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Ein neuer "Radikalenerlass"??

Gegenwärtig wird von den Innenministern des Bundes und der Länder laut über die Einführung eines neuen Radikalenerlasses nachgedacht, der den Einfluss des rechten Flügels der AfD, namentlich Höckes und seiner Anhänger, begrenzen soll.

Dazu erklärt der Sprecher des „Bundesarbeitsausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung der demokratischen Grundrechte“), Klaus Lipps:

Am Sonntag, den 31. Mai, stellte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung einen Vorschlag von Dr. Ralf Brinktrine, Professor für Öffentliches Recht in Würzburg, zur Diskussion:
Im Bundesbeamtengesetz und im Beamtenstatusgesetz könne der folgende Satz stehen: „Die politische Treuepflicht ist in der Regel verletzt, wenn ein Beamter öffentlich seine Zugehörigkeit zu einer als verfassungsfeindlich eingestuften Partei oder Vereinigung bekundet.“ Bei der SPD sei man nicht abgeneigt. „Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir uns auf eine Ergänzung des geltenden Beamtenrechts einigen könnten“, wird die innenpolitische Sprecherin der SPD im Bundestag, Ute Vogt, zitiert. Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jan-Marco Luczak, zeige eher Skepsis: „Eine Änderung des bestehenden Rechtsrahmens halte ich nicht für erforderlich, disziplinar- und beamtenrechtliche Konsequenzen könne heute schon gezogen werden.“ (https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/extremistische-beamte-bei-bund-und-laendern-16793709.html)

Schon im vergangenen Oktober haben wir, Betroffene des sogenannten Radikalenerlasses vom 28. Januar 1972, einen Beschluss der Innenminister und Innensenatoren zum Anlass genommen, solche Vorstöße abzulehnen, und zwar aus ganz konkreter persönlicher und politischer Erfahrung. Zitat: „Wir sind gebrannte Kinder: Wir haben nach 1972 erfahren, dass und wie solche Maßnahmen, die sich angeblich gegen rechts und links richten, sehr bald und dann fast ausschließlich gegen linke Kritiker der herrschenden Verhältnisse angewandt werden. “

Wie seinerzeit von „Radikalen“ die Rede war, so wird heute - ebenso schwammig und juristisch undefiniert -“ von „Extremisten“ statt von Nazis gesprochen. Antifaschistinnen und Antifaschisten aber werden kriminalisiert, etwa wenn sie gegen Nazis auf die Straße gehen. Dabei ist in Artikel 139 des Grundgesetzes festgelegt: „Die zur „Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus“ erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt.“ An diese Rechtsvorschriften sei im 75. Jahr der Befreiung erinnert. Sie sind juristischer Ausdruck der Befreiung.

Sie galten vor dem Grundgesetz, sind Teil des Grundgesetzes und bilden den grundgesetzlichen Rechtsrahmen, um dem wachsenden Aufkommen extrem rechter, faschistischer und rechtsterroristischer Gruppen entgegenzuwirken.

„Höcke und Kalbitz sind nicht Rechtsextremisten, weil Internettrolle sie so nennen, sondern weil das Bundesamt für Verfassungsschutz beide beobachtet hat und zu dem Ergebnis kam, dass sie als Extremisten eingestuft werden müssen.“ (FAS 31. Mai 2020) Sie sind laut FAS also Rechtsextremisten, weil der Verfassungsschutz sie so einstuft (und keine, solange der Verfassungsschutz das nicht tut.) Der Verfassungsschutz soll demnach das Privileg genießen, eine derartige Bewertung verbindlich vorzunehmen.

