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Mumia Abu-Jamal: Über das, was der Knast aus einem Menschen macht

Ein neues Bild von Mumia vom Gefangenen Kevin Rashid Johnson. Er ist in der Snake River Correctional Institution im Ort Ontario im US Bundesstaat Oregon inhaftiert.

Quelle: Free Mumia Bündnis Berlin

“Prison is a second-by-second assault on the soul, a day-to-day degradation of the self, an oppressive steel and brick umbrella that transforms seconds into hours and hours into days.-

Mumia Abu-Jamal

Absurd und empörend

Tomas Elgorriaga Kunze
Tomas Elgorriaga Kunze(*) wurde am 16. November 2015 an Frankreich ausgeliefert und befindet sich derzeit in Untersuchungshaft im Gefängnis Fleury-Mérogis, knapp 30km südlich von Paris. Wer ihm schreiben möchte: die Adresse ist unten angegeben. Dort steht der Flyer auch als PDF zum Download zur Verfügung.

Es ist inzwischen mehr als ein Jahr vergangen, seit wir am 31. Oktober 2014 die Nachricht seiner Verhaftung erhielten. Damit war eine der offenen Fragen für die Zukunft des Baskenlands und für die Lösung des baskisch-spanisch-französischen Konflikts auch in Deutschland angekommen: Hunderte Baskinnen und Basken, die vor drohender oder -“ wie im Fall von Tomas -“ erlittener Folter, vor absurden Beschuldigungen und noch absurderen Urteilen aus Spanien und auch aus Frankreich flohen, hoffen auf eine Lösung für ihre Situation im Rahmen eines Friedensprozesses. Spanien verweigert sich einem solchen Prozess jedoch immer noch, obwohl inzwischen vier Jahre vergangen sind, seit die baskische bewaffnete Organisation ETA ihren Kampf im Oktober 2011 für beendet erklärte und seither den von der baskischen Gesellschaft erarbeiteten Weg für eine friedliche Lösung des Konflikts unterstützt.

Aus dem Bett gezerrt

Gerade in diesen Zeiten des immer ungehemmteren Einsatzes von kriegerischen oder repressiven Maßnahmen wäre die Unterstützung des baskischen Friedensprozesses durch die deutsche Regierung und durch das für die Auslieferung zuständige Oberlandesgericht in Karlsruhe ein starkes Plädoyer für den politischen Dialog. Stattdessen musste Tomas den Prozess der Auslieferung als Alptraum erleben. Seine Anwälte hatten ihn am Freitag telefonisch über die beschlossene Auslieferung an Frankreich informiert, aber bevor er den Auslieferungsbescheid sehen und mit seinen Anwälten besprechen konnte, wurde er auf brutale Weise nach Frankreich geschafft. In einem Brief schreibt er am Abend des 16. November 2015 aus dem Gefängnis in Strasbourg:

„Nun ist es passiert, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion haben mich die Beamten in Mannheim heute Morgen aus dem Bett gezerrt, und ohne zuzulassen, dass ich mich anziehe, geschweige denn packe, haben sie mich der Polizei übergeben, die mich nach Offenburg gefahren hat, wo mich die französische Polizei abgeholt ... hat .... Ich habe hier also keine Kleidung, kein Geld, keine Adressen, nicht einmal meine Brille, nichts. Sogar die französische Polizei hat den Kopf geschüttelt.“


Wir sind empört über die Brutalität und die Willkür der Abschiebungsprozedur. War dies angeordnet? Oder ist das die Art und Weise, in der Vollzugsbeamte in Mannheim mit Menschen umgehen? Tomas hatte noch lautstark Asyl beantragt, die Beamten haben dies jedoch einfach ignoriert.

Tomas hat in Frankreich das Recht auf einen fairen neuen Prozess. Wir erwarten von der französischen Justiz, dass sie Tomas Rechte wahrt, den Kontext der Friedensbemühungen im Baskenland im neuen Prozess berücksichtigt und vor allem Tomas nicht nach Spanien abschiebt. Von der deutschen Justiz und den deutschen Behörden erwarten wir, dass sie die Einhaltung der Bedingungen, unter denen sie die Auslieferung genehmigte, garantiert. Außerdem erwarten wir die Einstellung des §129a/b-Verfahrens gegen Tomas, das die Bundesstaatsanwaltschaft aus eigenem Antrieb aufgenommen hat. Nach intensiven Ermittlungen konnte sie auch nur feststellen, dass Tomas in Freiburg gelebt, studiert und gearbeitet hat.

