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"Der Rechte Rand" Nr. 137 erschienen: 20. Jahrestag rassistische Pogrome

Titelseite DRR #137
Tausende Menschen beteiligten sich vor 20 Jahren, im August 1992, an den rassistischen Ausschreitungen gegen Flüchtlinge in Rostock-Lichtenhagen. Fünf Tage lang dauerte die Gewaltorgie, ohne dass Polizei oder Politik eingriffen. Wenige Ereignisse der frühen 1990er Jahre verdeutlichen so offensichtlich die rassistische Stimmung jener Zeit, die sich in Gewalttaten, Übergriffen und Morden äußerte.

Das antifaschistische Magazin „der rechte rand“ widmet dem 20. Jahrestags der rassistischen Pogrome von Rostock-Lichtenhagen und Mannheim-Schönau den Schwerpunkt des heute erscheinenden Heftes Nummer 137 / 2012.

Andreas Speit (Text) und Mark Mühlhaus (Foto) fuhren in den Rostocker Stadtteil und verschafften sich vor Ort einen Eindruck davon, welche Erinnerungen heute noch vorhanden sind. Kai Budler beschreibt, was aus den Tätern wurde und zeigt, dass die massive Gewalt, die auch Tote in Kauf nahm, bis heute kaum geahndet wurde. Die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen läuteten ein Jahrzehnt neonazistischer Mobilisierung ein, dessen Ursachen, Verlauf und Folgen bis heute unaufgearbeitet sind, wie Liane Richter und Klaus Niebuhr zeigen. Rechte Gewalt gab es nicht nur im Osten Deutschlands. Anhand des rassistischen Pogroms von Mannheim-Schönau zeigt Matthias Möller, dass es eben auch im Westen offene, von größeren Menschenmengen getragene Angriffe gab. Im Gespräch mit AntifaschistInnen unterschiedlicher Generationen geht „der rechte rand“ der Frage nach, welche Bedeutungen die rassistischen Pogrome für die antifaschistisch und antirassistische Politik gestern und heute hat.

In dieser rassistisch und nationalistisch aufgeladenen Atmosphäre der frühen 1990er Jahre politisierten sich auch die späteren Mitglieder des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Auch das ist natürlich wieder Thema: So fragt Ernst Kovahl in seinem Beitrag „Der Tiefe Staat?“ nach Verknüpfungen zwischen Inlandsgeheimdienst und Neonazi-Szene. Martina Renner und Paul Wellsow werfen einen Blick auf die Thüringer Schlapphüte unter dem Skandal-Präsidenten Helmut Roewer und eine seit November 2011 in jedem Heft fortgeschriebene Chronik dokumentiert die Entwicklungen rund um den NSU.

Auch internationale Themen sind wieder im Heft. Carolin Philipp zeigt, dass die extreme Rechte in Griechenland im Aufwind ist, und Dimitris Parsanoglou von der „Panteion Universität“ beschreibt im Interview die erschreckende Dimension rassistischer Verfolgung von MigrantInnen in dem Land.

Weitere Themen sind u.a.:

• Der Streit in der „Deutschen Burschenschaft“ über den rechten Kurs
• Saison-Start für Neonazi-Festivals
• Neonazis in Gera und Ostthüringen
• Insel – ein Dorf im Zwielicht
• Anti-Antifa in Berlin, Dortmunder Neonazis vor Gericht
• der Prozess gegen »Sturm 34« verurteilt
• rechter Hiphop in Polen sowie die extreme Rechte in den Niederlanden und Kroatien.

„der rechte rand“ Nr. 137 / 2012 ist für 3,- Euro im Buchhandel und Infoläden oder für 18,- Euro im Abonnement zu haben. Bestellen? www.der-rechte-rand.de

kostenlose Downloads unter www.der-rechte-rand.de:
• Aktuelle Ausgabe 137 als preview
• Schwerpunktheft 143 NSU/VS

Neuerung: Uhl als Nachtigall

1984 war gestern...
"Dem einen sin uhl is dem annern sin Nachtegal" hieß es im abgemilderten Stammtischgespräch früher. Und das war nur eine Variante der tausendfach wiederholten Relativismus-Stories. "Die schönste Frau könnte einen Affen nicht verführen" hieß es schon bei den griechischen Sophisten.

Hier ist jetzt eine Neuerung eingeführt worden. Uhl, Abgeordneter der CDU aus Baden-Württemberg, trat im FOCUS mannhaft hervor und begründete, dass das neue Auskunftsgesetz für Meldeämter äußerst sinnvoll konstruiert worden sei. Erst abfragen bei den Betroffenen, ob die Adresse weitergegeben werden dürfe, komme die personell ausgepowerten Meldeämter zu teuer.

