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Nach den Neonazi-Serienmorden: NPD - Verbot Jetzt!

Die Berliner VVN-BdA hat eine Pressemitteilung zu den Neonazi-Serienmorden veröffentlicht, die wir hier dokumentieren:

Nach den Neonazi-Serienmorden NPD - Verbot Jetzt!

Umdenken und Kurskorrektur in der Auseinandersetzung mit der Neonaziszene notwendig

Die Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschisten fordert angesichts der neuen Informationen über die vermutlich von einer Neonazi- Gruppierung innerhalb eines längeren Zeitraumes verübten Morde und Anschläge eine umfassende Aufklärung über das Versagen von Polizei und Verfassungsschutz sowie einen sofortigen neuen Anlauf zu einem NPD-Verbot.

Die Berliner VVN erklärt weiter:

Unabhängig davon, ob sich alle Informationen bestätigen werden, steht doch eins fest: Die Überwachung und Kontrolle von Neonazis mit oder ohne NPD-Parteibuch durch Gewährsleute des Verfassungsschutzes hat sich einmal mehr als wirkungslos erwiesen. Schon die Antworten auf Anfragen an die Bundesregierung oder Landesregierungen ließen oftmals Unkenntnis über Umfang und Ausmaß rechter Aktivitäten vermuten. So verwundert es auch nicht, dass sich keine/r der vermeintlichen TäterInnen im Visier von staatlichen Behörden befand oder mögliche TäterInnenkreise und Zusammenhänge zwischen verschiedenen Verbrechen scheinbar ausgeschlossen wurden.
Während VertreterInnen staatlicher Sicherheitsbehörden aber auch aus Politik und Medien die Gefahr eines wachsenden „Linksextremismus“ und sogar eines „Linksterrorismus“ beschwörten, konnten Neonazis jahrelang unentdeckt morden. Stattdessen wird antifaschistischer und zivilgesellschaftlicher Protest gegen Naziaufmärsche kriminalisiert und führte in Dresden zu einer verdachtsunabhängigen Massenüberwachung von Handydaten und weiteren Repressionen sowie Einschüchterungsversuchen. Die Morde aber auch die Zunahme von Brandanschlägen auf linke Projekte, wie auf das Anton-Schmauss-Haus der Falken in Britz, die Übergriffe auf Menschen, die nicht in das Weltbild von Neonazis und Rassisten passen, verlangen ein Umdenken in der Auseinandersetzung mit der Neonaziszene. Die absurde realitätsfremde Gleichsetzung von „Links- und Rechtsextremismus“ gehört ebenso auf den Prüfstand wie die von der Bundesregierung (geschönte) Statistik über Opfer rassistischer und neonazistischer Übergriffe, da sie in keinem Verhältnis zu Erhebungen von Opferberatungsstellen,und von Medien steht.
Die Berliner VVN fordert deshalb die Bundesregierung und verantwortliche staatliche Behörden zu einer Kurskorrektur auf. Die wirkliche Gefahr für eine Demokratie und für Menschenleben geht nach wie vor von der menschenverachtenden Ideologie der Neonazis und Rassisten aus. Eine Kriminalisierung von Zivilcourage über einen Generalverdacht durch die Extremismusklausel ist zu beenden und Projekte gegen Rechts sind wieder verstärkt zu fördern.


Siehe dazu auch:

"Verfassungsschutz als Feind betrachten! Erste Schritte."
"Deutschland, Dein "Verfassungsschutz"..."

Verfassungsschutz als Feind betrachten! Erste Schritte.

Thomas Trueten hat in seinem Beitrag umfassend genug dargestellt, in wie vielen bisherigen Fällen der Verfassungsschutz und verwandte Dienste keine Lösung, aber das Problem selbst darstellten.

Mit Recht breitet sich die Erkenntnis aus- bis jetzt nur theoretisch- dass der Verfassungs-Schutz der eigentliche Feind ist einer jeden sich für selbständig haltenden Bewegung, ob diese sich als rechts oder links oder islamistisch oder sonstwie versteht. Aus dem Blick der Dienste ist ALLES als vernichtenswert anzusehen, was sich autonom erheben will.