Danke für Eure Solidarität!

Wir danken allen, die die Kampagne gegen die Auslieferung von Tomas nach Frankreich unterstützt haben für Eure Solidarität, sei es in Form von Veranstaltungen und Solidaritätsadressen oder durch Briefe an Tomas! Ein für Tomas ganz besonderer Akt der Solidarität war die Kundgebung am 14. November 2015 in Freiburg, zu der ein Bus aus seiner alten Heimatstadt Hondarribia angereist war.

Wir werden Tomas weiterhin nach Kräften unterstützen! Und wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass die spanische und die französische Regierung nicht länger Konfliktlösung und Frieden im Baskenland blockieren. Die Kundgebung in Freiburg hatte die Losung „Tomas mit uns in Freiheit nach Hause“. Es wird Zeit für eine politische Lösung des Konflikts, damit alle baskischen politischen Gefangenen, Exilierten und Flüchtlinge nach Hause zurückkehren können!

Euskal Herriaren Lagunak -“ Freundinnen und Freunde des Baskenlands, 26. November 2015

Wer Tomas schreiben möchte:

Tomas Elgorriaga Kunze
No. 424403 / d3-2g-42
Maison d'arrêt hommes Fleury-Mérogis
7, avenue des peupliers
F -“ 91.705 Sainte Geneviève-des-bois Cédex

(*) Hintergrund: Am 31. Oktober 2014 wurde Tomas Elgorriaga Kunze in Mannheim verhaftet. Zuvor lebte er seit 2001 in Freiburg, studierte und arbeitete an der Freiburger Universität. Früher war er in der baskischen Unabhängigkeitsbewegung aktiv. Im Frühjahr 1998 verhaftete ihn die spanische Polizei wegen angeblicher Unterstützung der ETA (Euskadi Ta Askatasuna, Baskenland und Freiheit). Tomas wurde schwer gefoltert und flüchtete, als er auf Kaution freikam. Seine Mitangeklagten wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Er selbst wurde später in Frankreich wegen angeblicher ETA-Mitgliedschaft in Abwesenheit verurteilt.

Quelle: Flugblatt

Mehr Informationen: FreundInnen des Baskenlandes

Heute: NOISE MASSACRE V.

Dieses Jahr zum fünften Mal: Das Noise Massacre im Komma in Esslingen.Mit einer Mischung aus Hardcore, Crust, Punk soll antifaschistische Arbeit ebenso wie AntifaschistInnen unterstützt werden, die wegen ihres Engagements von Repression betroffen sind."

Beginn: 18:00 Uhr

Acts:

Bitter Verses
Geraniüm
Yanos
I saw Daylight
We had a Deal
The Higgins
Blut Hirn Schranke
Nametaker ACHTUNG!
Nametaker haben leider abgesagt. als Ersatz dafür werden WØLFENSTEIN das Festival eröffnen!

+ aftershow party + vegan food

An der mazedonischen Grenze...

Das Video von der Polizeigewalt gegenüber Flüchtlingen an der mazedonischen Grenze wurde Ende Oktober veröffentlicht. Die Situation dort ist unverändert, wie Human Rights Watch berichtet, aktuell werden dort Menschen von den Behörden "aussortiert". Vor wenigen Tagen machten die Flüchtlinge dort selbst mit drastischen Aktionen auf ihre Lage aufmerksam. "Wie die Nachrichtenagentur dpa am Montag meldete, haben nach einem Bericht der Internationalen Organisation für Migration in diesem Jahr bis zum 15. Oktober 137.000 Asylsuchende Italien auf dem Seeweg erreicht. In Griechenland kamen im gleichen Zeitrum rund 473.000 Flüchtlinge an." junge Welt, 20.10.2015

Die EU setzt trotz der Lage der Menschen dort alles daran die sogenannte "Balkanroute" dicht zu machen. Währenddessen ergeht sich das politische Personal der BRD wie der bayerische CSU-Innenminister Herrmann in geschichtslosen Wortklaubereien.

