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Stellungnahme ver.di Bayern zum Polizeiaufgabengesetz (PAG)

Mit der bereits erfolgten Änderung 2017 und den jetzt zusätzlich geplanten Änderungen des Polizeiaufgabengesetzes wird die bayerische Polizei zunehmend mit geheimdienstlichen Aufgaben betraut und mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet. Das alleine schon muss eine freiheitliche Zivilgesellschaft mit Argwohn betrachten. Bei allem Verständnis dafür, dass die Polizei mit guten Instrumenten zur Gefahrenabwehr ausgestattet werden muss: Mit diesem Gesetz werden Grundrechte ausgehebelt oder zumindest relativiert. Wir betrachten das Gesetz im vorliegenden Entwurf deshalb (zumindest in Teilen) als verfassungswidrig.

Spezifische Sorgen bereitet uns insbesondere der dreimonatige Freiheitsentzug ohne Strafverfahren, der immer wieder um drei Monate verlängert werden kann. Das träfe insbesondere abhängig Beschäftigte schwer, denn sie könnten so ihren Arbeitsplatz verlieren und in Folge auch ihre gemietete Wohnung. Für solche schweren Grundrechtseingriffe reicht nach dem geplanten Gesetz der diffuse Begriff der „drohenden Gefahr“. Wir erleben aber schon jetzt immer wieder, wie Politiker angesichts von Streiks im Bereich des öffentlichen Dienstes ein drohendes Gefahrenszenario ausmalen und eine Einschränkung des Streikrechts fordern (bezeichnenderweise gerade aus der Partei, die auch das PAG durchboxen will). Ein Streik im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge oder sogar schon die Vorbereitungen dazu könnten dann zu eben dieser „drohenden Gefahr“ erklärt werden. Einem solchen Gesetz, das auch gegen Streikende angewendet werden könnte, werden wir als Gewerkschaften deshalb entschieden entgegentreten.

Wir begrüßen es deshalb auch ausdrücklich, wenn viele Kolleginnen und Kollegen sich an Bündnissen gegen das Gesetz beteiligen und auch zur Demonstration am 10. Mai in München kommen.



Quelle: ver.di Bayern

Stellungnahme zu den Ereignissen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen

Am Montag haben BewohnerInnen der Erstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen die Abschiebung eines togoischen Geflüchteten verhindert. Der Mann sollte entsprechend der Dublin-Verordnung ohne inhaltliche Prüfung seines Asylantrages nach Italien überstellt werden, wo bekanntlich eine menschenwürdige Unterbringung und soziale Versorgung oftmals nicht gesichert ist und selbst anerkannte Flüchtlinge an den Bahnhöfen sitzen und um Weißbrot betteln müssen. Auch in anderen europäischen Staaten, etwa in Bulgarien oder Ungarn, finden Geflüchtete oft keine menschenwürdigen Lebensperspektiven vor, mitunter kommt es von dort aus zu rechtswidrigen Rücküberstellungen in nicht-EU-Staaten oder gar in die Herkunftsländer.

Der verzweifelte Versuch, sich dagegen aufzulehnen, und die Solidarisierung zwischen Menschen, die sich in der gleichen Lage befinden, wird von Scharfmachern in Polizei, Medien und Politik verteufelt, deren Interpretation der Ereignisse dem rassistischen Stereotyp des gewalttätigen, wilden, bedrohlichen „Schwarzafrikaners“ folgen und ein „wir“-gegen-„die Fremden“-Szenario aufbaut, in dem es darum geht, sich mit Stärke, Gewalt und Dominanz zu behaupten. Menschen, die aus Angst und Verzweiflung handeln, werden als Bedrohung dargestellt, die es mit demonstrativer Machtausübung kleinzukriegen gilt.

Die reflexartigen Reaktionen der üblichen Verdächtigen basierten zumindest in Teilen auf Behauptungen, die sich im Nachhinein als falsch erwiesen. So gab es weder Angriffe auf PolizistInnen, noch wurden Waffen gehortet, noch wurden beim Großeinsatz am Donnerstag drei PolizistInnen verletzt, sondern nur einer, und das ohne Fremdeinwirkung.

