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“Freiheit der Wissenschaft„ und Kriegsforschung

Seit mehr als vier Jahren gibt es eine stetig intensiver werdende Auseinandersetzung an den Hochschulen um die bewusst vorangetriebene Militarisierung durch Indienstnahme für Rüstungsforschung und Kriegswissenschaft. Studierende, Gewerkschaften und Friedensorganisationen streiten mehr oder weniger erfolgreich für die Befreiung der Alma Mater aus dem Griff von Wirtschaft und Militär.

Als probates Mittel, das die Verantwortung der Wissenschaften für eine Welt ohne Krieg, für ausschließliche Gewaltfreiheit für alle Arten von Konfliktlösungen, für die Rettung des Planeten durch nachhaltigen Umweltschutz und für die Bekämpfung von weltweiter Armut und Ungerechtigkeit gut zusammenfasst, hat sich die Forderung nach Selbstverpflichtung der Hochschulen durch Zivilklauseln herausgestellt.

Die erste große Auseinandersetzung um die Zivilklausel (keine Forschung und Lehre für militärische Zwecke) in jüngerer Zeit hat sich ausgerechnet an zwei äußerst konservativen Bildungs- und Forschungsinstitutionen entzündet,

  • an der Universität Karlsruhe, die seit 40 Jahren kontinuierlich und meist verdeckt Rüstungsforschung betrieben hat und weiter betreibt und
  • am Forschungszentrum Karlsruhe, das vom damaligen Bundesminister für Atomfragen Franz-Josef Strauß 1956 als Kernreaktorbau- und Betriebsgesellschaft gegründet wurde und nicht zufällig als personelle Erstausstattung vier mit strammer Nazi-Vergangenheit belastete Führungskader (Greifeld, Schnurr, Ritter, Brandl) erhalten hatte. Gleichzeitig aber musste die völkerrechtlich unumgängliche Eintrittskarte für deutsche Atomforschung in Form der Satzungsbestimmung "Die Gesellschaft verfolgt nur friedliche Zwecke." (Zivilklausel) akzeptiert werden. Die wäre bei erstbester Gelegenheit mit dem damals propagierten Erwerb eigener Atomwaffen ad acta gelegt worden.


Ironie der Geschichte

Warum Karlsruhe? Das muss wie eine Ironie der Geschichte erscheinen. Seit 2007 ist der Zusammenschluss beider Institutionen zum Karlsruher Institut für Technologie (KIT) organisiert worden, der 2009 mit einem eigenen Landesgesetz und einer Grundsatzung gemäß Grundordnung einer Universität besiegelt wurde. Die Komplettierung des KIT als zivilmilitärischer Forschungskomplex durch Einbeziehung aller regionalen Fraunhofer-Institute (FhG, einige mit z.T. erheblichen Anteilen an Rüstungsaufträgen) ist wegen zu großer Komplexität (vorerst) zurückgestellt worden. Die Integration wird in einem Fall des Frauenhofer-Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (FhG IOSB) durch Personalunion von Uni- und FhG-Institutsleitung praktiziert.

Worin bestand der Konflikt bei der Fusion nun genau? Das Forschungszentrum (jetzt KIT Campus Nord) hatte eine Zivilklausel, die Universität (jetzt KIT Campus Süd) nicht. Für die angestrebte komplette Verschmelzung konnte es demnach nur zwei Alternativen geben: Einfügung der Zivilklausel in die Grundsatzung oder ihre komplette Abschaffung. Das letztere wagte nicht einmal die Bundesregierung unter Schavan, die seit Amtsantritt die bewusste Vermengung von zivilen und militärischen Zwecken betreibt. Für die vom Campus Nord betriebene sog. Großforschung, darunter die trotz Ausstiegsbeschluss massiv fortgesetzte Atomreaktorforschung, gilt die Zivilklausel als Teilklausel weiter. Diese wurde von der früheren SPD-Landtagsopposition mit Recht als Witz bezeichnet. Gegen die Einführung der Zivilklausel in die Grundsatzung widersetzten sich die KIT-Leitung und die damals schwarz-gelbe Landesregierung Baden-Württemberg Arm in Arm von Beginn an.

KIT-Gesetz und kein Ende

Weil diese Auseinandersetzung viele typische Elemente enthält, die auch an anderen Hochschulen zur Geltung gekommen sind, sollen die Vorgänge am KIT und in Baden-Württemberg etwas genauer nachgezeichnet werden.

Wir beginnen mit der guten Nachricht. Nachdem die Gewerkschaft ver.di bereits im Herbst 2008 eine einheitliche Zivilklausel gefordert hatte, votierten die Studierenden der Universität im Januar 2009 in einer bundesweit erstmaligen Urabstimmung zu einer Fragestellung mit derartiger gesellschaftspolitischer Tragweite für die KIT-einheitliche Zivilklausel "KIT verfolgt nur friedliche Zwecke" mit 63% JA-Stimmen. Das war ein selbst von Optimisten nicht erwarteter Paukenschlag für eine gesetzliche Friedensbindung. Kurz davor war aufgrund einer Bundestagsanfrage der LINKEN unter Mithilfe der Informationsstelle Militarisierung (IMI e.V.) Tübingen aufgedeckt worden, dass das Nachrichtentechnische Institut an der Uni an einem Breitband-Datenübertragungssystem für die Bundeswehr forscht, das besonders für multinationale Auslandseinsätze gebraucht wird. Die Zivilklausel war demzufolge für Uni und KIT keine möglicherweise überflüssige oder symbolische Vorsichtsmaßnahme, sondern hatte vor dem Hintergrund dieser Enthüllung direkte praktische Bedeutung. Der Erfolg ist von den Studierenden hart erkämpft worden. Dazu gab es Aufklärungsveranstaltungen, Flyer, Werbezettel, Infotafeln und vor allem eine massive Unterschriftenkampagne für die beiden Abstimmungsfragen: "Zustimmung zur Zivilklausel? Bei Auslegungsstreitigkeiten einstimmiger Senatsbeschluss erforderlich?" Listen wurden nach kurzen Einführungsworten von AktivistInnen in den großen Grundlagenvorlesungen in Umlauf gegeben. Eine integrierende und mobilisierende Rolle bezüglich der unterstützenden Hochschulgruppen spielte die Gewerkschaftliche Studierendengruppe Karlsruhe (GSKa).

