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Rote Hilfe ruft zu Protesten auf, um das Leben von Mumia Abu-Jamal zu retten

Mumia Abu-Jamal am 6. April 2015
Foto: Johanna Fernandez
Wir dokumentieren die Erklärung der Roten Hilfe vom heutigen 8. April:

"Die Rote Hilfe e. V. ist in großer Sorge um das Leben des US-amerikanischen politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal. Seit mehr als dreißig Jahren ist der kritische Journalist und ehemalige Black-Panther-Aktivist in Pennsylvania (USA) wegen angeblichen Polizistenmordes inhaftiert und zum Tode verurteilt. Sein grotesker Gerichtsprozess wurde weltweit zum Symbol für die rassistische Klassenjustiz in den USA, für den Umgang der amerikanischen Justiz mit radikalen Oppositionellen, aber auch für den globalen Kampf gegen die Todesstrafe. Unter dem Eindruck der wachsenden weltweiten Bewegung für die Freilassung Mumias wurde sein Urteil im Jahr 2011 endgültig in eine lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt.

Der Gesundheitszustands Abu-Jamals, der mehr als 30 Jahre in strenger Einzelhaft in der Todeszelle verbringen musste, gipfelte nach mangelhafter ärztlicher Versorgung nun in einem lebensbedrohlichen diabetischen Schock, der von den behandelnden Ärzten im Gefängniskrankenhaus angeblich nicht erkannt worden war. Sein lebensbedrohlicher Zustand führte am 30.04. zu seiner Verlegung auf die Intensivstation eines Krankenhauses. Schon nach zwei Tagen wurde der gerade erst wieder zu Bewusstsein Gekommene allerdings in eben das Gefängniskrankenhaus zurück verlegt, das für seinen Zustand verantwortlich ist. Seine Angehörigen, die nach vehementen öffentlichen Protesten zu ihm gelassen wurden, berichten, dass Mumia, der nur mit schwacher Stimme reden konnte, mit Handschellen an sein Krankenbett gefesselt war und einen denkbar geschwächten Eindruck machte.

Wir dürfen nicht zulassen, dass die Todesstrafe, die die politische Justiz an Mumia Abu-Jamal aufgrund öffentlicher Proteste zurücknehmen musste, nun über die Hintertür doch noch vollstreckt wird.

Die Rote Hilfe e.V. ruft dringend dazu auf, sich an den weltweiten Protesten für das Leben Mumias zu beteiligen. Wir fordern insbesondere dazu auf, bei den amerikanischen Botschaften, Regierungsbehörden und Gefängnisbehörden von Pennsylvania die sofortige Freilassung und angemessene medizinische Versorgung des politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal einzufordern.

Für das Leben und die Freiheit von Mumia Abu-Jamal!
Freiheit für alle politischen Gefangenen!



H. Lange für den Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V.

Adressen für direkte Proteste:

Governor Tom Wolf, Tel.: (001)717 787-2500 Fax: 717 772-8284, email: governor@pa.gov
Gefängnisleitung: John Wetzel, Tel.: (001)717 728-4109 email: ra-crpadocsecretary@pa.gov"

Mumia Abu-Jamal: Angehörige und UnterstützerInnen übegeben Forderungen an Gefängnisbehörde

In der vergangenen Woche wurde der politische Gefangene Mumia Abu-Jamal nach einem diabetischen Schock von der Krankenstation des Gefängnisses SCI Mahanoy in Frackville, Nord-Pennsylvania in das Schuylkill Medical Center in Pottsville verlegt. Weder Angehörige noch Verteidigung, wurden von der Verlegung in das öffentliche Krankenhaus informiert. Im Gegenteil, die Verlegung wurde zufällig bekannt, weil ihn am ihn Montagmittag zwei Mitglieder des Verteidigungsteams - Heidi Elizabeth Boghosian und Johanna Fernandez - besuchen wollten, nachdem er am Telefon „sehr schlecht geklungen“ hatte. Da es ihm seit Monaten nicht gut geht, die Ursachen jedoch nicht bekannt waren begaben sie sich sofort in dieses Krankenhaus, wurden jedoch nicht zu ihm oder den behandelnden Ärzten vorgelassen.

