Skip to content

Regelsatzbedarfsermittlungsgesetz - jetzt einschreiten!

Das bundesweite Bündnis AufRecht bestehen fordert den Bundesrat dazu auf, den Entwurf der Bundesregierung für ein Regelbedarfsermittlungsgesetz in der vom Bundestag beschlossenen Form zu stoppen, indem es den Vermittlungsausschuss anruft.

Bei der Sitzung am 27. November wird dem Bundesrat der vom Bundestag verabschiedete Entwurf für ein neues Regelbedarfsermittlungsgesetz zur Zustimmung vorliegen (Bundesrats-Drucks. 654/20). Die darin enthaltenen neuen Regelbedarfe werden die materielle Situation und die Teilhabechancen von beinahe 8 Mio. Menschen in den kommenden Jahren bestimmen. Wir hoffen sehr, dass der Bundesrat bei seiner kritischen Haltung zu den Methoden und Ergebnissen der Bedarfsermittlung bleibt und den Vermittlungsausschuss anruft. Auch, wenn das bedeuten sollte, dass die geplante Anhebung der Regelbedarfe zum nächsten 1. Januar zunächst verschoben oder diese -“ ersatzweise -“ auf Grundlage des alten Bedarfsermittlungsgesetzes bestimmt werden müssten.

Die Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben einfach nicht gemacht. Die vom Bundesrat vorgetragene dezidierte Kritik hat sie gänzlich unbeeindruckt gelassen. Die Erwiderung der Bundesregierung zu dieser Kritik, die sich in der Bundestags-Drucksache 19/34549 findet, lässt keine ernsthafte Bereitschaft erkennen, auf die Länderkammer zuzugehen. Abgesehen von den Anpassungen, die im Zuge der Aktualisierung anhand der jüngsten Preis- und Lohnentwicklung vorgenommen wurden, und der Hinzufügung weiterer Artikel bleibt der wesentliche Inhalt des Gesetzes in den hier maßgeblichen Artikeln 1, 2 und 3 der alte. Die Summe der Streichungen einzelner Ausgabepositionen widerspricht dem Statistikmodell und stellt die Ermittlung der Regelsätze insgesamt in Frage.

Wir teilen zusammen mit Gewerkschaften, Wohlfahrts- und Sozialverbänden die fundierte Kritik der Länderkammer an dem Gesetzesentwurf der Regierung (Näheres dazu auch unter https://www.erwerbslos.de/aktivitaeten/716-kritik-an-zu-niedrigen-regelsaetzen). Der Umfang der letztlich willkürlichen Streichungen bei einzelnen Bedarfspositionen macht z. B. für Alleinstehende rund 160 EUR aus. Das ist für die Betroffenen ein gewaltiger Betrag, der Monat für Monat in der Haushaltskasse fehlt. Tatsächlich verfügte das ärmste Zehntel der Bevölkerung 2017 nach dem aktuellen Verteilungsreport 2020 des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung real sogar über niedrigere Einkommen als 2010. In dieser Einkommensgruppe wird das Einkommensniveau bei den meisten Menschen vermutlich fast vollständig durch die staatlichen Grundsicherung (SGB II, XII und AsylBlG) bestimmt. Das weist deutlich darauf hin, dass die jährlichen Anhebungen der Regelbedarfe nicht ausreichen, um den ohnehin niedrigen Lebensstandard der Leistungsbeziehenden zumindest auf niedrigem Niveau stabil zu halten. Armut und Ausgrenzung in Deutschland werden also schlimmer, nicht besser. Dieser Befund wird durch den jüngst vorgestellten Armutsbericht 2020 des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes bestätigt. Von Armut betroffen sind neben Arbeitslosen auch z. B. viele Alleinerziehende, Personen mit niedrigem Erwerbseinkommen, die dies durch Leistungen der Grundsicherung aufstocken müssen, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, Pflegende und auch viele Kinder, die mit im Haushalt leben.

Das sind für uns und viele Betroffene ausreichende Gründe, den Gesetzentwurf der Regierung abzulehnen. Bundesländer, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände haben wiederholt auf die methodischen Unzulänglichkeiten bei der Bedarfsermittlung hingewiesen und Alternativen vor-geschlagen. Die Bundesregierung hingegen schaltet auf stur. Sie möchte eine breitere Diskussion über die Art der Regelsatzbemessung und die Höhe der daraus resultierenden Sätze offenkundig vermeiden. Die bisherigen Fehler und Schwächen der Bedarfsermittlung werden mit dem Entwurf einfach fortgeschrieben.

