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Chauvi - SPIEGELS Spanienblick: Lauter Billigmacher und Irre!

Der SPIEGEL startet eine neue Serie. Umfassender Blick über die Südländer. Als erstes ist Spanien dran. Erst mal leiten drei Artikel ein, mit mehr oder weniger unverbindlichen theoretischen Floskeln. Dann aber der Clou! Es wird ein echter Spanier ins lange verlassene Heimatland geschickt, um ganz authentisch zu berichten, wie alles dort läuft. Gottseidank weiß er schon im dritten Absatz, was bei seiner Forschung herauszukommen hat: "Dass man nun mal keine ernstzunehmende Wirtschaft hat, wenn sie auf Sonne und Orangen und das Zubetonieren der Mittelmeerküste gründet.Dass spanische Fußballvereine keine 750 Millionen dem Finanzamt schulden sollten? Dass sich Spaniens Schüler laut jüngster Pisa-Studie nicht verbesserten, trotz der Rekord-Steuereinnahmen vor der Krise." (SPIEGEL-Print Nr. 31/S.56: Artikel :"Mein fremdes Land").

Der erste Arme, auf den der Heimkehrer in Spanien trifft, ist Panglador. Einer, den die Bank Bankia aus seiner Wohnung geworfen hat, weil er die Finanzierungsraten nach Arbeitslosigkeit nicht mehr aufbrachte. Er will jetzt mit ein paar anderen die Bankfiliale in Barcelona stürmen. Peinlich - er läutet. Nichts regt sich an der Eingangstür. Er zieht sich zurück. Kommentar des heimgekehrten Spaniers, ganz deutsch gedacht: "Es gibt keine Privatinsolvenz in Spanien. Panlador wird die 242000 Euro Schulden behalten, solange er lebt" (ebd). Eine Seite weiter bei einem Hausbesetzer die gleiche Nebenbemerkung. "Es gibt kein Hartz IV in Spanien"> (ebd). Also auch keinen Kündigungsschutz und keinen Wohnkostenzuschuss für Arbeitslose.

Auf diese Mängel führt der Autor des SPIEGEL aber nichts zurück. Für ihn ist Spanien das Land, in welchem vor ein paar Jahren der Irrsinn ausgebrochen ist. Es wird nicht gespart mit als Feststellung gemeinten Unterstellungen. "Wahnsinn" "Irre". Es muss eine Art kollektiver Geisteskrankheit gegeben haben, die eine Bank dazu brachte, einem eine Viertelmillion zu leihen, der nur 950€ im Monat verdiente. Also ist niemand schuld. Oder alle.
Der Mangel an Gesetzen zum Schutz der kleinen Mieter, der Lohnabhängigen und der einfach Armen spielt für diesen Autor keine Rolle. Dabei ist nach den Erfahrungen anderer Länder, denen die Troika zusetzt, ja klar, dass eben solche Sozialgarantien als erste dran glauben, wenn ein Land vorzeigen muss, dass es wirklich opfert. Die ärmsten am gründlichsten gerupft.

Die Klage über die schlechten Leistungen in der Schule ist Gemeingut. Keinesfalls auf Spanien beschränkt. Jedenfalls können die Schulen nicht daran schuld sein, wenn Abiturienten und Universitätsabgänger ihre Qualifikation verbergen müssen, um nicht als überqualifiziert abgelehnt zu werden. Dann heißt das doch nur, dass neben dem Geld und dem etwa erarbeiteten Vermögen auch die Bildungsgarantien in Form von Zeugnissen genau so ihren Wert verlieren. Wieviel oder wie wenig Wissen auch dahintersteckt.

Schlaumeiers Schlussbilanz: "Vielleicht erkennt das Land /Spanien/, dass es keine Abkürzungen gibt nach Europa, keine smarten Tricks. Einfach eine harte Währung einführen, Dutzende Flughäfen, Zugtrassen und Golfplätze, und alle kaufen sich einen A6, das funktioniert nicht. Der Weg ist mühsam und bekannt. Am Anfang stehen Bildung, Forschung, die Förderung von Gründern. Die Spanier können das alles, sie sind ein großartiges Volk, mein Volk, aber die Krise hat ihnen gezeigt, wo sie stehen. Am Rand Europas, nicht im Zentrum. Der Immobilienboom, das billige Geld, die Euphorie haben sie verführt. Nicht, weil sie schlecht oder faul wären, sondern weil sie Menschen sind." (ebd. Seite 60)

Variante Schleckermaul von "Die haben über ihre Verhältnisse gelebt". Tischtrommeln an jedem denkbaren Stammtisch.

