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Verbrechen beenden! Freiheit für das kurdische Volk!

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Erklärung der Förderation Demokratischer Arbeitervereine DIDF, Stuttgart zu den Luftangriffen der türkischen Armee:

"Die Luftangriffe der türkischen Armee auf kurdische Städte, Dörfer und Landschaften haben wieder Dutzende unschuldige Zivilisten in den Tod gerissen. Bei einem jüngsten Bombenangriff auf das Dorf Ortasu nahe der kurdischen Stadt Sirnak sind nach aktuellen Angaben mindestens 35 Menschen getötet worden. Die Leichen sind verbrannt und durch den massiven Bombenaufschlag größtenteils nicht mehr zu identifizieren.

Vermutlich handelte es sich um eine Gruppe von jungen Männern, die Zucker und Gas über die türkisch-nordirakische Grenze brachten und von der türkischen Armee für Kämpfer der Kurdischen Arbeiterpartei gehalten wurden. Die Getöteten trugen keine Waffen bei sich. Ihre Schuld: Sie waren Kurden.

Auf die Forderung des kurdischen Volkes nach Freiheit, Gleichberechtigung und Solidarität antwortet der türkische Staat mit willkürlichen Morden und Verbrechen.

Durch den jahrelangen Krieg in dieser Region leiden Hunderttausende Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder u.a. an Armut, Hunger, Wohnungslosigkeit und alltäglicher Gewalt durch Militär, Polizei und Sicherheitskräfte. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit haben viele Menschen keine andere Möglichkeit als sich an Schmuggelgeschäften von Gütern wie Nahrung oder Heizgas anzuschließen.

Die staatliche Ignoranz gegenüber der Not der Menschen macht sich auch in der aktuellen Situation der Erdbebenopfer in Van deutlich. Seit Monaten harren Menschen in miserablen Unterkünften bei Schnee und Kälte aus. Ihnen fehlt es an Nahrungsmitteln und Heizung, um den harten Winter überstehen zu können.

Das Blutvergießen in den kurdischen Regionen muss endlich beendet werden!

Trotz unzähliger Friedensangebote des kurdischen Volkes und seiner politischen Vertreter setzt die AKP-Regierung unter Präsident Tayyip Erdogan auf seinen Kriegskurs. Während Erdogan als NATO-Handlanger in Syrien, Libyen, Tunesien als vermeintlicher Demokratie-Botschafter agiert, kommandiert er das Militär zum Bombardement auf kurdische Regionen und Menschen.

Wir, die Föderation der Demokratischen Arbeitervereine, protestieren zutiefst das militärische Verbrechen und bekräftigen unsere Solidarität mit dem kurdischen Volk, das seit Jahrzehnten für Freiheit, Gleichberechtigung und Frieden kämpft.

Gleichzeitig rufen wir die demokratische Öffentlichkeit auf, die militärischen Handlungen der AKP-Regierungen zu protestieren sowie Protestbekundungen an die türkische Regierung zu richten. Die Beendigung des Blutvergießens kann nur gelingen, wenn wir uns solidarisch mit der Demokratie- und Friedensbewegung in der Türkei zeigen und Druck auf die staatliche Willkür und Militärhandlungen der AKP-Regierung stärken."

DIDF Stuttgart, Spreuergasse 45, 70372 Stuttgart, didf-bw@gmx.de

Silvesterdemo am 31.12.2011 in Stuttgart

Foto: Sebastian Ritter (Eigenes Werk) [GFDL, CC-BY-SA-3.0 oder CC-BY-2.5], durch Wikimedia Commons
Dieses Jahr gibt es zwei Aufrufe zu einer revolutionären Silversterdemo in Stuttgart. Wir zitieren mal:

"(...) Das Jahr 2011 war geprägt von vielfältigen und kämpferischen linken Mobilisierungen. Mit dem Widerstand gegen Nazis und Rassisten, gegen Kriegstreiber und -profiteure, sowie mit klassenkämpferischen Aktionen gegen die Krisenpolitik der Herrschenden und für die Überwindung des Kapitalismus, konnten Kämpfe weiterentwickelt und linke Bewegungen gestärkt werden.