Im vergangenen Jahr wurde der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes -“ Bund der Antifaschisten (VVN - BdA) die Gemeinnützigkeit entzogen. Die Gemeinnützigkeit von Vereinen wird durch die Abgabenordnung (AO) bestimmt, die Regelungen zum Steuer- und Abgabenrecht enthält.
Darin heißt es in § 51 (3):
„(3) Eine Steuervergünstigung setzt zudem voraus, dass die Körperschaft nach ihrer Satzung und bei ihrer tatsächlichen Geschäftsführung keine Bestrebungen im Sinne des § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes fördert und dem Gedanken der Völkerverständigung nicht zuwiderhandelt. Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht erfüllt sind. Die Finanzbehörde teilt Tatsachen, die den Verdacht von Bestrebungen im Sinne des § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes oder des Zuwiderhandelns gegen den Gedanken der Völkerverständigung begründen, der Verfassungsschutzbehörde mit.“

Der Bayerische VS-Bericht führt die VVN unter der Rubrik Linksextremismus. Eine Klage dagegen wurde abgewiesen. Auf diese Nennung aber beruft sich nun das Finanzamt Berlin, um der VVN die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Mittels Abgabenordnung ist somit die Entscheidung über Gemeinnützigkeit dem Inlandsgeheimdienst, dem „Verfassungsschutz“, übertragen worden.

Angesichts der massiven Versäumnisse und Fehleinschätzungen in den letzten Jahren (Stichwort „NSU“) ist es völlig falsch dem Inlandsgeheimdienst die Entscheidungshoheit darüber zu verleihen, wer als „extremistisch“ einzustufen ist -“ zumal dieser Begriff juristisch völlig undefiniert ist, seine Verwendung aber weitreichende Rechtsfolgen haben soll.

Der Verfassungsschutz ist Teil des Problems, aber nicht der Lösung. Das zeigt sich u.a. darin, dass sein Feindbild weitgehend deckungsgleich ist mit dem der AfD, was sich am Beispiel zahlreicher parlamentarischer "Anfragen" dieser Partei mühelos entnehmen lässt.

Wir halten an unserer Auffassung fest, dass aus dem Öffentlichen Dienst entlassen werden kann und soll, wer sich schwerwiegender konkreter Vergehen gegen seine Dienstpflichten schuldig gemacht hat. Die bloße Mitgliedschaft in einer Gruppe oder Organisation oder einer nicht verbotenen Partei kann kein Berufsverbot begründen. Die Dienstherren müssen sich schon die Mühe machen (und dies schleunigst!), den Betreffenden konkrete Verfehlungen nachzuweisen.

Die etablierten Parteien, die staatlichen Institutionen und auch die Justiz hatten und haben alle Möglichkeiten, politisch und rechtlich gegen Organisationen und Personen vorzugehen, die grundgesetzwidrig handeln.
Es ist höchste Zeit, dass sie diese ihre Aufgabe endlich entschieden wahrnehmen!

Quelle: Pressemitteilung „Bundesarbeitsausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung der demokratischen Grundrechte“, 10. Juni 2020

Heidelberg zeigt Kante: Lager auflösen - Wolfsgärten verhindern - Rassismus bekämpfen!!!

Von Moria nach Calais - vom Mittelmeer bis nach Heidelberg - wir stellen grenzenlose Solidarität gegen menschenverachtenden Rassismus. Wir fordern die Auflösung aller überfüllten europäischen Auffanglager, in denen tausende Menschen unter unwürdigen Bedingungen ausharren müssen. Wir sehen die seit Monaten und Jahren untragbaren Zustände als handfeste Konsequenz der im Kern rassistischen Migrationspolitik der EU-Staaten an. Die geflüchteten Menschen auf Lesbos und anderswo müssen evakuiert und sicher und menschenwürdig untergebracht werden - zur Not auch im Rahmen eines humanitären Alleinganges einzelner Staaten oder Bundesländer. Möchte dieses Europa je wieder von Menschenrechten sprechen, muss es jetzt aktiv werden, statt auf die Unwilligkeit der jeweils anderen europäischen Partner zu verweisen oder fadenscheinige Symbolhandlungen vorzuschieben! Wir wollen ebenfalls unmittelbar hier bei uns vor Ort ein Zeichen setzen gegen jedweden unterschwelligen institutionalisierten Rassismus, indem wir gegen die Verlegung des Heidelberger Ankunftszentrums in die Wolfsgärten streiten. Ein klares Nein zu voranschreitender Ghettoisierung geflüchteter Menschen! Zwei Tage vor der Gemeinderatssitzung zu den Wolfsgärten wollen wir klare Kante zeigen für ein offenes, ein solidarisches, ein menschliches Heidelberg!

