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Aus dem Susatal: Es geht los

Das Susatal, fotografiert von der Abtei St. Michael aus
 Foto: Fotogian on it.wikipedia
Lizenz: Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported
Zwischen Turin und Lyon soll für 20 Milliarden Euro eine Hochgeschwindigkeitsstrecke gebaut und in die Alpen hinein geschlagen werden, obwohl die bestehende Bahnstrecke überhaupt nicht ausgelastet ist. Was in Stuttgart der Gipskeuper, ist im Val di Susa asbest- und uranhaltiges Gestein, das durch den Tunnelbau freigesetzt würde.

Seit 20 Jahren protestieren die BewohnerInnen dort und leisten Widerstand. Bisher konnte kein einziger Spatenstich getan werden. Jetzt stehen die Projektbetreiber unter Druck: Gibt es keinen Baufortschritt, gehen die erheblichen Subventionen durch die EU flöten. Zur aktuellen Situation erreichte uns folgende mail aus dem Val di Susa:

"Liebe Freunde,
Heute Nacht sind sie gekommen. Und wieder verschwunden, nachdem sie von einem Steinhagel empfangen wurden. Die Zufahrtsstrassen sind durch gefällte Bäume und Felsen blockiert, die Bewegung hat ganze Arbeit geleistet. Das war natürlich nur ein Vorgeschmack. Die Mahnwache ist rund um die Uhr besetzt und wir haben Alarmstufe 1: allgemeine Mobilisierung im Tal für die nächsten Attacken. Unten der Artikel von "Repubblica" heute früh. Wie gesagt, steht die Presse nicht auf unserer Seite.
Denkt an uns!

Grüsse aus dem Valsusa auf dem Kriegsfuß,
S.
"

Valsusa, notte di tensione
Poi la rinuncia al blitz

S21: Bahn mit offenem Visier - und wir?

Es wird weitergebaut. Egal ob es eine neue Regierung gibt, egal ob der Stresstest unstimmig ist, egal ob der Bahnhof schlechter funktioniert, egal ob Menschen in ihrer Mobilität beeinträchtigt werden, egal unsere natürliche Umwelt langfristige Schäden trägt, egal ob unsere Sicherheit gefährdet ist.

Hunderte Frühstücksblockaden, 76 Montagsdemonstrationen, ein Dutzend Großdemonstrationen, dreieinhalb Besetzungen, einundhalbtage Aussitzen, eine große Blockade bei der Baumverpflanzung und eine Massenblockade mit tausenden Menschen am 30.9.. Welche dieser Aktionen hat effektiv einen Baustopp über die kurze Zeit der Aktion selbst gebracht? Eine einzige.

Wir haben in unserer Bewegung alles erlebt was an staatlicher Repression möglich ist: Einschüchterungen, Unterstellungen, Falschaussagen, Beleidigungen, juristische Massenverfolgungen, Diebstahl, Hausdurchsuchungen, unmenschliche Behandlungen in Gewahrsam, Körperverletzung und schwere Körperverletzungen. Diese fanden selten im Lichte der Presse und Öffentlichkeit statt sondern möglichst dann, wenn wir einzeln auf dem Weg nach Hause, im Polizeirevier oder schließlich wieder allein mit juristischer Verfolgung konfrontiert waren. Der Rechtsbeistand der Parkschützer leistet mit seinen begrenzten Mittel beste Arbeit und unterstützt die Betroffenen mit solidarischen Mitteln wo es geht. Auch unter der neuen rot-grünen Landesregierung wird der harte Repressionskurs weitergefahren. Bei dem Versuch die, aufgrund des Informationsstandes, der Falschaussagen der Bahn und dem bloßen Zusehen der neuen Landesregierung, berechtigte Blockade am Grundwassermanagement fortzuführen, wurden die Menschen mit einer Hundertschaft aus Bereitschaftspolizei, abends dem Staatsschutz in Form von Herrn Sitzler, und morgens auch durch Staatsanwalt Häussler begrüßt. Ihnen wurde von den Beamten zuerst zugesichert bei freiwilliger Räumung, keiner juristischen Verfolgung ausgesetzt zu werden, dann wurden sie eingekesselt und alle bekamen plötzlich doch eine Anzeige wegen versuchter Nötigung. Der Pressebericht der Polizei manipuliert weiter mit falschen Formulierungen die Öffentlichkeit, um sich nach der Wahl scheinbar anders zu präsentieren.

Sobald die Arbeiten am Grundwassermanagement fertiggestellt sind, wird es unwiederbringliche Schäden an unserem Park geben. Die Bewegung gegen Stuttgart 21 und jeder einzelne Mensch, v.A. jeder Parkschützer, muss sich nun fragen: Will ich dieses Projekt wirklich stoppen? Was hat tatsächlich funktioniert um dies zu erreichen?

Die Demonstrationen? Die Schlichtung? Die Wahl?

Wir treffen uns am Freitagabend den 26.5. um 19 Uhr an der Parkwache um diese Frage zu beantworten.

The peoples own MP

Am 16.3. 1981 stirbt Frank Maguire, der Parlamentsabgeordnete von Fermanagh-South Tyrone, an einem Herzinfarkt. Bei den fälligen Nachwahlen kandidiert Bobby Sands für das Anti-H-Block Komitee gegen Harry West, den Kandidaten der loyalistischen Ulster Unionist Party.

Es bleiben nur neun Tage für die Wahlkampane. Aber aus allen Teilen Irlands strömen Republikaner nach Fermanagh-South Tyrone, um zu helfen. Die Loyalisten halten dagegen. So berichten Wahlhelfer, die bis morgens um vier Plakate aufgehängt hatten, dass sie auf dem Rückweg feststellen mussten, das alle ihre Plakate weg waren. Sie gehen zum Wahlkampfbüro, beladen ihren Lieferwagen aufs Neue und fangen wieder von vorne an.

Am 9.April, dem Wahltag, bilden sich lange Schlangen vor den Wahllokalen. Abends werden die Wahlurnen verschlossen und mit einem Armeehubschrauber nach Enniskillen zur Auszählung geflogen. Dort, im College for Further Education, wird bis in den Nachmittag ausgezählt.

Dann tritt der Wahlleiter ans Mikropone und verkündet in die gespannte Stille hinein: "West, Harry Ulster Unionist Party 29.046 Stimmen. Sands, Bobby Anti-H-Block Komitee, politischer Gefangener 30.492 Stimmen".