Geschichtslos, weil: "Rund eine halbe Million Flüchtlinge aus Deutschland suchten in den 1930er und 40er Jahren in mehr als 80 Staaten Schutz vor der faschistischen Diktatur Nazideutschlands. Dazu kamen nach Ende des Zweiten Weltkrieges rund 14 Millionen Flüchtlinge aus den ehemaligen „Ostgebieten“ und mehrere Millionen „Displaced Persons“, die in Deutschland Schutz suchten. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen im Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg räumte 1948/49 der parlamentarische Rat jedem Menschen, der vor politisch Verfolgung nach Deutschland floh, ein Recht auf Asyl ein. Das Recht auf politisches Asyl wurde im Artikel 16 des Grundgesetzes festgeschrieben." (Das deutsche Asylgesetz - Eine Geschichte der Ablehnung und Ausgrenzung (PDF), via Asylrechtsverschärfungen stoppen! // لتوقيف تشديد قانون اللجوء // Stop the tightening of asylum law!)

Triggerwarnung: Das Video enthält Gewaltszenen

Berlin: Refugee Schul- und Unistreik gegen Rassismus

Foto: Oliver Feldhaus / Umbruch Bildarchiv
"Ob PEGIDA oder Staat - brennende Heime sind die Früchte ihrer Saat." Unter diesem Motto zogen am 19.11.2015 über 3.000 Schülerinnen, Studentinnen und Geflohene vom Potsdamer Platz bis zur Notunterkunft am Tempelhofer Feld. Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr fand der Refugee Schul- und Unistreik statt.

Die Demonstrierenden wollten damit der Diskriminierung und den täglichen Angriffen auf Schutzsuchende durch Nazis, der Asylrechtsverschärfung der Regierung entgegentreten sowie der kommenden Grenzschließungen innerhalb Europas. Innenminister Thomas De Maizière (CDU) will Afghanistan zum "sicheren Drittland" deklarieren. Trotz täglicher Anschläge und Bedrohungen durch das Erstarken terroristischer Gruppen will er Flüchtlinge zurück an den Hindukusch abschieben.

"Wir als Jugendliche wollen ein Zeichen setzen: gegen die rassistische Stimmung in Deutschland und Europa und für einen solidarischen und gerechten Umgang mit allen geflüchteten Menschen", sagt Lina Kaufmann vom Refugee Schul- und Unistreikbündnis.

Inmitten eines reaktionären Klimas ist die Ausweitung des antirassistischen Protestes mehr denn je nötig. Die heutige Situation mit PEGIDA und der Asylrechtsverschärfung ist vergleichbar mit den 90er Jahren, als der braune Mob wütete und von Mölln über Solingen bis Rostock-Lichtenhagen Flüchtlingslager anzündete. Die Regierung Kohl nahm dies zum Anlass für die faktische Abschaffung des Asylrechts (GG Art 16) im Jahre 1993.

Afghanische Geflüchtete führten gemeinsam mit den Schüler'innen und Student'innen die Demo an. Sie zeigten auf Schildern den ausweglosen Alltag in ihrem Herkunftsland und brachten lautstark ihre Verzweiflung über die drohende Abschiebung zum Ausdruck.

“... Wir kämpfen für eine Gesellschaft ohne Grenzen und Unterdrückung, in der es um die Bedürfnisse aller und nicht um den Profit weniger geht. Eine Gesellschaft in der wir gemeinsam und solidarisch zusammenleben und nicht mehr gezwungen werden den Großteil unseres Tages in Schulen und Betrieben „abzusitzen“. Eine Gesellschaft in der wir uns frei entfalten können, Lernen Spaß macht und alle Zugang zu guter Bildung haben. Gleiche Rechte für Alle! Volle Staatsbürgerinnenrechte für Geflüchtete, heißt Recht auf Arbeit, volle demokratische Rechte und Bewegungsfreiheit. Lager Abschaffen! Für die Unterbringung in eigenen Wohnungen. Wo es den Platz nicht gibt: Enteignung von Leerstand und Spekulationsobjekten und massiven Sozialwohnungsbau. Werdet aktiv gegen rechte Gewalt! Bildet antirassistische Strukturen und Schülerinnengruppen, organisiert euch, geht auf die Straße und seid da wo es brennt. Rassismus keinen Raum bieten! Für eine breite Jugendbewegung gegen jede Form von Unterdrückung...- (Aufruf zum Refugee Schul- und Unistreik)