Genau, so war es. Als die Banken der arrivierteren Länder Europas den Euro erfunden hatten, da verbreiteten sie zugleich ein trübes Licht über alle, die keine Kredite wollten. Damals galten solche als verstockte Hockenbleiber, die einfach nicht aus der Höhle wollten. Kraftvolle Mitmacher hießen damals die, die heute sich laut SPIEGEL einzugestehen haben, dass sie sich nur einschleichen wollten bei den reicheren Nachbarn.

Eine wirkliche Diskussionshilfe !

Was mir heute wichtig erscheint #316

Hauptkampflinie: "Die rebellische Kritik am System Putin in einer russischen Kapelle machte die bis dato völlig unbekannte Punkband Pussy Riot im Westen auf einen Schlag zu Helden. Die Medien nutzen die Gelegenheit, um die russische Junta an den Pranger zu stellen, während in der westlichen Hemisphäre mit Julian Assange die eigenen Dissidenten verfolgt werden. Mit zweierlei Maß. (...)" Lesens- und vor allem bedenkenswerter Beitrag von Sebastian Müller "über den medialen Umgang mit Pussy Riot und Assange".

Sündenböcke: In Luzern wurde eine Ausgangssperre für Asylsuchende ab 22:00 Uhr beschlossen. Menschen werden aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion öffentlich angeprangert und schikaniert. Sie werden als Gruppe verurteilt und nicht mehr als die Individuen wahrgenommen, die sie eigentlich sind. Sie sind keine Menschen sondern Fremde. Durch die Diskussionen im Nationalrat zum Thema Nothilfe oder die Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“, welche von der SVP im Februar dieses Jahres eingereicht wurde, wird diese Haltung noch verstärkt. Deshalb organisiert das "Bündnis 6. Oktober" in Luzern eine Demonstration unter dem Motto: „Bleiberecht für alle.“ Mehr bei Lagota

Metaphorisch: Schland!

Lauschangriff: "Die USA bauen in der Wüste von Utah ein gigantisches Spionagezentrum. Dort können weltweit alle E-Mails, Telefonate, Google-Suchanfragen, Reiserouten und Buchkäufe gesammelt und ausgewertet werden." Christiane Schulzki-Haddouti in der Welt: Die Zukunft des Lauschens, via Netzpolitik.

Inlandseinsatz: Militärische Einsätze der Bundeswehr im Inneren sind auch in Friedenszeiten nicht mehr ausgeschlossen, so der öffentlich gemachte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Mehr bei der Tageszeitung junge Welt.

Weltrekord: In Finnland - einem Land, das dafür bekannt ist, sich für die eine oder andere skurrile Sportart zu begeistern - fand am vergangenen Samstag die diesjährige Weltmeisterschaft im Handy-Werfen statt. Dabei stellte der Sieger, der 18-jährige Finne Ere Karjalainen, einen neuen Weiten-Rekord auf. Mehr bei gulli.

Klassenstandpunkt: "Von den Anarchisten lernen, heißt siegen lernen." Porträt des Ethnologen David Graeber.

Aufgetaucht: Von 2001 bis Anfang 2007 gab es in München ein Medienprojekt namens "indynews.net", das als Nachrichten- und Terminportal für die linke Szene zu Verfügung stand. Im Mai 2007 stellte das Projekt nach den Razzien gegen linke Büros und Aktivist_innen anlässlich der Mobilisierung gegen Sicherheitskonferenz und G8-Gipfel im Januar den Betrieb endgültig ein. Nun ist ein Backup aufgetacht, mehr bei luzi-m.

