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Berlin: Gedenken an Kupa Ilunga Medard Mutombo

Teilnehmer:*innen mit Transparenten am Gedenkort. Auf dem Gedenkstein stehen Kerzen. Foto: © heba / Umbruch Bildarchiv
Teilnehmer:*innen mit Transparenten am Gedenkort. Auf dem Gedenkstein stehen Kerzen.
Foto: © heba / Umbruch Bildarchiv
Vor einem Jahr starb Kupa Ilunga Medard Mutombo in Berlin an den Folgen eines brutalen Polizeieinsatzes. Zu seinem Gedenken fand am 6. Oktober eine Kundgebung auf dem Oranienplatz statt, an dem auch der Bruder des Verstorbenen teilnahm. Aufgerufen hatten die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt, Reach Out, die Rote Hilfe Berlin, die Initiativen »Ihr seid keine Sicherheit« und »Death in Custody«.

Zu den Fotos beim Umbruch Bildarchiv.

Der 64jährige war an Schizophrenie erkrankt und hatte mehr als zwei Jahrzehnte in einem psychiatrischen Wohnheim in Berlin-Spandau gelebt. Weil sich sein Zustand verschlechtert hatte, sollte er in eine Psychiatrie gebracht werden. Am 14. September 2022 rückte die Polizei in Begleitung eines Arztes in dem Wohnheim an, um einen entsprechenden Unterbringungsbeschluss durchzusetzen. Für Mutombo endete die Polizeiaktion tödlich. Die Justiz versäumt es bislang, die genauen Todesumstände sowie ein mögliches Fehlverhalten der beteiligten Polizisten aufzuklären.

Mutombos Betreuer, der während des Polizeieinsatzes am 14. September vor Ort war, beschreibt das Verhalten der Beamten als sehr gewalttätig. Sie hätten Mutombo auf den Boden geworfen und fixiert, ein stämmiger Polizist habe sich auf ihn gesetzt und ihm sein Knie auf den Nacken gedrückt. Das habe ihn an die Todesumstände George Floyds erinnert. Der schwarze US-Amerikaner war im Mai 2020 in den USA im Zuge eines Polizeieinsatzes erstickt worden. Außerdem habe Mutombo Blut gespuckt. Ein Beamter habe ihm das Blut mit einer Decke aus dem Gesicht gewischt.

Anstatt sich zurückzuziehen und Mutombo ärztliche Hilfe zukommen zu lassen, riefen die drei ursprünglich eingesetzten Polizisten 13 weitere Kollegen zur Verstärkung. Diese drangen ebenfalls in Mutombos Zimmer ein und blockierten dessen Tür. Sie brachten sogar Polizeihunde mit, die jedoch nicht zum Einsatz kamen. Zeugen zufolge habe ein Polizist gerufen, Mutombo habe aufgehört zu atmen. Einsatzkräfte trugen den leblosen Mann daraufhin aus dem Zimmer. Es sei im Hof des Wohnheims mindestens 20 Minuten lang versucht worden, ihn zu reanimieren, und schließlich wurde er bewusstlos in ein örtliches Krankenhaus eingeliefert. Fünf Tage später wurde er in die Charité verlegt, wo er am 6. Oktober 2022 verstarb. Mutombo Mansamba, der Bruder Kupa Ilunga Medard Mutombos, erfuhr erst am 21. September, also eine Woche nach dem Polizeieinsatz, vom Zustand seines Bruders. Informiert wurde er nicht von der Polizei, sondern von Ärzten der Charité.

Mansamba wandte sich an die Beratungsstelle »Reach Out«, die ihn dabei unterstützte, den tödlichen Polizeieinsatz öffentlich zu machen. Mansamba und »Reach Out« sind überzeugt, dass die Polizisten für Mutombos Tod verantwortlich sind. Dagegen behauptet die Polizei, Mutombo sei völlig unerwartet kollabiert, während er Widerstand gegen seine Verlegung geleistet habe.

Nachdem »Reach Out« eine Pressekonferenz organisiert hatte, schlug der Vorfall so hohe Wellen, dass sich Mitte Oktober 2022 der Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses damit befasste. Dort erklärte die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik, es gebe keine Hinweise, dass Mutombos Tod auf Fremdverschulden zurückzuführen sei. Eine Sichtweise, die sich die Berliner Staatsanwaltschaft ein gutes halbes Jahr später zu eigen machte, als sie im Mai 2023 das Ermittlungsverfahren »gegen unbekannte Beamte der Berliner Polizei wegen Körperverletzung im Amt« einstellte. Der zuständige Staatsanwalt begründete die Einstellung damit, dass die Ermittlungen nicht zu einem konkreten Tatverdacht gegen einen oder mehrere der am Einsatz beteiligten Polizisten geführt hätten. Ein Fehlverhalten sei nicht zu erkennen.