Viele der Aktivitäten hatten jedoch mit einem ausufernden Problem zu kämpfen: Staatliche Repression in verschiedensten Formen. Die staatlichen Kriminalisierungsversuche gegen linken Widerstand nahmen gerade in unserer Region in den letzten Monaten immer umfassendere Ausmaße an. Die seit August andauernde Untersuchungshaft eines Stuttgarter Antifaschisten wegen antirassistischer Proteste stellt nur den Höhepunkt der Repression dar.

Die Angriffe und Provokationen von Staat und faschistischer Bewegung gegen die Bestrebungen für eine fortschrittlicher Gesellschaft können nicht unwidersprochen bleiben. Wo auch immer sie versuchen uns zu treffen, gilt es sich gemeinsam und solidarisch zu verteidigen und politisch zurückzuschlagen. Am Silvesterabend werden wir uns noch einmal in diesem Jahr die Straße nehmen und deutlich machen, dass wir uns weder einschüchtern, noch einmachen lassen. Auf die Straße gegen Klassenjustiz und für ein revolutionäres 2012! (...)"


Weiterlesen im Aufruf http://–‹silvesterdemo0711.–‹tk–‹ und im Interview zur Demo

"(...) Wir rufen alle auf, sich geschlossen, solidarisch und Spektren übergreifend an der diesjährigen Silvesterdemo in Stuttgart zu beteiligen. Mit diesem Aufruf zu einem libertären Block wollen wir uns nicht von anderen Gruppen und der Demo abgrenzen, sondern verstärkt in und aus unserem Spektrum heraus dazu mobilisieren, um so der Zersplitterung der Linken eine kraftvolle und kämpferische Demo gegenüber zu stellen. Faschisten, die herrschende Klasse und ihre Repressionsorgane müssen 2012 mit einem starken Bündnis aller fortschrittlichen und revolutionären Gruppen rechnen. (...)"

Weiterlesen im Aufruf "Hinein in den libertären Block!"

Offener Brief des Auschwitz-Komitees an die Regierenden

Offener Brief des Auschwitz-Komitees an die Regierenden

Wir, die letzten Zeugen des faschistischen Terrors, rufen auf: [...]

Aus der Erfahrung unseres Lebens sagen wir: Nie mehr schweigen, wegsehen, wie und wo auch immer Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit hervortreten! Erinnern heißt handeln!

(Esther Bejarano, Vorsitzende des Auschwitz-Komitees)

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

sehr geehrte Damen und Herren,

in großer Sorge wenden wir uns heute an Sie. Antisemitische, rassistische und neofaschist-ische Ideologie und Praxis finden Akzeptanz bis in die Mitte der Gesellschaft. Sie, die Regie­renden, tragen Mitverantwortung an den “deutschen Zuständen– heute, an der Ökonomisie­rung des Denkens, an der Entsolidarisierung der Gesellschaft, und, daraus folgend, an der sozialen Spaltung, die Ängste schürt. Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit haben heute wieder Konjunktur in Deutschland.

1. In Zeiten, in denen hierzulande mindestens zehn Menschen von einer rechten Terrorbande ermordet wurden, weil sie türkische und griechische Namen trugen und mindestens 13 Jahre lang der “nationalsozialistische Untergrund–/NSU unter den offensichtlich rechts zugedrück­ten Augen der Polizei, der Justiz und des Verfassungsschutzes wütete,

2. in Zeiten, da 182 Tote durch Gewalt von Nazis und Neonazis in den vergangenen 20 Jahren von den Regierenden scheinbar übersehen wurden, obwohl doch Ausstellungen wie „Opfer rechter Gewalt“ seit Jahren vielerorts gezeigt wurden, einschlägige Websites und Foren mit unendlicher Mühe von NGOs, Bürgerinitiativen und Opferverbänden ganz öffentlich zugänglich waren und sind,

3. in Zeiten, in denen selbst im Winter Menschen schon wieder nachts aus dem Schlaf gerissen und abgeschoben werden, Bürgerkriegsflüchtlinge, Roma, Familien mit Kindern, Alte und Kranke in elende Zustände gewaltsam verbracht werden, obwohl auch Überlebende des Holocaust, die im Exil Zuflucht fanden, immer wieder das Bleiberecht anmahnen,

