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Im Zweifel gegen die Versammlungsfreiheit? Vom Polizeikessel in den Polizeicomputer

Buchcover

ISBN 978 -3-944137-35-3
Preis: 14,80 Euro
Erschienen im Peter Grohmann Verlag
Von Wolfram Treiber

Vor etlichen Jahren fragte der Referent auf einer Veranstaltung zum Versammlungsrecht als Einstieg das Publikum, was denn das Versammlungsrecht sei. Kennzeichnenderweise kamen daraufhin lauter Beiträge, die die Einschränkung des Versammlungsrechts beschrieben, und das bei einem Publikum, das wohl in seiner großen Mehrheit mit Sicherheit für die Versammlungsfreiheit eingestellt war. Offensichtlich haben deren Einschränkungen in der Praxis bis heute dazu geführt, dass in der öffentlichen Wahrnehmung nicht ihre Gewährleistung, sondern ihre vielfältige Einschränkung und Reglementierung als „normal“ begriffen werden . Insofern erscheint es sinnvoll, zunächst einmal das Bundesverfassungsgericht als „unverdächtige Quelle“ zu Wort kommen zu lassen und auf dieser Grundlage an einzelnen Beispielen aktuelle Einschränkungen der Versammlungsfreiheit zu kommentieren.

Unabhängig davon darf nicht übersehen werden, dass bereits die grundgesetzlich garantierte Versammlungsfreiheit nur für Deutsche gilt und bereits durch das Versammlungsgesetz erheblich eingeschränkt wurde. Darüber hinaus hat die Föderalismusreform inzwischen allen Bundesländern die Möglichkeit eröffnet, eigene Landesversammlungsgesetze zu erlassen, sodass die Ausübung eines elementaren Menschenrechts absurderweise von den jeweiligen Mehrheiten in einer Landesregierung abhängt. Die weitgehende Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch das bayrische Landesversammlungsgesetz, deren erstes Opfer im Übrigen ein ver.di- Gewerkschaftssekretär war, wurde zwar nicht zuletzt aufgrund des großen gesellschaftlichen Widerstands vom Bundesverfassungsgericht in einem Eilverfahren vorläufig in weiten Teilen gekippt. Das Beispiel hat jedoch gezeigt, dass zukünftig immer mit elementaren Eingriffen in die Versammlungsfreiheit zu rechnen sein wird. Auch in Baden-Württemberg war bereits ein entsprechendes Gesetz auf den Weg gebracht worden, das darüber hinaus bereits im Vorgriff von etlichen Versammlungsbehörden angewandt wurde.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung zur Bedeutung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe unter anderem in seiner „Brokdorf-Entscheidung“ wie folgt ausgeführt: „Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung und untersagt zugleich staatlichen Zwang, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fernzubleiben. Schon in diesem Sinne gebührt dem Grundrecht in einem freiheitlichen Staatswesen ein besonderer Rang; das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers. In ihrer Geltung für politische Veranstaltungen verkörpert die Freiheitsgarantie aber zugleich eine Grundentscheidung, die in ihrer Bedeutung über den Schutz gegen staatliche Eingriffe in die ungehinderte Persönlichkeitsentfaltung hinausreicht. (vgl. BVerfGE 69, 315 -“ Brokdorf-Beschluss vom 14. Mai 1985).“

„In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (...) wird auch die Meinungsfreiheit seit Langem zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens gezählt. Sie gilt als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, welches für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend ist; denn sie erst ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselement dieser Staatsform (vgl. BVerfGE 7, 198 [208]; 12, 113 [125]; 20, 56 [97]; 42, 163 [169]). Wird die Versammlungsfreiheit als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe verstanden, kann für sie nichts grundsätzlich anderes gelten. Dem steht nicht entgegen, dass speziell bei Demonstrationen das argumentative Moment zurücktritt, welches die Ausübung der Meinungsfreiheit in der Regel kennzeichnet. Indem der Demonst rant seine Meinung in physischer Präsenz, in voller Öffentlichkeit und ohne Zwischenschaltung von Medien kundgibt, entfaltet auch er seine Persönlichkeit in unmittelbarer Weise.“ (...)

