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"Polizei verharmlost Heilbronner Neonaziszene und ihre Kontakte nach Thüringen"

Logo der Antifaschistischen Aktion Heilbronn
Die Antifaschistische Aktion Heilbronn hat am 15. November 2011 eine Erklärung veröffentlich, die wir nachfolgend dokumentieren:

Im Zusammenhang mit der Aufklärung des von Nazis begangenen „Heilbronner Polizistenmordes“ und der bundesweiten Mordserie streut die örtliche Kriminalpolizei falsche Informationen.

In mehreren Medien wird ein Sprecher der Heilbronner Polizei mit der Aussage zitiert, es gebe in Heilbronn
„keine strukturiert- organisierte rechte Szene“, sondern nur „Rechtsgesinnte oder Skinheads als Einzelpersonen“.
In der „Heilbronner Stimme“ vom 15.11.2011 behauptet der Heilbronner Kripochef Volker Rittenauer, die NPD sei „nicht allzu stark“ und es gebe ansonsten nur „nicht- strukturierte Grüppchen von drei bis fünf Personen“ und keine Hinweise auf „Gewaltanwendungsgedanken“.

Das Gegenteil ist allerdings richtig: der NPD- Kreisverband Heilbronn und seine Jugendorganisation JN veranstalten regelmäßig Rednerveranstaltungen, Feste und Liederabende auch gemeinsam mit Nazis aus anderen Regionen. Z.B. am 23. Juli 2011 ein Grillfest in Weinsberg bei Heilbronn mit den Nazi- Liedermachern Thomas Eichberg und „Fylgien“ aus Berlin.

Darüberhinaus hat sich in diesem Jahr in Heilbronn eine „Kameradschaft“ sogenannter „Autonomer Nationalisten“ gegründet, die als „Aktionsgruppe Heilbronn“ (AG Heilbronn) auftritt und ebenfalls überregional vernetzt ist. So waren auf der „Gründungsveranstaltung“ der AG Heilbronn am 11. Juni 2011 u.a. der Neonazi Philippe Eglin aus der Schweiz, Mitglieder des NPD- Landesvorstandes und der „Karlsruher Kameradschaft“ anwesend.

Noch irritierender erscheint die Verharmlosung der Heilbronner Polizei, wenn man zurück an den 1.Mai 2011 denkt: an diesem Tag fand in Heilbronn der zentrale Aufmarsch der süddeutschen Naziszene mit rund 800 Faschisten statt. Und auch die Behauptung, es gebe in der Naziszene in Heilbronn keine „Gewaltanwendungsgedanken“, wirkt absurd. Es gab in den letzten 2 Jahren gleich mehrere Vorkommnisse, die deutlich machten, dass es militante Faschisten in der Region gibt:

- Am 21. April 2010 verübten Neonazis in Neckarsulm einen Brandanschlag auf einen türkischen Supermarkt
- Im Mai 2010 gab es antisemitische Morddrohungen und Sachbeschädigungen gegen einen Barbesitzer in Heilbronn
- Im November 2010 erhielt ein gegen Nazis engagiertes Mitglied der Jusos Heilbronn eine schriftliche Morddrohung.
- Im Juli 2011 ging das LKA mit einer Razzia gegen einen gewaltbereiten Nazizusammenschluss vor, der unter dem Namen „Standarte Württemberg“ Übergriffe gegen MigrantInnen plante. Dabei wurden Messer, eine Pistole, manipulierte Luftgewehre, mehr als 100 Schuss Munition und Propagandamaterial beschlagnahmt. Die Durchsuchungen fanden u.a. bei Nazis im Landkreis Heilbronn und in den benachbarten Landkreisen statt.

Die Heilbronner Nazis sind allerdings nicht nur existent und organisiert, sie haben auch gute Kontakte nach Thüringen. Dort waren die mutmaßlichen Mörder von Michèle Kiesewetter in faschistischen Organisationen wie dem „Thüringer Heimatschutz“ aktiv und wurden als „Bombenbauer“ bekannt. Zwei von ihnen wurden jetzt nach einem Banküberfall erschossen in einem Wohnmobil in Eisenach aufgefunden.

Erst vor wenigen Wochen, am 1. und 2. Oktober 2011, führte der NPD- Kreisverband Heilbronn einen Ausflug nach Thüringen durch, bei dem das Kyffhäuserdenkmal in der Nähe von Nordhausen und die Stadt Eisenach mit Wartburg besichtigt wurden.

