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#Corona in Erstaufnahmestelle Bremen: Treten Sie zurück, Frau Stahmann!

26. April 2020: Transnationales Netzwerk Afrique-Europe-Interact fordert Rücktritt von Bremens Sozialsenatorin Anja Stahmann (Bündnis90/Die Grünen) nach Corona-Masseninfektion in der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in der Lindenstraße +++ Afrique-Europe-Interact unterstützt zudem die Forderung der zivilgesellschaftlichen Organisationen „Together we are Bremen“, „Bremer Flüchtlingsrat“ und „MediNetz Bremen“ nach sofortiger Schließung der Erstaufnahmeeinrichtung Lindenstraße.

Das transnationale Netzwerk Afrique-Europe-Interact (das mit einer Mitgliedsgruppe auch in Bremen vertreten ist) fordert Anja Stahmann -“ die Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport -“ zum Rücktritt auf. Ausschlaggebend für diese Rücktrittforderung ist weniger, dass es der zuständigen Sozialbehörde nicht gelungen ist, den massenhaften Corona-Ausbruch in der Bremer Erstaufnahmeeinrichtung Lindenstraße zu verhindern (mit mindestens 133 infizierten Geflüchteten). Denn hierfür trägt Anja Stahmann nicht die alleinige Verantwortung, das hat die politische Debatte in den letzten Wochen hinreichend gezeigt. Afrique-Europe-Interact geht es vielmehr um die Art und Weise, wie Anja Stahmann über dieses (von ihr maßgeblich mitverantwortete) Infektionsgeschehen spricht. Denn ihre gegenüber der Presse am 23.04.2020 getätigten Äußerungen waren von fehlender Sachkenntnis, Bagatellisierung und Diskriminierung geprägt. Damit zeigt sich, dass Anja Stahmann trotz ihrer fast 9-jährigen Zugehörigkeit zum Bremer Senat ganz offensichtlich von der aktuellen Krise überfordert ist. Statt einzugestehen, dass sich die Sozialbehörde mit ihrer Einschätzung getäuscht hat, wonach es möglich wäre, ein massenhaftes Infektionsgeschehen in der Lindenstraße zu vermeiden, streitet Anja Stahlmann mit sachlich falschen Argumenten und diskriminierender Wortwahl jede Verantwortung ab. In diesem Sinne ist Anja Stahmann als Vertreterin des sich zur Humanität und Weltoffenheit bekennenden Senats der Freien Hansestadt Bremen nicht mehr tragbar. Anja Stahmann sollte sich stattdessen zurückziehen und Platz für eine*n Nachfolger*in machen, die*der den Infektionsschutz (im Sinne eines Rechts auf Gesundheit) als ein unteilbares und deshalb offensiv zu verteidigendes Menschenrecht betrachtet.

Wir möchten das begründen -“ auch unter Verweis auf die Erfahrungen in unserem Netzwerk: Afrique-Europe-Interact ist in acht afrikanischen und drei europäischen Ländern aktiv. In Mali arbeiten wir im Rahmen ländlicher Entwicklung mit Dörfern zusammen, aus denen zahlreiche Migrant*innen unter anderem Richtung Europa aufgebrochen sind; in Niger unterstützen wir im Rahmen des Alarmphone Saharas Geflüchtete und Migrant*innen auf ihrem Weg durch die Sahara (https://alarmephonesahara.info/en/); in der marokkanischen Hauptstadt Rabat unterhalten wir ein Rasthaus für geflüchtete Frauen (https://afrique-europe-interact.net/1318-0-Das-Projekt.html); auf dem Mittelmeer sind wir an der Notrufnummer des Watch The Med Alarmphone beteiligt (https://alarmphone.org/de/); in Europa unterstützen wir Geflüchtete und Migrant*innen in ihrem Kampf um Rechte, nicht zuletzt Mitglieder unseres Netzwerks. Kurzum: Wir kennen die Realität auf den Flucht- und Migrationsrouten, und das ist hilfreich. Denn eine Erstaufnahmeeinrichtung ist lediglich der (vorläufige) Endpunkt einer langen, oft von Gewalt und Ausbeutung geprägten Flucht- bzw. Migrationsroute -“ ein Umstand, den es ausdrücklich zu berücksichtigen gilt, wenn man über die Unterbringung von Geflüchteten und Migrant*innen spricht.

Als der massenhafte Infektionsausbruch in der Lindenstraße bekannt wurde, äußerte sich Anja Stahmann am 23.04.2020 in den Abendnachrichten von „buten & binnen“ dahingehend, dass die Erkrankten „weitgehend beschwerdefrei“ seien und „nicht die schweren Erkrankungen“ aufweisen würden, die man aus dem Fernsehen kenne. Die Ergebnisse zeigten zudem, dass die Krankheit weiter verbreitet sei als oftmals angenommen, es gäbe ein „hohes Dunkelfeld“. Entsprechend wurde Anja Stahmann am 24.04.2020 in der Tageszeitung „taz“ mit den Worten zitiert: „Für Virologen ist das interessant.“