Erst nach 24 stündigen Protesten bei der Gefängisleitung, dem Gouverneur, der amerikanischen Botschaft in Berlin, unter anderem durch die deutsche und der internationalen PEN, der Gewerkschaft ver.di, deren Ehrenmitglied Abu-Jamal ist, durften Abu-Jamals Ehefrau Wadiya, seine beiden Brüder und sein Sohn ihn schließlich für jeweils 30 Minuten sehen.

Danach verweigerte die Gefängnisleitung jedoch weitere Besuche für die kommenden 6 Tage. Gestern begaben sich Mumia Abu-Jamals Bruder Keith Cook, Dr. Suzanne Ross, Pam Africa, Ramona Africa und Johanna Fernandez in das Pennsylvania Dept. of Corrections Office, um den dortigen Verantwortlichen eine Liste von Forderungen, die sich ausdrücklich auf alle politischen Gefangenen bezog, zu übergeben. Die Leitung der Gefängnisbehörde ließ sich einmal mehr verleugnen und schickte lediglich eine Pressesprecherin vor. Ihr wurde die Forderungen vorgetragen:

• Tägliches Besuchsrecht für Mumias Angehörige, UnterstützerInnen und Anwälte
• Das Recht, dass sich Mumia selbst seine behandelnden Ärzte aussuchen darf
• Die Freilassung aller Gefangnenen, die älter als 55 Jahre sind
• Eine umfassende Untersuchung der Zustände in der gesundheitlichen Versorgung in den Gefängnissen Pennsylvanias
• Mumia ist unschuldig und hätte nie inhaftiert werden dürfen. Wir fordern seine sofortige Freilassung

Sie unterstrichen, dass sie eine Antwort innerhalb kürzester Zeit erwarten.



Prison Radio startete eine Spendenkampagne mit dem Ziel, in 31 Tagen 20.000 US-Dollar ausschließlich für Mumias medizinische Versorgung aufzubringen, da die medizinische Versorgung im Gefängniskrankenhaus völlig unzureichend ist. Diese Kampagne verfolgt daher das Ziel, kompetente medizinische Hilfe einzuholen, aber auch seiner Familie Besuche zu ermöglichen. Innerhalb von 3 Tagen kamen über 13.000 $ zusammen. Wir bitten um Unterstützung der Kampagne.

Amy Goodman von Democracy NOW! interviewte zu dieser bis zum 2. Mai gehenden Aktion die langjährige Freundin und Unterstützerin, die Professorin für Geschichte am New Yorker Baruch College, Johanna Fernández. Sie geht in dem Video nochmals auf die Erkrankung und deren Symptome bei Mumia Abu-Jamal ein. Sie berichtet, dass Mumia Abu-Jamal habe schon seit drei Monaten an einem "extremen Hautausschlag" gelitten und gesagt habe, seine Haut sehe aus "wie die eines Elefanten".



Wie die Tageszeitung junge Welt am Mittwoch berichtete, fand parallel "zu den geschilderten Ereignissen am Montag der erste Verhandlungstag vor einem US-Bundesgericht über eine Klage statt, die Mumia Abu-Jamal zusammen mit vier weiteren Gefangenen gegen ein Gesetz eingelegt hat, das ihnen die Möglichkeit nehmen soll, sich öffentlich zu äußern. Das Gesetz war im vergangenen Jahr in Pennsylvania verabschiedet worden (jW berichtete) und von Gegnern als "Maulkorb-" oder "Knebelgesetz" kritisiert worden, weil es offensichtlich dazu dienen soll, Insassen von Gefängnissen und Ex-Gefangenen ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung zu nehmen. Auslöser für die von der rechten Polizeigewerkschaft Fraternal Order of Police und Republikanern forcierte Gesetzesinitiative war eine vom Band abgespielte Ansprache Abu-Jamals vor Absolventen des Goddard College in Vermont." Gegen den "Revictimization Relief Act" gibt es für UnterstützerInnen außerhalb der USA lediglich die Möglichkeit, eine Petition zu unterzeichnen.

