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Horkheimer. Zum Wesen des Menschen

Horkheimer (links) mit Theodor W. Adorno (vorne rechts) und Jürgen Habermas (hinten rechts) in Heidelberg, 1964
Foto: Jeremy J. Shapiro / CC-BY-SA-3.0

"Der Blutdurst der Bauern und sonstiger Helfershelfer, wenn ein Wolf oder ein Berglöwe sich nächtlich ein Schaf holt, verrät die schlecht überwundene Gier nach rohem Fleisch - nach Zerfleischen und Überfall. Indem man den tierischen Räuber zur "Bestie" stempelt, schlägt man draußen mit abgefeimter Brutalität, was man drinnen in sich selbst nicht ausrotten kann, das Vor-Zivilisatorische. Es kommt darüber hinaus in dem bestialischen Haß gegen den Wolf aber noch weiter zum Ausdruck, daß man den eigenen Fraß, dem die Schafe ausschließlich vorbehalten bleiben sollen, insgeheim als die grauenvolle Praxis empfindet, die sie wirklich ist. Die Züchter von Haustieren erfahren im täglichen Umgang mit ihnen etwas von deren Individualität und ihrem vertrauenden Leben. Der eigene Widerwille gegen den Mord am Beschützten, gegen den Verkauf an den Schlächter, ist in die untersten seelischen Schichten verstoßen und steigt in der Wut gegen den illegalen Fresser, der soviel harmloser ist als der verräterische Hirte selbst, mit blutunterlaufenen Augen herauf. Im Mord am Wolf bringt man das eigene Gewissen zum Schweigen. Die Gelegenheit ist günstig: man kommt sich dabei auch noch als Beschützer vor -” und ist es auch in diesem Augenblick. Der Schutz ist zugleich Totschlag - qui saurait y remedier! -, nur die blutunterlaufenen Augen verraten, daß noch mehr im Spiel ist als die Dialektik der Zivilisation."

Max Horkheimer - Notizen 1950 bis 1969

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