Das Bündnis „AufRecht bestehen“ fordert die Vertreter und Vertreterinnen der Bundesländer beim Bundesrat daher auf den Gesetzesentwurf der Bundesregierung abzulehnen. Sie sollten sich stattdessen für ein faires und nachvollziehbares Verfahren zur Bestimmung der Regelbedarfshöhe sowie für eine armutsfeste Regelleistung einsetzen. Das fordern wir zusammen mit all den anderen Menschen, die anlässlich der Aktionstage am 30./ 31.10.2020 bundesweit in vielen Städten unter Beteiligung von Gewerkschaften und Sozialverbänden protestiert haben (siehe dazu die Dokumentation). Die in diesem Zusammenhang unter den erschwerten Bedingungen einer Pandemie gesammelten über 1.500 Unterschriften für die Rücknahme aller politisch motivierten Streichungen am Existenzminimum und für eine Bemessung der Regelbedarfe, die Armut und Ausgrenzung verhindern, werden wir beim Präsidenten des Bundesrates einreichen.


Das Bündnis -šAufRecht bestehen-˜ wird getragen von der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO), „ARBEITSLOS -“ NICHT WEHRLOS“ Wolfsburg (ANW), Gruppe Gnadenlos Gerecht Hannover, Gewerkschaftliche Arbeitslosengruppe im DGB-KV Bonn/Rhein-Sieg, Bundesarbeitsgemeinschaft Prekäre Lebenslagen (BAG-PLESA), Frankfurter Arbeitslosenzentrum e.V. (FALZ), Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS), Tacheles e.V. Wuppertal, ver.di Bundeserwerbslosenausschuss, Widerspruch e.V. Bielefeld sowie vielen örtlichen Bündnissen und Initiativen


Quelle: Pressemitteilung 26. November 2020

Berlin: Leerstand Hab-ich-saath

Foto: © Oliver Feldhaus / Umbruch Bildarchiv Berlin
Foto: © Oliver Feldhaus / Umbruch Bildarchiv Berlin
Am 29.10. gegen Mittag haben 20 wohnungslose- und obdachlose Menschen und UnterstützerInnen mehrere Wohnungen in der Habersaathstraße 46 in Berlin-Mitte besetzt. Insgesamt 85 Wohnungen stehen hier seit Jahren leer, die verbliebenen MieterInnen werden mit Entmietungstaktiken schikaniert. Auf Twitter verkündete Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne), dass der Bezirk die Beschlagnahmung prüfe, da man die Wohnungen für Personen brauche, die ohne Wohnraum ihre Quarantäneverpflichtung nicht erfüllen könnten. Am Abend wurde die Besetzung von der Polizei dennoch gewaltsam geräumt.

Um die 150 Menschen versammelten sich vor dem Haus um die Aktion zu unterstützen. Gegen 20 Uhr wurde die Besetzung gewaltsam geräumt. Für die BesetzerInnen gibt es weiterhin keinen langfristig gesicherten Wohnraum. Das Recht auf Wohnen und Gesundheit zählen in Berlin weiterhin weniger als der Profit. “Die selbstbestimmte Beendigung von Obdachlosigkeit wird bestraft, die jahrelange Zweckentfremdung von Wohnraum wird hingegen mit teuren Polizeieinsätzen gewährleistet.-, kommentiert die Sprecherin Valentina Hauser.

Der Eigentümer Andreas Pichotta wollte zu keinem Zeitpunkt verhandeln. Er bestand auf eine polizeiliche Räumung. Er plant den Abriss der bezugsfertigen Wohnungen zugunsten eines Luxusneubaus.

Der rot-rot-grüne Senat schob am Ende die Polizeipräsidentin Slowik vor, um die Räumung zu verkünden. Dabei ist klar, dass mit entsprechendem politischen Willen von Innensenator Geisel und dem grünen Bezirksbürgermeister von Mitte von Dassel eine politische Lösung möglich gewesen wäre. Zahlreiche PolitikerInnen hatten sich den Tag über hierfür eingesetzt. (...)

Die BesetzerInnen wurden in festgenommen. Die Frage, wo sie in Zukunft eine würdige, langfristige Wohnung finden werden, bleibt offen. Wir werden hartnäckig nach einer Antwort suchen.