4. in Zeiten, in denen ungeachtet zahlreicher Proteste, trotz Mahnungen von Überlebenden­organisationen, von den Zentralräten der Juden und der Muslime, von WissenschaftlerInnen die Fachministerin beratungsresistent bleibt. Fremdschämen müssen wir uns für die Ministerin Schröder, die mit ihrer so genannten “Extremismusklausel– Überlebendenorgani­sationen und seit Jahrzehnten ehrenamtlich arbeitende Initiativen gegen rechts mit dem Generalverdacht überzieht, nicht auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen. Bespitzelung und Verdächtigung statt Aufklärung und Anerkennung, Geld nur gegen Gesinnungs­schnüffelei –“ wie groß wird der Scherbenhaufen sein, den das Ministerium hinterlässt?,

5. in Zeiten, in denen schon wieder obrigkeitsstaatliches Denken Konjunktur hat, durch das Befolgen von Befehlen und Anordnungen selbst bei Frosttemperaturen mit Wasserwerfern auf Menschen geschossen wird, die in friedlichen Blockaden sich mutig auf die Straßen der Städte setzen, um marschierende Neonazis zu stoppen. Gegen die Tränengas in gesundheits­gefährdenden Mengen eingesetzt wird. Der Vertrauensverlust in demokra­tische Zustände ist kaum zu ermessen, wenn Demonstranten weggespritzt und anderweitig traktiert werden, Menschen bespitzelt, überwacht und ausgehorcht werden, Mobilfunkdaten missbraucht werden, Immunitäten von Abgeordneten aufgehoben werden,

6. in Zeiten, in denen selbst ein Shoa-Überlebender wie Ernst Grube, VVN-BdA-Vorsitzender in Bayern, vom Nachrichtendienst überwacht und als Zeitzeuge diskreditiert wird,

7. in Zeiten, in denen die NPD und neofaschistische Kameradschaften ganze Regionen zu “national-befreiten Zonen– erklären und die NPD immer noch nicht verboten ist

mischen wir uns ein und fordern Sie auf: Handeln Sie, jetzt!

Sieben Sofortmaßnahmen schlagen wir Ihnen vor:

1. Schluss mit der öffentlichen Subventionierung neofaschistischer Organisationen durch V-Leute, wir fordern gründliche und parlamentsöffentliche Aufklärung der Morde selbst sowie der Verfehlungen und Verstrickungen des Verfassungsschutzes und der Polizei in die Morde des „nationalsozialistischen Untergrunds“ und ähnlicher Geheimbünde

2. Schluss mit der Un-Kultur des Verdachts und der Gleichsetzung “Rot gleich Braun–, wir fordern gründliche und öffentliche Aufarbeitung aller Todesfälle durch rechte Gewalt in den vergangenen 20 Jahren

3. Schluss mit den Abschiebungen, Bleiberecht für alle, insbesondere für Rom und Sinti
4. Schluss mit den Verdächtigungen staatlich nicht kontrollierter Projekte und Initiativen gegen rechts!
5. Schluss mit der Gewalt gegen Menschen, die ihren eigenen Körper in friedlichen Sitzblockaden gegen Neonaziaufmärsche einsetzen, die großen Mut beweisen und unsere Hoffnung auf eine bessere Zukunft sind.
6. Schluss mit der Kriminalisierung und Überwachung
7. Schluss mit der Überwachung von Überlebenden des Holocaust, die Diskreditierung ihrer Zeitzeugenarbeit wie z.B. bei Ernst Grube in Bayern muss sofort beendet werden

Und Sie, Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel und die Bundesregierung fordern wir wiederum auf: Verbieten Sie endlich nach Artikel 139 Grundgesetz und entsprechend dem Potsdamer Abkommen die NPD und alle faschistischen Nachfolgeorganisationen, ihre Schriften, ihre Embleme, ihre Aktivitäten! Das sind wir den Millionen Opfern der faschistischen Verbrechen schuldig.

Bitte unterrichten Sie uns über Ihre Maßnahmen.