Das Wahlprogramm von Bobby Sands waren die fünf Forderungen der Gefangenen:

1. Das Recht, jederzeit eigene Kleidung tragen zu dürfen.
2. Keine Zwangsarbeit im Gefängnis.
3. Das Recht, während der Freistunden die anderen politischen Gefangenen treffen zu dürfen.
4. Das Recht auf einen Besuch, einen Brief oder ein Paket pro Woche; ebenso das Recht, Unterrichtung und Freizeitgestaltung eigenständig zu organisieren.
5. Das Recht auf Haftverkürzung, das normalerweise allen Häftlingen zusteht



The People´s Own M.P. (Anonymous)

How many of us must die now
How many men must we loose
Before the Irish people
Their own destiny can use
From Tone or Robert Emmet
To Bobby Sands M.P.
And we gave him 30 000 votes
While in activity

Well no more will he remark sweet notes
Upon hte Ulster issue
All day across the snow flakes poured
The camp is deeply bare
For before he went on Hunger Strike
Young Bobby did compose
The Rythm of Time, The Weeping Wind
And The Sleeping Rose

(Refrain)
He was a poet and a soldier
He died courageously
And we gave him 30 000 votes
While in captivity

Thomas Ashe he gave everything in 1917
The Lord Mayor of Cork McSwiney died
His freedom to obtain
But never one of all our fallen
Died more courageously
Than young Bobby Sands from Twinbrook
The people´s own M.P.

(Refrain)

Oh forever we will remember him
That lad who died in pin
That his country north and south might be
United once again
For to mourn him is to organize
And build a movement strong
With Armalits and bullet bombs
And his music and his songs

(Refrain)

Bobby Sands über sich selbst

"Ein Tag in meinem Leben" - schrieb Bobby Sands in den H-Blocks von Long Kesh auf Toilettenpapier, mit einem Stift, den er in seinem Körper versteckt hielt.
(In einem Kassiber an den Armeerat der IRA vom 31.1.1981, aus den H-Blocks herausgeschmuggelt):

"Ich werde am 9. März siebenundzwanzig, also 9.3.54 geboren. Die Stella Primary School besucht und die Secondary in Rathcool. 9 Monate am Newtonabbey Tech. Dann als Lehrling bei einem Karosserieschlosser für 3 Jahre oder so. Ich war auch ein fantastischer Sportler. Als ich noch jung war, hab ich Fußball, Leichtathletik, Schwimmen und noch etwa zehntausend andere Sportarten gemacht. Aber ich war nie in einem Gaelic-football Verein. Übrigens habe ich für Willowfield Temperance Harriers (sehr protestantisch!) an allen wichtigen Laufwettbewerben im Norden für Jungs teilgenommen, nur zweimal war ich zu langsam und da haben sie mich geschnappt.

Das erste Mal wurde ich in Lisburn geschnappt. Ich war damals 18 und sehr naiv. Ich hatte eine "schlechte Zeit" in der Polizeikaserne und unterschrieb ein erzwungenes Geständnis. Verurteilt wurde ich Ende März, Anfang April 73 von Richter Higgins zu fünf Jahren wegen Besitz von 4 Pistolen, die dort versteckt waren, wo ich mich aufhielt (sie waren in keinem guten Zustand, deshalb kam ich so glimpflich davon). Die Dame des Hauses verkaufte ihre Seele für 300 Pfd. und haute ab nach England, vorher ließ sie die Briten ins Haus, um mir aufzulauern. (...)

Also, ich kam am 13.4.76 raus und lebte in Twinbrook mit Frau und Kind und wurde am 14.10.76 wieder geschnappt. (...) Ich wurde ins Verhörzentrum Castlereagh gebracht, wurde dort sehr schlecht behandelt, habe diesmal aber nur meinen Namen, Adresse und dass ich Arbeit suche , angegeben, ich habe nichts unterschrieben und nach 11 Monaten Untersuchungshaft (4 davon im H-Block) wurde ich zu 14 Jahren wegen vorsätzlichem Waffenbesitz verurteilt. Ich erkannte das Gericht nicht an. (...)

Die Verhandlung war eine Farce. Es gab einen Krawall, nachdem wir verurteilt worden waren, wir hatten nicht angefangen, die Wärter schlugen uns zusammen und drei von uns kamen in die Strafabteilung und ihnen wurden 6 Monate Haftverkürzung gestrichen.

Die ersten 22 Tage war ich in der Strafabteilung im Crumlin Road Jail, 15 Tage davon vollkommen nackt vor hunderten von Kriminellen. (...)

Mein Geburtstag wird wahrscheinlich in die spätere Stufe des Hungerstreiks fallen.

Was meine Familie anbetrifft: Meine Mutter und mein Vater sind wie alle Eltern, sehr verletztbar (...)

Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass ich sterben werde, ich spiele nicht den Draufgänger oder Egomanen. Ich bin sicher, ihr versteht mich (...)."

Stammheim: Zellen abhören - na und? Aus damals: Legitim soll heute: Legal werden

Ulrike Meinhof 1964
Quelle: Privates Foto, aus der Sammlung Bettina Röhls, der Tochter Ulrike Meinhofs
Recycled aus gegebenem Anlass zum 36. Todestag Ulrike Meinhofs.

Aust hat wieder zugeschlagen. Am Sonntag-und Montagabend bei ARD,gleich nachher bei Beckmann noch mal, alles flankiert vom SPIEGEL am Montag. Jetzt endlich Bader-Meinhof-Ensslin in die Kiste bekommen und datumsgerecht abgeliefert.

Austs Urbuch “Bader-Meinhof-Komplex- hatte vor Jahren immerhin das Verdienst einer ersten Datenerfassung.

Der danach gedrehte Film, der jetzt auch noch mal aufgekocht werden soll, wurde zwar von vielen Linken kritisiert. Wie Inge Viett aber vor einiger Zeit schon feststellte, hatte er immerhin in der Beschränkung auf den Gerichtssaal die ganze unversöhnliche Dramatik herausgeholt. Auf der einen Seite Prinzing und der Justizapparat- nicht persönlich bösartig, aber in ihrem Mechanismus, der eigentlich auf Sachaufklärung abstellt, als unbarmherziges Mahlwerk erkannt. Das Eigentliche kann da nie zur rechten Zeit am rechten Platz gesagt werden. Auf der andern Seite die Vorkämpferinnen und Vorkämpfer- bleich, verbissen, und doch immer auf die Sekunde lauernd, wo sie ihre Wahrheit auf die Tribüne bringen könnten.Der nie kam. Die ganze Strafbegründung der Aufklärung: Besserung, Abschreckung, Sühne lief ins Leere. Gebessert kann der nicht werden, der das angebotene Bessere nicht als solches anerkennt. Und Abschreckung nahm in jenen Tagen tatsächlich den Charakter des blinden Umsichschlagens auf Verdacht hin an.