In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden Menschen zunehmend ihrer Würde beraubt und mit Schikanen und Repressionen überzogen. Breite Empörung in der Öffentlichkeit herrscht aber nur, wenn sich jemand für einen kurzen Moment gegen sein fremdbestimmtes Schicksal auflehnt. Dann wird voller selbstgerechter Empörung auf den „bösen Fremden“ gezeigt.

Die Reaktion auf die Ereignisse in Ellwangen sagt weit mehr über den verrohten Zustand der deutschen Gesellschaft im Jahr 2018 aus als über das vermeintliche Wesen der routinemäßig zum homogenen Kollektiv konstruierten Geflüchteten. Wer dem Livestream der Pressekonferenz am Donnerstag bei Facebook folgte, sah einen Mikrokosmos des Zustands der aktuellen deutschen Gesellschaft: die Verantwortungsträger gaben ihre Sicht der Dinge wider, während in den Kommentaren daneben der Bürgermob sie dafür verhöhnte, nicht noch autoritärer durchzugreifen und sich bis hin zu Tötungsphantasien reinsteigerte. Es war wie eine Liveübertragung des Abdriftens einer Gesellschaft in die Barbarei.

Es ist schwierig, Forderungen nach einer Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit ernstzunehmen, wenn im gleichen Atemzug gefordert wird, alle Beteiligten als Strafe sofort abzuschieben, ihnen sämtliche Leistungen zu streichen, sie zu Zwangsarbeit zu verdonnern oder was auch sonst teilweise für kreativ-menschenverachtende Ideen die laufende Debatte schon hervorgebracht hat. Es drängt sich der Eindruck auf, dass das Beschwören des Rechtsstaats in diesem Fall nur ein Mittel ist, um die eigentliche Frage, nämlich der Sinnhaftigkeit und Zumutbarkeit von Dublin-Überstellungen nach Italien, zu umgehen und eine politische Frage zu entpolitisieren. Wenn es um rechtlich fragwürdige Praktiken seitens der Behörden gegenüber Menschen in den Erstaufnahmeeinrichtungen geht, bleibt der Aufschrei meist überschaubar. So wird es wohl auch sein, wenn die geplanten Anker-Zentren mit ihren effektiven Maßnahmen der Abschottung vielen Geflüchteten den Zugang zu rechtlicher Beratung und Beistand verwehren werden. Bereits jetzt wird unseren Kolleg*innen vom Bayerischen Flüchtlingsrat nicht erlaubt, in Seehofers modellhaften „besonderen Aufnahmeeinrichtungen“ in Bayern Menschen zu beraten und über ihre Rechte aufzuklären. In diesem Zusammenhang wird die Ausweitung rechtsfreier Räume in Erstaufnahmeeinrichtungen von den gleichen Personen bejubelt, die sich in Bezug auf die Ereignisse in Ellwangen darüber beklagt haben.

Das alles spielt in der Debatte um Ellwangen jedoch überhaupt keine Rolle.

Die derzeitige politische Kampagne stellt den widerlichen Versuch dar, Geflüchtete weiter zu kriminalisieren und sich ein „law-and-order-Image“ zu verschaffen in der verzweifelten Hoffnung, damit der AFD den Rang abzulaufen. Jetzt erst recht braucht es ein Bündnis aller Kräfte, die die Menschenrechte der betroffenen Geflüchteten ernst nehmen und verteidigen.

Quelle: PM Flüchtlingsrat Baden-Württemberg

Revolutionäre 1. Mai-Demo in Berlin

Rund 15.000 Menschen zogen auf der diesjährigen revolutionären 1. Mai Demonstration 2018 durch Kreuzberg, ohne polizeiliche Anmeldung und mit einem vorher offensiv angekündigten „Fahnenmeer“ der kurdischen Bewegung. Die von einem schwarzen Block angeführte Demo startete um 18.30 Uhr am Oranienplatz und zog zunächst durch das Myfest. Die kurze Route endete am Schlesischen Tor. Es beteiligten sich deutlich mehr Menschen als in diversen Medien berichtet. Dennoch ging die Demo, auch weil es keinerlei akustische Unterstützung durch Lautsprecheranlagen gab, in einem Meer partyhungriger Touristen fast unter.