Strohschneider fordert in seinem Artikel im aktuellen FREITAG mit vollem Recht: Verfassungsschutz abschaffen!

Allein der Hinweis, dass sämtliche Taten der jetzt in Ostdeutschland Verdächtigten durch bloße Anzeige bei der ganz gewöhnlichen Polizei Verfolgungen hätten auslösen müssen, sollte reichen. Wozu dann noch spezielle Schützer nicht der Bürger, aber ihrer selbst?

Das Problem liegt nicht an der Proklamation. Selbst bei Staats-Vertreter Jauch am Sonntag-Abend wurde traurig bekannt, dass es immer wieder "schwarze Schafe" gebe - aber dass außer einer sehr gründlichen Durchmusterung der Bestände dagegen nichts zu machen sei. Das ist natürlich der naturgesättigte Blubber, der sich nach gehabter Explosion verziehen wird. Schätzwert der Aufregungsdauer: zwei Monate höchstens. Dass das nicht ausreicht, wird selbst in den als Diskutanten auftretenden Talk-Gästen aufgestiegen sein.

Was ist konkret zu tun?

Das erste wäre strenge Selbstkontrolle in allen sich als links verstehenden Journalen und Blogs. Immer wieder fanden sich bis jetzt darin wohlwollende Bemerkungen, dass irgendeine gerade missliebige Gruppe im "Verfassungsschutzbericht" erwähnt worden sei. Als könne das in irgendeinem Sinn ein Argument gegen diese Gruppe darstellen.

Noch einmal: dem Verfassungsschutz ist die Verfassung herzlich egal. Er kämpft grundsätzlich und ausschließlich für sich selbst, seine Selbsterhaltung und Machtausweitung. Er muss bekämpft werden. In keinem Fall wohlwollend zitiert, auch wenn es - zufällig - solche trifft, von denen "links" angenommen wird, dass es denen gerade recht geschieht.

Zweiter Punkt: Ein Vergleich der sich für islamistisch haltenden "Sauerlandgruppe" und der tiefbraunen Rächerbande, um die es jetzt geht, zeigt eine Gemeinsamkeit: Wie saublöd sich beide angestellt haben. Tief unter dem Niveau von Erstlesern eines Sherlock-Holmes oder Karl-May. Für die Sauerländer ist das zum tausendsten Mal nachgewiesen worden. Wie aber steht es mit einer Gruppe, die angeblich zehn Morde vollführte - bundesweit - was doch ziemlich umfassende Recherchen voraussetzen würde, die aber ein Haus zur Verdeckung von Verbrechen abfackelt, in welchem die wichtigsten Beweismittel - wie absichtlich - zur Schau gestellt bleiben. Und wie komisch der Reliquienkult einer Gruppe, die umfassende Ziele entfaltet, aber sämtlich erbeuteten Schießgewehre aufbewahrt und gewissenhaft wiederverwendet. Um der Polizei einige Rätsel-Lösungen zu erleichtern.

Gemeine Schlussfolgerung: Wenn die primären Akteure sich so blöd anstellen - und trotzdem sich lange halten - muss es im Hintergrund etwas Schlauere geben, die die Infrastruktur liefern und aufrecht erhalten.Die müssten dann aus den Diensten leihweise zur Verfügung gestellt worden sein. Also sind auch die jetzigen Enthüllungen methodisch immer noch als Kulissenschieberei der gleichen Dienste zu behandeln.

Diesen Diensten darf nicht einmal im Zustand ihrer Auflösung getraut werden.

Sie werden noch lange nicht verschwinden. Immerhin: sie würden schwächer, wenn wir - als Linke -  ihnen nicht immer noch so viel Glaubensvorschuss spendieren würden.

Deutschland, Dein "Verfassungsschutz"...