Und jetzt die schlechte Nachricht. Geschlagene vier Jahre nach diesem Erfolg gibt es trotz Regierungswechsel und Wahlversprechen von GRÜNEN und SPD keinerlei Fortschritte. Im Gegenteil: Mit Rückendeckung der Grün-Roten Landesregierung (Ministerpräsident Kretschmann, Wissenschaftsministerin Bauer) vertuscht die KIT-Leitung reale Rüstungsforschung unter einem Dach mit Atomreaktorforschung (was zuvor als Tabu galt), verkauft die beschlossenen Ethik-Leitlinien in lächerlicher Weise als Ersatz für die heftig abgelehnte Zivilklausel und propagiert jetzt Arm in Arm mit der Grün-Roten Landesregierung die ›Freiheit der Wissenschaft.‹ Da kann sich KIT-Aufsichtsratsmitglied Zetsche (Daimler Benz) nur die Hände reiben. Viel besser konnte es in der 58-jährigen CDU-Herrschaft auch nicht laufen. Dass Aufmucken z.B. an der grünen Basis unverzüglich und unmissverständlich in die Schranken gewiesen wird, dafür sorgt nun der olivgrün gewendete Landesvater.

Zivilklausel-Bewegung wächst

Dennoch gibt es ein positives Pfund, das bei allem berechtigten Frust über die neue alte Landespolitik und die kriegsfördernde Bundespolitik nicht unterschätzt werden darf. Die Bereitschaft, für Frieden und Gerechtigkeit zu streiten, breitet sich aus in Karlsruhe, in Baden-Württemberg, bundesweit und sogar international. Die Zivilklausel ("civil clause") ist zum Inbegriff für verantwortliches Handeln an den Hochschulen geworden. Es ist ein bundesweites Bündnis "Hochschulen für den Frieden - Ja zur Zivilklausel" entstanden, das sich etwa vierteljährlich zwecks Erfahrungsaustausch und Organisierung von Kongressen und Aktionen trifft. Es hat weitere Urabstimmungen pro Zivilklausel an den Unis Köln und Frankfurt a.M. sowie an der FU Berlin gegeben. An etwa 40 Hochschulen gibt es Arbeitskreise pro Zivilklausel.

Allein in den letzten beiden Jahren sind sieben Zivilklauseln an Hochschulen zu den früheren fünf hinzugekommen, Ende Januar für die Goethe-Universität Frankfurt (Stiftungsuniversität!). In Bremen, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Berlin/Brandenburg, Bayern und anderswo werden derzeit gesetzliche Regelungen mit Zivilklauseln für Landeshochschulgesetze gefordert. Niedersachsen hatte in den 90er Jahren schon mal eine. Im neuen DGB-"Programm für eine demokratische und soziale Hochschule" wird in Ziff. 10 "Kooperation, Verantwortung und Transparenz in der Forschung" u.a. eine Zivilklausel für ein Bundeshochschulgesetz gefordert.

Vor und nach der Wahl

Allesamt verfassungswidrige Beschlüsse bzw. Bestrebungen gegen die Freiheit der Wissenschaft, wenn man der heutigen Auslegung von Ministerin Bauer folgt. Frau Bauer hatte 2010 zusammen mit Herrn Kretschmann für die GRÜNEN in der Opposition die Zivilklausel für das KIT-Gesetz beantragt. Auf Nachfrage in einer Versammlung in der Uni Karlsruhe, dass sie demnach gegen die Verfassung gehandelt hat, erklärte sie das als "Jugendsünde". Eine durchaus beachtliche Leistung, diese "Jugendsünde" im Alter von 45 Jahren. Da fragt man sich unwillkürlich, wann Frau Bauer erwachsen werden wird.

Kabarettreif hatte Bauers Amtsvorgänger Minister Frankenberg (CDU) im Juli 2009 im Landtag zum KIT-Gesetz erklärt: "Über die Zivilklausel haben wir uns ausgetauscht. Sie bleibt beim Forschungsteil. Ich persönlich - das betone ich auch hier noch einmal - bin der festen Überzeugung, dass unsere Hochschulen eigentlich für die Armee eines demokratischen Staates und die beste Ausrüstung ihrer Soldaten auch forschen dürfen. Ich halte dies übrigens auch für eine Zivilklausel. Denn wir haben eine zivile Armee, für die man forschen können soll. Insofern akzeptiere ich die Zivilklausel für den Forschungsteil. Ich akzeptiere aber im Prinzip die Idee der Zivilklausel für unsere Bundeswehr nicht."

Am Rande ihres Antrittsbesuchs an der Universität Tübingen hatte sich die jetzige Wissenschaftsministerin Bauer wie folgt geäußert: "Ich begrüße und unterstütze es, wenn Hochschulen in ihren Grundordnungen klarstellen, dass Forschung und Lehre friedlichen Zwecken dienen". Laut Schwäbischem Tagblatt (05.11.11) betonte sie aber zugleich, dass sie eine gesetzliche Beschränkung von Forschungsaktivitäten ablehne. Dem fügte sie hinzu, dass sie persönlich es für "legitim und richtig" ansehe, wenn Hochschulen "Forschung zu sicherheitsrelevanten Fragen betreiben, die sich im Rahmen demokratisch legitimierter Bundeswehreinsätze stellen."

Ähnlich MP Kretschmann bei einem Bürgerempfang im Karlsruher Rathaus kurz darauf. Eine KIT-Studentin erinnerte ihn an die grüne Position vor der Wahl und fragte, warum die Zivilklausel nicht ins KIT-Gesetz geschrieben wurde. Die knappe MP-Antwort: "Forschung und Lehre sind nach dem Grundgesetz frei." Nach Verweis der Studentin darauf, dass MP das doch vor der Wahl gewusst habe, sowie auf die Praxis des Forschungszentrums und die Tübinger und Bremer Zivilklausel, wechselte der MP die Pferde. Es gehe gar nicht um verfassungsrechtliche Bedenken, sondern darum, dass die Institute das selber entscheiden sollen. Außerdem müsse beachtet werden, dass wir eine Bundeswehr haben, die für ihre Friedenseinsätze Unterstützung brauche.

"Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke". Eine Zivilklausel, die Militärforschung ermöglicht, sollen die Hochschulen also gerne beschließen. Nun versteht man jedenfalls besser, was Frau Bauer meinte, als sie zwei Monate nach ihrem Amtsantritt erklärte: "In der Hochschulpolitik waren wir Grünen meist näher an den Schwarzen als an der SPD." (Badische Zeitung 21.05.11)

Kritische Diskussion unerwünscht

In allen drei Fällen gibt es allerdings einen ins Auge fallenden Widerspruch in der eigenen Argumentation. Wenn die Bestimmung "friedliche Zwecke" so interpretiert werden kann, dass damit Forschung für die Bundeswehr in einem gewissen Umfang vereinbar ist, dann kann sie doch ins KIT-Gesetz geschrieben werden, ohne dass z.B. die Forschung für das zitierte Breitband-Datenübertragungssystem für die Bundeswehr eingestellt werden müsste. Warum wehren sich die Minister und Ministerpräsidenten vehement gegen diese gesetzliche KIT-Zivilklausel? Es bliebe doch alles wie gewünscht beim Bestehenden.

Mit einem wesentlichen Unterschied. Der "friedliche Zweck" kann von "Naiven" auch anders ausgelegt werden, nämlich als nicht-militärischer Zweck. Zu diesen "Naiven" gehörten übrigens die WissenschaftlerInnen und sogar die Administration des ehemaligen Forschungszentrums, die die Zivilklausel in diesem Sinne erfolgreich praktiziert und gegen mehrere Aufweichungsversuche verteidigt hatten. Jetzt wird aber offensichtlich allein die mögliche Auslegungsdiskussion über die gesellschaftlichen Zwecke von Forschung als unerwünscht angesehen. Ja, das allerschlimmste an der Zivilklausel ist aus herrschender Sicht, dass an den Hochschulen überhaupt eine kritische Diskussion entbrannt ist. Das wird vom Vorwärtsverteidigungsminister persönlich bestätigt.

Der oberste "Pflichtverteidiger"

Anfang 2012 beklagte dieser in der Süddeutschen Zeitung vom 27.02.2012 unter dem Titel "Ungeliebte Kriegsforschung" aufgrund eines Interviews nach der Münchener Sicherheitskonferenz, er erkenne "keinen großen intellektuellen Beitrag der deutschen Universitäten zur Frage von Krieg und Frieden." Die SZ meinte dazu: "De Maizière wünscht sich nun Antworten auf aktuelle Fragen. Zum Beispiel: Dürfen Armeen Drohnen im Kampf einsetzen? Dürfen sie private Sicherheitsfirmen einspannen? Wie sollten Staaten auf einen Cyberangriff reagieren?"

Am Buß- und Bettag 2012 wurde er in Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau  deutlicher: "Als Verteidigungsminister frage ich: Warum diskutieren wir nicht über deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik - an Schulen, Universitäten, Kirchen und überall, wo öffentlich diskutiert wird? Leidenschaftlich diskutiert wird zumindest teilweise über die Bundeswehr an Schulen oder über Zivilklauseln an Universitäten. Warum können diese Diskussionen kein Anknüpfungspunkt sein, um in eine etwas grundlegendere Diskussion über die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik einzusteigen?"

In der Dezember-Ausgabe 2012 des Campus Magazins UNICUM geht der oberste "Pflichtverteidiger" zum offenen Angriff über. Nachdem er die angeblich geringfügigen militärischen Finanzierungsbeiträge für die Hochschulen im Interview geschildert hat, wörtlich: "Sie sehen daran, dass die Diskussion über die Zivilklausel von der Bedeutung völlig übertrieben wird. Zweitens halte ich die Einführung einer Zivilklausel für einen Verstoß gegen die Wissenschaftsfreiheit des einzelnen Wissenschaftlers. Drittens führt sie zu einer Zweck- und Zielprüfung der Forschung, was auch nicht in Ordnung ist."

Wessen Freiheit wofür?

Freiheitsrechte sind Bürgerrechte gegen staatliche Gängelung und Willkür. Die Unterfinanzierung der Hochschulen und die dadurch entstehende Drittmittelabhängigkeit verursacht Unfreiheit. Das sieht selbst der konservative Deutsche Hochschulverband, die Standesvertretung der Universitätsprofessoren, so. Auf seinem Jahrestreffen am 20.3.2012 in Hannover beschloss er eine Resolution, in der es u.a. heißt: "Die Unabhängigkeit der Wissenschaft setzt eine ausreichende Grundfinanzierung von Forschung und Lehre voraus. Daran mangelt es aber: Neun von zehn Wissenschaftlern haben in den letzten fünf Jahren Drittmittel beantragt, weil sie nur auf diese Weise Projektmitarbeiter beschäftigen können. Solange Einwerbungserfolge bei Drittmitteln reputations- bzw. karrierefördernd wirken, finanziell belohnt werden und sich immer mehr zum Fetisch und zur Währung des Wissenschaftsbetriebs entwickeln, wächst die Gefahr sachfremder Einflüsse auf die Wissenschaft." Die Zivilklausel entfaltet eine Bremswirkung gegen derartige Fremdbeeinflussungen. In seinem verfassungsrechtlichen Gutachten von Anfang 2009 stellte Erhard Denninger fest, dass die KIT-Zivilklausel nicht nur zulässig ist, sondern der Friedensfinalität des (ursprünglichen) Grundgesetzes entspricht. Wenn sich Minister und gewisse Hochschul-Leitungen wegen einer Zivilklausel Sorgen um die Freiheit machen, so ist das nichts anderes als Pervertierung der Freiheitsrechte und urdeutsches Anpassertum.

Nochmal zu KIT und Baden-Württemberg. Die früheren Landtagsoppositionsparteien GRÜNE und SPD hatten nicht nur die Zivilklausel für KIT beantragt, sondern auch Bekenntnisse für friedliche und zivile Hochschulforschung in ihre Wahlprogramme zur Landtagswahl aufgenommen. Noch kurz vor der Wahl unterzeichneten die damaligen Abgeordneten Kretschmann (GRÜNE), Bauer (GRÜNE), Schmid (SPD) zusammen mit 450 zum Teil internationalen Persönlichkeiten einen Appell an KIT, die Zivilklausel einzuführen. Nichts von alledem wollen sie heute in Regierungsverantwortung wissen.