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Weitere Informationen:

Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg

Foto: © heba / Umbruch Bildarchiv Berlin
"Warum immer Kreuzberg? Warum nicht mal in einem richtigen Problembezirk auf die Straße gehen?" fragten sich die Hedonist-international.org/ und starteten den 1. Mai bereits am Nachmittag um 14 Uhr mit einer Demo im Grunewald. Statt der angemeldeten 200 Teilnehmer*innen zogen mehr als 3.000 Menschen begleitet von Lärm, Wumms und allerlei guten Ideen, die laut in die Vorgärten schallten, vom S-Bahnhof Grunewald durch das Villenviertel. An der fast sieben Kilometer langen Strecke lagen Botschaften, Residenzen und die Häuser zahlreicher Prominenter. Einige Villen, bei denen die Gartentür offen stand, wurden gleich mal besichtigt, bei anderen Sturm geklingelt oder sie mit Aufklebern und anderem verschönert. Das führte zu einem längeren unfreiwilligen Aufenthalt in der Nähe der britischen Botschaft. Nach einer Stunde gab die Polizei die Straße wieder frei. Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg.

Zur Bilderserie beim Umbruch Bildarchiv

Siehe auch:

Umbruch-Bilder vom 1. Mai 1987 - 1992 und Bilder vom 1. Mai 2001 - 1. Mai 2002 - 1. Mai 2003 - 1. Mai 2004 - 1. Mai 2005 - 1. Mai 2006 - 1. Mai 2007 - Fotos 1. Mai 2008 in Berlin -“ Fotos 1. Mai 2008 in Hamburg -“ Fotos 1. Mai 2008 in Istanbul - Fotos 1. Mai 2009 in Berlin - Fotos 1. Mai 2010 in Berlin - Fotos 1. Mai 2011 in Berlin - Fotos 1. Mai 2012 in Berlin - Fotos 1. Mai 2012 in Istanbul - Fotos 1. Mai 2013 in Berlin - Fotos 1. Mai 2014 in Berlin - Fotos 1. Mai 2015 in Berlin - Fotos 1. Mai 2016 in Berlin - Fotos 1. Mai 2017 in Berlin - Fotos 1. Mai 2018 in Berlin

nachschLAg: Ein unvollständiger Wochenrückblick

BOLIVIEN
Der frühere bolivianische Diktator Luis Garcia Meza ist tot. Der 88 Jahre alte General starb in der Nacht zum Sonntag an den Folgen eines Herzinfarkte.

KOLUMBIEN
Seit der Festnahme des Politikers Jesús Santrich am 9. April 2018 und dem Rückzug von Iván Márquez aus der Hauptstadt Bogotá in die sogenannte Übergangszone Miravalle im Bezirk Caqueta durchlebt die kolumbianische Linkspartei Farc einen äußerst kritischen Moment in ihrer jungen Geschichte.

Nach dem Ende des Friedensprozesses: Verfahren gegen ehemalige ELN- und FARC-Guerilleros

KUBA
Das Charisma der Castros wird Kubas neuer Staatschef wohl schuldig bleiben. Was nichts daran ändert, dass Miguel Díaz-Canel bald schon als Krisenmanager gefragt sein könnte. Noch vor seinem Antritt gab die Regierung in Havanna zu verstehen: Von einem Staatsstreich in Venezuela oder gar einer Intervention sei auch Kuba betroffen.

Die Städte und Dörfer in Kuba hatten sich zum 1. Mai herausgeputzt. Überall hingen die Fahnen des Landes und der revolutionären "Bewegung des 26. Juli" von Balkonen und aus Fenstern. Seit den frühen Morgenstunden waren in Havanna bereits die Motorengeräusche der Busse mit den Demonstrationsteilnehmern zu hören.

Unter Beisein des chinesischen Botschafters Chen Xi wurde am Freitag Kubas leistungsfähigster Solarpark feierlich eröffnet. Die Anlage, mit einer Kapazität von 5 Megawatt, befindet sich in der Gemeinde Abreus in der Provinz Cienfuegos. Sie wurde durch eine Spende der Regierung der Volksrepublik China finanziert.

