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Blogkino: Macario. (1960)

Heute setzen wir unsere Reihe Blogkino mit Filmen zum Thema Ⓐnarchismus fort und zeigen die Verfilmung von B. Travens Novelle Macario, die 1953 durch die New York Times zur besten Kurzgeschichte des Jahres gekürt wurde. Der Plot: Der arme, hungrige Bauer Macario sehnt sich nach einer einzigen guten Mahlzeit am Tag der Toten. Nachdem seine Frau einen Truthahn für ihn gekocht hat, begegnet er drei Erscheinungen: dem Teufel, Gott und dem Tod. Jede bittet ihn, seinen Truthahn mit ihr zu teilen, aber er lehnt alle ab, außer dem Tod. Im Gegenzug schenkt ihm der Tod eine Flasche Wasser, die jede Krankheit heilt. Bald ist Macario wohlhabender als der Dorfarzt, was die Aufmerksamkeit der gefürchteten Inquisition auf sich zieht...

Massenhaft Wahlplakate in Stuttgart umgestaltet

Mit großen, permanenten Aufklebern hat die Initiative „Unsere Wahl: Klassenkampf“ Wahlplakate von CDU, Grünen, SPD, FDP und VOLT umgestaltet*. Auf mehreren Hundert Exemplaren in der Stuttgarter Innenstadt ist nun zu lesen: „...und nach der Wahl: Sozialabbau, Überwachung, Klimazerstörung! #unserewahlklassenkampf“.

Aisha Khalid, Sprecherin der Initiative, zu den Hintergründen: „In Wahlzeiten versprechen uns alle das Blaue vom Himmel. Nach der Wahl geht dann alles weiter wie davor. Reiche werden reicher, und der Rest muss schauen wo er bleibt. Uns geht es darum aufzuzeigen, dass gesellschaftliche Probleme nicht durch Wahlen gelöst werden. Vielmehr muss man selbst aktiv werden, und diese Gesellschaft grundsätzlich verändern. Von unten.“

Die Politik aller Parteien verfolgt in erster Linie Wirtschaftsinteressen

Die Kritik der Initiative beschränkt sich hierbei nicht auf einzelne Parteien sondern will aufzeigen, wie jede der großen Parteien mehr oder weniger unterschiedlichen Wirtschaftsinteressen entspricht. Große Probleme wie die Klimakrise, Entlassungen oder Lohndumping gehen sie, wenn dann nur halbherzig an, oder zünden Nebelkerzen, die am eigentlichen Problem vorbei gehen. „Ein anschauliches Beispiel sind die Grünen. Viele wählen sie in der Hoffnung, dass sie etwas für die Umwelt tun, gegen Krieg sind oder sich für Bürger:innen-Rechte einsetzen. Sobald sie aber an einer Regierung beteiligt sind, sieht es meist ganz anders aus: Dann wird auch mal ein Wald zugunsten einer Autobahn gerodet, Auslandseinsätze der Bundeswehr gefordert oder ein Polizeigesetz verschärft. Das zeigen Regierungsbeteiligungen auf Bundesebene oder in Landesregierungen. Von CDU und SPD ganz zu schweigen. Die Vorstellung, dass eine Regierung -“ egal welcher Partei -“ im Sinne der breiten Bevölkerung handelt, wenn Konzerne mit ihren Lobbyverbänden derart Einfluss haben, ist einfach naiv.“, so Khalid weiter.

Kein Aufruf zum Wahlboykott, aber: Veränderung entsteht auf der Straße

Für einen generellen Wahlboykott spricht sich die Initiative nicht aus. Khalid formuliert: „Natürlich wird es gewisse Unterschiede geben, je nachdem welche Partei regiert. Man kann also unserer Meinung nach schon wählen gehen und progressiven Kandidat:innen ein Kreuz geben. Man sollte sich nur nichts davon erhoffen. Richtige Veränderung wird schließlich selten in Parlamenten gemacht, sondern durch Druck auf der Straße. Die vergangenen zwei Jahre sind dafür ein gutes Beispiel: Erst eine starke Bewegung auf der Straße hat die Klimakrise wieder auf die politische Agenda gesetzt, antirassistische Bewegungen weltweit haben die tiefe Verankerung von Rassismus und seine tödlichen Folgen in die Öffentlichkeit getragen und kämpferische Belegschaften hier in der Region haben gezeigt, dass sie ihre Arbeitsplätze nicht für die Profite einiger Weniger räumen. Ebenso waren es seit Jahrzehnten vor Allem unabhängige, antifaschistische Initiativen, die sich dem rechten Mob konsequent entgegenstellen. Wenn wir also davon sprechen, selbst aktiv zu werden meinen wir genau das: Sich an der Basis in sozialen Bewegungen oder dem eigenen Betrieb engagieren und mit den Menschen, die die selben Probleme und Ausgangsbedingungen haben wie wir, für eine bessere Gesellschaft zu kämpfen. Das nennen wir Klassenkampf.“