Mit Blick auf diese Äußerungen fragen wir uns nicht nur, wie Anja Stahmann angesichts der dynamischen Krankheitsverläufe bei Corona bereits jetzt davon sprechen kann, dass die Erkrankten lediglich milde Symptome hätten. Auch der englische Premierminister Boris Johnson hatte zunächst milde Symptome, um sich am 12. Tag plötzlich auf der Intensivstation wiederzufinden. Zudem fragen wir uns, ob Anja Stahmann die Berichte bekannt sind, wonach noch völlig unklar ist, ob es nicht auch langfristige Folgeschäden von Corona gibt. Und noch etwas irritiert an dieser Bagatellisierungsstrategie, mit der Anja Stahmann ganz offenkundig ihr schlechtes Gewisses beruhigen möchte (was zwar menschlich verständlich, für eine Senatorin aber völlig unangemessen ist): Ihre Behauptung, wonach der massenhafte Infektionsausbruch in der Lindenstraße auf das hohe Dunkelfeld von Corona verweise, ist sachlich falsch und irreführend. Denn eine Infektionsquote von 30 Prozent gibt es bislang nur in (halb-)geschlossenen Einrichtungen wie Pflegeheimen, Gefängnissen, Militäranlagen oder Gemeinschaftsunterkünften. Demgegenüber gehen Expert*innen von äußerst niedrigen Infektionsraten in der allgemeinen Bevölkerung aus, selbst in Heinsberg in Nordrhein-Westfalen (wo Corona im Februar erstmalig im großen Stil ausgebrochen ist) sollen sich gerade mal 15 Prozent aller Menschen infiziert haben. Umso unverständlicher ist, dass Anja Stahmann den massenhaften Krankheitsausbruch in der Lindenstraße zu einer „interessanten“ Angelegenheit für Virolog*innen erklärt. Eine solche Perspektive ist aus mindestens vier Gründen zynisch und diskriminierend: Erstens, weil Geflüchtete und Migrant*innen mit dieser Wortwahl zu Versuchsobjekten degradiert werden. Zweitens, weil den nunmehr Infizierten in den letzten Wochen ausdrücklich die Möglichkeit verwehrt wurde, sich gegen diese Erkrankung zu schützen (trotz zahlreicher Proteste). Drittens, weil dies bedeutet, dass Hunderte just an einem Ort in Quarantäne gezwungen werden, den sie ohnehin als bedrohliche Gefahr erleben. Und viertens, weil Anja Stahmann jede Empathie gegenüber den Infizierten bzw. in Zwangsquarantäne Geschickten vermissen lässt -“ von einer Entschuldigung im Namen der Sozialbehörde ganz zu schweigen.

Am dramatischsten -“ und das ist der hauptsächliche Grund unserer Rücktrittsforderung -“ ist unterdessen Anja Stahmanns völliges Unverständnis für die persönliche bzw. psychologische Situation der Geflüchteten und Migrant*innen in der Erstaufnahmeeinrichtung. Viele Bewohner*innen haben schreckliche Dinge erlebt, nicht nur in ihren Herkunftsländern, sondern auch auf den Flucht- und Migrationsrouten. Seit Jahren berichten Menschenrechtsorganisationen -“ darunter Afrique-Europe-Interact -“ von den fürchterlichen Situationen: Von überfüllten Lagern, ertrunkenen Familienmitgliedern oder Weggefährt*innen, Folterzellen, Versklavung, Vergewaltigung, Todesangst in der Wüste, auf dem Meer oder in Lastwagen, Rückschiebungen, willkürlichen Inhaftierungen, Massenrazzien oder polizeilicher Gewalt, um nur einige Beispiele zu nennen. Diese Erfahrungen streifen die Geflüchteten und Migrant*innen nicht ab, wenn sie in einer Erstaufnahmeeinrichtung ankommen. Vielmehr sind die entsprechenden Gefühle weiterhin präsent. Entsprechend problematisch ist es, wenn die Bewohner*innen keine Möglichkeit haben, sich gegen eine objektive Gefahr zu schützen -“ eine Gefahr, die auch von der übrigen Bevölkerung als hochgradig bedrohlich empfunden wird. Denn dann können die ganzen schmerzhaften Gefühle wieder hochkommen, die Angst, die Ohnmacht, das Empfinden, einer Situation hilflos ausgeliefert zu sein -“ mehr noch, dann verschwimmen die Umstände in der Erstaufnahmeeinrichtung und viele der genannten Erfahrungen (die bei jedem Menschen sehr individuell ausfallen). Psycholog*innen sprechen in diesem Zusammenhang von “kumulativen Traumata-. So ist zu erklären, warum Menschen, die bisher mit ihrer psychischen Widerstandskraft selbst schlimmste Erlebnisse verarbeiten konnten, erst bei erneuten Erfahrungen von Rechtlosigkeit und Ohnmacht einen seelischen Zusammenbruch erleiden. Dies ist auch in Deutschland in Massenunterkünften regelmäßig der Fall. Die Lindenstraße ist also nicht mit einem Folterlager in Libyen gleichzusetzen, aber die Umstände einer Massenquarantäne können die Wirkung alles bisher Erlebten potenzieren und das Fass zum Überlaufen bringen (vor allem bezüglich posttraumatischer Belastungsstörungen).

Die hier angedeuteten (keineswegs automatisch ablaufenden) Dynamiken sind nicht unbekannt. In Bremen gibt es mehrere Einrichtungen, die Geflüchtete und Migrant*innen psychologisch unterstützen -“ beispielhaft erwähnt sei die Beratungsstelle „Refugio“, ein Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer. Insofern werfen wir Anja Stahmann nicht nur vor, ruppig und desinteressiert über die besondere Lage von Geflüchteten und Migrant*innen hinweggegangen zu sein (unter anderem in ihren Pressebriefings am 23.04.2020), sondern auch das nunmehr eingetretene Infektionsgeschehen (inklusive Massenquarantäne von 374 Menschen) fahrlässig ermöglicht zu haben. Diese Fahrlässigkeit besteht vor allem darin, dass seitens ihrer Behörde sämtliche der in den letzten Wochen formulierten Warnungen immer wieder in den Wind geschlagen wurden -“ wir möchten insbesondere auf die zahlreichen Stellungnahmen von Together we are Bremen, Flüchtlingsrat Bremen und MediNetz Bremen verweisen. Und zu diesen Warnungen gehörte auch -“ um nur eines der markantesten Beispiele zu nennen -“ die Kritik an dem ohnehin nur schwer nachvollziehbaren Sachverhalt, dass in der Erstaufnahmeeinrichtung Lindenstraße viele Zimmer keine eigenen Fenster haben und somit die von Virolog*innen immer wieder als essentiell bezeichnete Lüftung einzig über die Flure möglich ist (abgesehen von der hausinternen Lüftung, die nunmehr jedoch durch eine Klimaanlage ersetzt werden soll).