In dasselbe Horn bläst KIT-Präsident Prof. Umbach: "Eine solche Klausel steht im Widerspruch zur Freiheit von Forschung und Lehre, die im Grundgesetz Artikel 5 verankert ist. [...] Außerdem ist Forschung für die Bundeswehr auch im Grundgesetz abgesegnet. [...] Wir müssen doch interessiert sein, dass unsere Soldaten im Auslandseinsatz die bestmögliche Ausrüstung bekommen." (dpa-Dossier Bildung Forschung Nr. 31/2012)

Die gleiche Ignoranz von KIT-Leitung und Grün-Roter Landesregierung gilt gegenüber der bereits erwähnten Fortsetzung der Atomforschung für Reaktoren der IV. Generation (Transmutation). Gründe genug für eine Konferenz unter dem Titel "Zivilklausel statt Rüstungsforschung - Verantwortung der Wissenschaft für Frieden und Zukunftsfähigkeit" am 15/16. Juni 2012 am KIT.

Tagung gegen Kriegsforschung

Angeknüpft werden konnte dabei an eine andere Vergangenheit der Universität Karlsruhe. 25 Jahre zuvor gab es dort fast auf den Tag genau eine beachtete Konferenz gegen Rüstungsforschung, inspiriert von Werner Buckel (1920 - 2003), dem langjährigen Direktor des Physikalischen Instituts der Fridericiana, ein begnadeter Grundlagenforscher, Friedenswissenschaftler und früher Atomkraftkritiker. Von ihm stammt der schöne Gedanke über das vorbehaltlose Zusammenstehen aller Hochschulangehörigen in der sogenannten Nachrüstungsdebatte 1983: "Das Plenum vermittelte das Erlebnis einer wahren Universität." Die Studierenden und die ProfessorInnen waren zuvor gemeinsam gegen die Stationierung von Atomraketen auf die Marktplätze gezogen.

Die wichtigsten Ergebnisse, Vorträge und Arbeitskreisberichte gegen Rüstungs- und Atomforschung sowie über ein Abschlusspodium sind in einer 48-seitigen Broschüre zusammen getragen worden. Die Podiumsvertreter aus Studierendenschaft, Friedenswissenschaft, Gewerkschaft und Politik (GRÜNE, SPD, LINKE) waren sich mit dem Plenum einig, dass die Zivilklausel in das Landeshochschulgesetz und in das KIT-Gesetz gehört.

Streitschrift "Entrüstet Euch"1

Die Dokumentation enthält zwei interessante Vorworte von Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung München) und Wolfram Wette (Friedensforscher Freiburg, ehemals Militärgeschichtliches Forschungsamt der Bundeswehr).

Prantl schrieb zu den "Naiven": "Die Initiative ›Jetzt Entrüsten!‹ wirbt für ein ziviles Gemeinwesen - also für eine Zivilklausel an den Hochschulen und Universitäten, für die satzungsmäßige Bindung und die Verantwortung aller Hochschulangehörigen, ihre Forschung und ihre Lehre nur friedlichen Zwecken zu widmen. Die sogenannten, die angeblichen Realpolitiker nennen das Naivität. Damit haben sie vielleicht sogar recht. Ohne diese Naivität hat man nicht die Kraft, gegen den Jahrtausend-Mainstream anzutreten. Aber diese angeblich Naiven sind die wahren Realpolitiker, weil sie die richtigen Konsequenzen aus der Jahrtausend-Realität ziehen: ›Jetzt Entrüsten!‹."

"Mit den Waffen des  Geistes - Gegen den Geist der Waffen"

Die Karlsruher Tagung stand unter diesem Leitmotiv. Es stammt von dem 87-jährigen antifaschistischen Widerstandskämpfer und Holocaust-Überlebenden Martin Löwenberg aus München. Aus seinem bewegenden Grußwort zur Tübinger Zivilklausel-Konferenz im Oktober 2011, das der Autor dieses Beitrages vortragen durfte, ein Schlüsselzitat: "Ich habe nie aufgehört, über Militarismus, Rassismus und Neofaschismus aufzuklären und dagegen tätig zu werden. Zum Aufruf ›Nicht in unserem Namen‹ zur NATO-Sicherheitskonferenz im letzten Jahr hatte ich folgendes aufgeschrieben: ›Die erste politische Veranstaltung, auf der ich nach unserer Befreiung am 7. Mai 1945 aus dem KZ-Außenlager Leitmeritz gesprochen habe, stand unter dem Motto ›mit den Waffen des Geistes - gegen den Geist der Waffen‹. Dieser Leitsatz hat mich mein ganzes Leben begleitet. Denn ohne die aktive Unterstützung durch die Deutsche Wehrmacht hätte es keinen Holocaust gegeben. Darum bekämpfe ich auch heute noch den verfluchten deutschen Militarismus bei Gelöbnissen, Sicherheitskonferenzen und im Alltag.‹ "

An Martin Löwenberg können sich die Studierenden und wir alle ein Vorbild nehmen. Streiten wir weiter für eine verantwortliche Wissenschaft. Das sind wir der deutschen Geschichte schuldig. Vernetzen wir uns mit anderen Initiativen, z.B. der Aktion "Aufschrei" gegen Rüstungsexporte und mit der Kampagne "Schulfrei für die Bundeswehr". Zusammen mit letzterer ist für das erste Halbjahr 2013 eine weitere Aktionswoche "Militärfreie Schulen und Hochschulen" in Planung.

Anmerkung

1) Die Broschüre ist im Stuttgarter AnStifter-Verlag Peter Grohmann erschienen und kann dort für einen fairen Preis erworben werden. Seit Ende 2012 kann sie im Volltext online unter www.stattweb.de/files/civil/Doku20121230.pdf studiert werden.



Erstveröffentlichung im FORUM Wissenschaft

Statt einer Rezension - Fragen an Bernhard Schlink

Ermordete Zivilisten in My Lai
Foto: Ronald L. Haeberle via WikiPedia
Bernhard Schlinks Buch "Das Wochenende" ist verfilmt worden und kommt dieser Tage in die Kinos. Aus diesem Anlass drucken wir eine "etwas andere" Rezension seines Buches ab.