Die Initiative wird den Bundestags-Wahlkampf bis zum Schluss kritisch begleiten. Am Freitag vor der Wahl, dem 24. September, wird zudem ein Bündnis linker und revolutionärer Aktivist:innen eine Kundgebung in der Stuttgarter Innenstadt organisieren. Auf dieser Kundgebung wird es darum gehen revolutionäre Standpunkte zu dieser Bundestagswahl zu äußern.

Dort wird auch unsere Initiative präsent sein.

*Die AfD wird von uns nicht mit Stickern bedacht, weil wir der Meinung sind, dass Propaganda einer faschistischen Partei doch lieber ganz aus dem Stadtbild verschwinden sollten. Dankenswerterweise tun das antifaschistische Aktivist:innen auch seit je her.


Quelle: Presseerklärung

Corona-Wutbürger im Regierungsviertel

Foto: © neukoellnbild via Umbruch Bildarchiv Berlin
Am 29. August kamen in Berlin mehrere 10.000 Personen zusammen, um gegen die aus ihrer Sicht „diktatorischen Corona Maßnahmen“ der Bundesregierung zu protestieren und zugleich zum „Sturm auf den Reichstag“ aufzurufen. Wie bereits bei der ersten Großdemonstration dieser Art Anfang August fand sich auch hier eine mitunter bizarre Melange aus Corona-Leugner*innen, Verschwörungstheroretiker*innen, Reichsbürger*innen, Hooligans, Neo-Nazis und Schwurblern ein. An mehreren Orten gab es Protestkundgebungen von Antifaschist*innen. Sie kamen jedoch nicht an die Demos der Coronaleugner*innen heran.

Begleitet wurden die Wutbürger*innen von 3.000 Polizist*innen, die der Masse an Menschen und ihren im Vorfeld angekündigten Aktionen offenbar nicht gewachsen waren. So wurden bereits am frühen Morgen die Absperrungen am Brandenburger Tor einfach überrannt mit dem Ergebnis, dass sich die Polizei komplett zurückzog, um der aufgebrachten Menge die Straße zu überlassen. Anderseits wurde die eigentliche Demonstration, welche von der Friedrichstraße Richtung Norden zog, an der Ecke Torstraße mit der Begründung gestoppt, dass sich die Teilnehmer*innen nicht an die erforderlichen Auflagen (Maskenschutz) hielten, und nach einigem hin und her wurde die Demonstration schließlich von der Polizei aufgelöst.

Unterdessen kam es in der Friedrichstraße und unter den Linden zu Auseinandersetzungen: Demo-Teilnehmer*innen errichteten Barrikaden, zündeten einen Baucontainer an, warfen Steine und Flaschen. Das Ganze eskalierte vor der russischen Botschaft, wobei die Polizei offensichtlich einige Probleme hatte, die Menge unter Kontrolle zu bringen. Im Ergebnis all dessen verwunderte es denn auch nicht, als gegen 19 Uhr eine Gruppe aus mehreren hundert Personen auch die Absperrungen zum Reichstag überwinden konnten.

Zu den Fotos beim Umbruch Bildarchiv

"Alles aus zweiter Hand, ärmlich, schlecht stilisiert..."

Kurt Tucholsky in Paris, 1928
(Foto: Sonja Thomassen / WikiMedia)
“Rudolf Steiner, der Jesus Christus des kleinen Mannes, ist in Paris gewesen und hat einen Vortrag gehalten.

Ich habe so etwas von einem unüberzeugten Menschen überhaupt noch nicht gesehen. Die ganze Dauer des Vortrages hindurch ging mir das nicht aus dem Kopf: Aber der glaubt sich ja kein Wort von dem, was er da spricht! (Und da tut er auch recht daran.)

Wenns mulmig wurde, rettete sich Steiner in diese unendlichen Kopula, über die schon Schopenhauer so wettern konnte: das Fühlen, das Denken, das Wollen -“ das -šSeelisch-Geistige-˜, das Sein. Je größer der Begriff, desto kleiner bekanntlich sein Inhalt -“ und er hantierte mit Riesenbegriffen. Man sagt, Herr Steiner sei Autodidakt. Als man dem sehr witzigen Professor Bonhoeffer in Berlin das einmal von einem Kollegen berichtete, sagte er: -šDann hat er einen sehr schlechten Lehrer gehabt -!-˜ Und der Dreigegliederte redete und redete. Und [der bekannte Journalist Jules] Sauerwein übersetzte und übersetzte. Aber es half ihnen nichts. Dieses wolkige Zeug ist nun gar nichts für die raisonablen Franzosen.