In einem Wohnwagen in Stregda bei Eisenach endete das Leben von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Seit dem Fund ihrer Leichen am 4. November kommen täglich neue Details aus der Mordkarriere der beiden Männer mit offenbar faschistischem Hintergrund an das Tageslicht. Wie war es möglich, dass sie - und ihre mutmaßlichen Helfer - unerkannt über dreizehn Jahre behördlich unbehelligt rauben und morden konnten?

"Eine rassistische Mordserie und eine erschossene Polizistin gehen offenbar auf das Konto von Neonazis. Der Fall wirft brisante Fragen auf: Was wusste der Verfassungsschutz?", so der "Freitag". Die Frage ist durchaus berechtigt, denn bekanntlich stellen die Dienste nicht wenige in den Reihen der reaktionären und faschistischen Kräfte in der BRD:

„Wenn ich alle meine verdeckten Ermittler aus den NPD-Gremien abziehen würde, dann würde die NPD in sich zusammenfallen“, so der damalige baden-württembergischen Innenminister Rech (CDU) auf einer Veranstaltung in Gechingen. Mit dieser Aussage räumte er am 5. März 2009 im "Scharzwälder Boten" ein, dass die NPD im Lande durch den „Verfassungsschutz“ künstlich am Leben gehalten wird.

Nun, nach den Enthüllungen über die offenbar rassistische Mordserie an mehreren Kleingewerbetreibenden und dem Mord an einer Heilbronner Polizeibeamtin zeigen sich ausgerechnet die Verfassungsschützer "überrascht" über die Vorgänge, obwohl schon seit 2011 darüber gemunkelt wurde, dass der Verfassungsschutz selber in die Mordserie verstrickt sein könnte: 

"... Schließlich hatte der Kopf des militanten "Thüringer Heimatschutzes", zu dem die drei gehörten, als V-Mann für den Verfassungsschutz des Landes Thüringen gespitzelt, wie im Jahr 2001 bekannt wurde ..." (taz)

Natürlich wurde sogleich zurückgerudert, und mittlerweile "(...) verlautbarte der Thüringer Verfassungsschutz, keine der drei Personen habe zu seinen V-Leuten gehört. Allerdings hatte er dies schon bei Timo B. beteuert, dem ehemaligen Kopf der rechtsextremen Gruppe Thüringer Heimatschutz, der das Trio angehörte und die 1998 im Fokus der damaligen Sprengstoffermittlungen stand. (...)" (Peter Mühlbauer bei telepolis).

Auch Anders Behring Breivik hat seine politisch motivierten Morde wohl jahrelang und systematisch unter den Augen der Behörden vorbereitet. Wie glaubwürdig ist also die Sorge, die der Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Hans-Werner Wargel der "tagesschau" zum Ausdruck bringt? "Wenn sich der Verdacht bestätigt, haben wir es mit dem schlimmsten Fall rechtsextremistischer Gewalt in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zu tun". Vom Dilletantismus bei den Ermittlungen - man bedenke nur die mehr als peinliche "Panne" bei den Wattestäbchen für die DNA Analyse im Fall der ermordeten Polizeibeamtin bis hin zur schon beinahe penetranten Weigerung, die Zahl der Opfer faschistischer Gewalt anzuerkennen:

Der Fall wirft mehr Fragen auf, als bislang in den Kommentarspalten aufgeworfen werden. Der bisherige Umgang mit dem Fall gibt Anlass zur Befürchtung, dass einmal mehr das Lied von der "Einzeltäterthese" gespielt werden soll.

Das hat Tradition in diesem Land. Zumindest hinsichtlich "rechter" Gewalt.

