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Buchbesprechung: Der NSU-VS-KOMPLEX von Wolf Wetzel

„Was macht man also mit der Flut der Informationen, die es im Fall der neonazistischen Mordserie des NSU gibt? Sie sind widersprüchlich, sie passen nicht zusammen, sie verwirren, sie machen ratlos. Will man der Nachricht Glauben schenken, die eine Zeitung veröffentlicht hat, oder dem Dementi, das von staatlichen Stellen oder von (anderen) Medien verbreitet wird.
Im Folgenden geht es darum, nicht den Kopf zu verlieren, sondern die Dementis und die zugrundeliegenden Nachrichten abzugleichen, aneinanderzulegen. Manchmal verraten auch Dementis mehr, als sie wollen, grenzen den erhobenen Verdacht eher ein, als dass sie ihn ausräumen.“ (S. 87)

Wolf Wetzels Buch leistet genau das: es hilft dem Leser angesichts der (Des)informations- Flut, mit der er systematisch in die Irre geführt wird, nicht den Kopf zu verlieren.

So listet er eine Auswahl der bekannt gewordenen Schredderaktionen der diversen Behörden auf. Allein dadurch wird die Dimension und systematische Beweisvernichtung deutlich. Der laufende NSU-Prozess ist u.a. eine Absurdität, denn: „Das Gericht wird also mithilfe der vernichteten Beweise nur das verfolgen, was mit den übrig gebliebenen Beweisen aufgeklärt werden kann/soll. Das heißt im Klartext: Grundlage dieses Prozesses ist eine manipulierte Beweislage.“ (S 9)

Wolf Wetzel räumt auf: mit der „Mär vom Behördenwirrwarr“, der „Legende von den spurlos Verschwundenen“, er deckt auf „die Verschwörung der Zufälle“.

Allein dieses Vorgehen unterscheidet sein Buch schon wohltuend von anderen Veröffentlichungen zu diesem Thema.

Wirklich konstruktiv ist seine Kritik an der Haltung der radikalen Linken zum NSU-VS-Komplex. Er kritisiert die „Haben-wir-ja-schon-immer-gewusst“ Haltung, die in der politischen Praxis zu Passivität führt und dazu, allen möglichen „Aufklärern“ das Feld zu überlassen, was in einem merkwürdigen Kontrast zu der Kompetenz vieler antifaschistischer Netzwerke bei der Aufdeckung neonazistischer Umtriebe und Verbindungen steht.

Auch die landauf landab aufgestellte Forderung nach „Auflösung des Verfassungsschutzes bzw. der Geheimdienste“ nimmt er kritisch unter die Lupe und entwickelt positiv, wie eine politische Praxis zur Durchsetzung dieser Forderung aussehen könnte: „Wer die Abschaffung der Geheimdienste richtig findet, der kann und darf klein anfangen, die Waffe stumpf machen, die zu jedem Geheimdienst gehört: V-Leute, auch gemeinhin Spitzel genannt.“ (S. 127) „Die Einrichtung einer bundesweiten Datei über aufgeflogene V-Leute wäre ein nächster, notwendiger Schritt: man könnte sie BDFS (bundesweite Datei für Spitzel) nennen.“ (S. 128) und „Die Offenlegung aller Akten der Geheimdienste aus den Jahren 1950 bis 1980. Dann könnte z.B. öffentlich überprüft werden, ob der Bombenanschlag auf das Oktoberfest in München 1980 ein irrer Anschlag eines Einzeltäters war oder die Geheimdienste einen erheblichen Tatbeitrag lieferten, damit dieses Massaker passieren konnte, und Spuren, die der Einzeltätertheorie widersprachen, beseitigt worden sind.“ (S. 129) zusätzlich „Die Forderung nach einer Gauck-Behörde-II, zu der alle BürgerInnen Zugang hätten, würde das Feld, auf dem sich Mutmaßungen und Verschwörungstheorien gleichermaßen bewegen müssen, auf demokratische und überprüfbare Weise so klein machen, dass wir am Ende wüssten, ob das, was zum Staatsgeheimnis erhoben wird, den >Interessen der Bundesrepublik< dient oder dem Schutz von Staatsverbrechen.“ (S. 129)

Allerdings gerät Wolf Wetzel bei der Beantwortung der Frage „Wie viel Staat steckt im Nationalsozialistischen Untergrund?“ etwas ins Stolpern. „Auch die historisch belegte Rolle von (bewaffneten) Faschisten als >Systemreserve< halte ich für die heutigen Verhältnisse für falsch.“ (S. 162)

Zeigt aber nicht gerade die Entwicklung in der Ukraine wie eine solche faschistische „Systemreserve“ erst hochgepäppelt und zum gegeben Augenblick dann tatsächlich als „Kettenhund des Kapitals“ losgelassen wird und mit welcher rasanten Geschwindigkeit das geschieht? Warum der Autor zur Untermauerung seiner These sich dann auch noch zur Verharmlosung des Faschismus versteigt, wenn er schreibt „Und welche Verfolgungsmaßnahmen könnte ein faschistisches Regime bereitstellen, die nicht bereits heute >legal< darauf warten, massenhafte Protest -“ in der Zukunft -“ niederzuschlagen?“ (S. 163) ist nur erklärbar dadurch, dass trotz eigener gegenteiliger Analyse (siehe S. 146/147) nicht klar zu sein scheint, dass der „Machtantritt des Faschismus keine einfache Ersetzung der einen bürgerlichen Regierung durch eine andere, sondern eine Ablösung der einen Staatsform der Klassenherrschaft der Bourgeoisie -“ der bürgerlichen Demokratie - durch eine andere Form -“ durch die offene terroristische Diktatur (ist).“ (Georgi Dimitroff, Die Offensive des Faschismus... Ausgewählte Schriften 1933-1945,S. 98)

Fazit: Wolf Wetzels Buch ist absolut lesenswert -“ und auch Dimitroffs Aufsatz verdient nochmal gelesen zu werden.