Die Zuhörer schliefen reihenweise ein; dass sie nicht an Langeweile zugrunde gingen, lag wohl an den wohltätigen Folgen weißer Magie. Immer wenn übersetzt wurde, dachte ich über diesen Menschen nach. Was für eine Zeit -! Ein Kerl etwa wie ein armer Schauspieler. Alles aus zweiter Hand, ärmlich, schlecht stilisiert ... Und das hat Anhänger -!

Der Redner eilte zum Schluss und schwoll mächtig an. Wenns auf der Operettenbühne laut wird, weiß man: Das Finale naht. Auch hier nahte es mit gar mächtigem Getön und einer falsch psalmodierenden Predigerstimme, die keinen Komödianten lehren konnte. Man war versucht zu rufen: Danke -“ ich kaufe nichts.- (Kurt Tucholsky über Rudolf Steiner, 1924)

Quelle: anthroposophie.blog

Revolution mit dem Tanzbein: Jon Rice - Behemoth - Ov Fire and The Void

Normalerweise stehen Schlagzeuger nicht so sehr im Fokus bei Musikvideos. Dagegen kann etwas getan werden: Jon "The Charn" Rice zeigt sein Können in dem Clip zu Ov Fire and The Void von der kirchenkritischen Band Behemoth. Dabei war er nur Ersatzmann für Inferno (Zbigniew Robert PromiÅ„ski) der zum Tourzeitpunkt in Elternzeit war.



Behemoth Ov Fire and the Void uncensored from Nuclear Blast on Vimeo.

Behemoth @ Alcatraz Metal Festival

Vier Jahre nach dem ziemlich heftigen "Satanist" ist das 11. Album "I Loved You At Your Darkest" der polnischen Blackend Death Metal-Truppe Behemoth erschienen, die mit perfekt durchgestylten Bühnenshows und satanischen Songtexten das erzkatholische Regime ihres Heimatlandes Polen aufmischen. Insbesondere innerhalb der polnischen NSBM-Szene ist die Band verhasst.

Pünktlich zum Release den neuen Albums, das binnen kurzer Zeit auf Platz 7 der deutschen Albumcharts gesprungen ist, zeigt ARTE Concert ihren Auftritt im belgischen Kortrijk von letztem Sommer. Behemoth, benannt nach dem Ungeheur aus der hebräischen Bibel, wurde 1991 von Leadsänger Adam MichaÅ‚ "Nergal" Darski in Danzig gegründet.

Mit ihren Bühnenshows, die schwarzen Messen nachempfunden sind, und satanischen Texten und Symbolen kommen Behemoth regelmäßig mit dem erzkatholischen Regime ihres Heimatlandes in Konflikt. Nergal wurde schon mehrmals von polnischen Gerichten wegen Blasphemie angeklagt.

Auch das neue Album ist eine hochpolitsche, perfekt durchdachte Provokation. Zwei Titel daraus hat Behemoth dem Publikum von Alcatraz vorgestellt: "God = Dog" (mit einem schönen Kinderchor) und "Wolves ov Siberia", das - rückwärts abgespielt, die herzerwärmende Story von dem Wolf erzählt, der eine verletzte Frau im Wald findet, ihre Wunden leckt und ihr den Weg aus dem Wald zeigt. Oder so. Ein weiterer Anspieltipp: Das binnen kürzester Zeit auf Youtube zensierte entschärfte Bartzabel (Darstellung nackter weiblicher Körper, egal ob im Kontext, geht gar nicht. Amen.) Dann eben via Vimeo.