Einzeltäterthese 2.0?
In diesem Jahr jährte sich das Oktoberfestattentat zum 31. Mal. Am 26.09.1980 explodierte eine Bombe am Haupteingang des Oktoberfests und riss 13 Menschen in den Tod. 211 Menschen wurden verletzt, zum Teil sehr schwer. Es war der schlimmste Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Dennoch gibt es noch immer kein öffentliches Bewusstsein für die Hintergründe, kaum jemand kennt die Verbindungen des Attentäters zur rechten Szene. Auch dort führte die blutige Spur zu Neonazis. Doch die Ermittler haben diese Spur zu den Akten gelegt und stattdessen die Theorie vom "Einzeltäter" in die Welt gesetzt und festgeschrieben. So ist der größte Terroranschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte bis heute nicht aufgeklärt, die Akten des Wies‘n-Attentats sind seit 1982 geschlossen, neue Erkenntnisse und offene Fragen sind offensichtlich unerwünscht. Der erneute Antrag auf Wiederaufnahme der Ermittlungen im Jahr 2009 brachte ans Tageslicht, dass sämtliche Beweisstücke, die sogenanten Asservate bereits 1997 vernichtet worden sind.

Sollte nicht ein wenig mehr kritischer Umgang mit rechten Ideologien an den Tag gelegt werden? Diese Hoffnung - zumindest, sofern sie an staatliche Stellen gerichtet ist - erscheint jedoch reichlich hoffnungslos. Vor allem angesichts dessen, dass heute erneut Feindbilder konstruiert werden, Hass auf Muslime, auf MigrantInnen geschürt, Hartz IV Empfänger, Arme und Kranke stigmatisiert und zu inneren Feinden hochstilisiert werden, um von den Ursachen der kapitalistischen Krise, Kriegen und sozialem Kahlschlag abzulenken.

Diese Diskussion wäre so nicht denkbar ohne diejenigen, die dafür die ideologische Munition liefern. Und diejenigen, die diese in sich aufsaugen und unwidersprochen lassen. Der zu zweifelhaftem Ruhm gekommene Bestseller "Deutschland schafft sich ab" wurde innerhalb zweier Monate nach Erscheinen das meistverkaufte Politiksachbuch des Jahrezehntes eines deutschen Autors. In diesem Fakt kommt eine breite gesellschaftliche Verschiebung nach rechts, die Enttabuisierung rassistischen Denkens und die Verbindung von Rassismus mit Elite- und Nützlichkeitsdenken zum Ausdruck, die so nicht mehr nur sogenannten "Extremisten" zugeordnet werden kann, sondern breit in allen gesellschaftlichen Schichten hoffähig ist.

Was wäre hier los?
"Eingedenk der Tatsache, dass ein paar brennende Bonzenautos in der Öffentlichkeit bereits hysterisch als neue R.A.F. gehandelt werden, stelle man sich vor, in den letzten 11 Jahren seien 10 Unternehmer und zwei Polizisten erschossen und mehrere Banken ausgeraubt worden, man fände zwei aus dem linken Spektrum stammende Aktivisten tot in einem Wohnwagen, deren Wohnung würde ohne Rücksicht auf andere Bewohner des Hauses in einem Feuer vernichtet und eine zugehörige Frau, ebenfalls aus dem linken Umfeld, würde verhaftet werden und zu allen Vorfällen schweigen. Man fände dann im Schutt dieser abgebrannten Wohnung Waffen, die die Aktivisten mit all den vorgenannten Verbrechen eindeutig in Verbindung bringen. Was wäre hier los?" (pantoffelpunk, via woschod.de)

Der Streit um Elsers Attentat auf Hitler: War es Verbohrtheit eines Sektierers oder stellvertretende Handlung für viele?

Minderwertigkeitskomplex, Kompensationsbedürfnis, Geltungssucht, Größenwahn - an nichts wird heute gespart, wenn es darum geht, einer politisch gemeinten Handlung ihre politische Bedeutung wieder abzunehmen. Zwanzig Leute, die sich unter äußersten Entbehrungen dem Kampf der Kurden in den Bergen angeschlossen hatten, stellt der SPIEGEL vom 14.2.00 als eine Horde pathologischer Spinner hin.

Schlöndorff stiehlt in seinem Film "Die Stille nach dem Schuss" Inge Viett das Leben, um aus dem entschiedenen Einsatz für den Sozialismus auf verschlungenen Wegen eine verkorkste Entwicklungs-Geschichte zu destillieren, eine privatisierte Seelenromanze.