Am 13. Mai 1958 wurde der Reporter Carlos Bastidas Argüello aus Ecuador in der Bar "Cachet" am Prachtboulevard Prado, zwischen den Seitenstraßen Virtudes und Neptuno von einem Agenten der Geheimpolizei des Diktators Fulgencio Batista erschossen. Er wurde nur 23 Jahre alt

MEXIKO
Entführt, getötet, in Säure aufgelöst: Drei Studenten werden gekidnappt, ihre Leichen später in Säure aufgelöst. Mutmaßlicher Täter: Ein bekannter Rapper im Auftrag eines Kartells.

In Mexiko hat die Guerillaorganisation Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) Intellektuelle, Künstler, Journalisten und Aktivisten nach San Cristóbal de las Casas eingeladen, um -“ auch mit Blick auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen -“ das gemeinsame Vorgehen zu besprechen.

VENEZUELA
Weniger als drei Wochen vor der Präsidentschaftswahl in Venezuela standen die Kundgebungen zum 1. Mai in dem südamerikanischen Land ganz im Zeichen des Wahlkampfes. Sowohl das chavistische Lager als auch die in zahlreiche Flügel zersplitterte Opposition hatten zu Kundgebungen aufgerufen.

Ein Gemeinschaftsprojekt von Einfach Übel und redblog, Ausgabe vom 04. Mai 2018

Union Busting

Es sind die Schattenseiten des vermeintlichen deutschen Jobwunders, die in den Medien weitgehend ausgeblendet bleiben: Die Verletzung von Menschenrechten und geltenden Gesetzen durch aggressive Unternehmer und ihre Berater. Zu den Leidtragenden gehören Beschäftigte in Branchen und Unternehmen wie Discountern, Paketdiensten, Speditionen oder Systemgastronomie und im Niedriglohnsektor sowie Arbeitssuchende, die mit Hilfe der Jobcenter in miserable Verhältnisse gepresst werden - aber auch in allen anderen Branchen gibt es diese Entwicklungen.

Die Gründung von Betriebsräten ist heute, in Zeiten von sogenanntem Union Busting, der professionellen, bisweilen kriminellen Bekämpfung von Gewerkschaften, oft ein gefährliches Abenteuer. Elmar Wigand betreibt den Blog www.arbeitsunrecht.de und hat gemeinsam mit Werner Rügemer Netzwerke einschlägiger Akteure (Arbeitsrechtler, Unternehmensberater, Detekteien, gelbe Pseudo-Gewerkschaften) in den Blick genommen.

Ihr Buch "Die Fertigmacher" schildert deren Methoden und Strategien.


Mittwoch, 16. Mai 2018

19.30 Uhr

Gewerkschaftshaus

Julius-Motteler-Str. 12, Esslingen


Rügemer, Werner / Wigand, Elmar:
Die Fertigmacher
Arbeitsunrecht und und professionelle Gewerkschaftsbekämpfung

3., aktualisierte und erweiterte Auflage 2017
Neue Kleine Bibliothek 202, ca. 260 Seiten
ISBN 978-3-89438-555-2

