem die Theorien Maos innerhalb der marxistischen Tradition funktionieren. Er fragt weiter nach den politischen Umständen, die die von außen oft verblüffend wirkenden Wechsel und Drehungen der Politik der Maoisten in China erklären. Darüber hinaus nach den Gründen der raschen Verleugnung des Parteiführers nach seinem Tod 1976 - bei gleichzeitiger Monumentalisierung seines Andenkens. Und was ist trotzdem übrig geblieben - auch bei den linken Bewegungen im Westen, fragt Böke schließlich.

Klar ist, dass Mao Zedong sich bei seinen revolutionären Bemühungen 1949 vor dem selben Problem fand wie zwanzig Jahre vorher Lenin: wie kann die proletarische Revolution durchgeführt werden in einem Land, in welchem landbesitzende und landlose Bauern die Mehrheit bilden, die Proletarier aber, auf die Marx setzte, bei wohlwollendster Zählung zehn Prozent ausmachen? Allerhöchstens!

In der ersten Zeit der Revolution in den zwanziger Jahren stand die ganze chinesische KP, deren Vorsitzender Mao damals noch nicht war, unter der Fuchtel Stalins und der von diesem dominierten KOMINTERN. Diese begünstigte die bürgerlich-national-evolutionäre Bewegung der KUOMINTANG; und versuchte, die Kommunisten durch Dick und Dünn in eine Koalition zu zwingen, selbst noch, als sich deutlich zeigte, dass in den Städten die Partei Tschiang Kai Scheks die Kommunisten vernichtend angriff, wo es möglich war.

Hätte sich diese Linie durchgesetzt, die Revolution hätte leicht mit der Machtergreifung eines bürgerlichen Diktators enden können wie im spanischen Bürgerkrieg, wo Stalin eine ganz ähnliche Politik diktierte.

Der andere Weg Chinas begann damit, dass Mao Zedong in Bauerngebiete auswich, und dort eigene befreite Gebiete gestützt weitgehend auf Bauern ausrief. Der legendäre LANGE MARSCH folgt noch einmal der selben Taktik, mit ungeheuren Opfern.

In dieser Zeit entstanden die ersten grundlegenden Schriften “Über die Praxis- und “Über den Widerspruch-. Ein besonderer Vorzug Bökes besteht darin, dass er diese nicht einfach als zeitlose Klassiker behandelt, sondern in die taktischen und strategischen Bewegungen der jeweiligen Politik einbezieht.

“Über die Praxis- sollte später in der deutschen marxistischen Tradition die größte Wirkung bekommen. Lukacs hatte in “Geschichte und Klassenbewusstsein- mühsam, hochtheoretisch und wahr entwickelt, dass ab Kant in der deutschen Philosophie Erkennen und Handeln einander hilflos und unversöhnt gegenüberstanden. Was Kant in der “Kritik der Reinen Vernunft- als Prinzip herausgearbeitet hatte, nahm er in der “Kritik der praktischen Vernunft- zurück. Maos Satz in all seiner Schlichtheit -Willst Du den Geschmack einer Birne kennenlernen, musst Du sie verändern, das heißt, in deinem Mund zerkauen- (S32), schien das Problem aufs einfachste zu lösen. So unmittelbar, so klar. Es klang nach Johann Peter Hebel und seinen bäuerlichen Merke-Sätzen und überholte doch ein Jahrhundert bürgerlichen Grübelns. Freilich kamen sofort einige Kritiker geschlichen und forderten auf, doch mal in den “Mehrwert- zu beißen oder in die “Kapital-Akkumulation- . Da hieß es gleich wieder die Aussage weiterentwickeln.

Henning Böke weist der Schrift “Über den Widerspruch- noch größere Bedeutung zu. Mao erkennt nicht die Lehre von den ein für allemal dominierenden kämpfenden Gegensätzen zwischen “Produktionsverhältnissen und Produktivkräften- an - auch nicht die von “Bourgeoisie- und “Proletariat-. Gerade damit gewinnt er Freiheit zur Untersuchung der eigentümlichen Beziehungen zwischen Schichten und Klassen innerhalb der damaligen Bauerngesellschaft unter dem Druck des japanischen Imperialismus und einer von diesem abhängigen sogenannten “Kompradoren-Bourgeoisie- (Schmarotzende Anhängsel der Interessen der Besatzer).

Wichtig bei Mao für die weitere sozialistische Bewegung: strenges Weitergehen bis hin zu solchen Widersprüchen, die nicht unmittelbar aus der Produktion entspringen. Schon dass die Arbeit nach dem Ende des Fordismus die Fabrikhallen weitgehend verlassen hat (und das begann sich ab 1973 abzuzeichnen - und galt in China schon vorher), zeigt, dass andere Gegensätze zeitweise dominieren und sogar die Gestalt eines antagonistischen Widerspruchs annehmen können, das heißt eines innerhalb des gegebenen Systems unversöhnlichen und nur durch dessen Sprengung zu lösenden.

Die Unterscheidung von Haupt- und Nebenwidersprüchen hat im Westen viele protestieren lassen. So war in ML-Gruppen der BRD zeitweise davon die Rede, dass der Geschlechtergegensatz “nur- ein Nebenwiderspruch sei, zum schärfsten Missvergnügen der Frauenbewegung. Dass nach Mao die Widersprüche die Rolle tauschen können, der ehemalige Neben-Widerspruch zum Hauptwiderspruch werden, wurde dabei gern übersehen. Auch dass in China die KP sich stark für die Befreiung und Einbeziehung der Frauen gemacht hatte, von Anfang an, wurde kaum zur Kenntnis genommen.

Mittels seiner Lehre von den wechselnden Widersprüchen gelingt es Mao, einer von außen teilweise sprunghaft wirkenden Politik trotzdem das stete Bewusstsein inneren Zusammenhalts zu verschaffen. Über alle Wandlungen hinweg.

Henning zeigt solche Sprünge und Wechsel in der Poliitik des “Großen Sprungs- selbst, in der Kampagne -Lasst hundert Blumen blühen-, und besonders auffällig in der heute oft als Verbrechen hingestellten “Großen Kulturrevolution-.

Es würde zu weit führen, die ganze chinesische Revolutionsgeschichte nachzuerzählen, die Böke in seinem schmalen Buch noch einmal durchsichtig macht, selbst für solche, die sie seinerzeit in gepeinigtster Aufmerksamkeit verfolgten.

Böke zeigt, dass insgesamt und immer neu für Mao und die Gruppe um ihn die Sorge im Vordergrund stand, auf dem sowjetrussischen Weg die endgültige Befreiung der Menschen zu verfehlen. Und der Wille, einen solchen Torkelpfad den Abhang hinab nach Kräften zu vermeiden.

Der für heutige Leser fast scholastisch klingende Streit, was zuerst da sein müsse und deshalb vordringlich zu fördern sei -andere Produktionsverhältnisse oder erweiterte Produktivkräfte- wurde von den “Maoisten- nicht als einer um Huhn oder Ei abgetan. Eindeutig wurde geantwortet: Die Produktionsverhältnisse stehen an erster Stelle, und damit die Massen ergreifende, von ihnen weitergetragene Politik. Der “Tonnenideologie- (der Ausdruck kam wohl damals auf) und dem “Gulaschkommunismus- des Ostblocks erteilte Mao Zedong noch in seinem letzten veröffentlichten Gedicht eine erbitterte Absage.

Damit musste das Bewusstsein der Massen - antiquierter dennoch wahrer Ausdruck - in den Vordergrund treten. Das von außen gesehen Verblüffende: es kam zu Kampagnen, in denen millionenweise etwa “Bürgerkrieg in Frankreich- gelesen wurde, um sich mit dem Konzept der Kommune 1871 vertraut zu machen. Alle Prediger der langsamen, aber friedlichen Umwandlung der Welt durch Aufklärung im Sinne eines Habermas im Westen haben genau das nie erreicht - massenhafte Bewegungen zum Lernen, zum Anwenden, zum Selberdenken. Praxisbezogene Theorie. Gerade das - und dass es das gab, ist unbestreitbar - traf uns vergrämte Schulmeisterinnen und Schulmeister ins Herz, uns mit unseren Ermunterungen zur Selbsttätigkeit, die unter den gegebenen Verhältnissen immer neu an felsigen Ohren strandeten. Der Lehrer sagte: Denk selber - das Pult, das Klassenzimmer, das Schulgebäude, die zu erwartende Behandlung der Sache in der Klassenarbeit, das Abitur. Alle schrieen jedes Mal im Chor ihr: Nein.