Bernhard Schlink hat einen Roman - „Das Wochenende“ - über die 68iger geschrieben. Warum beschreibt ein Roman über die 68iger nicht die Erlebnisse von Ha Thi Quy am Morgen des 16. März 1968:

„Als die Amerikaner kamen, war mein Mann auf dem Reisfeld bei den Kühen, ich war mit meinem Kind zu Hause. Plötzlich schossen sie wild um sich. Ich wurde angeschossen, mein Kind war dabei. Die Kugel steckte in meinem Oberschenkel, und ich verlor für kurze Zeit das Bewußtsein. Sie zerrten mich weiter. Es tat weh. Ich sagte zu meinem Kind, fleh um dein Leben, sonst schießen sie dich tot. Er bettelte um sein Leben, doch ohne Erfolg. Sie erschossen ihn. Es war so grausam.“

Warum erwähnt ein Roman über die 68iger nicht, dass Leutnant William Calley, der Verantwortliche dafür, was Ha Thi Quy und fünfhundert ihrer Landsleute an jenem Morgen angetan wurde, nur drei Tage seiner lebenslangen Freiheitsstrafe im Gefängnis verbrachte und 1974 von Präsident Nixon begnadigt wurde ?

Warum nicht berichten über diese Zeugenbefragung:

Ankläger: Herr Zeuge , wie weit stand ihr Wagen von der Vergasungskammer entfernt?
Zeuge: Der stand auf dem Weg etwa 20 Meter ab.
Ankläger: Und da konnten Sie hören was unten in den Kammern geschah?
Zeuge: Manchmal bin ich ausgestiegen um zu warten.
Ankläger: Was taten Sie da?
Zeuge: Nichts. Ich rauchte eine Zigarette.
Ankläger: Näherten Sie sich den Luken über der Gaskammer?
Zeuge: Ich ging manchmal etwas auf und ab, um mir die Beine zu vertreten.
Ankläger: Was hörten Sie da?
Zeuge: Wenn die Deckel von den Luken abgehoben wurden, hörte ich ein Dröhnen von unten, als ob sich dort viele Menschen unter der Erde befänden.“

Ein Dröhnen: es ist
die Wahrheit selbst
unter die Menschen
getreten
mitten ins
Metapherngestöber.

Warum schweigen darüber,

  • dass die beim Auschwitzprozeß anwesenden Polizisten salutierten, als die Angeklagten SS – Schergen den Gerichtssaal verliessen;
  • dass von 1940 – 1945 8000 SS-Angehörige in Auschwitz Dienst taten, nur etwa ein Zehntel von ihnen abgeurteilt wurde, davon fast 750 von polnischen Gerichten, nur 45 Angeklagte vor deutschen Gerichten standen, 22 davon in Frankfurt;
  • dass fünf Jahre nach Prozessende von diesen 22 Angeklagten nur noch sieben in Haft waren ?

„Es ist als ob ein Meer von Blut im Sand versickert“ schrieb damals Le Monde.

Warum fehlt die Beschreibung jener Szene am Gründonnerstag 1968 vor dem Haus Kurfürstendamm 140, das rostrote Damenfahrrad im Rinnstein, die Aktenmappe noch am Lenker festgeschnallt, die beiden Schuhe auf der Straße, aus denen Rudi Dutschke gerissen wurde, als er von den Schüssen des Attentäters getroffen wurde?

Warum kommt Reverend Kyles nicht zu Wort, der eine Woche vorher mit Martin Luther King auf dem Balkon des Lorraine Motels in Memphis stand, als der von der Kugel eines Attentäters getötet wurde?

Warum nicht den Arbeitsalltag der fünfköpfigen Crew beschreiben, die mit ihrem B 52-Bomber von der Andersen Air Force Base auf Guam Richtung Nordvietnam startet, um aus einer Höhe von 10000 m 27 Tonnen Bomben auf Hanoi und Haiphong zu werfen, 27 Tonnen von insgesamt 15000 Tonnen Bomben, die bei der Operation Linebacker II innerhalb von 11 Tagen abgeworfen wurden und 1300 Vietnamesen töteten?

Warum nicht dem Schicksal von Dean Kahler nachgehen, der seit dem 4. Mai 1970 querschnittsgelähmt ist, als während einer Protestkundgebung an der Kent State University gegen den Vietnamkrieg, die Nationalgarde das Feuer eröffnete auf ihn und seine Kommilitonen und vier Studenten erschoss – bis heute ist dieses Massaker ungesühnt?

Fragen über Fragen.
Bernhard Schlink entledigt sich dieser Fragen mit einem Taschenspielertrick: Er stellt sie, aber er stellt sie als abgedroschene Phrasen, als tote Schlagwörter mit der Absicht, durch diese Form ihren Inhalt zu denunzieren und sie dann samt und sonders als „unzeitgemäß“ erklären zu können.

Unzeitgemäß, Herr Schlink?

Die B 52 fliegen wieder – im Irak, in Afghanistan.

My Lai heißt heute Faludscha.

Die Tigerkäfige stehen heute in Guantanamo.

Antiimperialisten werden heute nicht mehr von aufgehetzten Psychopathen erledigt – im Gazastreifen z.B wird von F16-Jägern der ganze Häuserblock weggebombt, in dem sie leben, samt Familie und Nachbarn.

Schlink als literarisches Pendant zu den publizistischen Wasserträgern der neoliberalen Geschichtsklitterung, vereint durch die tiefsitzende Angst vor einem neuen 68:
Wie traurig.

Anmerkungen:
„Zeugenbefragung“ aus „Die Ermittlung“ von Peter Weiss
Gedicht „Ein Dröhnen“ von Paul Celan

NRW: GEW beschließt Resolution zum Gespräch zwischen DGB-Bundesvorstand und Bundeswehrführung am 5. Februar 2013

Der NRW-Gewerkschaftstag der GEW am vergangenen Wochenende positionierte sich klar gegen Kürzungen, Schuldenbremse und die Politik des kleineren Übels. Zudem wurde eine Resolution gegen den Schulterschluss zwischen Sommer und de Maizière verabschiedet werden, die wir im folgenden dokumentieren:

Beschluss des GEW NRW-Gewerkschaftstages vom 11.-13.4.2013 in Wuppertal:

„Zu den deutschen Sicherheitsinteressen gehören (…) einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen. (…) Deutschland ist bereit, (…) zur Wahrung seiner Sicherheit das gesamte Spektrum nationaler Handlungsinstrumente einzusetzen. Dies beinhaltet auch den Einsatz von Streitkräften.“ (Verteidigungspolitische Richtlinien 2011)

Die „Bundeswehr im Einsatz“ betreibt die Fortsetzung der Standortpolitik mit militärischen Mitteln. Dafür werden bewusst massenhaft Tote in Kauf genommen.
Zudem bedeutet die „Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes“ Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Lohndrückerei. Das resultierende Nachfrageproblem und die durch hohe Wochenarbeitszeiten große Arbeitslosigkeit sind strukturelle Ursachen der weltweiten Krise. Durch die Exportorientierung werden andere Staaten systematisch abhängig gemacht.

