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Wahlrechtsentscheid: Dalli, Dalli, Deckelschnecke...

Stimmabgabe an der Wahlurne
Foto: Alexander Hauk / WikiPedia
Der Koalition in Berlin ist es gelungen, die Verfassungsrichter in Karlsruhe mal richtig wütend zu machen. Bisher war das Gericht zwar oft unzufrieden. Begnügte sich aber in der Regel mit Besserungsvorschlägen und Übergangsfristen. Dieses Mal hat das Gericht etwas Seltenes und recht Neues getan. Es hat das von CDU und FDP im Doppel durchgeboxte "verbesserte" Wahlrecht strikt zerrissen. Für ungültig erklärt. Demnach darf zwischen heute und Herbst 2013 nichts mehr Entscheidendes passieren. Zum Beispiel kein endgültiger Hinauswurf von Rösler und seinesgleichen aus der Regierung. Weil dann nämlich kein Neustart möglich wäre. Kein gültiges Wahlrecht mehr zur Verfügung.

Viele Kommentare haben wieder einmal das Wort von der Ohrfeige für die Koalition gebraucht. Das leitet irre. Es handelt sich genaugenommen um einen mächtigen Arschtritt - Richtung vorwärts - für eine verstockte Gruppe von Wesen, die sich in einem Schneckenhaus verkrochen. Nur um nicht aufgeschreckt zu werden. Nur um ihre geliebten Überhangmandate nicht zu gefährden. Was man hat, das hat man. Nicht wahr.

Das Peinliche: Alles was das Gericht jetzt geäußert hat, sagte es schon 2008. Beim letzten Mal. Schon damals war ungefähr allen außerhalb der CDU und FDP aufgefallen, dass die Einrichtung der Überhangmandate zu Verschiebungen in der Zusammensetzung des Bundestags führen musste, die kein Wähler mehr als von ihm gewollt auch nur einschätzen konnte.

Damit war auch damals schon sicher, dass die Abkapselung der herrschenden Partei von allem, was es außerhalb ihrer gab, unmittelbar wählerfeindlich - und demnach demokratiefeindlich war.

Wir haben bekanntlich ein gemischtes Wahlsystem. Das reine Prinzip - wie zum Beispiel in England: Ein Wahlkreis - Eine Stimme - Ein einziger Abgeordneter wurde schon nach der alten Tradition in Deutschland als ungerecht abgelehnt. Weil damit kleine Parteien keine Chancen bekommen. Nicht einmal solche des Einstiegs zu späterem Wachstum.

Andererseits wurde 1949 und danach viel Schrecken verbreitet über die Folgen eines reinen Verhältniswahlrechts wie in der Weimarer Republik. Angeblich soll Hitler hochgekommen sein, weil es so viel kleine Parteien und entsprechend viel Meinungen im Reichstag gab. Dass die Schreckenslegende nicht stimmt, ist längst bekannt. Änderte aber nichts an mehreren Vorsichtsmaßnahmen gegen die Kleinen, um "Regierungsfähigkeit" zu garantieren. Also wurde nachträglich die Fünf-Prozent-Klausel eingeführt - zur Mutlosmachung der Wählerinnen und Wähler von "Radikalen". Und die großen Parteien wurden offen begünstigt.

Immerhin war mit diesen Regelungen noch relative Klarheit geschaffen über die Auswirkungen jeder einzelnen Stimmabgabe bei der Wahl. Die Einzelheiten der Aussage des Gerichts müssen nun nicht so sehr interessieren - warum zum Beispiel wurden immer noch 15 Überhangmandate zugelassen, statt diese Monster endgültig abzuräumen? Wichtig ist nur das augenscheinliche Beispiel des zunehmenden Zerfalls des Zusammenspiels der verschiedenen staatlichen Einrichtungen, wie das Modell der wechselseitigen Kontrolle von Montesquieu sie vorgesehen hatte. Es klappt nichts mehr. Sind wir noch weit vom rumänischen Modell, in dem der aktuelle Regierungschef von einem Tag zum andern dem Verfassungsgericht seine Eingreifmöglichkeiten entzieht? Und doch wirkt auch dort alles so "normal". Es ist nirgends Militär eingerückt, die Parlamentarier entäußern sich im gewöhnlichen Geräusch - nur: von Demokratie im herkömmlichen Sinn kann keine Rede mehr sein.

