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Blockupy Frankfurt - zwei Tage in der Verbotenen Stadt

Foto © Jens Volle
Man könnte fast meinen, Paranoia und Hysterie wären bei der Stadt Frankfurt, der hessischen Polizei und überhaupt allen möglichen Gerichten bis hin zum Bundesverfassungsgericht gleichzeitig ausgebrochen. Denn was dort an Drohkulisse aufgebaut wurde, um das Verbot der Blockupy-Aktionstage gegen das Krisenregime der EU zu begründen, ist in seiner Absurdität kaum zu überbieten. Aber irgendwie musste man wohl versuchen, die massive Einschränkung der Grundrechte, die da über alle gerichtliche Instanzen hinweg bestätigt wurde, auch vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Vielfältige Meinungsäußerung jenseits vorhersehbar geregelter Latschdemos kann ja auch so bedrohlich sein. Viel peinlich-paranoider hätte man sich kaum anstellen können. Shame on you, Frankfurt!

Frankfurt blockiert sich selbst
Und so befindet sich Frankfurt für mehrere Tage im selbst verordneten Ausnahmezustand: Komplett-Abriegelung des gesamten Bankenviertels. Eingeschränkter Betrieb mehrerer Straßenbahnlinien, manche U-bahn-Haltestellen werden einfach nicht mehr angefahren. Von Donnerstag an sollen die Frankfurter keine Mülltonnen und keinen Sperrmüll frei zugänglich vor die Haustür zu stellen. Und die Universität hat sowohl Campus Bockenheim als auch Campus Westend geschlossen. Banker sind auf Anraten der Polizei nur noch in Freizeitkleidung unterwegs. Viele von ihnen arbeiten von daheim aus, einige sollen sogar Notquartiere in Mannheim bezogen haben.

Sogar Eltern wurde nahegelegt, ihre Kinder am Freitag nicht in den Kindergarten zu bringen, sollte sich dieser im Innenstadtbereich befinden. Mehr als jedes zweite der zahlreichen Nobelgeschäfte wurde mit Spanplatten verrammelt. Und die Suche selbst nach einem frei zugänglichen Bankomaten dauert eine halbe Ewigkeit. Die Begründungen sind hier sehr unterschiedlich: Mal steht da in Schaufenstern, man könne gewaltsame Ausschreitungen nicht ausschließen, dann ist von einer Großveranstaltung in der Innenstadt die Rede, einmal wird als Grund sogar eine Baustelle genannt, obwohl dort keine ist.

„Hey hey, unser Kessel ist viel schöner“
Foto © Jens Volle
Schon im Vorfeld wurde für über 400 Menschen ein polizeiliches Betretungsverbot der Frankfurter Innenstadt ausgesprochen. Immerhin konnte sich das vor Gericht nicht halten. Bevor wir uns von Stuttgart aus auf den Weg machen, hören wir immer wieder von Polizeikontrollen auf den Autobahnen um Frankfurt und Platzverweisen, die scheinbar willkürlich ausgesprochen werden. Mehrere Busse vermeintlicher Aktivisten aus Berlin schaffen es bis Frankfurt-Höchst und werden dann doch wieder zum Umkehren gezwungen. Wir kommen jedoch unbehelligt Freitagvormittag in Frankfurt an, nachdem schon ein paar hundert Aktivisten verhaftet wurden – insgesamt soll es 1430 Ingewahrsamnahmen gegeben haben.

Trotzdem laufen an diesem Tag noch ein paar kleinere Blockadeaktionen und Spontandemos. Diese werden regelmäßig sehr zügig von der Polizei eingekesselt. Ebenso zügig bildet sich dann auch schnell mal ein Demonstrantenkessel innerhalb und außenrum, der "viel schöner" ist, als der Polizeikessel. Ansonsten fahren den Tag über immer mal wieder Wagenkolonnen der Polizei umher, bleiben irgendwo in einer langen Reihe stehen und fahren dann wieder weiter, nachdem sie keine Demonstranten vorfinden, die sie einkesseln könnten.

Auch das Schaufahren von drei Wasserwerfern darf nicht fehlen. Spiegel online meldet zwar irgendwann den Einsatz dieser, aber bisher habe ich noch nirgends eine Bestätigung davon gesehen. Im Studierendenhaus am Campus Bockenheim, wo es tagsüber Diskussionsveranstaltungen gibt, sieht es abends dann doch noch nach Eskalation aus, nachdem der Campus fast komplett mit Polizeiwannen umstellt wird. Doch es bleibt bei der reinen Drohgebärde: Bis auf Personenkontrollen Einzelner passiert hier nichts mehr.