Bis zu diesem Bekenntnis war man allgemein der Meinung gewesen, im Bundestag habe der verbliebene Rest von dreißig Mann und Frau im Halbschlaf herumgehangen, während die aktiveren wie wir alle vor der Glotze hingen, bis sie enttäuscht vernehmen mussten, dass Deutschland doch nicht Meister wurde. Das hätte zwar immer noch peinlich geklungen, aber immerhin nachvollziehbar als allgemeine Schwäche.

Nun hat sich aber herausgestellt, dass die Sache Tage vorher abgekartet worden war. Unter Federführung von unserem Uhl, aber unter Mitwirkung mehrerer Mitwisser. Und dass die Pointe der Adressenweitergabe darin lag, dass schon einmal preisgegebene Privatadressen durch kein Mittel mehr den Interessenten entrissen werden könnten. Da jeder schon mal buchbestellt hat oder Preisausschreiben unterstützt, wären damit ohne weiteres alle Bürgerinnen und Bürger des Landes ablieferungspflichtig geworden.

Die Praxis ist bekannt. Lange vor Merkel wurde das Wichtigste öfter in einer Nebenbemerkung versteckt. Bedenklichstes Beispiel: Die Strafverfolgung der vielen an NS-Verbrechen Beteiligten wurde in den sechziger Jahren verhindert, als in einer Nebenbemerkung zur Strafbarkeit "Unterstützung" und "Beihilfe zu" Verbrechen amnsetiert wurden .Da nach damaliger Auffassung Hitler, Himmler und mehrere schon Dahingegangene allein "Täter" waren, galten sämtliche Überlebende Verdächtige nun auf jeden Fall als amnestiert und entkamen der Strafverfolgung. Bis man die Folgen wahrnahm, war es für jede Änderung zu spät.

Im Vergleich dazu handelt es sich dieses Mal nur um ein Ärgernis. Aber klar sollte sein: Eine bestimmte Gruppe von Leuten halten Uhl heute wirklich für eine Nachtigall:die Adressenhändler. Er müsste, wenn alles so stimmt, ihnen unauffällig Einträgliches zugedacht haben. Darüber hinaus macht die lautlose Entscheidung aber auf eines aufmerksam: jeder Regierungsbürokratie ist das Parlament eigentlich lästig. Und jede deshalb großer Freund der Beschleunigung.Und der Blitzentscheidung in Zeiten, in denen die Aufmerksamkeit abgeschaltet ist.

Verena Becker: Sargdeckel zugeschweisst!

Verena Becker hat ihr Fett weg.Zu Lebzeiten schon aus jeder Diskussion ausgeschlossen. Die Verurteilung erfolgte der Zeitdauer nach milde (im Verhältnis zur früheren Praxis), der Begründung nach aus purer Verteidigung früherer Sprüche. Das zeigte die richterliche Rüge des Nebenklägers in der Begründung. Man hätte an Bubacks Verbissenheit herumnörgeln können, nun gerade Verena Becker zur Haupttäterin erheben zu wollen. Was zumindest unbewiesen und unbeweisbar blieb. Gerügt wurde vor allem aber Bubacks wirkliche Erkenntnis, dass bei den ersten Urteilen gegen die RAF überhaupt keine Überlegungen über den jeweiligen Beitrag zur Tat angestellt oder zugelassen wurden. Sondern nach dem Prinzip verfahren wurde: dabei war er auf jeden Fall - also 15 Jahre. Wie wäre es sonst zu erklären, dass die ursprünglich als Tatbeteiligte Verurteilten samt und sonders als nicht mehr primärverantwortlich ausgeschieden werden mussten. In der Aufdeckung dieses Umstands besteht der bleibende Erkenntniswert von Bubacks Buch. An der Besprechung seinerzeit ist nichts zurückzunehmen.

Die Begründung des Urteils gegen Verena Becker selbst steht genau auf den sehr wackligen Füßen der Verteidigung des Staates in all seinen Erscheinungsformen. Hier des inzwischen stark zu vermutenden Zusammenspiels von Verfassungsschutz und Gerichtswesen. Buback wurde vorgeworfen: Er hätte rechtschaffene Beamte verdächtigt und beleidigt. Peinlicherweise nimmt inzwischen auch die konservative Presse die Behauptungen Bubacks als wahr an. Dass nämlich Verena Becker dem Verfassungsschutz nach langer Zermürbung einiges offenbarte und dafür Vergünstigungen erhielt.