Mehr Informationen:

Via Umbruch Bildarchiv

Erklärung der VVN-BdA zu den Anschlägen von Paris: Liberté - Égalité - Fraternité

Erklärung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der AntifaschistInnen (VVN-BdA) zu den Anschlägen von Paris:Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit müssen als Maßstab für ein menschenwürdiges Leben gegen Salafisten, Antisemiten, Rassisten und Faschisten, gegen PEGIDA und und andere reaktionäre Bewegungen verteidigt werden.

Die VVN-BdA spricht den Angehörigen der bei den Anschlägen in Paris Gemordeten ihr tief empfundenes Mitgefühl aus. Auch diese Anschläge machen deutlich, dass die Attentäter Menschenverachtung und Demokratiefeindlichkeit mit jenen teilen, die ihre Taten zum Anlass nehmen, nach einem autoritären Staat zu rufen. Dagegen stehen wir mit Millionen Menschen in Europa für die Verteidigung einer solidarischen Gesellschaft, in der die Errungenschaften der Französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, als Maßstab für eine Gesellschaft gelten, die allen Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. In diesem Sinne kämpfen wir weiter für gleiche Rechte für alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und für eine Welt des Friedens und der Freiheit, in der Menschen nicht länger gezwungen werden vor Verfolgung, Krieg und Terror, vor gnadenloser Ausplünderung und den Folgen des Klimawandels zu flüchten. Den „Krieg gegen den Terror“ auszuweiten, wie es jetzt immer wieder gefordert und angekündigt wird, ist nicht die Lösung, sondern kann nur zu weiterer Esklalation der Kriege und zu weniger Freiheit führen. Die beste Verteidigung des humanistischen Erbes Europas ist, es für alle Menschen erfahrbar zu machen.



Französische Fassung:
Liberté - Égalité - Fraternité
Liberté, égalité et fraternité doivent être défendues comme référence pour une vie en dignité contre des salafistes, des antisémites, des racistes et fascistes, contre PEGIDA et tout autre mouvement réactionnaire.

La VVN-BdA exprime ses condoléances aux familles des victimes de l’attaque meurtrière à Paris. Une fois de plus, ces attaques manifestent le mépris des hommes et l’hostilité à l’égard de la démocratie que les assassins partagent avec ceux qui veulent en profiter pour réclamer un état autoritaire. Ensemble avec des millions d’Européens nous allons défendre avec toute détermination les conquêtes de la révolution française comme référence pour une société solidaire qui permettra a chacun et chacune de vivre en dignité. C’est dans ce sens que nous continuons notre lutte pour les mêmes droits pour tous et toutes, n’importe leurs origines et pour un monde dans la paix et la liberté, qui n’obligera plus les hommes de prendre la fuite de persécution, guerres et terreur, d’exploitation sans merci et des conséquences du changement de climat. L’approfondissement de la „guerre contre le terrorisme“ comme il est maintenant souvent proposé et déclaré accroîtra les guerres et restreindra la liberté. La meilleure défense de l’héritage humaniste de l’Europe sera de permettre à tous d’en faire l’expérience.

Erklärung der FIR zu den Anschlägen von Paris

Mit tiefer Erschütterung mussten wir die Mordaktionen von diesem Wochenende in Paris zur Kenntnis nehmen. Nach den bisherigen Informationen wurden bei einer Anschlagsserie mehrere hundert Menschen getötet oder schwer verletzt. An insgesamt fünf Punkten in Paris, u.a. in der Konzerthalle Bataclan und am Stade de France, gab es Schießereien, Morde und Bombenanschläge. Nach dieser Terrorwelle erklärte der französische Präsident den Ausnahmezustand über das Land.

Die FIR verurteilt in jeder Form solche Formen von wahnsinnigem Terrorismus. Unser Mitgefühl gilt allen Opfern dieser Verbrechen und ihren Angehörigen.