Das war damals: Buch und Film.

In den verflossenen dreißig Jahren ist Aust beim SPIEGEL zunehmend Staatsträger und Reichspropagandist geworden.

Nicht in der schreihalsigen Weise, die 1977 gang und gäbe war. Nein: auf der einen Seite entwickelt er tatsächlich immer noch journalistisches Interesse und deckt Neues auf. So vor allem die Anwesenheit eines speziellen Geheimdienstes, ohne jede parlamentarische Kontrolle,die Gruppe F- Fernmeldewesen. Erst 1994 legalisiert, seither aus der öffentlichen Diskussion wieder weitgehend herausgehalten.

Aust macht nur allzu glaubhaft, dass per Verwanzung in Stammheim fleißig abgehört wurde. Ein früherer Fall hatte zum Rücktritt von Minister Bender geführt hatte, war also aktenkundig.Was einmal passierte, konnte wiederholt werden. Zur Verwanung tritt hinzu die Möglichkeit, dass die angenommene oder wirkliche Draht-Verbindung zwischen den Gefangenen einfach angezapft wurde.

Damit macht Aust dankenswerterweise glaubhaft, dass die Lauscher und Mithörer die ganze Zeit auf dem Laufenden gewesen sein müssen, also auch die Pläne der Inhaftierten kannten. Wenn es sich um Selbstmordpläne gehandelt haben sollte, WENN!, dann ist anzunehmen, dass sämtliche Beamte, die das mitbekamen, sich des Verbrechens der unterlassenen Hilfeleistung schuldig machten. Hinzukommt, dass nach Aust- die Plattenspieler und sonstigen Verstecke für die Pistolen- von ausgewiesenen Technikern untersucht worden waren, ohne etwas Auffälliges zu finden. Nachträglich stellte selbst der um Waschungen aller Art bemühte Untersuchungsausschuss Baden-Württemberg fest, dass die “plumpen Lötungen- usw. jedem hätten auffallen müssen. Zwei Schlüsse sind möglich: Entweder in dem Plattenspieler war zum Zeitpunkt der Untersuchung wirklich keine Pistole, (und wurde erst nachträglich eingefügt, um die Schmuggel-Legende der Waffen zu stützen) - oder - noch bedenklicher - der Beamte wusste, dass er nichts finden durfte und beließ die Waffe dort, wo er sie gefunden hätte, wenn er gründlicher nachzuschauen den Mut gefunden hätte. (Um den Gefangenen nicht die Möglichkeit der billigend in Kauf genommenen “finalen Lösung- zu entziehen.)

Dass das Baden-Württembergische Ministerium heute im Jahre 2007 keinerlei Hinweise auf Lauschangriffe und Überwachungsmaßnahmen finden konnte, versteht sich, hat aber für die Frage der Ergründung der wirklichen Sachverhalte nichts weiter zu sagen.

Soweit die Recherche Austs also ausgezeichnet. Er hat die jahrelangen Vertuschungen der Obrigkeit aufgedeckt.

Nur mit welcher Absicht? Bei Beckmann am Abend wiederholte Aust wörtlich, was er im SPIEGEL schon geschrieben hatte: er halte solche Abhörmaßnahmen unter den gegebenen Umständen für völlig legitim. Legitim, nicht legal, immer vorsichtig in der Wortwahl. Warum: Eben Staatsnotstand, rechtfertigender Notstand oder was auch immer.

Damit folgt einer, dessen SPIEGEL in der Frankfurter Rundschau vor einigen Tagen als das Veröffentlichungsorgan der Dienste bezeichnet wurde, genau der Linie Schäubles. Immer wieder verweist der heutige Innenminister auf seinen Amtvorgänger Schily, der heimlich vor nichts zurückschreckte, ob gesetzlich und grundgesetzlich erlaubt oder nicht.

Nur er, Schäuble, will es eben legal. Wahrscheinlich nicht aus Gesetzesfetischismus. Er will die Massenmobilisierung, den Propagandaeffekt, das breite brüllende Ja zum Staat, der alles darf und dem alle Bürger zuarbeiten. Er ist nicht der erste, der gemerkt hat, dass staatliches Tun allein heute zu wenig bewirkt, wenn nicht Massendruck von unten eingesetzt wird.

Genau so- ohne es so laut auszusprechen - AUST. Haben wir 1977 heimlich, aber gerechtfertigt, so gehandelt, warum nicht jetzt mit der Sprache herausrücken und offen -drohend- das durchführen, was heimlich ja ohnehin schon immer getrieben wurde.

Aust wird damit sicher auf Zustimmung stoßen. Wie Neumann (aus dem amerikanischen Exil 1941) in seinem BEHEMOTH schon meinte,hatte die Ablehnung der Nazis von Parlament, Völkerbund und Justizförmigkeit zumindest den Charme der Ehrlichkeit. “Endlich sagt einer, wie die Dinge laufen- mit Gewalt, Staatsgewalt, und bekennt sich dazu. Was soll das Gesäusel von Menschenrecht und demokratischer Transparenz-.

Soviel zu Austs Hauptabsicht. Daneben ging es wieder darum, die Toten noch einmal zu erschlagen- und -über alle Details hinweg- den Bogen zu schlagen vom Terror 1977 zum Terror 2007. Bei Beckmann ganz offen: RAF - fast religiöser Fanatismus, Neigung zum Selbstmord, elitärer Wahn. Passgenau die Islamisten aus Neu-Ulm!

Sonst Sammlung der Zeugnisse all derer, die immer schon darüber standen. Etwa der überall als bescheiden, zurückhaltend, selbstkritisch bekannte Cohn-Bendit: -Mahler- das arrogante Arschloch-.

Dann der von Aust zum Evangelisten erhobene Boock, der freilich auch schon Breloer in seinem “Todesspiel- zu Willen war und eigentlich jedem, der seiner pathologischen Geltungssucht fünf Minuten lang Auftrieb verschafft. Aust legte ausdrücklich Zeugnis für ihn ab. Der Treueste der Treuen. Beim Nachlesen all seiner Aussagen muss man Austs Leichtgläubigkeit bedauern oder die Bedenkenlosigkeit im Gebrauch des für ihn Nützlichen bewundern.

