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Stuttgarter Polizei missachtet systematisch Bürgerrechte - und OB Kuhn guckt zu

Nach unverhältnismäßigen Polizeieinsätzen 2012 und 2013 gegen antifaschistische Demonstrationen in Stuttgart, führten verschiedene Bürger und Vereinigungen Beschwerde bei den grünen Regenten: Einige wandten sich gleich an Ministerpräsident Kretschmann, andere an Oberbürgermeister Kuhn.

Gelandet sind sie allesamt bei Harald Weber, leitender Polizeidirektor. Die grünen Regenten lassen antworten.

Dessen Antworten bedürfen näherer Betrachtung:

Der Verein Artikel 5 e.V. führte Beschwerde gegen die Einkesselung nicht nur von Demonstranten, sondern auch von unbeteiligten Bürgern am 30.7.2012 anlässlich einer NPD-Kundgebung, deren Fesslung mit Kabelbindern und stundenlangem Festhalten auf der Wasenwache mit Verhör und erkennungsdienstlicher Behandlung.

Die Antwort ließ auf sich warten. Anderthalb Jahre später antwortete Herr Weber, beginnend mit der frohen Botschaft, dass das Verfahren gegen den Einsatzleiter der Polizei wegen Freiheitsberaubung und anderer Straftaten eingestellt worden sei.

Er könne nun zu den Ausführungen bezüglich der Demonstranten, „die sich der „Braunen Agitation“ entgegenstellten“ Mitteilung machen.

Erstaunlich, was doch zwei kleine Anführungszeichen über das Denken des Schreibers verraten können.

Schließlich wird gegen die NPD ein Verbotsverfahren angestrengt wegen ihrer braunen Agitation -“ ganz ohne Anführungszeichen.

Mit Kabelbinder wurden die Leute während des Transports gefesselt, „um Übergriffe auf die Polizei zu verhindern.“ Wer schon einmal das zweifelhafte Vergnügen hatte, in einem der polizeilichen Gefangenentransporter chauffiert zu werden, weiß, dass Herrn Webers Ausführungen hanebüchener Unsinn sind oder genauer gesagt, seine Verachtung für die Beschwerde führenden zum Ausdruck bringt.

Die stundenlange Ingewahrsamnahme wird mit dem „massiven Aufgebot an Gegendemonstranten“, infolge davon „personellen Engpässen“, „organisatorischen Gründen“ und „räumlichen Gegebenheiten“ erklärt.

Am 30.7.2012 waren 600 Beamte im Einsatz, ca. 50 Antifaschisten wurden eingekesselt und in Gewahrsam genommen. Auf jeden Festgenommenen kamen also rein rechnerisch zwölf Beamte.Soviel zum Thema personelle Engpässe.

Ein anderer Beschwerdeführer wandte sich an OB Kuhn wegen des Polizeieinsatzes gegen antifaschistische Demonstranten anlässlich einer Kundgebung von „Pro Deutschland“ am 6.9.2013 auf dem Erwin-Schöttle-Platz.

Der Beschwerdeführer hatte u.a. die Frage an die städtischen Behörden gestellt, wieso sie „Pro Deutschland“ einen Platz in unmittelbarer Nähe des zur gleichen Zeit stattfindenden Afrikafestivals des Vereins Baye-Fall e.V. im Alten Feuerwehrhaus zugewiesen hatten. Beide Versammlungsorte sind nur durch eine Straße getrennt.

Und er bekam Antwort. Nicht nur von Herrn Weber, sondern auch von Herrn Petri vom Amt für öffentliche Ordnung : „Nicht möglich ist es in der Regel dagegen, eine Versammlung mit der Begründung zu verlegen, dass in der Nachbarschaft bereits eine Veranstaltung stattfindet.“

Dass es sich bei „Pro Deutschland“ um ausgewiesene Rassisten handelt und ein Afrikafestival naturgemäß auch von vielen schwarzen Menschen besucht wird, ist Herrn Petri natürlich nicht entgangen. Dumm stellen ist auch eine Methode, die eigentliche Motivlage zu verschleiern.

Auf Grund der weiträumigen polizeilichen Absperrung war auch der Zugang zum Afrikafestival im Alten Feuerwehrhaus nicht mehr möglich. Auch das kritisierte der Beschwerdeführer. Herrn Webers dummdreiste Antwort: „Darüber hinaus hatten andere Personen, explizit sei eine Trommlergruppe genannt, gar kein Interesse mehr zu der Veranstaltung zu gehen, sondern lehnten das Angebot, sie dorthin zu bringen, ab.“

Warum wohl hatte die Trommlergruppe kein Interesse mehr an der Veranstaltung, für die sie ja wohl eigens angereist war? Kann es unter Umständen sein, dass sie, auch bedingt durch die Erfahrungen schwarzer Menschen mit latentem und offenem Rassismus in den Reihen der Polizei, es angesichts des massiven Polizeiaufgebots schlicht mit der Angst zu tun bekam?