(...) „An diesem Prozess sind die Bürger in unterschiedlichem Maße beteiligt. Große Verbände, finanzstarke Geldgeber oder Massenmedien können beträchtliche Einflüsse ausüben, während sich der Staatsbürger eher als ohnmächtig erlebt. In einer Gesellschaft, in welcher der direkte Zugang zu den Medien und die Chance, sich durch sie zu äußern, auf wenige beschränkt sind, verbleibt dem Einzelnen neben seiner organisierten Mitwirkung in Parteien und Verbänden im Allgemeinen nur eine kollektive Einflussnahme durch Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit für Demonstrationen.“

„Nach alledem werden auch in der Literatur Versammlungen zutreffend als wesentliches Element demokratischer Offenheit bezeichnet: „Sie bieten ... die Möglichkeit zur öffentlichen Einflussnahme auf den politischen Prozess, zur Entwicklung pluralistischer Initiativen und Alternativen oder auch zu Kritik und Protest ...; sie enthalten ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“. So zitiert das Bundesverfassungsgericht in seiner oben zitierten Brokdorf-Entscheidung Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 14. Auflage, 1984, S. 157, und führt weiter aus: „Namentlich in Demokratien mit parlamentarischem Repräsentativsystem und geringen plebiszitären Mitwirkungsrechten hat die Versammlungsfreiheit die Bedeutung eines grundlegenden und unentbehrlichen Funktionselementes.“

(...)“In einer Demokratie müsse die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt verlaufen; das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung äußere sich nicht nur in der Stimmabgabe bei Wahlen, sondern auch in der Einflussnahme auf den ständigen Prozess der politischen Meinungsbildung, die sich in einem demokratischen Staatswesen frei, offen, unreglementiert und grundsätzlich „staatsfrei“ vollziehen müsse. BVerfGE 20,56 [98 f.]“

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts schützt Art. 8 Grundgesetz Versammlungen und Aufzüge -“ im Unterschied zu bloßen Ansammlungen oder Volksbelustigungen -“ als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. In einer Entscheidung vom 7. 3. 2011 zu Sitzblockaden ( 1 BvR 388/05) hat das Bundesverfassungsgericht wie folgt ausgeführt: „Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird (vgl. BVerfGE 69, 315 [342 f.]; 87, 399 [406]). Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden (vgl. BVerfGE 73, 206 [248]; 87, 399 [406]; 104, 92 [103 f.]). Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen -“ schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes -“ im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl.BVerfGE 69, 315 [345]).“

Versammlungsrecht geht allgemeinem Polizeirecht vor

Einschränkungen der Versammlungsfreiheit sind, solange die Teilnehmenden unter dem Schutz des Versammlungsrechts stehen, nach geltendem Recht grundsätzlich nicht nach allgemeinem Polizeirecht, sondern nur auf Grundlage des Versammlungsgesetzes möglich.

Auch auf dem Weg zu einer Versammlung steht der Teilnehmende unter dem Schutz des Versammlungsrechts.

Dazu hat das VG Sigmaringen in seiner Entscheidung zur Rechtswidrigkeit des Polizeikessels gegen AntifaschistInnen am 1. Mai 2009 in Ulm ausgeführt, das Maßnahmen gegenüber Teilnehmern einer Versammlung aufgrund des allgemeinen Polizeirechts erst zulässig sind, wen n die Versammlung aufgelöst oder der betroffene Teilnehmer von der Versammlung ausgeschlossen wurde:

„Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. 4. 2007 -“ 1 BvR 1090/06 sind Maßnahmen, die die Teilnahme an einer Versammlung beenden -“ wie ein Platzverweis oder eine Gewahrsamnahme -“ rechtswidrig, solange die Versammlung nicht gem. § 15 Abs. 3 VersammlG aufgelöst oder der Teilnehmer auf versammlungsrechtlicher Grundlage von der Versammlung ausgeschlossen wurde (a.a.O. Randnummer 40). Art. 8 Grundgesetz gebiete diese für den Schutz des Grundrechtsträgers wesentlichen Förmlichkeiten. Denn es handele sich um Anforderungen der Erkennbarkeit und damit der Rechtssicherheit, deren Beachtung für die Möglichkeit einer Nutzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit wesentlich sei.