Dienstag, 16.06.2020, 18 Uhr am Universitätsplatz Heidelberg

Seid mit uns gemeinsam am Start - seid laut - seid grenzenlos solidarisch!!!

Bitte respektiert die coronabedingten Auflagen -“ haltet einen Sicherheitsabstand von mindestens 1,5 Metern ein und tragt auf der Kundgebung stets eine Mund- und Nasenbedeckung.

Quelle: VVN-BdA Heidelberg

Silent Demo - Black Lives Matter - 6. Juni in Berlin

Foto: © Oliver Feldhaus via Umbruch Bildarchiv Berlin
Nach dem Mord an George Floyd in den USA demonstrierten am 6. Juni in Berlin mehrere zehntausend Menschen auf dem Alexanderplatz gegen Rassismus und Polizeigewalt. In ganz Deutschland gingen 200.000 Menschen auf die Straße.

Am Ende der Berliner Demo kam es zu zahlreichen Festnahmen durch Polizeikräfte, darunter viele schwarze Demonstrant*innen. Einige Polizisten agierten dabei so, als wenn sie noch einmal speziell darauf hinweisen wollten, dass es auch in der Berliner Polizei ein Rassismusproblem gibt. Als Grund wurden vereinzelte Stein- und Flaschenwürfe auf Polizeibeamte nach der Festnahme eines Demonstranten genannt. Mehrere Videos, die in den sozialen Netzwerken kursieren, zeigen hingegen, dass junge Schwarze Menschen von der Polizei nicht nur ohne ersichtlichen Grund, sondern zudem auf brutale Weise festgenommen wurden.

Zu den Fotos beim Umbruch Bildarchiv Berlin

Weitere Infos:

Weitere Ereignisse zu diesem Thema:

Recherche zu Todesfällen in Gewahrsam in Deutschland bekräftigt: „Auch in Deutschland tötet institutioneller Rassismus!“

Die bundesweite Kampagne „Death in Custody -“ Aufklärung von Tod in Gewahrsam jetzt!“ veröffentlicht - anlässlich der Ermordung von George Floyd in Minneapolis - ihre bisherigen Rechercheergebnisse zu Todesfällen von Schwarzen Menschen und Menschen of Color in Gewahrsamssituationen in Deutschland seit 1990. Muster institutionellen Rassismus werden hierbei erkennbar.

Immer wieder sterben auch in Deutschland Schwarze und People of Color in Gewahrsam von Polizei und anderen staatlichen Institutionen. Eine der Hauptursachen ist institutioneller Rassismus. Die Todesfälle in der letzten Zeit -“ Hussam Fadl, Amad Ahmad, Matiullah Jabarkhil, Rooble Warsame, William Tonou-Mbobda, Aman A., Adel B. legen nahe, dass Schwarze Menschen und Menschen of Color auch in Deutschland in besonderem Maße gefährdet sind, in staatlicher „Obhut“ ihr Leben zu verlieren oder durch die Polizei getötet zu werden.

Allein zwischen 1990 und 2020 hat die Kampagne bislang 159 Fälle in der BRD recherchiert (Stand Juni 2020). Diese Fälle umfassen u.a. Todesfälle durch Polizeischüsse, durch unterlassene Hilfeleistungen und Todesfälle in Gewahrsam, die von den Behörden als „Suizid“ angegeben werden. Die Kampagne wertet auch diese Fälle als „death in custody“, da unserer Auffassung nach in einer totalen Institution kein freier Wille zur Beendigung des eigenen Lebens gebildet werden kann; außerdem zeigen z.B. die Todesumstände von Oury Jalloh, dass dem behördlichen Narrativ der Selbsttötung nicht ohne Weiteres geglaubt werden darf.

Es sind die Politik, der Justiz- und Sicherheitsapparat und der Verfassungsschutz in diesem Land, die rechte und rassistische Gewalt dulden, verschleiern oder gar mit ihren Ressourcen rassistische Strukturen aufbauen und aufrechterhalten. Durch den Vergleich der einzelnen Fallgeschichten konnte die Kampagne folgende Parallelen ermitteln: Fast nie haben die Todesfälle Konsequenzen für Täter*innen in Uniform; häufig werden die Opfer nach ihrem Tod kriminalisiert, um die Täter*innen zu entlasten und die Verantwortung des staatlichen Gewaltapparats zu verschleiern.