Gewiss haben vor allem die “Vier- (Viererbande mit dem Ausspuckwort, auch wenn der Ausdruck vom Vorsitzenden selbst stammen sollte) in der Richtung des Schulmeisterlichen übertrieben: etwa im Wettern gegen Beethoven. Nicht so im Angriff gegen Kung Futse (Konfuzius), den Ideologen der großen Ordnung und der klaglosen Einfügung in diese. Böke zeigt am Anfang, wie konfuzianische Unterwerfung unter Autorität die befreiten Bauern so in den Krallen hielt, dass sie - als von der Revolutionsregierung die Pachtzinsen gesenkt wurden -, heimlich den Grundherren den ihnen ja “zu Recht- zustehenden Restanteil zahlten.

Schlimmer noch: in der Haltung des Konfuzianismus verwandelten sich auch die Lehren von Marx und Mao sofort wieder zu ewigen Lehrsätzen. Zum Auswendiglernen und Nachbeten. Also Metaphysik ohne Kritik. Ungefähr das Schlimmste, was sich westliche Schulangestellte ausdenken konnten, vor allem nach Berührung mit Schulaufsehern aus der DDR: ein Oberschulamt mit hergebrachter Unterdrückungsabsicht, aber kraft flüchtiger Berührung marxistischer Lehren mit links anerkannten niederschmetterndsten Argumenten.

Die furchtbaren Kämpfe in der Kulturrevolution, mit all den öffentlichen Erniedrigungen, die keiner von uns hätte mitmachen wollen, hatten doch nie zu solchen Prozessen wie in der Stalinzeit geführt. Wo etwa ein Bucharin nicht wegen seiner ehemaligen Politik der Bevorzugung der Leichtindustrie angegriffen, sondern wegen geheimnisvoller und unmöglicher Verschwörung mit Trotzki verurteilt wurde. Zur bessern Fasslichkeit für das zu erziehende Publikum der Sowjet-Bürokratie. Bis zum Sturz der “Vier- ist es meiner Erinnerung nach nie soweit gekommen, dass das Proletariat und die Bauern angelogen wurden, um dadurch zu ihrer Diktatur fähig zu werden.

Kaum war Mao tot, wurde sofort zu diesem Mittel gegriffen, vor allem mit offenen Erfindungen gegen die Frau Maos und alle Protagonistin der Kulturrevolution. Wie: seine Frau hätte den todkranken Mao zu oft im Bett herumgedreht. Und, um dem bäuerlichen Puritanismus entgegenzukommen: sie hätte unsittliche Verhältnisse gehabt und geschlitzte Kleider getragen. Dass sie wirklich innerlich zerrissen war, und sich an Garbo-Filmen ersättigte, für die nach ihr die “Massen- noch nicht reif waren, ist kein Verbrechen, sondern individuelle “Neurose-, wie Böke es nennt. Auf keinen Fall ein Argument gegen eine ganze politische Linie.

Böke verwendet für das, was nach der Rückkehr Teng Hsiao Pings geschah, nicht den Ausdruck Konterrevolution. Mit berechtigten Gründen: es konnte nicht alles zurückgenommen werden, was die Revolution gebracht hatte. Auch verbietet sich Böke den Begriff des Verrats. Der wiederaufgestandene Machthaber Deng Hsiai Ping hatte nie etwas anderes versprochen, als was er dann tat, also auch keine Versprechen verraten und gebrochen. Allerdings, die Vorgänge am Tienamen-Platz 1989, als die Rote Armee gegen Demonstranten vorging, zeigen deutlich: die Rolle der Roten Armee muss sich unter dem neuen Regenten ums Ganz geändert haben. Bis dahin stand sie im unerschütterten Ruf, Unterstützerin der Massen zu sein. Es soll vorher mehrere vergebliche Versuche gegeben zu haben, die Armee einzusetzen! Wieviel Lügen wurden aufgewandt, um am Ende doch ein solches Gemetzel herbeizuführen? (Böke betont, dass es sich 1989 nicht um eine reine Studentenbewegung handelte. Es waren sicher viele Arbeiter beteiligt. Entscheidend auch nicht, dass die verschwommenen Ziele der Gruppe um die Freiheitsstatue Amerikas vermutlich eingeflüstert worden waren von den späteren Initiatoren der samtenen, rosafarbigen, safranigen oder orangenen Revolution. Mao hätte vermutlich geurteilt, dass man die Widersprüche im Volk nicht hätte so weit sich entwickeln lassen dürfen, dass Teng Hsiao Pings und seines gleichen den Anschein eines Kampfes “zwischen uns und dem Feind- am Ende herstellen konnten).

Äußerlich gesehen - nach dem Triumphzug des “MACHTHABERS AUF DEM KAPITALISTISCHEN WEG- - wirkt das Fazit niederschmetternd: es gibt anscheinend keinen anderen Ausgang als den hin zum Kapitalismus in all seinen brutalen Erscheinungsformen. Alles Aufbäumen dagegen führt nur zu schmerzhaften Umwegen, nicht auf anderes Gelände. Böke weist darauf hin, dass die Kapitalisten, wenn sie unter sich sind, genau das wiederholen: der Weg hin zum Kapitalismus, wie ihn Max Weber beschrieben hat, ist ohne Alternative.

Ob die Kapitalisten, die das so hinstellen, das Totalitäre dieses Wegs erkennen oder nicht - es hat tatsächlich bis jetzt auf lange Sicht nur den Triumph der Unterdrücker gegeben, den der Unterdrückten immer nur für kurze Zeit. In China immerhin von 1949 bis 1976.

Ist das das letzte Wort? Dann wäre es das auch für solche, für uns, die dem Vorsitzenden einmal auf seinem Weg hatten folgen wollen! Alles nur Irrtum, ja Irrsinn, vergeudete Zeit und Anlass zu fruchtloser Reue - nein: Trauerarbeit, wie ehemalige KBWler - etwa Altmeyer - das zu nennen belieben?

Solchen Anhängerinnen und Anhängern in der BRD widmet Böke nur einige Seiten. Mehr Begeisterung entwickelt er für die ML-Bewegung in Frankreich - in ihren verschiedenen Ausprägungen.

Geblieben sind immerhin einige Erkenntnisse, für uns die Geschlagenen und für ein nächstes Mal. Böke bezieht sich dabei vor allem auf die Arbeiten von Althusser in dessen letzter Schaffensperiode. Althusser greift genau die Lehre Maos von den wechselnden Widersprüchen auf, die ihre Stelle wechseln können. Damit verwirft Althusser vor allem das faule und lähmende Bewusstsein der zweiten und der dritten Internationale: Wissenschaftliche Begründung des Marxismus bedeute: man habe den Sieg in der Tasche. Marx habe den Ausgang der Geschichte aufgrund des sich zuspitzenden Hauptwiderspruchs zwischen Bourgeoisie und Proletariat vorhergesagt. Ob schnell, ob langsam: wir wissen, was kommt. Und brauchen deshalb auch gar keine großen Anstrengungen dafür, dass es geschieht.

Absichtlich unterschlägt Althusser das Element des Schein-Zukunft-Wissens, das sich selbst bei Mao noch findet. Er arbeitet bei ihm im Gegensatz dazu heraus das Element des bewussten Wollens, des - auch subjektiven - Aufbäumens gegen Verhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein verächtliches Wesen ist. Revolution ist ab jetzt nur als Arbeit von Holzfällern vorstellbar, im Unterholz, ohne Wegekarte.

Von da aus weiterschreitend müsste nach den Erfahrungen mit dem Niedergang der Sowjetunion und den neuerlichen in China mit dem Absinken zu kapitalistischer Pressung und finanziellen individuellen Anreizen die Erkenntnis hinter die Ohren geschrieben werden “auf ewig-: dass die bloß quantitative Steigerung und Intensivierung der Produktion von allein keine Sprengwirkung unter den Produzenten erreicht. Ob nach Planziffer berechnet oder als Profitkoeffizient: gerade die Ausrichtung dorthin fördert auf die Dauer nichts als Automatisierung nicht nur der Produktion, sondern auch des nachtrottenden Produktionsarbeiters.