Die Technik der Auflösung hergebrachter Begriffe musste die Urteilsbegründung bestimmen. Weil Frau Becker im Fall Buback - Attentat selbst einfach nichts Greifbares vorzuhalten war. Die Verurteilung wegen der  Schießerei nach der Tat war ja gerichtlich schon abgeschlossen worden. Deshalb musste "Beihilfe" her. Darunter verstand man in klarer denkenden Zeiten zum Beispiel die Bereitstellung eines Fluchtfahrzeugs beim Banküberfall. Es musste sich also um eine materielle Hilfeleistung z.B. durch Geld, Werkzeuge, allenfalls Aufzeichnung von Fluchtwegen handeln. Die "Beihilfe" Beckers zum Buback - Attentat soll laut Gericht aber ausschließlich in einer Meinungsäußerung bestanden habe:ja, das Attentat sei notwendig und nicht aufzuschieben. Ich bin nicht juristisch bewandert genug, um in der Eile herauszubekommen, seit wann diese Interpretation von "Beihilfe" sich durchgesetzt hat. Weiter verbreitet, hätte sie jedenfalls die bedenklichsten Folgen. Dann wäre auch eine Meinungsäußerung in einer Zeitung oder einem Blog ein genau so ins Gewicht fallender Tatbeitrag. Nicht nur Ausdruck einer Meinung zur Berechtigung oder Notwendigkeit der Tat selbst. Bei den Anklagen gegen Inge Viett wegen ihrer Ansprache in Berlin waren offenbar schon Denker dieses neuen Stils am Werk. Die Konstruktion, die Erwähnung der Abfackelungen von Militärfahrzeugen durch die Rednerin hätte unschlüssige Linke zur Tat bewogen und sei deshalb "Anstiftung zu einer Straftat" - wenn nicht gar "Beihilfe" - liegt ganz auf dieser Linie.

Eine schwarz-humoristische Pointe zum Schluß: Die Erkenntnis über die "beihelfenden" Redebeiträge Beckers kann eigentlich nur von einem Zeugen stammen:dem allzeit auskunftsbereiten Boock. Dieser wegen Falschaussagen schon mindestens einmal zurückgewiesene Rechtsfreund wurde im Prozess als Meister der Glaubwürdigkeit rehabilitiert. Wie hell leuchtete seine Wahrheitsliebe gegenüber den finsteren Nebengedanken eines Buback!

Ergebnis: Das relativ milde Urteil dem Strafmaß nach darf nicht dazu verführen, all den Lobrednern einer inzwischen eingetretenen Mäßigung der Staatszugriffe Recht zu geben. Es war ein Fehler der früheren RAF-Erklärer gewesen, anzunehmen, die Selbstdarstellung des SPDCDU - Staates als friedliebender durchgestylter Rechtsstaat schließe einzelne Gewalttaten aus. Wie die gegenwärtige Berichterstattung zeigt, stößt die Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit Becker - möglicherweise schon vor dem Buback-Attentat - in der bürgerlichen Presse kaum noch auf Kritik. In Notzeiten muss der Staat auch mit Terroristen zusammenarbeiten - mitgedacht: wie derzeit mit bekennenden Nazis. Wird die Not nur blutig genug dargestellt, gilt auch für den Staat von 2012 alles als erlaubt. Wenn nur nachher die Decke über dem Operationstisch anständig zurechtgezogen wird.

Verfassungsschutz: Sein Name ist das erste Verbrechen

Otto John, der erste Vorsitzende des Vereins, war auch das erste Reinigungsopfer. Herr Fromm, der sich heute Friedrich zur Ausmerzung preisgab, wird nicht der letzte gewesen sein.

Immer wieder neu der Versuch, die Verfassung von geheimnisvollen Verunreinigern freizuklopfen. In allen möglichen anderen Staaten werden von den Diensten wahrscheinlich größere Verbrechen begangen. Aber sie heißen dort wahrheitsgemäß "Geheimdienst" oder ähnlich. Und dienen offenherzig der Machterhaltung ihres Staates.