Gewiss -“ Anja Stahmann ist nicht für sämtliche der hier benannten Probleme verantwortlich, auch nicht dafür, dass sich derzeit viele Geflüchtete und Migrant*innen massive Sorgen um Familienmitglieder und Freund*innen in ihren jeweiligen Herkunftsländern machen. Es fällt aber in ihren Aufgabenbereich, diese Probleme bei ihren Maßnahmen stets im Auge zu behalten. Dass sie das nicht getan hat, sondern sich salopp, voreilig und diskriminierend geäußert hat, zeigt daher, dass Anja Stahmann von der aktuellen (noch lange anhaltenden) Situation politisch und persönlich überfordert ist. Daher fordern wir ihren Rücktritt -“ zusammen mit einer Entschuldigung bei den Bewohner*innen der Erstaufnahmeeinrichtung für das massenhafte, aber vermeidbare Infektionsgeschehen. Im Übrigen schließen wir uns den Forderungen von Together we are Bremen, Flüchtlingsrat Bremen und MediNetz Bremen an und fordern die dezentrale Verteilung der Geflüchteten auf kleine Wohnungen bzw. Wohneinheiten -“ einschließlich der Möglichkeit, eigene Mahlzeiten zuzubereiten.

via Afrique-Europe-Interact

FIfF veröffentlicht Datenschutz-Folgenabschätzung (DSFA) für die #Corona-App

Es geht nicht um Privatsphäre, sondern es geht darum, eine Technik sozial beherrschbar zu machen.“ Dieses Datenschutzverständnis von Wilhelm Steinmüller (1934-“2013), Datenschutzpionier und langjähriges FIfF-Mitglied, möchten wir, eine Gruppe Wissenschaftlerïnnen und Datenschützerïnnen im Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V., wieder stark machen.

Seit einigen Wochen kreist die Diskussion um die Eindämmung der Corona-Pandemie zunehmend um den Einsatz technischer Hilfsmittel. Es wird geplant, die Pandemie durch den Einsatz von Tracing-Apps für Smartphones einzudämmen. Diese Systeme sollen automatisiert die zwischenmenschlichen Kontakte aller Nutzerïnnen aufzeichnen und es so erlauben, die Infektionsketten des Virus schnell und effizient nachzuvollziehen, um möglicherweise exponierte Personen frühzeitig warnen und isolieren zu können.
Wir haben es angesichts der geplanten Corona-Tracing-Systeme mit einem gesellschaftlichen Großexperiment zur digitalen Verhaltenserfassung unter staatlicher Aufsicht in Europa zu tun. Die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verpflichtet die Betreiberïnnen umfangreicher Datenverarbeitungssysteme (zu denen auch ein Corona-Tracing-System zählen würde) zur Anfertigung einer Datenschutz-Folgenabschätzung (DSFA) im Falle eines hohen Risikos für die Grund- und Freiheitsrechte. Hierbei handelt es sich um eine strukturierte Risikoanalyse, die mögliche grundrechtsrelevante Folgen einer Datenverarbeitung im Vorfeld identifiziert und bewertet.

Wirksamkeit und Folgen entsprechender Apps sind noch nicht absehbar und es ist davon auszugehen, dass innerhalb der EU verschiedene Varianten erprobt und evaluiert werden. Die datenschutz- und somit grundrechtsrelevanten Folgen dieses Unterfangens betreffen potenziell nicht nur Einzelpersonen, sondern die Gesellschaft als Ganze. Aus diesem Grunde ist nicht nur die Anfertigung einer DSFA angezeigt, sondern insbesondere auch ihre Veröffentlichung -“ und eine öffentliche Diskussion. Da bisher keine der beteiligten Stellen eine allgemein zugängliche DSFA präsentiert hat und selbst die vorgelegten privacy impact assessments unvollständig bleiben, legen wir vom FIfF mit diesem Dokument eigeninitiativ eine solche Datenschutz-Folgenabschätzung als konstruktiven Diskussionsbeitrag vor.

Download der DSFA (Creative-Commons-Lizenz: Namensnennung, CC BY 4.0 Int.): Aktuelle Version 1.1 (PDF, 101 S., 426 kB), alte Versionen unter https://www.fiff.de/dsfa-corona

Zusammenfassung und Ergebnisse



1. Die in den Diskussionen vielfach betonte Freiwilligkeit der App-Nutzung ist eine Illusion. Es ist vorstellbar und wird auch bereits diskutiert, dass die Nutzung der App als Voraussetzung für die individuelle Lockerung der Ausgangsbeschränkungen gelten könnte. Das Vorzeigen der App könnte als Zugangsbarriere zu öffentlichen oder privaten Gebäuden, Räumen oder Veranstaltungen dienen. Denkbar ist, dass Arbeitgeberïnnen solche Praktiken schnell adaptieren, weil sie mittels freiwillig umgesetzter Schutzmaßnahmen schneller ihre Betriebe wieder öffnen dürfen. Dieses Szenario bedeutet eine implizite Nötigung zur Nutzung der App und bedeutet erhebliche Ungleichbehandlung der Nicht-Nutzerïnnen. Weil nicht jede Person ein Smartphone besitzt, wäre hiermit auch eine Diskriminierung ohnehin schon benachteiligter Gruppen verbunden. Kirsten Bock vom FIfF kommentiert: „Die Einwilligung ist nicht das richtige Regelungsinstrument für die Nutzung der Corona App, weil deren Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, dass Nutzungsrisiko der App nicht auf die Bürgerïnnen abzuwälzen, sondern selbst die Voraussetzungen für eine freiwillige, sichere und grundrechtsverträgliche Lösung in einem Gesetz vorzugeben und die Bürgerïnnen so vor Grundrechtsverletzungen - auch durch Dritte - wirksam zu schützen.“ Martin Rost vom FIfF ergänzt prägnant „Von einer Einwilligung geht keine Schutzwirkung für Betroffene aus."

2. Ohne Intervenierbarkeit und enge Zweckbindung ist der Grundrechtsschutz gefährdet. So besteht ein hohes Risiko fälschlich registrierter Expositionsereignisse (falsch positiv), die zu unrecht auferlegter Selbst-Isolation oder Quarantäne zur Folge haben (zum Beispiel Kontaktmessung durch die Wand zwischen zwei Wohnungen). Um dem zu begegnen, bedarf es rechtlicher und faktischer Möglichkeiten zur effektiven Einflussnahme, etwa das Zurückrufen falscher Infektionsmeldungen, die Löschung falsch registrierter Kontaktereignisse zu einer infizierten Person und das Anfechten von infolge der Datenverarbeitung auferlegter Beschränkungen. Eine solche Möglichkeit sieht bisher keines der vorgeschlagenen Systeme vor. „Beim Datenschutz geht es genauso wenig um den Schutz von Daten, wie es beim Sonnenschutz um den Schutz der Sonne geht oder beim Katastrophenschutz um den Schutz von Katastrophen.“ spitzt Jörg Pohle vom FIfF zu.