Letzte Schlussfolgerung - es müssen bei jeder künftigen politischen Bewegung sämtliche Widersprüche, die bisher schon im Kampf auftauchten, auch in die Theorie aufgenommen werden. Um nur beim KBW zu bleiben: so intensiv der Einsatz dieser Gruppe war schon in Wyhl, bei Startbahn West, um Grohnde und Brokdorf, beim Straßenbahnkampf, in der Auflehnung gegen Unterdrückungen aller Art - wir hatten bei alledem immer das traurige Gefühl, nicht bei den “eigentlichen- “Klassenkämpfen- mitzumischen - denen in der Fabrik.

Dass zum Beispiel viele der außerfabriklichen Kämpfe auch solche um Naturressourcen und damit um die Reproduktion der Arbeitskraft im weitesten Sinn gewesen waren, wir gestanden es uns damals nicht ein und sanken allmählich zusammen. Wir hatten an entscheidenden Auseinandersetzungen teilgenommen und es nicht gemerkt.

Notwendige weitere Lehre: es muss gekämpft werden können ohne Prophet und Prophezeiung. Beim KBW war die subjektive Anstrengung, so nötig sie war, so überwältigend, dass sie nur ertragen werden konnte im Licht der Voraussage: in soundsoviel Jahren, zuletzt wohl zehn, hat die Revolution gesiegt. Ohne solche Garantiezettel, gleichsam ins Offene sich einsetzen, auch auf Terrains, die zunächst als Teilgebiete erscheinen: das wäre eine weitere wichtige Konsequenz aus der Niederlage auch der chinesischen Revolution.

Und schließlich hieße es wohl, eine Weisung Walter Benjamins der religiösen Hülle entkleiden. Wenn er sagt, man müsse um der geschändeten Vorfahren willen sich erheben, nicht für das Glück der imaginären Enkel, müsste das übersetzt werden: es muss im Bewusstsein der Niederlagen der Kampf angetreten werden, im schärfsten Blick auf die Entstellungen, die bisherige Revolutionäre sich antaten, um ein Jahr oder fünf Jahre oder gar zehn weitermachen zu können. Gerade nicht im fahlen Schein der guten Vorsätze, wir würden im Neujahrschnee anders an die Sache herangehen. Nein, in der Gewissheit, dass unsere Züge nicht weniger entstellt, unsere Hände nicht weniger schmutzig sein werden als die jener, die uns vorangegangen. Aber mit dem kleinen Unterschied, dass wir aufeinander achten wollen, aufpassen, wann es mit uns so weit ist, dann die Narben und Wunden nicht verstecken und zudecken, sondern offen ins Licht halten. Licht der Diskussion, der Überlegung, unter Umständen sogar in der Konsequenz der Notwendigkeit des Rückzugs, ja des Aufhörens.

Soviel und keineswegs umfassend zu Bökes Buch über eine Zeit, die dann die fruchtbarste für künftiges Vorgehen sein wird, wenn sie - wie hier - dem Vergessen und der hochnäsigen Verachtung entrissen wird. So wie sie uns jetzt schon in Zeiten der kämpferischen Hoffnung zurückgeleitete, ohne Verklärung, aber im harten und genauesten Novemberlicht.


"Maoismus: China und die Linke Bilanz und Perspektive"
1. Auflage 2007
215 Seiten, kartoniert
ISBN 3-89657-596-1
10,00 EUR

Buchvorstellung "Das Schlachten beenden" und Einweihung des neuen Raums der TiRS

Seit den 1980er Jahren entstand eine neue Jugendszene, die eine Kultur veganer Lebensweise und damit verbundener direkter Aktionen für Tierrechte praktiziert (z. B. Kampagnen gegen Pelze, gegen die Hetzjagd in England usw.). Der vegetarische/vegane Lebensstil wurde zu einem festen Bestandteil von Jugendszenen, autonomen Gruppen im Umfeld des gewaltfreien Anarchismus und bei Treffen und Aktionscamps.

Etwa so leiten Lou Marin und Johann Bauer das Buch ein in dem sie Texte von Leo Toltstoi, Elisee Reclus, Magnus Schwantje, Clara Wichmann und des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds in einen Kontext setzen und mit Hilfe dieser die verschiedenen sozialen Bewegungen und die jeweiligen Begründungen für eine vegetarische/vegane Lebensweise vorstellen.

Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, Lou Marin bei seinem Vortrag über das Buch "Das Schlachten beenden!: Zur Kritik der Gewalt an Tieren. Anarchistische, feministische, pazifistische und linkssozialistische Traditionen" zuzuhören und anschließend zu diskutieren. Nach der Diskussion findet ein Sektempfang zur Einweihung des neuen Raumes der TiRS statt - wozu ebenfalls herzlich eingeladen wird.

Am Donnerstag den 9. Juni 2011

• Buchvorstellung "Das Schlachten beenden" um 19Uhr

• Einweihung des neuen Raumes der TiRS ab 21Uhr

Im linken Zentrum Lilo Herrmann Böblingerstrasse 105, 70199 Stuttgart

Mehr Informationen: TiRS

Bewegte Blicke

ak wantok (Hg.)
Perspektiven autonomer Politik

Im Sammelband wird umfassend und abwechslungsreich der Ist-Stand der autonomen Bewegung im deutschsprachigen Raum nachgezeichnet.
Widerstände haben unterschiedliche Inhalte, Ausdrucksformen und Zielsetzungen. Anhand der Geschichte der radikalen Linken lässt sich zeigen, wie je nach Wissenstradition und Positionierung scheinbar entgegenstehende Wege betreten wurden. Eine häufig gestellte Frage seit jeher war die nach der Organisationsform: Partei oder Bewegung? Die Konfliktlinien verlaufen keineswegs nur entlang der Grenze von „Traditionsmarxismus“ und Anarchismus. In Deutschland entstand aus den Erfahrungen der Siege und Niederlagen um 1968 und unter dem Eindruck internationaler Kämpfe in den 1970er und 1980er Jahren die sogenannte Autonome Bewegung. Sowohl im Mainstream als auch bei manchen radikalen Linken werden seitdem Zerrbilder dieser Bewegung gezeichnet und nachgebildet. Die Klischees änderten sich mit der Zeit: Aus Terroristen wurden Hausbesetzer, bevor sich alle anschließend im schwarzen Block wiederfanden.

Der vom AK Wantok herausgegebene Band „Perspektiven autonomer Politik“ räumt mit diesen Bildern auf und zeigt das umfassende Spektrum an Themen auf, um die sich die vergangenen und aktuellen Diskussionen drehen. Die Themen der über 50 Texte reichen von „Politik und Alltag“, „Freiraumpolitik“, „Organisationsformen“, „Taktiken“, „Internationalismus“ bis hin zu bekannten und mittlerweile meist nur noch gähnend langweiligen Debatten zwischen „Anti-Imps“ und „Anti-Deutschen“. Gestaltet sind die einzelnen Beiträge zudem nicht vom AK Wantok allein, es kommen in Interviews zahlreiche Aktivist_innen zu Wort. Diese Perspektivwechsel belegen eines: Autonome Politik ist vielseitig und nicht auf wenige Punkte zu begrenzen. Die Herausgeber_innen stellen in der Einleitung klar, die Auswahl der Themen „hätte zweifelsohne eine andere sein können“ (S. 13). Es gelingt ihnen dennoch einen umfassenden Blick über die Trümmer und Errungenschaften der Bewegung und den Ist-Stand zu offenbaren. Sie widerstehen glücklicherweise der Versuchung, eine Definition vorzunehmen, denn „einheitliche Glaubensgrundsätze autonomer Politik hat es noch nie gegeben, und das macht einen großen Teil der Attraktivität und historischen Stärke der Bewegung aus.- (S. 8) Als gemeinsamer Bezugspunkt könne dennoch ein libertär linkes Grundverständnis, das auf individuelle und kollektive Freiheit abzielt, betont werden.