In Versammlungen entstünden häufig Situationen rechtlicher und tatsächlicher Unklarheit. Versammlungsteilnehmer müssten wissen, wann der Schutz der Versammlungsfreiheit ende, denn Unsicherheiten könnten sie einschüchtern und von der Ausübung des Grundrechts abhalten. Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen Versammlungen richteten sich nach dem Versammlungsgesetz. Dieses Gesetz gehe in seinem Anwendungsbereich als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vor. Eine auf allgemeines Polizeirecht gegründete Maßnahme, durch welche das Recht zur Teilnahme an der Versammlung beschränkt werde, scheide aufgrund der Sperrwirkung der versammlungsrechtlichen Regelungen aus.“ (VG Sigmaringen, Urteil vom 29. November 2010, Az. 1 K 3643/09). "Im Zweifel gegen die Versammlungsfreiheit? Vom Polizeikessel in den Polizeicomputer" vollständig lesen

Warum die Heilbronner Kesselklagen - was haben wir erreicht, wie geht es weiter?

Der 1. Mai 2011 in Heilbronn
Foto: woschod.de

Nach dem Polizeikessel vor dem Heilbronner Hauptbahnhof am 1.5.2011, der bis zu elf Stunden dauerte und mit „erkennungsdienstlicher Behandlung“ aller Eingekesselten endete, gab es zwei Gruppen von Betroffenen. Die einen bekamen Post und wurden irgendwelcher Delikte beschuldigt (z.B. „Widerstand gegen die Staatsgewalt“). Andere waren an diesem Tag einfach „nur so“ ihres Demonstrationsrechts und ihrer Freiheit beraubt und in vielen Fällen sogar am Aufsuchen der Toilette gehindert worden Zu dieser Gruppe gehörten überwiegend Angereiste von außerhalb Heilbronns. Wir fanden uns zusammen im „Arbeitskreis Kesselklage“, der sich regelmäßig in Stuttgart traf und um eine politische und juristische „Aufarbeitung“ bemühte. Beides sollte Hand in Hand gehen.

Das juristische Vorgehen war für die beiden Gruppen -“ „Beschuldigte“ und „Nicht-Beschuldigte“ -“ völlig unterschiedlich. Wer „beschuldigt“ war, konnte versuchen, entweder mit einem Bußgeld aus der Sache heraus zu kommen, eine Einstellung des Verfahrens zu erreichen oder vor dem Amtsgericht Heilbronn einen Freispruch zu erwirken. Dabei müssen die Fristen, die in den Rechtsmittelbelehrungen genannt sind, unbedingt beachtet werden. In solchen Fällen waren Beweismittel und Zeugen für konkrete Vorfälle hilfreich, auf die sich die jeweils erhobenen Vorwürfe stützten.

Was aber konnten die „Nicht-Beschuldigten“ auf der rechtlichen Schiene tun? Der juristische Weg nennt sich „Fortsetzungsfeststellungsklage“. Zuständig waren in diesem Fall:das Verwaltungsgericht Stuttgart in 1. Instanz, der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Sitz in Mannheim, als 2. Instanz. Einzelne Betroffene konnten innerhalb eines Jahres (!) Klage erheben, dass ein bestimmtes staatliches Organ (in diesem Fall: die Polizei) ein bestimmtes Vorgehen nicht „fortsetzt“. Fünf Betroffene aus dem Raum Stuttgart und aus Karlsruhe taten das, vertreten durch zwei verschiedene Anwälte (aus Esslingen und Karlsruhe). Es waren Einzelklagen -“ eine sogenannte „Sammelklage“ gibt es hier nicht. Der „Eintrittspreis“ beträgt pro Person über 360 Euro Gerichtskosten, die im Voraus bezahlt werden müssen. Und Anwälte arbeiten natürlich nicht umsonst. Ihre Honorare richten sich nach einer Gebührenordnung, sie sich am „Streitwert“ bemisst, den das Gericht festsetzt.