Text: arte / WikiPedia / eigene

500 Jahre Reformation und der Fluch der Lohnarbeit

In der Feudalzeit war die Wirtschaft ausschließlich oder vorwiegend betrieben worden in Hinblick auf den Bedarf, also nach Maßgabe der vorhandenen Ansprüche. Entweder stand Art und Umfang des Konsums von vornherein fest, wie in der Familie, der Fronwirtschaft oder Dorfgemeinde, oder aber der Konsum wurde von der Kundschaft durch die Bestellung von Beginn der Produktion geltend gemacht. Bis zum städtischen Handwerk herauf war alle Produktion organisch eingeordnet, eingebettet in eine lebendige Einheit, ein überindividuelles Leben, das Stamm, Sippe, Familie, Dorfgemeinschaft, Gilde oder Zunft hieß. Erst kam der Mensch, dann die Arbeit, die der Sicherung des Lebens diente. Der Mensch arbeitet um zu leben. Dies wurde mit Beginn der bürgerlichen Epoche anders. An Stelle der natürlichen Gebilde, in deren Inneren sich die Produktion als ein Teilprozess des Stoffwechsels abspielte, trat ein Abstraktum: das Geschäft. Der Wirtschaftsprozess verselbstständigte sich. Die einzelnen Wirtschaftsakte wurden nicht mehr auf eine bestimmte Person bezogen, sondern zielten auf ein vom rein wirtschaftlichen Geist erfülltes Abstraktum, gleichsam auf sich selber als Ganzes. Die Vermögensbeziehungen waren entpersönlicht, versachlicht. Diese Verselbstständigung des Geschäfts gehört zur Entstehung und zum Wesen der kapitalistischen Unternehmung. Denn die Versachlichung der Wirtschaftsakte ermöglicht es, sie ohne alle Rücksicht auf andere Interessen nur auf den Gewinn auszurichten, und die Verselbstständigung des Geschäfts schaffte dem grenzenlosen Gewinn freie Bahn. So gewann in dem von allen Persönlichen abgelösten Wirtschaftsmechanismus das Erwerbsprinzip volle Freiheit zu ungehinderter Entfaltung und Betätigung.

Die auf Erwerbszweck und Gewinn abzielende Arbeit konnte aber zu keinem Resultat kommen, wenn weiterhin der Grundsatz galt, dass der Mensch nur arbeite um zu leben. Deshalb musste mit dieser These gebrochen werden. Der bürgerliche Mensch kehrte sie um, indem er die Maxime aufstellte: Der Mensch lebt, um zu arbeiten. Nur unter Anerkennung dieses Grundsatzes hatte er Aussicht, dass sich der Erwerbszweck der Produktion und Wirtschaft für ihn praktisch realisieren würde.

Diese Umstellung der Postulate machte es notwendig, in der gesellschaftlichen Ideologie dem Begriff der Arbeit einen anderen Sinn unterzuschieben, besonders der Lohnarbeit einen anderen Wertakzent zu geben. Das mittelalterliche Denken hatte für die Lohnarbeit, um des Erwerbs und der Bereicherung willen geleistet, wenig Verständnis. Jetzt galt es, Bauern und Handwerker für die Industriearbeit zu gewinnen. Dazu musste ihr Widerstand gegen die Erwerbsarbeit überwunden werden. Mit dieser Aufgabe betraute der bürgerliche Mensch die Kirche. Wie wir wissen, hat die Entwicklung der christlichen Kirche ihren Ausgang genommen von der christlichen Laiengemeinschaft. Sie ging also vom Kollektivismus aus, dessen ideologischer Träger sie blieb. Aber indem sie sich eine hierarchische Organisation gab mit Zentralismus, Autorität, Disziplin usw., entwickelte sie in sich eine Machtposition und Befehlshaberschaften, deren Repräsentanten notwendigerweise Persönlichkeiten, Kommandeure, Helden werden mussten. Sie züchtete Herren, Machthaber, Kirchenfürsten, Könige und landete beim Prinzip des Individualismus. Im Katholizismus vollzog sich diese dialektische Entwicklung, soweit sie der Feudalismus brauchte. Dem Protestantismus fiel dieselbe Aufgabe für das bürgerlich-kapitalistische Zeitalter zu. Das Charakteristische der protestantischen Ideologie liegt darin, dass sie den Individualismus in der religiösen Gedankenwelt völlig uneingeschränkt zur Anerkennung und Geltung brachte. Sie erhob fürs erste zum Grundsatz, dass jeder einzelne sich seinen eigenen Gott aus seinen Innersten neu erschaffen müsse. Weiter verwies sie den Gläubigen zur Verrichtung seiner Gebetsübungen aus der großen Gemeinde ins stille Kämmerlein. Endlich verkündete sie, dass jeder wahrhafte Gläubige ein Priester sei, der ohne Mittelsperson aus freien, eigenen Recht mit Gott in Verbindung treten könne. Aber auch den Intellektualismus führte Luther in das christliche Leben ein. An Stelle der Person des Papstes setzte er als höchste Instanz das Wort Gottes, statt des Menschen also ein Buch. Und während der Katholizismus die Rechtfertigung durch gute Werke lehrte, trat er für Rechtfertigung allein durch den Glauben ein. Dieser Glaube aber lief auf nichts anderes hinaus, als auf ein Sichklammern an den toten Buchstaben der Lehre.