Retrospektive: Die „Tage von Genua“ im Sommer 2001 haben wie kaum ein anderes Ereignis der jüngeren „Bewegungsgeschichte“ Spuren in der linken Erinnerung hinterlassen – nicht nur bei denjenigen, die damals auf den Straßen waren, sondern ebenso bei den vielen anderen, die sich einer radikalen antikapitalistischen Linken verbunden fühlen. Zehn Jahre später, im Sommer 2011, beschäftigte uns besonders die Frage, wie sich Bewegungsgeschichte vermitteln lässt. Wie können Erfahrungen vermittelt werden, damit die Erinnerung nicht ausschließlich aus den wirkungsmächtigen Bildern in unseren Köpfen besteht, die die Erkenntnis über die Tragweite der Ereignisse und deren Folgen oftmals zu verstellen drohen? Mehr in der arranca! Nr. 45.

Abgelehnt: Die Regierung der USA hat erklärt, dass sie das diplomatische Asyl nicht anerkennt, das Ecuador Wikileaks-Gründer Julian Assange gewährt hat. Dies gab das US-Außenministerium bekannt. Mehr bei amerika21, siehe auch das Dossier Wikileaks.

Druckfrisch: Das US-Unternehmen Modern Meadow entwickelt eine Technik, um Fleisch aus einer Biotinte per 3D-Drucker herzustellen. Das Fleisch aus dem Drucker soll eine bessere Ökobilanz haben. Vegan ist das ganz bestimmt nicht. Mehr bei golem.de. Siehe auch den Beitrag Karnismus: die Psychologie des Fleischkonsums bei der Albert Schweitzer Stiftung.

Schmähschrift: So bezeichnete einmal das "Handelsblatt" das "Schwarzbuch Kapitalismus" des vor einem Monat verstorbenen Marxisten Robert Kurz "Der Kapitalismus treibt auf eine ausweglose Situation zu. Der Lebensstandard breiter Bevölke-rungsschichten sinkt, die Arbeitslosigkeit nimmt zu, der Ausweg in die Dienstleistungsgesellschaft erweist sich als Illusion. Die Marktwirtschaft wird mit ihren Produktivitätssprüngen - Automation und Globalisierung - nicht mehr fertig. In einer Analyse der drei großen industriellen Revolutionen zeichnet Robert Kurz die Geschichte des Kapitalismus nach und zeigt gleichzeitig, dass die bisherigen Gegenentwürfe das Wesen der Marktwirtschaft unangetastet ließen. Er macht deutlich, weshalb die Wachstumsdynamik der letzten 200 Jahre zwangsläufig erlischt und warum das bisherige System von Arbeit, Geldeinkommen und Warenkonsum nicht mehr zu retten ist. (...)"

Protestmarsch: Am 8. September starten Fluechtlinge aus ganz Deutschland von Wuerzburg aus einen Protestmarsch nach Berlin, um fuer bessere Lebensbedingungen zu demonstrieren. Sie fordern die Abschaffung der Residenzpflicht, der Essenspakete, der Lagerpflicht, das Ende von Arbeits- und Ausbildungsverbot, eine schnellere Bearbeitung der Asylverfahren und einen Abschiebestopp.

Umtriebig: Der 1878 in Berlin geborene Apothekersohn Erich Mühsam wuchs in Lübeck auf, flog dort wegen „sozialistischer Umtriebe” von der Schule, lernte auf Druck seines Vaters Apotheker, zog nach Berlin, wurde Schriftsteller und kam dort in anarchistische Kreise. Seine vielfache revolutionäre Tätigkeit brachte ihm manche Haftstrafe ein, unter anderem wegen seiner Beteiligung an der Münchner Räterepublik. Die Nazis ermordeten ihn 1934 im KZ Oranienburg. Vortrag "Erich Mühsam: Ein Leben für die Revolution" von Johannes K.F. Schmidt.