Nur zwei Details zu Boocks Auskünften: Im Prozess gegen die als Waffenüberbringerin verdächtigte Frau Haas im Zusammenhang mit der Entführung der LANDSHUT machte er nacheinander Aussagen über die deutlich sichtbare Schwangerschaft der Frau Haas, die weder mit den realen Daten der Geburt des zu erwartenden Kindes noch unter sich zusammenpassten. Das Gericht musste auf Verwertung bedauernd verzichten.

Taz vom letzten Samstag stellte ein kleines Experiment an. So nebenbei, weil die anderen Unternehmungen der RAF nicht reichten, erwähnte Boock auch eine geplante Entführung von Helmut Schmidt. Er selbst habe von einem schräg gegenüberliegenden Haus den Bungalow des damaligen Kanzlers oberviert. Ergebnis der Nachforschung: man kann von keinem der in Frage kommenden Standorte her vom Haus mehr als das Dach wahrnehmen.

Boock dient vor allem dazu, die Selbstmordthese zu unterstützen. Die Sache mit den eingeschmuggelten Pistolen hat er inzwischen ausgebaut. In den Früherzählungen, als die versammelte RAF im Hotelzimmer weit vom Schuss vom Tod der Stammheimer erfuhr, hätten alle - naheliegend - an eine Ermordung durch die Dienste geglaubt. Da sei Mohnhaupt- “wie eine Furie- dazwischengefahren und habe die anderen gefragt, ob sie sich nicht vorstellen wollten, dass die Gefangenen ihr Schicksal bis zuletzt in die eigene Hand genommen hätten.

In der Fernsehfassung kommt Mohnhaupt früh zu Boock und erzählt von den Waffen, zu verschieden denkbarem Gebrauch, zuletzt vielleicht auch, um ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. ( Zusatzproblem: Boock will doch beim Waffenschmuggel, wie bei allem anderen, hauptamtlich beteiligt gewesen sein. Was konnte ihm Mohnhaupt da Neues erzählen?)Das alles lange vor dem Oktober 77. Dann geht die Geschichte in der obigen Fassung weiter.

Nur: wenn Boock das alles schon vorher wusste, woher überhaupt der Gedanke an Ermordung statt Selbstmord? Boocks Glättungen machen die darunter liegenden Risse nur noch deutlicher.

Wie es wirklich war - Breloer und jetzt Aust tun so, als sei alles sonnenklar - wie die Schlacht von Austerlitz oder der Hergang des 20.Juli.

Ich weiß nichts. Ich weiß gar nichts- und behalte mir das Recht vor, auf diesem Nichtwissen bis auf weiteres zu verharren. Die Sachlage ist genau die selbe wie vor dreißig Jahren. Was damals unerklärlich war, ist bis heute nicht zu erklären. In einem Artikel in der taz schreibt ein Gast, wie es nach ihm wirklich war. Anmerkung der Redaktion: er hatte lange an Mord geglaubt. Aber was ihn jetzt dazu bewog, nicht mehr daran zu glauben, wird nicht deutlich.

Die Wahrheit ist: wir alle scheuen den Gedanken, in einem Staat zu leben, wo heimliche Ermordung von staatswegen möglich ist. Wir möchten gerne im einzigen Staat leben, wo - im Gegensatz zu England, Italien, Frankreich, USA- gezielte Tötungen undenkbar sein sollen. Deshalb die im Lauf der Jahre gewachsene Unlust weiterzufragen.

Uns in dieser Sicherheit festzuhalten, es werden nur noch wenige überhaupt danach fragen, dienen Breloers und Austs Darstellungen der Hauptsache nach.

Beweis: Eine umfassende Untersuchung müsste endlich einmal Irmgard Möller zu Wort kommen lassen. Ihre Darstellung der berühmten Nacht,die sie als einzige überlebte, gegenüber Tolmein ist in sich mindestens so glaubhaft und widerspruchsfrei wie alles, was Boock aufzutischen hat. Und warum nicht Brigitte Mohnhaupt selbst einmal fragen, was sie wirklich zu Allem gesagt hat?

Und warum den Gefängnisbeamten Bubeck immer noch als Zeugen ernst nehmen, der die BILD-würdige story in die Welt setzte, Bader hätte mit einer Rechtsanwältin im Vernehmungszimmer ein Kind gezeugt. Nachforschungen ergaben, dass die einzige in Frage kommende Rechtsanwältin ein einziges Kind hat, das aber keineswegs zu diesem Zeitpunkt entstanden sein kann.Wir alle können schließlich normalerweise seit der dritten Klasse auf neun zählen. Da es nicht unendlich viele in Frage kommende Rechtsanwältinnen gibt, ist damit Bubecks Erfindung eindeutig als böswillige Verleumdung zu erkennen, mit dem Zweck, dem nachträglich entrüsteten und zugleich leicht aufgegeilten Publikum unter die Nase zu streichen, was für eine lustige Baracke doch Stammheim gewesen war. Nein, auch Bubeck wird weiterhin als ehrenwerter Zeuge - selbst beim betont wissenschaftlich vorgehenden - Koenen- geführt.

Besonders unangenehm die Ausmalung des Psychodramas von Ulrike Meinhof.

Nicht ohne begeisterte Mitwirkung ihres ersten Ehemanns Röhl. (Die Jahre der Ehe mit ihm hätten unter allen Umständen auf die spätere Haft angerechnet werden müssen. Ein Jahr Röhl - fünf Jahre Stammheim - so ungefähr).

Da Ulrike Meinhof im allgemeinen Bewusstsein die größte Rolle spielt, kommt es darauf an, nicht so sehr sie selbst zu diskreditieren als die Gruppe. Die - so auch die Darstellung Austs - hätten sie systematisch fertiggemacht - und Tage vor ihrem Tod - sich formell von ihr losgesagt durch Ensslins Prozesserklärung, in der die Verantwortung für den Anschlag auf das Springerhaus nicht übernommen wurde.Das- mitgedacht- hätte Ulrike den Rest gegeben. In Wirklichkeit liegt von Meinhof fast textgleich eine Veröffentlichung unmittelbar nach dem Anschlag vor, in welchem sie fast mit gleichen Worten den Fehler kritisiert. Das reicht dann freilich zum Todesstoß nicht aus.

Deshalb zum Nachladen bei Aust die Kassiberzitate, in denen Meinhof sich selbst als die “bürgerliche- Kreatur verurteilt, die erst- als Kolumnistin und Party-Gast- der Bourgeoisie “in den Arsch gekrochen sei-, jetzt aber “der RAF-.