Warum Mutombo kollabierte, kann die Staatsanwaltschaft indes nicht erklären. Im Einstellungsbescheid heißt es, als Grund für den Zusammenbruch komme »eine emotionale Stressreaktion« in Kombination mit dem Absetzen von Medikamenten in Betracht. Dagegen steht im Obduktionsbericht, dass ein durch Sauerstoffmangel bedingter Hirnschaden für Mutombos Tod ursächlich gewesen war. Für Biplab Basu, der seit mehr als 20 Jahren Betroffene von Polizeigewalt berät, kommt die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nicht überraschend. Gegenüber jW sagte er, Staatsanwälte würden solche Verfahren grundsätzlich immer einstellen: »Da passiert gar nichts, null.« Das gelte nicht nur für Berlin, sondern auch für Fälle in Frankfurt am Main, Fulda oder Dortmund. Überall lasse sich das gleiche Muster beobachten.

Mansamba hofft dennoch darauf, dass ein Gericht die Umstände des Todes seines Bruders aufklären wird. Deshalb legte er mit seiner Anwältin gegen die Verfahrenseinstellung Beschwerde ein. Mit Erfolg: Im August teilte die Generalstaatsanwaltschaft mit, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden. Es bleibt abzuwarten, ob künftig mit mehr Nachdruck ermittelt wird. – Katharina Schoenes (junge Welt-Bericht vom 6.10.2023)

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Gerechtigkeit für Bilel

Fronttransparent mit der Aufschrift "Die Polizeit lügt! Aufklärung, Konsequenzen und Gerechtigkeit für 34 Polizeischüsse auf Bilel!"
Foto: © Kinkalitzken via Umbruch Bildarchiv
Unter dem Motto „Die Polizei lügt“ gingen rund 1.200 Menschen am 7.10.23 in Herford auf die Straße, um gegen Polizeigewalt und Rassismus zu protestieren. Anlass waren 34 Schüsse auf den 19-jährigen Bilel G. im Juni.

Zu den Fotos beim Umbruch Bildarchiv

Bilel fuhr am 3. Juni 2023 ohne Licht und Führerschein. Er geriet in einen Polizeikontrolle und floh. In einer Sackgasse in Bad Salzuflen eröffnete die Polizei das Feuer. Mehrere Schüsse trafen den 19-Jährigen, der wahrscheinlich sein Leben lang querschnittsgelähmt sein wird. Laut Polizei habe Bilel sein Auto in einer Sackgasse gewendet und sei auf die Beamten losgerast. Um das Auto zu stoppen, schossen daraufhin sechs Polizist*innen insgesamt 34 Mal auf den Wagen. An der polizeilichen Darstellung gibt es jedoch erhebliche Zweifel. Ein Anwohner, der die Situation beobachtete, sagte dem WDR: »Ich verstehe nicht, warum überhaupt geschossen wurde. Der konnte doch nirgends hin, er steckte fest. Die Straße war dicht mit Polizeiautos.« Eine Rettungskraft vor Ort äußerte ebenfalls Zweifel daran, dass der Audi losgebraust sein kann: „Wie soll man in diesem kurzen Wendehammer so beschleunigen können, dass eine hohe Geschwindigkeit erreicht wird?“ Es habe maximal zwei Fahrzeuglängen Platz gegeben. (tagesspiegel). Obwohl viele Polizeikameras vor Ort waren, gibt es keine Videoaufzeichnungen, anhand derer man das Geschehen nachvollziehen könnte.

Bereits am 15. Juli sollte es eine Solidaritäts-Demonstration in Herford geben. Ein Großaufgebot der Polizei stoppte die rund 600 Teilnehmer*innen jedoch nach wenigen hundert Metern. Es kam zu leichten Ausschreitungen. Auch beim zweiten Versuch am 7. Oktober war ein Großaufgebot im Einsatz. Vereinzelt flog Pyrotechnik.

Wir fordern eine unabhängige Ermittlungsbehörde in allen Fällen von Polizeigewalt, so auch im Fall von Bilel. Angesichts der Vielzahl der polizeilichen Übergriffe ist eine unabhängige Ermittlungsstelle unerlässlich, um den Betroffenen eine wirkliche Aufklärung zu garantieren“. (Murat Haydemir, Organisationsbündnis der Demonstration)

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