Wer jetzt meint zynischer geht es nicht mehr bei Polizeidirektor Weber, der irrt. Der Beschwerdeführer beschreibt folgende Erfahrung: „Auf die Frage, warum der Platz abgesperrt sei und warum man nicht von A nach B gehen dürfe, bekam ich an vier Stellen der Absperrung von vier verschiedenen Beamten die annähernd gleichlautende Antwort, man könne äußerlich nicht erkennen, ob das ein Bürger oder ein Linker sei und deshalb würden sie keinen durchlassen.“

Weiter heißt es: „Spätestens hier müssen die Alarmglocken schrillen!“ Er weist darauf hin, dass offensichtlich „in Teilen der Polizei ein absurder Gegensatz zwischen Bürgern und „Linken“ kolportiert“ und bei der kasernierten Bereitschaftspolizei „mit Feindbildern aus längst vergangen geglaubten Zeiten“ operiert werde.

Der Polizeidirektor antwortet militärisch knapp: „Zu Äußerungen, die durch einzelne Beamte gemacht wurden, kann ich keine Aussage treffen. Da mir die Namen nicht bekannt sind, ist die Anforderung einer Stellungnahme nicht möglich.“ Abgesehen davon, dass hier aus berufenem Munde die Notwendigkeit der Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten deutlich gemacht wird, geht der Polizeidirektor einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Äußerungen seiner Beamten aus dem Weg -“ schlimmer -“ dieses Ignorieren lässt eher vermuten, dass er sie teilt.

Dass ein leitender Polizeidirektor derart mit den Beschwerden besorgter Bürger umgeht, ist ein unsäglicher Zustand.

Dass aber den grünen Regenten das Treiben der Einsatzhundertschaft, die immer wieder zu beobachtenden Polizeiübergriffe bei Personenkontrollen, Einschränkungen der Versammlungsfreiheit bis zum Demonstrationsverbot für die Montagsdemo am Bahnhof schlicht egal sind -“ das ist der eigentliche Skandal. Und dazu passt dann auch, dass sie, die sich einer „Kultur des Gehörtwerdens“ verschrieben haben, jemanden wie Polizeidirektor Weber an ihrer Stelle antworten lassen und diesen reaktionären, die Bürger zutiefst verachtenden Zynismus durch ihr eigenes Schweigen auch noch absegnen .

Vor diesem Hintergrund muss leider auch die Frage erlaubt sein, warum die grüne Partei nichts dabei findet, dass in der Ukraine mit einer Regierung zusammen gearbeitet wird, in der drei Minister, der Generalstaatsanwalt und ein Vizepremier ausgewiesene Faschisten der Swoboda-Partei sind, der ukrainischen Schwesterpartei der NPD.

Deutschland ist mal wieder vorne mit dabei...

Am 1. Mai fanden weltweit Demonstrationen von Gewerkschaften statt. In vielen Ländern ohne Probleme, in noch mehr Ländern jedoch im Angesicht von Polizeigewalt und staatlicher Repression. Eine Übersicht.

Grafik: gappasquad

Grundrecht auf Ruhe?

Aus einem aktuellen Versammlungsbescheid:

"Ihr Interesse an der uneingeschränkten Durchführung der Versammlung muss hinter dem Interesse des Schutzes der Anlieger vor unzumutbaren Lärmbelästigungen zurückstehen. In Ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit sind Sie nicht unzumutbar beeinträchtigt, da lediglich vorgegeben wurde, die Beschallung so einzurichten, dass der unmittelbare Versammlungsbereich beschallt wird und Sie Ihre Versammlungsteilnehmer uneingeschränkt erreichen können."


Vielleicht sollten Kundgebungen, mit denen man Menschen erreichen will, zukünftig als Public Viewing anmelden: WM 2014 in Brasilien: Regierung will nächtliches Public Viewing erlauben (Der Spiegel)

Istanbul: Erdogan lässt Maidemos mit 40.000 Polizisten angreifen

Trotz des von der Erdogan Regierung erlassenen Demonstrationsverbotes für den zentralen Taksim Platz in Istanbul versuchten gestern zehntausende, dort hin zu kommen um die 1. Mai Kundgebung durchzuführen. Die Erdogan Administration setzte mindestens 40.000 Polizisten, zahlreiche Wassenwerfer, Räumpanzer und Hubschrauber ein, um diese und auch andere dezentrale Kundgebungen zu verhindern. Gewerkschafter - in bürgerkriegsähnlichen Zuständen von der Polizei angegriffen mit CS Gas und Gummigeschossen - offensichtlich spitzt die Regierung die Widersprüche deutlich zu. Als Begründung müssen dafür einmal mehr angebliche "illegale Terrorgruppen" herhalten. In der Nacht zum ersten Mai wurden dem Fernsehzuschauer im Anschluss an die Maiansprache Recep Tayyip Erdogans, bei der er das Verbot nochmals betonte, prompt Bilder einer Hausdurchsuchung präsentiert, bei der es angeblich zu Waffenfunden gekommen sein soll.