3. Alle bislang erwähnten Verfahren verarbeiten personenbezogene Gesundheitsdaten. Das Verfahren besteht aus der Verarbeitung von Kontaktdaten auf den Smartphones, der Übermittlung dieser Daten auf einen Server nach der Diagnose einer Infektion und letztendlich deren Verteilung an alle anderen Smartphones zur Prüfung auf einen möglichen Kontakt mit Infizierten. Alle Daten auf einem Smartphone sind personenbezogen, nämlich bezogen auf die Nutzerïn des Gerätes. Weil nur diejenigen Personen Daten übertragen, die als infiziert diagnostiziert wurden, sind die übertragenen Daten zugleich Gesundheitsdaten. Somit unterliegen diese dem Schutz der DSGVO.

4. Anonymität der Nutzerïnnen muss in einem Zusammenspiel rechtlicher, technischer und organisatorischer Maßnahmen erzwungen werden. Nur durch einen mehrdimensionalen Ansatz kann der Personenbezug wirksam und irreversibel von den verarbeiteten Daten abgetrennt werden, so dass danach von anonymen Daten gesprochen werden kann. Allen derzeit vorliegenden Vorschlägen fehlt es an einem solchen expliziten Trennungsvorgang. "Wenn man sich hier nur auf technische Maßnahmen oder allein auf politische Beteuerungen verlässt, besteht ein großes Risiko der nachträglichen De-Anonymisierung." so Rainer Mühlhoff vom FIfF. Wir haben in dieser DSFA rechtliche, technische und organisatorische Anforderungen formuliert, deren Umsetzung in der Praxis eine wirksame und irreversible Trennung sicherstellen kann -“ nur unter diesen Voraussetzungen dürften die infektionsanzeigenden Daten ohne Personenbezug (iDoP) an alle Apps verbreitet werden.

Wesentliche Voraussetzung für Transparenz bezüglich der Umsetzung aller Datenschutz-Grundsätze nicht nur für Datenschutzaufsichtsbehörden, sondern gerade auch für die Betroffenen und die (Zivil-)Gesellschaft insgesamt ist die quelloffene Entwicklung von Server und Apps nebst allen ihren Komponenten beispielsweise als freie Software. Nur so kann es gelingen, Vertrauen auch bei jenen zu erzeugen, die nicht alle informationstechnischen Details verstehen. Ergriffene Maßnahmen müssen immer aktiv prüfbar gemacht und sauber dokumentiert werden.

Abschluss



Datenschutzanalysen betrachten die gesamte Verarbeitung von Daten, nicht nur die dabei eingesetzten Apps. „Die Grenzen der App sind nicht die Grenzen der Verarbeitung.“ erläutert Christian Ricardo Kühne vom FIfF. In der öffentlichen Diskussion und in den betrachteten App-Projekten wird Datenschutz nach wie vor auf den Schutz der Privatsphäre, also Geheimhaltung gegenüber Betreiberïnnen und Dritten, und auf Aspekte der IT-Sicherheit wie Verschlüsselung reduziert. Mit dieser Verengung der Sichtweise kommen die erheblichen, gesellschaftlich wie politisch fundamentalen Risiken, die wir in dieser Folgeabschätzung aufzeigen, nicht nur nicht in den Blick -“ sie werden zum Teil sogar verschleiert. „Aus dem Blickwinkel des Datenschutzes gehen die wesentlichen Risiken nicht von Hackerïnnen oder anderen Benutzerïnnen aus, sondern von den Betreiberïnnen des Datenverarbeitungssystems selbst.“ kommentiert abschließend Rainer Rehak, Vorstandsmitglied des FIfF.

Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V.



Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V. ist ein deutschlandweiter Zusammenschluss von gut 700 Menschen, die sich kritisch mit Auswirkungen des Einsatzes der Informatik und Informationstechnik auf die Gesellschaft auseinandersetzen. Unsere Mitglieder arbeiten überwiegend in informatiknahen Berufen, vom IT-Systemelektroniker bis hin zur Professorin für Theoretische Informatik. Das FIfF wirkt seit 1984 in vielen technischen und nichttechnischen Bereichen der Gesellschaft auf einen gesellschaftlich reflektierten Einsatz von informationstechnischen Systemen zum Wohle der Gesellschaft hin. Zu unseren Aufgaben zählen wir Öffentlichkeitsarbeit, sowie Beratung und das Erarbeiten fachlicher Studien. Zudem gibt das FIfF vierteljährlich die „FIfF-Kommunikation -“ Zeitschrift für Informatik und Gesellschaft“ heraus und arbeitet mit anderen Friedens- sowie Bürgerrechtsorganisationen zusammen.

Quelle

Das Corona-Virus und die Krise des Gesundheitswesens. Eine Stellungnahme

Das Corona-Virus und die Reaktionen in Politik und Wirtschaft legen zunehmend deutlich offen, dass das Gesundheitswesen in einer tiefen Krise steckt.

Das Gesundheitswesen war nicht auf die Corona-Pandemie vorbereitet:

Weder verfügt es über ausreichend Personal, noch über die für die Behandlungen erforderlichen Intensivbetten in den Krankenhäusern, die notwendigen Medikamente und eine entsprechende instrumentelle Ausstattung.

In der Bundesrepublik hat das ärztliche, medizinische, Pflege-, Versorgungs- und Reinigungspersonal besonders in den Kliniken und Großkrankenhäusern schon vor der Corona-Pandemie überall am Leistungslimit gearbeitet. Personelle, technische, medikamentöse und räumliche Reserven wurden nicht vorgehalten und sind aktuell nicht ausreichend vorhanden, was sich jetzt dramatisch rächt.

Die gegenwärtige Lage des Gesundheitswesens ist eine Folge seiner Ökonomisierung, Privatisierung und Kommerzialisierung.

Krankenhäuser dienen systematisch der Gewinnerzielung- Pflegepersonal und Betten werden abgebaut, Kliniken werden zu Lasten öffentlicher Daseinsvorsorge privatisiert.