Bei uns dagegen wurde bei der Gründung schon ein Mönchsorden hinzuerfunden. Die Verfassung - Menschenwerk - war natürlich allseitig bedroht - von Verfall und unerwarteten Folgen vielleicht ganz anders gemeinter Aktionen. Dagegen war einzuschreiten. Unweigerlich trat die Totalitarismus-Theorie in den Dienst der Wächtergruppe. Nagefeinde der neu erstellten demokratischen Ordnung waren einmal die Kommunisten aller Art - zum andern die "Ewig-Gestrigen", wie man mitfühlend sagte. Neonazis, die Anschluss an frühere, aber gesinnungsfeste Nazis suchten, um unter neuen Verhältnissen vom Zusammenhalt zu profitieren.

In der Frühzeit der Gründung waren die Erkenntnismerkmale noch nicht völlig festgelegt. Die Engländer hatten ihren Einfluss eingesetzt, um John ins erste Amt zu hieven. Sie waren - damals! - noch überzeugt, dass alte Nazis gerne eine neue Rechtsgruppierung gründen wollten. John, als halbwegs Eingeweihter in die Widerstandsbewegung vom Juli 1944, ebenfalls.

Die Gruppe Gehlen, wesentlich besser verankert mit den Diensten des vorigen Systems, sah in Fortsetzung der Beobachtung der "Fremde Heere Ost" vor allem die Kommunisten als Hauptfeinde. Sie hatten die Amis als Schutzpatrone hinter sich.

Sie durfte den eigenen Club gründen. BND. Bundesnachrichtendienst. Mit einem Wort: damals gab es noch halbwegs offene Meinungsverschiedenheiten, wer in der neuen Bundesrepublik den Hauptfeind der "Verfassung" darzustellen habe. Offenbar war John selbst Opfer dieser Zerrissenheit. Als er in Ostberlin auftauchte, wollte er zwar keine Geheimnisse verraten, aber aufbegehren gegen die kopfgewaschenen Nazis, die entnazifiziert oder nicht,in den Dienst des neuen alten Vaterlandes getreten waren. Als er dann die DDR wieder verlassen hatte, hielt er die Phantasie des von ihm selbst zu rettenden Vaterlandes nicht durch und plädierte auf Entführung aus Westberlin in die "ZONE". Wo er dann unter Druck gesetzt worden sei. So wirkte er bei allem Verständnis zwiespältig.

Ich selbst war als junger Student beim Verfahren gegen den Rückgekehrten Herbst 1956 dabei und hörte das Plaidoyer des damaligen Generalbundesanwalts. Es ereignete sich das Seltsame: es wurden - wegen kaum beweisbaren Geheimnisverrats - von ihm zwei Jahre Gefängnis gefordert. Das Gericht gab gleich das Doppelte aus. Vier Jahre. Immerhin selten. Aber damals als Säuberungsakt spezieller Art landesweit akzeptiert. Verrat gegenüber dem Osten war auf keinen Fall zu dulden, auch dann nicht, wenn keinerlei realer Schaden für die BRD nachzuweisen war.

Damit hatte sich das Konzept des neuen Geheimdienstes durchgesetzt. Hauptfeind unserer Verfassung war ab jetzt immer der, den die oberen Leitenden als solchen markierten. Objektive Gefährdungsmerkmale entfielen. Das zu Schützende wurde ab jetzt obrigkeitlich festgelegt. Die Dienste leisteten Vorarbeit für weitere administrative und gerichtliche Erledigung von Störfällen.

Das zeigt der Abgang Fromms inzwischen. Er hat wahrscheinlich gar nicht so viel Präzises beigetragen zum Schutz der Neonazis bei ihren Morden. Es wäre vermutlich falsch, jedem einzelnen Zuträger und Helfer aus den Reihen des Geheimdienstes ausgeprägt rechte Gesinnungsziele zu unterstellen. Es ging und geht vor allem um den Machterhalt gegen alle übrigen Instanzen im Staat. Um die Abweisung von einfacher Polizei, von gerichtlicher Untersuchung, von Pressemeldungen. Das haben die Dienste alle gemeinsam in allen vergleichbaren Ämtern westlicher und östlicher Staaten. Bei uns mit dem Vorteil, dass einer oben als Schuldiger abserviert wird. Und dass alle sich nachher gegenseitig beteuern können, dass jetzt unsere Verfassung wieder tropfend und sauber an der Leine hängt.

Folgerung für den Rest, der solche Bleichungen nicht überschätzt: Die staatlichen Dienste nie als Autorität heranziehen. Ganz egal, ob ein einzelner Nackenschlag von oben gerade unseren persönlichen Vorlieben entspricht. Der Staat in dieser Erscheinungsform ist und bleibt Feind. Und deshalb nie von "Pannen" reden, wenn es sich um Absicht handelt.

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