Dürfen alle gespannt sein, wie die herrschenden Parteien die Zeit bis zu den Herbstwahlen 2013 nutzen, um wenigstens nach außen den Glanz der Vorbild-Demokratie Europas zu retten.

Karlsruhe / CDU: Gemeinde im Glaubenskampf. Petri Hahn fiel tot von der Mauer...

Die Verleugnung des Mappus Petrus
Reproduktion: Sebastien Legrand
Quelle: WikiPedia
Lizenz: Gemeinfrei
Geschlossen verrieten sie den Herrn, dem sie vor ganz kurzer Zeit noch im Gleichschritt gefolgt waren. Es gab nur einen, der das Land betrogen hatte: Mappus. Allenfalls noch seinen Souffleur aus der Bank. Wie hatten sie ihm denn folgen können? Strobl - neuer CDU-Chef klagte am lautesten. Er konnte es nicht fassen. Aber es fasste ihn an.

Und so einer nach dem andern. Als Petrus seinen Herrn verraten hatte, musste der Hahn nur dreimal krähen, um bittere Reue in ihm zu wecken. In Karlsruhe fiel so ein Hahn nach stundenlangem Pflichtalarm erschöpft von der Mauer.  Alles umsonst! Der Ruf verfing nicht mehr.

Kauder, als Tröster und Segensspender eingeflogen, fand das erlösende und befreiende Wort. "Keine Vergangenheitsdiskussion! In die Zukunft schauen!". So - charmant umhüllt - seine Warnung vor dem Nachdenken. Vor dem Denken überhaupt. Denn wie tausend Erklärungen zu entnehmen war, ging es nicht etwa um Auflärung der Vergehen eines Mappus. Das erledigt für uns der Staatsanwalt. Ja keine Vorverurteilung! Worum es wirklich ging? Nur jetzt den Glauben nicht verlieren. Wenn solche wie Mappus, wie allerdings unvermeidlich, in langer Reihe einander nachfolgen, glaubt nach Generationen keiner mehr an die CDU. Vielleicht nicht einmal mehr ans Parlament.

Angesichts aller Hinfälligkeiten und Gefährdungen einigte man sich: Kampf um den Glauben! Je weniger materiell für eine Partei spricht, um so inständiger muss das Glaubensbekenntnis angestimmt werden. Nach allem Verrat - vorwärts zu einem neuen Unvermeidlichen.

20. Juli 1932 / 2012: Wählen ja- aber damit hat sich das Demokratische!

Däubler-Gmelin sinngemäß, um ihre Klage in Karlsruhe gegen den Betonpakt - Fiskalregulierung - zu rechtfertigen: "Wenn das Gesetz durchkommt, wird man noch wählen dürfen. Nur, was dann geschieht - darauf hat man keinerlei Einfluss".

Genau, Frau Minister. Nur in einem Punkt untertrieben: Das alles ist nicht erst in der Zukunft so. Es beschreibt brutal und korrekt die heutige Lage.

Die Abstimmung am 19.07. bot die klassische Illustration. In der Regierungskoalition durfte man sich Motzen risikolos leisten. Überzeugender als alle war aber Steinmeier. Er wetterte erst, dass weder die Kontrolle der Leihgaben an Spanien geklärt sei. Noch die Sitte der Rückzahlung von Darlehen. Und einiges mehr. Nach dem allen stimmte er Merkel feurig zu. Er tat es für Deutschland. Die Grünen folgten. Blieb die LINKE, die wirklich widersprach. Aber das klassische Funktionieren eines Parlaments blieb suspendiert. Ohne das geringste Aufbegehren. Was man sich früher vorstellte: Die Opposition widersetzt sich nach Kräften der Regierung und ihrer Koalition. Davon war nichts mehr wahrzunehmen. Also: Es gibt den Mechanismus des Parlamentarischen nicht mehr. Gelöscht. Und das ohne Präsident oder Staatsstreich. Alles einfach weggelassen.

