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Klagen gegen Heilbronner Polizeikessel vom 1. Mai 2011

Stuttgart, 22.04.2012. Im März 2012 wurden beim Verwaltungsgericht Stuttgart mehrere Klagen gegen die Einkesselung und „Ingewahrsamnahme“ einiger hundert Demonstrantinnen und Demonstranten eingereicht. Sie wollten sich am 1. Mai 2011 an Protesten gegen Neonazis in Heilbronn beteiligen.

Viele Bürgerinnen und Bürger folgten an diesem Tag den Aufrufen der Bündnisse „Heilbronn stellt sich quer“ und „Heilbronn sagt nein“, um an den Protestaktionen in der Stadt teilzunehmen. Die Ablehnung des Naziaufmarschs war auch ein Schwerpunkt der gewerkschaftlichen Maikundgebung. Doch für viele Angereiste endete der Protest am Bahnhof.

Während die Neonazis ungehindert durchs Bahnhofsviertel marschieren konnten, wurden mehrere hundert Bürgerinnen und Bürger zwischen 9 und 20 Uhr von Polizeikräften eingekesselt und – wie ihnen später erklärt wurde – „in Gewahrsam genommen“.

Erst am 29.11.2010 hatte das Verwaltungsgericht Sigmaringen in zwei Entscheidungen einen ähnlichen Polizeikessel am 1. Mai 2009 beim Weinhof in Ulm für rechtswidrig erklärt. Dort waren mehrere hundert Personen an der Teilnahme an der DGB-Demonstration gehindert worden. Ähnliche Urteile gab es schon früher. Trotzdem wurde diese Polizeimaßnahme in Heilbronn erneut angewandt.

Statt die Angereisten an den Protesten teilnehmen zu lassen, wurden sie daran gehindert. Nicht nur diesen Demonstrantinnen und Demonstranten war bekannt, dass zwei Wochen zuvor Neonazis in Winterbach eine Hütte in Brand gesetzt hatten, nachdem sich Menschen, die vor ihnen flüchten mussten, dorthin gerettet hatten. Nicht zuletzt dagegen sollte ein Zeichen gesetzt werden.

„Darum klagen wir jetzt auch“, erklärte Thomas Trüten, der Anmelder einer Gegendemonstration in Heilbronn, die am Nachmittag stattfinden sollte, aber nicht zustande kam. Die vor dem Hauptbahnhof Eingekesselten konnten sich weder dorthin begeben noch zuvor zur Maikundgebung des DGB. „Genau diesen Feiertag, der laut Landesverfassung ‚dem Bekenntnis zu sozialer Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit und Völkerverständigung’ dient, hatten die Neonazis gewählt, um ihre menschenverachtenden Parolen auf die Straße zu tragen“, so einer der Kläger, ein Funktionär der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

„Beim DGB Tübingen wurde beschlossen, eine Abordnung hin zu schicken. Mein mitgebrachtes Transparent mit den offiziellen DGB-Losungen konnte ich allerdings an diesem Tag nur vor dem Heilbronner Hauptbahnhof entfalten. Weiter kamen wir ja nicht.“

Mit den Klagen wird bezweckt, die Unrechtmäßigkeit dieses Polizeikessels vor Gericht festzustellen. „An die entsprechenden Urteile muss die Polizei sich endlich halten“, so Trüten. Der Strafverfolgung von Nazigegnern müsse Einhalt geboten werden – auch dies sei ein Ziel der Fortsetzungsfeststellungsklagen. Angesichts des „skandalösen Verhaltens der Behörden“ wird außerdem die Einstellung aller Verfahren gegen antifaschistische Gegendemonstrantinnen und Demonstranten vom 1. Mai 2011 gefordert.

Wie aktuell dieser Protest war und ist, wurde nach Meinung der Kläger deutlich, als bekannt wurde, dass die Bereitschaftspolizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn am 25.04.2007 vermutlich von einer nazistischen Terrorgruppe ermordet wurde.



Via Pressemitteilung vom 22.04.2012 bei kesselklage.de

Kampf um das Bild = Kampf gegen die Enteignung des bildliefernden Lebens

Die Schweizer WELTWOCHE hat vor ein paar Wochen Aufsehen erregt, als sie sie ein Titelbild kaufte zur Stimmungssteigerung gegen die in der Schweiz befindlichen Roma-und Sinti-Kinder. Der Artikel selbst erschöpfte sich im landesüblichen Flennen, Jammern und Drohen - gegen einen angeblichen Teilaspekt der so oft beschriebenen "Überfremdung". Nämlich der scharf empfundenen Überschwemmung der Schweiz durch "Zigeuner", die sich das Schicksal der Vertreibung eigensüchtig zu Nutze machten. ("Zigeuner" hier im überlieferten süddeutschen Wortsinn gebraucht, weil es genau so gehässig verwendet wurde wie seinerzeit in Karlsruhe oder Freiburg. Wenn in Karlsruhe die ererbte Liste der Vorgänger von vor 45 danach "Landfahrerkartei" heißen musste, änderte das an der zugrundeliegenden Gesinnung nicht viel).