Mit freundlichen Grüßen

Esther Bejarano, Vorsitzende

Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland e.V.

Via Dresden-Nazifrei

Polizeischikane in Heilbronn - Demonstrationsbeobachter erstatten Strafanzeige gegen Polizeibeamte

Am 8.10.2011 dokumentierten Demonstrationsbeobachter des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit eine in Heilbronn stattfindende legale, angemeldete und friedliche Demonstration gegen Neonazis. Am Rande dieser Veranstaltung zwangen Heilbronner Polizisten die Demobeobachter unter Androhung der Ingewahrsamnahme, Fotos auf einer Digitalkamera zu löschen. Deswegen erstatten die Betroffenen nun Strafanzeige.

Anliegen der Arbeitsgruppe Demobeobachtung ist es, Einschränkungen des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit durch staatliche Organe mit Hilfe von Fotos, Videos und Audioaufzeichnungen zu dokumentieren. Im Anschluss an die Versammlung werden die Berichte auf der Website des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit veröffentlicht. Die Demobeobachter kündigen ihr Kommen dem Ordnungsamt an und sind durch blaue Warnwesten gut zu erkennen.

Unter den in Heilbronn aktiven Demobeobachtern waren auch zwei Fotojournalisten mit Presseausweisen.

Diese wurden dort selbst zu Opfern staatlicher Willkür: Sie beobachteten nach Ende der durchgehend friedlichen Demonstration drei Polizeibeamte in Zivil, die Demonstrationsteilnehmer in eine Personalienfeststellung verwickelten. Die Demobeobachter dokumentierten das Geschehen und wurden daraufhin rüde von den Beamten angegangen. Der Wortwechsel ist dokumentiert. Insbesondere drohten die Beamten mit empfindlichen Übeln wie Ingewahrsamnahme und Beschlagnahme der Fotoausrüstung.

„Diese rechtswidrigen Einschüchterungsversuche gegen Demobeobachter und Journalisten werden von uns nicht mehr geduldet“, fasst einer der betroffenen Demobeobachter, Alfred Denzinger, zusammen. Der Sprecher des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit, Thomas Trüten, erklärt: „Wir haben nunmehr nach Auswertung der Geschehnisse und nach sorgfältiger Abwägung der Vorgänge Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Heilbronn eingereicht. Demonstrationsbeobachter schützen ein gerade in Baden-Württemberg zunehmend bedrohtes Grundrecht. Dabei werden unsere Demobeobachter immer wieder, wie eben in Heilbronn, von Polizeibeamten durch gesetzwidriges Verhalten behindert. Dies ist für uns nicht länger hinnehmbar. Wir werden rechtswidrige Polizeiaktivitäten konsequent zur Anzeige bringen.“

Quelle: Pressemitteilung 21.12.2012
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"Nicht Sarrazin war für die 'Sarrazindebatte' entscheidend"

Ein Interview aus der graswurzelrevolution 364

Sebastian Friedrich ist Redakteur von kritisch-lesen.de, freier Mitarbeiter der Opferberatungsstelle ReachOut Berlin, Mitglied des AK Rechts und der Diskurswerkstatt des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS). Er ist aktiv bei der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP). Im August 2011 hat er bei edition assemblage "Rassismus in der Leistungsgesellschaft. Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der "Sarrazindebate"" herausgegeben. Der GWR gab er dieses Interview über das Buch, die "Sarrazindebatte", antimuslimischen Rassismus und was wir dagegen tun können. (GWR-Red.)

GWR: Kannst du uns, als Herausgeber von Rassismus in der Leistungsgesellschaft, einen kurzen Überblick über die verschiedenen Beiträge und AutorInnen geben?

Sebastian Friedrich: Der Sammelband besteht aus 15 Beiträgen, die insgesamt von 17 AutorInnen verfasst wurden.

Zunächst gibt es eine ausführliche Einleitung, in der sowohl die "Sarrazindebatte" nachgezeichnet, als auch der Zusammenhang von ökonomischen und rassistischen Argumentationen untersucht wird.