Die Kriegs- und Standortpolitik ist zynisch und richtet sich gegen die Mehrheit der Bevölkerungen. Deshalb muss gewerkschaftiche Arbeit Opposition dazu sein und konsequent auf internationale Solidarität und die Humanisierung der Lebensbedingungen überall setzen, statt sich zur Legitimierung von Kriegspolitik instrumentalisieren zu lassen. Deshalb fordert der DGB z. B. das Ende der deutschen Beteiligung am Afghanistankrieg, die Einhaltung des Verfassungsgebots, dass die Bundeswehr eine „Verteidigungsarmee“ sei, die Senkung der Rüstungsausgaben sowie das Verbot von Rüstungsexporten in Krisenregionen.

Das Gespräch des DGB-Bundesvorstands mit der Bundeswehrführung hat nicht dazu beigetragen, dies zur Geltung zu bringen, sondern im Gegenteil den Eindruck hinterlassen, als habe es einen „Schulterschluss“ zwischen Bundeswehr und DGB gegeben. Irritierend war auch, dass die Behauptung des Verteidigungsministers, die Bundeswehr sei Teil der „Friedensbewegung“, unwidersprochen blieb.
Es ist richtig, dass die Gewerkschaften rechtsradikalen Umtrieben auch in der Bundeswehr den Kampf ansagen und die Interessen auch von SoldatenInnen und Beschäftigten bei der Bundeswehr vertreten. Das ist in Kooperation mit der Bundeswehr aber nicht möglich, sondern bedeutet gegen sie aufzuklären und zu Opposition innerhalb des Militärbereiches (z.B. das Darmstädter Signal, Arbeitsgruppen zur Rüstungskonvention) zu ermutigen; SoldatInnen und ArbeitnehmerInnen, KriegsdienstverweigererInnen und DeserteurInnen sind (nicht nur juristisch) gegen das Verteidigungsministerium zu unterstützen. Die Arbeitsbedingungen sind ggf. im Arbeitskampf zu verbessern.

Der Gewerkschaftstag der GEW NRW spricht sich gegen die geplante gemeinsame Erklärung von DGB und Verteidigungsministerium aus. Er fordert den DGB auf, sich stattdessen (noch stärker als bisher) für Rüstungskonversion, die Einführung von Zivilklauseln an den Hochschulen und die Aufhebung der Kooperationsvereinbarungen zwischen Bundeswehr und Schulministerien zu engagieren.
Die GEW NRW-Landesvorsitzenden werden aufgefordert, diese Position in den Hauptvorstand der GEW und den DGB-Bezirksvorstand einzubringen.

Resolution als PDF

Via: GEWstudis


Siehe auch:

Gegen die Unterbelichtung der linken Bewegung!

Ich fotografiere seit einigen Jahren unter anderem für das Umbruch Bildarchiv in Berlin. Immer wieder gibt es in Zusammenhang mit Fotos die Diskussion um das Für & Wider des Fotografierens, des Verpixelns eine Auseinandersetzung um einen offensiven Umgang mit Fotos. Dazu haben einige FotografInnen des Umbruch Bildarchivs vor einigen Tagen einen Diskussionsbeitrag veröffentlicht, dem ich mich anschließe und hier mal als Vollzitat bringe:


Seit einiger Zeit häufen sich bei Indymedia und bei indymedia.linksunten Kommentare, die massiv Stimmung gegen linke Fotograf_innen machen. Die Palette reicht von Denunziationen, bestimmte Fotografen seien Handlanger wahlweise des VS/STAATSSCHUTZ/NAZIS, bis hin zu direkten Drohungen. Wir denken, dass es Aufgabe der Moderation wäre, damit umzugehen. Dass sie es nicht tut und derartige Kommentare einfach stehen bleiben, finden wir ein schwaches Bild.

Hintergrund der Geschichte ist der Umgang mit Bildern und Veröffentlichungen. Die Kritik geht dahin, dass einige Fotograf_innen (so auch von Umbruch) auf einem Teil ihrer Bilder die Gesichter nicht verpixelt ins Netz stellen. Warum wir das tun, hat gute Gründe – unsere Position dazu wollen wir im Folgenden etwas ausführlicher darstellen.

Eines vorweg: Wir wollen niemanden gegen ihren/seinen Willen ablichten. Wer auf einem unserer Bilder veröffentlicht ist und das nicht möchte, soll uns bitte eine Email mit der Foto-Nr. schicken, und wir machen sie bzw. ihn unkenntlich. Nur: Von einem generellen Verpixeln halten wir nix. Würde sich das als genereller und künftiger Standard durchsetzen, nähmen wir uns selbst die „Macht der Bilder“.

Erfreulicherweise haben wir die Erfahrung gemacht, dass die meisten Leute die Fotos nicht nur unter Sicherheitsaspekten betrachten, sondern auch offensiv mit ihrer Präsenz auf öffentlichen Demos umgehen. Sie finden es ok, sichtbar zu sein. Bilder leben nun mal davon, dass man nicht nur Transparente, Balken, Rücken und Übersichtsaufnahmen, sondern auch die Akteur_innen dahinter sieht.

Bei der Blockade in der Lausitzer Straße 8 war der halbe Kiez morgens um sieben auf den Beinen. In unserem Bericht darüber haben wir bewusst keine Gesichter verpixelt als offensiver Ausdruck, dass hinter den Protesten gegen die Zwangsräumung der (ganze) Kiez steht. Und das erkennt man nicht, wenn die Menschen auf den Bildern nicht zu erkennen sind (jung und alt und überhaupt). Es ist höchste Zeit, dass sich mehr Menschen an diesen Blockaden beteiligen. Eindrucksvolle Bilder können ein Teil der Mobilisierung für die nächste Blockade sein – oder eben dröge Transparentdokumentation für den eigenen Bauchnabel, wenn man auch dort verpixelt, wo es eigentlich nicht notwendig ist.