Die Gewerkschaft ver.di ermittelte, dass in den bundesdeutschen Kliniken 162000 Mitarbeiter• innen fehlen.

Auch in der Altenpflege ist die Personalnot katastrophal.

Die Arbeitsbedingungen für alle Berufe - von der Reinigungskraft bis zur Pflegekraft - sind von Zeitdruck, unangemessener Bezahlung und unzuverlässigen Dienstplänen geprägt.

Wir meinen:

• Beschäftigte im Gesundheitswesen brauchen in der jetzigen Situation die Solidarität Aller!

• Beschäftigte im Gesundheitswesen brauchen gute Lohn-, Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen!

• Schluss mit den Alibigesetzen auf Bundes- und Landesebene, die zu keiner Verbesserung der Personalsituation und der Rahmenbedingungen führen!

• Mehr qualifiziertes Personal im Gesundheitswesen durch gesetzliche Personalbemessung!

• Abschaffung des DRG-Fallpauschalensystems!

• Weg mit den Plänen zu Krankenhausschließungen!

• Unsere Versorgung darf sich nicht danach richten, ob unsere Erkrankung lukrativ ist!

Es ist zu befürchten, dass die Politik von Ökonomisierung, Privatisierung und Kommerzialisierung auch nach der Corona-Pandemie fortgesetzt und versucht wird, Gesundheit weiterhin als Ware zu handeln. Dies gilt es zu ändern!

Quelle: Flugblatt

Lesetipp im Zeichen der #Coronakrise: Vogelgrippe. Zur gesellschaftlichen Produktion von Epidemien.

Mike Davis
https://archinect.com / CC BY-SA
Der im Jahr 2005 zuerst veröffentlichte und 2006 überarbeitete Text "Vogelgrippe" des marxistischen Analytikers, Stadtsoziologen und Historikers Mike Davis steht beim Verlag Assoziation A zum Download (PDF) zur Verfügung. Bei LinksLesen ist eine kurze Besprechung des lesenswerten Buches zu finden, ebenso wie eine kurze Charakterisierung des hierzulande leider viel zu wenig bekannten Autors. "(...) Davis ist mit seinen Werken sehr breit aufgestellt und recht gut lesbar. Er stellt in seinen Büchern stets einen Zusammenhang her zwischen gesellschaftlichen Phänomenen (eben Klimawandel, Epidemien, Stadtentwicklung usw.) und den Folgen für die verschiedenen Segmente der Gesellschaft. Die Auswirkungen für den prekärsten Teil einer Gesellschaft werden von Davis häufig in das Zentrum seiner Analyse gestellt. Allein diese Perspektive unterscheidet ihn von vielen anderen Autor*innen. (...)"

Zu "Vogelgrippe" hat Davis eine aktuelle, auf die Corona Pandemie bezogene Einleitung veröffentlicht:

"Mit COVID-19 ist endlich das Monster an der Tür. Die Forscher arbeiten Tag und Nacht daran, den Ausbruch zu charakterisieren, stehen jedoch vor drei großen Herausforderungen.

Erstens hat der anhaltende Mangel oder die Nichtverfügbarkeit von Testkits jede Hoffnung auf Eindämmung zunichte gemacht. Darüber hinaus werden genaue Schätzungen der wichtigsten Parameter wie Reproduktionsrate, Größe der infizierten Population und Anzahl der gutartigen Infektionen verhindert. Das Ergebnis ist ein Chaos von Zahlen.

Es gibt jedoch zuverlässigere Daten über die Auswirkungen des Virus auf bestimmte Gruppen in einigen Ländern. Es ist sehr beängstigend. Italien und Großbritannien beispielsweise melden eine viel höhere Sterblichkeitsrate unter den über 65-Jährigen. Die von Trump abgewinkelte „Grippe“ ist eine beispiellose Gefahr für die geriatrische Bevölkerung mit einer potenziellen Zahl von Todesopfern in Millionenhöhe.

Zweitens mutiert dieses Virus wie jährliche Influenza, während es durch Populationen mit unterschiedlichen Alterszusammensetzungen und erworbenen Immunitäten verläuft. Die Vielfalt, die Amerikaner am wahrscheinlichsten bekommen, unterscheidet sich bereits geringfügig von der des ursprünglichen Ausbruchs in Wuhan. Eine weitere Mutation könnte trivial sein oder die derzeitige Verteilung der Virulenz verändern, die mit dem Alter zunimmt, wobei Babys und Kleinkinder ein geringes Risiko für eine ernsthafte Infektion aufweisen, während Oktogenarier einer tödlichen Gefahr durch virale Pneumonie ausgesetzt sind.

Drittens können die Auswirkungen des Virus auf Kohorten unter 65 Jahren in armen Ländern und in Gruppen mit hoher Armut radikal unterschiedlich sein, selbst wenn das Virus stabil und wenig mutiert bleibt. Betrachten Sie die globale Erfahrung der spanischen Grippe in den Jahren 1918-19, die schätzungsweise 1 bis 2 Prozent der Menschheit getötet hat. Im Gegensatz zum Corona-Virus war es für junge Erwachsene am tödlichsten, und dies wurde oft als Folge ihres relativ stärkeren Immunsystems erklärt, das auf Infektionen überreagierte, indem es tödliche „Zytokinstürme“ gegen Lungenzellen auslöste. Das ursprüngliche H1N1 fand notorisch eine bevorzugte Nische in Armeelagern und Schlachtfeldgräben, in denen es junge Soldaten zu Zehntausenden niederschlug. Der Zusammenbruch der großen deutschen Frühlingsoffensive von 1918 und damit der Ausgang des Krieges wurde der Tatsache zugeschrieben, dass die Alliierten, in Gegensatz zu ihrem Feind, die Lücken mit neu eingetroffenen amerikanischen Truppen auffüllen konnten.