Während in anderen Fällen (z.B. Ulm 2009) solche Klagen gegen Polizeikessel gewonnen wurden, gingen sie in diesem Fall verloren. Zwei der fünf Kläger gingen noch in die 2. Instanz und wurden auch dort abgewiesen. Ganz beendet ist das Verfahren allerdings noch nicht. Mit der „erkennungsdienstlichen Behandlung“ am Ende des Heilbronner Kessels wird sich noch das Heilbronner Amtsgericht befassen. Die „Erfassten“ haben sich nicht das Geringste zuschulden kommen lassen, aber trotzdem ist es überhaupt nicht sicher, dass -“ wie behauptet -“ ihre sämtlichen Daten gelöscht wurden und nicht doch noch jahrelang in polizeilichen und geheimdienstlichen Systemen gespeichert sind.

Der Karlsruher Rechtsanwalt Wolfram Treiber hat eine ausführliche juristische Einschätzung der Kesselklagen veröffentlicht: „Vom Polizeikessel in den Polizeicomputer“, in dem Buch von Jörg Lang (Hrsg.): Politische Justiz in unserem Land. Stuttgart: Peter Grohmann-Verlag 2013, ISBN 978-3-944137-35-3. Er arbeitet heraus, dass das Versammlungsrecht ein Grundrecht ist, das jedem „allgemeinen Polizeirecht“ vorgeht. Im Widerspruch zu anderen Urteilen und „skandalöserweise“, schreibt er, seien die Klagen in Stuttgart abgewiesen worden. „Obwohl die Rechtswidrigkeit des Heilbronner Kessels klar auf der Hand lag, machte sich das Verwaltungsgericht die Argumentation ... zu eigen, wonach es sich um gar keinen Polizeikessel gehandelt habe (!)“. Wir möchten diesen Beitrag zur Lektüre empfehlen und Folgendes aus eigenem Erleben hinzufügen:

Die Planer des Heilbronner Polizeieinsatzes dachten offenbar nicht in solchen Kategorien wie „Grundrechte“ und „Verfassungsgebote“ (zum Beispiel zum Charakter des 1. Mai -“ wonach der Naziaufmarsch unbedingt hätte verboten und verhindert werden müssen). Gerichte leben auch in einer anderen Welt, denken anders und stellen andere Fragen als die Betroffenen eines Polizeikessels. Es ist sehr mühsam und bedarf sorgfältiger Vorbereitung und präziser anwaltlicher Beratung, wenn man erreichen will, dass wirklich diejenigen Fragen zur Entscheidung kommen, auf die es ankommt: ob das Vorgehen der Polizei rechtmäßig (an den Grundrechten und der Verfassung orientiert) und verhältnismäßig war. Nicht „Massenklagen“ und Zeugenaussagen sind sinnvoll, wo dann alle möglichen Sachverhalte vermischt und durcheinander geworfen werden, sondern eher ein exemplarischer Einzelfall, an dem sich das Unverhältnismäßige des Polizeieinsatzes präzise herausarbeiten lässt.

Die Juristen der Gegenseite haben große Übung darin, Gerichten eine Märchenwelt aufzutischen, die wenig mit dem zu tun hat, was die Betroffenen erlebten, und Nebelkerzen zu werfen. Aus detaillierten Beschreibungen, die wir liefern, suchen sie sich das heraus, was ihre Märchenwelt plausibel erscheinen lässt. Manche Gerichte greifen das bereitwillig auf. Tatsächlich haben die Gerichte in solchen Verfahren wie unserem einen großen Spielraum, um die Darstellung zu glauben und ihrem Urteil zugrunde zu legen, die sie glauben wollen. Rechtlich ist dem dann nur schwer oder gar nicht beizukommen..

Der von uns in und vor dem Bahnhof von Heilbronn erlebte 1. Mai 2011 wurde rechtlich in vier Etappen eingeteilt:

  • (a) Das Geschehen auf dem Bahnsteig -“ dafür, hieß es, sei die Bundespolizei zuständig gewesen, die wir aber nicht extra verklagt hatten ; das Verwaltungsgericht erklärte sich also für unzuständig für körperliche Angriffe der Polizei auf Angereiste, die fotografisch dokumentiert sind.