Bei den Oury Jalloh Demos gibt es auf ausdrücklichen Wunsch der Flüchtlingsbewegung seit Jahren die Tradition, die Gesichter nicht zu verpixeln. Dadurch, dass die Bewegung für Oury Jalloh über acht Jahre hinweg so offensiv aufgetreten ist und sich nie jemand groß darum geschert hat, ob das vielleicht irgendwie negative Konsequenzen haben könnte, ist die Kampagne erfolgreich gewesen. Auch deshalb sind wir jetzt an dem Punkt, das es kaum noch jemand in Deutschland gibt, der den Namen Oury Jalloh noch nie gehört hat, und dass sich die B. das nächste Mal gut überlegen werden, ob sie weiterhin Flüchtlinge in Zellen quälen.

Das sind nur zwei Beispiele von vielen. Der kleine, aber deutliche Unterschied auf den veröffentlichten Fotos ist, das die Power und Entschlossenheit der Kämpfenden zu sehen und auch zu spüren ist.

Durch dieses offensive Auftreten sind die Menschen klar zu erkennen und von daher kann es zum Konflikt mit dem persönlichen Sicherheitsbedürfnis kommen. Ja, es gibt dieses Phänomen, das nicht alles sicher ist und wir tragen dazu bei, klipp und klar gesagt. Wir geben uns zwar Mühe und es gibt auch oft Diskussionen um dieses Thema, aber auch wir können keine absolute Sicherheit garantieren. Wir handeln offensiv und möglichst sichtbar für die fotografierten Menschen, schiessen nicht aus der Hüfte und auch nicht mit dem Super-Tele. Mehrere von uns verfolgen die Aktionen über lange Zeiträume und kennen die Akteure, so dass wir besser einschätzen, bzw. im Zweifelsfall nachfragen können, ob sie bei Nahaufnahmen mit einer Veröffentlichung einverstanden sind.

Wir denken, es ist gut Gesichter im Widerstand abzubilden, denn wir finden Menschengesichter im Widerstand haben für uns die spannendste und schönste Magie. Wir sind sozusagen auf der Suche nach dem Foto mit den Menschen genau mit diesem ungebrochenen Willen, Dinge zum menschlichen hin zu wandeln, die in eine unmenschliche Bahn geworfen sind. Dabei sind wir ebenso Akteure und teilen diese Lust am Widerstand. Oft genug treten wir zwischen die Fronten, haben schon viele Übergriffe verhindert, oder Übergriffe angeklagt und Empörung hervorgerufen und Veränderungen unterstützt. Wenn uns das gelingt, bestärkt uns das. Wir wissen, dass man unsere Gesichter kennt und schon reihenweise fotografiert hat. Wir werden von mehreren Seiten angegriffen im Bewusstsein, dass unsere Berufung nicht die ungefährlichste ist.

Wir versuchen, schon beim fotografieren darauf zu achten, das wir keine Leute gegen ihren Willen aufnehmen. Nicht immer, aber immer öfter fragen wir die Leute direkt, ob sie mit der Veröffentlichung einverstanden sind. Dabei kommt übrigens fast immer Zustimmung und nur selten Ablehnung. Bei den Menschen an Fronttranspis haben wir die Erfahrung gemacht, das sie meist einverstanden sind, erkennbar abgebildet zu werden.

Seit wir Fotos ins Netz stellen (1999) haben wir im Ganzen vielleicht ein Dutzend direkte Beschwerden erhalten von Leuten, die lieber unkenntlich gemacht werden wollten. Das haben wir selbstverständlich respektiert. Unser Konzept ist es, nur dort Leute unkenntlich zu machen, wo eine Gefährdung offensichtlich ist, z.B. bei antifaschistischen Demonstrationen zum Schutz wg. Anti-Antifa oder bei Action-Szenen mit Gefahr möglicher Repression.

Mit Kopfschütteln haben wir zur Kenntnis genommen, das seitens einiger Menschen, die den Polizeikongress ausgewertet haben (siehe  https://linksunten.indymedia.org/de/node/79781) selbst unsere Fotoseite zu Magdeburg als Beispiel herhalten muss als Musterseite für „Fotos für Behörden- und Nazikarteien“ (siehe:  http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/120113magdeburg.html) Außer dem Portrait einer bekannten Antifaschistin, deren Bild bereits in mehreren Tageszeitungen veröffentlicht wurde (und die mit der Veröffentlichung einverstanden war), sind alle anderen Gesichter zwar nicht verpixelt, aber von uns so unscharf gemacht, das sie für „Karteibilder“ schwerlich verwertbar sind. Nach unserer Ansicht gibt es kein Bild, das irgendwen gefährden könnte. Aber gut, vielleicht müssen wir an diesem Punkt tatsächlich umdenken. Wir hatten die Bilder nur unscharf gemacht und nicht gänzlich verpixelt, um dem Sicherheitsbedürfnis der Aktivistinnen wie auch dem Bild gerecht zu werden. Mit entsprechender Software und Aufwand kann man die Gesichter möglicherweise wieder erkennbar machen. Wir hätten gerne eine Meinung von mehr AktivistInnen dazu, ob sie Bilder wie die, die wir zu Magdeburg veröffentlich haben, als Gefährdung ansehen? Unabhängig davon werden wir bei Berichten über Antifa-Aktionen das in Zukunft noch konsequenter handhaben. Wenn es nicht die ausdrückliche Zustimmung der Akteur_innen gibt, werden wir die Gesichter vollständig verpixeln.

Ein Hintergrund, warum die Diskussion um das Verpixeln an Schärfe zugenommen hat, sind sicherlich die jüngsten Durchsuchungen bei etlichen Fotografen in Berlin und anderswo. Der formale Anlass hierzu war eine militante Demo Ende März letzten Jahres in Frankfurt/Main. Die Staatsgewalt war auf der Suche nach Beweismitteln und nach konkreten Menschen, die an einer Körperverletzung eines Polizisten beteiligt gewesen sein sollen. Das bei Fotos von solchen Szenen höchste Vorsicht angebracht ist, ist eine Selbstverständlichkeit. Wir gehen damit so um, das wir schon beim Fotografieren darauf achten, möglichst keine strafrechtlich verfänglichen Aufnahmen zu machen, oder später sichtbar gefährdende Fotos im Zweifelsfall eher zu löschen als sie auf unserer Festplatte zu haben. Bislang ist uns zudem nichts bekannt geworden, dass bei den Durchsuchungen tatsächlich das gesuchte belastende Bildmaterial gefunden wurde. Im übrigen sei erwähnt, das es bei den Durchsuchungen besagter Fotografen vermutlich nicht nur um die „offiziell“ gesuchten Fotos ging, sondern – zumindest auch mit darum, Demonstrant_innen ebenso wie Fotograf_innen zu verunsichern und letztendlich zu entsolidarisieren. Diesen Spaß sollten wir ihnen nicht gönnen.