Es wird jedoch selten gewürdigt, dass 60 Prozent der weltweiten Sterblichkeit in Westindien auftraten, wo Getreideexporte nach Großbritannien und brutale Anforderungspraktiken mit einer großen Dürre zusammenfielen. Die daraus resultierende Nahrungsmittelknappheit brachte Millionen armer Menschen an den Rand des Hungers. Sie wurden Opfer einer unheimlichen Synergie zwischen Unterernährung, die ihre Immunantwort auf Infektionen unterdrückte, und weit verbreiteter bakterieller und viraler Pneumonie. In einem anderen Fall setzte der von Großbritannien besetzte Iran, mehrere Jahre Dürre, Cholera und Nahrungsmittelknappheit, gefolgt von einem weit verbreiteten Malaria-Ausbruch, den Tod eines geschätzten Fünftels der Bevölkerung voraus.

Diese Geschichte - insbesondere die unbekannten Folgen von Wechselwirkungen mit Unterernährung und bestehenden Infektionen - sollte uns warnen, dass COVID-19 in den Slums von Afrika und Südasien einen anderen und tödlicheren Weg einschlagen könnte. Die Gefahr für die globalen Armen wurde von Journalisten und westlichen Regierungen fast vollständig ignoriert. Das einzige veröffentlichte Stück, das ich gesehen habe, behauptet, dass die Pandemie nur geringe Auswirkungen haben sollte, da die Stadtbevölkerung Westafrikas die jüngste der Welt ist. In Anbetracht der Erfahrung von 1918 ist dies eine dumme Hochrechnung. Niemand weiß, was in den kommenden Wochen in Lagos, Nairobi, Karachi oder Kolkata passieren wird. Die einzige Gewissheit ist, dass sich reiche Länder und reiche Klassen darauf konzentrieren werden, sich unter Ausschluss internationaler Solidarität und medizinischer Hilfe zu retten.(...)"

Diese Stärken in Davis Texten nährt die Hoffnung, daß sich die radikale Linke aus ihrer durch die Coronakrise verstärkten Schockstarre befreit. Sie muss den Menschen helfen, die in der Coronakrise vor allem offen in Erscheinung getretene Krise des Kapitalismus zu erkennen, die wie nie zuvor ein Schlaglicht auf dessen Unfähigkeit wirft, eine angemessene medizinische Versorgung zu organisieren.

"(...) Der Ausbruch hat sofort die starke Klassenunterschiede im Gesundheitswesen aufgedeckt: Personen mit guten Gesundheitsplänen, die auch von zu Hause aus arbeiten oder unterrichten können, sind bequem isoliert, sofern sie umsichtige Sicherheitsvorkehrungen treffen. Öffentliche Angestellte und andere Gruppen gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer mit angemessener Deckung müssen schwierige Entscheidungen zwischen Einkommen und Schutz treffen. In der Zwischenzeit werden Millionen von Niedriglohnarbeitern, Landarbeitern, ungedeckten Kontingentarbeitern, Arbeitslosen und Obdachlosen zu den Wölfen geworfen. Selbst wenn Washington das Test-Fiasko endgültig löst und eine angemessene Anzahl von Kits bereitstellt, muss der Nichtversicherte dennoch Ärzte oder Krankenhäuser für die Verwaltung der Tests bezahlen. Insgesamt werden die Rechnungen für Familienärzte steigen, während Millionen von Arbeitnehmern ihren Arbeitsplatz und ihre vom Arbeitgeber bereitgestellte Versicherung verlieren. (...)"

Seit Erscheinen von Davis Studie im Jahr 2005 haben sich vor allem in den USA dazu die Rahmenbedinungen für die Gesundheitssysteme nicht wesentlich verbessert, im Gegenteil wurde weiter kaputtgespart d.h. auf Profit getrimmt. Am deutlichsten tritt dazu in den von dessen neoliberalen Spielart in Italien und Spanien und vor allem in den praktisch zerstörten Gesundheitssystem Britanniens und der USA zu Tage:

"(...) Es ist gelinde gesagt enttäuschend, dass weder Sanders noch Warren in den Hauptdebatten den Verzicht von Big Pharma auf die Erforschung und Entwicklung neuer Antibiotika und Virostatika hervorgehoben haben. Von den 18 größten Pharmaunternehmen haben 15 das Feld vollständig aufgegeben. Herzmedikamente, süchtig machende Beruhigungsmittel und Behandlungen gegen Impotenz bei Männern sind Gewinnführer, nicht die Abwehr gegen Krankenhausinfektionen, neu auftretende Krankheiten und traditionelle tropische Killer. Ein universeller Impfstoff gegen Influenza - das heißt ein Impfstoff, der auf die unveränderlichen Teile der Oberflächenproteine ?? des Virus abzielt - ist seit Jahrzehnten eine Möglichkeit, hat aber nie eine profitable Priorität. (...)"

Aber auch hierzulande konzentrieren sich die Bemühungen mehr darauf, die Pandemie zu verlangsamen, um das Gesundheitssystem nicht "zu überlasten". Das hört sich nicht danach an, als seien Zustände wie in der Lombardei oder im Elsaß undenkbar. Im Gegenteil bekommen so die geweckten Begehrlichkeiten "Maßnahmen" ultrakonservativer Politiker vom Schlage Söder zur Beschneidung demokratischer Grundrechte einen Sinn. Warum geben in Baden-Württemberg einzelne Gesundheitsämter Listen mit den Daten von Corona-Infizierten an die Polizei? Warum ein zentralisiertes ggf. auch anlaßloses Handytracking mutmaßlicher Infizierter statt machbarer, dezentralisierter Datenverarbeitung (PDF)? Warum verschmelzen die Grenzen der "Sicherheitsarchitektur", wenn nicht nur die Landesregierung in Baden-Württemberg überlegt, Bundeswehrsoldaten zur Übernahme polizeilicher Aufgaben anzufordern bzw. einzusetzen? Denn ansonsten würde es Maßnahmen geben, die eben nicht vor allem auf die Absicherung der Profite von Konzernen wie Daimler abzielen, sondern die Frage stellen, was ist mit den Menschen, die dort oder in anderen Betrieben wie Stihl nicht gerade unter Quarantänebedingungen arbeiten, mit den 13 Millionen Behinderten, den Marginaliserten und den sowieso ausgegrenzten über die allenfalls am Rande der Nachrichtensendungen berichtet wird...