Wolf Wetzel
Der NSU-VS-KOMPLEXWo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund - wo hört der Staat auf?

2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Oktober 2013
UNRAST-Verlag, Münster

Blockupy 2013. Der Frankfurter Polizeikessel am 1.Juni 2013

Bericht der Demonstrationsbeobachtung vom 30.Mai bis 1.Juni 2013

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts des Komitees für Grundrechte und Demokratie hätte nicht besser gewählt werden können:
Fast zeitgleich erklärte das Frankfurter Verwaltungsgericht, die Einkesselung der Blockupy-Demonstranten sei „wohl gerechtfertigt“ gewesen. Das ist noch kein echtes Urteil, sondern nur das Ergebnis einer vorläufigen Prüfung zur Erfolgsaussicht der Klage. Aber man sieht, wohin die Reise geht.

Zur Erinnerung: Am 1.Juni 2013 unterdrückte die Polizei eine Demonstration der Blockupy-Bewegung in Frankfurt, indem sie nach einem vorgefassten Plan ca. 1000 Teilnehmer der Demo einkesselte und so die Demonstration sprengte: „Anweisung von oben: Eskalieren!“ (Originalton Polizei).
Die Demoroute entlang der Europäischen Zentralbank war vorher gegen die Versammlungsbehörde vor Gericht erstritten worden. Durch das Eingreifen der Polizei „muss der Eindruck einer Recht brechenden und Selbstjustiz schaffenden Exekutive entstehen.“ (S.11)

Auf der Grundlage der Berichte des Demobeobachter-Teams des Komitees für Grundrechte und Demokratie befasst sich die Broschüre detailliert mit Vorgeschichte, Demo-Ablauf, den zentralen Merkmalen des Vorgehens der Ordnungskräfte und der Resonanz in den Medien.

Neben diesen aufschlussreichen Schilderungen des konkreten Ereignisses sind die Ausführungen der Autoren zu grundsätzlichen Aspekten der Versammlungsfreiheit für alle interessant, denen die Versammlungsfreiheit am Herzen liegt.

So wird der Gesetzesvorbehalt beim § 8 Versammlungsfreiheit kritisiert:
„Nach dem ersten Absatz von § 1 Versammlungsgesetz wuseln nur noch Verbote und noch einmal Verbote. Als eine Art Versammlungsverbotsgesetz ist das Versammlungsrecht durchgehend nicht grundrechtskonform.“ (S.79).

„Darum müsste das Versammlungsgesetz in seiner 1953er Grundform längst dem Brokdorf-Beschluss konform demokratisch angehoben werden.“ (S.86)
Die Autoren verhehlen aber auch nicht die Schwierigkeiten bei dem Versuch, ein fortschrittliches Versammlungsgesetz zu entwerfen: „Dabei wird allerdings meist deutlich, wie breit die Fallstricke ausgelegt sind und wie schwierig es ist, eine grundlegend andere Herangehensweise zu finden.“ (S.69)

„Würde ein Artikel 8 - „Jede Person hat das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen mit anderen zu versammeln und Versammlungen zu veranstalten“ - diese Recht nicht vielleicht besser schützen können als jedes Versammlungsgesetz, das nur wieder neue Grenzen zu ziehen versucht?“ (S.69/70)

Trotzdem werden einige Kernelemente eines fortschrittlichen Versammlungsgesetzes formuliert:„- Demonstrierende entscheiden selbst über den Ort ihrer Versammlung und die Ausdrucksformen. Vom Grundrecht generell oder aktuell ausgenommene Plätze kann es nicht geben. - In Versammlungen hat „der Staat“, repräsentiert durch die Polizei, nichts zu suchen -“ weder uniformiert, noch undercover und auch nicht mit Videogeräten.(...) - Die Demonstrierenden entscheiden selbst über Länge und Größe von Transparenten und auch über das Tempo ihrer Bewegung. - Die Bewegungsfreiheit wie auch die Meinungsfreiheit sind zu achten, wozu auch die Möglichkeit gehört, gesehen und gehört zu werden. Dies verbietet jede einschließende Begleitung, wie die wandernden Kessel genannt werden.“ (S.70).

Dem Fazit der Autoren ist nichts hinzu zu fügen: „Versammlungen können ein Stachel sein im herrschaftlich definierten und kontrollierten Alltag, sie können aufstacheln und politische Veränderungen einleiten. Dafür gilt es weiterhin zu streiten -“ auf der Straße und vor Gericht. Auf dass endlich den rechtswidrigen Eingriffen der Polizei Einhalt geboten werde!“ (S. 123)

Die Broschüre kann für sieben Euro bezogen werden unter der Adresse:
Komitee für Grundrechte und Demokratie
Aquinostr. 7-11 50670 Köln
Telefon 0221 972 69 30 Fax 0221 972 69 31
info@grundrechtekomitee.de
www.grundrechtekomitee.de

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