Es darf keine zielbewußte gemeinsame Aktion mehr geben, geschweige denn das, was man einmal Klassenkampf nannte: ein Handeln aus dem Bewußtsein der gemeinsamen Unterworfenheit unter Bedingungen, deren Fesseln wir nur gemeinsam werden abwerfen können. Und weil es das in Zukunft nie mehr geben darf, darf es so etwas auch nie gegeben haben. Die Büglerinnung steht bereit. Ein Haufen Historiker hat nichts in seinem Kopf, als dem unseren jede Erinnerung daran wegzuplätten, dass es einmal gerechtfertigte Taten gab, die über das Unterzeichnen einer Unterschriftenliste hinausgingen.

Bügelmeister Fritze.

So ein Historiker ist Dozent Fritze vom Hannah-Arendt-Institut in Leipzig. Er machte sich über den Mann her, der in wochenlanger Arbeit ganz allein im Jahr 39 Hitler am nächsten an sein verdientes Ende brachte.

Der Schreiner Georg Elser hatte einen tragenden Pfeiler im Münchener Bürgerbräu so ausgehöhlt, dass er einen selbstentwickelten Sprengapparat darin unterbringen konnte. Hitler entkam, sieben Goldfasane der Nazipartei und eine Serviererin fielen der Explosion zum Opfer. Es gibt Professoren, die halten zwar nebenbei auch Vorlesungen oder Übungen. Hauptberuflich sind sie aber einfach dumm, in einer begeisterten und zutunlichen Weise, die so gar nichts Verschämtes oder Verdrücktes hat.

Um so einen handelt es sich ganz offenbar bei Fritze. Nur dass sein Dummes wunderbar in das Abgefeimte des gegenwärtigen Trends passt. Gegen Elser hat er gleich zwei Einwände parat. Der erste: so ein kleiner Arbeiter könne doch nicht verantwortungsvoll entscheiden, ob Krieg kommt oder nicht. Das könnten nur die Fachleute vom Generalstab aufwärts, am besten natürlich die Reichsführung selber.

Zur Erinnerung: Das Attentat fand im November 39 statt. Zwei Monate nach der Kriegserklärung. Vielleicht hielten damals wirklich ein paar Offiziere den Polenfeldzug für einen Spazierritt und kapierten nicht, dass sie bereits durch den Weltkrieg trabten. Ein Arbeiter wie Elser, der jeden Tag mit Einberufung oder Zwangsverpflichtung an einen Rüstungsbetrieb rechnen musste, konnte sich so viel Blödheit nicht leisten.

Über diesen Unsinn Fritzes ist viel gelacht worden. Weniger über die eigentümliche Ethikkonstruktion, die er sich ausgedacht hat. Man muss nämlich nach seiner Vorschrift bei einem Attentat darauf setzen können, dass auch die Opfer nachträglich mit ihrem Tod einverstanden wären. Dem liegt eine geheimnisvolle Diskussionsmoral zugrunde, die irgendwo zwischen Plato und Habermas herumstolpert. Einfach gesagt. Tritt vor allen für das ein, was du tun willst und stelle es zur Diskussion.

Von der Unmöglichkeit abgesehen, in einem beliebigen Staat öffentliche Unterhaltungen über Attentatsabsichten zu pflegen, liegt als tiefstes diesem Denken zugrunde die Idee: wenn sie nur logisch argumentierten, müsste jeder Mensch jeden anderen verstehen. Natürlich, wenn so ein Zustand gegeben wäre, wäre jede gewaltsame Aktion, jeder Zugriff auf den Leib des andern überflüssig. Da müsste man sich nur Zeit nehmen für einen gründlichen Gedankenaustausch.

Fritze kennt nur mehr oder weniger vernünftige Einzelwesen, die atomisiert umeinander schwirren. Keiner hat Interessen, keiner Machtvorbehalte. Bindungen zwischen Menschen, über die Kleinfamilie, hinaus werden als Selbsttäuschung ausradiert. Damit wird die Karriere, der Aufstieg auf dem Froschleiterchen im Einmachglas, die einzige Bewegungsform, die Beobachter vom Schlage Fritze als normal zulassen.