Die Heilbronner NPDler übernachteten bei „Kameraden“ in Eisenach und hissten dort nach eigenen Angaben die „Reichsflagge“.

Angesichts dieser Fakten stellt sich die Frage, warum die Heilbronner Polizei nicht die Kontakte zwischen organisierten Heilbronner und Thüringer Nazis überprüft, sondern weiter die Lüge von den „rechtsgesinnten“„Einzelpersonen“ verbreitet.

Dazu ein Sprecher der Antifaschistischen Aktion Heilbronn:
„Während klar wird, dass in der faschistischen Szene in der BRD auch militante und bewaffnete Zellen existieren, blamiert sich die Heilbronner Polizei ein weiteres Mal mit verharmlosenden Sprüchen wie wir sie schon zur Genüge kennen. Die Naziszene in Heilbronn ist gut organisiert und hat intensive Kontakte in viele Bundesländer. Wer diese Tatsachen bestreitet, der ist entweder schlecht informiert oder will der Öffentlichkeit die Wahrheit vorenthalten. Beides ist fatal und keine Grundlage für Engagement gegen die faschistischen Hetzer und Mörder.“

Deutschland, Dein "Verfassungsschutz"...

In einem Wohnwagen in Stregda bei Eisenach endete das Leben von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Seit dem Fund ihrer Leichen am 4. November kommen täglich neue Details aus der Mordkarriere der beiden Männer mit offenbar faschistischem Hintergrund an das Tageslicht. Wie war es möglich, dass sie - und ihre mutmaßlichen Helfer - unerkannt über dreizehn Jahre behördlich unbehelligt rauben und morden konnten?

"Eine rassistische Mordserie und eine erschossene Polizistin gehen offenbar auf das Konto von Neonazis. Der Fall wirft brisante Fragen auf: Was wusste der Verfassungsschutz?", so der "Freitag". Die Frage ist durchaus berechtigt, denn bekanntlich stellen die Dienste nicht wenige in den Reihen der reaktionären und faschistischen Kräfte in der BRD:

„Wenn ich alle meine verdeckten Ermittler aus den NPD-Gremien abziehen würde, dann würde die NPD in sich zusammenfallen“, so der damalige baden-württembergischen Innenminister Rech (CDU) auf einer Veranstaltung in Gechingen. Mit dieser Aussage räumte er am 5. März 2009 im "Scharzwälder Boten" ein, dass die NPD im Lande durch den „Verfassungsschutz“ künstlich am Leben gehalten wird.

Nun, nach den Enthüllungen über die offenbar rassistische Mordserie an mehreren Kleingewerbetreibenden und dem Mord an einer Heilbronner Polizeibeamtin zeigen sich ausgerechnet die Verfassungsschützer "überrascht" über die Vorgänge, obwohl schon seit 2011 darüber gemunkelt wurde, dass der Verfassungsschutz selber in die Mordserie verstrickt sein könnte: 

"... Schließlich hatte der Kopf des militanten "Thüringer Heimatschutzes", zu dem die drei gehörten, als V-Mann für den Verfassungsschutz des Landes Thüringen gespitzelt, wie im Jahr 2001 bekannt wurde ..." (taz)

Natürlich wurde sogleich zurückgerudert, und mittlerweile "(...) verlautbarte der Thüringer Verfassungsschutz, keine der drei Personen habe zu seinen V-Leuten gehört. Allerdings hatte er dies schon bei Timo B. beteuert, dem ehemaligen Kopf der rechtsextremen Gruppe Thüringer Heimatschutz, der das Trio angehörte und die 1998 im Fokus der damaligen Sprengstoffermittlungen stand. (...)" (Peter Mühlbauer bei telepolis).

Auch Anders Behring Breivik hat seine politisch motivierten Morde wohl jahrelang und systematisch unter den Augen der Behörden vorbereitet. Wie glaubwürdig ist also die Sorge, die der Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Hans-Werner Wargel der "tagesschau" zum Ausdruck bringt? "Wenn sich der Verdacht bestätigt, haben wir es mit dem schlimmsten Fall rechtsextremistischer Gewalt in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zu tun". Vom Dilletantismus bei den Ermittlungen - man bedenke nur die mehr als peinliche "Panne" bei den Wattestäbchen für die DNA Analyse im Fall der ermordeten Polizeibeamtin bis hin zur schon beinahe penetranten Weigerung, die Zahl der Opfer faschistischer Gewalt anzuerkennen:

Der Fall wirft mehr Fragen auf, als bislang in den Kommentarspalten aufgeworfen werden. Der bisherige Umgang mit dem Fall gibt Anlass zur Befürchtung, dass einmal mehr das Lied von der "Einzeltäterthese" gespielt werden soll.

