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20. Juli 1932 / 2012: Wählen ja- aber damit hat sich das Demokratische!

Däubler-Gmelin sinngemäß, um ihre Klage in Karlsruhe gegen den Betonpakt - Fiskalregulierung - zu rechtfertigen: "Wenn das Gesetz durchkommt, wird man noch wählen dürfen. Nur, was dann geschieht - darauf hat man keinerlei Einfluss".

Genau, Frau Minister. Nur in einem Punkt untertrieben: Das alles ist nicht erst in der Zukunft so. Es beschreibt brutal und korrekt die heutige Lage.

Die Abstimmung am 19.07. bot die klassische Illustration. In der Regierungskoalition durfte man sich Motzen risikolos leisten. Überzeugender als alle war aber Steinmeier. Er wetterte erst, dass weder die Kontrolle der Leihgaben an Spanien geklärt sei. Noch die Sitte der Rückzahlung von Darlehen. Und einiges mehr. Nach dem allen stimmte er Merkel feurig zu. Er tat es für Deutschland. Die Grünen folgten. Blieb die LINKE, die wirklich widersprach. Aber das klassische Funktionieren eines Parlaments blieb suspendiert. Ohne das geringste Aufbegehren. Was man sich früher vorstellte: Die Opposition widersetzt sich nach Kräften der Regierung und ihrer Koalition. Davon war nichts mehr wahrzunehmen. Also: Es gibt den Mechanismus des Parlamentarischen nicht mehr. Gelöscht. Und das ohne Präsident oder Staatsstreich. Alles einfach weggelassen.

Demnach wäre die Lage nicht viel anders als 1932. Damals hatte Reichskanzler Papen zwar nie eine Mehrheit, aber dafür einen väterlichen Freund: Reichspräsident v. Hindenburg. Den brachte er nach einem Polizeimassaker im damals preußischen Altona dazu, die preußische Landesregierung nach seiner Allzweckwaffe - $ 48 -des Dienstes zu entheben. v. Papen wurde als Reichskommissar eingesetzt. Die preußische Landesregierung - SPD! - protestierte nur vor Gericht. Gestreikt wurde gar nicht. Damit war die letzte aktionsfähige Regierung beseitigt. Als Hitler dann drankam, war von den Ländern her nichts mehr der neuen Reichsregierung entgegenzusetzen.

Die Wehrunwilligkeit der Linken ermunterte die Bundesgenossen Hitlers außerordentlich. Dazu mussten die nicht einmal ausgepichte Faschisten sein. Als Nationalkonservative begeisterte es sie schon, dass ihre linken Überwinder von 1918 jetzt selber flach lagen.

Wie erlebten LINKE damals das Geschehen? Kaminiski schreibt in der WELTBÜHNE 1932/ Nr.37/S.378 ff über die Chancen eines Widerstandes angesichts der Verfeindung zwischen SPD und KPD. Er kommt zum Ergebnis, dass allenfalls die Oppositionen in beiden Parteien gegen die jeweiligen Vorstände eine Chance hätten. Allerdings sieht er - und das hätte er heute noch einmal wahrgenommen - ein Haupthindernis in der SPD - nämlich in ihrer Grundüberzeugung, Kapital und Arbeit seien damals -1929 ff - in gleicher Stärke hervorgetreten. Insofern könne keine Partei der anderen viel abgewinnen. Damit hätte das Proletariat die größte Chance für allmählichen Aufstieg. Da das nach dem Preußenschlag Papens mit dem besten Willen nicht mehr zu behaupten war, wurde die alte Theorie einfach "weggelassen". "Vergeblich" - wertet Kaminski aus - "sucht man in den Organen der Sozialdemokratie nach einem Wort der Rechtfertigung ihrer bisherigen Politik" (S. 380 ebd).

Das trifft. Nur eines wäre noch zu klären: Wenn es mit den Parlamenten in ganz Europa nach freiem Willen so steht wie 1932 unter Zwang - warum sich dann überhaupt für etwas wehren, das ohnedies nur noch der Schau dient? Der Fiskalpakt wird europaweit den Völkern über die Rübe gehauen. Und manche bitten um Nachschlag.Und stimmen zu. Wieso dann Streiks,Demos und Waffenvorbereitung?

Antwort: Um den Willen der Mehrheiten durchzusetzen, reicht es nicht, Parlamente der heutigen Funktionsart beizubehalten. Da bekommst Du nie mehr als Durchsetzung des Willens der Märkte. Die Schlaftablette, ohne die der Kapitalismus nicht mehr weiterschnarcht.

Festgehalten an der formalen Existenz der Parlamente muss, wie der Vorausblick von 1932 in der Erinnerung zeigt, nicht so sehr wegen deren Durchsetzungskraft. Sondern wegen ihrer Hemmungsmöglichkeiten. Wie schwach der Wille dazu auch ausgeprägt sein mag, eine Volksvertretung liegt trotz allem immer noch quer zu allen Diktaturgelüsten. Und wäre es nur deshalb, weil Abgeordnete und parlamentarische Angestellte und Beamte an ihren Posten hängen. Dass sie die unter noch schärferem Zugriff als dem Papens verlieren könnten, hätten auch damals viele zugegeben. Wenn sonst schon sehr matt im Kreuze.

Deshalb allein wären solche Einrichtungen der Rettung wert. Nicht ohne kräftigste Ermunterung durch außerparlamentarische Bewegungen für die Reste im Parlament, die noch Auflehnungsnotwendigkeiten in sich verspüren.

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