Es liegt auf der Hand, dass es bei den Kämpfen für Freiheit, Solidarität und Selbstbestimmung nie nur um Praxis oder Theorie geht. Dennoch zieht sich die Frage nach dem Zusammenhang von Theorie und Praxis durch den Band. Wolf Wetzel (L.U.P.U.S.-gruppe) meint zur Rolle der Theorie, dass eine Analyse nicht dazu da sei, „die Wahrheit gefunden, sondern einen Faden gelegt zu haben, an dem man sein Tun ausrichtet“ (S. 26). Er kritisiert das gegenwärtige Verhältnis von Theorie und Praxis und beschreibt diese als „zwei völlig fremde und selbstverliebte Universen“ (S. 30).

Antirassistische und antisexistische Praxen


Dieses Problem zeigt sich zum Beispiel beim Thema Rassismus. Dort hat sich vor allem im universitären Rahmen in den letzten Jahren mit der Kritischen Weißseinsforschung einiges innerhalb der Linken getan. Problematischerweise wird kaum über diesen Rahmen hinaus agiert, was auch Katrin Landesfeind in einem Interview thematisiert. Die Aktivistin Verena schildert in einem Gespräch außerdem sehr anschaulich, wie sich institutionalisierte antirassistische Lohnarbeit mit autonomer Politik verbinden lässt -“ und wo die Grenzen liegen. Der Reformismus-Vorwurf, der bei der Arbeit in breiten Bündnissen hin und wieder aufkommt, sei eine „unproduktive Dichotomie“, denn realpolitische Kampagnen wie die gegen die Residenzpflicht seien „kein Gesichtsverlust, kein Eingeständnis an den Staat und Verlust radikaler Ideale. Es ist Solidarität. Wie kann so etwas im Gegensatz zu radikaler Politik stehen?“ (S. 298) Außerdem werden in dem Antirassismus-Kapitel zwei Texte der Antifa Genclik aus den Jahren 1989 und 1995 dokumentiert. In letzterem reflektiert das Gründungsmitglied Ercan Yasaroglu die Gründe für die Auflösung der Gruppe. Das Papier zeigt, wie notwendig Reflexionen innerhalb der weiß-dominierten autonomen Bewegung sind. In einem das Kapitel abschließenden Gespräch machen drei migrantische Aktivist_innen auf strukturelle Probleme innerhalb der autonomen „Szene“ aufmerksam. Auf die Frage, warum die „Szene“ so weiß sei, wird z.B. darauf verwiesen, dass es sich vornehmlich um ein „sozial-strukturelles und subkulturelles Problem“ handele (S. 320). Die „Szene“ sei an vielen Orten sehr homogen und klein, was den Einstieg problematisch mache. Außerdem sei oft eine eurozentristische Sichtweise vorzufinden.

Im Kapitel Geschlechterverhältnisse / Sexualität wird -“ der auch bei radikal Linken vorhandene -“ Sexismus diskutiert. Es geht beispielsweise um Paternalismus, der die Aktivist_innen immer wieder vor die Frage stellt, welche Rolle Männer in Frauenpolitik spielen sollen und können. Oder die Frage der Definitionsmacht -“ dem Recht der Betroffenen sexualisierter Gewalt zu definieren, was sexualisierte Gewalt ist -“ zu dem es laut dem AK Wantok „einfach keine Alternative gibt.“ (S. 124) Auch der Vorwurf der Identitätspolitik von feministischer Arbeit, der häufig aus queeren Zusammenhängen fällt, wird unter mehreren Gesichtspunkten vor allem vom Antisexismusbündnis Berlin betrachtet. Die Infragestellung und Dekonstruktion binärer Geschlechternormen sei zwar ungemein wichtig, aber es wäre „Quatsch zu behaupten, dass Geschlechterkategorien mitsamt ihrer macht- und gewaltvollen Dimension keine Rolle spielen.“ (S. 149) Konsens aller Beiträge ist, dass der antisexistische Kampf nicht nur nach außen, sondern auch nach innen wirken muss -“ reflexiv und solidarisch.

Kapitalismus und Metropolen


In den beiden Kapiteln zu Antimilitarismus und Antikapitalismus zeigt sich, wie sich unterschiedliche Ansätze im Kampf gegen Prekarisierung und Militarisierung herausgebildet haben. Ein Verwerfen der Theorie des Hauptwiderspruchs, nach der die Ökonomie die Ursache allen Übels ist, führte nicht dazu, dass die Kritik am Kapitalismus in der autonomen Bewegung keine Rolle mehr spielt. Selbst wenn die Grenzen der Autonomie auch mal strapaziert werden -“ wichtig ist auch hier Vernetzung und praktische Solidarität.

Neben diesen erwartbaren und dennoch nicht langweiligen Feldern, finden sich im Buch Themen, die bisher wenig Berücksichtigung in den einschlägigen Zeitschriften und Diskussionszirkeln fanden. Besonders empfohlen sei an dieser Stelle das Kapitel zur Metropolenpolitik. Anhand mehrerer Interviews mit Menschen, die die Bewegung sowohl aus städtischen wie aus ländlichen Wohnzusammenhängen kennen, wird deutlich, dass autonome Politik auf dem Land spezifischer an die Lebensbedürfnisse anknüpft. Hier kann autonome Arbeit direkt die kollektiven und individuellen Bedürfnisse erfüllen und alltagssolidarische Netzwerke sind mitunter unabhängiger. Im Gegensatz zum Leben in der Stadt ermöglicht das Landleben eher direktere Kommunikation mit Menschen außerhalb der bekannten Kreise, wodurch linke Themen breiter platziert werden können. Außerdem werden Erfahrungen von Menschen geschildert, die vom Land in die nahezu mystifizierten „Szenen“ in den Städten eintauchen wollten und sich mit Verschließungen und „metropolenautonome[r] Szenearroganz“ (S. 162) konfrontiert sahen.

Positionen und Perspektiven


In der Einleitung wird ein ursprünglich 1981 in der radikal erschienenes und 1995 überarbeitetes Thesenpapier dokumentiert, in dem versucht wurde, eine Positionsbestimmung der autonomen Bewegung vorzunehmen. Demnach gehe es beispielsweise um eine Politik der ersten Person (Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung), den Zusammenhang von Reform und Revolution, die Aufhebung der entfremdeten Arbeitsverhältnisse, die Herstellung von Gegenmacht sowie um Freiräume, Reflexion und die Abkehr von parteiförmigen Organisationsstrukturen und den Staat als positiven Bezugsrahmen. Am Schluss des Sammelbands präsentiert der AK Wantok „21 Thesen zur Zukunft der autonomen Bewegung“. Diese können als Erweiterung des Thesenpapiers von 1981/1995 gelesen werden. Die Herausgeber_innen appellieren für den Aufbau und den Erhalt von autonomen Strukturen, da dies Orte für „subversive Gegensubjektivierung“ seien (S. 402). Die eigene Homogenität, die sozialen Positionen und Privilegien müssten hinterfragt werden, um sich öffnen zu können und um Unterdrückungsverhältnisse wie Sexismus und Rassismus auch innerhalb der autonomen Bewegung bekämpfen zu können. Ebenfalls viel Raum wird der Unterschiedlichkeit eröffnet:

„Fatal für eine undogmatische radikale Linke wäre eine Gegennormierung, die ebenso wie gesellschaftliche Normierung Gewalt ausübt. Wollen wir nicht nur den König vom Pferd ziehen, sondern auch das Pferd befreien, kann es nur um Pluralisierung, Perspektivierung und Entideologisierung gehen.“ (S. 403)

Das beinhalte eine Abkehr von Ein-Punkt-Politik. Vielmehr sollte es darum gehen, die verschiedenen Unterdrückungsverhältnisse zusammen zu denken und deren gegenseitige Stützen und Verschränkungen zu analysieren und zu bekämpfen. Dazu gehöre auch, das gemeinsam erarbeitete Wissen weiterzugeben -“ ohne einem Wahrheitsanspruchs zu erliegen. Bei der Weitergabe von Wissen und in den laufenden Diskussionen sollte sich um einen intellektuellen Diskurs bemüht werden, wobei die sprachlichen Zugangsbarrieren so niedrig wie möglich gehalten werden müssten. Doch -“ so wird schließlich festgestellt -“ seien Thesen bedeutungslos, „wenn sie keinen realen Ausdruck finden. Dies ist als Aufforderung zu verstehen. Eine Bewegung, die sich bewegt, wird weitergehen!“ (S. 406)