Zur Person Mumia Abu-Jamal:

Mumia Abu-Jamal wurde am 24. April 1954 unter dem Namen Wesley Cook in Philadelphia geboren. Er wuchs in den „Projects“, städtischen Wohnbausiedlungen für Schwarze, Arme und sozial Benachteiligte auf und wurde bereits früh mit dem Rassismus der US-amerikanischen Gesellschaft konfrontiert. Anfang 1969 gehörte er zu den Mitgründern der Black Panther Party in Philadelphia. Nach seiner Schul- und Collegezeit arbeitete Mumia Abu-Jamal bis zu seiner Verhaftung und Mordanklage im Dezember 1981 als progressiver Radiojournalist und berichtete über Themen wie Wohnungsnot, Polizeibrutalität und den fortgesetzten Krieg der Stadt Philadelphia gegen die radikalökologische Organisation MOVE. Er war seit Mai 1983 in den Todestrakten des Bundesstaates Pennsylvania inhaftiert und kämpft bis heute für die Aufhebung seines Urteils, einen neuen Prozess und seine Freilassung. 2011 wurde die mögliche erneute Verhängung der Todesstrafe abgelehnt, weitere Revisionen ausgeschlossen und damit die lebenslange Haftstrafe bekräftigt. Im Dezember 2011 wurde er deshalb aus der Todeszelle in das Gefängnis von Frackville verlegt. Mumia Abu-Jamal hat seine journalistische Tätigkeit auch im Gefängnis fortgesetzt und ist Verfasser mehrerer Bücher und vieler Hunderter Kolumnen zu historischen und aktuellen Fragen. Er ist verheiratet mit Wadiya Jamal und hat zwei Söhne, eine Tochter und mehrere Enkel.

Mehr Informationen

Mumia Abu-Jamal trotz Lebensgefahr ins Gefängnis zurückverlegt - Isolationspolitik der Gefängnisbehörden dauert an

Mumia Abu-Jamal am 6. April 2015
Foto: Johanna Fernandez
Am Mittwochabend, den 1. April, Ortszeit 19 Uhr abends, wurde der Journalist Mumia Abu-Jamal erneut verlegt -“ diesmal zurück auf die Krankenstation des Gefängnisses SCI Mahanoy in Frackville, Nord-Pennsylvania. Wieder erfuhren sowohl Angehörige als auch Verteidigung erst viele Stunden später davon, nämlich am Mittag des nächsten Tages.

Zwei Tage zuvor war Abu-Jamal nach einer plötzlichen Bewusstlosigkeit in ein öffentliches Krankenhaus in der Nähe des Gefängnisses, das Schuylkill Medical Center in Pottsville, überstellt worden -“ Diagnose: Zuckerschock. Das ist -“ unbehandelt -“ eine lebensgefährliche Erkrankung.

Begrüßenswert daran ist, dass das Gefängnis die ungewöhnliche Maßnahme einer Verlegung ergriffen hatte.

Skandalös an dem gesamten Vorgang ist jedoch zweierlei:

1. Obwohl Abu-Jamal seit Anfang Januar bereits einmal ohnmächtig war und dann wochenlang an schweren Hautausschlägen litt, und obwohl 3 Bluttests gemacht wurden, diagnostizierte das Gefängniskrankenhaus nicht die schwere Diabetes, an der er offenbar erkrankt ist. Dabei ist die Suche danach US-amerikanischen Bluttests Standard.

2. Niemand, weder Angehörige noch Verteidigung, wurden von der Verlegung in das öffentliche Krankenhaus informiert. Sie wurde zufällig bekannt, weil am Montagmittag zwei Mitglieder des Verteidigungs-teams Abu-Jamal besuchen wollten, nachdem er am Telefon „sehr schlecht geklungen“ hatte.