Rassistisch: Die extreme Rechte in der Türkei bezieht sich – wie entsprechende Organisationen in Deutschland auch – auf mythische Erzählungen wie auch reale historische Erscheinungsformen. „Rasse“, Nation oder Religion sind dabei sich ergänzende Konzepte. Artikel von Emre Arslan in der Lotta.

kritisch-lesen.de Nr. 20: Sommerausgabe

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Wir begegnen den sommerlichen Urlaubsflüchten in dieser Ausgabe nicht mit einem inhaltlichen Schwerpunkt, dafür aber mit einigen Literaturempfehlungen für laue Sommerabende und – wer's klassisch mag und es sich leisten kann – für den Strand. Zu Beginn schreibt Martin Brandt in „Zu bunt fürs Grau" über die biographischen Auseinandersetzungen Ronald Schernikaus mit der zwar kritisierten, aber auch verteidigten Wahlheimat DDR und dem kapitalistischen Nachbarn. Sebastian Kalicha empfiehlt eine Auseinandersetzung mit der progressiven Rap-Lyrik der Linzer Hip-Hop-Combo TEXTA, deren Texte nun in den„TEXTA-Chroniken“ veröffentlicht wurden, denen der Rezensent nicht nur sozialkritische und politische, sondern auch literarische Qualität bescheinigt. Zu wenig an Reflexion bescheinigt Paul Gensler der deutschen Linken und sieht daher in „Die Finkler-Frage“ von Howard Jacobson eine Möglichkeit, den auf Juden und Jüdinnen projizierten Bildern immer kritisch, aber manchmal auch ironisch beziehungsweise sarkastisch zu begegnen und einen Blick auf jüdisches Leben in der Postmoderne zu richten. Einen Blick zurück wirft Tompa Láska in seiner Rezension „Die Entdeckung der Biographie" und beleuchtet dabei verschiedene Lebensabschnitte von Harry Mulisch. Innere Zerissenheit, Angst vor dem was kommt und die Einsicht, dass Menschen sich doch immer auch weiter entwickeln können, sind dabei nur einige Eindrücke die das Buch hinterlässt. Franziska Plau sieht in dem Buch „Begegnungen auf der Trans*fläche“ eine gute Gelegenheit, sich mit dem Alltagsleben von Trans*menschen auseinanderzusetzen, ohne, dass bei den Geschichten des Buches der Humor außen vor gelassen würde. Gerlinde Kirma hat sich dem bereits vor einigen Jahren erschienen autobiographischen Roman„Die kalten Nächte der Kindheit" von Tezer Kiral gewidmet und Jorane Anders hinterfragt mit „Jungfrau“ von Thomas Meinecke religiös fundierte Keuschheit.

Welche unerwarteten Wendungen ein Leben bereithält, zeigt Sebastian Kalicha am Beispiel von Hans und Hedi Schneider. In seiner Rezension „NS-Terrorjustiz as usual" beschreibt er den Weg dieses österreichischen Ehepaares, das wegen einer Lappalie in die Mühlen der NS-Unrechtsjustiz geriet. Philippe Kellermann weist in seiner Besprechung von „Nie wieder Kommunismus?“ darauf hin, dass trotz des sympathischen Anliegens des Buches es dennoch einen ambivalenten Eindruck hinterlässt. Exemplarisch dafür untersucht er insbesondere einen Artikel des Sammelbandes näher. Ismail Küpeli geht mit „Vom Scheitern der Gleichung Europäisierung = Frieden" auf die Suche nach dem Umgang mit dem „Kurdenkonflikt“ vor dem Hintergrund der EU-Annäherung durch die Türkei. Heinz-Jürgen Voß widmet sich mit „Wenn jungen Menschen Hoffnungen genommen werden" der Untersuchung Stefan Wellgrafs der Institution Hauptschule und der „Wertlosigkeit“, die den Schüler_innen in Gesellschaft und Schule immer wieder eingetrichtert wird. Schließlich widmet sich Sebastian Friedrich der „Sprache des Neoliberalismus" anhand des Sammelbands „Imagine Economy“.

Wir wünschen Euch einen schönen Sommer und viel Spaß beim kritischen Lesen in der 20. Ausgabe vom 7. August 2012

Über Freudloses...

Oscar Wilde 1892, Foto: Sarony, Napoleon
"Heutzutage wird sehr viel Unsinn über die Würde der körperlichen Arbeit geschrieben. An der körperlichen Arbeit ist ganz und gar nichts notwendig Würdevolles (...). Es ist geistig und moralisch genommen schimpflich für den Menschen, irgendetwas zu tun, was ihm keine Freude macht, und viele Formen der Arbeit sind ganz freud­lose Beschäftigungen."

Oscar Wilde in seinem Essay "Der Sozialismus und die Seele des Menschen" (1891)
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