  • (b) Das Geschehen auf dem Bahnhofsvorplatz bis 16:11 Uhr - da hätten wir uns eigentlich „unrechtmäßig“ aufgehalten (und könnten froh sein, dafür nicht belangt zu werden), behauptete die Polizei hinterher.

  • (c) Der „Polizeigewahrsam“, in dem wir uns ab diesem Zeitpunkt befunden hätten -“ die sei, hieß es, von einem diensthabenden Amtsrichter nach Aktenlage angeordnet worden.

  • (d) Die „erkennungsdienstliche Behandlung“ am Schluss - diese habe „repressiven“ Charakter gehabt, also dazu gedient, „mögliche Straftaten aufzuklären“ -“ und wenn man dagegen juristisch vorgehen wolle, sei das Amtsgericht Heilbronn zuständig. Nur bei „präventiven“ Maßnahmen (zur „Gefahrenabwehr“) sei das Verwaltungsgericht zuständig. Diese etwas spitzfindig anmutende Unterscheidung aus dem Polizeirecht hatten wir nicht beachtet,

So jedenfalls -“ mit der Zuständigkeit der Bundespolizei für den Bahnbetrieb und mit behaupteten „möglichen“ Straftaten, die es in Wirklichkeit nicht gab - erklärte sich das von uns angerufene Verwaltungsgericht Stuttgart für die Etappen (a) und (d) für unzuständig. Wegen der angeblich „repressiven“ „erkennungsdienstlichen Behandlung“ läuft, wie gesagt, noch das Verfahren beim Amtsgericht Heilbronn.

Einem Kläger wurden Äußerungen, die er außerhalb des Gerichts gemacht hatte, im Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart in krasser Weise im Mund herumgedreht. In einem Fernsehinterview hatte er gesagt, es sei ein unmögliches Ansinnen, dass die Gegenseite in ihrem Schriftsatz geäußert hatte, die Gewerkschafter hätten sich ja einer Leibesvisitation unterziehen und dann zur DGB-Kundgebung gehen können. Das am 1. Mai! Daraus wurde konstruiert: er habe bestätigt, dass es so gewesen sei, wie die Polizei-Märchentante erzählte: nach Durchsuchung hätten alle den (angeblich gar nicht bestehenden) Kessel jederzeit verlassen können. Die Eingekesselten waren also nur aus eigenem Entschluss zu ihrem Vergnügen elf Stunden dort! Das Gericht spielte mit ... Auf solche Winkelzüge muss man gefasst sein, bevor man überhaupt etwas sagt.

Die öffentliche Resonanz, die unsere Auseinandersetzung fand, haben wir auf dem Blog kesselklage.dokumentiert. Sie entsprach nicht der politischen Bedeutung, die das Verfahren hatte. Vor allem die Unterstützung aus den Gewerkschaften, deren ureigenste Anliegen am 1. Mai betroffen waren, blieb verhalten. Eine öffentliche Debatte mit deutlich vernehmbaren Stimmen gerade aus diesem Bereich wäre auch an dem Gericht nicht spurlos vorüber gegangen und hätte vielleicht zu einem anderen Ausgang geführt. Wie schaffen wir öffentlichen politischen Druck - darauf muss bei künftigen Verfahren verstärkt geachtet werden.

Nachteilig war ohne Zweifel die räumliche Trennung des AK Kesselklage und Gerichtsorts in Stuttgart vom Ort des Geschehens Heilbronn und den dortigen antifaschistischen und gewerkschaftlichen Bündnissen.

Nicht zuletzt ist alles auch eine Kostenfrage. Wer verliert, bezahlt das Verfahren. „Massenklagen“ verbieten sich in der Regel allein schon deshalb. Da unsere Heilbronner „Fortsetzungsfeststellungsklage“ aus dem gewerkschaftlichen Rechtsschutz herausfiel, sprang in diesem Fall für ihre Mitglieder die VVN-BdA ein (und machte dann einen Spendenaufruf). Die Rote Hilfe übernahm -“ obwohl sie solche Verfahren sonst nicht unterstützt - wegen der besonderen Bedeutung in diesem konkreten Fall für die drei anderen Kläger die Kosten der ersten Instanz. Hinzu kamen weitere Spenden. Allen Spenderinnen und Spendern sei noch einmal herzlich gedankt!