Johanna Fernandez, Mitglied der Verteidigung dazu: „Diese Krise macht deutlich, dass die Gesundheitsversorgung in amerikanischen Gefängnissen eine Menschenrechtsverletzung ist. Wäre er rechtzeitig behandelt worden, wäre diese Lage gar nicht erst eingetreten. Damit steht er leider absolut nicht allein.“

Die von der Gefängnisleitung verordnete Abschottungspolitik hält an. Zwar durften nach über 24stündigen internationalen Telefonprotesten Abu-Jamals Ehefrau Wadiya, seine beiden Brüder und sein Sohn ihn schließlich für jeweils 30 Minuten sehen -“ danach verweigerte die Gefängnisleitung aber weitere Besuche für die kommenden 6 Tage.

Der deutsche und der internationale PEN, deren Ehrenmitglied Abu-Jamal ist, haben erklärt, dass sie sich um den Fall kümmern werden. EU-Parlamentsmitglied Sabine Lösing hat einen Protestbrief an die Gefängnisleitung und Gouverneur Tom Wolf geschickt. Die US-Botschaft in Berlin hat den Vorfall zur Kenntnis genommen.

Familienangehörige und Verteidigung von Abu-Jamal verlangen Zugang zu dem Gefangenen. Die Unterstützer fordern darüber hinaus, dem Drama der lebenslänglichen und Langzeitgefangenschaft endlich ein Ende zu machen und alle Gefangenen über 55 Jahren zu entlassen.

Prison Radio startete eine Spendenkampagne mit dem Ziel, in 31 Tagen 20.000 US-Dollar ausschließlich für Mumias medizinische Versorgung aufzubringen. Diese Kampagne verfolgt das Ziel, kompetente medizinische Hilfe einzuholen, aber auch, seiner Familie Besuche zu ermöglichen.

Die MacherInnen dieses Blogs bitten um Unterstützung dieser bis zum 2. Mai laufenden Kampagne.


Das bundesweite Netzwerk gegen die Todesstrafe steht im ständigen Kontakt mit Abu-Jamals US-Unterstützern und der Verteidigung und steht Ihnen für Nachfragen gerne zur Verfügung:

BUNDESWEITES NETZWERK gegen die TODESSTRAFE
Haus der Demokratie · Greifswalder Straße 4 · Berlin
Annette Schiffmann 0172 -“ 774 03 33 und anna.schiff@t-online.de



Quellen: Pressemitteilung 3. April 2015 / Spendenaufruf vom 2. April

Wer hat uns verraten? Das Tarifeinheitsgesetz soll schon im Mai kommen

Vorgeschichte

Bis in das Jahr 2010 hat das Bundesarbeitsgericht die Rechtsmeinung vertreten das es in einem Betrieb auch nur einen Tarifvertrag geben dürfe. Es Argumentierte bis zu diesem Zeitpunkt ganz ähnlich wie Heute die SPD, die Spitzen der IGM und natürlich diverse Lobbygruppen der Wirtschaft. So bestünde angeblich die Gefahr eines Tarifchaos, Lahmlegung von Betrieben durch Streiks, eine Gefährdung des Betriebsfriedens oder gar eines “Gewerkschaftshopping- und eines Hochschaukelns der gewerkschaftlichen Forderungen. Die Position des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) ging bis 2010 einher mit einem faktischen Streikverbot für kleinere Gewerkschaften.

Im Juni 2010 gab das BAG dann mit Hinweis auf Art. 9 Abs. 3 GG ausdrücklich diese Position auf.1 Faktisch gab es zu jahrelang Urteile gefällt zu haben, die gegen die Verfassung verstießen. Offiziell begründete es seine neue Haltung damit, das weder ein Tarif- oder Streikchaos zu erwarten ist noch das dies einen solch schwerwiegenden Eingriff in Art. 9 Abs. 3 GG rechtfertigen könnte.

