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1916 - 2016: Blutpumpe light

Nachdem es mit den Überfallstechniken des Schlieffenplans offenbar nicht geklappt hatte, erfand der Generalstabsoffizier von Falkenhayn etwas ganz Neues: die Blutpumpe. Es sollte an einem namensträchtigen Ort eine Situation geschaffen werden, in der die Gegner - die Franzosen - sich verpflichtet fühlen mussten, mehr Soldaten zu opfern, als ihrer Gesamtstärke entsprach. Das würde - nach geraumer Zeit - dazu führen, dass die französischen Opfer so groß würden, dass sie schließlich den Deutschen gegenüber aufgeben und kapitulieren müssten. Und zwar war das damals dem statistischen Denken gemäß zwar in erster Linie am Verlust von Soldaten gemessen. Darüber hinaus - versteht sich - aber auch Verlust von sämtlichen Hilfsmitteln: Waffen aller Art, Lebensmittel usw.

Der Gedanke hört sich damals wie heute wahnsinnig an. Denn - das lag dem Kalkül zugrunde - es mußten bei dem Pumpenmanöver unweigerlich Tausende und Zehntausende deutscher Soldaten eingesetzt werden, wenn nur der Feind noch größere Schäden davontrug. Zugleich war alles völlig berechenbar. Tag für Tag konnte das Unternehmen überschaut werden. Wo an einer Stelle zuwenig Blut floß, konnte nachgegossen werden. Das ganze Manöver zugleich haltloser Irrsinn und berechenbarer Kalkül.

Nun zu den Revanchegelüsten des Westens heute. Aktiver Krieg scheint ausgeschlossen. Was bleibt dann? Obama hat es ziemlich deutlich ausgesprochen: Putin muss "seinen Preis zahlen". Und worin soll der bestehen? Dem ersten Anschein nach diesesmal weniger im Verlust von Soldaten. Aber mehr in der Anhäufung von Verlusten anderer Art. Über Absatzmärkte und Warenstaus schließlich der Ruin des Landes.

Kapitulation mit anschließendem Gericht über Putin und die Seinigen. Und endlich die große westliche Gemeinschaft von Wladiwostok bis zum Atlantik.

Auf den ersten Blick könnte die Rechnung aufgehen. So schlecht es den USA geht, den Resten der UDSSR geht es nicht besser.

Zugleich aber der Falkenhayn-Wahnsinn. Damit der Sieg über Russland gelingt, müsste zwangsweise Europa an allen Stellen sich verkrümmen. Sich auf Sparkurs setzen. Den Zusammenbruch eigener Systeme erdulden. Es ginge nicht anders, als es 1916 ging. Am Ende stehen zwei tödlich Verwundete einander gegenüber. Selbstverteidigung wird zum allmählichen Selbstmord.

Vor allem eines fällt bei den zahllosen Kommentaren auf. Die Selbstbegeisterung. Wenn Obama von einer "Provinzialmacht" spricht, die sich auflehnte, gibt er nur den Ton vor oder nach von hundert Medien. Die Grundvoraussetzung aller: Wir sind im Recht. Der Feind muss zahlen. Kaum einem fällt wieder ein, was Lenin auch vor hundert Jahren schon sagte: Wir leben in der Zeit der Imperialismen. In denen Recht und Umgangsformen nichts mehr zu melden haben gegen die bloße Besitzwahrung. Möglicherweise Ausweitung. Und da sind nicht nur Putin und Obama gleich, sondern auch alle anderen Machthaber auf der ganzen Welt.

Gerade darum ist es so schwer, sich zu erheben gegen den Wahnsinn von Krieg und Rüstung. Es müssten sich Leute zusammenschließen, die über dieses Unheil hinausschauen könnten. Wo aber sind die geblieben? Es könnte sein, dass ihre Zahl nach all den blutigen Erfahrungen heute geringer ist als zu Lenins Tagen.

Das Schlimmste: die Verächtlichmachung der jeweiligen Gegner. Als ob nicht erwiesen wäre, dass vor der Verzweiflung der Generalangriff kommt. Kommen muss. Und dann sich enthüllen wird, dass es ganz am Ende doch wieder die Menschen trifft. Die sterben müssen, damit das Blutopfer seinen letzten Glanz erhält.

Ukraine und anderswo: Das "Volk" - mehr als zweihundert Jahre zu spät

Oft bemüht, mindestens genau so oft missbraucht: "La Liberté guidant le peuple" ("Die Freiheit führt das Volk")
Gemälde von Eugène Delacroix
Überall wird gejammert: Der Kalte Krieg kommt wieder. Wie zur Unzeit! Und dann werden Paralellen gezogen. Dabei ist das Zeitmaß immer zu eng oder zu weit. Es passt nie.

In Wirklichkeit kämpfen beide Seiten um noch viel frühere Begriffe. Es geht einvernehmlich um das "Volk". Angeblich weiß jeder, was das "Volk" will. Und wann deshalb Abstimmungen mal sehr bedacht sind. Manchmal aber auch die größte Unverschämtheit. Das vor allem angewandt auf die Ukraine. Die selbst im vordergründigsten Teil ihres Wesens nie in der Geschichte das ausfüllen konnte, was man normalerweise ein "Volk" nannte. Hie und da taucht es ja in den Kommentaren auf, dass die heutige Ukraine mal zu Österreich - Ungarn gehörte, mal eigenständig war. Mal zu Russland sich rechnete. Vor allem die Krim. Die erst 1954 durch einen schwachsinnigen Gnadenakt Chruschtows zur Krim geschlagen wurde. Ohne weitere Abstimmung, versteht sich.

Schon daraus ergibt sich, dass die Ukraine nicht einmal den "Volkscharakter" aufweist, den etwa die deutschen Bruderstämme durch relativ lange Geschichte zeigen konnten. Als es gegen Napoleon ging, konnte dort immerhin ein gewisser gemeinschaftlicher Hass aufgebaut werden gegen das übermächtige Frankreich. Der aber auch nicht dauerhaft blieb.

Wenn nun der "Westen", aber genau so Putin sich auf das Wesen des ukrainischen Volkes und seines wahren Wesens und Willens berufen, was ist das dann? Offenbar nicht der Willen aller, sondern das Wühlen des Hassens gegen den "Andern". Dafür wird alles getan. Wie man bei uns in den Nachrichten jeden Abend sehen kann.

Wenn dann Timotschenko aus tiefer Not und noch tieferer Unwissenheit zum Partisanenkrieg aufruft, wenn unser treuer Außenminister in voller Kenntnis der Sachlage zu weiteren Sanktionen aufruft, dann sind das alles nichts als Wallungen. Wallungen, um in einem Kessel zu rühren, in dem giftige Dämpfe aufsteigen, die vortäuschen, was nicht vorhanden ist: einen eindeutigen Volkswillen.

Aussicht: Nach gewissen Zeiten wird der Groll zu teuer. Die ehemals so geliebten "Völker" werden ihrem traurigen Schicksal überlassen. Und den aufgehäuften Kosten, die sie zu den alten übernehmen müssen. Und das wäre noch die günstigste Lösung. Noch schlimmer die andere: Jemand rutscht die Hand aus und er greift doch zu Pistole, Handgranate oder Bombe. Und es ereignen sich die bekannten Spässe zum wiederholten Mal.

Wieviel Geifer muß dann erst aufgewendet werden, um wieder einmal das eine zu erreichen: NICHTS.

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