Unsere Solidarität gilt unseren Mitgliedsverbänden und Partnern in Frankreich, die sich seit Jahrzehnten für die Bewahrung der Ideale des Antifaschismus und der Demokratie einsetzen, welche durch solche Verbrechen direkt angegriffen werden.

Unsere Solidarität gilt dem französischen Volk, das sich in seiner übergroßen Mehrheit gegen alle Formen von rassistischer Gewalt -“ von wem auch immer sie ausgeht -“ stellt und für ein friedliches Miteinander aller im Land lebenden Menschen eintritt.

Wir trauern mit ihnen und hoffen, dass es allen Demokraten und Antifaschisten in der französischen Gesellschaft gelingt, solchen Verbrechen entgegenzutreten und gleichzeitig die Ideale von Freiheit, Mitmenschlichkeit und Toleranz zu verteidigen.

Dies sehen wir auch als europäische Aufgabe. Dazu werden die FIR und ihre Mitgliedsverbände ihren aktiven Beitrag leisten.

Dr. Ulrich Schneider
Generalsekretär der FIR

Quelle: Fédération Internationale des Résistants - Association Antifasciste, 14.11.2015

Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) wurde vom Generalsekretär der Vereinten Nationen zum "Botschafter des Friedens" ernannt. Sie besitzt NGO-Status bei der UNESCO, Paris, der ständigen Kommission der UNO, Genf, und dem Europarat, Strasbourg. Die FIR ist im „EU Transparency Register- unter der Nummer 241644214670-52 gemeldet.

Buchbesprechung: Wolf Wetzel - Der Rechtsstaat im Untergrund

Mit diesem scheinbaren Paradoxon setzt sich Wolf Wetzel auseinander: Seine Analyse führt ihn über die Anfänge der Totalüberwachung unter dem BKA-Chef Herold in den 1970er Jahren -“ den er mit dem prophetischen Satz zitiert: „Aber meine Hoffnung gilt dem Computer als einem gesamtgesellschaftlichen Diagnoseinstrument“ (S.21) -“ über die Erfüllung dieser Hoffnung durch NSA, BND etc. in unseren Tagen.
Wetzel konstatiert: „Die globale Erfassung der „Datenschatten“ ( die in aller Regel mehr verraten, als die realen Personen über sich selbst wissen) erfolgt in einem Schattensystem , das sich einer institutionellen Kontrolle entzogen hat. All das passiert nicht gegen die im Parlament vertretenen Parteien, sondern mit ihrem Einverständnis." (S.44)

Am Beispiel des Oktoberfestattentats von 1980 und dessen Verbindung mit der NATO-weiten „stay-behind“ - Organisation beschreibt er eine „lange, weitgehend ungestörte Kontinuität“ (S. 57) des staatseigenen Untergrunds und die beängstigenden Parallelen zum NSU-VS Komplex: „die Einzeltätertheorie (...), die völlige Entpolitisierung des Anschlags (...), die Vernichtung bzw. Nichtberücksichtigung von Beweisen (...), die bis heute anhaltende Weigerung, Ermittlungen aufzunehmen (...)“ (S.68).

Tatsächlich ist der staatliche Untergrund aber gar nicht so untergründig. Der Autor weist die These vom „eigenmächtigen“ Vorgehen des Inlandgeheimdienstes (BfV) zurück: „Die Belege, dass in jenen Bundesländern, in denen die Terror- und Mordserie des NSU verübt wurde, die jeweiligen Innenministerien das letzte Wort hatten, unabhängig davon, ob sie von der CSU oder SPD geführt wurden, sind zahlreich und fast lückenlos. Der Schlüssel für die fortgesetzte Untätigkeit, der Schlüssel für den Umstand, dass der NSU über zehn Jahre morden konnte, liegt also nicht im Dunklen, sondern in den jeweiligen Innenministerien.“ (S.129)
Und er stellt die Frage: „Aber wo wird eine solche verfassungswidrige Praxis entwickelt und ausgeführt und wie wird sie geschützt?“ (S.132)
Antwort: „Die Bundesregierung ist der politische Garant, im Bundeskanzleramt wird die operative Umsetzung vorgenommen, der Geheimdienst in Gestalt des BND ist das ausführende Organ.“ (S.138)

So richtig diese Schlussfolgerung ist, so unscharf ist die Analyse im Gesamten: Wie sieht diese Verfassung aus, gegen deren Inhalt da zu wieder gehandelt wird, von welchem Rechtsstaat ist die Rede, dessen Regeln außer Kraft gesetzt werden?