Gewiss: das war der wunde Punkt. Das was die massenhafte Zustimmung zu Meinhofs Abgang in den Untergrund genau so bedingte wie ihre spätere Zerrissenheit. Das totale Ungenügen am bloßen Reden, bloßen Schreiben, bloßen Schlautun, die Widerlichkeit des kommentierenden Danebenstehens- zernagte damals Hunderte. “Die Welt ist bisher immer nur anders interpretiert worden, es kömmt aber darauf an, sie zu ändern-. (Marx) Wer hätte damals dem nicht erschüttert nachgestammelt! Mit einem kleinen Lesefehler: wir lasen alle “handeln-, ließen die Nuancen des “Änderns- weg. Verändern setzt den Knick in der Bahn voraus, die Richtungsverschiebung. Das - zur Not - ließe sich - auch - durch Reden mitbewirken. Das Ausweglose bestand dann für Ulrike darin, den letzten Teil ihres Lebens aufs Schreiben zurückgeworfen zu verbringen, aber eines, das nicht einmal mehr die früheren Adressaten erreichte. Verschärfend kam dann hinzu, dieses Versagen als das bürgerliche Erbe zu verstehen und - vergeblich - aus sich ausreißen zu wollen. Wie der Wolf, den die Wackersteine des Vergangenen in die Tiefe zogen- der einfach nicht zum - angeblich tatbereiten - Proletariat durchstoßen konnte, mochte sich so mancher auch außerhalb der Mauern vorkommen. Mit einer weiteren Fehlinterpretation: sich ein Proletariat aus Lenins Zeiten als geschlossenen Marschkörper immer noch ausdenken zu müssen! Real ist nicht nur die Arbeiterklasse aus der Fabrik herausgetreten, sondern hat sich undeutlich vermischt mit allen möglichen Existenzen, die allesamt ein starkes Unbehagen empfinden an den bestehenden Zuständen, ohne auf den Hebel zu stoßen, der das alles umwirft, und ohne den starken Arm gegen die sausenden Räder.

Das das Überindividuelle am Schicksal der Ulrike Meinhof! Das zu Erinnernde!

Aust hat das erkannt, versucht aber geschickt, den Widerspruch nach rückwärts aufzulösen. Genauer: ihn nur als Scheinwiderspruch erkennen und anerkennen zu wollen.

Schon der Titel “Aufstand der Bürgerkinder- verrät die Absicht. Es soll gezeigt werden, wie Leute - wie wir - solche, die eigentlich keine Sorgen zu haben bräuchten - eben Bürger - sich aus Überdruss und Langeweile aus der Normallinie entfernen: eben der der Bürger.

Bürgertum soll aufs Neue die anerkannte Lebensform sein, nach der die sich zu drängeln haben, die noch nicht dazugehören.Aufsteiger, Modernisierungsgewinnler. Wer schon dazu gehört, hat keinen Grund sich aufzuregen, schon gar nicht über das Geschick anderer Leute, die nicht dazugehören. Wie erklären, dass jemand sich doch aufregt? -Ganz einfach: der hat Rosinen im arroganten Kopf wie Bader, der ist neurotisch (oder doch verhirntumort?) wie Meinhof, der ist missionarische sendungsbewusste Pfarrerstochter wie Ensslin - oder - speziell bei Koenen - Nazisohn unter Wiederholungszwang wie Vesper. Das alles gesehen vom Allgemeinmenschen her, vom Super-Normalo, der sich beglückwünscht, von solchen Sonderlichkeiten verschont zu sein. Dass es diesen symptomlosen Normalo ohne Macken gar nicht gibt, verschweigen Koenen und Aust. Ihr Ziel: uns einverstanden machen mit unserer Lage, wie beschissen sie sein mag, und mit den Maßnahmen unseres Staates, der den Laden, so gut es geht, zusammenhält.

Unterwerfung.

Den Suggestionen Austs und der Seinigen nicht zu unterliegen ist anstrengend. Vielleicht aber doch lohnender als die Langeweile des Immergleichen und Unveränderlichen, welche die Tröstungen von SPIEGEL und ARD uns versprechen.

Quelle: SPIEGEL 10.9/ARD zwei Sendungen; Junge Welt

Zuerst veröffentlicht in: stattweb.de: Stattzeitung für Südbaden im Internet

Wie alles anfing

16. September 1976

Der Gefangene, ein stiernackiger Rotschopf namens Ciceran Nugent, war zu drei Jahren wegen Entführung eines Lieferwagens verurteilt worden und war zufällig der erste wegen Terrorismus-Vergehens verurteilte IRA-Mann nach dem Stichtag für das Ende des special category status.

Nach der Kleidergröße für seine Gefängnisuniform gefragt, sagte er: "Ihr wollt mich wohl verarschen!" Das war der Moment, der Ereignisse in Gang setzte, die erst vier Jahre später zu einem außergewöhnlichen Abschluß kommen sollten.

Nugent wurde ohne jedes Kleidungsstück in eine Zelle gesperrt, er war gezwungen, sich mit einer Decke zu bekleiden.

Die Gefängnisregeln verlangten, dass ein Insasse bekleidet sein mußte, wenn er seine Zelle verlassen wollte. So kam Nugent und die IRA-Männer , die nach ihm eingesperrt wurden, in die Situation, dass sie vierundzwanzig Stunden am Tag eingesperrt waren.

Der Bruch der Gefängnisdisziplin durch ihre Weigerung, mit der Gefängnisverwaltung zusammen zu  arbeiten, zog weitere Bestrafung nach sich: Unter dem nordirischen System der bedingten Haftentlassung hatten die Gefangenen Anrecht auf 50% Straferlass bei guter Führung. Nichtzusammenarbeit hatte deshalb die Auswirkung, dass sich ihre Strafen faktisch verdoppelten.

"Zusammenarbeit" hätte sie berechtigt, vier Besuche von Familie und Freunden im Monat zu empfangen.

"Nichtzusammenarbeit"
kostete sie die drei "privilegierten" Besuche, und die Vorschrift, Gefängniskleidung tragen zu müssen, wenn sie den Besucherraum betreten wollten, kostete sie den vierten "vorgeschriebenen" Besuch.

Das isolierte sie praktisch komplett von der Außenwelt, ihr Kontakt wurde reduziert auf einen Brief im Monat hinaus und hinein.

Nachdem das Mobiliar ihrer Zellen bei Auseinandersetzungen mit den Wärtern zertrümmert worden war, liess man sie mit ihren Träumen und Erinnerungen und der harten Wirklichkeit eines 2,50 mal 3m großen Steinsargs allein, mit nichts außer einer Bibel, einer Matratze, drei Decken und einem Zellengenossen als Gesellschaft.

Der Decken-Protest hatte begonnen.

Irische Begräbnisse ...