Fast 30 000 demonstrieren am Samstag gegen die europäische Krisenpolitik
Foto © Jens Volle
Zur Abschlussdemo am Samstag, die großzügigerweise nicht verboten wurde, kommen dann doch noch fast 30 000 Demonstranten. Verschiedene bunte Blöcke, von Antifa über attac bis hin zu Gewerkschaften und Parteien, zeigen, wie breit die Basis des Widerstands gegen die europäische Krisenpolitik ist. Mehrere Hundert Stuttgarter 21-Gegner sind auch angereist. Ihre zwei Blöcke mit den vielen gelben Schildern und Fahnen sind unübersehbar. Einige von ihnen erzählen mir, dass die ungerechtfertigten Verbote der vergangenen Tage sie erst recht bestärkt haben, nach Frankfurt zu kommen.

Fünf Stunden lang geht es dann durch Stadt. In den Parallelstraßen folgen uns die Polizeiwannen, an Abzweigungen und vor diversen Hochhäusern stehen die Polizisten in voller Montur und schauen grimmig. Es ist sehr heiß, besonders mit Helm. Diejenigen, die die Polizei als schwarzen Block identifiziert hat, werden während der gesamten Demo von einem Wanderkessel begleitet. Ein paar mal rennt ein Trupp Polizisten mitten rein in die Gruppe, Böller sind auch mal zu hören, doch es lässt sich einfach niemand provozieren. Völlig ausgepowert liegen wir nach dem Gewaltmarsch im Park neben den Hochhäusern der Deutschen Bank und beobachten eine Gruppe von Demonstranten, die ausgelassen mit Hare Krishna-Mönchen tanzt.

Schöner Platz für ein Camp, denke ich mir.



There's also an English version.

In Bewegung bleiben! Das Recht auf antifaschistischen Protest verteidigen!

Flyerdownload: Bild anklicken
Der Arbeitskreis Kesselklage wendet sich mit einem Flugblatt zur Klage gegen den Heilbronner Polizeikessel vom 1. Mai 2011 an die Öffentlichkeit:

Am 1. Mai 2011 zogen hunderte Nazis aus dem süddeutschen Raum in einem Großaufmarsch durch Heilbronn. Das sorgte bereits im Vorhinein für breiten Protest: in spektenübergreifenden und überregionalen Bündnissen mobilisierten sich NazigegnerInnen gegen das Auftreten der Rechten in Heilbronn. Dem Naziaufmarsch sollte ein vielfältiger Widerstand auf der Straßen entgegenstehen.

Die Polizei, die am Tag des Aufmarsches mit mehreren tausend Einsatzkräften zugegen war, verhinderte jedoch jede Möglichkeit, gemeinsamen und wahrnehmbaren Protest gegen den Aufmarsch zu artikulieren. Während die Nazis durch ein komplett abgeriegeltes Bahnhofsviertel marschieren konnten, wurden hunderte AntifaschistInnen zwischen 9 und 20 Uhr von martialisch auftretenden Polizeikräften am Heilbronner Bahnhof eingekesselt und – wie ihnen später erklärt wurde – „in Gewahrsam genommen“.

Die Polizeikräfte haben an diesem Tag dafür gesorgt, dass über 700 Nazis nach außen Stärke zeigen und ungestört ihre menschenverachtende Hetze verbreiten konnten. Und das, obwohl bekannt war, dass erst zwei Wochen zuvor Neonazis aus dem Umfeld der NPD-Jugendorganisation „JN“ in Winterbach im Rems-Murr-Kreis eine Hütte in Brand setzten, nachdem sich Menschen, die vor ihnen flüchten mussten, dorthin gerettet hatten.

Erst am 29.11.2010 hatte das Verwaltungsgericht Sigmaringen in zwei Entscheidungen einen ähnlichen Polizeikessel vom 1. Mai 2009 in Ulm für rechtswidrig erklärt. Dort wurden mehrere hundert AntifaschistInnen durch stundenlange Einkesselung an der Teilnahme an einer DGB-Demonstration gehindert – zeitgleich fand in der Stadt ein süddeutschlandweiter Naziaufmarsch statt.