Der Staat ist ein Organ der Klassenherrschaft und der Schutz des Privateigentums an den Produktionsmitteln ist der Dreh- und Angelpunkt jeder Verfassung eines bürgerlichen Staats, alle bürgerlich-demokratischen Rechte und Freiheiten haben nur solange und in soweit Gültigkeit, wie deren Inanspruchnahme diesen Staatszweck nicht gefährden.

Davon redet Wolf Wetzel nicht, bei ihm scheint der Staat im wesentlichen um seiner selbst willen zu existieren.

Er nimmt sich dadurch nicht nur die Möglichkeit, die Rolle aufzuarbeiten, die der „staatseigene Untergrund“ bei dem Zusammenspiel der beiden Hauptmethoden bürgerlicher Herrschaft -“ Betrug und Gewalt - hat , sondern auch eine Antwort auf die Kardinalfrage des NSU-VS Komplexes zu finden: Gibt es einen Masterplan hinter diesem Komplex und wenn ja, wie sieht der aus?

Das ist schade, sind Wolf Wetzels Teilanalysen doch sehr stringend und von großer Sachkenntnis geprägt.

Richtig spannend ist, wenn er erzählt, wie er am eigenen Leib erfahren musste, dass der Staatschutz gar keine leibhaftigen V-Männer braucht, sondern sie im Bedarfsfall auch einfach erfindet.

Wolf Wetzel
Der Rechtsstaat im Untergrund: Big Brother, der NSU-Komplex und die notwendige Illoyalität (Neue Kleine Bibliothek)
Papyrossa Verlag
ISBN 978-3-89438-591-0
14,90 €

Oury Jalloh: Internationales Expertenteam bezweifelt Selbstmord

Foto: heba / Umbruch Bildachiv, Berlin
Mehr Fotos von der Pressekonferenz
Elf Jahre nach dem Feuertod Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau gerät die offizielle Selbstmordhypothese der Justiz immer mehr in die Kritik. Auf einer Pressekonferenz der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh am 27. Oktober stellten die Forensiker Iain Peck, Emma Wilson, Alfredo Walker und der Toxikologe Michael Scott-Ham neue Gutachten vor.

Die Experten aus England und Kanada halten eine Beteiligung von Dritten für wahrscheinlich. Es spreche wenig dafür, dass der Brand von Oury Jalloh selbst gelegt wurde.

Die Gutachter halten es für nicht nachvollziehbar, dass ein erst nach Tagen gefundenes Feuerzeug bereits während des Brandes unter dem Opfer in der Zelle gelegen haben soll. Dann hätten Spuren von Gewebe oder Haut daran kleben müssen. Der Toxikologe sagte, das Oury Jalloh wegen seines erheblichen Alkohol- und zusätzlichem Marihuana- und Kokaingenußes rein motorisch kaum in der Lage gewesen sei, mit gefesselter Hand die Hülle der Matratze aufzureißen, ein Feuerzeug zu zücken und den Schaumstoff anzuzünden.

Das Ausmaß des Feuers sei zudem kaum mit einem Schwelbrand der Matratze vereinbar. Vieles deute auf einen Brandbeschleuniger hin. Dass die Ermittler keine Spuren von Brandbeschleuniger fanden, spreche nicht gegen diese Annahme, da diese vollständig vom Feuer vernichtet sein könnten.

Fraglich ist auch, ob Oury Jalloh beim Ausbruch des Feuers überhaupt noch gelebt hat. Die britischen Experten verweisen darauf, dass die offiziellen Gutachten keinen ausreichenden Nachweis hierzu erbracht hätten. Entscheidende Bilder des Atemsystems, wo sich Spuren von Ruß zeigen müssten, liegen demnach nicht vor. Auch das offizielle Gutachten zum Blutbild zeige keine eindeutigen Werte.

