Kampf um das Bild = Kampf gegen die Enteignung des bildliefernden Lebens
Die Schweizer WELTWOCHE hat vor ein paar Wochen Aufsehen erregt, als sie sie ein Titelbild kaufte zur Stimmungssteigerung gegen die in der Schweiz befindlichen Roma-und Sinti-Kinder. Der Artikel selbst erschöpfte sich im landesüblichen Flennen, Jammern und Drohen - gegen einen angeblichen Teilaspekt der so oft beschriebenen "Überfremdung". Nämlich der scharf empfundenen Überschwemmung der Schweiz durch "Zigeuner", die sich das Schicksal der Vertreibung eigensüchtig zu Nutze machten. ("Zigeuner" hier im überlieferten süddeutschen Wortsinn gebraucht, weil es genau so gehässig verwendet wurde wie seinerzeit in Karlsruhe oder Freiburg. Wenn in Karlsruhe die ererbte Liste der Vorgänger von vor 45 danach "Landfahrerkartei" heißen musste, änderte das an der zugrundeliegenden Gesinnung nicht viel).
Wichtig am Ganzen aber das stimmungsverschärfende Titelbild. Es zeigt einen kleinen Jungen in ausländischer, vor allem aber heruntergekommener Kleidung, der scheinbar von der Titelseite herunter von seiner Müllhalde aus auf jeden zielt, der sich dem Kiosk nähert. Damit wird eine unmittelbare und sofort drohende Gefährlichkeit durch Kinder - ergänze "Horden" - heraufbeschworen.
Das Reißerische und Brutale einer solchen Aufmachung müssen wir gelernten BILD-Lesern nicht eigens erklären. Wer den Artikel ohnedies nicht völlig ausstudiert, soll Angst bekommen. Und solche Abwehrmaßnahmen gutheißen, wie sie jetzt eben die Superdemokraten Merkel und Sarkozy beschließen. Verkürzung bis Abschaffung des Schengener Abkommens, das immerhin kontrollfreien Übergang zwischen den Ländern der EU vorgesehen hatte.
Die PIRATEN haben mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass in einer Welt, die uns wesentlich nur über vorgeformte Bilder zugänglich ist,das Eigentum an einer Photographie nicht mehr im Sinn einer Alleinverfügung darüber durch den ehemaligen Photographen verstanden werden darf. Es kann und darf nicht mehr ihm allein zugerechnet werden als seine originale Erfindung. Gerade das Bild des Kindes auf dem Müll macht das deutlich.
Liefert es im Rahmen seiner Lebensumstände mit anderen nicht erst die Grundlage des Photographiertwerdenkönnens?
Daraus folgt dann aber: Nicht die Frage, ob die Redaktion dem ursprünglichen Photographen etwas gezahlt hat, ist hier entscheidend. Das wird wohl der Fall gewesen sein. Jedenfalls ist nichts Gegenteiliges zu hören gewesen. Das ändert aber nichts an dem Unrecht, das dem lebendigen Kind - dem wahren Original der Geschichte -angetan wurde. Einmal durch die schamlose Umdeutung des Geschehens. In Worten ausgesprochen liefe sie juristisch auf Verleumdung hinaus.
Darüber hinaus aber durch die bedenkenlose Verwurstung eines Vorgefundenen zu beliebigen Zwecken. Es liegt eine universelle Beseitigung des Individuellen in seinem gelebten Eigensinn vor. Alles Vorgefundene wird mehr oder weniger asphaltiertes Material.Die Wurzeln herausgerissen, zermahlen. Zwangsenteignung einer Welt des Selbstbewußten, des sich in seiner Gruppe Bekannten.
Wie kann diesem Unrecht gegenübergetreten werden?
Zwei Journalisten der Schweizer WOCHENZEITUNG haben sich die unvorstellbare Mühe gemacht, mit Hilfe der CARITAS herauszubekommen, wohin im Kosovo es die Familie des Jungen verschlagen hat. Sie haben es geschafft, mit ihm, seinen kleinen Kollegen und seiner Familie Kontakt aufzunehmen - und ein wirkliches Bild des Lebens in dem zwangsverwalteten Gebiet aufzuzeichnen. Im Schicksal der Einzelfamilie wurde der Terror sichtbar, der durch die willkürliche Ernennung des Gebietes Kosovo zu einem angeblich autonomen Staat der Gruppe der Sinti und Roma angetan wurde.
Die Reportage der WOCHENZEITUNG bringt diejenigen punktuell zum Sprechen, die als bloße Bilder - zu Schaufensterfiguren des Verbrechens drapiert - zum Auftritt gezwungen worden waren. Wie gering aber freilich die Wiedergutmachung in einem einzelnen Blatt! Das, was über die PIRATEN hinaus alle Linken anzustreben hätten, wäre dann erreicht, wenn ein allgemeines Rederecht nicht nur erkämpft,sondern auch ermöglicht würde für ALLE. In diesem Sinn wäre die seit Jahrhunderten geführte Bestreitung des Eigentumsrechts Einzelner am Tun und Leben anderer weiterzuführen.