Demnach wäre die Lage nicht viel anders als 1932. Damals hatte Reichskanzler Papen zwar nie eine Mehrheit, aber dafür einen väterlichen Freund: Reichspräsident v. Hindenburg. Den brachte er nach einem Polizeimassaker im damals preußischen Altona dazu, die preußische Landesregierung nach seiner Allzweckwaffe - $ 48 -des Dienstes zu entheben. v. Papen wurde als Reichskommissar eingesetzt. Die preußische Landesregierung - SPD! - protestierte nur vor Gericht. Gestreikt wurde gar nicht. Damit war die letzte aktionsfähige Regierung beseitigt. Als Hitler dann drankam, war von den Ländern her nichts mehr der neuen Reichsregierung entgegenzusetzen.

Die Wehrunwilligkeit der Linken ermunterte die Bundesgenossen Hitlers außerordentlich. Dazu mussten die nicht einmal ausgepichte Faschisten sein. Als Nationalkonservative begeisterte es sie schon, dass ihre linken Überwinder von 1918 jetzt selber flach lagen.

Wie erlebten LINKE damals das Geschehen? Kaminiski schreibt in der WELTBÜHNE 1932/ Nr.37/S.378 ff über die Chancen eines Widerstandes angesichts der Verfeindung zwischen SPD und KPD. Er kommt zum Ergebnis, dass allenfalls die Oppositionen in beiden Parteien gegen die jeweiligen Vorstände eine Chance hätten. Allerdings sieht er - und das hätte er heute noch einmal wahrgenommen - ein Haupthindernis in der SPD - nämlich in ihrer Grundüberzeugung, Kapital und Arbeit seien damals -1929 ff - in gleicher Stärke hervorgetreten. Insofern könne keine Partei der anderen viel abgewinnen. Damit hätte das Proletariat die größte Chance für allmählichen Aufstieg. Da das nach dem Preußenschlag Papens mit dem besten Willen nicht mehr zu behaupten war, wurde die alte Theorie einfach "weggelassen". "Vergeblich" - wertet Kaminski aus - "sucht man in den Organen der Sozialdemokratie nach einem Wort der Rechtfertigung ihrer bisherigen Politik" (S. 380 ebd).

Das trifft. Nur eines wäre noch zu klären: Wenn es mit den Parlamenten in ganz Europa nach freiem Willen so steht wie 1932 unter Zwang - warum sich dann überhaupt für etwas wehren, das ohnedies nur noch der Schau dient? Der Fiskalpakt wird europaweit den Völkern über die Rübe gehauen. Und manche bitten um Nachschlag.Und stimmen zu. Wieso dann Streiks,Demos und Waffenvorbereitung?

Antwort: Um den Willen der Mehrheiten durchzusetzen, reicht es nicht, Parlamente der heutigen Funktionsart beizubehalten. Da bekommst Du nie mehr als Durchsetzung des Willens der Märkte. Die Schlaftablette, ohne die der Kapitalismus nicht mehr weiterschnarcht.

Festgehalten an der formalen Existenz der Parlamente muss, wie der Vorausblick von 1932 in der Erinnerung zeigt, nicht so sehr wegen deren Durchsetzungskraft. Sondern wegen ihrer Hemmungsmöglichkeiten. Wie schwach der Wille dazu auch ausgeprägt sein mag, eine Volksvertretung liegt trotz allem immer noch quer zu allen Diktaturgelüsten. Und wäre es nur deshalb, weil Abgeordnete und parlamentarische Angestellte und Beamte an ihren Posten hängen. Dass sie die unter noch schärferem Zugriff als dem Papens verlieren könnten, hätten auch damals viele zugegeben. Wenn sonst schon sehr matt im Kreuze.

Deshalb allein wären solche Einrichtungen der Rettung wert. Nicht ohne kräftigste Ermunterung durch außerparlamentarische Bewegungen für die Reste im Parlament, die noch Auflehnungsnotwendigkeiten in sich verspüren.

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