Endlich hat Luther das Element der Weltlichkeit in die Religion getragen. Er erklärte, dass man überall und zu jeder Zeit, in jedem Stand und Beruf, Amt und Gewerbe gottgefällig leben könne. Er übersetzte in der Bibel das Wort Arbeit mit dem Worte Beruf, dem er den Beiklang einer göttlichen Berufung, einer religiösen Verpflichtung verlieh. Er maß auch der auf materiellen Gewinn abzielenden kapitalistischen Erwerbstätigkeit den Wert einer von Gott den Menschen gestellten Aufgabe zu, die zu erfüllen Christenpflicht sei. Damit leistet er der bürgerlichen Klasse den allerwichtigsten Dienst. Denn „diese Ausprägung des Berufsbegriffs hat“, wie auch Max Weber konstatiert, „dem modernen Unternehmer ein fabelhaft gutes Gewissen und außerdem ebenso arbeitswillige Arbeiter geliefert, indem er der Arbeiterschaft als Lohn ihrer asketischen Hingabe an den Beruf und ihrer Zustimmung zu rücksichtsloser Verwertung durch den Kapitalismus die ewige Seligkeit in Aussicht stellte, die in Zeiten, wo die kirchliche Disziplin das gesamte Leben in einem uns jetzt unfassbaren Grade in ihre Zucht nahm, eine ganz andere Realität darstellte als heute.“ Indem die protestantische Abendmahlsgemeinschaft die „ethische Vollwertigkeit“, von der die Zulassung abhängig war, mit der „geschäftlichen Ehrbarkeit“ identifizierte, war jeder einzelne im Interesse des Unternehmertums der Kirchendisziplin unterstellt. Die Weihe der Arbeit war auf diese Weise in einen seelischen Zwang zur Lohnarbeit verwandelt worden.

Noch weiter als die Lutherkirche ging der Calvinismus. Er hat das bürgerliche Element innerhalb der religiösen Ideologie und kirchlichen Organisation zur Reinkultur entwickelt. Nicht nur, dass Calvin die wortwörtliche Anbetung der Heiligen Schrift lehrte, er machte auch durch die Lehre von der Prädestination die Kirche zum mächtigsten Hilfsinstrument der bürgerlichen Interessen. Denn wenn der Mensch erst durch seinen Wandel erfuhr, ob er zu den von Gott Begnadeten gehörte, dieser Wandel aber durch Kirchengesang und Kirchenzucht bestimmt wurde, war es ein Leichtes, den Wandel nach den Bedürfnissen zu regulieren, die das kapitalistische Bürgertum im Sinne ihrer materiellen Interessen und Vorteile entwickelte. In der Tat wurde durch den Calvinismus jeder Lebensdrang unterbunden, jede Lebensfreude unterdrückt, jeder Lebensgenuss als Sünde und Verbrechen bestraft. In den Mittelpunkt der kirchlichen Ideologie wurde der Satz gestellt, dass Gott den Menschen in die Welt gesetzt habe, damit er arbeite. Damit wurden die Massen zu Fleiß, Unterwürfigkeit, asketischer Lebensführung erzogen, die aufstrebenden Unternehmerschichten zu Nüchternheit, Sparsamkeit, rechnerischen Verhalten und ökonomischer Wirtschaftsweise angehalten. Der Entfaltung des Erwerbssinns und der Entwicklung der Erwerbswirtschaft war aufs kräftigste Vorschub geleistet. Eine derart machtvolle, unbewusst raffinierte Veranstaltung zur Züchtung kapitalistischer Individuen hat es in keiner anderen Kirche oder Religion jemals gegeben.

(Otto Rühle: Illustrierte Kultur-und Sittengeschichte des Proletariats, Berlin 1930. S. 18.) via GIS

My Body, my Choice vs. Marsch für das Leben

Foto: Oliver Feldhaus / Umbruch BildarchivAm 16. September 2017 zogen etwa 5000 christlich-fundamentalistische "Lebensschützer*innen" mit einem sogenannten "Marsch für das Leben" durch Berlin Mitte. Aufgrund zahlreicher Gegendemonstrierenden entlang des Marschwegs musste die Fundidemonstration jedoch drastisch verkürzt werden. Immer wieder gelang es Gegendemonstrant*innen, trotz eines massiven Polizeiaufgebotes, den Aufzug zu blockieren oder die Kundgebung kurzfristig zu stören.

Fotos von Oliver Feldhaus beim Umbruch Bildarchiv, Berlin

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