Die Recherchegruppe der Kampagne greift auf verschiedene Dokumentationen und Erhebungen zurück, die in Zusammenschau ausgewertet werden. Dazu zählen u.a. die Dokumentation der Antirassistischen Initiative, die Liste jährlicher Polizeischüsse der CILIP, die Dokumentation der taz zu polizeilichen Todesschüssen sowie Berichte des Europäischen Rats und des Ministeriums für Justiz. Zudem bemüht sie sich durch Vernetzung mit anderen Initiativen, das Anstoßen parlamentarischer Anfragen, sowie zusätzliche zielgerichtete Medienrecherche, um die Sicherstellung einer verlässliche Datenlage. Die Recherche wird laufend ergänzt, eine umfassendere Veröffentlichung der Ergebnisse ist in Planung.

Die Kampagne „Death in Custody -“ Aufklärung von Tod in Gewahrsam jetzt!“ hat sich zum Black Lives Matter-Monat 2019 gegründet und ist ein Bündnis aus den Initiativen Kampagne gegen rassistische Polizeigewalt (KOP), Migrationsrat Berlin e.V., We are born free Community Radio, Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V., Justizwatch, BDB e.V., Rote Hilfe Ortsgruppe Berlin, Bündnis gegen Rassismus (Berlin), Hände weg vom Wedding, Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, Each One Teach One e.V., ReachOut Berlin, GG/BO Soligruppe Nürnberg, Criminals for Freedom Berlin.

Die Kampagne „Death in Custody“:

  • Recherchiert, dokumentiert und skandalisiert, wie häufig und kontinuierlich nicht-weiße Menschen in Deutschland in Gewahrsam sterben

  • vernetzt Gruppen, für die Tod in Gewahrsam ein besonderes Risiko darstellt, und Initiativen von Angehörigen, um ihren Widerstand zu stärken

  • fordert von Staat und Justiz Aufklärung, Rechenschaft und die Etablierung von effektiven Schutzmechanismen, um Tod in Gewahrsam zu verhindern

  • fordert die Stärkung der Rechte der Betroffenen und wirksame Konsequenzen gegen Rassismus auf allen gesellschaftlichen Ebenen

  • solidarisiert sich uneingeschränkt mit allen Betroffenen rassistischer Gewalt und deren Angehörigen

Web: https://deathincustody.noblogs.org

Twitter: @diccampaignDE, #DeathInCustodyDE

Instagram: @deathincustodyDE

FB: @deathincustodyDE

Quelle: Pressemitteilung, 8. Juni 2020

Kundgebung in Berlin: Gerechtigkeit für George Floyd! Gegen rassistische Polizeigewalt!

Foto: © Oliver Feldhaus / Umbruch Bildarchiv Berlin
Der Tod von George Floyd, der am Montag in den USA bei einem brutalen Polizeieinsatz erstickt wurde, bewegt weiterhin die Menschen. In Berlin versammelten sich am 30. Mai 2000 Menschen vor der US-Botschaft in Gedenken an Georg Floyd und um deutlich zu machen: Es ist kein Einzelfall und es betrifft Deutschland. Aufgerufen hatte der Verein ISD Bund e.V. Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und Kein Generalverdacht.

Zur Fotoseite beim Umbruch Bildarchiv

Links

#Corona in Erstaufnahmestelle Bremen: Treten Sie zurück, Frau Stahmann!

26. April 2020: Transnationales Netzwerk Afrique-Europe-Interact fordert Rücktritt von Bremens Sozialsenatorin Anja Stahmann (Bündnis90/Die Grünen) nach Corona-Masseninfektion in der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in der Lindenstraße +++ Afrique-Europe-Interact unterstützt zudem die Forderung der zivilgesellschaftlichen Organisationen „Together we are Bremen“, „Bremer Flüchtlingsrat“ und „MediNetz Bremen“ nach sofortiger Schließung der Erstaufnahmeeinrichtung Lindenstraße.