Das die Durchsuchungen trotzdem erst einmal Verunsicherung auslösen, weil dabei vermutlich auch jede Menge anderes Material beschlagnahmt und durchgeschaut wurde, können wir nachvollziehen und sehen das auch als Problem an. Daraus allerdings den Schluss zu ziehen, die Schere im Kopf zuzulassen und auch unverfängliche Bilder wie von der angemeldeten Kundgebung gegen die Zwangsräumung in Reinickendorf siehe:  http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/270213zwangsraeumung.html nicht mehr zu veröffentlichen, finden wir schlichtweg zu defensiv.

Versteht uns nicht falsch: Wir sind nicht für einen laxen Umgang mit Fotos. Bei zunehmender Überwachung, neueren Gesichtserkennungstechnologien und einem deutlich präsenteren filmenden Polizeiapparat als vor Jahren sowie unzähligen Youtube-Videos halten wir die Auseinandersetzung zum Umgang mit Bildveröffentlichungen für sinnvoll.

Wir wehren uns jedoch dagegen, dass von Einigen bei dieser Diskussion alles in einem Topf geworfen wird. Sie tun so, als ob es gleich gefährlich wäre, Bilder von einer militanten Demo oder einer harmlosen Kundgebung ins Netz zu stellen. Konkret: Wenn es darum geht, eine nicht angemeldete Demo, wie die gegen den Polizeikongress durchzusetzen, hat der Schutz der Akteure eindeutig Vorrang vor dem Interesse der FotografInnen, die Aktion zu dokumentieren. Wir fanden gut, dass der Wunsch nicht zu fotografieren auch schon vor der Demo kommuniziert wurde. Bei den meisten anderen öffentlichen Demos und Kundgebungen gibt es diese Notwendigkeit nicht.

Wir sind offen für Kritik und eine lebendige Diskussion. Probieren wir aus, ob auch hier bei Indymedia und indymedia.linksunten eine solidarische Auseinandersetzung möglich ist.

In diesem Sinne: offensiv gegen die Unterbelichtung der linken Bewegung.

Fotograf_innen aus dem Umbruch Bildarchiv

Offener Brief des DGB AK Tübingen und des Friedensplenum/Antikriegsbündnis Tübingen

Zum Schulterschluss des DGB Vorsitzendem Michael Sommer mit Verteidigungsminister de Maizière (siehe hier und hier) dokumentieren wir den Brief des DGB AK Tübingen und des Friedensplenum/Antikriegsbündnis Tübingen:

Lieber Michael Sommer,
lieber Kollege,

Wir sind erstaunt, ja entsetzt darüber, dass Du auf eigene Initiative den Verteidigungsminister de Maizière zu einem Gespräch eingeladen hast. Das Gespräch mit dem Verteidigungsminister hatte das Ziel "eine gemeinsame Erklärung von Bundeswehr und Gewerkschaften zu erarbeiten".

Unserer Überzeugung nach kann und darf es aber keine Gemeinsamkeiten mit Lothar de Maizière und seiner Bundeswehrpolitik geben!

Wir, die Unterzeichnenden, sind mehrheitlich sowohl in einer Gewerkschaft organisiert als auch in der Friedensbewegung engagiert. Wir lehnen jegliche Beteiligung Deutschlands an militärischen Auslandseinsätzen ab und kritisieren die Aufrüstung Deutschlands generell. Dem DGB-AK der Universitätsstadt Tübingen ist die friedliche, zivile Ausrichtung von Lehre, Forschung und Studium an unserer Universität ein besonderes Anliegen, das wir auch auf Maikundgebungen thematisieren. Wir berufen uns dabei auf das Grundgesetz und auf die antimilitaristischen Traditionen des DGB. Der Aussage de Maizières, "die Bundeswehr ist Teil der Friedensbewegung" gehört eine eindeutige Absage erteilt. Der Friedensbegriff darf nicht durch den Kriegsminister vereinnahmt werden!

Die sogenannte "ideologische Grundsatzdebatte" über die Militarisierung der deutschen Gesellschaft und der deutschen Außenpolitik ist deshalb heute dringend nötiger denn je - gerade in den Gewerkschaften. Wir von der Friedensbewegung (die wir zu großen Teilen ja auch in den Gewerkschaften organisiert sind) werden auch in Zukunft nicht zulassen, dass der Versuch einer militaristischen Vereinnahmung unserer Gewerkschaften als "Überwindung des Geists der 70er Jahre" verharmlost wird.

Wie steht es mit der Rüstungskonversion? Dein Anliegen, "die Soldaten anständig auszurüsten" führt in die falsche Richtung. Es ist ein Plädoyer für die Rüstungsproduktion und Kriegsangriff. Wer die Soldaten liebt, schickt sie nachhause! In Kriegen leidet doch auch die Zivilbevölkerung. Wo bleibt da die internationale Solidarität des DGB? Wie steht es mit der Kriegsökonomie, die Unsummen der öffentlichen Gelder verschlingt während in den Bereichen der sozialen Versorgung immer größere Löcher geschlagen werden? Eine "anständige Ausrüstung" z.B. für Krankenhauspersonal, für LehrerInnen (ohne das unerwünschte Hilfspersonal der Jugendoffiziere), für Sozialberufe (ohne Rückgriff aufs Ehrenamt) u.s.w. ist vordringlicher als die Sorge um die Ausrüstung der Soldaten. Die beste Ausrüstung sind zivile Arbeitsplätze statt Auslandseinsätze!

Dieses Jahr werden wir gemeinsam am Ostermarsch teilnehmen unter dem Motto "Zukunft braucht Frieden - Schluß mit der Kriegspolitik!" Auch eine VertreterIn des DGB wird als RednerIn einen Beitrag halten. Wir empfinden es als vorsätzliche Missachtung von uns als friedensbewegter Basis, wenn Du in unserem Namen den Schulterschluss zum Minister der deutschen Kriegspolitik suchst.

Mit kollegialem Gruß
DGB-Arbeitskreis Tübingen und Tübinger Friedensplenum/Antikriegsbündnis
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