Das gezeichnete Bild der autonomen Bewegung lässt sich aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Vielleicht erscheint es für manche schief, für andere verschwommen, von manchen Seiten farblos, von der entgegengesetzten Seite knallbunt. Perspektiven autonomer Politik zeigt offensiv und in sehr verständlicher und ansprechender Weise Facetten der Geschichte und Gegenwart autonomer Politik auf. Zukunftsgerichtete Perspektiven werden jedoch nur angedeutet. Perspektiven also eher im Sinne der Bedeutung „Hindurchsehen“ und „Hindurchblicken“ verstanden. Fokussiert werden die unterschiedlichen Blickwinkel und Sichtweisen innerhalb der autonomen Bewegung, womit zugleich deren Stärke dargestellt wird. Durch eine Sensibilität für die verschiedenen Perspektiven und Schwerpunktsetzungen und der Schärfung der Verbindungslinien zwischen den Themen eröffnen sich Räume für gemeinsame Widerstände -“ oder wie es in den 21 Thesen angedeutet wird: Es geht darum, „Widerstandsnetze“ zu knüpfen (S. 404). Dieser Blickwinkel zieht sich durch den Sammelband und macht Perspektiven autonomer Politik auch deshalb sehr lesenswert. Vor diesem Hintergrund erscheint das Risiko der Kanonisierung, des Festschreibens der Themen der Bewegung, abgemildert. Dem AK Wantok geht es „nicht darum, Wahrheiten zu verbreiten, autonome Politik oder Identität zu normieren, sondern konkrete Vorschläge zur Diskussion anzubieten“ (S. 13). Das ist mehr als gelungen, denn eines könnten die verschiedenen Perspektiven und individuellen Blicke gemeinsam haben: Die Blickrichtung -“ und die Erkenntnis, dass hinter scheinbar Statischem wirbelnde und wuselnde Dynamiken sichtbar werden können. Solange nur alles in Bewegung bleibt.

ak wantok (Hg.) 2010: "Perspektiven autonomer Politik". Unrast Verlag, Münster.

ISBN: 978-3-89771-500-4. 400 Seiten. 18.00 Euro.

Erstveröffentlichung durch Andrea Strübe und Sebastian Friedrich unter kritisch-lesen.de Nr. 2

Michael Bubacks Weg vom Staatsvertrauen zur Erkenntnis böser Hintergründe

Schon vor seinem Buch hat Buback Junior viel Aufsehen erregt mit seinen Beiträgen im Fernsehen und in Zeitschriften zu den ungeklärten Problemen beim Attentat auf seinen Vater Ostern 1977. Sein Auftreten wurde aufgegriffen und ausgenützt für eine Kampagne zur restlosen Aufklärungspflicht der ehemaligen RAF-Angehörigen über ihre eigenen Taten und die aller anderen Angehörigen der RAF. Sonst am besten gar keine Haftentlassung zu Lebzeiten. Davon findet sich im Buch selbst kaum noch etwas. Vielmehr stößt Buback junior im Buch zu der richtigen Forderung vor, dass die Strafbehörden, wenn sie schon Täter verfolgen, das so tun sollten, dass die Vergangenheit erhellt wird, ohne dass die Täter eine moralische Super-Übung zu absolvieren haben.

Buback, von Haus aus Naturwissenschaftler, stößt am Anfang nur auf Ungereimtheiten bei der Darstellung der Vorgänge, die zum Tod seines Vater führten. Er beteuert zu Beginn immer wieder sein kindliches Vertrauen in die Behörde seines Vaters, die Bundesanwaltschaft. Juristische Details sind ihm zu Beginn fremd. So erfährt er erst im Gespräch mit Boock, dass Mord seit mindestens dreißig Jahren nicht mehr verjährt.

Die ganze breite Literatur über RAF und Terrorismus scheint ihm am Anfang unbekannt. So kommt er erst im Lauf des Buches darauf, dass sein Gewährsmann Boock sich im größten Konflikt befindet mit den meisten der übrigen Ex-RAF-Mitglieder und als Phantast bis Lügner verschrien ist. Nicht zu Unrecht, was natürlich nicht ausschließt, dass er fallweise auch einmal wirkliche Kenntnisse weitergibt.

Eben dieser Boock verrät Michael Buback, dass gerade Klar wegen geringer Schießausbildung gar nicht auf dem Motorrad sitzen durfte, sondern allenfalls im Fluchtwagen. Außerdem sei auch der gerichtlich verurteilte Knut Folkerts nicht beteiligt gewesen. Dafür nennt Boock als wirklichen Täter Wisniewski. Dieser scheidet aber als Schütze aus, der vom Soziussitz des Motorrads hätte schießen können. Etwa auch, weil er seiner Statur nach den Zeugenaussagen nicht entspricht.

Michael Buback durchschaut zunächst nicht das Schema der Verurteilungen in Stammheim und anderswo. Nach der Reform des Paragraphen 129 zu 129a genügte dem Gericht normalerweise der Nachweis, dass jemand in “einer terroristischen Vereinigung- -“ in dem Fall also der RAF -“ tätig geworden war, um dieser einen Person vollkommene Mitwisserschaft und ein gemeinsames Wollen jeder Straftat zuzuschreiben, die von der Gruppe aus begangen wurde. So dass eine Verurteilung immer auch ohne größere Beweismühen möglich war und auch erfolgte.

An dieser Pauschalisierungstechnik stößt sich Michael Buback, ohne sie genau zu erkennen und zu benennen. Er möchte den bestimmten Täter -“ oder die Täterin -“ kennen, der/die auf seinen Vater, Chauffeur und Beifahrer geschossen hatte. Kam es Polizei, Bundesanwaltschaft und den Gerichten wesentlich darauf an, mehr oder weniger Verdächtige nachhaltig wegzusperren, so verlangt Buback altertümlicherweise einen vollkommenen Wahrheits- und damit Schuldbeweis.

Das wirft ihm Peter Chotjewitz in seiner Besprechung in KONKRET vor allem vor:

-Nur ein Gedanke scheint ihm [Buback] nicht zu kommen. Dass es allen schnurzpiepe war, wer die Tat begangen hatte. Hauptsache war, dass jeder, der mit der RAF irgendwie maßgeblich verbandelt war, verknackt wurde. Nur zu diesem Zweck wurden Indizien gefälscht, Beweise gezinkt, Kronzeugen erpresst.- (Konkret 2/2009, S. 29)

Chotjewitz setzt hier als bekannt voraus, was sich einem Buback erst mühsam entschlüsselt. Insofern enthält Bubacks umständliche Herangehensweise trotzdem einen eigenen Erkenntniswert. Bubacks Buch ließe sich als “negativer Entwicklungsroman- verstehen -“ der Verlaufslinie nach etwa wie Flauberts “Education sentimentale-, natürlich nicht nach dem literarischen Niveau.

Michael Bubacks Ausgang vom vollsten Vertrauen in Papas Behörde über beginnendes Misstrauen zu schließlich trauriger Gewissheit, dass nicht alles so rechtlich zugeht, wie er es gern hätte, zeichnet denen einen Weg vor, die ähnlich treuherzig sich in “ihrem- Staat geborgen fühlen möchten, so lange es eben geht.

Und eines kommt hinzu: Die Pauschalbehandlung aller RAF-Angehörigen trifft auf eine Person gerade nicht zu -“ Verena Becker. Sie wird gestellt in Singen, schießt auf -“ angeblich -“ sechs Polizeibeamte, bekommt zweimal lebenslänglich -“ und wird doch schon nach sechs Jahren vom Bundespräsidenten begnadigt. Während ein Klar seine 26 Jahre abbrummt bis zum letzten Tag.

Bekannt war, dass Verena Becker nach der Verhaftung sich ausgerechnet dem Verfassungsschutz an den Hals geworfen haben soll. Sie hätte -“ erst dann -“ ausgepackt in einer Lebensbeichte und bei der Gelegenheit auch Wisniewski als Täter benannt. Nur -“ was Buback in einer präzisen Feinarbeit herausbekam, schon unmittelbar nach der Festnahme in Singen wurde aus den Ermittlungsakten und den Ergebnissen der polizeilichen Spurensicherung alles herausgenommen, was Verena Becker hätte belasten können. Die Zeugenaussagen, die eher auf eine Frau auf dem Sozius hindeuteten, kamen vor Gericht nicht mehr vor. Haar-Untersuchungen unterblieben.