Im direkten Anschluss an diese Kursänderung des BAG haben der damalige DGB-Chef Sommer und der Arbeitgeberpräsident Hundt in einer gemeinsamen Pressemitteilung die gesetzliche Wiederherstellung der Tarifeinheit gefordert. Begleitend dazu gründeten sie die „Initiative zur Wiederherstellung der Tarifeinheit“, die Parteiübergreifend Unterstützung fand (damals besonders aus den Reihen der SPD und der Linkspartei).

Seit dem arbeiten die verschiedenen Regierungen und zahlreiche Lobbyorganisationen und leider auch der DGB bzw. seine Einzelgewerkschaften mehr oder weniger Intensiv daran diesen feuchten Traum von Sommer und Hundt durch zu setzen. Kurz darauf gründeten sich auch mindestens zwei Bündnisse im Kampf gegen diese Initiative. Einerseits die von der FAU-IAA gegründete Kampagne „Finger weg vom Streikrecht“, anderseits das von der Gewerkschaftslinken angestossen Bündnis „Hände weg vom Streikrecht“. Seit dem gab es mehrere gemeinsame bundesweite Koordinierungstreffen und den stetigen Versuch Widerstand zu organisieren und Öffentlichkeit her zu stellen.

Dabei ist die Entscheidung des BAG aus mehrfacher Hinsicht zu begrüßen. M. Schmidt formuliert es so: “Die Tarifeinheit zementierte ihre (der „großen“ Gewerkschaften) Monopolstellung, da mangels Tarifgeltung und Streikrecht kleinere Gewerkschaften de facto keine Möglichkeit hatten zu wachsen. Wer wird schon Mitglied einer Gewerkschaft, die ohnehin nichts durchsetzen kann? [...] Ein Tarifchaos oder eine Zersplitterung der Tariflandschaft nicht eingetreten. Lokführer- oder Pilotenstreiks führen immer zu einem volkswirtschaftlichen Schaden, unabhängig davon, ob sie von einer Mehrheits- oder Minderheitsgewerkschaft ausgeführt werden. Und [...] ein häufig übersehenes Argument: Arbeitsrechtler beklagen den schwindenden Organisationsgrad in den Gewerkschaften. Arbeitnehmer sind immer seltener bereit, sich in Gewerkschaften zu organisieren und ihre Rechte durchzusetzen. Die Tarifeinheit verstärkte diesen Trend noch, da es für die meisten Minderheitsberufsgruppen in einem Betrieb sinnlos war, sich zu organisieren, da ihr Einfluss ohnehin verschwindend gering war und sie sich nicht selten durch die goßen Gewerkschaften nicht hinreichend vertreten fühlten.“2

Der Gesetzentwurf

Das geplante „Tarifeinheitsgesetz“ sieht vor, das die in einem Betrieb vertretenen Gewerkschaften gemeinsam in Tarifverhandlungen gehen sollen. Werden sich die Gewerkschaften nicht einig, dann soll nur noch der Tarifvertrag der im Betrieb Mitgliederstärksten Gewerkschaft gelten. Die Minderheitsgewerkschaft darf keine eigenen Tarifverträge abschließen, geschweige denn zu Arbeitskampfmaßnahmen (Streiks) aufrufen oder diese durchführen.

Der Gesetzesentwurf hat viele Schwächen, die zukünftig zu zahlreichen Konflikten und juristischen Auseinandersetzungen führen werden. So besteht die Deutsche Bundesbahn zum Beispiel aus über 1000 Betrieben. Bei jedem einzelnen müsste im Zweifel festgestellt werden, welche Gewerkschaft denn nun die Mitgliederstärkste ist. Ganz zu schweigen davon das es noch keinerlei Regelung gibt wie die Mitgliederstärke festgestellt werden soll oder ob es sinnvoll ist wenn die Chefs nicht nur wissen welche Gewerkschaften im Betrieb sind, sondern auch wie viele Mitglieder sie haben.