Wir – Betroffene und solidarische NazigegnerInnen – gehen nun juristisch gegen den letztjährigen Polizeieinsatz in Heilbronn vor. Mit mehreren Klagen möchten wir am Beispiel des Heilbronner Bahnhofkessels gerichtlich erneut feststellen lassen, dass die seit Jahren durch die Polizei praktizierte „Kesselungstaktik“ zur Unterbindung von antifaschistischem Protest nicht weiter anwendbar ist.

Nur durch einen breitgefächerten und direkten Widerstand gegen die zunehmenden Naziaktivitäten kann denselben Einhalt geboten werden. Dafür ist die umfassende Möglichkeit zur öffentlichen und kollektiven Äußerung von Protest und antifaschistischen Gegenpositionen unbedingt notwendig. Für die polizeiliche Behinderung und Einschränkung dieses Grundrechtes kann es keine Rechtfertigung geben!

Keinen Fußbreit den Faschisten!
Schafft Öffentlichkeit und unterstützt
die Klagen!

Spendenkonto:
Bündnis für Versammlungsfreiheit
Stichwort: Kesselklage
Kontonummer: 101612232
Bankleitzahl: 61150020
Bank: Kreissparkasse Esslingen

Aus der Geschichte des 1. Mai

Die Ursprünge des 1. Mai als Kampftag der ArbeiterInnenbewegung und der Gewerkschaften liegen in den USA (obwohl dort der „Labor Day“ heute im September gefeiert wird). 1886 eskalierte in Chicago ein mehrtägiger Generalstreik zur Durchsetzung des Achtstundentags – damals waren 12 Stunden üblich – durch gewalttätigen Einsatz der Polizei. Ein nie aufgeklärtes Bombenattentat wurde acht Anarchisten zugeschrieben (von denen einige gar nicht dort waren), vier Todesurteile wurden vollstreckt. 1889 wurde auf dem Gründungskongress der Zweiten Internationale zum Gedenken an die „Haymarket“-Opfer der 1. Mai als „Kampftag der Arbeiterbewegung“ ausgerufen. 1890 gingen erstmals Millionen ArbeiterInnen am 1. Mai auf die Straße.

In Deutschland beschloss 1919 zwar die Weimarer Nationalversammlung die Einführung eines allgemeinen Feiertags, „der dem Gedanken des Weltfriedens, des Völkerbundes und des internationalen Arbeiterschutzes geweiht ist“, doch es kam nicht dazu. In einigen der damaligen deutschen Länder wurden sogar Kundgebungen unter freiem Himmel am 1. Mai verboten. 1929 kam es in Berlin unter der Verantwortung des Polizeipräsidenten Zörgiebel (SPD) zu Gewaltexzessen gegen demonstrierende ArbeiterInnen – mit über 30 Todesopfern.

1933 erklärten die Nazis in demagogischer Absicht den 1. Mai zum „Feiertag der nationalen Arbeit“. Am 18.4. notierte Nazi-Propagandaminister Goebbels: „Den 1. Mai werden wir zu einer grandiosen Demonstration des deutschen Volkswillens gestalten. Am 2. Mai werden die Gewerkschaftshäuser besetzt. Gleichschaltung auch auf diesem Gebiet. Es wird vielleicht ein paar Tage Krach geben, aber dann gehören sie uns. Man darf hier keine Rücksicht mehr kennen.“ So geschah es – am 2. Mai 1933 werden die Gewerkschaften verboten, ihr Vermögen eingezogen. Viele GewerkschafterInnen wurden verhaftet, in Konzentrationslager gesteckt und ermordet.

Ein solcher Missbrauch des 1. Mai sollte nach dem von den Nazis vom Zaun gebrochenen Zweiten Weltkrieg verhindert werden. In einigen Landesverfassungen wurde ausdrücklich festgeschrieben, wozu dieser gesetzlicher Feiertag da ist. So gilt er in Baden-Württemberg (Art. 3/2) „dem Bekenntnis zu sozialer Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit und Völkerverständigung.“

Vor diesem Hintergrund nehmen nicht nur die Gewerkschaften das Auftreten von Neonazis am 1. Mai sehr ernst. Vollkommen inakzeptabel ist das Feindbild und Auftreten der Polizei am 1.5.2011 in Heilbronn, die Nazis mit fremdenfeindlichen Sprüchen als besonders zu schützende Demonstranten, dagegen die für die Ziele des 1. Mai angereisten GewerkschafterInnen und AntifaschistInnen als Objekte von Leibesvisitationen und in Schach zu haltende Störer der öffentlichen Ordnung behandelte.

 

Via Arbeitskreis Kesselklage

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