Bundesregierung bestätigt: Schmidt-Ministerium im Visier von MONSANTO

Wie eine Anfrage der Linkspartei-Abgeordneten Sylvia Gabelmann vom 26.6.2019 ergab, befinden sich auch Namen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft auf den Listen von FLEISHMAN HILLARD, der von der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO angeheuerten PR-Agentur. Das nährt den Verdacht, dass im Zuge der umstrittenen Entscheidung des damaligen Landwirtschaftsministers Christian Schmidt (CSU), einer Zulassungsverlängerung von Glyphosat auf EU-Ebene zuzustimmen, Einflussnahmen erfolgten. Umso mehr, als die Firma damals gemeinsam mit ihrem Auftraggeber für Deutschland dezidiert eine Strategie entwickelte, „um es der Regierung zu erlauben, zu einer Position zurückzukehren, die der Glyphosat-Zulassungsverlängerung positiv gegenübersteht“.

Für die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) stellen sich deshalb einige Fragen. „Wen führte FLEISHMAN HILLARD auf den Listen als Glyphosat-FürsprecherIn, wen als KritikerIn oder Wankelmütigen? Welche Details finden sich zu den Beschäftigten in den Unterlagen? Gab es persönliche Kontakte, Telefon-Gespräche oder Mail-Verkehr? Stellte die Agentur Wohlmeinenden „Argumentationshilfen“ in Sachen „Glyphosat“ zur Verfügung, wie sie es in Frankreich getan hat? All das muss jetzt auf den Tisch“, fordert Axel Köhler-Schnura. Für den Vorstand der CBG tut das auch deshalb not, weil interessierte Kreise FLEISHMAN HILLARD unmittelbar nach der Glyphosat-Entscheidung der EU zu ihrer Einfluss-Arbeit beglückwünscht haben. „Es war Fleishmans multinationale Kampagne, die MONSANTO und wohlmeinende Regierungen mit den Argumenten versorgte, welche diese brauchten, um diejenigen in die Schranken zu weisen, die für einen Bann eintraten“, gratulierte etwa das Webportal Politico.

Sylvia Gabelmann fordert ebenfalls weitere Schritte: „Die Bundesregierung muss sich bei der Aufklärung des Skandals mehr engagieren und darf nicht alles einer internen Untersuchung des BAYER-Konzerns überlassen.“

Die CBG dringt in ihrer aktuellen Kampagne auch auf eine unabhängige Aufklärung. „Es ist nicht einzusehen, wie eine Aufklärung, die BAYER ohne unabhängige Kontrolle durch Dritte durchführt, glaubwürdig sein soll. BAYER versucht offensichtlich, die Situation auszusitzen. Eine wirkliche Aufklärung darf nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen“, so CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann. Gegen eine solche wehrt sich BAYER allerdings, obwohl mittlerweile sogar mehrere Bundestagsabgeordnete für eine solche eintreten.

BAYER wollte sich, konfrontiert mit den Ergebnissen der Anfrage, nicht äußern. Der Konzern hatte bereits vor geraumer Zeit angekündigt, dass alle Personen, die auf den Listen zu finden seien, benachrichtigt werden. Dies ist bisher allerdings nur in Einzelfällen geschehen. Die Coordination hat deshalb einen Offenen Brief an den Leverkusener Multi geschrieben, in dem sie ihn auffordert, die Überwachungslisten offenzulegen. Auch hierzu äußerte sich der Konzern bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht.

Dokumentiert:

Offener Brief

an den Vorstand und die zuständigen Stellen

des BAYER-Konzerns

Aus den jüngsten Presse-Berichten geht hervor, dass der Agrar-Konzern MONSANTO die PR-Agentur Fleishman Hillard damit beauftragt hat, Kritiker*innen von MONSANTO-Produkten wie Glyphosat aufzulisten, zu überwachen und, wenn es dem Unternehmen notwendig erschien, zu beeinflussen. Das Handelsblatt berichtet, aus Deutschland seien rund 300 Namen von Politiker*innen, Journalist*innen und Umweltschützer*innen aufgeführt. MONSANTO ist nun eine BAYER-Tochter. Damit fällt die Verantwortung der Aufklärung BAYER zu.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) und/oder ihre maßgebenden Aktivist*innen haben bereits seit 1978 sowohl den BAYER-Konzern als auch MONSANTO in allen Fällen, in denen BAYER mit MONSANTO kooperierte, kritisch begleitet. Sie deckten Skandale auf und forderten sowohl die demokratische Zivilgesellschaft als auch die Politik weltweit auf, dem menschen- und umweltgefährlichen Treiben der beiden Konzerne Einhalt zu gebieten. Unter anderem ist die CBG seit bereits mehr als 10 Jahren aktiv an den Debatten und Auseinandersetzungen in aller Welt um Glyphosat beteiligt. Deshalb geht die Coordination davon aus, von der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO ebenfalls unter Überwachung gestellt worden zu sein.

Da BAYER selbst seit Jahren nachweislich mit der Spionage- und Einschüchterungsagentur Fleishman Hillard zusammenarbeitet, stellt sich die Frage, ob BAYER nicht sogar selbst solche Listen führt und sich gleicher oder ähnlicher Methoden bedient.

Wir fordern daher Aufklärung darüber, ob sich die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG), mit uns in aller Welt (auch in den USA!) verbundene Organisationen sowie Mitarbeiter*innen und/oder Aktivist*innen der CBG bzw. mit uns verbundener Organisationen auf Überwachungslisten von BAYER bzw. von MONSANTO befinden.

Weiterhin verlangen wir die Garantie, dass die von MONSANTO und/oder BAYER getroffenen Maßnahmen keine (weiteren) Nachteile für eventuell überwachte Organisationen und Personen mit sich bringen werden. Wir behalten uns vor, jegliche Kommunikation zu diesem Thema zu veröffentlichen und rechtliche Schritte zu prüfen.

Auf der BAYER-Internetseite „hier-sind-die-fakten.de“ wird ausgeführt, dass die beauftragte Anwaltskanzlei Sidley Austin begonnen hat, die Listen, welche laut der genannten BAYER-Seite „in erster Linie Journalisten, Politiker und andere Interessengruppen“ umfassen, auszuwerten. Weiterhin wollte die Kanzlei die auf den Listen verzeichneten Personen zunächst bis Ende der 22. Kalenderwoche kontaktieren und sie „in Übereinstimmung mit den geltenden Datenschutzgesetzen“ informieren, welche Daten über sie erhoben worden sind. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Es heißt dort nun lediglich:“Wir gehen davon aus, dass die Benachrichtigungen in naher Zukunft beginnen werden.“ Einen Grund für die Änderung nennt BAYER nicht. Darum verlangt die CBG eine Erklärung dafür.