Das transnationale Netzwerk Afrique-Europe-Interact (das mit einer Mitgliedsgruppe auch in Bremen vertreten ist) fordert Anja Stahmann -“ die Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport -“ zum Rücktritt auf. Ausschlaggebend für diese Rücktrittforderung ist weniger, dass es der zuständigen Sozialbehörde nicht gelungen ist, den massenhaften Corona-Ausbruch in der Bremer Erstaufnahmeeinrichtung Lindenstraße zu verhindern (mit mindestens 133 infizierten Geflüchteten). Denn hierfür trägt Anja Stahmann nicht die alleinige Verantwortung, das hat die politische Debatte in den letzten Wochen hinreichend gezeigt. Afrique-Europe-Interact geht es vielmehr um die Art und Weise, wie Anja Stahmann über dieses (von ihr maßgeblich mitverantwortete) Infektionsgeschehen spricht. Denn ihre gegenüber der Presse am 23.04.2020 getätigten Äußerungen waren von fehlender Sachkenntnis, Bagatellisierung und Diskriminierung geprägt. Damit zeigt sich, dass Anja Stahmann trotz ihrer fast 9-jährigen Zugehörigkeit zum Bremer Senat ganz offensichtlich von der aktuellen Krise überfordert ist. Statt einzugestehen, dass sich die Sozialbehörde mit ihrer Einschätzung getäuscht hat, wonach es möglich wäre, ein massenhaftes Infektionsgeschehen in der Lindenstraße zu vermeiden, streitet Anja Stahlmann mit sachlich falschen Argumenten und diskriminierender Wortwahl jede Verantwortung ab. In diesem Sinne ist Anja Stahmann als Vertreterin des sich zur Humanität und Weltoffenheit bekennenden Senats der Freien Hansestadt Bremen nicht mehr tragbar. Anja Stahmann sollte sich stattdessen zurückziehen und Platz für eine*n Nachfolger*in machen, die*der den Infektionsschutz (im Sinne eines Rechts auf Gesundheit) als ein unteilbares und deshalb offensiv zu verteidigendes Menschenrecht betrachtet.

Wir möchten das begründen -“ auch unter Verweis auf die Erfahrungen in unserem Netzwerk: Afrique-Europe-Interact ist in acht afrikanischen und drei europäischen Ländern aktiv. In Mali arbeiten wir im Rahmen ländlicher Entwicklung mit Dörfern zusammen, aus denen zahlreiche Migrant*innen unter anderem Richtung Europa aufgebrochen sind; in Niger unterstützen wir im Rahmen des Alarmphone Saharas Geflüchtete und Migrant*innen auf ihrem Weg durch die Sahara (https://alarmephonesahara.info/en/); in der marokkanischen Hauptstadt Rabat unterhalten wir ein Rasthaus für geflüchtete Frauen (https://afrique-europe-interact.net/1318-0-Das-Projekt.html); auf dem Mittelmeer sind wir an der Notrufnummer des Watch The Med Alarmphone beteiligt (https://alarmphone.org/de/); in Europa unterstützen wir Geflüchtete und Migrant*innen in ihrem Kampf um Rechte, nicht zuletzt Mitglieder unseres Netzwerks. Kurzum: Wir kennen die Realität auf den Flucht- und Migrationsrouten, und das ist hilfreich. Denn eine Erstaufnahmeeinrichtung ist lediglich der (vorläufige) Endpunkt einer langen, oft von Gewalt und Ausbeutung geprägten Flucht- bzw. Migrationsroute -“ ein Umstand, den es ausdrücklich zu berücksichtigen gilt, wenn man über die Unterbringung von Geflüchteten und Migrant*innen spricht.

Als der massenhafte Infektionsausbruch in der Lindenstraße bekannt wurde, äußerte sich Anja Stahmann am 23.04.2020 in den Abendnachrichten von „buten & binnen“ dahingehend, dass die Erkrankten „weitgehend beschwerdefrei“ seien und „nicht die schweren Erkrankungen“ aufweisen würden, die man aus dem Fernsehen kenne. Die Ergebnisse zeigten zudem, dass die Krankheit weiter verbreitet sei als oftmals angenommen, es gäbe ein „hohes Dunkelfeld“. Entsprechend wurde Anja Stahmann am 24.04.2020 in der Tageszeitung „taz“ mit den Worten zitiert: „Für Virologen ist das interessant.“