Via kesselklage.de

Blockupy 2013. Der Frankfurter Polizeikessel am 1.Juni 2013

Bericht der Demonstrationsbeobachtung vom 30.Mai bis 1.Juni 2013

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts des Komitees für Grundrechte und Demokratie hätte nicht besser gewählt werden können:
Fast zeitgleich erklärte das Frankfurter Verwaltungsgericht, die Einkesselung der Blockupy-Demonstranten sei „wohl gerechtfertigt“ gewesen. Das ist noch kein echtes Urteil, sondern nur das Ergebnis einer vorläufigen Prüfung zur Erfolgsaussicht der Klage. Aber man sieht, wohin die Reise geht.

Zur Erinnerung: Am 1.Juni 2013 unterdrückte die Polizei eine Demonstration der Blockupy-Bewegung in Frankfurt, indem sie nach einem vorgefassten Plan ca. 1000 Teilnehmer der Demo einkesselte und so die Demonstration sprengte: „Anweisung von oben: Eskalieren!“ (Originalton Polizei).
Die Demoroute entlang der Europäischen Zentralbank war vorher gegen die Versammlungsbehörde vor Gericht erstritten worden. Durch das Eingreifen der Polizei „muss der Eindruck einer Recht brechenden und Selbstjustiz schaffenden Exekutive entstehen.“ (S.11)

Auf der Grundlage der Berichte des Demobeobachter-Teams des Komitees für Grundrechte und Demokratie befasst sich die Broschüre detailliert mit Vorgeschichte, Demo-Ablauf, den zentralen Merkmalen des Vorgehens der Ordnungskräfte und der Resonanz in den Medien.

Neben diesen aufschlussreichen Schilderungen des konkreten Ereignisses sind die Ausführungen der Autoren zu grundsätzlichen Aspekten der Versammlungsfreiheit für alle interessant, denen die Versammlungsfreiheit am Herzen liegt.

So wird der Gesetzesvorbehalt beim § 8 Versammlungsfreiheit kritisiert:
„Nach dem ersten Absatz von § 1 Versammlungsgesetz wuseln nur noch Verbote und noch einmal Verbote. Als eine Art Versammlungsverbotsgesetz ist das Versammlungsrecht durchgehend nicht grundrechtskonform.“ (S.79).

„Darum müsste das Versammlungsgesetz in seiner 1953er Grundform längst dem Brokdorf-Beschluss konform demokratisch angehoben werden.“ (S.86)
Die Autoren verhehlen aber auch nicht die Schwierigkeiten bei dem Versuch, ein fortschrittliches Versammlungsgesetz zu entwerfen: „Dabei wird allerdings meist deutlich, wie breit die Fallstricke ausgelegt sind und wie schwierig es ist, eine grundlegend andere Herangehensweise zu finden.“ (S.69)

„Würde ein Artikel 8 - „Jede Person hat das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen mit anderen zu versammeln und Versammlungen zu veranstalten“ - diese Recht nicht vielleicht besser schützen können als jedes Versammlungsgesetz, das nur wieder neue Grenzen zu ziehen versucht?“ (S.69/70)

Trotzdem werden einige Kernelemente eines fortschrittlichen Versammlungsgesetzes formuliert:„- Demonstrierende entscheiden selbst über den Ort ihrer Versammlung und die Ausdrucksformen. Vom Grundrecht generell oder aktuell ausgenommene Plätze kann es nicht geben. - In Versammlungen hat „der Staat“, repräsentiert durch die Polizei, nichts zu suchen -“ weder uniformiert, noch undercover und auch nicht mit Videogeräten.(...) - Die Demonstrierenden entscheiden selbst über Länge und Größe von Transparenten und auch über das Tempo ihrer Bewegung. - Die Bewegungsfreiheit wie auch die Meinungsfreiheit sind zu achten, wozu auch die Möglichkeit gehört, gesehen und gehört zu werden. Dies verbietet jede einschließende Begleitung, wie die wandernden Kessel genannt werden.“ (S.70).