Vor dem Hintergrund der Zusage von BAYER, diese Vorgänge und Vorhaltungen vollständig, transparent aufzuklären, stellen wir folgende Fragen:

1. Steht die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) auf der Liste, die von Fleishman Hillard im Auftrag von MONSANTO zusammengestellt wurde?

1.1 Mit welchen anderen PR-Agenturen haben BAYER und MONSANTO noch zusammengearbeitet? Dauert die Zusammenarbeit bis heute an? Welchem Zweck dient diese Zusammenarbeit?

1.2 Existieren andere Listen und/oder Dokumente, die entweder von MONSANTO und/oder BAYER oder im Auftrag eines der beiden Konzerne zum Zweck der Überwachung, Kontrolle, Bespitzelung, Isolierung oder Ähnlichem erstellt wurden oder auf die BAYER und/oder MONSANTO Zugriff haben oder hatten? Ist in diesen Listen und/oder Dokumenten die Coordination zu finden?

1.3 Welche Maßnahmen haben BAYER und/oder MONSANTO von der Agentur Fleishman Hillard gegen die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) angewendet oder anwenden lassen?

1.4 Welche Maßnahmen hat die Agentur Fleishman Hillard gegen die Coordination gegen BAYER-Gefahren über die angewendeten hinaus in Erwägung gezogen und/oder vorgesehen?

1.5 Welche Maßnahmen haben BAYER/MONSANTO selbst oder vom Konzern beauftragte bzw. in Anspruch genommene dritte Akteur*innen gegen die Coordination gegen BAYER-Gefahren durchgeführt? Wer waren diese „dritten Akteur*innen“?

1.6 Welche Maßnahmen haben BAYER/MONSANTO oder vom Konzern angestellte dritte Akteur*innen gegen die Coordination gegen BAYER-Gefahren über die angewendeten hinaus noch vorgesehen?

2. Welche Informationen über die Coordination befinden sich auf der Liste, welche Fleishman Hillard im Auftrag von MONSANTO zusammengestellt hat?

2.1 Welche Informationen über die Coordination stehen auf möglichen anderen Überwachungslisten, auf die MONSANTO und/oder BAYER Zugriff haben oder hatten?

3. Welche Personen werden von der Agentur Fleishman Hillard im Rahmen der von MONSANTO beauftragten Überwachung der Coordination zugeordnet, bzw. werden mit ihr in Zusammenhang gebracht?

3.1 Welche Personen werden vom BAYER-Konzern der Coordination zugeordnet, bzw. werden mit ihr in Zusammenhang gebracht?

4. Welche Informationen finden sich über diese Personen auf der Liste, welche Fleishman Hillard im Auftrag von MONSANTO zusammengestellt hat?

4.1 Welche Informationen sind über diese Personen auf möglichen anderen Überwachungslisten, auf die MONSANTO und/oder BAYER Zugriff haben oder hatten?

5. Welche Organisationen, Institutionen oder ähnliche Körperschaften werden im Rahmen der von MONSANTO beauftragten Überwachung von der Agentur Fleishman Hillard der Coordination zugeordnet, bzw. werden mit ihr in Zusammenhang gebracht?

5.1 Welche Organisationen, Institutionen oder ähnliche Körperschaften werden vom BAYER-Konzern der Coordination zugeordnet, bzw. werden mit ihr in Zusammenhang gebracht?

6. Welche Informationen finden sich über diese Organisationen, Institutionen oder ähnliche Körperschaften auf der Liste, welche Fleishman Hillard im Auftrag von MONSANTO zusammengestellt hat?

6.1 Welche Informationen sind über diese Organisationen, Institutionen oder ähnliche Körperschaften auf möglichen anderen Überwachungslisten, auf die MONSANTO und/oder BAYER Zugriff haben oder hatten?

Ein Ziel der Überwachungskampagne, die bei Fleishman Hillard in Auftrag gegeben wurde, war es, die Entscheidung der EU über die Glyphosat-Zulassungsverlängerung zu beeinflussen. So schrieb das Webportal Politico: „Es war Fleishmans multinationale Kampagne, die MONSANTO und wohlmeinende Regierungen mit den Argumenten versorgte, welche diese brauchten, um diejenigen in die Schranken zu weisen, die für einen Bann eintraten.“

Zu einer Aufklärung über die Überwachungsvorgänge gehört also auch eine Veröffentlichung des Materials, welches mit der Glyphosat-Zulassungsverlängerung in Zusammenhang steht. Hierzu haben wir die folgenden Fragen:

1. Welche Vorgänge der Beeinflussung des damaligen Landwirtschaftsministers Christian Schmidt und/oder seiner Mitarbeiter*innen sind in den Unterlagen von Fleishman Hillard vermerkt?

2. Welche Ergebnisse der politischen Beeinflussung sind in den Unterlagen von Fleishman Hillard dokumentiert?

Düsseldorf, 03. Juni 2019

Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG)

Vorstand

Uwe Friedrich/Brigitte Hincha/Axel Köhler-Schnura/Jan Pehrke

Quellen: CBG, 8. Juli 2019

Mythen über Migration und Gesundheit entkräften

Die Ärzte der Welt haben einen neuen Bericht „Verwehrtes Recht auf Gesundheit erstellt. Krank und ohne medizinische Versorgung in Deutschland“. Er bietet einen seltenen Einblick in die Situation der Menschen, die hierzulande keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang zum regulären Gesundheitssystem haben.



Der Bericht basiert auf einer Analyse der Daten von 1096 Patient*innen, die 2017 in einer der von Ärzte der Welt und seinen Kooperationspartnern betriebenen Anlaufstellen in Berlin, München und Hamburg behandelt und beraten wurden. Er wirft ein Schlaglicht auf die zahlreichen Barrieren, durch die eine angemessene medizinische Versorgung von Hundertausenden Menschen in Deutschland verhindert wird.



Via tacheles

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