Mit einem spendenfinanzierten Brandgutachten hatte die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh bereits im November 2013 nachgewiesen, dass die massiven Verkohlungen des Leichnams sowie die komplette Verbrennung der feuerfesten Matratze nur unter Einsatz von mehreren Litern Brandbeschleunigern erklärbar sind. (siehe Brandgutachten von Thermophysiker Maksim Smirnou).

Seit Jahren fordert die Oury-Jalloh-Initiative, dass der Fall als Mordfall behandelt wird und gründlich und vollständig untersucht wird. Der Staatsanwaltschaft Dessau wirft sie vor, den Sachstand ihrer eigenen Ermittlungen nach außen zu verbergen und Ermittlungsaktivitäten der Initiative zu erschweren, indem sie Informationen zurück hält und auf dringende Anfragen der Nebenklagevertretung erst Monate später, unvollständig und teilweise gar nicht zu reagieren. Wir dokumentieren die Stellungnahme der Initiative, mit der sie die neuen Gutachten einleitete:

Warum hat die Initiative weitere Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben?

"Im November 2013, das war vor 2 Jahren, haben wir an diesem Ort das Brandgutachten des irischen Brandsachverständigen Maksim Smirnou vorgestellt.Smirnou hat anhand zahlreicher Abbrand-Versuche gezeigt, dass ein Brandbild, so wie es in der Zelle 5 am Tatort vorgefunden wurde, nur mit Hilfe eines starken Brandbeschleunigers erreicht werden kann.

Zur damaligen Pressekonferenz war auch der Leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann aus Dessau angereist. Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse erklärte Folker Bittmann im Anschluss an die Präsentation der gutachterlichen Ergebnisse, dass er dringenden Aufklärungsbedarf sehe und man könne sich gewiss sein, dass von seiner Behörde nichts unter den Teppich gekehrt werde.

Trotz schwerer Indizien- und Beweislast, die die Hypothese der Dessauer Staatsanwaltschaft - Oury Jalloh habe die Matratze selbst entzündet - fundamental in Frage stellt, hat die Staatsanwaltschaft Dessau das Gutachten von Maksim Smirnou nicht zum Anlass genommen entsprechende Ermittlungen einzuleiten - zumal es Hinweise auf mögliche Tatverdächtige gibt. Im Gegenteil, sowohl Folker Bittmann als auch der für den Fall zuständige Oberstaatsanwalt Christian Preissner vertreten weiterhin öffentlich die Meinung, es gebe keinerlei Anhaltspunkte für die Beteiligung Dritter.

Eine falsche Schlussfolgerung, die die Staatsanwaltschaft weiterhin auf der Grundlage einer Hypothese gebaut hat, die nicht nachvollziehbar ist und deren einziger Anhaltspunkt - ein Feuerzeugrest - nachweislich gar nicht im Brandschutt gelegen haben kann. Genau wegen dieses Feuerzeuges hatte sie im Dezember 2012 einen Prüfvorgang eingeleitet. (eine Vorstufe des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens). Allerdings bezieht die Staatsanwaltschaft auf deutliche Anfragen bezüglich des Feuerzeug keine klare Stellung und verbirgt offenkundig den Sachstand ihrer eigenen Ermittlungen nach außen. Gleichzeitig erschwert sie die Ermittlungsaktivitäten der Initiative, indem sie Informationen zurück hält und auf dringende Anfragen der Nebenklagevertretung erst Monate später, unvollständig und teilweise gar nicht reagiert. Die Dessauer Staatsanwaltschaft missbraucht offenkundig ihren Ermittlungsauftrag zum Schutze der Täter und sie benutzt die ihr anvertraute Deutungshoheit über das Verfahren, um die Öffentlichkeit mit falschen Analysen und Schlussfolgerungen in die Irre zu führen.

Anders als es von einigen Medienvertretern in den letzten Wochen eingeschätzt wurde, ist die Aufklärung der Todesumstände von Oury Jalloh nicht nur nicht machbar. Sie ist nach wie vor zwingend notwendig. Und genau deswegen sitzt heute dieses internationale Expertenteam hier ..."

Initiative in Gedenken an Oury Jalloh Berlin, den 27. Oktober 2015

Via Umbruch Bildarchiv, Berlin. Dort gibt es auch mehr Fotos von der Pressekonferenz sowie zahlreiche Links und Informationen.
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