Es würde zu weit führen, das alles im Einzelnen nachzuerzählen. Genug, dass Michael Buback nach präzisestem Quellenstudium zu der Überzeugung, nein Erkenntnis kam, dass Verena Becker von den ermittelnden Behörden systematisch aus der Schusslinie genommen wurde, also “gedeckt- wie der Fachausdruck lautet. Und das alles, bevor sie sich dem Verfassungsschutz in der später zugegebenen Form offenbarte. Also -“ folgert Michael Buback -“ muss Verena Becker als V-Frau schon vorher angeworben worden sein. Er findet auch -“ allerdings schwache -“ Beweise dafür in einem Stasi-Vermerk in der DDR und einer angeblichen Aussage von Inge Viett (S. 220f.).

Wenn Bubacks Annahme stimmt, hätten die Behörden auch noch ihre Teilnahme am Attentat auf Buback senior billigend in Kauf genommen. Die Bundesanwaltschaft hätte -“ auf Druck oder auf Bitten der Dienste hin -“ die Beweislage nachträglich bereinigt. Kritiker Michael Bubacks waren an dieser Stelle schnell mit der Keule zur Hand: Verschwörungstheorie. Wenn es aber geheime Verabredung zwischen Behörden gibt, also Verschwörung, wieso soll dann eine Theorie unerlaubt sein, die davon ausgeht, dass es diese gibt?

Methodisch hätte Michael Buback einen Vergleich anstellen können, um zu überprüfen, ob es solche Verabredungen zwischen den Diensten und der Justiz schon gegeben hat. Das “Celler Loch- erwähnt er nicht, eine Straftat, nur begangen, um einem V-Mann das Vertrauen von einsitzenden Staats-Feinden zu gewinnen. Das Zusammenspiel von Rebmann, noch vor seiner Zeit als Generalbundesanwalt, in Stuttgart mit Diensten, um das Abhören der Zellen der Stammheimer zu ermöglichen, wird an einer Stelle erwähnt, ohne Folgerungen daraus zu ziehen. An den späteren Fall des V-Manns ist zu erinnern, der offenbar den Treffpunkt in Bad Kleinen verraten und die Festnahmen dort ermöglicht hat. Dass die diesen V-Mann führenden Behörden ziemlich weit gingen, und möglicherweise die Sprengung des neuen Knasts in Weiterstadt unter seiner Beteiligung oder zumindest seinem Mitwissen in Kauf nahmen, ist bekannt. Warum sollte es da nicht einen “Deal- zwischen Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft zum Schutz der V-Frau Verena Becker gegeben haben können?

Nächster Einwand gegen Michael Bubacks Vermutungen: Was hätte der Verfassungsschutz von der Führung einer V-Frau gehabt, die nicht einmal vor den größten Anschlägen rechtzeitig warnte. Wir wissen nicht, was Verena Becker verriet, was nicht. Auf jeden Fall fühlen sich die Dienste sicherer, wenn sie auch nur glauben können, sie hätten einen Einflussagenten, der gewisse Entwicklungen nach Staatswunsch hinbiegen könnte. Le Carré, selbst alter Geheimdienstler, schildert in seinem letzten Buch genau solche Versuche, die mit riesigem Aufwand unternommen werden.

Chotjewitz hakt sich an einem weiteren Urteil Michael Bubacks fest. Wenn nämlich Klar gar nicht beteiligt war, wieso hätte er dann schweigend seine 26 Jahre abgebrummt? Laut Buback aus Fanatismus. Das ist natürlich Unsinn. Nur ist schließlich auch Knut Folkerts erst jetzt mit seinem Alibi aus Amsterdam herausgerückt, und hat doch auch die lange Zeit im Knast geschwiegen. Warum? Aus Fanatismus freilich nicht. Er sagt: -Die Justiz ist denkbar ungeeignet, etwas Positives zur Aufarbeitung der Geschichte der RAF beizutragen- (SPIEGEL-Interview, bei Buback zitiert, S.171). Außerdem ging er nach allen Erfahrungen -“ mit Recht -“ davon aus, dass er auf jeden Fall verurteilt würde. In diesem Bewusstsein ist es durchaus möglich, dass auch Klar und andere schwiegen: Sie wussten, es würde keiner den Mut haben, ihnen zu glauben. Man vergleiche nur, wie es Irmgard Möller ging: Ihre -“ in sich schlüssige -“ Darstellung der Todesnacht in Stammheim erschütterte nichts und niemand. Sie wurde mit Schweigen übergangen.

Insofern hat Michael Buback das Verdienst, nicht nur zu zeigen, dass ohnedies alle in einen Sack gesteckt wurden -“ zu dieser Erkenntnis trägt er am wenigsten bei. Er weist gerade umgekehrt nach, dass neben die Bekämpfungsmethode des pauschalen Einsackens immer auch die der Spaltung und des subtilen Eindringens in die Strukturen der Kämpfenden tritt. Sicher: Jeder hätte lieber ein viel kürzeres Pamphlet gelesen, im Stil von Zolas -Ich klage an-. Aber es ist nicht alles immer zugleich zu haben.

In linken und halblinken Kreisen hat sich inzwischen eine Art Müdigkeit und Nicht-Wissen-Wollen eingenistet. Nicht, weil viele glaubten, es hätte sich in Stammheim oder sonstwo alles genau so zugetragen, wie öffentlich dargestellt. Sondern, weil niemand gern in einem Staat leben möchte, in welchem die eigene Polizei und die eigene Staatsanwaltschaft genau das tut, wovon man schaudernd aus anderen Ländern liest. Gerade solche stößt ein Michael Buback in seiner pfotigen, zum Teil ausgesprochen leisetreterischen Gangart auf eine Notwendigkeit: Sich vertraut zu machen mit der Erkenntnis, dass die Seilsicherungen durch den sogenannten Rechtsstaat nicht besonders fest halten. Und dass dahinter von überall her und unversehens die Staatsgewalt zuschlagen und zugreifen kann.

Die Rezension erschien zuerst im Februar 2009 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, ps, 01/2011)

Michael Buback 2008: Der zweite Tod meines Vaters

Verlagsgruppe Droemer Knaur, München.
ISBN: 978-3-426-27489-7. 361 Seiten. 19.95 Euro.

Zwei nachträgliche Anmerkungen: Von der Würdigung der -teilweise - verdienstvollen Nachforschungen Bubacks ist nichts zurückzunehmen. Der Verfasser der Rezension - selbst Sohn eines Generalbundesanwalts - wäre der letzte, einem Sohn die persönliche Beteiligung am Problem zu verdenken.

Nur hat im Laufe des Prozesses Buback sich all zu sehr darauf festgelegt, unbedingt Verena Becker als Haupttäterin als Haupttäterin verurteilt sehen zu wollen. Da freilich hört das Interesse der kritischen Wissbegier der Allgemeinheit auf. Was haben wir alle nachträglich davon,herauszubekommen, wer damals wofür in die Mühle der Justiz geschüttet wurde? Wichtig bleibt nur, was Bubacks Buch schon vor dem Prozess überdeutlich enthüllt hat: dass die Justiz in Stammheim als Erledigungsmaschine gearbeitet hat. In keinem Fall als Instrument der Erkenntnis.

2. Um nachträglich den Eifer zu beweisen, den sie in den Urverfahren nicht zeigten, greifen Staatsanwaltschaft und Gericht nun zu den abstoßendsten und ungeignetsten Mitteln. So werden erneut Personen mit Beugehaft bedroht, von denen zu vermuten ist, dass sie die Aussage verweigern wollen. Aus berechtigten Gründen. Wie von Mohnhaupt, Klar und allen andern kann von niemand anders verlangt werden, selbstlos zur Aufklärung der wissbegierigen Öffentlichkeit beizutragen, wenn er damit sich oder andere ihm verbundene Personen nachträglich neuen Anklagen ausliefert. Beugehaft ist überall anstößig genug, vor allem aber in diesem Fall, wo sie nachträglich den Behörden ein Fleißkärtchen einbringen soll. Denn es spricht viel dafür, dass die Beugehaftverhänger von der zu erzwingenden Aussage absolut nichts erwarten. Auf keinen Fall Erkenntnisgewinn. Allenfalls ein Schulterklopfen von bestimmter Seite. Von der Mehrheit endgültige Verachtung für das Rechtsgewerbe.

