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Restorative Justice after Genocide - Protestmarsch von Herero und Nama in Berlin

Fotos Oliver Feldhaus / Umbruch-Bildarchiv
Am 16. Oktober 2016 fand in Berlin ein Protest- und Solidaritätsmarsch von Herero- und Namadelegierten zum Berliner Schloss/Humboldt-Forum statt. Das für ca. 600 Millionen Euro rekonstruierte Berliner Schloss war die Residenz Kaiser Wilhelms II, der zu den Hauptverantwortlichen für die Vernichtungstrategie gegen die Herero und Nama zählt.

Der Protestmarsch bildete den Abschluss des ersten transnationalen Kongresses von OvaHerero und Nama zum Genozid in den Jahren 1904 bis 1908 in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Etwa 50 Nachfahren der Opfer des Genozids hatten sich vom 14.-16. Oktober in Berlin mit AktivistInnen afrikanischer, Schwarzer und kolonialismuskritischer Organisationen getroffen.
Neben Austausch und Vernetzung gab es auch mehrere Veranstaltungen. So fand z.B. anlässlich der Eröffnung einer Sonderausstellung „Deutscher Kolonialismus. Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart“ vor dem Deutschen Historischen Museum Berlin eine gemeinsame Protestkundgebung statt. Die Kritik der Kongressteilnehmenden bezieht sich auf die anhaltende Ausgrenzung von Nachfahren Kolonisierter in Fragen der afrikanisch-deutschen Geschichte. Denn nicht nur ist das Ausstellungskonzept des DHM ohne maßgebliche Beteiligung von afrikanischen bzw. Schwarzen ExpertInnen erstellt worden. Das Museum hat es auch abgelehnt, die in Berlin anwesenden Herero- und Namarepräsentanten zu einem Grußwort einzuladen.

Vor allem aber richtet sich der Protest gegen die exklusiven deutsch-namibischen Regierungsverhandlungen. Diese Verhandlungen über die Aufarbeitung des Völkermords finden bereits seit 2014 unter Ausschluß der direkt betroffenen Herero und Nama statt. Diese fordern eine angemessene Entschädigung für das vom Deutschen Reich gestohlene und an deutsche Siedler vergebene Land. (siehe auch:

Zu den Fotos von Oliver Feldhaus / Umbruch-Bildarchiv

Pressemitteilung von Berlin Postkolonial)

Weitere Informationen:

Der anachronistische Zug

Foto: Monika v. Wegerer / Umbruch Bildarchiv Berlin
"Der anachronistische Zug" ist ein politisches Strassentheater, das seit vielen Jahren durch Deutschland zieht. Als Vorbild diente Bertolt Brechts Gedicht "Der Anachronistische Zug oder Freiheit und Democracy" von 1947. Darin prangert Brecht die personelle und teilweise auch ideologische Kontinuität zwischen Nazi-Deutschland und der Bundesrepublik an. Im Jahr 1979 brachten die Autoren Thomas Schmitz-Bender und Helge Sommerrock das Spektakel erstmals auf die Straße. Der Protest richtete sich gegen die Wahl Carl Carstens als ehemaliges NSDAP Mitglied zum Bundespräsidenten. Er richtete sich auch gegen andere Politiker, Lehrer, Richter und Journalisten, die von ihrer Nazi-Vergangenheit profitierten, in dem sie wieder in hochrangige Ämter zurückkehrten.

Monika v. Wegerer nahm im September 1994 am anachronistischen Zug teil, der mit ca. 40 Wagen aus Anlass der bevorstehenden Bundestagswahl durch Berlin zum Brandenburger Tor zog.

Rückblick: 1980 fährt der Zug durch Münchens Straßen. Diesmal war es die Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß (CSU) während des Bundeswahlkampfes, gegen die protestiert wurde. Das Straßentheater bestand aus einem Zug mit mehreren Wagen, wie man sie aus der Faschingszeit kennt. Bei der Aktion war auch die Brecht-Tochter Hanne Hiob dabei. Auf dem letzten "Plagenwagen" wurden sechs Figuren in Gestalt von Nazigrößen dargestellt. Franz Josef Strauß war eine von ihnen. Immer wenn ein Stichwort genannt wurde, z.B. "Unterdrückung", erhob sich eine Figur, die dann von Franz Josef Strauß zurückgedrängt wurde. Zum Schluss erhoben sich alle sechs Nazigrößen und blickten auf den gedoubelten Franz Josef, sodass nur noch das von ihm hochgehaltene Schild mit "Freiheit und Democracy" sichtbar blieb. Übrigens: Die Person, die Franz Josef Strauß darstellte, wurde später wegen Beleidigung des bayrischen Ministerpräsidenten, der Strafanzeige gestellt hatte, verurteilt. .

Nachdem die Revision des Urteils vom bayrischen obersten Landesgericht verworfen wurde, entschloss sich der Verurteilte zu einer Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht. Diese hatte im Juli 1984 endlich Erfolg. Zuvor gab es jedoch einen jahrelangen Rechtsstreit um die Definition der Kunstfreiheit (Art. 5, Abs.3, Satz 1 GG) und ihrer Grenzen z.B. durch Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Das Urteil hatte auch für künftige Verfahren richtungsweisende Bedeutung.

1990 zog der anachronistische Zug ein weiteres Mal mit der Warnung vor nationalistischen Tendenzen angesichts der Wiedervereinigung in Deutschland innerhalb von 14 Tagen von Bonn aus nach Berlin und kam genau am Wahlabend an.
Nach langer Pause zog das Straßentheater dann wieder im Jahr 1994 und im Jahr 2000 zum Millenniumswechsel durch Berlin. Auch dieses Mal war die Brechttochter Hanne Hiob wieder dabei. In darauf folgenden Jahren zog der anachronistische Zug durch verschiedene Orte in Deutschland. So 2009 durch Regensburg und 2013 durch Bayreuth.
Zuletzt fand das Straßenspektakel im Jahr 2015 zum 70. Jahrestag des Kriegsendes wieder in Berlin statt. Der 8.Mai sollte nicht nur gefeiert, sondern auch als Mahnung dafür verstanden werden, dass die Gespenster des Nationalismus und Militarismus heute wie damals wirken.

Zur Fotoserie beim Berliner Umbruch Bildarchiv.

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