Trauerzug für Bobby Sands
Foto - mit freundlicher Genehmigung: Bobby Sands Trust
Ein einsamer Dudelsackspieler geht die Stewardtownroad in Belfast hinunter.

Seine Melodie schwebt über den Köpfen der hunderttausendköpfigen Menge, die dem Sarg folgt und die Straßen säumt. Nur das Scharren ihrer Füße ist zu hören.

Im Sarg liegen die sterblichen Überreste von Bobby Sands, gestorben nach 66 Tagen im Hungerstreik. Auf dem Sarg die irische Trikolore, ein Paar schwarze Lederhandschuhe und eine weiße Rose.

Es regnet in Belfast an diesem 7.Mai 1981 und der rote Sand zwischen den Grabsteinen des Milltown-Friedhofs, mit ihren hängenden Christusfiguren und ihren marmornen Mariastatuen, wird von abertausend Füßen zerfurcht.

Owen Carron hält die Trauerrede: "Bobby Sands, dein Opfer wird nicht umsonst gewesen sein."

Dublin, 1. August 1915
O`Donovan Rossa ist in seine Heimat zurückgekehrt: Mitglied der Irish Republican Brotherhood, der Fenier. Wegen seines Kampfs gegen die britische Kolonialherrschaft 1865 zu lebenslanger Haft verurteilt, kommt er 1871 frei und geht in die USA. Dort stirbt er am 29. Juni 1915.

Jetzt ist sein Leichnam in der City Hall von Dublin aufgebahrt, aus ganz Irland sind tausende angereist, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.

Den Friedhof von Glasnevin überragt ein irischer Rundturm, seine Steine spiegeln an diesem Tag das Sonnenlicht, die Luft duftet nach trocknender Erde.

Padraig Pearse
hält die Trauerrede:

"Sie glauben, sie haben Irland befriedet.
Sie glauben, sie haben die Hälfte von uns gekauft und die andere Hälfte eingeschüchtert.
Sie meinen, sie hätten alles vorhergesehen und für alles vorgesorgt, aber sie sind Narren, Narren, Narren !
Sie haben uns unsre toten Fenier gelassen und solange Irland diese Gräber in sich trägt, wird ein unfreies Irland niemals befriedet sein."

Acht Monate später ist Padraig Pearse einer der Anführer des Osteraufstands gegen die englische Herrschaft.

31.Oktober 1921
Gezogen von zwei Pferden mit schwarzen Federbüschen, begleitet von Bischöfen im vollen Ornat, einer Abteilung von IRA-Freiwilligen in Uniform (was verboten ist), wird der Sarg von Terence Mac Swiney durch die Strassen von  London geleitet.

Mac Swiney kehrt aus dem Gefängnis in Brixton nach Cork in Irland zurück: Dort war er Bürgermeister und Offizier der örtlichen Einheit der IRA. Bei seiner Einführungsrede als Bürgermeister sagte er:
"Es sind nicht die, die am meisten Schaden zufügen können, sondern die, die am meisten leiden können, die siegreich sein werden."

Er wird von den Briten wegen des Besitzes verbotener Dokumente verhaftet und angeklagt. Am 12. August beginnt Mac Swiney einen Hungerstreik gegen seine Inhaftierung und stirbt nach 74 Tagen.   

Heilbronn: Bericht des Bündnisses für Versammlungsfreiheit zum 1. Mai

Die AG Demobeobachtung des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit hat die Proteste gegen den Naziaufmarsch in Heilbronn am 1. Mai 2011 dokumentiert und ihren vorläufigen Bericht dazu veröffentlicht:

Bericht der AG Demobeobachtung zum 1. Mai in Heilbronn:

Heilbronn stellt sich quer - Demo am 1.Mai 2011 (Stand: 06.05.2011)


Über die Vorgeschichte zur Aktion der Blockierer und Demonstranten wird an dieser Stelle nicht informiert.

Einzelheiten zu Zweck und Ziel der Blockade bzw. Demonstration „Heilbronn stellt sich quer“ unter http://heilbronn-nazifrei.de
Morgens:

Die Anfahrt per Bahn und Bussen gelang ohne größere Behinderung. Die mit dem Zug anreisenden Demonstranten wurden dann aber am Bahnhof festgehalten.

Es wurde von der Polizei schon bei der Einfahrt des Zuges ständig gefilmt.



Das Filmen und Fotografieren wurde von der Polizei den ganzen Tag ununterbrochen durchgeführt.



Zudem waren mehrere Polizeihunde im Einsatz.




Ab 9:40Uhr wurde der Bahnsteig von den Polizeikräften, unter Einsatz von massivem Zwang, geräumt.






Dabei kam es zu mehreren brutalen Festnahmen.











Einige Demonstranten wurden die Unterführungstreppe hinunter gestoßen.










Nach der Ausleitung aus dem Bahnhof wurden die Gegendemonstranten (zwischen 400-500 Personen) in einem abgesperrten Bereich um ca. 10:15 Uhr eingekesselt.




Dieser Polizeikessel wurde bis ca. 18:00 Uhr gehalten.






Während dieser Zeit standen bis auf wenige Ausnahmen weder Toiletten noch Wasser zu Verfügung.


Den Demonstranten, die mit 3 Bussen gekommen waren, gelangten indem sie der Polizei auswichen, in Bahnhofsnähe (Weststraße). Dort gelang es der Polizei die ca. 150 Personen größtenteils in zwei Kesseln festzuhalten (ca. 10.00 Uhr). Die ca. 80 Personen des einen Kessels wurden auf ein nahegelegenes eingezäuntes Sportgelände einer Schule gebracht.



Ihnen wurde angekündigt, dass sie dort bis zum Ende des Tages festgehalten würden. So geschah es dann auch. Die anderen wurden nach einiger Zeit mit einem Bus und einem anderen Polizeifahrzeug weggebracht und ebenfalls erst abends freigelassen. Längere Blockaden der für die Nazis vorgesehen Demoroute wurden so verhindert. Diese blieben zunächst in Bahnhofsnähe, teils, weil sie an ihrem Demozug noch gehindert wurden, teils weil sie die Ankunft weiterer Teilnehmer erwarteten.

Gegen 12.30 wurde die Demoroute (Weststrasse und weiter bis zum Arbeitsamt) von der Polizei geräumt. Die (laut Aussage der Polizei) 740 Nazis konnten ihren Aufmarsch samt Abschlusskundgebung am Arbeitsamt durchführen.

Aufgrund der Festsetzung konnte der nach den Protesten angesetzte Antifa - Demonstrationszug nicht stattfinden.