Alles was uns fehlt ist die Solidarität

Bündnis für die Einstellung der §129(a)-Verfahren
Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen

Ein Buch zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg).
Am 31. Juli 2007 wurden in einer spektakulären Aktion Axel, Florian und Oliver bei Brandenburg an der Havel und Andrej Holm in Berlin wegen angeblicher Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg) verhaftet.

Bereits im Jahr zuvor begann das Bundeskriminalamt (BKA) mit Ermittlungen und der Beschattung gegen die vier und weitere in den Augen des BKA Verdächtige. Seit 2001 liefen verschiedene Ermittlungsverfahren gegen mehr als ein Dutzend Verdächtige, die jedoch mangels Tatverdacht in den Jahren ab 2008 eingestellt wurden.

Zu Verurteilungen kam es lediglich gegen Axel, Florian und Oliver, wobei der ursprüngliche Vorwurf wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach §129a nicht aufrecht erhalten werden konnte. Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Ende 2007 ist die mg lediglich eine kriminelle Vereinigung, da sie nicht geeignet sei, den „Bestand der Bundesrepublik Deutschland“ zu gefährden.

Das schmale Bändchen Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen: Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg), das vom Einstellungsbündnis jetzt vorgelegt wird, versteht sich nicht als umfassende Auswertung der Solidaritätsarbeit, wohl aber als „Handreichung für alle, die sich mit Antirepression auseinandersetzen, die von Repression betroffen sind oder sein könnten.“

Verbundenheit

Kann es eigentlich distanzierende Solidarität geben? Unweigerlich stellt sich diese Frage. Auch in der Arbeit des Bündnisses gestaltete sich die Antwort darauf sehr kompliziert, je nach politischem Hintergrund der Akteure. Die -“ defensive aber grundlegende -“ Forderung nach Einstellung der Verfahren und Abschaffung des §129a bot zwar eine „erste gemeinsame inhaltliche Basis“, darüber hinausgehende Fragen wie die nach der Legitimität der Zerstörung von Kriegsmaterial blieb einige Zeit umstritten. Die Erkenntnis des Zusammenhangs zwischen Aggression nach außen und Repression nach innen musste sich erst erstritten werden.

Solidaritätsarbeit findet naturgemäß mit erheblichem Gegenwind statt, vor allem auch mit medialem. Während es im Fall von Andrej Holm relativ schnell gelang, eine auch internationale Solidarität zu entwickeln -“ schließlich stand er für kritische Wissenschaft -“ versuchten Medien entlang der Linie „Stellung zu praktischem Antimilitarismus“ diese von den Verfahren gegen Axel, Florian und Oliver zu spalten, um diese zu isolieren.

Damit wurde das Konstrukt der Bundesanwaltschaft von Andrej Holm als intellektuellem Kopf der mg und Axel, Florian und Oliver als den ausführenden Brandsatzlegern bedient. Während das Medienecho hinsichtlich Andrej half, den ganzen Fall bekannt zu machen, verschob sich der Schwerpunkt der Wahrnehmung bis zum Prozessbeginn auf Axel, Florian und Oliver.

Entscheidend ist die eigene Öffentlichkeits- und Pressearbeit, aber auch die Bedienung des öffentlichen Interesses der Medien, so die Bilanz der Autoren. Denn mit der zunehmenden Dauer des Prozesses nahm nicht nur das Interesse der Medien ab. Insbesondere die bürgerlichen Medien blendeten auch gerne den politischen Kontext aus oder reduzierten die Skandalisierung wie bei Andrej Holm auf dessen Überwachung durch das BKA.

Grabenkämpfe


Auch für eine Reihe Linker war es offenbar nur schwer zu verdauen, dass sich der §129a ff. gegen alle richtet, die sich nicht mit dem Kapitalismus, mit Ausbeutung und Unterdrückung abfinden wollen und nach Wegen suchen, das herrschende System zu überwinden.

Der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ist allerdings schnell zusammengezimmert. Der Logik der Ermittlungsbehörden sind kaum Grenzen gesetzt. Als mg verdächtig gilt bereits, wer einen gut sortierten Bücherschrank hat mit Werken von Marx, Lenin, Luxemburg, Liebknecht, Karl-Heinz Roth, Joachim Hirsch, Wolf Wetzel, Sebastian Haunss oder Gerhard Hanloser und Zeitschriften wie wildcat oder iz3w liest. Auch diejenigen, die keine derartige Literatur besitzen machen sich verdächtig: Die gelten dann eben als besonders konspirativ.

Die Solidaritätsgruppe arbeitet heraus, dass alles darauf hinauslief, einen politischen Prozess zu führen, statt einer „Unschuldskampagne“, die darauf abzielt, nur die Verhaftung, einige Ermittlungsmethoden und -hintergründe zu skandalisieren. Auch wenn der Preis für die zunehmende antimilitaristische Schwerpunktsetzung und die auf Axel, Florian und Oliver das Wegbleiben vieler Befürworter einer bürgerlichen breiten Öffentlichkeit war. Problematisch stellte sich an der Frage der Mitarbeit der Beschuldigten im Einstellungsbündnis heraus, dass die §129/a/b schnell auch diejenigen, die sich solidarisch zeigen, Kontakt zu ihnen haben oder politisch Position beziehen, zur kriminalisierten Vereinigung hinzugerechnet oder auch als Zeugen geladen werden können.

Praktische Solidarität -“ Knastarbeit


Sehr konkret beschäftigt sich die Solidaritätsgruppe mit dem Thema Knastarbeit und den Konsequenzen der Haft für die Betroffenen und öffnet damit auch den Blick für die Situation vieler -“ nicht nur politischer -“ Gefangener. Sobald Axel, Florian und Oliver ihre Haft antreten müssen haben sie als nicht Vorbestrafte gute Chancen auf offenen Strafvollzug oder als Freigänger tagsüber den Knast zu verlassen. Dazu müssten sie sich jedoch den Entscheidungen der Strafvollzugskommission unterwerfen, was unter anderem bedeutet, sich auf die Erforschung der Persönlichkeit und Lebensverhältnisse, insbesondere das „Verhältnis des Gefangenen zu seiner Tat bezüglich einer Schuldeinsicht“, einzulassen. Eine Kooperation ist Voraussetzung für den offenen Vollzug, eine vorzeitige Entlassung, mit politischen Folgen: „Es ist kein kämpferisches Verhältnis mehr.“

Keine Plädoyers, aber ein Urteil

Die Anwälte der Beschuldigten legten in einem Beweisantrag dar, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass das „BKA und BAW gegen mutmaßliche -šradikal-˜- Redakteure bewusst unter einem falschen Label ein §129a Verfahren eingeleitet hatten, um so den ganzen Verfolgungsapparat einsetzen zu können.“ Das Urteil in dem politischen Prozess stand schon vor den Plädoyers und trotz einer teilweise schwachen Indizienlage fest. Die Vorwürfe, die drei wären Mitglieder der mg wurden zum Teil mit durchsichtigen Spitzelinformationen -“ die nicht bewiesen werden konnten und mussten -“ und anderen fadenscheinigen Beweisen belegt. Besonders bekannt wurde in dem Zusammenhang, dass sich das BKA an der Militanzdebatte in der Interim mit zwei Textbeiträgen beteiligte, um die mg zu einer Stellungnahme zu provozieren. Der dazu vernommene BKA Zeuge stritt dies erst ab und log damit. Was das Gericht nicht daran hinderte, seine sonstigen Angaben für glaubwürdig zu halten.

Gerichtsfeste Belege gab es lediglich für die versuchte Brandstiftung. Deshalb agierten die Anwälte politisch und verzichteten auf Plädoyers. In den politischen Beweisanträgen kamen sie zuvor zu dem Schluss: „Widerstand gegen völkerrechtswidrige Kriege ist legitim; frei nach dem Motto: -šWas in Deutschland brennt, kann in Afghanistan keinen Schaden mehr anrichten.-˜“

Das Einstellungsbündnis arbeitet als Motiv heraus, dass die Ermittlungsbehörden bewusst den Versuch unternahmen, über den mg Prozess an mutmaßliche radikal- Autoren heranzukommen. Der ursprünglich als Grundlage des Ermittlungsverfahrens angegebene Kontakt zwischen Andrej Holm und Florian reichte im Urteil gerade noch als Beleg für konspiratives Verhalten.