Da Elser diesem Muster in nichts entsprach, bekommt er von Professor Fritze einen Eintrag ins Klassenbuch der Geschichte. Versetzung in die Ewigkeit gefährdet!

Geschichtsforscher Haasis.
Es gibt aber glücklicherweise Wissenschaftler, die uns davor bewahren, in der Bodenlosigkeit eines solchen Wortgestöbers verloren zu gehen. Wo wir bei Fritze nur auf Treibsand stoßen, da treten wir bei Hellmuth G. Haasis auf festen Boden.

In seinem Buch "Den Hitler jag ich in die Luft. Der Attentäter Georg Elser.", das er am 10. Februar in Offenburg vorstellte, geht er gerade dem nach, was sich ein Fritze überhaupt nicht vorstellen kann: dem Arbeiterschicksal Elsers mit seinen Bedrückungen und seinen Handlungschancen. Er zeigt den technisch hochbegabten Tüftler aus der Nähe Heidenheims, der aufgrund der Verhältnisse nie die Ausbildung bekommen konnte, die seinen Fähigkeiten entsprach.

Er zeigt den jungen Mann, der Zither spielte und keineswegs von Haus aus der verkniffene Griesgram und Schweiger war, als der er später hingestellt wurde. Das Schweigen war erst zur Notwendigkeit geworden, als er seine Attentatspläne ernstlich ins Auge fasste. Er wollte niemand mit in die Pfanne hauen.

Es ist das große Verdienst Haasis', noch aus den Vernehmungsprotokollen der GESTAPO herauszuholen, dass die Unmöglichkeit einer Absprache mit anderen keineswegs rechthaberische Eigenbrötelei bedeutet. Das einsame Handeln des einzelnen schließt die Beziehung auf das Los der gesamten Arbeiterschaft vielmehr trotz allem ein.

Die Motive Elsers und seine Ablehnung des Nazi-Regimes kommen am deutlichsten im Verhör des dritten Tages zur Sprache. Georg Elser beginnt mit einer ökonomischen Abrechnung, wie sie in der Arbeiteropposition der Zeit gar nicht so selten war: "Nach meiner Ansicht haben sich die Verhältnisse in der Arbeiterschaft nach der nationalen Revolution in verschiedener Hinsicht verschlechtert." Elser läßt sich nur hier den sonst verhaßten Begriff "nationale Revolution" für die Machtübernahme 1933 aufzwingen, dafür bleibt er aber in der Verurteilung fest. "So z. B. habe ich festgestellt, daß die Löhne niedriger und die Abzüge hoher wurden." "Während ich im Jahre 1929 in der Uhrenfabrik in Konstanz durchschnittlich 50,- RM wöchentlich verdient habe, haben die Abzüge zu dieser Zeit für Steuer, Krankenkasse, Arbeitslosenunterstützung und Invalidenmarken nur ungefähr 5,- RM betragen. Heute sind die Abzüge bereits bei einem Wochenverdienst von 25,- RM so hoch. Dazu kamen stark gesunkene Löhne. Im Jahr 1929 bekam man als Schreiner 1 bis 1,05 Mark Stundenlohn, jetzt nur noch 68 Pfennig." - Dann spricht er seine Quellen an: Gespräche mit Arbeitern anderer Branchen: Überall die gleiche Verschlechterung. Auch sonst zitiert er mehrfach Stimmen der Unzufriedenheit aus allen Orten, wo er sich aufhielt. Elser war also nicht der isolierte Einzelgänger, ein Fehlurteil, mit dem man ihn später aus der Widerstandsgeschichte ausmerzen wollte.

Aus der ganzen Unzufriedenheit zieht er eine radikale Schlußfolgerung, die dem NS-System jede Berechtigung entzieht: "Ich habe noch im Laufe dieser Zeit festgestellt, daß deswegen die Arbeiterschaft gegen die Regierung 'eine Wut' hat. 'Diese negative Stimmung beobachtete er, wohin er kam: in Betrieben, Wirtschaften, auf der Bahnfahrt. Damit lernen wir die Orte seiner politischen Verständigung kennen."