Es folgt das Kapitel "Migration und Rassismus". Z.B. analysiert hier Yasemin Shooman die dominanten Bilder im antimuslimischen Rassismus, die auch bei Sarrazin ins rechte Licht gerückt wurden.

Im zweiten Kapitel liegt der Fokus auf "Bevölkerungs- und Biopolitik". Juliane Karakayali zeigt etwa auf, wie die "Sarrazindebatte" sich in aktuelle Geschlechterpolitiken einfügt.

Im Abschnitt "Kapital und Nation" finden sich vier weitere Beiträge. So entfaltet zum Beispiel Jürgen Link die verschiedenen Dimensionen des von Sarrazin vorgestellten Deutschland und zeigt auf, dass "Sarrazins Deutschland" nicht nur von Neoliberalismus, sondern auch von Neo-Sozialdarwinismus durchzogen ist.

Schließlich widmen sich zwei Beiträge möglichen "Interventionen und Perspektiven".

Gabriel Kuhn und Regina Wamper befassen sich in ihrem Essay mit der rhetorischen Figur der Meinungsfreiheit und empfehlen kritischen Analysen, sich nicht auf rechte Opferdiskurse einzulassen.

Entgegen vieler anderer kritischer Beiträge zur "Sarrazindebatte" fokussiert sich euer Buch weder darauf, Sarrazin als Person zu kritisieren, noch versucht es, die Thesen von Deutschland schafft sich ab zu widerlegen. Wie kam es zu diesem Zugang und wie sieht eure Herangehensweise aus?

In der Einleitung heißt es, dass nicht Sarrazin für die "Sarrazindebatte" entscheidend war, sondern das Feld, auf dem seine "Thesen" wirken konnten. Fast alles, was Sarrazin geschrieben und gesagt hat, kennen wir aus den Diskursen der letzten Jahrzehnte. Jedoch wurden bei Sarrazin und bei der nachfolgenden Debatte verschiedene Diskurse - wie etwa der Ökonomie-, der Eugenik- und der Einwanderungsdiskurs - weiter und zum Teil engmaschiger verknüpft.

Um solche komplexen Debatten zu untersuchen, bietet es sich an, die Diskurse und ihr Zusammenwirken, also ihre Verschränkungen, zu analysieren. Im Buch sind aber auch viele andere theoretische Zugänge zu finden. Für eine diskurstheoretische Perspektive jedoch ist entscheidend zu fragen, was wann von wem wie sagbar ist. Bezogen auf die "Sarrazindebatte" zeigt sich deutlich, wie es innerhalb der Debatte zu einer Verschiebung nach rechts im Mainstream kam. Während Anfangs noch Sarrazins Rassismus und in Teilen sogar seine Verwertungslogik kritisiert werden konnten, verlagerte sich die Debatte letztlich auf die Frage, ob in Deutschland Fachkräfte aus dem Ausland im Sinne einer standortnationalistischen Logik benötigt werden. Linke Positionen, die Verwertungslogiken grundsätzlich in Frage stellen, waren gegen Ende der Debatte in den hegemonialen Medien kaum bis gar nicht mehr zu finden.

Denkst du, dass es dennoch sinnvoll ist, zu versuchen, Sarrazins Thesen schlichtweg durch Studien und Zahlen zu widerlegen?

Sollten Interventionen darauf beschränkt sein, fände ich das problematisch.

Wenn Statistiken aufgefahren werden, die Sarrazins Zahlen widersprechen und widerlegen, setzt das den Unterdrückungsdiskursen zwar etwas entgegen, wiederholt aber die Prinzipien, etwa von Nützlichkeit. Was ist, wenn "bewiesen" wird, dass eine bestimmte Menschengruppe doch eine weitaus produktivere Funktion hat, als von Sarrazin dargestellt?

Da besteht die große Gefahr, die Einteilung von Menschen nach kapitalistischer Verwertung zu akzeptieren und sogar mitzutragen. Es findet dann ein Einlassen auf die von Sarrazin eingeführten Spielregeln statt.

Jedoch waren Interventionen wie etwa die von Naika Foroutan und ihrem Team gerade zu Beginn der "Sarrazindebatte" sehr wichtig.