Wichtig am Ganzen aber das stimmungsverschärfende Titelbild. Es zeigt einen kleinen Jungen in ausländischer, vor allem aber heruntergekommener Kleidung, der scheinbar von der Titelseite herunter von seiner Müllhalde aus auf jeden zielt, der sich dem Kiosk nähert. Damit wird eine unmittelbare und sofort drohende Gefährlichkeit durch Kinder - ergänze "Horden" - heraufbeschworen.

Das Reißerische und Brutale einer solchen Aufmachung müssen wir gelernten BILD-Lesern nicht eigens erklären. Wer den Artikel ohnedies nicht völlig ausstudiert, soll Angst bekommen. Und solche Abwehrmaßnahmen gutheißen, wie sie jetzt eben die Superdemokraten Merkel und Sarkozy beschließen. Verkürzung bis Abschaffung des Schengener Abkommens, das immerhin kontrollfreien Übergang zwischen den Ländern der EU vorgesehen hatte.

Die PIRATEN haben mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass in einer Welt, die uns wesentlich nur über vorgeformte Bilder zugänglich ist,das Eigentum an einer Photographie nicht mehr im Sinn einer Alleinverfügung darüber durch den ehemaligen Photographen verstanden werden darf. Es kann und darf nicht mehr ihm allein zugerechnet werden als seine originale Erfindung. Gerade das Bild des Kindes auf dem Müll macht das deutlich.

Liefert es im Rahmen seiner Lebensumstände mit anderen nicht erst die Grundlage des Photographiertwerdenkönnens?

Daraus folgt dann aber: Nicht die Frage, ob die Redaktion dem ursprünglichen Photographen etwas gezahlt hat, ist hier entscheidend. Das wird wohl der Fall gewesen sein. Jedenfalls ist nichts Gegenteiliges zu hören gewesen. Das ändert aber nichts an dem Unrecht, das dem lebendigen Kind - dem wahren Original der Geschichte  -angetan wurde. Einmal durch die schamlose Umdeutung des Geschehens. In Worten ausgesprochen liefe sie juristisch auf Verleumdung hinaus.

Darüber hinaus aber durch die bedenkenlose Verwurstung eines Vorgefundenen zu beliebigen Zwecken. Es liegt eine universelle Beseitigung des Individuellen in seinem gelebten Eigensinn vor. Alles Vorgefundene wird mehr oder weniger asphaltiertes Material.Die Wurzeln herausgerissen, zermahlen. Zwangsenteignung einer Welt des Selbstbewußten, des sich in seiner Gruppe Bekannten.

Wie kann diesem Unrecht gegenübergetreten werden?

Zwei Journalisten der Schweizer WOCHENZEITUNG haben sich die unvorstellbare Mühe gemacht, mit Hilfe der CARITAS herauszubekommen, wohin im Kosovo es die Familie des Jungen verschlagen hat. Sie haben es geschafft, mit ihm, seinen kleinen Kollegen und seiner Familie Kontakt aufzunehmen - und ein wirkliches Bild des Lebens in dem zwangsverwalteten Gebiet aufzuzeichnen. Im Schicksal der Einzelfamilie wurde der Terror sichtbar, der durch die willkürliche Ernennung des Gebietes Kosovo zu einem angeblich autonomen Staat der Gruppe der Sinti und Roma angetan wurde.

Die Reportage der WOCHENZEITUNG bringt diejenigen punktuell zum Sprechen, die als bloße Bilder - zu Schaufensterfiguren des Verbrechens drapiert - zum Auftritt gezwungen worden waren. Wie gering aber freilich die Wiedergutmachung in einem einzelnen Blatt! Das, was über die PIRATEN hinaus alle Linken anzustreben hätten, wäre dann erreicht, wenn ein allgemeines Rederecht nicht nur erkämpft,sondern auch ermöglicht würde für ALLE. In diesem Sinn wäre die seit Jahrhunderten geführte Bestreitung des Eigentumsrechts Einzelner am Tun und Leben anderer weiterzuführen.

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