Man könnte denken, der Attentäter habe damit eigentlich genug gesagt. Aber nein, jetzt kommt eine Folgerung, die sich logisch aus der schlechten Stimmung der Arbeiter ergibt. "Im Herbst 1938 wurde nach meinen Feststellungen in der Arbeiterschaft allgemein mit einem Krieg gerechnet. 'Nach dem Münchener Abkommen sei wieder Ruhe eingetreten, nur er selbst habe eine andere Auffassung gewonnen." Elser war der Meinung, jetzt werde Hitler erst recht gefährlich.

Punkt für Punkt geht es weiter, Elser hat seine politische Grundüberzeugung parat, gefestigt in zahlreichen einsamen Stunden: "Die von mir angestellten Betrachtungen zeitigten das Ergebnis, daß die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden konnten.' '... ich meine damit Hitler, Göring und Goebbels. Durch meine Überlegungen kam ich zu der Überzeugung, dass durch die Beseitigung dieser drei Männer andere Männer an die Regierung kommen, die an das Ausland keine untragbaren Forderungen stellen, 'die kein fremdes Land einbeziehen wollen' und die für eine Besserung der sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft Sorge tragen werden.'

'Mit dem expansiven Nationalismus, der noch weite Kreise der bürgerlichen und militärischen Opposition prägte, hat Elser nichts zu tun. Fremde Länder interessieren ihn nicht. Die Kommissare sind so entsetzt über Elsers Forderungen, auf Eroberungen zu verzichten, daß sie seine Worte schamhaft in Anführungsstriche setzen."
(Haasis/S176 ff)

Klarer lässt es sich nicht sagen. Vor den Ohren der Gestapo entwickelte Elser ein Denken von beeindruckender Konsequenz. Dies Denken ist vollkommen eingebettet in das der anderen. Es lebt von der gemeinsamen Grunderfahrung der Ausbeutung im Normalfall und der Ehre, das Kanonenfutter abzugeben in den glorreicheren und damit noch unangenehmeren Tagen des Ruhms. Mit einem Wort: bei größter notgedrungener Absonderung während der Vorbereitung des Attentats die größte Gemeinsamkeit der Zielsetzung.

So lange es Bücher wie das von Helmut G. Haasis gibt, so lange kriegt die Büglerinnung unsere Hirnwindungen nicht platt. Solange wird eine Erinnerung wachgehalten und ein Denken geschärft, das aus der hoffnungslosen Vereinzelung der gegenwärtigen Situation einmal hinausführen wird.

Helmut G. Hassis, "Den Hitler jag ich in die Luft. Der Attentäter Georg Elser.", Rowohlt Berlin, 1999.

Erstveröffentlichung in Stattzeitung für Südbaden Ausgabe 42, 2000-03

kritisch-lesen.de Nr. 11 - "Debatten und Praxen des Anarchismus"

Am 1. November erschien die 11. Ausgabe von kritisch-lesen.de. Schwerpunkt diesmal: "Debatten und Praxen des Anarchismus".

Schwerpunktmäßig geht es in acht von insgesamt zwölf Rezensionen um Debatten und Praxen des Anarchismus. Die elfte kritisch-lesen-Ausgabe ist der erste Teil eines (vorläufig) zweiteiligen Schwerpunktes zum Thema Anarchismus. Er ist auch der erste Schwerpunkt, der überwiegend von Autor_innen aus dem Autor_innen- und Sympathisant_innen-Kreis (ASK) geplant und zusammengestellt wurde. Der zweite Anarchismus-Schwerpunkt -“ soviel sei vorweg verraten -“ wird im April 2012 erscheinen und sich mit „Zeugnissen“ des Anarchismus beschäftigen. Darunter verstehen wir (Auto)biografien, Memoiren, Werksammlungen, Tagebücher, etc. Die erste Anarchismus-Ausgabe beschäftigt sich mit vielerlei unterschiedlichen Debatten und Praxen des Anarchismus und ist ebenso pluralistisch und heterogen wie der Anarchismus selbst.