-“ Pressemitteilung der Initiative “Leerstand Hab-ich-saath- -“

Für Donnerstag, den 5. November lädt die Initiative dazu ein, um 12:30 vor das Rathaus Tiergarten, am Mathilde-Jacob-Platz 1 zu kommen, um bei einem gemeinsamen Mittagessen von den Menschen, die aus der Habersaathstraße geräumt wurden zu erfahren, wie sie die Besetzung und die Räumung erlebt haben und wie es ihnen nun zurück auf der Straße ergeht.

Zu den Fotos beim Umbruch Bildarchiv

Bericht von den BesetzerInnen am Tag danach:

Guten Morgen! Wir sind alle noch dabei, den Tag zu verarbeiten. Hier ein Abriss der Geschehnisse im Haus: Die Habersaathstraße wurde von uns gegen Mittag bezogen. Die Wohnungen sahen aus als würden sie nur auf BewohnerInnen warten. Möbel, TV, Skincare war da.

Für die neuen NachbarInnen, die MieterInnen, die sich vom Investor nicht haben verjagen lassen, haben wir ganz klassisch Brot und Salz zum Einzug mitgebracht. Ihnen verdanken wir dass das Haus überhaupt noch steht. Auf gute Nachbarschaft!

Für uns alle war es unfassbar, dass viele von uns in der Kälte, im Regen schlafen müssen während man sich in der HabersaathStrasse wortwörtlich ins gemachte Bett legen könnte. Ein paar obdachlose Menschen nutzten die seltene Gelegenheit zur Ruhe zu kommen und gingen schlafen. Weil man auf der Straße nun mal kein Badezimmer hat wurde auch schnell die Badewanne gefüllt und ein warmes Bad genossen. „Egal wie das hier ausgeht, allein dafür hat es sich gelohnt“ sagt der frisch Gebadete.

Viele von uns hatten seit Jahren zum ersten mal Privatsphäre, die Möglichkeit die Tür hinter sich zuzumachen, sich sicher zu fühlen. Eine ehemals obdachlose Frau schließt ihre neue Wohnung auf und sagt „wow, i don-™t remember this feeling“

Wir waren gerührt wie viele Menschen sich für #habichsaath vor dem Haus versammelt hatten. Immer wieder gingen Grüße nach draußen und von dort an uns. Besonderen Dank an die Berliner Obdachlosenhilfe und Hände weg vom Wedding für die Kundgebung!

Die Stimmung war gespannt, aber fröhlich. Als das Angebot von Bürgermeister von Dassel kam, das Haus für obdachlose Menschen zur Verfügung zu stellen, wurde sie euphorisch. Das Angebot wurde unter der Bedingung, dass die BewohnerInnen selbstbestimmt leben können angenommen. Für einen Moment schien alles zu funktionieren: Der Leerstand sollte wieder bewohnt werden, die obdachlosen Menschen wieder eine Wohnung erhalten.

Dann kam die große Ernüchterung: von Dassel hatte sein Angebot zurückgezogen, die Polizei machte sich für die Räumung fertig. Bei der Aussicht, statt endlich im eigenen Bett wieder in der Kälte schlafen zu müssen flossen viele Tränen. Schließlich räumte die Polizei das Haus. Friedlich ließen alle BesetzerInnen sich abführen. Die Verzweiflung und die Wut war groß. Manche von uns wussten sich nicht anders zu helfen als laut um Hilfe zu rufen. Schlafsäcke und Isomatten wurden von der Polizei mitgenommen.

Erst spät in der Nacht wurden wir alle aus quer über die Stadt verteilten Zellen entlassen. Dafür, Gesundheit und Sicherheit für uns und unsere FreundInnen zu wollen, erwarten uns jetzt Anklagen und Strafen.

Nach der Zelle machten sich viele von uns auf zu ihren Schlafplätzen auf Parkbänken, in Hauseingängen oder Bahnhöfen um eine weitere kalte und ungemütliche Nacht zu verbringen. Wieder sind ein paar mehr auf der Straße, die ihr kurz entkommen waren. Wir wollen Wohnungen für alle, und die Beschlagnahmung der Habersaath Strasse ist der erste Schritt! Wir machen weiter! Es bleibt uns keine andere Wahl -“ wo sollen wir denn hin?

Links
cronjob