Zwischen 18.00 und 19.00 trennte ein äußerst massives Polizeiaufgebot (3-4 Reihen Polizisten, eine Reihe Reiter) den immer noch bestehenden Kessel am Bahnhof vor Demonstranten, die die Menschen dort freigelassen sehen wollten.



Die Auflösung des Kessels nach Aufhebung der Ingewahrsamnahme um 18:08 geschah nur sehr langsam, nach Abfilmen, Personalienaufnahme, Durchsuchung jedes einzelnen (bis mindestens 21.00).



Erst gegen 20 Uhr war der Bahnhof wieder betretbar.



Das Recht auf Versammlungsfreiheit wurde für die Demonstranten massiv beschnitten.

Zwar scheint es nicht sehr viele gewalttätige Übergriffe der Polizei mit Verletzungen gegen Einzelne gegeben zu haben (uns wurde allerdings von einigen Verletzungen - z.B. Prellungen, Handfraktur, Schürfwunden, u.ä. - von Sanitätern berichtet), umgekehrt konnten wir keine Gewalt von Demonstranten beobachten, wohl konnten wir beobachten, wie die Polizei Gewalt bei den Demonstranten konstruieren wollte (Polizist zu Mitgliedern seiner Einheit: "Die haben euch überrannt; so war`s doch?").

Chronologische Aufzeichnungen der beobachteten Ereignisse am Bahnhof:

08:17 Uhr
Ankunft in Heilbronn. Polizei hat weiträumig abgesperrt und fährt auf dem Neckar Streife mit Schlauch- sowie Motorbooten.





09:00 Uhr Polizei greift hinter Werbeschild ein -“ Geschrei auf dem Bahnsteig. Ein Jugendlicher wird brutal zu Boden geworfen, mit Kabelbindern gefesselt und festgenommen.



09:30 Stuttgarter Zug steht seit ca. 45 min. im Bahnhof. Leute werden in Gruppen v. 20-30 Leuten herausgelassen.

10:29 Polizeidurchsage, Bahnhof sei versammlungsfreie Zone, fordert Demonstranten zum gehen auf.

11:07 Faschisten werden von Polizei zum Kundgebungsplatz geleitet - man hört Musikbeschallung der Faschisten-Demo.

13:20 Gegendemonstranten werden im Kessel festgehalten. Die Faschisten haben ihren Demozug noch nicht gestartet.

13:37 „Wir wollen aufs Klo“ wird skandiert. Polizei dringt in Sperrbereich ein, in dem die Demonstranten stehen. Hierbei werden diese wiederholt gestoßen.

14:11 Naziaufzug setzt sich in Bewegung.

14:57 Der Versammlungsleiter der für nach den Protesten angemeldeten antifaschistischen Demo hat zusammen mit der Bundestagsabgeordneten Karin Binder (Karlsruhe) die Polizei aufgefordert, die Teilnehmer zu ihrem Versammlungsort gehen zu lassen. Polizei lehnt mit der Begründung ab, dass sie nur einverstanden sei, wenn jeder einzelne Teilnehmer kontrolliert und durchsucht werden kann.

15:23 Kessel besteht weiterhin. Polizei teilt den Demobeobachtern mit, dass die Demo nicht durchgeführt wird. Die angeblich richterliche angeordnete Ingewahrsamnahme wird den Demobeobachtern angekündigt.

16:03 Polizei bereitet sich auf einen Einsatz vor. Helme und Handschuhe werden angezogen bzw. aufgesetzt.

16:13 Polizeiliche Verkündung über Lautsprecher, dass aufgrund einer richterlichen Anordnung alle Teilnehmer bis auf weiteres in Freiluftgewahrsam genommen werden. Begründung: Die Teilnehmer wären der Aufforderung den Platz zu verlassen nicht nachgekommen. Dies wäre aber von Seiten der Polizei nur möglich gewesen, wenn sich alle Teilnehmer kontrollieren und durchsuchen hätten lassen.

16:26 Die ersten Teilnehmer bekommen gesundheitliche Probleme, da sie in der Sonne stehen und nichts zu trinken bekommen. Einzelne Teilnehmer bitten die Polizei darum, auf die Toilette gehen zu dürfen. Diese lehnt ab. Es kommt zu äußerst peinlichen Situationen, da die Teilnehmer auf dem Freigelände ihre Notdurft verrichten müssen.

16:28 Polizei verteilt „Steckbriefe“ an Beamte. Offensichtlich sollen einzelne Teilnehmer herausgegriffen werden.

16:41 Der Demozug der Nazis erreicht in Sichtweite den Hauptbahnhof zur faschistischen Abschlusskundgebung.

16:50 Ein antifaschistischer Demonstrationszug mit ca. 150 Teilnehmern bewegt sich auf die Eingekesselten zu. Die Polizei geht massiv dazwischen. Hierbei wurden auch Pferde in Stellung gebracht.



Es kommt erneut zu brutalen Festnahmen.





17:35 Beide Blöcke sind getrennt voneinander eingekesselt. Polizeiliche Weigerung, den Eingekesselten, Wasser zu geben. Auch eine Toilettenbenutzung wird nach wie vor abgelehnt.


17:57 Die meisten Polizisten ziehen ab. Situation entspannt sich. Polizei sagt zu den DB, dass die Ingewahrsamnahme in den nächsten Minuten aufgehoben wird. Mehrere Wasserflaschen sind plötzlich unter den Eingekesselten. Die Herkunft des Wassers ist uns nicht bekannt.



18:08 Die Ingewahrsamnahme wird von der Polizei über Lautsprecher aufgehoben. Jeder einzelne Teilnehmer wird nach und nach von zwei Beamten herausgeführt und einer Leibesvisitation unterzogen. Alles wird durchsucht. Alle Personen werden über den ganzen Körper abgefilmt. Auch die Ausweispapiere werden abgefilmt.









19:12 Teilnehmer protestieren über Megafon gegen die Kontrollen.


19:15 Etwa die Hälfte der Teilnehmer stehen noch auf dem Platz und warten auf ihre „Behandlung“.

19:20 Die Demobeobachter beenden ihren offiziellen Einsatz.

Es liegen uns weitere umfangreiche Foto-, Audio- und Videoaufnahmen vor.

Stuttgart, 05.05.2011

Download des Berichtes (PDF)

"Unsere Rache ist das Lachen unsrer Kinder" (Bobby Sands)

Bobby Sands Wandmalerei in Belfast
Quelle: Selbst fotografiert (http://www.zeitgrund.de)
Fotograf/Zeichner: Olaf Baumann
Lizenz: CC-by-sa 2.0/de
Vor 30 Jahren, am 5. Mai 1981 starb Bobby Sands, Mitglied der Irisch Republikanischen Armee, inhaftiert in den H-Blocks von Long Cash in Lisburn/Nordirland, nach 66 Tagen im Hungerstreik.