Mit Blick auf diese Äußerungen fragen wir uns nicht nur, wie Anja Stahmann angesichts der dynamischen Krankheitsverläufe bei Corona bereits jetzt davon sprechen kann, dass die Erkrankten lediglich milde Symptome hätten. Auch der englische Premierminister Boris Johnson hatte zunächst milde Symptome, um sich am 12. Tag plötzlich auf der Intensivstation wiederzufinden. Zudem fragen wir uns, ob Anja Stahmann die Berichte bekannt sind, wonach noch völlig unklar ist, ob es nicht auch langfristige Folgeschäden von Corona gibt. Und noch etwas irritiert an dieser Bagatellisierungsstrategie, mit der Anja Stahmann ganz offenkundig ihr schlechtes Gewisses beruhigen möchte (was zwar menschlich verständlich, für eine Senatorin aber völlig unangemessen ist): Ihre Behauptung, wonach der massenhafte Infektionsausbruch in der Lindenstraße auf das hohe Dunkelfeld von Corona verweise, ist sachlich falsch und irreführend. Denn eine Infektionsquote von 30 Prozent gibt es bislang nur in (halb-)geschlossenen Einrichtungen wie Pflegeheimen, Gefängnissen, Militäranlagen oder Gemeinschaftsunterkünften. Demgegenüber gehen Expert*innen von äußerst niedrigen Infektionsraten in der allgemeinen Bevölkerung aus, selbst in Heinsberg in Nordrhein-Westfalen (wo Corona im Februar erstmalig im großen Stil ausgebrochen ist) sollen sich gerade mal 15 Prozent aller Menschen infiziert haben. Umso unverständlicher ist, dass Anja Stahmann den massenhaften Krankheitsausbruch in der Lindenstraße zu einer „interessanten“ Angelegenheit für Virolog*innen erklärt. Eine solche Perspektive ist aus mindestens vier Gründen zynisch und diskriminierend: Erstens, weil Geflüchtete und Migrant*innen mit dieser Wortwahl zu Versuchsobjekten degradiert werden. Zweitens, weil den nunmehr Infizierten in den letzten Wochen ausdrücklich die Möglichkeit verwehrt wurde, sich gegen diese Erkrankung zu schützen (trotz zahlreicher Proteste). Drittens, weil dies bedeutet, dass Hunderte just an einem Ort in Quarantäne gezwungen werden, den sie ohnehin als bedrohliche Gefahr erleben. Und viertens, weil Anja Stahmann jede Empathie gegenüber den Infizierten bzw. in Zwangsquarantäne Geschickten vermissen lässt -“ von einer Entschuldigung im Namen der Sozialbehörde ganz zu schweigen.

Am dramatischsten -“ und das ist der hauptsächliche Grund unserer Rücktrittsforderung -“ ist unterdessen Anja Stahmanns völliges Unverständnis für die persönliche bzw. psychologische Situation der Geflüchteten und Migrant*innen in der Erstaufnahmeeinrichtung. Viele Bewohner*innen haben schreckliche Dinge erlebt, nicht nur in ihren Herkunftsländern, sondern auch auf den Flucht- und Migrationsrouten. Seit Jahren berichten Menschenrechtsorganisationen -“ darunter Afrique-Europe-Interact -“ von den fürchterlichen Situationen: Von überfüllten Lagern, ertrunkenen Familienmitgliedern oder Weggefährt*innen, Folterzellen, Versklavung, Vergewaltigung, Todesangst in der Wüste, auf dem Meer oder in Lastwagen, Rückschiebungen, willkürlichen Inhaftierungen, Massenrazzien oder polizeilicher Gewalt, um nur einige Beispiele zu nennen. Diese Erfahrungen streifen die Geflüchteten und Migrant*innen nicht ab, wenn sie in einer Erstaufnahmeeinrichtung ankommen. Vielmehr sind die entsprechenden Gefühle weiterhin präsent. Entsprechend problematisch ist es, wenn die Bewohner*innen keine Möglichkeit haben, sich gegen eine objektive Gefahr zu schützen -“ eine Gefahr, die auch von der übrigen Bevölkerung als hochgradig bedrohlich empfunden wird. Denn dann können die ganzen schmerzhaften Gefühle wieder hochkommen, die Angst, die Ohnmacht, das Empfinden, einer Situation hilflos ausgeliefert zu sein -“ mehr noch, dann verschwimmen die Umstände in der Erstaufnahmeeinrichtung und viele der genannten Erfahrungen (die bei jedem Menschen sehr individuell ausfallen). Psycholog*innen sprechen in diesem Zusammenhang von “kumulativen Traumata-. So ist zu erklären, warum Menschen, die bisher mit ihrer psychischen Widerstandskraft selbst schlimmste Erlebnisse verarbeiten konnten, erst bei erneuten Erfahrungen von Rechtlosigkeit und Ohnmacht einen seelischen Zusammenbruch erleiden. Dies ist auch in Deutschland in Massenunterkünften regelmäßig der Fall. Die Lindenstraße ist also nicht mit einem Folterlager in Libyen gleichzusetzen, aber die Umstände einer Massenquarantäne können die Wirkung alles bisher Erlebten potenzieren und das Fass zum Überlaufen bringen (vor allem bezüglich posttraumatischer Belastungsstörungen).