Dem Fazit der Autoren ist nichts hinzu zu fügen: „Versammlungen können ein Stachel sein im herrschaftlich definierten und kontrollierten Alltag, sie können aufstacheln und politische Veränderungen einleiten. Dafür gilt es weiterhin zu streiten -“ auf der Straße und vor Gericht. Auf dass endlich den rechtswidrigen Eingriffen der Polizei Einhalt geboten werde!“ (S. 123)

Die Broschüre kann für sieben Euro bezogen werden unter der Adresse:
Komitee für Grundrechte und Demokratie
Aquinostr. 7-11 50670 Köln
Telefon 0221 972 69 30 Fax 0221 972 69 31
info@grundrechtekomitee.de
www.grundrechtekomitee.de

Unsere Solidarität gegen anhaltenden rechten Terror in der Ukraine! Rote Hilfe e.V. richtet Spendenkonto für verfolgte Antifaschist*innen ein

Logo der Roten Hilfe
Im Zuge der breiten Protestbewegung der ukrainischen Bevölkerung gegen die ehemalige Regierung konnten sich faschistische Gruppierungen in den vergangenen Monaten in dieser verankern und ihre Mitgliederstärke vervielfachen. Sowohl auf dem Maidan-Platz in Kiew selbst als auch während der Auseinandersetzungen waren Gruppierungen wie „Der Rechte Sektor" stets präsent und traten paramilitärisch auf. Nationalistische und rassistische Symbole und Parolen waren unübersehbar. Faschistische Parteien wie „Swoboda" (Freiheit) warben um Akzeptanz auch im Ausland und gaben sich ungestört - im Verbund mit anderen, sich als „oppositionell" bezeichnenden Parteien - als Vertreter*innen der „unzufriedenen Bevölkerung" aus.

War es bereits in den Monaten zuvor riskant und gefährlich für linke Organisationen und Aktivist*innen, sich politisch zu betätigen, so hat der Terror rechter Gruppierungen seit dem bürgerlich-reaktionären Putsch
ungeahnte Ausmaße angenommen. Büros der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU) sowie weitere Projekte der linken Bewegung wurden gestürmt und verwüstet; es kursieren so genannte Todeslisten, die sich gegen antifaschistische Aktivist*innen richten. Protestaktionen gegen die sich nach dem Machtwechsel neu konstituierende Regierung sind aktuell lebensgefährlich, während diese laut über ein Verbot der KPU nachdenkt.

Hierzu erklärt H. Lange, Mitglied des Bundesvorstands der Roten Hilfe e.V.: „Unsere Solidarität gilt den Antifaschist*innen in der Ukraine, die aktuell massiver Verfolgung ausgesetzt sind. Durch die Zusammensetzung
einer neuen Regierung unter Einbeziehung der faschistischen Swoboda -Partei steht zu befürchten, dass sich die staatliche Repression weiter verschärfen wird. Die Rolle der deutschen Bundesregierung, die an dieser Entwicklung offensiv beteiligt war, ohne auch nur ein Wort über die aktive Beteiligung faschistischer Gruppierungen zu verlieren, ist auf das Schärfste zu kritisieren."


Die Rote Hilfe e.V. hat ein Spendenkonto eingerichtet, um verfolgte Antifaschist*innen im Kampf gegen die Repression zu unterstützen:

Kontonummer: 56036239
BLZ: 260 500 01
bei der Sparkasse Göttingen
IBAN: DE25 2605 0001 0056 0362 39
BIC: NOLADE21GOE
Stichwort: „Antifa Ukraine"

Die Spenden werden linken Zusammenschlüssen in der Ukraine für Gefangenenhilfe, Unterbringung, Rechtsbeistand, medizinische Versorgung sowie Kampagnen gegen die Repression zur Verfügung gestellt. Wir rufen dazu auf, unsere Genoss*innen in der Ukraine in ihrem Kampf gegen die staatliche Repression und den rechten Terror politisch und materiell zu unterstützen.

H. Lange für den Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V.


Quelle: Rote Hilfe

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