Als Ende August letzten Jahres täglich die Thesen Sarrazins heißer gekocht wurden, waren ihre Entgegnungen in den Talkshows und in Zeitungsartikeln hilfreich, um Sarrazins Image als vermeintlich objektiver, neutraler Statistiker als Farce zu entlarven.

Yasemin Shooman spricht in ihrem Beitrag davon, dass der Rassismus wandlungsfähig sei. Der Wandel von einem biologistischen Rassismus hin zu einem kulturellen scheint sich größtenteils bereits vollzogen zu haben. Hierfür wurden u.a. Begriffe wie "Rassismus ohne Rassen" oder "Neorassismus" geprägt. Kannst du uns diese Begriffe und Theorien kurz erklären?

In der Zeit des Kolonialismus wurden die Ausbeutung und Ermordung von Menschen durch die Konstruktion von "Rassen" legitimiert. "Rassen" sind somit biologistische Erfindungen des Rassismus. Im kulturellen Rassismus sind es nicht mehr "Rassen", in die Menschen eingeteilt werden, sondern "Kulturen". Die Begriffe änderten sich, der Inhalt der Begriffe jedoch nicht. "Kultur" wird im kulturellen Rassismus zum unveränderlichen Rahmen, zur quasi-natürlichen Eigenschaft, die Werte und Verhalten determiniert.

Der von Yasemin Shooman angesprochene antimuslimische Rassismus ist eine Form eines solchen Rassismus. "Der Islam" wird als dem "eigenen" Westlichen gegenüberstehende homogene "Kultur" konstruiert. Es wird davon ausgegangen, dass zwischen "islamischer" und "westlicher Kultur" eine unaufhebbare Differenz besteht.

Der konstruierten islamischen Kultur werden dabei negative Eigenschaften zugeschrieben. Zugleich findet eine Konstruktion des Westens als überlegene Kultur statt.

Ein beliebtes Instrument ist der Verweis auf Frauenrechte: In einer binären Logik wird behauptet, im Islam spielten Frauenrechte keine Rolle, was zugleich darauf verweisen soll, dass in Europa dahingehend alles relativ in Ordnung sei.

Solche Argumentationsformen verlagern gesellschaftliche Unterdrückungsstrukturen ins Außen und schieben sie einer gemachten Gruppe zu. Dabei wird geflissentlich übersehen, dass Sexismus (aber auch Homo- und Transphobie sowie Antisemitismus) ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist. Im Buch befasst sich Serhat Karakayali ausführlich mit der Thematik. Er begreift den Rekurs auf Begriffe wie Faschismus ("Islamofaschismus") in Verbindung mit "dem Islam" als Teil eines "reflexiven Eurozentrismus", bei dem es auch darum geht, die "eigene" Läuterung durch vergangene historische Erfahrungen zu verkünden.

In der "Sarrazindebatte" wurde jedoch auch mit Nützlichkeitskriterien argumentiert. Inwieweit siehst du da ein Novum?


Zunächst muss gesagt werden, dass nicht erst seit Sarrazin Einwanderung und Ökonomie verknüpft werden. Das sehen wir während des Kolonialismus, im GastarbeiterInnen-Diskurs oder schlicht bei der im Mainstream fest verankerten Unterscheidung von Wirtschaftsflüchtlingen und politischen Flüchtlingen.

Neben der neokolonialistischen Werbung um Fachkräfte kommt aber in der "Sarrazindebatte" auch ein anderer Aspekt zum Vorschein. Rassismus wird mehr und mehr mit ökonomischen Nützlichkeitskriterien verknüpft. In der "Sarrazindebatte" wurde wesentlich auch der durch Personen wie Peter Sloterdijk geprägte Unterschichtendiskurs bedient. Aber wir sehen deutlich, dass der Unterschichtendiskurs in der "Sarrazindebatte" vor allem den als migrantisch markierten Teil der "Unterschicht" trifft.

Viele der Argumente von "Leistungsempfängern", die den "Leistungsträgern" angeblich auf der Tasche liegen, wurden wiederholt, aber fast ausschließlich in Verbindung mit "Migranten" gesetzt.