Die hier angedeuteten (keineswegs automatisch ablaufenden) Dynamiken sind nicht unbekannt. In Bremen gibt es mehrere Einrichtungen, die Geflüchtete und Migrant*innen psychologisch unterstützen -“ beispielhaft erwähnt sei die Beratungsstelle „Refugio“, ein Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer. Insofern werfen wir Anja Stahmann nicht nur vor, ruppig und desinteressiert über die besondere Lage von Geflüchteten und Migrant*innen hinweggegangen zu sein (unter anderem in ihren Pressebriefings am 23.04.2020), sondern auch das nunmehr eingetretene Infektionsgeschehen (inklusive Massenquarantäne von 374 Menschen) fahrlässig ermöglicht zu haben. Diese Fahrlässigkeit besteht vor allem darin, dass seitens ihrer Behörde sämtliche der in den letzten Wochen formulierten Warnungen immer wieder in den Wind geschlagen wurden -“ wir möchten insbesondere auf die zahlreichen Stellungnahmen von Together we are Bremen, Flüchtlingsrat Bremen und MediNetz Bremen verweisen. Und zu diesen Warnungen gehörte auch -“ um nur eines der markantesten Beispiele zu nennen -“ die Kritik an dem ohnehin nur schwer nachvollziehbaren Sachverhalt, dass in der Erstaufnahmeeinrichtung Lindenstraße viele Zimmer keine eigenen Fenster haben und somit die von Virolog*innen immer wieder als essentiell bezeichnete Lüftung einzig über die Flure möglich ist (abgesehen von der hausinternen Lüftung, die nunmehr jedoch durch eine Klimaanlage ersetzt werden soll).

Gewiss -“ Anja Stahmann ist nicht für sämtliche der hier benannten Probleme verantwortlich, auch nicht dafür, dass sich derzeit viele Geflüchtete und Migrant*innen massive Sorgen um Familienmitglieder und Freund*innen in ihren jeweiligen Herkunftsländern machen. Es fällt aber in ihren Aufgabenbereich, diese Probleme bei ihren Maßnahmen stets im Auge zu behalten. Dass sie das nicht getan hat, sondern sich salopp, voreilig und diskriminierend geäußert hat, zeigt daher, dass Anja Stahmann von der aktuellen (noch lange anhaltenden) Situation politisch und persönlich überfordert ist. Daher fordern wir ihren Rücktritt -“ zusammen mit einer Entschuldigung bei den Bewohner*innen der Erstaufnahmeeinrichtung für das massenhafte, aber vermeidbare Infektionsgeschehen. Im Übrigen schließen wir uns den Forderungen von Together we are Bremen, Flüchtlingsrat Bremen und MediNetz Bremen an und fordern die dezentrale Verteilung der Geflüchteten auf kleine Wohnungen bzw. Wohneinheiten -“ einschließlich der Möglichkeit, eigene Mahlzeiten zuzubereiten.

via Afrique-Europe-Interact

#FreeThemAll: 66. Geburtstag von Mumia Abu-Jamal - 38 Jahre im Knast

Mumia Abu-Jamal
Mumia Abu-Jamal
Der politische Gefangene Mumia Abu-Jamal wird am heutigen 24. April 66 Jahre alt. 38 Jahre seines Lebens hat er inzwischen im Gefängnis verbracht, über 29 Jahre davon in der Todeszelle. Erst vor wenigen Tagen wurde der juristische Weg dafür freigemacht, die Rechtmäßigkeit seines Verfahrens neu zu bewerten und damit letztlich vielleicht auch seine Freiheit zu erlangen.