Eine Erfolgsstory


Die Solidaritätsgruppe unterstreicht in ihrem Resümee, dass ihre Arbeit trotz teilweise gravierender Schwächen erfolgreich war und macht das daran fest, dass sich das Bündnis trotz seiner Heterogenität nicht hat spalten lassen. Die Repression hat vielmehr auch Leute zusammengebracht, die sonst nie zusammengekommen wären und so die Organisiertheit vorangetrieben. Das ist nicht immer so, denn es gibt zahlreiche andere politische Prozesse, die nicht derartig prominent sind wie das mg Verfahren.

Jedem daran Beteiligten sei das Buch zu empfehlen.

Veranstaltungen zum Buch



Veranstaltung in Berlin: Linke Buchtage
Samstag 4.6., 12h, Blauer Salon, Mehringhof, Gneisenaustraße 2a

Veranstaltung in Münster
Freitag 17.6., abends, Ladenlokal ohne Namen, Nieberdingstraße 8

Anlässlich der Buchveröffentlichung “Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen- lädt das Einstellungsbündnis zu Veranstaltungen ein. Mitglieder des Soli-Bündnisses unterhalten sich über Solidarität, Antirepressionsarbeit, Streitkultur, Antimilitarismus, Knast u.a.m.

Bündnis für die Einstellung der §129(a)-Verfahren 2011: "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen: Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)" Edition Assemblage, Münster.
ISBN: 978-3-942885-00-3.
86 Seiten. 4.80 Euro.

Zuerst veröffentlicht in "kritisch-lesen Nr. 4"

Mehringhoftheater "Erich Mühsam - kein Lampenputzer" Lesung und Konzert

Erich Mühsam: Begnadeter Schüttelreimer, Münchner Räterevolutionär, Bohemien, langjähriger Festungshäftling, Kabarettist, Anarchist, Caféhausliterat, von den Nazis im KZ ermordeteter Jude. Wohlmeinende Ratschläge, er solle sich doch besser festlegen, ob er Künstler oder politischer Aktivist sei, ergingen häufiger an ihn. Von Frank Wedekind zum Beispiel: „Sie reiten stehend auf zwei Gäulen, die nach verschiedenen Richtungen streben; sie werden Ihnen die Beine auseinanderreißen.“ Mühsam verwarf solchen Rat. Der Vorwurf, er sei zu außenseiterisch, unrealistisch und habe Illusionen, prallte ohnehin an ihm ab: "Immer, wenn man mich einen Don Quichote nannte, wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin."

Mühsams Texte werden gelesen von Harry Rowohlt und Thomas Ebermann, DJ Patex, Manuel Schwiers und Frank Spilker ("Die Sterne") besingen sie.

Harry Rowohlt, 1945 in Hamburg geboren, arbeitet als Autor, Übersetzer, Schauspieler und Vortragskünstler. Seine Kolumne „Pooh-™s Corner“ in der ZEIT erreichte Kultstatus, für die Hörbuch-CD "Pu der Bär" erhielt er 2000 die Goldene Schallplatte.

Thomas Ebermann, 1951 in Hamburg geboren, war in den siebziger Jahren im Kommunistischen Bund aktiv, in den achtziger Jahren grüner Abgeordneter in der Hamburger Bürgerschaft und im Bundestag. Seit seinem Parteiaustritt arbeitet er als Publizist und Buchautor.

Knarf Rellöm, Manuel Schwiers und Frank Spilker, Frontmann der Hamburger Band „Die Sterne“, vertonen seit Jahren Gedichte von Mühsam und tragen sie so in die Gegenwart. Da Knarf Rellöm diesmal nicht mit auftreten kann, wird die Hamburger Musikerin DJ Patex ihn vertreten.

4. Juni 2011, 14 Uhr
Eintritt: 12€, Ermäßigt 8€

Via racethebreeze

kritisch-lesen.de Nr. 4 - "Zeichen des Aufstands"

Foto: © Jörg Möller
Das Bild zeigt die Puerta del Sol in Madrid. Seit nunmehr zwei Wochen demonstrieren dort sowie in zahlreichen anderen Städten des Landes Hunderttausende gegen Sozialabbau, Repression und Kapitalismus. Sie halten zentrale Plätze besetzt, campieren und weichen auch nicht trotz Versammlungsverbot. Die Menschen sind wütend auf die Regierung, die finanzielle Krisen auf ihrem Rücken auszutragen versucht. Es lässt sich eine Tendenz erkennen, dass Menschen für ihre Bedürfnisse aufstehen und ihre Wut zeigen. Protestwellen haben in den letzten Jahren viele Regionen der Welt erfasst: Ägypten, Tunesien, Frankreich, Griechenland und jetzt Spanien. Auch wenn die Ziele unterschiedlich sein mögen, die Menschen nehmen ihre Sache selbst in die Hand und solidarisieren sich in Massen.

Mit dieser Ausgabe wollen wir einen Einblick wagen in Teile der Bewegungen der letzten Jahre. Die Vielheiten der Ideen und Motivationen sich zu regen sollen offen bleiben. Deshalb wollen wir auch Blicke auf Bücher werfen, welche versuchen ins Offene und Mögliche zu schauen. Die Auswahl der Rezensionen beschränkt sich in dieser Ausgabe leider auf den europäischen Kontinent -“ einen weiteren Blick werden wir in kommenden Ausgaben wagen. Den Anfang machen zwei Autor_innen, die sich Louisa und Michael nennen. Sie verteidigen das Pamphlet Der kommende Aufstand gegen Kritiken, nach denen es sich um eine „antimoderne Hetzschrift“ handele, und heben hervor, der Band leiste Beitrag, „Wut und Zorn sagbar zu machen“. In der Rezension zu Wir sind ein Bild der Zukunft beschäftigt Fritz Güde sich mit den Revolten in Griechenland und kommt zum Schluss, dass mit einem Aufschwung der Bewegung zu rechnen ist, wenn es ihr nach den neuen Erpressungen Griechenlands durch die EU gelingt, sich einer breiteren Empörung dagegen anzuschließen. Um die Prozesse gegen die Militante Gruppe (mg) geht es in der Rezension Alles was uns fehlt ist die Solidarität von Thomas Trueten, die die Schwierigkeiten von solidarischer Antirepressionsarbeit verdeutlicht. In der letzten Schwerpunktbesprechung widmet sich Fritz Güde der fiktiven Geschichte Schwarzenberg von Stephan Heym, der aus der tatsächlich sechs Wochen lang nicht besetzten Region 1945 die Räterepublik wiederauferstehen lässt. Dieses “Experiment im Vakuum- hält der Rezensent für eine inspirierende Lektüre.

Zudem gibt es in dieser Ausgabe noch zwei weitere aktuelle Besprechungen. Ismail Küpeli unterzieht das Buch Islamfeindlichkeit in Deutschland von Achim Bühl einer solidarischen Kritik. Den Determinismusvorwurf in der Biographie Marxens von Rolf Hosfeld nimmt Dirk Brauner unter die Lupe und entlarvt es als einseitigen Versuch, das eine Marxbild zu entwerfen.

Aus dem Archiv kommen außerdem Fritz Güdes Besprechung zu Bini Adamczaks Gestern Morgen hinzu, in der er die wegweisenden Blicke der Autorin in vermeintlichen Sackgassen hervorhebt. Und zum Schluss bespricht Adi Quarti (Post-) Operaismus von Birkner/Foltin, eine Einführung in Theorie und Praxis dieser Arbeiterbewegung.

Es sei noch auf unseren Newsletter hingewiesen. Wer immer rechtzeitig über die neuesten Ausgaben per Mail informiert werden will, sollte sich unbedingt mit Email-Adresse bei unserem Newsletter anmelden (siehe Spalte rechts auf unserer Homepage).

Zum Schluss ein Hinweis: Vom 03. bis zum 05. Juni finden in Berlin die Linken Buchtage statt. Wir werden uns gemeinsam mit dem Antifaschistischen Infoblatt, der edition assemblage und dem US-amerikanischen Verlag PM Press einen Infostand teilen und freuen uns auf spannende Diskussionen und Kontakte.

Viel Spaß beim (kritischen) Lesen!

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