Das alles und noch einige Punkte mehr sind aber nur Nebenschauplätze. Viel bedeutender ist der offen Bruch der Verfassung, die dieser Angriff auf das Streikrecht der Arbeiter*innen bedeutet. Bezeichnender Weise scheint es außer in der Regierung niemanden zu geben der an der Verfassungswidrigkeit zweifelt. Wenn schon kein Widerstand, so kommen doch Kritik oder zumindest Zweifel am „Tarifeinheitsgesetz“ auch aus ganz unerwarteten Richtungen.

So kritisieren zum Beispiel die Wirtschaftsweisen die Pläne zur Tarifeinheit und Fragen ganz offen nach dem Sinn und der Rechtfertigung für diesen harten Eingriff in die Tarifautonomie.3 Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln gibt zu das es „ in Einzelfällen es zu einer Einschränkung des Streikrechts kommen“ kann.4 Und selbst ...

Aktuell

... der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt in seinem Rechtsgutachten dazu, das das Tarifeinheitsgesetz gegen das Grundgesetz verstößt.5 Ganz zu schweigen natürlich von einer ganzen Reihe von juristischen Gutachten die von den Spartengewerkschaften und auch einigen Parteien in Auftrag gegeben wurden. Das alles kümmert ganz offensichtlich weder Andrea Nahles, noch ihre Parteigenoss*innen oder das Kabinett auch nur die Spur.

Am 05.03.2015 ging das Gesetz dann auch in erster Lesung in den Bundestag. Falls nicht genug öffentlicher Druck auf die Parteien (hier besonders SPD und CDU) aufgebaut werden kann, wird das Gesetz kommen. Schon vor Monaten haben mehrere Spartengewerkschaften angekündigt dann bis zum Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz zu klagen. Das wird leider ein langfristiges Projekt werden. In der Zwischenzeit könnte es dazu kommen, das die kleinen Gewerkschaften eingehen und/oder sich zahlreiche kostspielige juristische Auseinandersetzungen darum liefern müssen, wer denn jetzt in welchem Betrieb die größte Gewerkschaft ist.

Ausblick

Am 21./22. Mai soll das Gesetz in zweiter bzw. dritter Lesung im Bundestag beraten und verabschiedet werden. Ob es soweit kommen wird liegt natürlich auch an uns. Das Bündnis „Hände weg vom Streikrecht“ ruft für den 18. April zu einer bundesweiten Demo in Frankfurt am Main auf.6 Aber, selbst wenn das Gesetz zur Tarifeinheit jetzt nicht kommen würde, wäre es fatal an zu nehmen man hätte diesen Angriff vorläufig abgewehrt. Schon längst liegen Pläne bereit auf andere Art und Weise in das Streikrecht ein zu greifen. Denkbar und in einschlägigen Kreisen viel diskutiert sind zum Beispiel eine „obligatorische Schlichtungslösung“, „Absprachepflichten zwischen den Gewerkschaften“ oder Eingriffe in Streiks die die sogenannte „Daseinsvorsorge“ (also Bahn, ÖPNV, Flugverkehr“) betreffen. Außerdem können und dürfen wir auch nicht die globale Dimension dieses Angriffes ignorieren. So rief die Internationale Transportarbeiter Föderation schon am 18. Februar 2015 zu einem globalen Aktionstag zur Rettung des Streikrechts auf.7 Dies war notwendig geworden, weil die in der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) Vertretenen Arbeitgeberorganisationen anfingen ganz offensiv das Streikrecht als solches in Frage zu stellen.

Rudolf Mühland (FAUD)

1 (BAG v. 23.6.2010 -“ 10 AS 3/10; BAG v. 27.1.2010 -“ 4 AZR 549/08, NZA 10, 645)
2 Maximilian Schmidt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsrecht (Lehrstuhl Professor Thüsing) in Bonn und Promotion zum Individualarbeitsrecht. http://www.juraexamen.info/tarifeinheit-was-hat-es-eigentlich-damit-auf-sich/ | Stand 16.03.2015

Quelle: Gaidao April 2015, via syndikalismus

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