Am 09. Dezember 1981 wurde Mumia Abu Jamal in Philadelphia, USA verhaftet, nachdem bei einem Schusswechsel ein Polizist getötet und er selbst schwer verletzt wurde. Er wurde verurteilt für einen Polizistenmord, der ihm untergeschoben wurde. Der afroamerikanische Aktivist kämpft seit seiner frühesten Jugend - damals als Pressesprecher der Black Panther Party - und bis heute als freier Journalist - gegen Rassismus, Polizeigewalt, Klassenherrschaft und Krieg. Dabei ist Mumia „nur“ einer von zahlreichen Gefangenen, die vom rassistischem Apparat der USA in die Knäste gesteckt wurden. Unter anderem zahlreiche AktivistInnen der Black Panther Party oder des American Indian Movement sitzen bereits mehrere Jahrzehnte hinter Gittern ohne dass ihnen jemals etwas nachgewiesen werden konnte.

Seine staatliche Hinrichtung konnte zwar 2011 endgültig verhindert werden, Mumia Abu-Jamal schwebt dennoch in Gefahr. Er betonte zudem stets, dass es ihm nicht um sich, sondern um die zahlreichen anderen InsassInnen in den Todestrakten und Knästen geht. Eine breite und weltweit aktive Solidariätsbewegung fordert seit seiner Festnahme seine Freiheit:

"Die Forderung nach Freiheit für Mumia Abu-Jamal beinhaltet auch die Analyse der Gründe für seine Verurteilung, die alle in der US Gesellschaftsordnung begründet liegen:

  • institutioneller Rassismus in Verfassung, Justiz und Polizei

  • Klassenjustiz durch „Nichtverteidigung“ (oft auch Pflichtverteidigung genannt) armer Angeklagter, hauptsächlich People Of Color

  • Kriminalisierung von People Of Color (stop and search policies)

  • Anpassung der US Verfassung durch „Plea Bargains“ und „Three Strikes“ Regeln

  • Fortführung der Sklaverei unter anderem Namen (der Gefängnisindustrielle Komplex inhaftiert überwiegend People Of Color und das ist systematisch)

  • die Todesstrafe

  • politische Repression und (ehemals geheimdienstliche - COINTELPRO - inzwischen aber offizielle) Aufstandsbekämpfung"

Mehr Information:

www.freiheit-fuer-mumia.de

www.bring-mumia-home.de

Unterstützer*innen haben vom 23. - 26. April 2020 eine Reihe von Aktivitäten für Mumias 66. Geburtstag vorbereitet. Darunter befinden eine Informationsveranstaltung am 24., eine "Mumia Libre Instgram Live Dance Party" am 25. und eine 24-stündige online Lesung am 26. Aril. Details dazu gibt es online auf https://mobilization4mumia.com/new-events oder https://www.facebook.com/cbmhome/.

Eine Aufnahme der gesamten Pressekonferenz befindet sich auf ZOOM.
(Zugangspassword: W5*0&6i!)

Um in den USA die Bewegung zu seiner Freilassung bei den politischen und juristischen Auseinandersetzungen zu unterstützen, werden dringend Spenden gebraucht:

Rote Hilfe e.V.
Sparkasse Göttingen
IBAN:
DE25 2605 0001 0056 0362 39
BIC: NOLADE21GOE
Stichwort: "Mumia"

Darüber hinaus freut Mumia sich über Geburtstagspost:

Smart Communications / PADOC
Mumia Abu-Jamal, #AM 8335
SCI Mahanoy
P. O. Box 33028
St Petersburg, FL 33733
USA
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