1. Mai 2014 in Istanbul CS Gaswolken wabern durch Okmeydanı

33 Organsiationen, darunter die großen Gewerkschaften DISK und KESK wollten sich vor allem auch das traditionelle Gedenken an die 37 Todesopfer von 1977 nicht nehmen lassen. Sie wurden in Folge eines Angriffs faschistischer Konterguerilla auf die Demonstration getötet.

Ein Angebot der Regierung, die Kundgebung an einem anderen Ort - an dem auch alle zuküftigen Demos stattfinden sollten - wurde von den Gewerkschaften abgelehnt. Allerdings ließ sich die TÜRK-Ä°Åž dann doch auf einen Kundgebungsort auf der asiatischen Seite Istanbuls in Kadiköy ein. Dort feierten deren Mitglieder gemeinsam mit nationalistischen Organisationen den 1. Mai.

Um die zentrale Demonstration zu verhindern, setzte die Regierung ebenso den öffentlichen Nahverkehr wie Busse, Straßenbahn, Metro und Fähren außer Betrieb. Auch per Taxi gab es vielerorts kein Durchkommen durch zahlreiche Staus oder Fahrverbote in Teilen der Stadt. Im Istanbuler Stadtteil Okmeydanı kam es den ganzen Tag über immer wieder zum Aufeinandertreffen zwischen der Polizei und DemonstrantInnen. Diese hatten nicht erst in Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um den Angriff und letztlichen Tod des Jugendlichen Berkin Elvan Erfahrungen mit der Polizei, aber auch der Regierung gesammelt: Erdogan hatte den 14jährigen nach dessen Tod kaltschnäuzig als „Terroristen“ bezeichnet. Hier und auch in anderen Stadtteilen setzte die Polizei alles daran, jede Menschenansammlung gewaltsam zu zerschlagen. Bis gestern gegeen 15:00 wurden 138 Festnahmen sowie 52 Verletzte alleine in Istanbul gemeldet.

1. Mai 2014 in Istanbul Blockade der Stadtautobahn in Okmeydanı

Erst seit dem Jahr 2009 finden auf dem Taksim Platz wieder zugelassene Maikundgebungen fortschrittlicher Gewerkschaften und zahlloser linker Gruppen statt; ebenso bildeten Künstlergruppen, Fußballvereine und andere fortschrittliche Engagierte im kulturellen Bereich Blöcke mit Fahnen, gemeinsamer Kleidung, Gesang, Sprüchen und mehr. 2013 kam es erneut zu gewaltsamen Übergriffen auf die 1. Mai Demonstration mit hunderten Verletzer. Am 28. Mai 2013 begann dann die Protestwelle in Zusammenhang mit der geplanten Zerstörung des an den Taksim angrenzenden Gezi Park zugunsten eines Einkaufszentrums.

Die Ereignisse um den 1. Mai unterstreichen vor dem Hintergrund der sozialen Lage der Menschen in der Türkei erneut dessen Rolle als Kampftag:

Die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, ist eines der größten Probleme des Landes. Mehr als eine halbe Million Arbeitssuchende finden jedes Jahr keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz, in Zahlen: 35% der türkischen Jugendlichen haben keinen Job. Die vor allem in den Metropolen vorhandenen Klein- und Kleinstgewerbetreibenden und der Anstieg der "Schwarzarbeit" sind das Ergebnis dieser Entwicklung. Hinzu kommt, dass aus den sogenannten "strukturschwachen" ländlichen Gegenden die Menschen auf der Suche nach Arbeit und besseren Lebensbedingungen in die Städte und industriellen Zentren ziehen, was die Lage dort weiter verschärft.

1. Mai 2014 in Istanbul Bettelnde Straßenkinder - tägliches Bild

Die durchschnittliche Arbeitslosenquote lag Ende 2013 bei 10,0%. Die meisten der in Industrie, Landwirtschaft und Handwerk erwerbstätigen Arbeiter erhalten den offiziellen "Mindestlohn", der umgerechnet ca. 350 €uro beträgt. Das bedeutet, dass zusammen mit den Arbeitslosen insbesondere die ärmeren Bevölkerungsschichten am Rande des Existenzminimums leben. Das steht im krassen Gegensatz zur Wirtschaftsentwicklung, an deren positiver Entwicklung die Erdogan Regierung das größte Interesse hat und für das alles andere untergepflügt wird.

Als Antwort auf die tiefgehende Spaltung der türkischen Gesellschaft gedeutet erschließt sich denn auch die Antwort auf die Frage, warum Erdogans AKP Regierung derart unnachgiebig an dem Verbot des 1. Mai auf dem Taksim festhielt. Dass dies letztlich die ArbeiterInnen davon abhält, für ihre Interessen auf die Straße zu gehen, ist indes mehr als fraglich.

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