Das hat Tradition in diesem Land. Zumindest hinsichtlich "rechter" Gewalt.

Einzeltäterthese 2.0?
In diesem Jahr jährte sich das Oktoberfestattentat zum 31. Mal. Am 26.09.1980 explodierte eine Bombe am Haupteingang des Oktoberfests und riss 13 Menschen in den Tod. 211 Menschen wurden verletzt, zum Teil sehr schwer. Es war der schlimmste Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Dennoch gibt es noch immer kein öffentliches Bewusstsein für die Hintergründe, kaum jemand kennt die Verbindungen des Attentäters zur rechten Szene. Auch dort führte die blutige Spur zu Neonazis. Doch die Ermittler haben diese Spur zu den Akten gelegt und stattdessen die Theorie vom "Einzeltäter" in die Welt gesetzt und festgeschrieben. So ist der größte Terroranschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte bis heute nicht aufgeklärt, die Akten des Wies‘n-Attentats sind seit 1982 geschlossen, neue Erkenntnisse und offene Fragen sind offensichtlich unerwünscht. Der erneute Antrag auf Wiederaufnahme der Ermittlungen im Jahr 2009 brachte ans Tageslicht, dass sämtliche Beweisstücke, die sogenanten Asservate bereits 1997 vernichtet worden sind.

Sollte nicht ein wenig mehr kritischer Umgang mit rechten Ideologien an den Tag gelegt werden? Diese Hoffnung - zumindest, sofern sie an staatliche Stellen gerichtet ist - erscheint jedoch reichlich hoffnungslos. Vor allem angesichts dessen, dass heute erneut Feindbilder konstruiert werden, Hass auf Muslime, auf MigrantInnen geschürt, Hartz IV Empfänger, Arme und Kranke stigmatisiert und zu inneren Feinden hochstilisiert werden, um von den Ursachen der kapitalistischen Krise, Kriegen und sozialem Kahlschlag abzulenken.

Diese Diskussion wäre so nicht denkbar ohne diejenigen, die dafür die ideologische Munition liefern. Und diejenigen, die diese in sich aufsaugen und unwidersprochen lassen. Der zu zweifelhaftem Ruhm gekommene Bestseller "Deutschland schafft sich ab" wurde innerhalb zweier Monate nach Erscheinen das meistverkaufte Politiksachbuch des Jahrezehntes eines deutschen Autors. In diesem Fakt kommt eine breite gesellschaftliche Verschiebung nach rechts, die Enttabuisierung rassistischen Denkens und die Verbindung von Rassismus mit Elite- und Nützlichkeitsdenken zum Ausdruck, die so nicht mehr nur sogenannten "Extremisten" zugeordnet werden kann, sondern breit in allen gesellschaftlichen Schichten hoffähig ist.

Was wäre hier los?
"Eingedenk der Tatsache, dass ein paar brennende Bonzenautos in der Öffentlichkeit bereits hysterisch als neue R.A.F. gehandelt werden, stelle man sich vor, in den letzten 11 Jahren seien 10 Unternehmer und zwei Polizisten erschossen und mehrere Banken ausgeraubt worden, man fände zwei aus dem linken Spektrum stammende Aktivisten tot in einem Wohnwagen, deren Wohnung würde ohne Rücksicht auf andere Bewohner des Hauses in einem Feuer vernichtet und eine zugehörige Frau, ebenfalls aus dem linken Umfeld, würde verhaftet werden und zu allen Vorfällen schweigen. Man fände dann im Schutt dieser abgebrannten Wohnung Waffen, die die Aktivisten mit all den vorgenannten Verbrechen eindeutig in Verbindung bringen. Was wäre hier los?" (pantoffelpunk, via woschod.de)

kritisch-lesen.de Nr. 11 - "Debatten und Praxen des Anarchismus"

Am 1. November erschien die 11. Ausgabe von kritisch-lesen.de. Schwerpunkt diesmal: "Debatten und Praxen des Anarchismus".