Der allgemeine, nicht nur auf als migrantisch markierte Menschen bezogene Klassismus von Sarrazin ist offensichtlich vor allem anschlussfähig, wenn er verknüpft wird mit Rassismus.

Wie sehr das gemeinsam wirkt, zeigt sich auch bei Reportagen und Porträts während der "Sarrazindebatte" in den hegemonialen Medien, die in einem Beitrag von Hannah Schultes und mir analysiert werden.

In den Porträts scheint eine Art neoliberal gewendeter Rassismus auf.

Es werden "Musterbeispiele gelungener Integration" dargestellt. Der Erfolg der als "integriert" Begriffenen bildet dabei den Beweis dafür, dass man es eben doch schaffen kann, wenn man sich richtig anstrengt - gleichzeitig werden sie zu Ausnahmen stilisiert, die einer Masse von nicht diesem Ideal entsprechenden Menschen gegenüberstehen und mit diesen kontrastiert werden.

In eine ähnliche Richtung geht auch der Beitrag von Vassilis Tsianos und Marianne Pieper im Buch. Sie konstatieren eine Veränderung in den rassistischen Formationen. Die Grenzen zwischen "Wir" und "Sie" verlaufen nicht mehr alleinig entlang einer leitkulturellen Norm, sondern sind weitaus flüssiger und werden entlang von vermeintlichen Gleichheitsvorstellungen gezogen, wenn etwa Kopftuchträgerinnen als Unterdrückte gelesen werden.

Welche Gegenstrategien würdest du vorschlagen, um antimuslimischem Rassismus zu begegnen? Wie in eurem Buch schon richtig festgestellt wird, können die Aussagen von Leuten wie Broder, Schwarzer, Kelek, Sarrazin und Co. ja nur deshalb derartig wirken, weil sie auf einen Nährboden fallen, der offen ist für rassistische Argumente.

Kann man sich also das Kritisieren von einzelnen bekannten ExponentInnen der islamfeindlichen Szene sparen?


Sarrazin, Broder, Kelek und Co. sind selbstverständlich nicht die SchöpferInnen von rassistischen Argumenten, sondern bewegen sich auf einem gesellschaftlich verankerten Feld.

Dennoch sind sie auch zu kritisieren, weil einerseits konkrete Verantwortlichkeiten benannt werden müssen und andererseits eine Kritik an den SprecherInnen von rassistischen Äußerungen auch die Position der Sprechenden aufzeigen kann.

Gabriel Kuhn und Regina Wamper zeigen das deutlich in ihrem Beitrag, wenn sie darstellen, wie männliche, weiße und sozial Privilegierte sich als Opfer von Meinungsfreiheit gerieren. "Deutschland schafft sich ab" konnte auch deshalb so wirken, weil Sarrazin Zugänge zu großen Verlagen hat, über exzellente Kontakte verfügt und auf verschiedene andere Weisen privilegiert ist.

Insgesamt müssen Rassismus und Klassismus auf allen Ebenen bekämpft werden: individuell, indem etwa eigene Verstrickungen in ausgrenzende Diskurse reflektiert werden.

Außerdem können auf einer kulturell-symbolischen Ebene beispielsweise Mediendiskurse untersucht und kritisiert werden. So kann etwa gefordert werden, dass Medien die zu Wort kommen lassen müssen, über die gesprochen wird - und das nicht nur als Anschauungsobjekt in durch weiß-deutsch dominierte Redaktionen produzierten Reportagen. Aber auch die strukturelle Ebene sollte nicht aus dem Blickfeld gerückt werden.

So kann es etwa beim Angriff des ausgrenzenden Unterschichtendiskurses nicht nur darum gehen, Anerkennung für Betroffene sozialer Ungleichheit einzufordern. Vielmehr müssen die Strukturen und Institutionen bekämpft werden, die "Verlierer" und "Gewinner" produzieren.

Interview: Sebastian Kalicha

Sebastian Friedrich (Hg.)


Rassismus in der Leistungsgesellschaft

Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der „Sarrazindebatte“

farb. Broschur, ca. 260 Seiten, 19.80 EUR [D]

ISBN 978-3-942885-01-0


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