Den Beginn macht Sebastian Friedrichs Rezension Sehhilfe für Vielschichtigkeit des Anarchismus über das Buch Hier und Jetzt von Uri Gordon. Das Buch und die Rezension nähern sich der gegenwärtigen anarchistischen Bewegung im Kontext der globalisierungskritischen Bewegung von vielen verschiedenen Richtungen und Blickwinkeln. Weiter geht es mit einem zweiten Buch voll anregender Reflexionen zum Anarchismus in Theorie und Praxis: Regina Wamper stellt in Verteidigung des Anarchismus Überlegungen zu Gabriel Kuhns Buch Vielfalt -“ Bewegung -“ Widerstand an. Um dem Vergessen weniger bekannter Anarchist_innen entgegenzuwirken, hat der Wanderverein Bakuninhütte e.V. eine Gedenkschrift zu Fritz Scherer veröffentlicht. Sebastian Kalicha bespricht diese Schrift in Der Anarchist und der Alpenverein. Etwas theoretischer wird es bei Gabriel Kuhns Rezension Anarchismus Old School zu Hans Jürgen Degens Buch Das Paradies ist offen, in der Kuhn die Frage stellt, wie innovativ die in dem Buch dargelegten Gedanken tatsächlich sind. Eine historische und theoretische Abhandlung zum Anarchafeminismus -“ einem besonders wichtigen Thema in der anarchistischen Bewegung -“ findet sich in Der doppelte Kampf von Regina Wamper: Sie bespricht das deutschsprachige Standardwerk zum Thema von Silke Lohschelder, Liane M. Dubowy und Inés Gutschmidt. Gabriel Kuhns zweite Rezension Vorkriegsantifa beschäftigt sich mit einem historischen Thema des deutschen Anachosyndikalismus: der anarchosyndikalistischen Arbeiterwehr Schwarze Scharen, die gegen den Faschismus in Deutschland Widerstand leistete. Philippe Kellermann hat schließlich die bahnbrechende Studie zu Bakunins Konflikt mit Marx von Wolfgang Eckhart rezensiert, wobei er nach der Lektüre satter 1239 Seiten zu einer Reihe interessanter Schlussfolgerungen kommt. Wie dieser epochale Aufeinanderprall zweier unterschiedlicher Auffassungen des Sozialismus in einem anderen Teil der Welt tragische Realität wurde und welche Auswirkungen dies hatte, bespricht Sebastian Kalicha in seiner Rezension Bakunin versus Marx auf kubanisch.

Darüber hinaus hat die Redaktion vier weitere Rezensionen zu anderen Themen ausgewählt. Zunächst bespricht Heinz-Jürgen Voß in Vom Gay Pride zum White Pride den von Koray Yilmaz-Günay herausgegebenen Band „Karriere eines konstruierten Gegensatzes: zehn Jahre -šMuslime versus Schwule-™“, in dem die Autor_innen am Beispiel Berlin rassistische Entwicklungen nachzeichnen, wenn etwa Kriege und Menschenrechtsverletzungen mit dem Kampf für Rechte von Homosexuellen und Frauen begründet werden. Anschließend richtet Fritz Güde anhand des Buchs Die arabische Revolution? von Bernhard Schmid den Blick auf Nordafrika und die Frage, wie sich die Lage dort fern von vorherrschenden Medienberichten darstellt. Adi Quarti geht in Gewalt und Nichtstun Slavoj Zizeks „abseitigen Reflexionen“ zu Gewalt auf den Grund. Schließlich kritisiert Fritz Güde in Entbeintes in Brühe Götz Alys Versuch, den deutschen Antisemitismus aus dem Neid zu erklären.

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Hier gehts zur Ausgabe: http://www.kritisch-lesen.de/2011/11/debatten-praxen-des-anarchismus/
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