Schwerpunktmäßig geht es in acht von insgesamt zwölf Rezensionen um Debatten und Praxen des Anarchismus. Die elfte kritisch-lesen-Ausgabe ist der erste Teil eines (vorläufig) zweiteiligen Schwerpunktes zum Thema Anarchismus. Er ist auch der erste Schwerpunkt, der überwiegend von Autor_innen aus dem Autor_innen- und Sympathisant_innen-Kreis (ASK) geplant und zusammengestellt wurde. Der zweite Anarchismus-Schwerpunkt –“ soviel sei vorweg verraten –“ wird im April 2012 erscheinen und sich mit „Zeugnissen“ des Anarchismus beschäftigen. Darunter verstehen wir (Auto)biografien, Memoiren, Werksammlungen, Tagebücher, etc. Die erste Anarchismus-Ausgabe beschäftigt sich mit vielerlei unterschiedlichen Debatten und Praxen des Anarchismus und ist ebenso pluralistisch und heterogen wie der Anarchismus selbst.

Den Beginn macht Sebastian Friedrichs Rezension Sehhilfe für Vielschichtigkeit des Anarchismus über das Buch Hier und Jetzt von Uri Gordon. Das Buch und die Rezension nähern sich der gegenwärtigen anarchistischen Bewegung im Kontext der globalisierungskritischen Bewegung von vielen verschiedenen Richtungen und Blickwinkeln. Weiter geht es mit einem zweiten Buch voll anregender Reflexionen zum Anarchismus in Theorie und Praxis: Regina Wamper stellt in Verteidigung des Anarchismus Überlegungen zu Gabriel Kuhns Buch Vielfalt –“ Bewegung –“ Widerstand an. Um dem Vergessen weniger bekannter Anarchist_innen entgegenzuwirken, hat der Wanderverein Bakuninhütte e.V. eine Gedenkschrift zu Fritz Scherer veröffentlicht. Sebastian Kalicha bespricht diese Schrift in Der Anarchist und der Alpenverein. Etwas theoretischer wird es bei Gabriel Kuhns Rezension Anarchismus Old School zu Hans Jürgen Degens Buch Das Paradies ist offen, in der Kuhn die Frage stellt, wie innovativ die in dem Buch dargelegten Gedanken tatsächlich sind. Eine historische und theoretische Abhandlung zum Anarchafeminismus –“ einem besonders wichtigen Thema in der anarchistischen Bewegung –“ findet sich in Der doppelte Kampf von Regina Wamper: Sie bespricht das deutschsprachige Standardwerk zum Thema von Silke Lohschelder, Liane M. Dubowy und Inés Gutschmidt. Gabriel Kuhns zweite Rezension Vorkriegsantifa beschäftigt sich mit einem historischen Thema des deutschen Anachosyndikalismus: der anarchosyndikalistischen Arbeiterwehr Schwarze Scharen, die gegen den Faschismus in Deutschland Widerstand leistete. Philippe Kellermann hat schließlich die bahnbrechende Studie zu Bakunins Konflikt mit Marx von Wolfgang Eckhart rezensiert, wobei er nach der Lektüre satter 1239 Seiten zu einer Reihe interessanter Schlussfolgerungen kommt. Wie dieser epochale Aufeinanderprall zweier unterschiedlicher Auffassungen des Sozialismus in einem anderen Teil der Welt tragische Realität wurde und welche Auswirkungen dies hatte, bespricht Sebastian Kalicha in seiner Rezension Bakunin versus Marx auf kubanisch.

Darüber hinaus hat die Redaktion vier weitere Rezensionen zu anderen Themen ausgewählt. Zunächst bespricht Heinz-Jürgen Voß in Vom Gay Pride zum White Pride den von Koray Yilmaz-Günay herausgegebenen Band „Karriere eines konstruierten Gegensatzes: zehn Jahre –šMuslime versus Schwule–™“, in dem die Autor_innen am Beispiel Berlin rassistische Entwicklungen nachzeichnen, wenn etwa Kriege und Menschenrechtsverletzungen mit dem Kampf für Rechte von Homosexuellen und Frauen begründet werden. Anschließend richtet Fritz Güde anhand des Buchs Die arabische Revolution? von Bernhard Schmid den Blick auf Nordafrika und die Frage, wie sich die Lage dort fern von vorherrschenden Medienberichten darstellt. Adi Quarti geht in Gewalt und Nichtstun Slavoj Zizeks „abseitigen Reflexionen“ zu Gewalt auf den Grund. Schließlich kritisiert Fritz Güde in Entbeintes in Brühe Götz Alys Versuch, den deutschen Antisemitismus aus dem Neid zu erklären.

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Viel Spaß beim kritischen Lesen!

Hier gehts zur Ausgabe: http://www.kritisch-lesen.de/2011/11/debatten-praxen-des-anarchismus/
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