Nachdem sie fünf Jahre gegen die Aberkennung des Status als politische Gefangene gekämpft hatten, setzten er und seine Kameraden das letzte Mittel, den unbefristeten Hungerstreik, ein.

Bis zum 3.Oktober, dem Abbruch des Streiks, starben zehn Gefangene im Hungerstreik.

Außer Sands waren das:

Francis Hughes (25 Jahre alt, am 12. Mai)
Raymond Mc Creesh (24 Jahre alt, am 21. Mai )
Patsy O`Hara (23 Jahre alt, am 21. Mai )
Joe Mc Donnell (30 Jahre alt, am 8. Juli )
Martin Hurson (25 Jahre alt, am 13. Juli )
Kevin Lynch (25 Jahre alt, am 1. August )
Kieran Doherty (25 Jahre alt, am 2. August )
Thomas Mc Elwee (25 Jahre alt, am 8. August )
Mickey Devine (27 Jahre alt, am 20. August )

Verantwortlich für ihren Tod war die britische Regierung unter Margret Thatcher.

"Unsere Rache ist das Lachen unsrer Kinder" (Bobby Sands)

Die in den nächsten Tagen folgenden Episoden aus der Geschichte des Hungerstreiks sind dem Andenken an diese zehn Männer gewidmet, verwendet wurden dafür Motive aus den Arbeiten von David Beresford, Tim Pat Coogan, Michael Farrell und eigenes Erleben.

Offener Brief von Betriebsräten und IG Metall-Vertrauensleuten von Mercedes-Benz, Bremen

Angesichts immer wiederkehrender Parallelen - zuletzt am 1. Mai in Heilbronn - dokumentieren wir den "offenen Brief von Betriebsräten und IG Metall-Vertrauensleuten von Mercedes-Benz, Bremen".

An den
Senator für Inneres,
Herrn Mäurer

Betrifft: Ausnahmezustand anlässlich des Nazi-Aufmarschs am 30. April

Werter Herr Senator für Inneres,

als Teilnehmer an der antifaschistischen Demonstration fühlen wir uns bedroht. Wir fühlen uns weniger bedroht von den Dreigroschenjungs der NPD (und den dazu gehörigen Verfassungsschützern), die die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung in Bremen am 1. Mai provozieren wollten. Damit sind wir bisher immer fertig geworden.

Wir fühlen uns bedroht von Ihnen und Ihrer Polizei. Die Tausenden von bewaffneten Polizisten aus dem ganzen Land, die gepanzerten Fahrzeuge, die Reiterstaffel, die Pfefferspraydosen, die ganze martialische Kriegsausrüstung -“ das Alles war ja wohl kaum gegen das klägliche Häufchen von Faschisten gerichtet, sondern gegen die Antifaschisten, gegen Gewerkschafter, gegen Jugendliche.

Es ist schon ungeheuer: Ein sozialdemokratischer Innensenator versetzt einen ganzen Stadtteil, eine ganze Stadt in den Ausnahmezustand, in dem bürgerliches Recht schlicht und einfach außer Kraft gesetzt wird.

Zugleich beteuern Sie, dass Sie die NPD am liebsten verboten sehen und eröffnen eine Ausstellung über die Verbrechen der Bremer Polizei während des Hitlerfaschismus. Wir halten das für eine verlogene Moral. Sie rufen nicht nur Polizeieinheiten aus NRW und Niedersachsen in die Stadt, in der es schon in der Geschichte einen starken Widerstand gegen die Faschisten gegeben hat. Sie rufen die Bundespolizei auf den Plan, die mit brutaler Gewalt vorgegangen ist gegen Antifaschisten.

Wir stellen Ihnen die Frage: Auf welcher Rechtsgrundlage hat die Bundespolizei, die durch die Alliierten 1949 ausdrücklich für die BRD verboten wurde (eben auf Grund der Erfahrungen während des Faschismus), deren Existenz in keinem Punkt durch das Grundgesetz gedeckt ist, auf welcher Rechtgrundlage also haben Sie diese Bundespolizei in Bremen eingesetzt?

Weiter: Auf welcher rechtlichen Grundlage wurde das Technische Hilfswerk in Alarmbereitschaft versetzt, um die Polizei zu unterstützen? Jenes THW, das ebenfalls nach dem Hitlerfaschismus aus gutem Grund verboten wurde, im rot-grünen Bremen als Hilfspolizei gegen Antifaschisten und Gewerkschafter? Dürfen wir nächstes Mal die Bundeswehr erwarten?

Sie sind verantwortlich für dieses praktizierte Stück Notstand, für eine Bürgerkriegsübung, die Schlimmeres erwarten lässt. Darüber täuschen Ihre Krokodilstränen über die NPD nicht hinweg. Sie brauchen nicht zu schwadronieren über ein Verbot dieser Partei. Nach dem Potsdamer Abkommen sind faschistische Vereinigungen bereits verboten. Sie brauchen sie also nur aufzulösen, wie es dort geschrieben steht.

Wir fühlen uns von Ihnen und Ihrer Politik bedroht, weil wir wissen und weil Sie bewiesen haben, dass sie gegen uns gerichtet ist. Unsere Stimme werden Sie bei der kommenden Wahl mit Sicherheit nicht kriegen und eines können wir Ihnen versichern: Wir werden jeden Millimeter unserer Rechte gegen diesen Notstandskurs verteidigen!

Gerwin Goldstein, Betriebsrat, IG Metall Delegierter
Jochen Kohrt, Betriebsrat, IG Metall Delegierter
Frank Kotte, Betriebsrat
Hans-Helmut Krug, Betriebsrat
Gerhard Kupfer, Betriebsrat, IG Metall Delegierter, Mitglied IGM Vertrauenskörperleitung
Luisza-Maria Mlynek, Betriebsrätin
Herbert Mogck, Betriebsrat, IG Metall Delegierter
Jens Müller, Betriebsrat
Uwe Müller, Betriebsrat, IG Metall Delegierter
Julia Nanninga, Betriebsrätin, IG Metall Delegiert
Matthias Puschmann, IG Metall
Claus Wessels, Betriebsrat, IG Metall Delegierter
Henriette Wessels, Betriebsrätin

Bremen, den 2. Mai 2011

Kontakt: Gerhard Kupfer, mail: g.kupfer@arcor.de
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