Abweichung



Theodor W. Adorno, Heidelberg 1964

Foto: Jeremy J. Shapiro

Lizenz: CC BY-SA 3.0

Für den Verfall der Arbeiterbewegung spricht der offizielle Optimismus ihrer Anhänger. Er scheint mit der eisernen Konsolidierung der kapitalistischen Welt anzuwachsen. Die Inauguratoren haben niemals das Gelingen für garantiert gehalten und darum den Arbeiterorganisationen ihr Leben lang Unannehmlichkeiten gesagt. Heute, da die Position des Gegners und seine Verfügung übers Bewußtsein der Massen unendlich verstärkt sind, gilt der Versuch, durch Kündigung des Einverständnisses dies Bewußtsein jäh zu verändern, für reaktionär. Jeder macht sich verdächtig, der mit der Kritik am Kapitalismus die am Proletariat verbindet, das mehr und mehr die kapitalistischen Entwicklungstendenzen selber bloß reflektiert. Über die Klassengrenzen hinweg ist das negative Element des Gedankens verpönt. Die Weisheit des Kaisers Wilhelm, "Schwarzseher dulde ich nicht", ist in die Reihen derer eingedrungen, die er zerschmettern wollte. Wer etwa auf das Ausbleiben eines jeglichen spontanen Widerstands der deutschen Arbeiter hinwies, dem ward entgegengehalten, alles sei derart im Fluß, daß kein Urteil möglich sei; wer nicht an Ort und Stelle, unter den armen deutschen Opfern des Luftkriegs sich befinde, der doch diesen ganz gut gefiel, solange es gegen die andern ging, habe überhaupt den Mund zu halten, und außerdem stünden Agrarreformen in Rumänien und Jugoslawien unmittelbar bevor. Je weiter jedoch die rationale Erwartung entschwindet, daß das Verhängnis der Gesellschaft wirklich gewendet werde, um so ehrfürchtiger beten sie dafür die alten Namen: Masse, Solidarität, Partei, Klassenkampf her. Während kein Gedanke aus der Kritik der politischen Ökonomie bei den Anhängern der linken Plattform mehr feststeht; während ihre Zeitungen ahnungslos täglich Thesen ausposaunen, die allen Revisionismus übertrumpfen, aber gar nichts bedeuten und morgen auf Abruf durch die umgekehrten ersetzt werden können, zeigen die Ohren der Linientreuen musikalische Schärfe, sobald es sich um die leiseste Respektlosigkeit gegen die der Theorie entäußerten Parolen handelt. Zum Hurra-Optimismus schickt sich der internationale Patriotismus. Der Loyale muß zu einem Volk sich bekennen, gleichgültig welchem. Im dogmatischen Begriff des Volkes aber, der Anerkennung des vorgeblichen Schicksalszusammenhangs zwischen Menschen als der Instanz fürs Handeln, ist die Idee einer vom Naturzwang emanzipierten Gesellschaft implizit verneint. Selbst der Hurra-Optimismus ist die Perversion eines Motivs, das einmal andere Tage sah: dessen, daß nicht gewartet werden könne. Im Vertrauen auf den Stand der Technik wurde die Veränderung als unmittelbar bevorstehend, als nächste Möglichkeit gedacht. Konzeptionen, welche sich an lange Zeiträume, Kautelen, umständliche bevölkerungspädagogische Maßnahmen banden, waren verdächtig, das Ziel preiszugeben, zu dem sie sich bekannten. Damals hatte im Optimismus, der der Todesverachtung gleichkam, der autonome Wille sich ausgedrückt. Übriggeblieben ist nur die Hülle davon, der Glaube an Macht und Größe der Organisation an sich, ohne Bereitschaft zum eigenen Tun, ja durchtränkt mit der destruktiven Überzeugung, Spontaneität sei zwar nicht mehr möglich, aber am Ende gewinne doch die rote Armee. Die beharrliche Kontrolle darüber, daß jeder zugibt, es werde schon gut werden, verdächtigt den Unnachgiebigen als Defaitisten und Abtrünnigen. Im Märchen waren die Unken, die aus der Tiefe kamen, Boten des großen Glücks. Heute, da die Preisgabe der Utopie deren Verwirklichung so ähnlich sieht wie der Antichrist dem Parakleten, ist Unke zum Schimpfwort unter denen geworden, die selber drunten sind. Der linke Optimismus wiederholt den tückischen bürgerlichen Aberglauben, man solle den Teufel nicht an die Wand malen, sondern sich ans Positive halten. " Dem Herrn gefällt die Welt nicht? Dann muß er sich eine bessere suchen" - das ist die Umgangssprache des sozialistischen Realismus.

Mai

Erich Mühsam kurz vor seinem 50. Geburtstag.
Quelle: Deutsches Bundesarchiv (German Federal Archive), Bild 146-1981-003-08

Anno 1913 schuf Erich Mühsam einen im Grunde noch heute gültigen Kalender. Die Tage, in denen diese Zustände auf dem Müllhaufen der Geschichte landen werden, rücken näher. Anlässlich dessen 105. Jahrestages beginnen wir jeden Monat in diesem Jahr mit dem entsprechenden Text.

Der Revoluzzer fühlt sich stark.
Der Reichen Vorschrift ist ihm Quark.
Er feiert stolz den ersten Mai.
(Doch fragt er erst die Polizei.)

Erich Mühsam, 1878-1934

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